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Full text of "Geschichte Philipp's des Zweiten"

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E. DORSCH, M.D. 
Monroe, Mich. 








THE DORSCH LIBRARY. 


| —— 
The private Library of Edward Dorsch, M. D., of 
Monroe, Michigan, presented to the University of Michi- 
gan by his widow, May, 1888, in accordance with a wish 
expressed by him. 





Geſchichte 


Philipp's des Zweiten. 
3273709 


Bon 


William Prestott. 


— — — 


Dritter Theil. 





Jriprig 
Verlag von Otto Wiganı. 
1856. 


IV Inhalt. 


Achtes Kapitel. 
Die Hofpitalritter St. Johannis. 

Sie find ‚Herren von Rhodus. — Sie werden von Rbodus vertrieben. — 
Sie fegen ih auf Maltha fehl. — Sie werden von Soliman Beörokt. — 
La Valette. — Seine Vertheidigungsanſtalten 

Neuntes Kapitel. 
Die Belagerung von Maltha. 

Der Zuſtant Maltha's. — Die Ankunft der Türken. — Sie rekognosciren die 
Inſel. — Die Belagerung von St. Sims. — Seine e beidenmätgige 2 Ber: 
theidigung. — Sein Full 

Zehntes Kapitel. 
Die Belagerung von Maltha. 

SI Borgo wird eingefhbloflen. — Der Sturm auf St. Michael. — Die 
Niedermepelung der Türfen. — Die ununterbrodene Kanonade. — 
Allgemeines Sturmlaufen. — Die Türken werten zurüdgelchlagen. — 
Die gefährliche Lage von Il Borgo. — Die Stanphartigfeit La Valette's 

Eiftes Kapitel. 
Die Belagerungvon Maltba. 
Die Türfen find entmuthigt. — Die Berflärfung von Sizilien. — Die Auf: 


hebung der Belagerung. — freute der Chriften. — Birterer Aerger 
Soliman’e. — Ueberblid Der Belagerung. — Die ſernert Lebensge⸗ 
ſchichte La Valette's .. . 


Zwölftes acpitel. 
Don Carlos. 


Seine Erziehung und fein Charakter. — Seine gefährliche Krankheit. — 
Sein ausſchweifendes Betragen. — Meinungen über ihn. — Seine 
Verbindung mit ten Klamäntern. — Der Plan zur wlucht. — Sein 
tolles Benehmen. — Die Verhaftung . a 0. 


Dreischntes Kapitel. 


Der Tod des Don Carlos. 


Die Urſache ſeiner Verhafung. — Sein ſtrenger Gewahrſam. — Seine 
Erzeſſe. — Sein Tod. — Der Bericht des Llorente. — Unterſchiedliche 
Berichte. — Verdaͤchtige Umftände. — Der Streit im t Balafıe — ‚die 
Beitattung des Don Carlos . . 


dierzehntes aapitel. 


Der Tod Iſabellens. 


Die Königin Iſabella. — Ihr „erbältniß zu Gatloe. — - Ihre Krankheit und 
ihr Tor, — Ihr Charafter . . 


Seite 


157 


167 


4197 


219 


238 


260 


289 





Erſtes Kapitel. 


Die Sendung Alva’8 in die Niederlande, 


Die Ernennung Alva’s. — Sein merkfwürdiger Marſch. — Er kommt in Brüffel 
an. — Margaretha ift ungehalten. — Die Politik des Herzogs. — Die Ger 
fangennehmung Egmont's und Hoorne’e. 1867. 


- Während es Margarethen fo gut gelang, dad Land in einen Zus 
ftand von wenigftend augenblidlicher Ruhe zu verfegen, ergriff ber 
Madrider Hof Maßregeln, um die Regierung ber Niederlande in andere 
Hände überzufpielen und die Regierungspolitit weſentlich zu ändern. 

Wir fahen, wie häufig Gerüchte das ganze legte Sahr im Umlauf 
waren, daß Philipp das Land zu befuchen gebächte. Diefe Gerüchte 
hatten durch feine an die Regentin und verfchiedene auswärtige Ges 
Tandte gefchriebenen Briefe reichliche Betätigung erhalten. Aber der 
König ging noch weiter. Er erfuchte die franzöfifche Regierung, feiner 
Armee durch ihr Gebiet einen freien Durchmarfch zu erlauben. Er ließ 
denjenigen Theil Savoyen's, wodurd feine Truppen vorausgeſetzter⸗ 
maßen zu marjchiren hatten, ausmeſſen, und von der beabfichtigten 
Heereöftraße eine Karte anfertigen. Er ließ frifche Aushebungen in 
Deutichland machen und beorderte diefe Truppen, an ber flamänbifchen 
Gränze zu ihm zu ſtoßen. Endlich ſprach er davon, daß er die Cortes 
zufammenberufen wolle, damit fe für eine Regentfchaft während feiner 
Abwefenheit forgten. 

Doch, wie viele fid) auch fonft täufchen lafien mochten: gab e8 in 
Europa wenigſtens einen Botentaten, deſſen Scharfblic ſich nicht durch 
das Borgeben Philipp's und.die ganze gefchäftige Vorbereitung blenden 


ließ. Das war ber alte Papft Pius der Fünfte, welcher ſtets in bie 
Bretcort, Geſch. Philipps I. HI. 1 


2 Erſtes Kapitel. 


Aufrichtigkeit des Königs Miptrauen geſetzt hatte. Mit gefpannter 
Angft hatte Pius die Ausbreitung der Kegerei in den Niederlanden ges 
fehen. Als ein treuer Sohn der Inquifition, wie er cd wirflicd war, 
würde er mit Breuden die Feuer der Verfolgung in jeder Stadt des 
abtrünnigen Landes haben anfachen fehen. Aergerlich bemerfte er Phi⸗ 
lipp's Gleichgültigfeit. Und am Ende befchloß er, einen fpeziellen Ges 
ſandten nad) Spanien abzufchiden, um wo möglich den Monarchen zu 
entjchiedenerem Handeln anzufpornen. 

Die hierzu auserfehene Perſon war der Biſchof von Ascoli. Diefer 
gute Pater gebrauchte bei feinem Tadel fo derbe Ausdrüde, daß er am 
Madrider Hofe Mipfallen erregte. Im einem an feinen Gefandten in 
Rom gerichteten Briefe beklagte fid) Philipp, daß ihn der Papſt vor 
der Chriftenheit als faumfelig in der Erfüllung feiner Pflicht hinſtellte. 
Der Geſandte habe ſich in einer fo befremdenden Weiſe ausgedrüdt, 
daß Philipp, wofern er nicht fo viel Liebe und Hochachtung gegen Eeine 
Heiligkeit hegte, fich bewogen gefunden haben würde, gerade den entges 
gengefesten Weg von dem von ihm beabfichtigten einzufchlagen®). 

Wenngleich der König äußerlich diefe Indignation zeigte, würde 
er, wofern die Bilderftürmerei nicht ausgebrochen wäre , wahrfcheinlich 
doch in feiner Bertagungspolitif fortgefahren fein. Denn er ftüßte ſich 
auf feine Lieblingdmarime, daß „die Zeit und er e8 mit jeden zwei Ans 
dern aufnehmen fönnten**).“ Aber dad durch die ganze Chriftenheit fo 
viel Auffehen erregende Ereigniß machte im Bufen des Königs jebes 
Gefühl des Zorned rege, weil fowohl die Krone, wie die Kirche bes 


*%) Die ernite Beichwerte Bhilipp’s that ihre Wirfung. Kurz nachher fchrieb 
Granvelle an den König, daß Seine Heiligfeit fehr über die Meife beunruhigt wäre, 
wie Seine Majerät den Tadel aufgenommen babe. Der Papſt, fehte Oranvelle 
hinzu, hegte die beften Abfichten, befäße jetoch wenig Weltfenntniß, und würde leicht 
von denen, welche ihm die Zaͤhne zeigten, eingefchichtert: — „‚reprimese quando se 
le muestran los dientes.‘‘ Correspondance de Philippe 1l., tome II. p. LVIN. 

**) Das Zaudern des Königs zug ihm von dem fühnen Fray Lorenzo Villavi⸗ 
cencio, der mit Philipp fo wenig Umitände, wie mit den Miniflern defielben machte, 
ſcharfen Tadel zu. Er fagt: „Wenn Eure Majeftät, intem fie bloß das eigne Wohl⸗ 
behagen in Anfchlag bringt, fich nach Flandern zu gehen weigert, wo es fich fo ſehr 
um die Ehre Gottes, feiner heiligen Mutter und aller Heiligen, fowie um die Wohls 
fahrt der Chriſtenheit handelt: was heißt dies anders ale erflären, daß Sie zwar 





Die Eendung Alba's in bie Niederlande. B 


schimpft worden waren. Seiner Gewohnheit entgegen brüdte fich ber 
König mit fo großer Wärme und mit folcher Offenheit über den Ge⸗ 
genftand aus, daß auch die größten Sfeptifer zulegt glaubten, daß bie 
lange befprochene Reife nun nahe bevorſtaͤnde. Nur zmeifelte man 
no), in weldyer Weile fie vor ſich gehen werde: ob ber König an der 
Spipe der Armee marſchiren ober bloß in Begleitung eines feinem 
Siniglicdhen Stande geziemenden Gefolges reifen werde. 

Im Rathe wurde biefe Frage heftig diskutirt. Ruy Gomez, ber 
fhmeichlerifche Liebling Philipp's, war für die letztere Art zu reifen. 
Einen Bürgerkrieg verabfcheute er, weil er ben Sieger ſelbſt ruinirte, 
Die Milde fei die befte Eigenfchaft eines Souveränd, und ba bie 
Flandrer ein generöfed Volk wären, fo wäre es wahrfcheinlicher, baß 
man fie ſich cher mit Güte als mit den Waffen unterwerfen wuͤrde. 
In diefen liberalen, menfchenfreundlichen Anfichten wurde der Fürft 
von Eboli von dem Fugen Sekretär Antonio Perez und von dem Herzog 
von Feria unterftügt. Der leptere, ein Dann, welcher mit einer eins 
nehmenden Beredſamkeit feine Manieren verband, war früher Gefanbter 
in London geweſen. 

Allein hiervon ſehr verſchiedene Ynflchten wurden, wie zu erwar⸗ 
ten Hand, vom Herzog Alva vorgebradht. Das Syſtem der Nachficht, 
fagte er, fei von der Regentin angewandt worden und feine Früchte 
wären erſichtlich. Das Unkraut der Kegerei könne nicht von einer fanf- 
sen Hand auögerottet werben; daher folle Seine Majeftät mit feinen 
anfrühreriichen Bafallen verfahren, wie Karl der Künfte mit den Vaͤ⸗ 
tern derfelben zu Gent verfahren wäre. Diefe firengen Anftchten erhiels 
ten Unterſtũtzung vom Kardinal Espinoſa, der fowohl Rathöpräfivdent, 
als Inquifitor war, und wahrfcheinlich die von den Reformirten ber 
Inquifition angethane Beleidigung nicht gering anfchlug. 


gern die von Gott gelichene königliche Würde annehmen , aber ihm felbf alle Sorge 
und Mühe, welche zu diefer Würde gehören, überlaflen? Gott würte dies von Burer 
Majeftät fo übel aufnehmen, als Eie thun würden, wenn die von Ihnen in Amt 
und Ehren eingefehten Beamten, welche, obſchon fie die Acmter annabmen, Ihnen 
doch ſelbſt alle ihre Arbeit zu thun überließen! ine Beleidigung Gottes iR eine 
unbetachte Handlung, welche fomohl den Leib, wie die Seele verderben muß.“ 
Gachard, Correspondance de.Philippe II., tome Il., Rapport, p. XLVill. 
4* 


2 Erſtes Kapitel. 


Aufrichtigfeit ded Königs Mißtrauen geſetzt hatte. Mit gefpannter 
Angft hatte Pius die Ausbreitung der Keßerei in den Niederlanden ges 
fehen. Als ein treuer Sohn der Inquifition, wie er es wirklich war, 
würde er mit Freuden die Feuer der Verfolgung in jeder Stadt des 
abtrünnigen Landes haben anfachen fehen. Aergerlich bemerkte er Phi⸗ 
lipp's Gleichgültigfeit. Und am Ende befchloß er, einen fpeziellen Ges 
ſandten nad Spanien abzufchiden, um wo möglich den Monarchen zu 
entfchiedenerem Handeln anzuipornen. 

Die hierzu auderfehene Berfon war der Biſchof von Ascoli. Diefer 
gute Pater gebrauchte bei feinem Tadel fo derbe Ausdrüde, daß er am 
Mapriver Hofe Mipfallen erregte. In einem an feinen Gefandten in 
Rom gerichteten Briefe beklagte ſich Philipp, daß ihn der Papſt vor 
der Chriftenheit als faumfelig in der Erfüllung feiner Pflicht hinſtellte. 
Der Geſandte habe ſich in einer fo befremdenden Weile ausgedrüdt, 
bag Philipp, wofern er nicht fo viel Liebe und Hochachtung gegen Eeine 
Heiligkeit hegte, fich bewogen gefunden haben würde, gerade den entges 
gengeſetzten Weg von dem von ihm beabfichtigten einzufchlagen*). 

Wenngleich der König äußerlich diefe Indignation zeigte, würde 
er, wofern die Bilderftürmereti nicht ausgebrochen wäre, wahrfcheinlich 
doch in feiner Bertagungspolitif fortgefahren fein. Denn er ftügte fich 
auf feine Lieblingdmarime, daß „die Zeit und er e& mit jeden zwei An⸗ 
bern aufnehmen fönnten**).” Aber das durch die ganze Chriftenheit fo 
viel Aufiehen erregende Ereigniß machte im Buſen des Königs jedes 
Gefühl des Zorned rege, weil fowohl bie Krone, wie die Kirche bes 





*) Die ernite Beſchwerde Philipp's that ihre Wirfung. Kurz nachher fchrieb 
Granvelle an ten König, daß Seine Heiligfeit fehr über die Weife beunruhigt wäre, 
wie Seine Majeſtät den Tatel aufgenommen babe. Der Papſt, fepte Granvelle 
hinzu, hegte Die beften Abſichten, befäße jedoch wenig Weltfenntniß, und würde leicht 
von denen, welche ihm die Zähne zeigten, eingefchüchtert: — ‚‚reprimese quando se 
le muestran los dientes.‘“ Correspondance de Philippe 1l., tome II. p. LVII, 

**) Das Zautdern des Könige zug ihm von dem fühnen Fray Lorenzo Villavi⸗ 
cencio, der mit Philipp fo wenig Umilände, wie mit ten Miniftern defielben machte, 
ſcharfen Tatel zu. Er fagt: „Wenn Eure Majeftät, intem fie bloß das eigne Wohl⸗ 
behagen in Anfchlag bringt, fi nach Flandern zu gehen weigert, wo es fich fo fehr 
um die Ehre Gottes, feiner heiligen Mutter und aller Heiligen, fowie um die Wohl⸗ 
fahrt der Chriſtenheit handelt: was heißt dies anders ale erflären, daß Sie war 


Die Sendung Alba's in die Niederlande. 8 


ſchimpft worden waren. Seiner Gewohnheit entgegen druͤckte ſich der 
König mit fo großer Wärme und mit ſolcher Offenheit über den Ge⸗ 

genftand aus, daß auch die größten Skeptiker zulegt glaubten, baß bie 

lange beiprochene Reife nun nahe bevorftände. Nur zweifelte man 

noch, in welcher Weife fie vor ſich gehen werde: ob ber König an der 

Spige der Armee marſchiren ober bloß in Begleitung eines feinem 

Smiglichen Stande geziemenden Gefolges teifen werde. 

Im Rathe wurde biefe Stage heftig bisfutirt. Ruy Gomez, ber 
fhmeichlerifche Liebling Philipp's, war für die legtere Art zu reiſen. 
Einen Bürgerkrieg verabfcheute er, weil er ben Sieger felbft ruinirte. 
Die Milde fei die befte Eigenfchaft eines Souveränd, unb ba bie 
Klandrer ein generöfes Volk wären, fo wäre es wahrfcheinlicher, daß 
man fie ſich cher mit Güte als mit den Waffen unterwerfen würde. 
In diefen liberalen, menfchenfreundlichen Anfichten wurbe der Fuͤrſt 
von Ebofi von dem flugen Sekretär Antonio Perez und von dem Herzog 
von Feria unterftügt. Der letere, ein Dann, weldyer mit einer ein⸗ 
nehmenden Berebfamtfeit feine Manieren verband, war früher Gefanbter 
in London geweſen. 

Allein hiervon fehr verfchiebene Anfihten wurden, wie zu erwar⸗ 
ten fand, vom Herzog Alva vorgebradht. Das Syſtem der Nachſicht, 
fagte er, fei von der Regentin angewandt worden und feine Fruͤchte 
wären erfüchtlih. Das Unfraut.der Keperei könne nicht von einer fanfs 
ien Hand auögerottet werben; daher folle Seine Majeftät mit feinen 
aufrährerifchen Bafallen verfahren, wie Karl der Fuͤnfte mit den Va⸗ 
kern derfelben zu Gent verfahren wäre. Dieſe firengen Anfichten erhiel« 
ten Unterftüßung vom Kardinal Espinofa, der ſowohl Rathepräfident, 
als Inquifitor war, und weahrfcheinlich die von ben Reformirten der 
nauifition angethane Beleidigung nicht gering anfchlug. 


gern die von Bott gelichene Föniglihe Würde annehmen, aber ihm ſelbſt alle Sorge 
und Muͤhe, welche zu diefer Würde gehören, überlafien? Bott würte dies von Eurer 
Najeſtat fo übel aufnehmen, ale Eie thun würden, wenn die von Ihnen in Amt 
und Ehren eingefeßten Beamten, welche, obſchon fle die Aemter annahmen, Ihnen 
bach ſelbſt afle ihre Arbeit zu thun überließen! Cine Beleidigung Gottes iR eine 
unbetahte Handlung, welche ſowohl den Leib, tie die Seele verderben muß.“ 
Gachard, Correspondance de Philippe II., tome Il., Rapport, p. XLViIl. 
4* 


4 Erſtes Kapitel. 


Jeder der großen Führer empfahl die feinem Charafter am meiften 
zufagenden Maßregeln, in der Erwartung, daß, wenn fie die Oberhand 
gewännen, feine perfönlichen Dienfte zur Ausführung derfelben erfor: 
dert werben würden. Wäre der friedliche Weg betreten worden, würde 
Feria, oder noch wahrfcheinlicher Ruy Gomez mit der Leitung der Ans 
gelegenheiten betraut worden fein. Auch baten die immer noch in uns 
freiwilliger Oefangenfchaft zu Madrid zurüdgehaltenen beiden Edlen, 
Montigny und Bergen, den König dringend, daß er den Fürften von 
Eboli ſchicken möge, weil berfelbe ein Mann fei, weldyer durch feine 
volfsthümlichen Eitten und feine befannte Umficht höchſt wahrfcheins 
lich die einander gegenüberftehenden Faktionen verjöhnen würde. Wenn 
Dagegen gewaltfame Maßregeln ergriffen wurden: wer fonnte alddann 
wohl befier damit beauftragt werden, als der Herzog, der erfahrenfte 
Feldherr feiner Zeit, ſelbſt? 

Gegen feine Gewohnheit foll der König in dem Minifterrathe ges 
genwärtig geweſen ſein und die Debatte mit angehört haben. Er gab 
feine Anſicht nicht zu erfennen. Allein von feiner gewöhnlichen Vor⸗ 
liebe für Gewaltmaßregeln ließ fich fchließen, welcher Seite er fi am 
wahrfcheinlichften zuneigen werde*). 

Echneller, als gewöhnlich, Fam Philipp zu einer Entfcheidung. 
Nach einigen Tagen befchied er den Herzog zu fid) und fagte ihm, daß 
er befihlofien habe, ihn fofort an der Spige einer Armee in die Nieders 
lande zu fihiden. Indeſſen folle dies nur dazu dienen, feiner eignen 
Anfunft den Weg zu bahnen; denn er würde fommen, fobald ald das 
Lund in einem hinreichend georbneten Zuftande wäre, um ihn zu 
empfangen, 

Alles war jet in Caſtilien mit den Vorbereitungen zur Reife bes 
fhäftigt. Im ganzen Lande wurden Aushebungen gemacht. Man 
entfaltete einen fo großen Eifer, daß fogar die Inquifition und bie 


*) Die Debatte wird mit binreichender Genauigfeit fowohl von Cabrera (Fi- 
lipe Segundo, lib. VI. cap. VIL.), wie von Strada (De Bello Belgico,, tom. I. p. 
338) berichtet. Indeſſen ſtimmen fie weder in Bezug auf die anmwelenten Berfonen, 
noch bie gehaltenen Reden überein. Doch iſt ihre Nichtuͤbereinſtimmung in biefen 
Ginzelheiten Feineswegs fo überrafchend, wie ihre Uebereinftimmung in dem unwahrs 
ſcheinlichſten Theile ihres Berichtes : die Anweſenheit Philipp's bei der Debatte, 





Die Sentung Alva's in die Niederlante. 5 


Geiftlichfeit bedeutende Summen zur Beftreitung der Koften einer Uns 
ternehmung , welche fie als einen Kreuzzug betrachteten, vorjtredten. 
Auf der beabfichtigten Marfchlinie ließ Philipp in regelmäßigen Ents 
femungen Broviantmagazine errichten. Dann wurde Befehl gegeben, 
baß die alten fpanifchen Sarnifonen in der Lombardei, in Neapel, Sis 
alien und Sardinien nad) dem Rendezvoud- Plage in Piemont gebracht 
würden. Hier follten fie auf den Herzog warten, der ihre Pläge mit 
den aus Gaftilien mitgebrachten frifehen Rekruten zu ergänzen hatte. 
Unterbeflen verfündete Philipp fortwährend, daß die Abreife Al- 
va's nur der Vorläufer feiner eigenen fein ſollte. Indem er bies an 
Margaretha ſchrieb, verficherte er fie, er wolle den Weg zu Wafler 
machen, und empfahl ihr an, daß fie ein Geſchwader von acht Schiffen 
in Bereitichaft. halten möge. Auf ihnen würde er nad) Seeland, wo 
er fanden wolle, überfahren. Demgemäß wurden die Schiffe zurechtge- 
macht. Yür die glüdliche Meife des Könige wurden Prozeffionen vers 
anftaltet und in allen Kirchen Gebete abgehalten. Doch gab e8 in ben 
Niederlanden manche Leute, welche bemerften, daß der Monarch in feis 
nem Balaft in Madrid wohl fchwerlich Gebete zur Abmwendung der 
Seegefahren brauche! Als Woche auf Woche verfirichen, ohne daß An: 
falten zu feiner Abreile getroffen wurden, ergaben fich Viele, die in des 
Königs unmittelbarer Nähe waren, bald demfelben Zweifel. Der Nun⸗ 
tius des Papftes ſchrieb, daß ed unmöglich fei, bei ben widerſprechen⸗ 
ben Gerüchten über die Abreife des Königs die Wahrheit herauszu⸗ 
finden. Es fei wohl möglich, die allgemeine Politik Philipp's zu 
verfiehen, allein unmöglich fei ed, die befonderen Pläne, nach welchen 
fie ausgeführt werden follten, zu errathen. Wenn nun ber Schleier, 
welcher die Abfichten des Königs verbarg , jo dicht war, daß felbft die: 
jenigen,, die feiner Perſon am nächften ftanden, ihn nicht durchdringen 
fonnten: wie können wir, nach einer fo langen Zeit, ihn durchblicken 
zu Eonnen hoffen? Doch darf der Gefchichtöfchreiber des neunzehnten 
Jahrhunderts manches authentifche Dofument leſen, das die Abficht 
bed Königs entfchleiert, aber nie den Madrider Hofleuten zu Oeficht kam. 
Indeß ift es trog aller fo empfangenen Aufflärung unmöglich zu 
fagen, ob Philipp es jemals mit feinem vorgegebenen Beſuch der Nies 
derlande ernftlich meinte. Wäre dies jedoch je geweſen, fo war es ficher 


6 Erſtes Kapitel. 


nit der Fall geweien, nachbem er ſich für die Sendung Alva's ent 
ſchieden hatte. Durch ein Eörperliches Phlegma, welches ihm jeded 
phnfifche Anftrengung erforbernde Unternehmen äußert unangenehm 
machte, war Philipp von feinem Bater fehr verfchieden. Zwar ſchau⸗ 
berte er vor Feiner Art fipender Arbeit zurück, und fonnte, wie der nie 
brigfte feiner Sefretäre, von Morgen bis Mitternacht in feinem Zimmer 
fih abmühen. Aber eine Reife war ein großes Unternehmen. Nach⸗ 
bem er, während ber Lebzeiten feined Baterd, England und bie Nieder⸗ 
ande beſucht hatte, reifte er, wie fein unbarınherziger Sohn flichelte, 
felten weiter, ald von Madrid nad) Aranjuez, oder von Mabrib nady 
bem Escorial, Etwas fo Fürchterliches, wie ein Ausflug nad) Flandern, 
ber entweber eine anwidernde Reife durch ein unfreundliches Land, 
ober eine nicht weniger unfreunblicye Weberfahrt zu Schiffe in fich 
ſchloß, war eine Sache, an die der König unter gewöhnlichen Umftäns 
ben nidyt im Traume gedacht haben würbe. 

Außerdem hatte ber gegenwärtige Stand ber Dinge an fi) nidhte 
Einladendes, — beſonders für einen Fürften von Philipp’d Charakter. 
Nie gab es einen auf feine Autorität eiferfüchtigeren Fürften, ald ihr, 
weßhalb die Unziemlichkeiten, denen er bei dem unruhigen Zuftanbe 
bed Landes ausgeſetzt fein Fonnte, noch zu ber in feiner Körperbefchafs 
fenheit liegenden Trägheit, um ihn von ber Reife zuruͤckzuſchrecken, vers 
ſtaͤrkend hinzukommen mochten. 

Wenn alſo Philipp (falls er je im Entfernten an eine Reiſe in 
die Niederlande dachte) ſeiner natuͤrlichen Gewohnheit des Hinaus⸗ 
ſchiebens nachgab, ſo iſt es unter diefen Umſtaͤnden nicht zu verwun⸗ 
bern. Die Beſchwerlichkeiten einer Winterreiſe, die nothwendige Zus 
ſammenberufung der Cortes und das Ordnen der Angelegenheiten des 
Koͤnigreichs, ſeine verlaͤngerte Krankheit, lieferten eben ſo viele Ver⸗ 
theidigungsgruͤnde, um bie ungelegene Reife, bis eine paſſende Zeit 
dazu kaͤme, zu verfchieben. 

Daß er aber fo kräftig verficherte, es fei feine Abficht, nad) ben 
Niederlanden zu gehen, laͤßt ſich gewiflermaßen dadurch erflären, daß 

er feine Ehre bei denen reiten wollte, welche bie Reife als durch bie 
gegenwärtige Lage geboten zu betrachten fhienen. Dann mag er es 
auch für ug angefehen haben, ben Gedanken an einen Veſuch ber 





Die Sendung Alva's in die Niederlante. 7 


Niederlande, wach zu halten, damit er die Zügellofigfeit des Volkes 
mederbielt. Denn ohne Zweifel hielt er dieſelbe dadurch bis zu einen 
gewiflen Grade nieder, indem die Leute glaubten, daß fie bald durch 
ben König in eigner Perſon für ihre Uebelthaten zur Rechenfchaft gezo⸗ 
gen werben würden. Jedenfalls hat dad Betragen Philipp's und die in 
feinen Briefen an Margaretha für den Auffchub angeführten Gründe 
viel mit dem gemein, was und unter Ähnlichen Umfänden durch den 
roͤmiſchen Gefchichtsfchreiber von Tiberius berichtet wirb. 

Den funfzehnten April 1507 hatte Alva in Aranjuez feine legte 
Audienz bei Philipp. Unmittelbar darauf reifte er nach Garthagena 
ab, wo unter dein genuchfchen Admiral Doria eine Flotte von ſechs⸗ 
unbbreißig Schiffen vor Anfer lag, um ihn aufzunehmen. Da bie 
Truppen nicht gleich anfamen, mußte cr einige Zeit warten. Unter⸗ 
befien erhielt er vom Hofe feine Ernennung ald Oberbefehlehaber und 
befendere Imftruftionen über die in den Niederlanden zu befolgende 
Politik. Lebtere waren fo genau, daß ber Herzog, ungeachtet des gro- 
fen Umfangs feiner Bollmadhten, ſich brieflich bei feinem Herrn über 
ben ihm bewiefenen Mangel an Bertrauen befehwerte und erflärte, daß 
er felbft unter dem Kaifer nie durch fo in’d Einzelne gehende Inſtruk⸗ 
tionen gebunden worden wäre. Wer den Charakter Philipp’s ftubirt 
bat, wird bas ohne Schwierigkeit glauben. 

Den fiebenundzwanzigften April Lichtete bie Flotte die Anker; ba 
fie jedoch einige Tage an verfchiedenen Plägen an der catalonifchen 
Küfte aufgehalten wurde, erreichte fie den genueflfchen Hafen Savona 
nit vor dem fiebzehnten des nächften Monats. Als der Herzog an 
Bord ging, war er kranf, und die Reife gereichte feiner gichtilchen 
Konftitution nicht zum Vortheil. Doc Iehnte er nicht die Gaftfreund- 
fhaftSbezeigungen ab, welche die genuefifchen Edlen ihm, dem fpani- 
fchen Befehlshaber, zu erweifen ſuchten. Albuquerque, ber Bicefönig 
von Mailand, und Gejandte aus verfchiedenen italieniichen Provinzen, 
welche dem militärifchen Repräfentanten des fpanifchen Monarchen 
ihren Reſpekt bezeigen wollten, machten ihm zu Aſti die Aufmwartung. 
Da jedoch die Gicht, an weldyer Alva litt, durch einen Anfall vom 
Tertianerfieber verſchlimmert wurde, ſah er ſich genöthigt, eine Woche 
oder brüber das Bett zu hüten. 


* 


8 Erſtes Kapitel. 


Unterbefien waren bie Truppen an den feitgefeßten Renbezuoud 
eingetroffen. Sobald. fidy der Herzog daher beſſer fühlte, beeilte er ſich, 
eine Revue über fie abzuhalten. Sie beliefen ſich zufammen auf etwa 
zehntaufend Mann, wovon nicht ganz breizehnhunbert bie Kavallerie 
bildeten. Aber, obwohl Hein an Zahl, waren fie doch ein auserleſener 
Truppenkoͤrper, wie in ganz Europa fchwerlich ein zweiter zu finden 
war. Beſonders beftand die Infanterie meiftend aus Spanien: — 
aus Veteranen, die fi) unter dem Banner Karl’8 des Fünften an’s 
Siegen gewöhnt hatten und von denen viele unter den Augen Alva's 
ſelbſt zum Kriegerftande herangebildet worden waren. Einen ſolchen 
fompaften und bergeftalt bisciplinirten Truppenförper 30g er einem jeden 
andern vor, ber fidh) wegen der durch feine Größe verurfachten Schwer« 
fälligfeit weniger für einen fchnellen Marſch über die Berge geeignet 
haͤtte *). 

Neben den Gemeinen gab es darunter viele Edelleute und Ka⸗ 
valiere von hohem Stande, welche, da fie der Ruhe uͤberdruͤſſig waren, 
herbeilamen, um unter einem fo berühmten Führer, wie ber Herzog 
von Alva, frifche Lorbeeren zu pflüden. Unter diefen war Bitelli, 
Marquis von Eetona, ein florentinifcher Krieger, ber zwar ald Soldat 
einen großen Ruhm befaß, aber, obichon er ſich jet gleichfam an einem 
Religiondfriege betheiligte, für fo gleichgültig gegen jede Religion galt, 
daß ein launiges Epitaphium auf diefen Sfeptifer ihm völlig eine 
Seele abfpriht**). Ein anderer von biefen Freiwilligen war Mons 
bragone, ein Veteran aus ber Zeit Karl's des Fünften, deſſen ritters 





N Ein edelmüthiger caftilifcher Geſchichtsſchreiber zollt diefer Kleinen Armee in 
ein Baar geilen überichwengliches Lob: ‚‚Los Soldados podian ser Capitanes, los 
Capitanes Maestros de Campo, y los Maestros de Campo Generales. Hechos de 


Sancho Davila (Valladolid, 1713) p. 26. 


Der ritterliche Brantöme, welcher biefe Truppen auf ihrem Marſche duch 
Lothringen fah, verweilt mit Entzuͤcken bei ihrem tapfern Ausſehn und ihrer gläns 
zenden Kleidung. „Tous vieux et aguerrys soldatz, tant bien en poinct d’habillement 
et d’armes, la plupart dorees, et l’autre gravdes, qu’on les prenoit plustost pour 
capitaines que soldats. (Oeuvres, tome I. p. 60.) 

) „‚Corpus in Italia est, tenet intestina Brabantus ; 

Ast animam nemo. Car? quia non habuit.“‘ 
Borgoet, Philippe II. et la Belgique, p. 60. 


Die Sendung Alva's In die Niederlande. ‘ 9 


licher Charakter nicht mit jenen Gräuelthaten und Räubereien, bie ges 
wöhnlich dem Kavalier des ſechszehnten Jahrhunderts vorgeworfen 
wurden, befledt war. Das in einem Feldzuge, wie bem gegenwärtigen, 
befonder& fchiierige Amt ded Kommifjariats war einem erfahrenen 
ſpaniſchen Offizier, Namens Jbarra , anvertraut. Der Herzog von 
Eavoyen hatte dem Alva einen ausgezeichneten Ingenieur, Ramens 
Paciotti, geſchickt, deſſen Dienſte bei der Errichtung von Feſtungen in 
den Niederlanden fich als fehr wichtig erwielen. Alva hatte auch feine 
beiden Söhne, Friedrich und Ferdinand von Toledo, mit fich genoms 
men. Der letztere war ein außereheliches Kind, für welches ber Vater 
fo viel Xiebe zeigte, wie feine rauhe Natur für irgend Jemanden fühlen 
fonnte. Diefem Ferdinand hatte er das Kommando ter meiftend aus 
Italienern zufammengefeßten Kavallerie übergeben ®). 

Nachdem der Herzog Revue über fein Heer abgehalten hatte, 
theifte er daffelbe in drei Divifionen. Dies that er, um auf feinem 
langen, befchwerlichen Marfche beffer für ihren Unterhalt forgen zu 
fönnen. Die Divifionen waren einen Tagemarfch von einander ent 
fernt, fo daß eine jede in ber Nacht diefelben Quartiere beſetzte, welche 
die Nacht vorher von der ihr vorhergehenden Divifion eingenommen 
worden waren. Alva felbft führte den Bertrab*?). 


*) Begreiflicherweife flimmen nicht zwei Schrififiellee über die Groͤße des 
Alva’fchen Heeres mit einander überein. Die genauen Angaben des Betrags ber 
ganzen Armee, fowie einer jeden Kompagnie und ter Namen ber fie fommandirenten 
Dffigiere finden fi in den Documentos Ineditos (toın. IV. p. 382). Daraus erhellt, 
daß die genaue Zahl der Kavallerie 1280 und der Infanterie 8800 war, was zuſam⸗ 
men 10,080 macht. 

2) (Sin Alva'o Erpebition verherrlichendes Gedicht in ottava rima aus der Feder 
eines gewiflen Balthafar de Bargas erfchien im folgenden Jahre zu Antwerpen. ine 
einzige Stange, welche diefer Barde der Verpruviantirung der Armee widmet, wird 
wahrfcheinlich hinreichen, um dem Lefer den Geſchmack zu verleiden: — 

„V por que la Savoya es montanosa, 

Y a de passar por eila las legiones, 

Seris la passada trabajosa 

Si a la gente faltassen provisiones, 

El real comissario no reposa, 

Haze llever de Italia municiones 

Tantas que proveyo todo el camino 

Que jamas falto el pan, y carno, y vino.“ 


10 . Erſtes Kapitel. 


Indem er feine Bewegungen auf jeinem Marfche über die Berge 
nicht erſchweren wollte, verzichtete er auf bie Artillerie. Aber er ge- 
brauchte etwad damals für den Krieg ganz Neues. Einer jeten Ins 
fanteriefompagnie war eine Abtbeilung Truppen beigelcht, welche 
ſchwere, mit Stügen verfehene Alinten führte. Dieſe Art Feuergewehre 
war bisher bloß bei der Vertheidigung von Feſtungen angewandt wors 
den. Aber duch diefe tragbaren Geftelle wurten fie für zweckmäßig 
zum Felddienſt erachtet und kamen daher nady diejer Zeit allgemein in 
Gebrauch. Deßhalb kann die Einführung verjelben durch Alva ale 
ein ziemlich bedeutendes Ereigniß in der Geichichte der Kriegefunft an» 
geſehen werben. 

Alva hatte fich vorgenommen, die Marjchroute über den Berg Ce⸗ 
nie, benfelben, über welchen Hannibal bei der Ueberichreitung der großen 
Gebirgsmauer vor ungefähr achtzehuhundert Jahren ging , einzwichlas 
gen”). Wenn auch diefer Weg weniger fürchterlich als in den Tagen des 
Karthaginienfers war, fo war er doch bei Weitem nicht fo gangbar, 
wie er e& für den Soldaten oder Touriften heutzutage ift. Steile, fel⸗ 
fige, mit Waldungen betedte Anhöhen, wo der Winterichnee fih bis 
in die Mitte Juni hält; unermeßliche Tiefen, in welchen fih das durch 
die Sturzbädye herabgewaſchene Sebrödel aufgehäuft hat; Pfade, bie 
nur jelten von dem Jäger und feinem Wilde betreten wurden und einen 
gefährlichen Steig am Rande fchwindelerregender Abgründe barboten; 
lange und gewundene Bergwege, wo eine Hantvoll Leute eine Armee 
aufhalten fönnen und wo von den Anhöhen ringsherum Verberben auf 
dad Haupt herabrollt: — das waren tie Hinderniffe, welche fi Alva 


— 





— 





*) Se fagt Schiller (Abfall ver Niederlande, ©. 363) und Gabrera (Filipe 
Segando, lib. VII., cap. 18.) et auct. al. Allein jeder Schulluabe weiß, daß Nichte 
weniger ausgemacht iſt, als der von Hannibal über bie Alpen eingeichlagene Weg. 
Die beiden Alteflen Autoritäten, Livius und Polybius, find darüber verfchiedener 
Meinung, und es ift immer feittem eine unbeantwortete Srage geblieben. Ia, neuere 
Forſcher neigen fi einer ganz andern Marfchroute über ven Fleinen St. Bernhard 
zu. Der Weg Hannibal’s bilret den Gegenſtand einer niedlichen Abhantlung in 
Gibbon's Journal, ale ſich der junge Geſchichtsſchreiber noch zu ter großen Aufgabe 
reiferer Jahre heranbildete. Sein Betenfen, fib, nachdem er die Gruͤnde für und 
wider erwogen, fchließlich für die eine Meinung zu entfcheiden , if für feinen ſkepti⸗ 
fhen Geiſt ausnehmend charafierikiich. 





Die Sendung Alva's in die Niederlande. 11 


und feinen Leuten entgegenftellten, als biefelben ihren Weg durch ein 
Land, defien Einwohner den Epaniern nicht hold gefinnt waren, 
antraten. 

Da die Marſchroute nicht ſehr weit von Genf, jenem Bollwerke 
ber Reformatoren, entfernt lag, hätte Pius ber Fünfte den Herzog 
sem dazu überredet, von feinem Wege abzufchweifen und — wie ber 
chriſtliche Bater zu Sagen geruhte — dieſes „Neft von Teufeln und 
Apoſteln“ auszurotten. Die Einwohner von Genf waren über bie in 
Ausficht fichende Invafton in großer Unruhe und gingen ihre hugenots 
tiichen Glaubensbruͤder um Hülfe an. Der Prinz von Condé und der 
Admiral Coligny — bie Kührer diefer Bartei — erboten ſich, für ben 
franzöfifchen Monarchen funfzigtaufend Mann auf die Beine zu brins 
gen, damit über feine alten Feinde, bie Spanier, herzufallen und dies 
felben in ben Gebirgepäffen abzufchneiden. Aber Karl der Reunte 
beariff ohne viele Mühe den geheimen Gedanken dieſes Vorſchlagesd. 
Dbfchon er den Spaniern nicht fehr geneigt war, hegte er doch noch 
weniger Zuneigung für bie Reformirten. Daher beſchied er das An- 
erbieten der hugenottiſchen Führer abfchläglich, indem er hinzufügte, 
daß er Frankreich ohne ihre Hülfe zu fchügen im Stande fei*). Deß⸗ 
halb waren die Genfer darauf angewieſen, fich felbft zu vertheidigen. 
Doch erftarkte ihr Muth dadurch, daß ihnen ihre Landsleute von Bern 
Huͤlfe verfpradhen. Denn bie ganze waffenfähige Mannfchaft biefer . 
Bergvölfer ftand unter Waffen, bereit, einen Angriff der Spanier, 
während bes Marfches berfelben durch das Land, auf ihr eignes Gebiet 
oder auf basjenige ihrer Verbündeten zurüdzumeifen. Allein das 
war unnöthig. Obfchon Alva ſechs Stunden von Genf vorbeimars 
fhirte und die Korberung des Papftes durch ben Herzog von Savoyen 
warm unterflügt wurde: hielt es ber fpanifche General body nicht für 
Aug, dem zu willfahren. Er erklärte vielmehr, daß fich feine Sendung 


*) Die Hugenotten gingen fogar fo weit, daß fie die Reformirten in den Rie, 
derfanden zu bewegen fuchten , fih zu ihnen zu gefellen, und den Herzog auf feinem 
Marſche durch Savoyen anzugreifen. Ihre Abſichten find in einem Werke targethan, das 
fear in den Provinzen fehr verbreitet war, aber verfehlte, das Volk zum Abſchütteln 
des fpanifchen Jochs zu erheben. Siehe Vandervynckt, Troubles des Pays-Bas, tome 
U. p. 194. 


123 Erſtes Kapilel. 


bloß auf die Niederlande erſtreckte. Deßhalb marſchirte er, ohne ſich 
nach rechts ober links zu kehren, geradewegs feinem Ziele zu und war 
bloß tarauf bedacht, aus ten gefährlichen Päflen, wo er zu feinem 
offenbaren Nachtheil von einem Feinde angefallen werben Eonnte, fo 
ſchnell als möglich heraus zu kommen. 

Doch waren bie zu überwintenden Schwierigfeiten fo groß, daß er 
erft nach Verlauf von vierzehn Tagen feinen Fuß auf die freundlichen 
Gefilde Burgunds — denjenigen Theil des alten Herzogthums, welcher 
die Autorität Spaniend anerfannte, — zu fegen vermochte. Hier ers 
hielt er eine ihm willfommene Tiruppenverftärfung von vierhundert 
Mann Reiterei, der Blürhe der burgundifchen Ritterfchaft. Während 
er durch Frankreich marſchirte, begleitete ihn eine franzöftfche, ungefähr 
fechötaufend Mann ftarfe Obfervationsarmee , welche, ohne daß fie 
irgendwie Hindernifle in den Weg gelegt hätte, ſich in paralleler Rich⸗ 
tung bloß etwa ſechs oder fieben (franzöfifche) Etunden weit von der 
von den Spaniern verfolgten Straße bewegte. 

Bald nachdem Alva Lothringen betreten hatte, fam zu ihm der 
Herzog bdiefer Provinz, fchien ihn mit jeter Höflichkeit behandeln zu 
wollen und ließ ihm eine fürftlihe Bewirthung zu Theil werden. Nach 
einem furzen Aufenthalte trat der fpaniiche General wicder feinen Weg 
an und überfchritt den achten Auguft die niederländifche Oränze*). 

Sein langer, befchwerlicher Marſch war ohne Unfall und faft 
ohne eine ordnungswidrige Handlung von Eeiten der Soldaten zus 
rüdgelegt worden. Man hatte Riemanded Eigenthum geplündert, 
Keine Hütte eined Bauern war verlegt worden. Ruhig hatte dad Vieh 
auf den Feldern grafen, in Eicherbeit die Schafe über die Weidepläge 
ber Berge wandern dürfen. Nur eine einzige Ausnahme ift erwähnt: 
— daß drei Soldaten, ald die Armee durdy Lothringen marſchirte, 
ein oder zwei einzeln laufende Echafe aufgriffen. Aber bald wurden 
fie für ihre Miſſethat zur fchweren Rechenfchaft gezogen. Denn, ale 
Alva die von ihnen begangene Handlung erfuhr, verurtbeilte er fie zum 


*) Chronologifche Senanigfeit Tag tem Chroniker tes fechszehnten Jahrhun⸗ 
berts fern. Bei der Berwirrung ber Zeitangabe über Alva's Bewegungen habe ich 
mich fo viel als möglich an feine eignen Depefchen gehalten. Siche Documentos 
Ineditos, tome IV. p. 349 sq. 


Die Sendung Alva's in die Niederlande. 13 


Galgen. Auf die Berwendung des Herzogs von Lothringen wurde bie 
Eirafe vom fpanifchen Befehlshaber infofern gemilbert, als von ben 
breien nur einer, der durch's Loos gewählt worden war, fchließlich hin⸗ 
gerichtet wurbe, 

Die bewundernswerthe Disciplin unter den Soldaten Alva’s trat 
um fo mehr hervor, da in jenem“ Zeitalter der Name Soldat mit dem 
Namen Plünderer fynonym war. Es trug damals wenig aus, ob die 
Marichlinie durch Freundes⸗ oder Feindesland ging. Ucberall war ber vers 
theidigungsloie Bauer die Beute des Krieger, und der Öeneral, welcher 
hierdurch den rüdftändigen Sold bezahlt machte, that, als ob er bie 
von feinen Leuten verübten Frevel nicht bemerkte. 

Was die Eubordination der Truppen im gegenwärtigen Balle 
noch bemerfendwerther machte, war die große Anzahl hinter dem Heere 
folgender Luagernachzügler, die namentlich aus Courtijanen beftans 
den. Die legteren waren in fo großer Anzahl vorhanden, daß fie, in 
Bataillons und Kompagnien eingetheilt, unter ihren bezüglichen Ban⸗ 
nern marjchirten und, wie die Eoldaten, in eine Art militärifche Ors 
ganijation gebracht waren *). 

Der Herzog fcheint um bie Eittlichkeit feiner Soldaten fo unbes 
fümmert geweien zu fein, wie er um ihre Disciplin beforgt war, 
Vielleicht wollte er durch die Selindigfeit in dem einen Punkte bie 
Strenge in dem andern aufwiegen. 

Es war für Alva von der größten Wichtigkeit, daß feine Soldaten 
feine Bergehen begingen und daß fie nicht mit den gefährlichen Bölfern, 
durch deren Land er zu marfchiren hatte, in Haͤndel geriethen; denn 
die Landedeinwohner hätten ihn wegen ihrer Kenntniß des Bodens und 
ihrer Ueberlegenheit an Zahl leicht überwältigen können. Glüdlicher- 
weile war er vor dem Antritt feiner Reife genug gewarnt worden, um 
auf feiner Hut zu fein. Die Folge war, daß er über feine Leute eine 
ſolche Herrfchaft erlangte und eine fo vollkommene Dieciplin aufrecht 
erhielt, daß er die allgemeine Bewunderung feiner Zeitgenoffen erregte, 


*) Meteren, Hist, des Pays-Bas, fol. 52. — Inte der alte Brantöme diefe 
Amazonen, die fo Shön und tapfer wie Prinzeffinnen ausfehen, betrachtet, geräth er 
infeuer! „Plus il y avoit quatre cents courtisanes à cheval, belles et braves comme 
princesses, et huict cents à pied, bien en point aussi*‘ Oeuvres, tome I. p. 62, 


18 Gries Raytil, 


und tag fein Marſch nach den Niederlanden zu ben mertwuͤrdigſten 
Ereigniſſen jener Periode gehoͤrt. 


Zu Thionville machten Barlaimont und Noircarmes dem Herzoge 
die Aufwartung. Beide kamen, um ihn im Namen der Regentin zu 
begrüßen und ſich zu gleicher Zeit feine Vollmachten vorzeigen zu laſſen. 
Am nämlichen Orte und auf dem Wege nach der Hauptftadt zu ers 
fhienen, um ihm ihren Refpeft zu bezeigen, mehrere flamändifche 
Adelige. Unter ihnen war Egmont mit einem ©efolge von vierzig 
Untergebenen. Als derfelbe vor den Herzog trat, rief diefer einem feiner 
Drfiziere zu: „Hier fommt ein großer Ketzer!“ Da diefe Worte zus 
fällig von Egmont gehört wurden, zögerte derfelbe einen Augenblid; 
denn er war begreiflicherweife von der Bemerfung, die für jeden Andern 
eine hinreichende Warnung gewefen fein würde, betroffen. Allein 
Alva beeilte ſich, den durch feinen unachtfamen Ausruf verurfachten 
übeln Eindruck dadurch zu verwifchen, daß er Egmont mit fo großer 
Herzlichfeit empfing, daß der verblendete Edle ſich wieder berubigte und 
die gehörten Worte für bloßen Scherz nahm. Bor feiner Abreife be> 
fchenfte ihm der Herzog noch mit zwei fhönen Pferden. — Eo lautet 
die etwas fonderbare Geſchichte. Sie wird und von einer Quelle bes 
richtet, die man ald glaubwürdig anerkennen muß. 


Bald nachdem der Herzog in das Land gefommen mar, fchidkte 
er ben größeren Theil feined Heeres nach den vorzüglichiten Städten 
ab, um die dafelbft als Befapungen ftationirten wellonifchen Truppen, 
denen weniger als den fpanifchen Veteranen zu trauen war, abzulöjen. 
Mit der mailändiichen Brigade fchlug er den Weg nach Brüffel cin, 
wo er den 22. Auguft eintraf. Hier wurde er bei feinem Einzuge 
keineswegs mit Beifalldgeichrei begrüßt. Niemand fam ihm entgegen, 
und die Stadt fchien wie von Menſchen verlaffen. Er begab ſich ges 
tadenwegs nad) dem Palaſte, um fid) der Regentin vorzuftellen. Am 
Ihore fand zwifchen feinen Hellebardixern und der aus Bogenfhügen 
beftehenden Leibwache Margarethens, die den Spaniern den Eingang 
nicht erlauben wollten, ein Streit ftatt. Der Herzog felber wurde 
nach dem Bettzimmer der Herzogin geführt, wo fie gewöhnlich Audienz 
zu ertheilen pflegte. Hier ftand fie ‚mit einigen flamändifchen Edlen 


Die Sendung Alva's in Die Niederlande. 15 


und blieb undeweglich in biefer Stellung, ohne einen einzigen Echritt 
vorwärts zu thun, um ihren Befuch zu empfangen. 

Während der ganzen Unterredung, welche eine halbe Stunte 
dauerte, blieben beide Theile ftehen. Obſchon Margaretha den Herzog 
erjuchte,, fich zu bedecken, hielt er doch die meifte Zeit hindurch den 
Hut in der Hand. Die vermunderten ZJufchauer der Konferenz -ers 
gögten ſich Damit, daß fie das höfliche und felbft untermürfige Bes 
nehmen des ftolzen Epanierd mit der falten Zurüdhaltung und dem 
majeftätifchen Verhalten der Herzogin verglihen. Beim Echlufle der 
Zufammenfunft zog fidy Alva nach feiner Wohnung ind Lulemborg'ſche 
Haus zurüd, Wie ınan fi) erinnern wird, war dad der naͤmliche 
Ort, wo die Geuſen, als fie ihren Befuch in Brüffel abjtutteten, ihr 
denfwirdige® Banfett abhielten. 

Auf Das Erfuchen des Staatsraths übermachte der Herzog von 
Alva am folgenden Morgen diefem Körper eine Abfchrift feiner Voll⸗ 
macht (datirt vom erften Dezember 1566). Kraft diefer war ihm der 
Titel General-Gapitän übertragen und er hatte in biefer Eigenichaft 
die höchfte Bontrolle in allen militärischen Angelegenheiten auszuüben. 
Durdy eine antere, zwei Monate fpäter datirte Bolmacht wurde feine 
Gewalt beträchtlidy erweitert. Das Land wurde ald im Zuſtande des 
Aufruhrs befindlich erklärt ; da gelindere Mittel es nicht hätten zum 
Gehorſam zurüdjühren fönnen, fei e8 nothwendig, mit den Waffen 
einzufchreiten. Demgemäß wurde dem Herzoge befohlen, dem wider⸗ 
Imänftigen Volke den Krieg zu machen und ed zu unterwerfen. Ferner 
follte er die Urfachen der neulichen Unruhen unterfuchen und’ die ver⸗ 
tächtigen Individuen vor Gericht ziehen. Dazu befaß er volle Ger 
wait zu ftrafen ober zu begnadigen, wie es Ihn für die öffentliche 
Wohlfahrt am beften dünfte.*) Endlich wurde drei Monate fpäter, 
den erſten März 1567, eine dritte Bollinacht auögefertigt. Ihr Inhalt fept 

) Diefer zweiten Vollmacht (datirt vom 31. Januar 1867) war ein ebenfalls 
von Bhilipp unterzeichnetes Dokument beigefügt, das zum Zwed zu haben fchien, 
die dem Herzog verliehene Gewalt genauer zu beftimmen. Das gefchieht auf eine 
fo freigebige Weife, daß man fagen kann, das Dofument habe feine Gewalt verdops 


peli. Beide Aftenflüde, deren Originale zu Simancas aufbewahrt worden, find in 
die Documentos Ineditos (tom. IV, p. 338—-396) aufgenommen worden. 


16 Erfes Kapitel. 


noch mehr, al8 terjenige der beiden vorhergehenden, in Erftaunen, 
denn fie kann in der That die früheren völlig aufzuheben fcheinen. 

In ben früheren Schreiben war der Herzog noch erfucht, fich der 
Regentin unterzuordnen,, fo daß ihre Macht für ungeichmälert erflärt 
wurde. ber Eraft diefer letzten Vollmacht wurde er mit der höchften 
Eontrofle ſowohl in Eivilfachen als in militärischen Angelegenheiten 
befleidet, und PBerfonen jeden Standes, die Regentin mit eingefchloflen, 
waren ermahnt, feinen Befehlen wie denen bed Königs zu gehorchen. 
Eine derartige Vollmacht, welche Lie Regierung des Landes in die Hände 
Alva's legte, kam einer Entlaffung Margarethens gleih. Der ihr 
noch bleibende Titel „Regentin“ war leerer Schein, Auch Eonnte 
man nicht annehinen, daß fie in einem Lande, über welches fie fo lange 
geherrfcht hatte, ein machtloſes Ecepter zu führen fi) begnügen 
würde. 

Es ift intereffant zu beobachten, wie Philipp den Alva nach und 
nach von dem Range eined Oeneral-Capitänd der Armee zur höchften 
Autorität ded Landes erhebt. Es Fönnte fcheinen ; als ob der König 
feine Macht zu lieb Hatte, als daß er fie ohne Weitered auf einen 
Anderen übertrug, und daß ed erft allmäliger Anftrengungen und der 
mehr und mehr aus ber Sachlage bervorgehenden Heberzeugung von 
der Nothwendigkeit eines ſolchen Schritted bedurfte, um ihn zu bewe⸗ 
gen , die Regierung in die Hände Alva's zu legen. 

Man kann unmöglich fagen, ob der Herzog den Staatsrath mit 
der vollen Ausdehnung feiner Gewalten befannt machte, oder ob er, 
wie es wahrfcheinlicher iſt, dieſem Körper bloß feine beiten erften 
Vollmachten mittheilte. Wenigſtens fcheinen die Mitglieder des 
Raths nicht auf die Entfaltung fo großer Macht, die felbft über vie 
von Margarethen audgeübte noch binausging, vorbereitet gewefen zu 
fein. Weil Philipp dies wußte, Fleidete er in mehr als einem Falle 
die Sprache der Schreiben in Ausdrüde, welche die Eiferfucht feiner 
Schwefter nicht verwunden follten. Doc war diefer Kunftgriff fo 
handgreiflich, daß er wahrjcheinlich die entgegengefegte Wirkung that. 
Wenigſtens fuchte Margaretha ihren Aerger nicht zu verbergen, fons 
bern ſprach offen von der ihr vom König angethanen Beleidigung und 
fagte, fie fei entfchloffen, die Regierung niederzulegen. 





Die Sendung Alva'e in die Rieberlande. 17 


Indem fie die meifte Zeit mit Jagen verbrachte (denn fie liebte 


| dieſen männlichen Zeitvertreib über die Maßen), kümmerte fie ſich 


wenig um die Regierungägefchäfte. Cie drohte fogar, daß fie zum 
Bergnügen im Lande herumreifen und die öffentlichen Angelegenheiten 
fich ſelbſt überlaffen werde, bis fie die Ertaubniß des Königs, zurüd- 


zutreten, erhielte. Bon diejen Plane wurde fie von Arınenteroß, 


ihrem Sekretär, geheilt, ver, indem er den Mantel nach dem Winde 
bing, bald nad Alva’s Ankunft das Beſtreben, fich bei dem neuen 
Bouverncur beliebt zu machen, zeigte. Andere Anhänger Margas 
rethens waren nicht fo gefchmeidig. Einige hohe Angeftellte gaben 
ihr Mißfallen über die Anwefenbeit der Spanier, von denen fie nichts 


! Gutes für das Land weiſſagten, unverholen zu erkennen. Marga⸗ 
rethens Beichtvater trug fein Bedenken, in einer vor der Regentin ges 


baltenen Pretigt die fämmtlihen Spanier „Schufte, Verräther und 


Jungfernraͤuber“ zu nennen. Obwohl die Herzogin auf die Vorftels 
‚lung des loyalen Armentero® hin bewogen wurde, den Shrenmann 


in fein Klofter zurüdzujenden; fo war, weil Margaretha den Brediger 
in fo warınen Auddrüden empfahl, dody Flar, daß fie Über feine Pre⸗ 
digt keineswegs böje war, 

Der Herzog machte ſich aus dem Safe ber flamändiſchen Herren 
wenig. ”) Anders war ed mit ibın in Bezug auf die Regentin der 
Ball. Bern hätte er ihren Zorn bejänftigt; daher er trop ihrer Kälte 
feinen Stolz beugte und in feinem Benehmen eine Unterwürfigfeit 


zeigte, welche feinem Charafter hart anfommen mußte. Zur Bes 


zeigung ſeines Reſpekts fchlug er vor, ihr fogleich einen zweiten Bes 
fu, und zwar, wie ihrem Range gebührte,, in großen Staate ab⸗ 
zuſtatten. Allein, indem fih Margaretha zu unwohl flellte oder 
fühlte, um ihn zu empfangen, lehnte fie feinen Beſuch einige Tage ab 
und geftattete ihm zulegt, vielleicht um ihn defto mehr zu ärgern, bloß 
eine Brivataudienz in ihrem eigenen Zinmer. 


— — — 


*) Doch war Gefahr vorhanden, wenn, wie Armenteros den Herzog warnte, 
es das Leben risfiren hieß, wofern er fein Haus verließ. ,‚‚Tambien me ha dicho 
Tomäs de Armenteros, que diga al Duque de Alba, que en ninguna manera come 
fuera de su casa, porque si lo hace ser& con notable peligro de la vida.“ 

Prescott, Geſch. Bhilipp's II. II. 2 


18 Erſtes Kapitel. 


Doch bewies fie bei dieler Zufammenfunft mehr Herablaffung 
als zuvor, und ging fogar fo weit, daß fie den Herzog verficherte, Daß 
ed Niemanden gäbe, deſſen Ernennung ihr hätte angenehmer fein 
fönnen. Darauf ließ fie die plumpe Frage fallen, warum ‘er denn 
überhaupt gefommen wäre? Alva verfegte, daß, da fie oft ihren 
Wunfch nach einer genügenderen militäriichen Macht zu erfennen ges 
geben hätte, er gefommen wäre, um ihr in der Ausführung ihrer 
Mapregeln behülflich zu fein und vor ter Anfunft Eeiner Majeftät 
im Lande Ruhe herzuftellen. Da die Herzogin annahm, daß fie dieß 
bereitö ohne feine Hülfe gethan hätte, Fonnte ihr diefe Antwort fchwers 
lidy gefallen. 

Das Geſpraͤch fam auf die Einquartierung der Truppen. Alva 
ſchlug vor, eine ſpaniſche Sarnifon nach Brüffel zu legen. Marga⸗ 
retha widerjegte fidy zwar diefem Vorſchlage energifch ; aber Alva blieb 
unbengfam. Brüffel fei die königliche Reſidenz, und die Ruhe ber 
Stadt fönne bloß durch eine Garniſon gefichert werden. „Wenn die Xeute 
murten, "fdrloßer, „fo fagen Sie ihnen, daß ich ein cigenfinniger Mann 
bin, der entſchloſſen ift, feinen Willen durchzuſetzen. Ich nehme gern 
die ganze Gchäffigfeit der Maßregel auf mich.“ Indem ihr Alva auf dieſe 
Weile opponirte und fie, wo es fich um die eigentliche Macht handelte, 
immer ihre Unterordnung fühlen ließ, empfand Margaretha die Erniebris 
gung ihrer Lage jetzt fogar nody mehr als zuvor. Wie wir jahen, war 
die Ernennung Alva’8 von vornherein für die Herzogin eine Quelle 
bittern Aergerö geweien. Kurz nachdem Philipp den Herzog in bie 
Niederlande in der Eigenfchaft eines Generals Capitänd zu fenden fidy 
entfchlofien hatte, machte er im Dezember 1566 jeinen Entſchluß Mars 
garethen befannt. Wie fie hätte fehen können, fagte er, fei er wegen 
ber Wahl eines Befehlshabers jehr verlegen gewefen , und er babe die 
Ernennung bloß getroffen, weil fie ihm die Nothwendigkeit, daß Je⸗ 
mand den militärifchen Oberbefehl übernehmen müffe, vorgeftellt habe. 
Indeß follte Alva nur ihm den Weg bahnen, ein Heer an ber Grenze 
ſammeln, Befagungen errichten und, bi er felbft fäme, den Truppen 
Dieciplin einichärfen. Sorgfältig vermied Philipp, um feine Schwes 
fter nicht zu erfchreden, jede Anfpielung auf die außerordentlicye, dem 
Herzoge zu verleihende Macht, fo daß diefer nur auf ihr Anrathen und 


Die Sendung Alva's in die Niederlante. 19. 


als ihrer Autorität untergeordnet zu kommen fchien. — Margaretha 


wußte recht gut, daß Alva nicht der Dann dazu war, fi) Jemandem 


unterzuorbnen. Aber, weiche böfen Ahnungen fie auch haben mochte, 
fo verrierh ſie dieſelben Bhilipp doch Faum in ihrer Antwort, als fie 
im folgenden Februar 1567 an den König ſchrieb, „fie wäre ficher, 
daß er nie fo ungerecht fein und etwas für die Interefien des Landes 
Nachtheiliges thun würde, wie die Uebertragung der ihr verlichenen 
Macht auf einen Andern fein müßte.” 

Bielleiche wurde die Regentin durch bie Ernennung Alva's zu 
den außergewöhnlichen Mitteln, welche Die Wiederherftellung der Rube 
im Lande beawedten,, angetrieben. Nachdem fie hiermit fertig war, 
fpradh fie ihre Meinung offener gegen ihren Bruder in einem vom 
12. Juli 1567 datirten Briefe aus. „Der Name Alva fei in den 
Niederlanden fo verabfcheut, daß er allein hinreiche, die fpaniiche Na⸗ 
tion verhaßt zu machen. Sie hätte nie glauben können, daß der 
König eine ſolche Ernennung, ohne fie zuvor zu Rathe zu ziehen, 
treffen würde.“ indem fie alddann auf die neulich aus Matrid ers 
baltenen Befehle anſpielt, offenbart fie ein großes Miderftreben, vie 


ſtrenge Bolitif Philipp's auszuführen. Doc muß man geftehen, daß 


dieſes Wirerfireben weniger von dem Charakter diefer Maßregeln, 
ald von der Schwierigfeit der Ausführung derfelben hergerührt zu 
baben ſcheint. 

Als die Herzogin erfuhr, daß Alva in Italien war, ſchrieb fie 
an ihn ebenfalls; denn fie hoffte, daß fie noch fo fpät ihm durqh bie 
Berfiherung zuruͤckhalten könne, daß die Unruhen vorüber wären und 
daß feine Anfunft an der Epige einer Armee bloß die Erneuerung 
derfelben zur Folge haben müßte. Allein ber Herzog machte ſich 
marfchfertig, über die Alpen zu gehen. Es wäre ebenfo leicht ges 
weſen, bie herabroflende Lawine aufzuhalten , ald das Herbeikommen 
diefed „Mannes der Beſtimmung“ zu hemmen. 

Der kalte Empfang, welchen Margaretha dem Herzoge bei feiner 
Anfımft in Brüffel zu Theil werden ließ, offenbarte ihre Gefühle, 
Die Austehnung feiner Macht bis zu einem Grade, wie fle nicht ers 
wartet hatte, trug nicht dazu bei, ihren Zorn zu befänftigen, und das 
Ergebniß der tarauf folgenden Unterredung machte vollends das Maß 


2* 


20 Grſtes Kapitel. 


galt Entrüftung voll. Wenn man auch die äußere Form wahrte, 


. 
’ 


war es doch Far, dab die Macht auf andere Hänte übergegangen war. 
Sie ſchrieb auf der Stelle an Philipp und erſuchte Ihn, ober forderte 
vielmehr, daß fie dad Land amverzüglich möge verlaſſen dürfen. 

„Wenn er wirklich fo ſehr für ihr Wohl und ihren Ruf beforgt 
geweſen wäre, wie er fagte, wuͤrde er ihr von ber Regierung abzu⸗ 
treten erlaubt haben, ehe er fie in Rangftreitigfeiten mit einem Manne, 
wie dem Herzog von Alva, verfegt hätte. Denn: dieſer folgte, ohne 
auf fie die geringfte Rüdficht zu nehmen, in jeder Sache feinem eis 
genen Kopfe. Daß fie vom Könige auf eine ſolche Weife behandelt 
würde, verlepte fie im Innerſten ter Seele.“ 

Vieleicht gereichte ed Margarethen einigermaßen zum Troſte, 
daß fie in ihrer Abneigung gegen den Herzog vie ganze Nation auf 
ihrer Seite hatte, Yrüher ſchon — in der Zeit Karl's des Fünften — 
batte Alva einige Zeit ſowohl in Deutichland, wie in den Nieder⸗ 
landen zugebradht ; aber fein Eharafter hatte daſelbſt feinen angeneh⸗ 
men Eindruck binterlaffen. Sa, fein übermüthiges Betragen hatte bei 
einer Etiquettenfrage feinem Herrn fogar einige Verlegenheit bereitet. 
Als caftilifcher Grande nämlich beſaß Alva dad Vorrecht, in ber 
Gegenwart jeined Souveraind den Smt auf dem Kopfe behalten zu vürs 
fen, und beftand hierauf. Die deutfchen Bürften dagegen, welche 
über eine folche Anmaßung eined Unterthand empört waren , behaups 
teten, daß ihre Ordnung ebenfo viel al& die ſpaniſche gälte. Nur 
mit Mühe begnügte fich der ſtolze Herzog , fein beftrittiened Vorrecht 
bis zu feiner Rüdfehr nady Spanien aufzugeben, 

Eine andere Anefvote hatte einen noch ungünftigeren Eindrud von 
feinem &harafter hinterlafien. Er hatte nämlich, ats Karl in Folge des 
Aufſtandes nadı Gent fam, denielben dahin begleitet. Der Kaiſer bes 
fragte den Herzog um feine Meinung, mie er mit der wiberfpenftigen 
Stadt verfahren folle. Augenblidlich antwortete Alva: „Machen Sie 
biefelbe der Erde gleich!" Ohne zu antworten, nahm Karl den Herzog 
mit ſich auf den Thurm des Schlofſes, und ald ihre Augen über die 
unten liegende, weit ausgedehnte Stadt fchweiften, fragte ihn der Kaiſer 
mit einer Anfpielung auf den franzöfiichen Ramen Gent (Gant).. wie 
viele fpaniiche Belle erforderlich fein würden, un einen ſolchen Hands 


Die Sendung Atsa's in die Niederlande. 1 


hub (ganth zu machen. Als Alva das Mißfallen feines Gesm be 
merkte, feddie er die Leftion ſtillichweigend ein, Die Ergählung diefer 
Geſchichte — mochte fie nun wahr oder falich fein — war unter dem 
flandriichen Volke verbreitet uud that ihre Wirfung. 

Woe war jept ſechozig Jahre alt. Es war nicht wahrfcheinlich, 
daß dad Alter die Rauhheit feined Weſene gemildert hätte. - Wie zu 
erwarten ſtand, hatte er ficy immer ald den unverföhnlichen Feind ber 
: Reformpartei in ben Niederlanden gezeigt. Er hatte Dagegen oppontirt, 
daß der Ration die Abberufung Granvell’d zugeftanden werden follte. 
Die alleinigen Zugeftänbniffe, welche er Philipp (in einem Briefe vom 
21. October 1565) anempfahl, hatten zum Zwed, ben Verdacht der 
großen Herren einzujchläfern, bis der König fie für ihre Miffethaten zu 
biutiger Rechenſchaft zichen fonne. Da bie allgemeine Tentenz biefer 
Bolitif in den Niederlanden volllommen verftanden wurde, beging bie 
Herzogin Feine Uebertreibung, als fie auf den Abſcheu, worin er bei 
dem Bolfe Rand, hinwies. 

Sein Berfahren bei feiner Anfunft war nicht geeignet, die Bes 
fürchtungen der Nation zu vermindern. Sein erfter Aft war, daß er 
an die Stelle der walloniſchen Barnifonen, welche natürlicherieife 
etwas Eympathie mit ihren Landeleuten hegen fonnien, in bie großen 
Städte feine eigenen Truppen, Menſchen, für die der Wille ihres 
Bührere das einzige Geſetz war, legte. Sein naͤchſter Schritt war bie 
Errichtung von Feſtungen unter der Leitung eines ber gefchidteften 
Ingenieurs in Europa. Die Etunde war gefommen, wo, nad) dem 
Ausdrude des Prinzen von Oranien, feinen Landsleuten von den 
Spaniern ein Zaum angelegt warte. 

Das Berragen der Soldaren Alva's erlitt eine fchlimme Ders 
änderung ; denn, während fie auf dem Mariche große Disciplin 
beobachtet hatten, überließen fie fich jegt der wildeften Zügellofigfeit. 
Ein damals lebender Ylamänter fchreibt: „Leberall hört man von 
ven Sewaltibätigfeiten der Spanier. Die Konfiskation geht in 
allen Ricdyeungen vor fh. Wenn ein Menſch Etwas zu verlieren 
hat, wird er auf der Etelle zu einem Ketzer gemacht.“) Wenn ber 


*) Der entrüftete Schreiber unterläßt nicht, der „„weitauſend“ Huren, welche 


22 | Erftes Kapitel. 


Schriftfteller vielleicht etwas unter dem Einfluffe feiner Furcht fand, 
läßt fi) doch nicht bezweifeln, daß der panifche Schreden durch's 
ganze Land ging.*) Die Leute wanderten zu vielen Taufenden aus: 
fie brachten in andere Länder die Künfte und Gewerbe mit, welche 
fo lange der Stolz und bie Quelle des Wohlftandes der Niederlande 
gewefen waren.*) Die Zurüdbleibenden waren mit einer düſtern 
Ahnung, dem Vorboten des bevoritehenden Uebels, erfüllt, da fie den 
Himmel rund herum dunkel werden und die Zeichen des Ungewitters 
fo nahe fahen. 

Eine noch größere Düfterheit hatte fich über Brüffel gelagert, 
dad einft die fröhlichfte Etadt in den Niederlanden geweſen, jetzt aber 
bie Refidenz Alva's war. Alle Gefchäfte ftanden ftil. Die öffent: 
lichen Bergnügungsorte waren leer, die Straßen einfam und ver⸗ 
laſſen. Einige Adelige und mwohlhabenvere Bürger hatten fidy auf 
ihre Landgüter begeben‘, um von bort bie Geftaltung der Ereigniffe 
zu überwachen. ***) Die meiften zurüdbleibenden Höflinge — bie 


in des Herzogs Gefolge famen, Erwähnung zu thun: „fo daß wir,” feßte er hinzu, 
„bei dem Vorrath, welchen wir ſchon befaßen, an diefer Sorte Waaren im Rande 
feinen Mangel leiden werben.“ Lettre de Jean de Hornes, 28. Auguſt 1567. 

*) Elough, der damals in ten Niederlanden anweiende Agent Sir Thomas 
Gresham's, gedenkı der Zügelloftgteit der Spanier. Um gerecht zu fein, muß hinzu⸗ 
gefügt werden, daß er fagt, Die Regierung habe fchleunige Maßregeln, dieſelbe zu 
unterbrüden, ergriffen und einige Hauptverbrecher zum Galgen verurtheilt. 

») In einem Briefe an Philipp vom 8. September 1567 fagt die Herzogin, 
daß bei der Anfunft des Alva hunderttauiend Leute aus den Mieterlanten entflohen. 
(Strada, de Bello Belgico, tom, 1. p. 387.) Wenn man dies für eine große 
artige, von der Politik oder der Furcht eingegebene Uebertreibung hält, fo giebt es 
noch außerdem vofitive Beweile, daß die Auswanderung damals ungeheuer war. 
©o geht aus einer Volkszählung Lontons und der Vorſtädte aus dem nämlichen 
Sabre 1867 hervor, daB die Anzahl der Flamänder diejenige aller übrigen Fremden 
zufammen überftieg. 

» So ihreibt Jean de Hornes, Baron de Bortel, an den Bringen von Dras 
nien: „Jay prins une resolution pour mon faict et est que je fay tout eflurt de 
scavoir si l’un poulrast estre seurement en sa maison: Si ainsy est, Ine relireray 
en une des miennes fe plus abstractement que possible sera, sinon, regarderay 
de chercher quelque residence en desuubs ung aulire Priuce.‘‘ Archives de la 
Maison d’Orange- Nassau , tome III. p. 128. 





Die Sendung Alva's in die Niederlande. | 23 


vergoldeten, des Sonnenfcheined bedürftigen Snfeften — hatten den 
Palaft der Regentin verlaffen, um dem Rival derfelben im Lulemborg'⸗ 
fen Haufe zu buldigen. Dort ging Alles fo luſtig zu, wie in ber 
froͤhlichſten Zeit Brüffeld. Denn der Herzog bemühte fich, durch gläns 
zende Unterhaltungen und Feſte den Adel zu ergögen und dad Düftere 
ber Hauptftadt zu zerfireuen *). 

Bei dem Alten hatte Alva einen tieferen Beweggrund, ald dem 
Publikum erfihtlic wurde. Er führte die von ihm Philipp angerathene 
Bolitif aus. Durch ein höflicyes und verföhnliches Benchmen hoffte 
er den großen Abel, beſonders aber diejenigen, welche ſich in die letzten 
revolutionären Bewegungen gemifcht hatten, herbeiziehen zu koͤnnen. 
Bon diefen war Egmont nody in Brüffel; aber Hoorne hatte ſich auf 
feine Güter nach Weert zurüdgezogen. Hoogſtraten war in Deutſch⸗ 
Iand bei dem Prinzen von Dranien. Was den lebteren anlangte, 
ſchtieb Alva an den König, fo könne er ſich nicht mit der Hoffnung 
ſchmeicheln, daß er zurüdfehren werde. 

Der Herzog und fein Sohn Ferdinand fchrieben beide in den 
freundlichften Ausdrüden an den Grafen Hoorne und luden ihn nad) 
Brüffel ein. Allein der mißtrauifche Edle blieb immer noch fern. Da 
drüdte Alva in einer Unterhaltung mit dem Sekretär des Grafen feine 
wärınfte Theiluahme für das Wohlbefinden des Herrn deſſelben aus. 
Immer, fagte er, fei er fein Freund geweſen, und mit unendlichem 
Bedauern habe er wahrgenommen, daß die Dienfte des Grafen vom 
Könige nicht deſſer gefchägt würden. Doch Philipp fei ein guter Fuͤrſt, 
der, wenn er auch langfam belohne, doch fich gegen den Grafen nidyt 
undankbar finden laffen werde. Wofern der Herzog den Grafen nur 
ſehen könnte, würde er ihm eine Mittheilung madyen, die ihn zufrieden 
ftellen follte._ Er würde aldtann finden, daß ihn feine Freunde nicht 
vergefien hätten. Diefe legte Verficherung hatte eine fchredliche Bedeu: 
tung. Hoorne gab am Ende einer in fo fchmeichelnde Ausdrüde ge 


*) In feiner erbabenen Tragsdie „Egmont“, wo Goͤhe (Aft IV., erſte Scene), 
um das Düfer Brüffels zu malen, tagt, daß der Himmel von der Stunde an, wo 
Alva in die Stadt kam, in ein ſchwarzes Leichentuch gehüllt gewefen fei, fcheint er 
einen Wink Shakeſpeare's“ von dem ‚‚blanket of the dark*‘ benupt zu haben. 


21 Erſtes Kapitel. 


fleideten Einladung nah. Mit Hoogſtraten war Alva nicht jo glück⸗ 
lih. Sein guter Genius, ober der Rath des Prinzen von Dranien 
ließ ihn nicht in die Falle gerathen, fondern hielt ihn in Deutſchland 
zuld®). 

Indem jetzt Nichts mehr mit Auffchieben zu gewinnen war, bes 
ſchloß Alva, fofort an die Ausführung feines Planed zu gehen. Auf 
den 9. September berief er daher den Staatsrath nach dem Lulem⸗ 
borg’fhen Haufe. Unter den Anwefenden befanden ſich Egmont und 
Hoorne. Zwei oder drei Offiziere, darunter Paciotti, follten einen 
Befeftigungsplan flir einige flandrifche Städte erörtern. Zu gleicher 
Zeit waren flarfe Wachen vor alle Ausgangspunkte bed Haufes ges 
ftellt, und Kavallerie war aue dem Lande berbeigezogen und nad ten 
Vorftadten verlegt worden. 

Der Herzog zog die Verhantfungen hin, bis er insgeheim Nach 
richt erhalten hatte, daß Backerzele, der Sekretär Egmont’d, und Ban 
Straten, der Bürgermeifter von Antwerpen, feſtgenommen worden 
wären. Der erftere war ein Mann von großem politifhem Verſtande 
und beiaß das Zutrauen Egmont's in einem höhen Grade; der letztere 
ftand noch in Briefmechfel mit dem Prinzen von Dranien, deſſen 
Freund er war. Die Feftnahme des in Brüffel wohnhaften Backerzele 
ging ohne Schwierigkeit von Statten; jeine Papiere wurden wegges 
nommen. Ban Stralen wurde von einer Abtheilung Reirerei umringt, 
als er im Begriff ftand, in feinem Wagen aus Antwerpen zu fahren. 
Die beiden unglüdlihen Männer wurden ald Gefangene nach dem 
Lulemtorgifchen Haufe gebracht. 

Eobald ald Alva diefe Nachricht erhalten harte, hob er die Vers 
ſammlung des Rathed auf. Indem er fi alddann mit Egmont in 
ein Geſpräch einließ, ſpazierte er mit ihm durdy die anftoßenden Zims 
mer, in deren einem ſich eine Feine Abtheilung Soldaten befand. ALS 
bie beiden Adeligen in das Zimmer traten, ging Sanıho Davila, 


*) Zufolge Strada Hatte ih Hoogfraten wirflid aufgemacht, um nach Bruͤſſel 
zurüdzufehren. Allein, da ihn Krankheit oder ein anderer Grund unterwegs aufs 
hielt, erfuhr er glüdlicherweife das Schickſal feiner Freunde noch zeitig genug, um 
Mugen taraus zu ziehen und zu ntfchlüpfen. 


Die Endung oa in die Riederlante. R 


der Hauptmann von der Leibwache des Herzogs, auf Egmont zu, ſagte 
ähm , or ſei fein Gefangener, und forderte ihm Im Namen des Königs 
das Schwert ab. Da der Über den Borgang erftaunte Graf fich von 
Soldaten umringt fah , verfuchte er feinen Widerſtand, fondern Aber 
Heferte ruhig und mit vieler Würde in feinem Benehmen das Schwert, 
indem er dabei die Worte fagte: „Es hat dem Könige mehr als ein⸗ 
mal gedient.” Wohl fonnte er fo fagen, benn mit biefem Schwerte 
Hatte er die Schladten bei Gravelined und Gt. Quentin ge 
wonnen ®). 

In einem andern Theile des Balaftes fiel Goorne in einen aͤhn⸗ 
lihen Hinterhatt. Dahin geriet er, indem er ınit des Herzogs 
Sohne Ferdinand von Toledo, dem nach feines Vaters Bericht bie 
Ehre, diefes Meine Drama erfunden zu haben, zulommt, im Geſprach 
begriffen war. Auch der Admiral veriuchte feinen Widerfiand. Im 
Gegentheil ergab er fi, als er Egmont's Schickſal vernommen hatte, 
indem er fagte, daß er nicht mit Recht erwarten fönne, beſſer als fein 
Freund wegzukommen.“ 

Fest entitand die Frage, mad man mit den Befangenen amfan- 
gen follte. Dffendar war das Lulemborg'ſche Haus nicht zu ihrer Ver⸗ 
wahrung paffend. Alva fieß daher bie Schlöffer in der Nähe von 
Brüffel umterfuchen ; allein diefelben wurden für unficher erachtet. 
Sctießlich entfchied er fih für Gent. Die ftarfe Feftung diefer Stadt 
war zwar in den Händen eined Anhängerd Egmont's; aber man vers 
f&haffte fi vom Grafen den Befehl, daß die Schlüffel dem Ulloa 
» überliefert werden follten. Das war ein fehr vertrauter Kapitän des 
Alva, der an der Spige einer Abtheilung fpanifcher Beteramen nad 


*) Der Sekretär Sir Thomas Gresham's, Lough, erzählt in einem Briefe 
vom nämlichen Tage, wo das Greigniß vorflel, das Benehmen Egmond's bei feiner 
Gefangennehmung etwas andere, als wir es im Texte gefchifdert Haben. Doch finden 
#6 , wenn «in befremdendes Creigniß vorgefaflen it, gewöhnlich dergleichen Unter: 
ſchiede in ten darüber umlaufenden Gerüchten. „‚And as touching the county of 
Egmond, be was (as the saying ys) apprehendyd by the Duke, and commyttyd to 
the offysers: where uppon, when ihe capytane that had charge (of him) demandyd 
hys weapon, he was in a grett rage; and took hys sword from hys syde, and cast 
it to the grounde.** Bourgon, Life of Gresham, vol. H. p. 234. 


26 cIrcſltes Kapitel. 


Gent rüdte und bie dortige walloniſche Garniſon abloͤſte. Gleich bei 
feiner Ankunft gab Ulloa einen Beweis von feiner Wachſamkeit, indem 
er einen fchweren Wagen abfaßte, der mit Egmont zugehörigen Werth⸗ 
fachen gerade aus dem Schloßthore herausfuhr. 

Nachdem der Herzog mit diefen Vorbereitungen fertig war, ſandte 
er ohne Weitered die beiden Herren unter einer ftarfen militaͤriſchen 
Bededung nad Gent. An der Spitze befanden fich zwei Kompagnien 
berittener Büchlenihügen. Ein Regiment fpanifcher Infanterie im 
Gentrum bewachte die Gefangenen, von denen Egmont in einer von 
Maulthieren getragenen Sänfte faß, während ſich Hoorne in feinem 
eignen Wagen befand. Der Rüden war mit drei Kompagnien leichter 
Reiterei gededt. 

Unter diefer flarfen Bewachung wurden die beiden unglüdlichen 
Edlen durch die nämliche Provinz gebradht, wo, nadı Alva's Sckre⸗ 
tär, Egmont neulich nody „mit, einer mehr als königlichen Macht” ger 
herricht hatte. Allein es geichah Fein Verſuch zu feiner Befreiung. 
Als der Zug durch die Thore von Gent, wo Egmont's Bopularität 
feiner Macht gleichgekommen war, in die Stadt hineinfam, ftarrte das 
Volk ınit ſtummer Betäubung auf das finftere Geleite, welches feinen 
Heren in den Gewahrfam brachte. 

Schon in einigen Stunden, nachdem die Feſtnahme Egmont’& 
und Hoorne's vorgefallen war, war fie jedem Einwohner Bruͤſſels bes 
kannt, und verbreitete fich von da fchnell bis in die feruflen Theile des 
Landed. Alva fchreibt an den König: „Die Verhaftung der Herren 
bat feine Störung verurfadyt. Die Ruhe ift fo groß, wie Sure Mas 
jeſtaͤt kaum glauben können.“ Gewiß, aber ed war die Rube eines 
Menichen, ber von einem ftarfen Schlage betäubt it. Wenn die Un⸗ 
zufriedenheit nicht laut war, war fie doch tief. Die Leute trauerten 
über die Leichtgläubigfeit der beiden Grafen, die fo blind in die Falle 
gegangen waren. Dagegen wünichten fie fih Glüd wegen des Scharfs 
blid& des Prinzen von Oranien, weil dieſer eines Tages mächtig ges 
nug fein fonnte, um Rache zu nehmen. Dies Ereigniß war eine neue 
Urjache zur Auswanderung. Binnen zwei Wochen follen zweitaufend 
Menſchen aus dem Lande geflohen fein. Auch gehörten die Erilirten 
nicht immer den niederen Ständen an, denn Niemand — und modhte 


Die Endung Alsa’s in die Niederlande. 3 


er auch noch fo hoch ſtehen — konnte fih noch ſicher fühlen, wenn er 
fab, daß Männer wie Egmont und: Hoorne getroffen worden 
waren, obidyon ber erftere von beiden, wenn er auch früher Urfache zu 
Mißtrauen gab, doch ſchon laͤngſt ſich mit der Regierung audge 
föhnt hatte. 

Der Graf Mangfeld ſchickte eilends feinen Sohn aus dem Lande, 
bamit ihm nicht die einft für die Verbündeten bewiefene Sympathie, 
ungeachtet feined Meinungswechjeld, die Rache Alva's zuziehen möge. 
Der alte Graf, defien Loyalität vorwurföfrei war, beichwerte ſich kühn 
über die Verhaftung der Herren als einen Singriff in die Rechte des 
Toison d’or, weil dieſer Orden allein über Rechtsfaͤlle, welche die 
Ritter betrafen, entfcheiden fünne. Zu gleicher Zeit gab er feine Ab⸗ 
Kt, den Orden zufammen zu rufen, zu verfichen. Allein Alva 
brachte ihn zum Stillſchweigen, indem er ihm rund heraus fayte, Daß 
er die Ordenoritter, wofern fie fi verfammelten und bloß fo viel wie 
eredo fagten, zu ichwerer Rechenſchaft ziehen werde. „Was aber,” fagte 
der Herzog, „die Rechte des Toison d’or anbelangt, fo hat fi Seine 
Majeftät bereitd darüber auögefprochen, und für Sie bleibt Nichte 
weiter übrig, als fi zu unterwerfen. * 

Die Verhaftung und Sefangenjegung der höchften Adeligen des 
Landes, die zugleich Mütglieder des Staatsraths waren, hatte ohne 
vorherige Mittheilung an die Regentin Statt gefunden. Es war das 
eine Beleidigung, welche fie nicht ertragen konnte. Umſonſt entſchul⸗ 
biste ſich Alva, daB ed auf den Befehl des Könige, der ihr vie noth⸗ 
wendig Damit verbundene Unpopularitär hätte eriparen wollen, ges 
ſchehen wäre. Margarethe entgegnete Nichts. Sie beflagte ſich nicht, 
denn dazu war fie zu tief verlegt. Aber fie fchrieb an Philipp, daß er 
erwägen möge, „ob es für ihn vortheilhaft, oder für fie, die er feine 
Schweſter zu nennen fidy nicht ſcheute, ehrenhaft fein könne, wenn fie 
an einem Platze bliebe, deſſen Macht jo verfürzt, oder vielmehr vers 
nichtet wäre.“ Sie jchidte ihren Sekretär Machlavelli mit ihren Depe⸗ 
ſchen ab und verlangte von Philipp eine fofortige Antwort. Ia, fie 
fügte Hinzu, wenn die Sache verfchoben würde, wollte fie dad Still⸗ 
ſchweigen für Bewilligung nehmen und auf der Stelle dad Land ver» 
laſſen. 


ns Erfes Kayiiel. Die Senbung Mne’s im die Ricderlante. 


Der Herzog von Alva war auf bie beubfüchtigte Abreiſe Marga⸗ 
zeihenb völlig gefaßt. So wenig iher Einweienheit auch fein Handelin 
beishräntte, mußte er doch den Schein wahren uud mehr Unterwuͤrfig⸗ 
teit, als ihm lich war, zeigen. Das Erſte, was cr nach geichehener 
Berhaftung der beiden Herren that, war die Organiſation jenes merb⸗ 

Gerichte hofes, der über Die Unruhen des Landes Unter⸗ 
fuchung anſtellen ſollte und, mit Ausnahme des revelstionäuen Zai⸗ 
bunals ver franzöfifchen Republik, in der Geſchichte nicht ſeines Glei⸗ 
chen aufzuweiſen bat. Der Herzog trug fein Bedenlen, die ganze 
Berantwertlidkeit feines Maßregela auf ich zu nehmen. Gr fagte, 
„es fei für den König beffer, feinen Befuch der Niederlande zu ver: 
ſchieben, fo daß ſeine Minifter deu Haß dieſer Arengen Handlungen 
allein tragen möchten. Wenn mau hiermit fertig fei, Bönne er wie 
«in gnätiger Fürſt fommen, um Beripeechungen und Gnade zu ers 
Geilen. * 

Dieſe bemumterndwürdige Kaltblütigfeit muß man zum Theil dem 
Umſtande zufchreiben, daß Alba waßte, dag fein Herr feine Politik in 
alten Punkten gutheißen werte. In der That gebt aus ſeiner Korres 
fpondenz hervor, daß Alled, was er in den Kiederlanden gethan bat, 
nach einem mit Philipp vorher feſtgeſegten Plane geibah. Die Arre⸗ 
tirung ber flandriſchen Herren erregte deshalb audy eine volllommene 
Zufriedenheit am Hofe zu Madrid; denn man betrachtete dieſelbe als 
den erßen großen Schrüt in den Bergeltungsmaßregen. Am römi- 
ſchen Hofe, wo man glaubte, daß die Wurzel der Keperei bloß durch 
das Beil des Nachrichters zerflört werden könne, erregte ber Vorgang 
eine gleiche Befriedigung. Doch gab ed am dertigen Hofe einen 
Mann, der fcharffichtiger als feine Umgebung war. Das war ber 
alte Stantsnann Granvelle, welcher auf die Nachricht, daß Egmont 
und Hoorne arretirt worden feien, fragte, ob ber Herzog „denn aud) 
ben Stillen” — wie der Prinz von Dranien in der populären Sprache 
hieß — „mit in fein Neg gezogen hätte?” Als Dies verneint wurde, 
ſagte der Kardinal: „Wenn er diefem nicht gefangen bat, bat er gar 
Nichts gefangen.“ 


Zweites Kapitel. Die graufame Politik Alva's. 3 


Zweites Mapitel. 
Die graufame Politik Alva's. 


Das Bluigeriht. — Die Organilation deffelben. — Allgemeine Berfolgungen. — 
Der Bürgerkrieg in Kranfreih. — Die Abreife Narsatethens. — Rüuͤcblid 
auf ihre Verwaltung. 

1567. 


„Gott ſei Dank, Alles iſt in den Niederlanden ruhig,“ ſchreibt 
der Herzog von Alva am vierundzwanzigſten Oftober an feinen Sou⸗ 
verain. Wirklich war Alles ruhig. Stille herrfchte durch's ganze Land. 
Dennoch konnte diefe Stille in beredtern Worten, ald das Murren der 
Unzufriedenheit oder der wildeſte Lärm des Aufruhrs, zum Herzen 
fprehen. In einer anderen Depeſche fagte er: „Viele follen dad Land 
verlafien. Es if faum der Mühe werth, fie zu verbaftn. Man ftellt 
nicht die Ruhe einer Ration dadurch her, daß man Eolchen, weldye 
durch Andere verführt worden find, den Kopf abſchlägt.“ 

Doch finden wir, daß nicht ganz cine Woche ipäter eine fönig- 
fihe Ordonnanz vom 18, Öftober 1567 erflärt: „In Erwägung, 
dag Erine Majeftär nicht gedenkt, Etrenge gegen diejenigen, weldye 
am legten Aufruhr Theil genommen, obiwalten zu laſſen, ſondern fie 
fieber mit Milde und Gnade behandeln will: ift es Allen und Jeden 
verboten, obne vorher erlangte Erlaubniß der Obrigkeit dad Land zu 
verlaſſen, oder ihre Effekten aus demfelben fortzufenden. Die Ueber⸗ 
treter follen angefehen werden, als ob fie an den neulichen Unruhen 
ſich betheiligt hätten, und mit ihnen foll demgemäß verfahren werben. 
Me Herren und Eigenthümer von Schiffen, welche folchen Perſonen 
auf ihrer Flucht behülflich fint, fol die nämliche Etrafe treffen. ” 
in diefem Geiſte der „Milde und Gnade“ verkündete Strafe war Tod 
und Konfiefation des Vermögens. 

Bald zeigte es fi, daß das Beleg nicht ein totter Buchſtabe 
war, indem man zehn angefehene Kaufleute von Tournay, die ſich zur 
Flucht ins Ausland fertig machten, verhaftete und ihre Habe augen» 
blidlich konfiocirte. Doch hätte Alva der Welt gern ringerebet, daß 


30 Zweites Kapitel. 


ſowohl er, wie fein Kerr, nur von Gefühlen der Menfchlichkeit geleitet 
würden. So ſchrieb er furz nach der Verhaftung der flandrifchen Herren 
an den ſpaniſchen Gefandten in Rom: „Ic hätte mehr Perionen ars 
retiren können; allein ter König mag nicht gern das Blut feines 
Volks vergießen. Ich fühle venfelben Widerwillen. &6 thut mir in 
der Erele weh, daß die Maßregel nothwendig war.” 


Aber, nachdem die großen Adeligen in die Falle gegangen waren, 
war feine große Nothwendigkeit mehr vorhanten, noch Milde zu ers 
heucheln... Auch warf er bald völlig die Maske ab. Offen war nun 
der Arm der Gerechtigkeit — der Rache — erhoben, um Alle, die fich 
des Verbrechend der Theilnahme an den neuerlichen Unruhen fchuldig 
gemacht, zu Boden zu fchlagen. 


Zu bdiefem Zwede wurden die bereitd vorhandenen Gerichts höfe 
nicht für kompetent erachtet; denn einedtheild war dad regelmäßige 
Proschverfahren zu langlam, und anderntheild würden fich die Richter 
felbft jchwerlich dem Willen Alva’d genug unterworfen haben. Des⸗ 
halb ſchuf er einen neuen Gerichtshof mit außerordentlicher Gewalr, 
der allein zum Zwed hatte, Unterſuchungen über die Uriachen ter 
neuerlichen Rubeftörungen anzuftellen und die Urheber zur Strafe zu 
ziehen. Urfprünglich hieß dieſer Gerichtshof der „Raıh Seiner Ers 
cellenz.” Bald vertaufchte er dieſen Namen mit der Benennung: 
„Rath der Unruhen.” Allein, das Tribunal ift beffer unter dem ihm 
vom Volke gegebenen fchredlichen Namen: „Blutrath“ befannt. 


Es beftand aus zwölf Richtern, die, wenn wir den Alva Glau⸗ 
ben fchenfen, „bie gelchrteften, rechtſchaffenſten und unbefcholtenften 
Männer” im ganzen Zande waren. Unter ihnen waren Noircarmes 
und Barlaimont, beides Mitglieder des Staatsraths. Der [ebtere 
mar ein ſtolzer Adeliger, aus einer der angeſehenſten Familien des 
Landes, von einem unbeuyjamen Charafter und unerichütterlich in 
feiner Ergebenheit gegen die Krone, Außer ihnen waren darin tie 
Rathöpräfidenten von Artoid und Flandern, der Kanzler von Geldern 
und mebrere berühmte Juriften ded Landes. Aber die bedeutendften 
Männer in diefem Gerichtshofe waren zwei in bed Herzogs Gefolge 
aus Eaftilien gefommene Advofaten. Der eine von ihnen, der Doctor 


Die graufame Politik Alva’ s. 31 


Del Rio, war zwar in Brugges geboren, aber von ſpaniſcher Herkunft. 
Sein vorberrfchendfter Zug fcheint unbegrenzte Unterwänftgfeit unter 
den Willen feines Herrn geweſen zu fein. Der andere, Juan de Bars 
gas, ſollte die hervorragendfte Rolle in bem folgenden blutigen Drama 
fpielen. Er war ein Spanier und hatte eine Anftellung bei bem weſt⸗ 
indiſchen Rathe gehabt. Er befaß einen böfen Leumund und follte 
einen Baifenmündel um das väterliche Erbtheil betrogen haben. Als 
er Spanien verließ, ſollen zwei peinlicye Prozeſſe gegen ihn anhängig 
geweien fein. Dies ließ ihn nur noch mehr von Alva's VProteftion abs 
hängen. Er war ein fehr entichloffener Mann, :unverbroffen in feiner 
Geſchaͤftothaͤtigkeit, unbedenklich im Dienfte feines Patrons, und bes 
reit, feinem eignen Bortheile nicht nur jeden edlen Gedanken, fondern 
alled menfchliche Gefühl zu opfern. In folchen fchwarzen Barben 
malen ihn wenigftend die Schriftfteller der Nation, welche ihn verabs 
heute. "Doch eigneten ihn gerabe feine Fehler fo fehr für den Hers 
309, daß diefer ihm mehr ald allen anderen Untergebenen fein Zus 
trauen fchenfte*). Aud finden wir, wie ihn Alva formwährend in 
feiner Korreipontenz ter Ounft des Monarchen empfiehlt, und feine 
„völlig jugendfriiche Thätigfeit” der Apathie der übrigen Rathsglieder 
entgegenftellt. Da Bargas der flamänpifchen Sprache unfundig war, 
wurden um feinetwillen die Verhandlungen lateiniſch geführt. Doc 
war er felbft in diefer Sprache ein fo großer Stümper, daß feine 
Echniger dem Volke von Flandern, weldes ſich an feinem Unter: 
drüder dadurch rächte, daß es ihm lächerlich machte, unenbdliches Vers 
gnügen bereiteten. 


Da dem neuen Berichtähofe alle Kalle, fowohl in Eivilfachen wie 
in peinlichen Angelegenheiten, zuftanden, häuften fich feine Arbeiten fo 
jeht an, daß man es für zwedvienlich hielt, die Mitglieder in vers 
ſchiedene Adtheilungen zu fondern. Zwei Mitglieder wurden fpeziel 
mit den Prozeſſen gegen ben Prinzen von Dranien und beffen Bruder 


*) Biglius, welcher den Mann noch nicht gefehen hatte, erwähnte ihn in einem 
Briefe an feinen Freund Hopper mit folgenden Worten: „Imperium ac rigorem 
Metuunt cujusdsm Vergasi, qui apud eum multum posse, et nescio quid aliud, dici- 
tur. Epist. ad Hopperum, p. 451. 


32 Zweites Kapitel. 


Loui®, gegen Hoogftraten, Lulemborg und die übrigen abeligen Dit 
erilirten Wilhelm's beauftragt. Dem Bargas und Del Rio wurde bie 
Unterfuchung gegen die Grafen Egmont und Hoorne übertragen. Rod 
zwei andere, Blafere und Heſſels, hatten den laͤſtigſten und wichtigſten 
Zweig: die Kenntnißſnahme von allen Prozeſſen in den Brovinzen. 

Der letztere von diefen beiden Ehrenmännern ſollte bei der blu⸗ 
tigen Verfolgung allein dem Vargas nachſtehen. Er mar von Genf 
gebürtig und ragte unter Karl dem Bünften fo (ehr über jeine Stantcöges 
nofien hervor, daß er in feiner Provinz zum Kronanwalt gemacht wurde. 
In diefer Eigenfchaft fchärfte er die Edikte mit alter Strenge ein: was ihm 
den Haß feiner Landsleute zuzog. Indem er auf der neuen, ihm nun 
eröffneten Laufbahn ein noch weiteres Feld zur Entfaltung feines Zer⸗ 
ſtoͤrungstalents fand, gab er fich den Mflichten feiner Stellung mit 
einem ſolchen Eifer bin, daß er in dem Volke allgemeine Entrüftung 
hervorrief. Später wurde fürchterlide Rache an dein Unterbrüder 
genommen”). 

Sobald der Rath der Unruhen organifirt war, wurden Kommiſ⸗ 
färe in die Provinzen gelandt, um auf die Verdächtigen Jagd zu 
maden. Wer ald Prediger fungirt, oder einen Prediger beherbergt 
oder unterftügt hatte, wer Mitglied der KRonfiftorien geweien, ober 
die katholiſchen Kirchen hatte entftellen oder einreißen, od.r neue Pros 
teftantifche Kirchen hatte aufbauen helfen; wer den Kompromiß mits 
unterfchrieben , oder irgendwie einen thätigen Antheil an den neulicyen 
Unruhen genommen hatte : wurde ald des Hochverraths ſchuldig arres 
tirt. Bei der Jagd nach Opfern waren Angeber in jeglicyer Stellung 
willfommen. Die Brauen wurden ermuthigt, gegen ihre Männer ; bie 
Kinder, gegen ihre Aeltern auszufagen. Bald waren die Gefängniffe 
überooll , während fich die Provinzial» und Ortd-Behörbden emfig mit 
der Ausarbeitung von Berichten an den brüffeler Gerichtöhof über Die 


*) Heſſels war mit einer Nichte des Biglius verheirathet. Zufolge dem alten 
Rathe war fie mit ihrem Manne uneinig, weil er fein Verſprechen, daß er das ihn 
ia Flandern fo unbeliebt machende Amt eines Kronanwalts aufgeben wolle, nicht 
einhielt. (Epist. ad Hopperum, p. 495). In einem fpätesen Kapitel wird der Leſer 
Giniges von dem tragifchen Ende Heflels’ erwähnt finden. 


Die grauiame Politik Alva's. 33 


bei ihnen vorliegenden Kälte befchaͤftigten. Wenn eine Sache bedeus 
tend genug erfchien, wurde die Weiterunterfuchung eined Falles dem 
Rathe felbft vorbehalten. Aber in den meilten Fällen wurden bie 
Ortöobrigfeiten, oder eine eigens zu diefem Zwecke abgeſandie Kommiſ⸗ 
fon ermächtigt, den Fall zu unterfuchen und felbft dad Enpurtheil zu 
fällen, was dann, nebft der Begründung des Urteld , dem Rathe ber 
Unruhen vorgelegt werden mußte, Nachdem alddann der Brozeß von 
dem Komite für die Provinzen durchgefehen war, wurde das aus ber 
Durchficht gewonnene Refultat Vargas und Del Rio unterbreitet. 
Der legtere allein durfte feine Stimme in der Sache abgeben , worauf 
beider fchriftlich abgefaßter Spruch dem Herzog vorgelegt wurde, ber 
ſich dad Recht der Sndenticheidung vorbehielt. Dies that er, um — 
wie er an Philipp fchrieb — nicht zu fehr unter die Leitung des Raths 
zu fommen. „Eure Wajeftät weiß wohl,” fchließt er, „daß die Herren 
vom Bericht Etwas nicht gern anders, ald durch Evidenz, aburtheilen, 
während die Maßregeln der Staatöflugheit fich nicht nach den Geſetzen 
rikten dürfen.” 


Man hätte glauben ſollen, daß die verichiedenen Richter, denen 
nach einander auf dieſe Weife der Hall des Angeklagten vorgelegt 
wurde, dem leptern mehr Ausſicht auf Freifprechung gegeben hätten. 
Allein gerade das Umgefehrte war der Fall; denn es wurde nur bie 
Ausiicht auf Verurtheilung wahrfcheinlicher. Das Provinzialsstomite 
hatte an Vargas und Del Rio — zu denen fpäter noch ein ſpaniſcher 
Juriſt, Namens Roda, früherer Auditor bei der Kanzlei von Balla- 
dolid, kam — feinen Bericht abzuftatten. Wenn es die Todes: 
ſtrafe vorſchlug, erflärten dieſe Richter, daB das Urtel „recht wäre, 
und daß es nicht nöthig fei, den Prozeß nochmals durdhzufehen. * 
Wurte Dagegen cine mildere Strafe empfohlen, ſchickten die ehren» 
werthen Diener ded Geſetzes ten Prozeß zurüd und befahlen dem Kos 
mite unter bittern VBerwünjdhungen, ihn forgfältiger Durchzufehen !- 


Da die Konfiskation eine der häufigften und wichtigften Strafen 
war, welche der Blutrath zuerfannte, mußte diejelbe nothwendiger⸗ 
weile eine Menge Civilprozeſſe in ihrem Gefolge führen. Denn oft 
hatten antere Leute auf das fo verwirkte Vermögen bedeutende Sum⸗ 

Brescott, Geſch. Pbilipp’s II. III. 3 


7 Zweites Nepitel: 


men Geld gelichen. Alle dieſe Prozeſſe kamen vor den Rath. Doch 
dann man leicht begreifen, wie wenig die Gerechtigkeit vor einem Be- 
richt gelten mußte, wo der Öldubiger der Stone gegenüberftand. Setbft 
in dem Fall, daß der Brozeß zu Gunften des Glänbigerd entſchieden 
wurde, wurde bie Sache fo lange hingegogen und war mit jo wielen 
Koften verknüpft, daß ed beffer geweien wäre , gar feinen Anſprurch zu 
erheben. Ä 

Die Jurisdiktion dieſes Gerichtohofes Bob Innerhalt der ihnı an⸗ 
gewiefenen Graͤnzen diejenige des großen Gerichtöhofes zu Mecheln 
völlig auf, fowie er auch umabhängig von jedem andern der Hädtifchen 
Tribunale daſtand. Seine Entſcheidungen waren endgültig. Nach 
dem Geſetz des Landes, wie ed durch wiederholte Gnadendriefe Der 
Provinzen beftätigt werben war, konnte in den Niederlanden fein 
Menſch von einem andern ald einem einheimtichen Richter abgeurtheilt 
werben. Im gegenwaͤrtigen Gerichtshof jedoch aßen ein geborner Bur⸗ 
gunder und zwei Epanier. 

Auch darf man fidy nicht einbilden, daß ein mit fo ungeheurer 
Macht ausgeftatteted Tribunal, das in jo hohem Grade die konſtitu⸗ 
tionellen Rechte und altherfömmlidyen Gebräuche der Nation verlegte, 
wenigftens durch irgend eine bevolmächtigende Verordnung der Krone 
fanftionirt worden wäre. Es fonnte gar nichts Derartiged, ja nicht 
einmal eine geichriebene Vollmacht feines Schäpferd Alva aufweiien. 
Lepterer rief es allein durch fein bloße Wort ind Leben. Die Eins 
weihungsceremonie beftand darin, daß das neue Mitglied feine Hände 
in diejenigen des Herzogs zu legen und zu fchmören hatte, daß es 
treu am Slauben halten, in allen Fällen feiner aufrichtigen Ueber⸗ 
zeugung gemäß entfcheiden, endlich alle Handlungen des Rathes ges 
beim halten und einen Jeden, ber fie offenbar machte, denunziren 
wolle. Ein mit joldyer unbegränzter Macht bekleidetes und nach einem 
allen Grundfägen der Gerechtigkeit jo ſehr widerſtrebenden Plane ger 
-leiteted Tribunal war in feiner Grauſamkeit von der in den Nieder 
landen fo gefürchteten Inquifition nicht ſehr verfchieben. 

Damit Alva dem Rath, um fo befier beiwohnen fonnte , räumte 
er feinen eignen Palaft zu ben Sitzungen ein. Die erften Verſamm⸗ 
Fungen fanden des Morgens und tes Nachmittags ftatt und dauerten 





Die grauſame PRit: Riva’ s. 35 


biüeiten fieben Stunden des Tags. Die Mitglieder mußten ale ans 
weiend fein; der Herzog führte in ‘Berfon ben Borfig. Wis er nady 
einigen Monasen von dringenderen Befchäften weggerufen wurde, übers 
tag er feinen Biap dem Bargas. Barlaimont und Roircarmeb- 
blichen kald von ſelbſt aus den Verſammlungen weg, weil fie über 
dad graufame Berfahren empor waren. Die ehrenmwertheren Mit⸗ 
glieder ahmten ihr Beifpiel nah. Ein Rathsmitglied, ein Burgen» 
der und Antsinger des Granvelle , welcher das beobachtete Verfahren 
etwas u freimuͤthig tadelte, erhielt Erlaubuiß, in feine Heimath zu⸗ 
tühzuichren®). So waren zulegt nur noch drei oder vier Käthe übrig, 
namlich: Vargas, Del Rio, Heſſels und jein Kollege, auf denen völlig 
bie Beiorgung der beträchtlichen Arbeiten berubte. Unter einigen Pros 
zeſſen finger man nur drei Namen unterzeichnet. Der Herzog füms- 
merte ſich um Formen jo wenig, wie um tie Redıte der Nation **). 


— — ne — 


) In einem Briefe an ſeinen Patron, den Kardinal Granvelle, laͤßt Belin 
an „„dreien oder vieren in des Herzogs Gefolge, die gern in feinem Namen Alle res 
giern möchten ‚’* feinen Nerger aus. „Sie bilden bloß einen Kopf unter dem- 
felben Hute.“ Beſonders erwähnt er Bargas und Del Riv. Granvelldd Ruͤck⸗ 
äußerung iſt ſehr charafıerifliich. Weit entfernt, mit feinem ärgerlichen Anhänger 
m Iompathifiren, ſagt er ihm voraus, daß er durch ein ſolches Verfahren fich ins 
Verderben Rürzen wird. „Cin Mann, der bei Hofe auffommen will, muß tun, 
wie igm befohlen wird, ohne Frage. Anſtatt fich beleidigt zu fühlen, muß er fi 
merken, daß man Beleidigungen wie Billen, ohne zu kauen, verichluden muß, damit 
man die Bitterfeit nicht ſchmeckt““: gewiß eine edle Marime, wenn das Motiv edel 
geweien wäre. Siehe Levesque, Memoires de Granvelle, tome II. p. 91—94. 

) Die damaligen Beichichtöfchreiber laſſen fich alle mehr oder weniger über 
bie mit Blut gefchriebenen Handlungen des Raths der Unruhen aus. Doch wir 
ſuchen vergebens nach einem Berichte über die innere Organifation diefes Tribunals 
und über die Weiſe feines gerichtlichen Verfahrens. Vielleicht kommt dies daher, 
weil die handelnden Perſonen ſelbſt in fpäterer Zeit mit den Handlungen eines fo 
verabſcheuten Gerichtshofes nicht gern in Verbindung gebracht fein wollten, und 
deswegen, wie Gachard vermuthet, wahrfcheinfich die auf das Berfahren bezüglichen 
Protofolle vernichteten. Gluͤcllicherweiſe hat diefer eifrige und patriotifche Gelehrte 
m dem Archive von Simancas verfchiedene Briefe Alva's und feines Nachfolgers, 
ſowie einige offizielle Brotofolle des Tribunale, die in einem hohen Grade den Dans 
gel gut machen, entdeckt. In einer für die Föniglihe Alademie Belgiens verfaßten 
Sqhrift, die mich auf den vorhergehenden Seiten mit Materialien verfehen hat, hat 

3* 


36 -  Smweilzs Kapitel. 


Es wurde bald Mar, daß auch diefe Profeription, wie die meiften 
anderen , hauptfächlich die nermögenden Leute verfolgte. Wenigftend 
war der Befis, wenn er auch nicht. wirflih den Grund ber Anklage dil⸗ 
bete, ein Grund mehr für die Berurtheilung. Die. in die Provinzen 
geſchickten Kommiffäre erhielten gefchriebene Inftruftionen , wonach fie 
genau den Werth des den verbächtigen Perſonen angehörigen Eigen 
thums anzugeben hatten. Da die hinzufommende Ausgabe für bie 
Unterhaltung fo vieler Angeftellten, fo wie einer bedeutenden Militärs 
macht der Regierung fchwer fiel, ſah ſich Alva bald in die Lage vers 
fept, von Madrid Geldunterftübung zu fordern. Vergebens ſuchte er 
eine Anleihe bei den Kaufleuten zu maden. , „Sie weigern ſich,“ 
fchreibt er, „einen einzigen Real auf die Sicherheit der. Konfiöfationen 
vorzuftreden , bis fie fehen, ob das Spiel, welches wir begonnen 
haben, gut audgehen wird !” 

In einem anderen Briefe, vom vier und zwanzigften Oftober, bes 
dauert Alva, daß er Belder fordern muß, während fich die Riederlande 
felbft unterhalten und feine Laft für Spanien fein follten. Wenn er 
ſich das Fonfißzirte Eigenthum aneignen will, tritt ihm befländig die 
Regentin und ber Finanzrath in den Weg. Könnte er nur die Sachen 
nach feinem eigenen Kopfe lenfen, 10 wollte er dafür ftehen, daß bie für 
ihr Geſchick beiorgten und ängftlichen flandrifhen Stände gern eins 
willigten,, die nöthigen Mittel zu einem vom Könige vorgefchlagenen 
Einfommen zu beihaffen. Indem der ehrgeizige General darauf bes 
dacht ift, fich felbft die ganze Macht zu ſichern, fchlägt er bei feinem 
Herrn eine Saite an, von der er wußte, daß fie ihre Wirfung thun 
würde. In einer von Philipp eigenhändig zu diefer Stelle gefchries 
benen Anmerfung fagt derfelbe, daß dies vollfommen richtig wäre; 
allein, da er befürchtet, daß die Etaaten nie die Gelder bewilligen 
werden, muß Alva auf einen Ausweg benfen, fo daß man ihre Zu- 
ſtimmung dabei nicht braucht. Died muß ihm privatim mitgetheilt 
werden. Kurz nachher fegt Philipp diefe prägnante Idee dem Her: 


er das Refultat feiner Forfhung zufammengefaßt. Siehe Bulletins de l’Academie 
Royale des Sciences, des Lettres, et des Beaux Arts de Belgique, tome XVi. pars Il. 
p. 80-78. 





Die graufame Politik Alva's. 37 


zoge ausführlicher auseinander. — Es ift wirklich erbaulich, zu 
fehen, wie troden der König und fein General mit einander die beſten 
Mittel berathifchlagen, um den guten Leuten in den Niederlanden ein 
Einfommen aus der Tafche zu ftehlen. 

Da Margaretha, deren Rame tet felten zum Borfchein. fommt, 
über den offen eingeftandenen ‘Blan einer Verfolgung im Großen em⸗ 
pört war, weil fie glaubte, daß fchon genug Blut gefloffen fei: hätte 
fie ihren Bruder gern dazu vermocht , eine allgemeine Amneftie zu bes 
willigen. Aber hiergegen trat-der Herzog entfchieden auf. Er fchrieb 
an Philipp : „Er wollte Jedermann fühlen lafien, daß fen Haus ihm 
jeden Tag über dem Kopfe zuſammenbrechen könne. Auf dieſe Welle 
würden die Privatleute bewogen werden, zur Suhnung ihrer Ver⸗ 
brechen groͤßere Summen zu zahlen.“ 

Wegen der oben angedeuteten Abzüge erwies ſich bae Reſultat 
der Konfiskation geringer, als der Herzog erwartet hatte. Deßhalb 
ſchlug er etwas fpäter dem Könige die Erhebung einer einprocentigen 
Eteuer von allem wumberweglichen und beweglichen Vermögen vor. 
Allein einige Räthe hatten den Muth, diefen Vorſchlag zu befämpfen, 
weil ed nicht wahrfcheinlich fei, daß die Etaaten hierzu ihre Zuftim- 
mung geben würden. „Das hängt von der Weife ab, wie man fle 
angeht,” antwortete Alva. Er lichte die ©enerafftaaten fo wenig, 
wie fein Herr, und betrachtete ein Angehen terfelben um Geld als 
etwas der Krone Nachtheiliges. „Ich würte Eorge tragen, ſolches 
nicht anders zu fordern ,* fagte er, „als ich die wierhundert taufend 
Bulden zum Bau der Eitadelle in Antwerpen forderte: — in einer 
ſolchen Weife, daß fie nicht daran denken follten, es zu verweigern. ” 

Der König fcheint mit Alva über die Operationen zur Bernichtung 
der Freiheiten der Nation ganz einig geweſen zu fein, und zwiichen 
ihnen fcheint eine fo große Harmonie beftanden zu haben, daß man 
vorausfegen muß, der Herzog habe, ald er noch in Eaftilien war, 
mit dem Könige zufammen den allgemeinen Plan entworfen. Die 
Ausführung im Einzelnen mußte jedenfalls der Klugheit Alva's übers 
lafien bleiben, da man die eintretenden Umftänte nicht vorheriehen 
konnte. Indeß erhielt der Herzog auch bierin, wie aus der Korres 
fpondenz zur Genüge hervorgeht, fo vollffändig die Fönigliche Ges 


98 Zweit Rayiial. 


‚nehmigung, daß man jagen fann, Philipp babe jede Handlung feine 
HGenerals gemacht. Ba, wir finden nicht felten, deß Philipp die 
Bemerlungen feines Benenald erweitert umb verbeſſertꝰ). Was fit 
Uebel daher auch aus der fchlechten Verwaltung bed Alyva entfpringen 
mochten , fo liegt doch in letzter Inſtanz die Berantwertlichfeit ver 
Maßregein auf dem Haupte Bhilipp’s. 

Eine der erften Handlungen des neuen Rathrö war eine Bor 
ladung des Prinzen von Oranien umd jedes adeligen Exilirten mit ihm 
nah Brüffel, um ſich dort wegen der gegen ihm vorgebrachten An⸗ 
ſchuldigungen zu verantworten. In der an ihn geridyteten Vorladung 
war Wilhelm beſchuldigt, fchen frühzeitig den Geift der Unzufrieden⸗ 
heit in der Nation exmuthigt, die Inquifition in Verachtung gebradt, 
den Bund des Adels befördert und feinen Palaſt in Breda zu den Ber 
handlungen hergegeben zu haben. Dann hätte er die Ausubung ber 
reformirten Religion zu Antwerpen autoriſirt, und wäre mit einen 
Worte der eigentliche Urheber aller religiöfen und politiſchen Unruhen, 
weiche jo lange ſchon dad Land zerriſſen. Deßhalb wurde er, umte 
Anprohung der Konfisfation feined Eigenthumd und ewiger Verban⸗ 
nung, aufgefordert, ſich innerhalb ſechs Wochen vor dem Rathe zu 
Brüffel zu ftellen. Diefe Vorladung wurde ſowohl in Brffel, wie 
anch in Wilhelm's eigener Stadt Breda von dem oͤffentlichen Ausrufer 
verkündet, und ein fie enthaltender Anichlag an die Thüͤren der Haupt 
firchen diefer Etädte angeheftet. 

Auf diefen Akt folgte ein zweiter , melcher durchs ganze and als 
gemeine Entrühung erregte. Alva ließ nämlich Wilhelm's ältchen 
Sohn, den Grafen von Büren, einen Jüngling, welder zu Loͤwen 
ſtudirte, von der Univerfitaͤt wegnehmen und nach Spanien ſchaffen. 
Sein Hauslehrer und einige Diener burften ihn begleiten. Allein 


) So z. B., als Alva bemerkt hat, daß alle Unterzeichner des Rom pramided 
som Mathe für Hochverraͤther erklaͤrt werden find, fügt Philivp eigenhändig am 
Bande des Briefes hinzu: „Daſſelbe follte mit Allen, welche fie unterflügten und 
ermuthigten, gethan werden, weil tiefe in der That die fchuldigeren Theile find.” 
(Correspondance de Philippe IH. tome I. p. 590). Diele Brivatbemerfungen Phi, 
Iipp's find für den Geichichtsfchreiber von großem Werthe, da fie ihn hinter den 
Borhang bliden laflen, wohin die Miniſter des Königs nicht immer gelangen fonniet. 


Die graufame Politik Alva's. R 


der Herzog rieth dem Könige an, dieſe Dienerfchaft zu entfernen 
und fie dus) Spanier zu erſetzen. Diefe anverantwortliche Hand⸗ 
lung ſcheint von Granwelle, der fie in einem Brief aus Mom empfichtk, 
auögegangen zu fein, Ohne Zweifel hegie man dabei die Abſicht, fi 
eine Bürgfehaft für des. Baierd Gehorſam za verfchaffen, ſich der Loya⸗ 
lität des Erben vom Haufe Raffau zu verfichern und ihn im katholiſchen 
Glauben zu erhalten. Hinſichtlich des legten Punktes gelang der 
Plan. Der Füngling wurbe von Philipp huldreich behandekt, und 
fein langer Aufenthalt in Spanien erzeugte in ihm eine fo. Rarfe An- 
haͤnglichkeit fomohl an die Kirche, wie an die Ktone, daß er für immer 
der großen Sache, für welche fein-Bater und feine Landsleute kaͤmpf⸗ 
ten, fremd blieb. 

Der Brinz von Oranien veröffentlichte der Welt feine Anfict 
über die ihm durch dieſes rigenmächtige Verfahren dee Herzogs von 
Alva angethane Beleidigung, während die Univerfität Löwen fo kuͤhn 
war, eine Deputation an ven Rath abzufchiden, um gegen die Vers 
legung ihrer Privilegien Proteſt einzulegen. - Rachdem Vargas bie 
Deputation mit ſpoͤttiſchem Lächeln angehört hatte, entließ er fie mit 
den Worten : „Non caramus vestros. privilegios, * ein Ausruf, an ben 
mon ſich ſowohl wegen des ſchlechten Latein wie wegen feiner Unver 
ſchaͤntheit lange erinnerte. 

Man wird wohl glauben, daß weder Wilhelm noch ſeine Freunde 
der Vorladung des Blutraths Folge leiſteten. Der Prinz ſchrieb eine 
im Auslande gedruckte und verbreitete Enagegnung, worin er die Kom⸗ 
yetenz Alva’s in Abrede ftellte. Als ein. Ritter des Goldenen Vließes 
habe er ein Recht, von feined Gleichen, den Rittern bed Ordens, ges 
richtet zu werben, während er als Bürger von Brabant von feinen 
Randöleuten gerichtet werben müßte. Er fei nicht verpflichtet, ſich ver 
einem infompetenten Gerichte zu fielen, an deſſen Epige obendrein 
fein erflärter perfönlicher Feind fände, 

Während feines Aufenthalts in Deutfchland wurde dem Prinzen 
in feinem Unglüd alle jene Erleichterung zu Theil, welche ibm die 
Eympathie und Unterfägumg mächtiger Freunde gewähren konnten. 
Unter den legteren war der bemerkenswertheſte Wilhelm der Weile, ein 
wärbiger Sphn des berühmten alten Ranbgrafen von Heſſen, welcher 


“2 Zweites Kapitel. 


Katharina von Medicis zeigte feinen foldyen unverfähnlichen Geiſt 
Schon vorher hatte fie ihrem königlichen Schwiegerfohn Aerger verurs 
facht , weil fie in ihre Religion politiiche Pläne mifchte. Jetzt aber bes 
nuste fie nicht dad ihr von Alva gemachte glänzende Anerbieten, 
wonach dieſer in Perfon an der Spige feiner Armee kommen wollte. 
Vielleicht befürchtete fie, daß die Anweſenheit eined fo fürchterlichen 
Mannes der Unabhängigkeit der Regierung nachtheilig fein möchte. 
Obſchon fie eine aufrichtige Katholikin war, zog fie ed doch, der Achten 
italienifchen Politif gemäß, vor, die entgegengelegten Parteien gegen 
einander zu balancixen, um fie beide gänzlich zu vertilgen. “Der Hers 
3098 ſah feinerfeits ein, daß Katharina nicht die Art an die Wurzel des 
Uebels legen wollte, und daß bie aus einem Erfolge der Waffen her⸗ 
vorgebenden Vortheile bloß vorübergehend fein würden. Er begnügte 
fich daher damit, ein Heineres, hauptſächlich aus Flamaͤndern beftehen«- 
bes Heer unter Aremberg abzufenden. Doc, ehe der Graf noch Paris 
erreichte, war die Echlacht bei St. Denis geſchlagen. Montmorency 
fiel; aber die Fönigliche Partei hatte den Sieg. Katharina madhte 
mit den geichlagenen Hugenotten einen Vertrag ,. ber für biefelben fo 
vortheilhaft war, ald wenn nidyt die Königin, fondern fie ſelbſt die 
Sieger geweien wären, Da Alva über biefen Ausgang ärgerlich war, 
befahl er dem Aremberg , fchnell zurüdzutehren. Zudem war tie An⸗ 
weienheit defjelben auf einem thätigeren Kriegsichauplage nothwendig. 


Während diefer ganzen Zeit hatte Margarethens Luge einen bes 
klagenswerthen Gegenfag zu ihrer früheren, fo viele Jahre hindurch 
an der Spitze der Regierumg eingenommenen hohen Etellung gebildet. 
Nicht nur war die wirkliche Macht in andere Hände übergegangen, 
fondern fie fühlte au), daß dadurch ihr ganzer Einfluß geſchwunden 
war. Kaum befaß fie noch das Recht, Borftellungen zu maden. 


zöſiſche König und feine Brüder ohne Erben mit Tod abgehen follten, würde Der 
König non Spanien als der nächſte Blutsnerwandte durch feine Gemahlin Anſprüche 
auf die Krone Frankreichs machen können, „Das falifche Geſetz,“ fügt der Herzog 
Hinzu, „iſt ein bloßer Scherz. Mit Hilfe einer Armee würden leicht alle Schwierig⸗ 
keiten befeitigt swerden.‘‘ Philipp gibt in einer Randnote zu diefem Briefe zu ver: 
leben, daß ihm der Borfchlag angenehm if. 


Die grauſane Belitif Alva's. “8 


Doch fonnte fie in dieſer Stellung leichter, als früher, wo fie noch ſelbſt 
an der Spipe der Angelegenheiten geweſen wear, die Bermaltangb- 
maßregeln beutiheilen. Dept, wo fie nicht mehr ſelbſt Die Rechte des 
Volles verliebte, empfand fie Iebhafter bad demſelben angethane Un⸗ 
recht. Auch lehnte fie nicht ab, ſich für das Volk zu verwenden. 
So ſuchte fie zu verhindern, daß eine Beſatzung in bie gute Stabt 
Drüffel gelegt würde. Wenn dies jedoch nöthig wäre, bat fie ben 
Herzog, daß die Einwohner nicht mit ben Unterhaltung&foften ber 
Soldaten belaftet werden möchten *). Aber er war taub gegen ihre 
Bitte. Sie machte geltend , daß nach der der Ration bereitö ertheilten 
Zuͤchtigung der einzige Weg zur Herftellung der Ruhe eine allgemeine 
Amneftie wäre. Der Herzog erwiderte, feine Amneftie fönne fo all 
gemein fein, daß es nicht einige Ausnahmen geben müfle. Es würde 
aber einige Zeit dauern, ehe er diefe Ausnahmen herausfände.- Sie 
empfahl ihm die Zufammenberufung der Staaten an, damit biefelben 
Gelder bewilligten. Gr antwortete ebenfalld ausweichend, indem er 
ſagte, daB es zuerft nothmwendig fein würde, den Betrag ber zu erhes 
benden Summe zu beftimmen. Die Regentin fühlte, daß fie in allen 
wirklich wichtigen Sachen fo wenig wie die geringfie Privatperfon im 
Lande zu fagen hatte. 


Aus vieler erniedrigenden Stellung wurde ſie endlich durch bie 
Rüͤckfehr ihres Sekretär Machiavelli, ver für He Depeſchen von Bhis 
lipp's Lieblingsminifter Ruy Gomez mitbradhte, erloͤſt. Er theilte der 
Herzogin mit, daß der König, wiewohl ungern, zuletzt ihrem Geſuche 
gewillfahrt und ihr den Rücktritt von der Regierung der Provinzen er« 
laubt habe. Zum Zeichen feiner Zufriedenheit mit ihrem Berhalten 
babe Seine Majeftät ihre bisherige jährliche Benflon von acht tauſend 
auf vierzehmtaufend Gulden auf Lebenszeit erhöht. Diefer Brief war 
vom fechften Oktober datirt. Bald nachher (vier Tage Ipäter) erhielt 


*) Indem die Munisinalität von Brüßel befürchtete, daß ber Herzog nadı Mars 
garethiens Abreiſe einige zweideutige Vorfälle aus der neuern Zeit uicht guͤnſtig aus⸗ 
legeu werde, Lie fie Margarethen einen Brief ichreiben, worin tie guten Brüfleler 
ale airige Racholiten, als gute Unterthanen tes Könige und bei allen Gelegenheiten als 
gewifienhafte Freunde der Ordnung empfohlen werben. 





4 Zweites Rapitel. 


Margaretha einen Brief von Bbilipp ſelbſt. Der Inhalt war faft über- 
einftimmend mit dem Briefe des Minifters. In wenigen Worten ſprach 
der König fein Bebauern aus, daß feine Schweſter von ihrer Stellung 
abtrete, und gab ihr feine Zufriedenheit mit ihren, während einer langen 
und treuen Bermaltung geleifteten Dienften zu erfennen®). 

Die Penfionderhöhung "zeigte Feine allzuhohe Veranſchlagung 
diefer Dienfte, und das fpärliche Lob, welches er jegt nad) einem 
langen Stillfchweigen in wenigen furzen Eäpen ihren Berbienften 
zollte, zeigte zu deutlich an, daß Alles, was fie gethan hatte, nicht 
hinreichend gewelen war, um in dem Herzen ihres Bruders ein Danfs 
gefühl zu erweden. Zu gleicher Zeit mit Dargarethens Briefe traf 
eine Föniglihe Verordnung ein, wodurd Alva den Titel Regent und 
Generalgouverneur nebft allen von feiner Borgängerin beſeſſenen Ge⸗ 
walten erhielt. 

Ehe Margaretha abreifle, richtete fie an Philipp bloß noch eine 
Bitte. Diefe wurde ihr jedoch abgefchlagen. Ihr Vater, Karl der 
Fünfte, Hatte bei feiner Abdanfung die Generalftauten zufammenbes 
rufen und vor feiner Trennung von ihnen eine Abfchiedörede, die noch 
jegt von feinen Unterthanen als ein theured Vermaächtniß betrachtet 
wurde, gehalten. Margaretha hätte gern fein Beilpiel nachgeahmt. 
Die Größe des Schaufpiels fchmeichelte ihrer Eindildungskraft, und 
ohne Zweifel hegte fie den ehrenbaften Wunſch, in der Scheideftunte 
dem Volke, über welches fie fo viele Jahre geberricht hatte, Gefühle 
der Freundſchaft zu offenbaren. 

Allein Philipp fand, wie wir ſahen, feinen Gefallen an diefen 
Berfammlungen der Staaten. Ihm fam ed nicht in den Einn, bei 
einer nicht dringenderen Gelegenheit, als der gegenwärtigen, In die Bes 
rufung zu willigen. Deßhalb mußte Margaretha den Gedanfen an 
dad Schaufeft aufgeben und fidy damit begnügen, von dem Bolfe im 





) Der König hat die Erflärung feiner Zufrietenheit mit der Berwaltung feiner 
Schweſter in den Sog zufammengebrängt, womit er feinen Brief, oter befler , fein 
Billet ſchließt. Dafelbe trägt das Datum des 13. Oktober 1568 und ift von Ga⸗ 
hard in der Correspondance de Philippe II., tome II., Appendice Nro. 149. veräffents 
lit worden. 





Die granfame Politik Ava’s. _ 45. 


Briefen an die vornehmflen Städte der Brovingen Abſchied zu nehmen. 
Hierin berührte fie furz die Echwierigfeiten, welche fie zu überwinden 
gehabt, und ſprach ihre Senugthuung darüber aus, daß fie endlich, 
das Land in den Zuftand der Ruhe und Ordnung zurüdgeführt hätte., 
Sie bat die Flandrer, feſt an dem Glauben, worin fie auferzogen 
worden wären, und an der Treue gegen einen fo gütigen und huld⸗ 
reichen Yürften, wie ed ber König, ihr Bruder, fei, zu halten. Wenn 
fie Die dies thäten, würde der Segen ded Himmels auf ihnen ruhen. 
Was aber fie ſelbſt anbelange, fo würde fie ſtets bereit fein, ſich für fie 
au verwenden. 


Daß Dies aufrichtig gemeint war, bewies fte durch einen Brief, 
den fie, che fie abreifte, an Philipp fchrieb. Sie flehte ihn barin um 
Gnade für feine flandrifchen Unterthanen an. „Gnade,“ fagte fie, 
„ſei eine göttliche Eigenfchaft. ine je größere Macht ein Monard) 
befäße, um fo mehr nähere er fich der. Gottheit, und um fo mehr follte 
er fich beftreben, die göttliche Milde und Barmherzigkeit nachzuahmen. 
Inden feine Vorgänger ſich damit begnügt hätten, die Leiter eined 
Aufruhrs zu beftrafen, hätten fie die Maſſen gefehont. Jede andere 
Verfahrungsweife würde den Guten mit dem Schlechten zuſammen⸗ 
werfen und jo großes Unheil über dad Land bringen, wie Seine Maje⸗ 
Rät wohl abichägen fönne.’’ — Es hätte gut um den Ruhm Mars 
garethens geftanden , wen ihre Rarhichläge immer von jo weifen und 
großherzigen Gefinnungen geleitet worden wären. 


Die Nachricht von der Abdankung der Regentin wirkte entmuthis 
gend auf alle Provinzen. Bei dem Bedauern über ihre Abreife vergaß 
man alle Irrthümer ihrer Regierung , ihre hinterliftigen Handlungen 
und die ausnehmende Strenge, womit fie neulidy die Vergehen bes 
ſtraft hatte. Man erinnerte fich nur an den Wohlſtand, welchen dad 
Land unter ihrer Regierung genoflen, an das in früheren Tagen von ihr 
den Freunden des Volkes gefchenfte Zutrauen, und an die edelmüthige 
Weife, mit der fie mehrmals ſich ind Mittel gelegt hatte, um die harte 
Bolitit des Madrider Hofes zu mildern. Und wenn fie fi nun von 
den glänzenderen Stellen ihrer Gefchichte der trüben Zukunft zuwandten, 
erfüllten fich ihre Herzen mit Niedergeſchlagenheit. 


46 Aweitrs Quitel. 


Aus allen Gegenden des Landes empfing ſie Mrefſen. Während 
bie verfchlebenen Städte den Segen des Himmels auf die ihr noch 
Körigen Tage berabfiehten, fuchten fie einamder in Ausdruͤcken des Bes 
dauernd über Margarethens Abretfe zu überbieten. Mehrere Pros 
yinzen gaben durch freigebige Donatlonen einen fprecdenden Beweis 
ihrer guten Seſinnung. Brabant fegte ihr die Summe von fünf und 
zwanzig taufend, und PBlandern die von dreißig tauſend Gulden aus. 
Die Zürften der benachbarten Länder , darunter die Königin Eliſabeth 
von England, geſellten fich dem Wolke der Riederlande in diefen Kund⸗ 
gebungen bei, indem fie ihre Hochachtung vor der Regentin und ihr 
Bedauern über den Rüdıritt berjelben von der Regierung audtrüdten. 


Nachdem Margaretha alfo durch die Verficherungen der Adyrung, 
worin fle fowohl im Ins, wie im Auslande ftand , erfreut worden 
war, reifte fie @nde Dezember 1567 von Brüflel ab. Alva gab ihre 
das Geleit bis an die brirbanter Graͤnze, und von Da bradhte fie der 
Graf Mandfeld ımd eine Anzahl flamändiſche Adelige nach Deutſch⸗ 
land. Nachdem fie dafelbft von Allen, die noch von ihrem trühern 
Staate ihr verblieben waren, Abſchied genommen, feste fie ruhig ihre 
Reife nach Italien fort. Einige Zeit blich fie bei ihren Gemahl in feiner 
berzoglichen Neftvenz zu Barma. Woran aber auch die Schuld Tiegen 
mochte: Margaretha genoß nur wenig von den Güßigkeiten ded häus⸗ 
fihen Gluͤcks. Bon Parma begab fie ſich bald darauf nach den ihr 
von der Krone gefchenkten Gütern in Reapel , wo fie ihren dauernden 
Aufenthalt nahm. Als viele Jahre hernach ihr Sohn Alexander 
Farneſe zur Regierung der Riederlande berufen wurde, fam fie aus 
ihrer Abgefchiedenheit hervor, um an der Leitung der öffentlichen Ans 
gelegenheiten Antheil zu nehmen. Body war dad nur von fehr kurzer 
Dauer. Deshalb fann ihre gegenwärtige Abreife aus den Niederlanden 
als das Ende ihrer politifchen Laufbahn betrachtet werden. 


Die Regierung Margarethend dauerte vom Herbft 1559 bis Ende 
1567 , eine Zeit von acht Jahren. Es war eine ftürmifche und fehr 
ereignißreiche Beriove. Denn damals gerade wurden die Gemüther 
der Menfchen durch die neuen Lehren, welche die Revolution erzeugten, 
bis in die innerften Tiefen bewegt. In der That fann man annehmen, 


Die graufame Politik Alva's. 4) 


daß unter der Regentfehaft Margarethens die eröffnenden Scenen dieſes 
großen Schaufpield flatt fanden. Die Einwohner der Niederlande 
waren an dad Scepter einer Frau gewöhnt. Wahrſcheinlich ſtand fie 
ihren Vorgängerinnen in den erforderlichen Bähigkeiten für ein ſolches 
Amt nicht nach. In Italien, einem Lande, wo die politifche Wiſſen⸗ 
haft forgfältiger als im einem jeden andern Theile Europa's ſtudirt 
wurde, war fie durch einen langer Aufenthalt mit den Regierungds 
grimtfägen befannt geworden. Sie hatte ſich an Thätigkeit gewöhnt, 
und ihr fräftiger Körperbau konnte jede Anftrengung ertragen. Werm 
ihr zu männliches Weien die farfteren Eigenichaften ihres Geſchlechts 
audichloß, war fie auf der andern Seite auch von jener Vergnuͤgungs⸗ 
fucht und den meiften Frivolitäten frei, denen die Frauen ihres wol 
lüftigen Klimas huldigten. Dem katholiſchen Glauben war fie fefl 
ergeben, und ihre Loyalität war jo groß, daß fie von dem Augenblide 
ihres Regierungsantritts an fi) ganz dem Willen ihre Souvernin® 
anzubequemen fuchte. Sie war herrſchſüchtig und wußte wohl, daß 
fie bei einem Manne wie Philipp ihre Macht nur behaupten-fonnte, - 
indem fie jich unbedingt feinem Willen unterordnete. 

Wären die Zeiten noch wie früher geweien, fo würde fie mit 
ihrem gefunden Verſtande und der allgemeinen Mäßigung in ihren 
Anfichten über das Land fo glücklich, wie ihre Vorgängerinnen, ge; 
berricht haben. Aber leider hatten fich die Zeiten fehr geändert. 
Doch würde Margaretha, da fie auf der Bühne der Handlung ans 
weiend war und den Drud der Umftänve fühlte, fich in hohem Grave 
den veränderten Juftänden anbequemt haben. Aber unglüdlichers 
weife vertrat fie einen Fuͤrſten, der weit entfernt lebte, feinen Wechfel 
fannte, Anderen feine Zugeftändniffe erlaubte, und deflen Fonfervative 
Bolitif ganz auf der Vergangenheit beruhte. 

Margareta hatte dad Unglüd, daß fie niemals das völlige Zus 
trauen Philipp's beſaß. Schon gleich von vorn herein fchenfte er 
— fei ed aus Mißtrauen gegen ihre Nachgiebigkeit, oder weil.er fie 
nicht für fähig genug bielt, — dem Granvelle mehr Zutrauen als ihr. 
Hätte dies die Regentin auch nicht ſelbſt bemerft , fo würden ihr doch 
von den den Minifter haffenden Rivalen jchon bald darüber bie 
Augen geöffnet worden fein. Nach nicht fehr langer Zeit haßte fie 


48 Zweites Kapitel. 


ihn ebenfalls. Allein die Entfernung Granvelle's brachte ihr nicht 
bad Zutrauen ihres Bruterd ein. Im Gegentheil vermehrte fich eher 
noch das Mißtrauen deſſelben, weil fie fich in ihrer neuen Lage ber 
entgegengelegten Partei, den Breunden ded Volkes, in die Arme wer⸗ 
fen mußte. Don diefem Augenblide an war Philipp vertraulicher 
mit dem Herzog von Alva und fogar mit Granvelle, ald gegen 
bie Regentin. Oft blieben ihre Briefe unbeantwortet. Wenn jebody 
Antworten anfamen, enthielten fie dunkle und geheimnißvolle Ans 
deutungen über die zu befolgende Politif. Während fie ficher fein 
fonnte, daß fie für jeden Fehler zu firenger Rechenfchaft gezogen wer» 
den würde, blieb ihr die Köfung des Regierungsproblems allein übers 
lafien. Die Gerüchte von der baldigen Ankunft des Königs erinnerten 
fie fortwährend, daß ihre Herrichaft nur vorübergehend fei und daß 
fie bald von einer höheren Macht ihrer Stellung enthoben werden 
würde. | | 

In einer fo unvortheilhaften Lage mußte fie alles Eclbftvers 
trauen verlieren. Sie erhielt nicht einmal die zur Ausführung 
ihrer eigenen Pläne nöthigen Mittel. Sie befam weder Geld nod) 
Waffen. Auch ftand ihr nicht das Begnadigungsrecht zu, Dad, wenn 
man es mit einem tapfern und hochherzigen Volfe zu thun hat, wich⸗ 
tiger ald das Recht zum Etrafen if. Indem fie jo aller Hülfs⸗ 
quellen bar war und nicht das Zutrauen ihres Herrn bejaß, indem 
von ber einen Seite dad Volf nachdrüdlich Zugeftändniffe verlangte, 
während der Eouverain auf der andern Seite diefelben ftreng verweis 
gerte: iſt es noch mild, wenn man fagt, daß ſich Margarethe in 
einer falfchen Stellung befand. Ihre Lage war beflagenswerth. 
Nachdem fie gefunden hatte, daß fie ihren Pla nicht mit Ehren bes 
haupten fonnte, hätte fie nicht einen einzigen Tag länger auf dem⸗ 
jelben bleiben follen. Allein Margaretha, war au herrichflichtig , als 
daß fie gern abgetreten wäre. Dann aud machte fie ihr Mißvers 
ftändniß ımit ihrem Gatten etwas von ihrem Bruder abhängig. 

Endlich famen der Kompromiß und die Ligue. Jetzt Ichienen Mars 
garethen erft Über die von ihr eingehaltene Richtung die Augen aufzus 
gehen. Darauf folgte der Ausbruch der Bilderftürner. Der Stoß 
rüttelte fie völlig aus ihrer Täufchung auf. Sie war für die Ins 


Die graufame Boldt auva's. 49 


tereſſen der katholiſchen Kirche fo eifrig, wie Philipp ſelbſt. Mit 
Schrecken fah fie daher dieſelbe bis im Ihre Grundlagen erzittern. Sn 
ihren Ueberzeugungen, in ihrem Wefen felbft fchien eine vollftändige 
Beränderung vor fi zu gehen. Sie ſeß Alle, mit denen fie biöher 
zufammen gegangen war, zurüd. Sie gab ſich ber ftrengen Politif 
Philipp’s fo unbedingt hin, wie er es nur wünfchen fonnte. Sie pres 
ffribirte, verfolgte und beftrafte mit einer foldyen übermäßigen Härte, 
daß ihrem Andenfen wenig Ehre daraus hervorgeht. Es war zu 
ſpaͤt. Das Mißtrauen Philipp's konnte nicht durch diefe fpät ein» 
tretende Willfährigfeit gegen feine Wünfche befeitigt werden. Schon 
war ihr Rachfolger ernannt worden, und im nämlichen Augenblide, 
wo fie ſich ſchmeichelte, daß fie die Ruhe des Landes und ihre eigene 
Autorität auf einer dauernden Grundlage wieder hergeftellt habe, war 
bereitö der Herzog auf feinem Marche über die Alpen. 

Dody war ed für den Ruf Margarethend vortheilhaft, daß ihr 
in ter Regierung ein Dann wie Ava folgte. Die dunfelften Stellen 
in ihrer Regierung erfchienen hell, wenn fie in Vergleich mit feiner 
Schredensregierung gebracht wurden. Bon biefem @efichtöpunfte 
aus iſt ihre Verwaltung von den damaligen und fpäteren Geſchichts⸗ 
fchreibern beurtheilt worden. Und auf diefe Weife wird wahrfchein- 
li der Forſcher, der die verfchiedenen Ereigniffe ihrer Gefchichte abs 
wiegt, annehmen, daß ihre Handlungen eine günftigere Beurtheilung 
gefunden haben , ald aus einer falten und bedächtigen Unterſuchung 
hervorgehen würbe. | 


Breicott, Geſch. Vhilipp's il. IM. 4 





50 Drittes Kapitel. 


Drittes Kapitel. 
Die Schredendregierung. 


Bahlreihe Berhaftungen. — Die Unterfuhungen und Hinrichtungen. — Die Eons 
. fisfationen. — Dranien fammelt ein Heer. — Die Schlacht bei Heyligerlee. — 
Die Schritte Alva's. 
1568. 


Wenn wir den Gefchichtsfchreibern glauben dürfen, griff Philipp 
im Anfange des Jahres 1568 zu einem fehr außergemöhnlichen Mittel, 
um vor ber Welt fein firenges Verfahren gegen bie Niederlande zu 
rechtfertigen. Er legte naͤmlich die Sache der Madrider Inquifition 
vor, und dieſes geiftliche Gericht kam, nachdem es gehörig die vom 
Könige und den Inquifitoren aus den Niederlanden erhaltene Evidenz 
erwogen, zu folgender Entfcheidung: daß Alle, welche ſich der Kegerei, 
des Abfalls vom Glauben oder des Aufruhrs fchuldig gemacht, oder, 
wenn fie auch fich für gute Katholifen ausgäben , doch den Andern 
feinen Widerftand geleiftet hätten, dadurch, mit Ausnahme weniger 
befchriebener Individuen , des Hochverraths im höchften Grade übers 
führt wären. 

Auf dieſes zufammenfaffende Urtheil folgte bald ein Eönigliches 
Edikt, das vom nämlichen Tage, dem ſechszehnten Februar datirt war. 
Nachdem in demfelben die Worte der Inquifition angeführt waren, 
wurde die ganze Nation mit der oben gemadyten Ausnahme und ohne 
Rüdfiht auf Gefchledht oder Alter — zu den Strafen ded Hochver⸗ 
raths: Tod und Eonfisfation ded Eigenthums, verurtheilt. Und 
zwar geichah dies, wie es im Dekrete weiter hieß, „ohne Ausſicht 
auf irgend eine Begnadigung, ſodaß es allen künftigen Zeiten als 
Beiſpiel und Warnung dienen ſollte!“ 

Es iſt ſchwer, dieſe ſo monſtroͤſe Geſchichte zu glauben, obſchon 
fie von einem Schriftſteller nach dem andern ohne den geringſten Zwei⸗ 
fel wiederholt worden if. Nicht daß man von ber Inquifition nicht 
alles Monftröfe glauben könnte; aber man fann nicht leicht anneb⸗ 
men, daß ein Fluger Fürft wie Philipp der Zweite, fo gern er fich auch 


Die Gchrediensregierung. 51 


unter den Mantel des heiligen Amtes ſteckte, einen Akt, der vom pos 
litiſchen Geſichtspunkte aus fo abſurd erfcheint, begangen habe. Denn 
indem biefer At den Schuldigen mit dem Unfchuftigen zufammen 
warf, mußte er beide zur Berzweiflung treiben, und ber leßtere mußte 
zum Aufrußr fchreiten, weil ihn das Gefühl erlittenen Unrechts dazu 
trieb, während der erftere, ta gar Feine Hoffnung mehr vorhanden 
war , darin verharrte *). 

Der nämliche Bote, welcher Margarethen die königliche Er; 
laubniß von der Regentichaft abzutreten überbrachte, übergab dem Alva 
auch feine Ernennung zum GeneralsGapitän der Riederlande. Dies 
follte ven Herzog, wie ihm Philipp fchrieb, in der wichtigen Confis⸗ 
fationeangelegenheit von dem Finanzrathe unabhängig machen. Und 
in der That fand er hierdurch nidyt nur über biefem, fondern auch über 
jedem andern Rath des Landes. Die neue Würte verlieh ihm nicht 
geringere Autorität, ald der Souverain jelbft befaß, und Alva gedachte 
diefelbe fo weit auszudehnen, wie es vorher fein Eouverain der Nieder⸗ 
lande gewagt hatte. Die Zeit war gekommen, in welcher er feine 
fürdterliche Mafchinerie in Bewegung fegen fonnte. Die Regentin, 
welche feine Handlungen nicht befliimmen , aber dody Fritifiren Fonnte, 
war fort. Die Gefängniffe waren voll, die Prozeſſe geichloflen. Es 
war blos noch übrig, die Urtel zu fällen und zu vollftreden. 

Den vierten Januar 1568 finden wir zu Valenciennes vierund- 
achtzig Perionen zum Tode verurtheilt, weil fie ſich an den neulichen 
religiöfen oder politifchen Bewegungen betheiligt hatten. Am zwanzig» 
Ken Februar wurden fünfundneungig Individuen vor den Blutrath ges 
bracht und davon fiebenundbreißig des Todes fhuldig befunden. “Den 
zwanzigſten Maͤrz wurden noch fünfundbreißig verurteilt. Die Emifs 
färe de8 Gouverneurs hatten ſich nad allen Richtungen vertheilt. 


*) Unter den bamaligen Schriftftellern, welche ich nachgefchlagen habe, finde 
ich tiefe merfiwürdige Angabe blos von Meteren und De Thou beftätigt. Dies kann 
denjenigen, welcher die Geſchichte glaubt, in Berwunderung ſetzen; allein es ift 
noch mehr zu verwuntern, daß ein fo außerorbentlicher Vorgang dem Zlorente, dem 
Sekretär des heiligen Amtes, dem alle Urkunden ber Snauifltion zu Gebote fanden, 
entging. In feiner Darfellung habe ich nicht die geringfle Anfpielung darauf 
gefunden, 
4* 








52 Driues Kapitel. 


„Ich hörte," ſchreibt er en Bhilipp, „daß mar zu Antwerpen predigie. 
Da ich ben obrigfeitlichen Perfonen daſelbſt nicht trauen fonnte, fandte 
ich meinen eignen Profoß dahin ab. Er arretirte eine groge Anzahl 
Ketzer. Sicherlich werden fie nicht wieder eine zweite ſolche Verſamm⸗ 
lung abhalten. Die Oprigfeiten beichweren fi, daß das Einfchreiten 
des Profoßes eine Berlegung ihrer Privilegien fei._ Sie thun wohl 
daran, wenn fie ed rubig hinnehmen.” Der aufgewedte Ton, in 
welchem der Herzog fi mit feinem Herrn über das Schickſal feiner 
Opfer unterhält, fann und an ein ähnliches Zwiegeſpraͤch zwiſchen 
Petit Andre und Ludwig dem Elften in „Duentin Durward“ 
erinnern. 

Die Vorgänge in Gent fünuten und bad anderwärts befolgte 
Verfahren zeigen. In diefe Hauptfladt wurden Bommifläre gefandt, 
um die Verdächtigen aus dem Verſteck herauszuftöbern. Nicht weniger 
als ein hundert vierundfiebenzig wurden vor den Rath in Brüſſel vor 
geladen. Ihre Ramen wurden fowohl in den Straßen: auögerufen, 
als auch in Anſchlägen an den öffentlichen Gebaͤuden befannt gemacht. 
Obſchon die Flucht ficher die Verbannung und bie onfiöfation des 
Eigenthums in fich ichloß , zogen fie doch die Flucht der Möglichkeit 
einer Breifprechung vor dem biutigen Grrichishofe vor. Blos acht 
zehn leifteten der Borladung Folge und begaben fid nad Brüſſel. 
Sie wurden alle an einen und demfelben Tage in ihren Wohnungen 
verhaftet und ohne Ausnahme zum Tobe verurtheilt! Yünf ober 
ſechs von den hervorragenden unter ihnen wurben enthaupte. Die 
übrigen endeten am Galgen. 

Indem die gegenwärtige Methode, feinem Wilde nachzugehn, dem 
Herzog zu langfam vorfam, entſchloß er fih für eine fühnere Ver⸗ 
fahrungsweiſe und machte ſich Pläne, wie er wohl eine beträchtliche 
Anzahl Opfer auf einmal in die Garne treiben fönnte. Er fegte daher 
bie Afchermittwoch, ben 3. März 1568 , als die geeignetſte Zeit feſt. 
Das war der Anfang der Faſtenzeit, wo die Leute, nachdem der Karne⸗ 
val vorüber war, fi nüchtern in ihren eigenen Behaufungen zufam: 
menfinden würden. In ber Todeöftille der Nacht drangen die Diener 
ber Gerechtigkeit in das Innere ber Häufer ein, riffen nicht weniger 
als fünfhundert Bürger aus ihren Betten und fchafften fie ind Ges 





Die Schreckeneregierung. 55 


fimgniß. Sie alle wurden zum Tode verurtheilt! Alva frhreidt an 
Philipp· „Ich babe immer wieder die naͤmliche Strafe wiederholt, 
denn man qualt nich mit Anfragen, ob fie nicht in dieſem over fenem 
Tale in Berbannung verwanbelt werden Inne. Man macht mir 
mit diefen Beläftigungen dad Lehen ſauer.“ Doch war er ed noch 
wicht überbrüsffig,, feine blutige Arbeit fortzufegen, bern wir finden, 
daß er in dem naͤmlichen Briefe berechnet, daß, ehe man von einer 
Allgemeinen Begnadigung fprechen kann, noch breihundert Köpfe fallen 
mäflen. | 

Dreißig bid vierzig Perfonen auf einmal arretirt zu fehen, fagt 
em alter Ehroniffchreiber, war etmas ganz Gewoͤhnliches. Man 
fonnte die reicheren Bürger, indem ihnen ihr Familienwappen hinten 
angebunden war, an einem Roßichweife zum Hinrichtungsplage 
ichleppen fehen. Die Aärmeren wurden nicht einmal aufgefordert, 
fih zur Unterfuchung in Brüflel zu flellen. Ihr Prozeß wurde auf 
der Stelle abgemacht. Dann wurden fie ohne weiteren Auffchub in 
der inneren Stadt oder in der Vorſtadt aufgefmüpft. 

Brandt bat in feiner Sefchichte der Reformation aud jener 
„Schredensregierung” viele Einzelheiten in Bezug auf die Verfolgung, 
befonder® aber in Bezug auf feine Heimathaprovinz Holland ges 
ſammelt. Leute aus mieberem Stande wurden ind Gefängniß ges 
ſchleppt und mußten oft auf der Kolterbanf die Tortur erleiden, 
damit fie gegen fich felbft ober ihre Freunde ausfagten. Die von dem 
Blutgericht verhängsen Tobeöftrafen waren verichieden. Die Einen 
wurden mit bein Schwerte bingerichtet: eine Auszeichnung, die, wie 
et fcheint, nur Perſonen von Stande vorbehalten war. Andere wurs 
den zum Galgen, und noch Anbere zum Pfahl des Scheiterhaufene 
verurtheilt. Die legtere Strafe, die fürchterlichfte unter allen, bes 
ſchraͤnfte ſich auf die größeren religiöfen Verbrecher. Aber oft fcheint 
die Strafiveife ber Laune der Richter , ja fogar manchmal der Willfür 
der rohen Soldateska, die der Hinrichtung deiwohnte, anheimgeftellt 
geweien fein. Wenigftens finden wir, daß bie fpanifchen Soldaten bei 
einer Gelegenheit in ihrer gerechten Entröftung einen unglüdtichen 
protetantifchen Prediger, ben der Gerichtshof zum Balgen verurtheilt 
bat, in die Flammen werfen. 


54 Drittes Kapitel. 


Viele von den Soldaten Alva's waren Veteranen, die ſchon unter 
Karl dem Fünften gegen bie Proteftanten gelämpft hatten; fie waren 
Kameraden jener Leute, die gerade damald auf die Eingebornen ber 
Neuen Welt Jagd machten und diefelben zu Taufenden im Namen ber 
Religion Hinfchlachteten. Für fie war die Summa und der Kern aller 
Religion ein blinder Olaube an die römifche Kirche und eine unver 
föhnliche Beindfchaft gegen die Ketzer. Das Leben des Ketzers war das 
angenehmfte Opfer, welches man dem Jehova darbringen Fonnte. Ins 
bem ihre Herzen fo vom Fanatismus verhärtet und durch lange Bes 
Fanntichaft- mit menfchlicdhen Leiden unempfindlich gemacht waren, 
waren fie gerade die erforderlichen Diener für die Befehle eined Herrn 
wie der Herzog von Alva. | 

Die Berfolgten festen der Graufamfeit der Verfolger einen unbe⸗ 
zwinglichen Muth entgegen. Die meiften Bergehen waren auf bie eine 
oder andere Weife mit der Religion verfnüpft. Die Angeklagten waren 
Prediger, hatten Prediger unterftügt und erleichtert, hatten dem Gottes⸗ 
dienfte derfelben beigewohnt, waren in den Konftftorien geweſen, ober 
hatten auf irgend eine Weiſe ven Beweis geliefert, daß fie die verbam- 
mungewürbdigen Xehren der Ketzerei angenommen hatten. Über gerade 
in foldy einem Halle, wo die Menſchen um des Gewiſſens willen leiden 
müflen,, find fie alleö zu ertragen bereit, um mit dem Tode ihre Meis 
nungen zu beſtegeln. Der Berfolgungsfturm traf Perfonen jeglichen 
Standed: Männer und Frauen, Junge und Alte, Gebrechliche und 
Hülftofe. Aber je fchwächer die Betroffenen waren, um fo flärfer hob 
Ad ihr Muth im Ertragen der Leiden, Es find viele rührende Fälle 
von Perfonen erwähnt, welche, ohne alle andere Stuͤtze als ihr Ber 
trauen auf den Himmel, vor den Richtern den ftandhafteften Helden⸗ 
muth zeigten und durdy die Kühnheit,, womit fie ihre Meinungen bes 
fannten, die Märtyrerkrone zu fuchen fchienen. Diefer unerfchrodene 
Murb verließ fie nicht auf dem Schaffotte und auf dem Scheiterhaufen, 
fodaß das Zeugniß, welches fie für die Wahrheit ihrer Sache, wofür 
fie litten, ablegten, auf die Zufchauer eine ſolche Wirkung ausübte, 
daß ınan fie zum Stillfehweigen bringen mußte. Die Büttel wandten, 
um dies zu bewirfen, eine graufame Methode an. Die Zungenfpige 
wurde mit einem glühenden Eifen gebrannt und das gefchwollene Glied 


Die Schredensregierung. 55 


dann zwolfchen zwei feſt zufammengefchraubte Metallplatten geflemmt. 
Das Stöhnen des fo gefnebelten, beiammernswürdigen Dulders brach 
in eigenthümlichen Tönen aus, die zur rohen Beluftigung feiner Pets 
niger dienten *). 

Aber es ift unnöthig , länger bei den vom Volke ber Niederlande 
in biefer Brobezeit auögeftandenen Leiden zu verweilen. Doch, wenn 
die im Namen der Religion verübten Grauſamkeiten für die Menfchbeit 
fehr niederfchlagend find, kann man auf der andern Seite nicht laͤug⸗ 
nen, daß fie in dem Märtyrer, welcher fein Leben auf dem Altar bes 
Prinzips opferte , das erhabenfte Schaufpiel, welches die Menfchheit 
aufzuweifen bat, beroorriefen. 

Es ift ſchwer, ja, nad) den in meiner Hand befindlichen Daten 
unmöglich, die Zahl der durch den Arm des Nachrichters in dieſer trau⸗ 
tigen Berfolgung Gefallenen zu berechnen*). Ohne Zweifel war die 
Zahl im Bergleidy mit der Bevölkerung bed Landes nicht groß; nicht fo 


*) „Horcht, wie fie fingen! Sollte man fie nicht auch tanzen machen?“ rief 
ein Möndy in der Bollsmenge. Brandt, Reformation in den Riederlanden, Band 1, 
Seite 375. 

*) Ratürlicy ſpreche ich bloß von der in diefem Geſchichtsabſchnitte begriffenen 
Seitperiode, die mit Anfang Juni 1568 abſchließt, wo, nachdem der Blutrath gegen 
vier Monate in Thätigfeit gewefen war, das Schwert der gefehlichen Verfolgung am 
ſchmerzlichſten zu fühlen war. In einem oben angezogenen Briefe von Philipp 
räumt Alva achthundert — mit Binfchluß von dreihundert Andern, die nah Oftern 
vorgenommen werten follen — als die Zahl der Opfer ein. (Documentos Ineditos, 
tom. IV. p. 489.) In einem Briefe vom neunundzwanzigſten März fagt Biglius, 
daß ſchon funfzehnhundert vor das Tribunal gefordert worden ſeien; allein die meis 
Ren davon — weil fie vermuthlich aus dem Lande gefloben waren — wären in con- 
tumaciam verurtheilt worden. (Epist. ad Hopperum p. 415.) Indem Grotius diefe 
Beriode berükrt, fpricht er von der Zahl der Opfer, die er unzählig nennt, nod uns 
befimmter. „„Stipatae reis custodiae, ionumeri mortales necati: ubique una species 
ol eaptae eivitatis.‘‘ (Annales, p. 29.) So auch Hooft bei Brandt: „Die Galgen, 
Rärer, Scheiterhaufen und die Bäume an ben Landſtraßen waren mit den Leichnamen 
oder Gliedern der Behängten, Snthaupteten oder Gebratenen beladen, fo daß bie 
Luft, weile Bott zum Athmen für die Lebenden fhuf, nun das gemeinfchaftlicdhe 
Grab, oder die Wohnung der Todten wurde.‘ (Meformation in den Niederlanden, 
Yanı 1, ©. 261.) Go ausdrudsvoll eine derartige Darflellung audy fein mag, iR 
fe dech für die Gtatifli von geringem Nutzen. 


5 


gñ, wir dir Zahl ver Ta wrider ai rd Nuhr umirerd LAebens 
auf een cum Ehkänksirite geiaten wur. Exam tir Seesen des 
geiryuken Beristeruß erwaiet werten , ünr ve Bellürnlungen der 
Ortner — wem mar Ira Raus ir emıweihen dert —ver- 
hainiamäßie larem_ Bär mem, wir in Ber ramzsuiben Heros 
Isien, Saır-ıte von ra Samsere mirterzeiftue ober gamie 
Eiffisurgu de Over af amme m ben Saranrm eriäuft 
werden, if-rası ter Ich mit ber nrügen Grmalı int Scache unb des 
Krug eirbar 

Mein wer tie Aura des Tetes wir cm ar:mtıra Schwert 
der termenne Sarre finz, [is üb tr Erige des Leitens 
eimer is.deen Berisizung nidet ein:äg made ter JE terer, welde wirf- 
li& ven Zoe er’:urs, berrchen. Usa bare dem Fire Ian Bunt 
außcrträdı, Da5 utermzun, wenn cr ah tes Btcrre velaten legte 
oder des Noracus aufüänbe, „cmrünten wösc, bad taricd Dam jede 
Eruzte einialen unt ike erihmenmen ferne!“ Tieren menicdhen- 
freuen: Wer’t 373 m Errüßuny. Wer tem Tode aty;ny, mußte 
in ter Bertannung une ber Keonüefarien tet Eiccerdums ein nicht 
mirter ichredliches Geĩchick befunden. Eden iedr balt ıcluy Die 
Berielgung ticie Ricdeung ein. Eine Berielyung aber, tie vom der 
Habgier beikleunigt wirt, iR fegar gebärüger, alt cime and bloßem 
Sanatiemus entipringmte. Denn, ebiten ter Aımatiämus an ih 
ſelbit emichtent id, iR er tech bloß tie Verkebrung des religiöſen 
Prinzips. 

Lebenslangliche Berbannung und tie Konfölarien wurden zumal 
über alle aus tem Sande Geflohene verhängt*). Gelb die Tobten 
warten nicht verſchont, wie fh aus tem gegen ten Marquiß von 


*), 3a einem Meinen Bande (Sententien en Indegingen van Alba, eridienen zu 
Anßertam 1735) ſiad eine große Anzahl — zweitaniene oder mehr — vom Diuts 
sale gefällte Urtel gefamumeit werden Die veruribeilten Perionen werrn meiſtens 
von Hollaud, Seclond und Utret gebürtig. Bit wcaigen Husnahmen ſcheinen fie 
alle Bädtig geweim un» in contumacem verurtheilt werben zu fein. Ihr Mrtheil 
lautet auf Verbannung un Renftlation des Gigenthume Das Bamdchen liefert 
eimen fpredsenteren Rommentas zu den Besfahren bes Une, als irgend ein anderes, 
aus der Feder des Geſchid toſchreibers gcoſſenes Gryeuguiß. 





Die Schreckenoeegierung. 57 


Bergen eingeleiteten Prozeſſe ergiebt. Die Landgäter dieſes Adeligen 
wurden auf die Anklage des Hochverraib hin eingezogen. Er war, 
wie fidh ber Leſer erinnern vwoled, zufammen mit Montigny nach Madrid _ 
geſandt worden, und daſelbſt unlängft geftorben. Sein Loos war 
gluͤclicher als das ſeines Begleiters, welcher ihn überlebte, um ein 
ſchlimmeres Geſchidd zu finden. Die Emifſſaͤre des Herzogs waren 
uͤberall damit beſchaͤftigt, Verzeichniſſe von dem Eigenthume der Ver⸗ 
daͤchtigen anzufertigen. „Sch will fo eben,“ ſchreibt Alva an feinen 
Herm, „einige von den reichſten und ſchlimmſten Verbrechern verhaften 
md fie eine Geldbuße entrichten laffen.“ Das Naͤchſte wird fein, ſagt 
et, daß er gegen die fehuldigen Städte einfehreitet. Auf diefe Weiſe 
wird eine runde Summe in die Koffer Seiner Maieftät fließen. Die 
dieſer Abtheilung angehörigen Opfer waren fo zahlreich, daß wir bie⸗ 
weilen in einem einzigen Spruche des Rathes achtzig bis hundert Ins 
bieiduen auf einmal abgeurtheilt finden. Ein mir vorliegende& Urtel 
effennt in kürzeren Worten, als die Ramen der Betreffenden ausmachen, 
nicht weniger ald ein hundert und fünf und dreißig Einwohnern von 
Amſterdam Konfiöfation und Verbannung zu. 

Man kann fid, denken, welches Unheil durch diefe im Großen 
betriebene Proſkription über das einft fo blühende Land gebracht murbe. 
Denn außer den unmittelbar betroffenen Individuen gab ed eine große 
Anzahl mittelbar Berührter, Hofpitäler und Wohlthätigfeltsanftalten, 
Wittwen und hülftofe Waifen, die jegt darbten, weil die zu ihrer ges 
wöhnlichen Unterhaltung beitragenden Mittel audblieben. Wie lang⸗ 
fam und fpärlich muß folchen ohnmächtigen Häubigern Recht gefchafft 
werden fein, wenn fle e& vorzogen, ihre Anfprüche vor ein Tribunal 
wie den Blutrath zu bringen! Bald war die Kolge davon an dem 
Verfall des Handels und der reißend fchnellen Entvölferung der Städte 
erfihtlih. Ungeachtet der den Bliehenden angedrohten ſchrecklichen 
Etrafen , verfuchte , befonders an der Graͤnze, eine große Anzahl zu 
flüchten. Die benachbarten Gegenden Deutfchlands nahmen freudig 
die heimathlofen Wunderer auf, fodaß viele elende Berbannte aus den 
nördlichen Provinzen, die über die gefrorne Zuyder Zee geflohen waren, 
eine Zuflucht innerhalb des gaftfreundlichen Mauern Emden’ fanden. 
Eogar in Gent, daß doc) im Innern des Landes liegt, war nach dem 





58 Drittes Kapitel. 


Berichte Vandervynckt's die eine Hälfte der Häufer leer. Es gab das 
ſelbſt, fagt er, nicht eine einzige Familie, von der nicht einige Glieder 
die Bitterfeit der Berbannung oder ded Todes gefoftet hatten. „Die 
Verfolgungswuth,“ fchreibt der Prinz von Oranien, „verbreitet durch 
die ganze Nation einen ſolchen Schreden, daß Zaufende, darunter her⸗ 
vorragende Bapiften, ein Land geflohen haben, wo ohne Unterſchied des 
Glaubens bie Tyrannei ſich gegen Alle zu kehren fcheint. 

Dod entipradhen in finanzieller Hinficht die Refultate den Er⸗ 
wartungen Alva’d nicht. Trotz der zahlreichen Konfisfationen wurden, 
wie er Philipp klagt, fo viele Einfünfte auf verfchiedene Weife, vors 
züglich aber durch die Unterfchleife feiner Agenten aufgezehrt, daß er 
im Zweifel war, ob ſich die Ausgaben nicht höher, als die Einnahmen 
belaufen würden. Ebenſo war er mit dem Betragen anderer Ange 
ftelten unzufrieden. Anftatt daB die in die Provinzen geichidten Kom⸗ 
mifläre die Schuldigen auszufinden fidy angeftrengt hätten, fchienen fie 
eher dazu geneigt, biefelben zu verheimlichen. Sogar die Mitglieder 
bed Raths der Unruhen zeigten in ihrem Berufe eine fo große Gleich⸗ 
gültigfeit, daß fle ihn mehr ärgerten, als bie Delinquenten felbft! “Der 
einzige Mann, welcher in feinem Dienfte einigen Eifer bewies, war 
Bargad. Er war fo viel werth, ald alle übrigen Räthe zufammenge- 
.nommen®). Der Herzog hätte von biefer Verdammung inBaufch und 
Bogen Hefield, den Genter Rechtögelehrten, audnehmen fönnen, wos 
fern die über den lepteren umlaufenden Gerüchte wahr waren. Aus 
Müpigfeit von den vielen abgeurtbeilten Bällen und von der Unters 
zeichnung ber Bluturtheile foll diefer ehrenwerthe Rath, bisweilen auf 
feinem Stuhle eingefchlafen fein. Wenn er dann in diefem Zuftande 
aufgerufen wurde, den Spruch des Angeklagten zu verfünden, fol er 
fi) halbwach die Augen gerieben und ausgerufen haben: „Ad pali- 
bulum ! Ad patibulum !“* (An den Galgen! An den Galgen!) 

Aber Vargas war ganz ein Mann, wie ihn der Herzog wünfchte. 


*) Gin eben fo fummarifches Urtheil, wie das über die Inquifltion ausge 
fprochene, ſprach Bargas über das Volk der Niederlante aus, indem er daflelbe in 
einen merfwürdigen, wegen feines Lateins fehr beivunderten Sag zufammenfaßle. 
„‚Haeretici fraxerunt templa, boni nihil faxerunt contra, ergo debent omnes pati- 
bulare.‘“ Reidanus, Annales, p. 8. 





Die Schhreckenoregierung. 59 


Alva wurde nicht müde, dieſen feinen Anhänger dem Könige zu 
empfehlen. Er bat Philipp, ſich für denfelben ind Mittel zu legen und 
brei gegen dieſen Aingeftellten während feiner Abwefenheit von Spanien 
anbängig gemachten Prozeſſe fuspenbiren zulaflen. Demzufolge wandte 
fih Philipp auch an den Richter. Allein ver letztere (deſſen Ramen 
hätte aufbewahrt werben follen) erwiderte unabhängig, daß „die Ges 
rechtigkeit ihren Lauf haben müfle und zu Riemandes Gunften fuspen- 
birt werden dürfe.“ „Auch wollte idy das nicht haben, “ antwortete 
Philipp, weldyer es felbft erzählt; „ich wollte bLoß das Moͤglichſte thun, 
um zu verhindern, daß die Sinterefien des Bargas durch die Abweienheit 
deffelben Schaden erleiden." Schließlich fagt er dem Herzoge, daß 
Vargas nicht auf das, was von den Prozeſſen verlautete, achten bürfe, 
weil er fich durch den vom Könige felber geichriebenen Brief fa ver: 
fiihert halten müffe, daß fein Souverain völlig mit feinem Betragen 
zufrieden ſei. Wenn jedoch Vargas durch feine unbebenfliche Hingabe 
an die Sache das Vertrauen feiner Herren gewann, zog er fich auf der 
andern Seite den unverföhnlichen Haß des Volks zu. Ia, diefer Haß 
ſcheint beinahe gegen ihn tiefer, als gegen Alva ſelbſt geweſen zu fein: 
was vielleicht dem Umſtande zuzufchreiben if, daß Vargas als das 
vollziehende Inftrument der Maßregeln des Herzogs, mit dem Volke 
mehr als det Herzog felbft in unmittelbare Berührung fam. 

Wie wir fchon fahen, entgingen Viele, namentlich folche aus den 
Graͤnzprovinzen, dem Berfolgungdungewitter durch Freiwilliges Exil. 
Die verdächtigen Berfonen fcheinen nicht felten von den Ortöobrigfeiten 
freundliche Winke wegen bed ihnen drohenden Geſchicks erhalten zu 
haben. Andere, welche im Innern des Landes wohnten, fahen fich zu 
verzweifelteren Schritten getrieben. Sie rotteten fi) unter dem Namen 
„wilde Geuſen“ — ‚‚Gueux sauvages‘‘ — in beträchtlicher Anzahl 
zufammen und fuchten befonders im weftlichen Flandern ihre Zuflucht 
in den Wäldern. Bon da brachen fie hervor, fielen über bie nichts 
Arges ahnenden Reiienden , namentlidy über Die Mönche und Geiſt⸗ 
lichen, her, beraubten fie und tödteten fie zuweilen. Manchmal befaßen 
fie die Kühnbeit, in die Klöfter und Kirchen einzubrechen, und nachdem 
fie daſelbſt die reichen Schmudiachen, dad Geſchirr und andere Gegen⸗ 
Rände von Werth geraubt hatten, eilten fie, mit Beute beladen, in 


6% Drittes Kavitel. 


ihre Berftede zurüd, Der Uebelſtans nahm in ſolchem Maße zu, daß 
ber ©eneralgouverneur eine flarte Macht zur Ausrottumg ber Baus 
biten auöfenden mußte, während er zu gleicher Zeit eine Verordnung 
andgab, wonach jedes Kreis für ben von diefen Pluͤnderern innerhalb 
felner Graͤnzen gethanen Schaden verantwortlich gehalten werben ſollte. 

Man follte vermuthen, daß bei der von Alva's graufamer Politik 
erzeugten Erbitterung fein Leben fortwährend von der Hand des Men⸗ 
chelmoͤrders bedroht gewefen fein muͤſſe. Wirklich wäre er einmal beis 
nabe das Opfer einer Verſchwoͤrung geworden, an deren Epite zwei 
Brüder aus einer guten Familie in Flandern ſtanden. Diele hatten 
den Plan entwarfen, ihn während der Meſſe in einer Abtei bei Brüflel 
zu tödten. Doc, Alva follte feinen gewaltiamen Tod finden. 

Wohl mögen wir glauben, daß weiſe umd gemäßigte Männer, 
wie Viglius, dad Verfahren deo Herzogs als «benfo unpolitifch wie 
graufam verworfen. Daß aber der alte Rath dies that, erhellt aus 
feinen vertraulichen Briefen, wenn er audy flug genug war, nicht durch 
ein offenes Belenntniß ſich der Feindſchaft Alva's auszufegen. Andere 
dagegen — namentlich Die deutichen Yürften — hatten feinen derarti⸗ 
gen Grund, ihre Meinungen zu verbergen; bdielelben richteten ihre 
Beſchwerden an ein höheres Gericht, als das des Alva war. 

Den zweiten März 1568 verwendete fid der Kaiſer Maximilian 
im Ramen der Kurfürften brieflih bei Philipp für die unterbrüdten 
Unterthanen in den Riederlanden. Er erinnert den König daran, daß 
er ſchon zum Defteren und in den freundlichften Ausprüden ihn um eine 
mildere und barmberzigere Politik gegen feine flamändifhen Unters 
tBanen angegangen habe. Er bat feinen Föniglichen Vetter, zu beden⸗ 
fen, ob es nicht befier wäre, die Ruhe des Staates daburdy zu ſichem, 
daß er fi) die Herzen tea Volks gewönne, als durch übermäßige 
Strenge die Leute zum Aeußerften zu treiben. Zum Schluß bemerfte 
er, daß die Niederlande, als ein Glied des deutſchen Reiches, ein Recht 
barauf haben, daß man mit ihnen in jenem Beifte der Milde verfahre, 
welcher mit den Konftitutionen des Reiches im Einklang ftände. 

Wenngleich weder die Grumde noch das dringende Erſuchen 
Marimilian's im Stande waren, die Feſtigkeit Philipp's au erfchüttern, 
ſo verfhmähte er es doch nicht, ſich auf eine Erklärimg, wo nicht 


Die Echreckenoregierung. 5 


Medarfertigung feines Betragens einzulafien. Mr erwiderte: „Was 
ich gethan Habe, ift für Die Ruhe der Provinzen und für Dir Verthei⸗ 
digung des Eatholifchen Glaubens geſchehen. Haͤtte ich die Gerechtig⸗ 
keit weniger reſpektirt, wuürde ich Die ganze Sache in einem einzigen 
Zage abgemacht haben. Wer mit dem Stande ber Ungelegenheiten 
befannt if, wird feinen Grund mic, wegen Strenge zu tadeln finden. 
Auch würde id) nicht anderd handeln, als ich getham babe, follte ich 
auch dabei die Eouperainetät ber Niederlande -riöfiren ; ich wuͤrde nicht 
anderd handeln, wenngleich, die Welt rund um mich in Trümmer fiele! “ 
Eine ſolche Erwiderung war hinreichend, um die orreſpondenz zu 
fchließen. 

Mittlerweile hatte das unglüdliche Bolt der Niederlande jept in 
der ganzen weiten Welt Feine andere Hoffnung mehr, als den Prinzen 
von Dranien Die aus dem Lande Beflohenen, beſondersé aber bie 
vornehmen Leute, fchaarten fih um feinen kleinen Dof zu Dillenburg. 
Hier beratbichlagten fie eifrig die Mittel zur Wiederherftellung ber 
Freiheit ihres Landes. Bon ihren Landsleuten brachten fie wiederholte 
Aufforderungen an Wilhelm mit, Daß er, um fie zu vertheidigen, zu 
den Waffen greifen fole. Namentlich verfprachen die Proteſtanten 
Anwerpens, daß, wenn er, um feine Gelder zu vermehren, fein Bold» 
und Silbergeichirr einfchmelzen wollte, fie ihm gern ben boppelten 
Werth dafür bezahlen würden. 

Es war der innigfte Wunſch Wilhelm's, die Unternehmung zu 
wagen. Allein er kannte die im Wege ſtehenden Hinderniſſe und wollte 
fiy als weifer Mann nicht eher darauf einlaften, als bis er die Mittel 
zur erfolgreichen Durchführung fah. Den Bürgern von Antwerpen 
antwortete er, daß er nicht allein fein Tafelzeug, fondern ſich ſelbſt und 
feine ganze Habe herzlich gern für die Freiheit der Religion und feines 
Landes opfern werde. Allein die Koften zum Aufbringen eined Heeres 
feien fehr groß und betrügen zum Wenigften fechöhunderttaufend Gul⸗ 
den; auch fönme er nicht daran denken, biefe Summe zu beichaffen, 
wofern nicht einige der hervorragendſten Kaufleute, die er nannte, mit 
- ihm die Eicherheit dafür leiften wollten. 

Zugleich führte er einen ausgedehnten Briefwechfel mit ben deutichen 
Fürften, mit den Bührern ber hugenottifchen Partei in Frankreich und 





@ Dres Legil. 


fogar mit ber engliidyen Regierung. Erin Jeeed dabei war, fie für bie 
Soche, an weldser jeder Preeritanı ein Interne nehmen mußte, zu ges 
winnen. Ben dem Kuriürien von Sadıca umt tem Landgrafen von 
Heſſen erhielt er Das Beriprechen, ta5 Wr ıbn uamteriüpen wollten. 
Berrähtliide Eummen icbeinen ihm inäachrım am# ben bebeutendfien 
EStatten ter Rirterlante ütermadı werten :u iem, während Culem⸗ 
bery, Heoeatraten, Leui: ron Nanıu unt tie ante großen Herren, 
weilde mit ibm im Gril waren, ſe viel beitruaen, wie ihre geihwächten 
Kermögemdsutänte getatıten\. Der Rrinz ſelbit weräußerte feine 
wertbreüften Sachen, vıriegte trine Juperen unt ibidte fein Gold⸗ 
unt Silbergrichirr nak ter Wünze. „Sie waren ter Schmud eined 
Palafeb gemeien, tod waren fc wen: ım Sersieid mit ten Erfor- 
berninen des Kricgek, * tagt ein alıer Schrriztteler. 

Kermitielß tieter Oriet wurde vor Erte April cıre aus den uns 
regelmäßigen unt zuiammengemürteinten Beitantibe'ien beftchende 
Armee zuiammengebracht. Tarunter waren teuride Eöltlinge, bie 
außer ibrer Jablung weiter fein Intercne bri ver Sache datten; Hu⸗ 
genotien von Frankreich, tie einen io greßen DaB geacn die römitchen 
Katbelifen mi Ach auf das Feld brachten, tar we iclbdit ald Allürte 
einem großen Thrile ber Ricderlande noch ichr willfomnen fein Eonn: 
ten; unt entlih Berbunn:e aus den Nieterlanten, tie einzigen, des 
Kamricd würdigen Mänrer, tie ihr Leden im Vergleich mit der großen 
Sache, werür He es einiegien, gering anikiugen. Aber jo groß ihr 
Patriotismus auch jein mochte, wuren fe Leib meitiend bloß ichlichte, 
der Baften ungewehnte Bürger, tie es nicht gut mit ten unerſchrocke⸗ 
nen Beteranen Gaftiliend aufnehmen fennten. 

Ehe ker Prinz feine Trupren relitäntig machte, ichrieb und vers 


9 Tiere &elter ihemen kausritiih aue Anrrerren unt ten green Staͤdten 
Hellants, Erdante, Frietlands unt Groningens, deczenigen Landüriche, wo das 
Unabbinzigfertögerubl Rats gro gemein wur, geicmmen ;u fein. Die ateligen 
Riteriliricn Zubelm’s Rruerten tie Hälfte tes zuiammengebradten Geites. Alva 
wurte biersen durch Billere, einen verbannten Herm. benachrichtigt. Dieſer war 
im eıner unziödiiden Unternebmung,, weiche wır ım seaenrärtigen Raritel mitthei⸗ 
len, tem Herzeg in tie Hänte gefallen. Correspondance de Pb:lippe Il.. tome II, 
poe. 27. 








Die Schredensregierung. _ 63 


öffentlichte er auf den Rath des Landgrafen von Heſſen eine Schrift, 
die unter dem Namen „Rechtfertigung“ befannt it, und worin er fi) 
und feine Sachen von den Beichuldigungen Alva's reinigte. Er ſchob 
bie urfprüngliche Schuld der Unruhen auf ®ranvelle; ſtellte in Abrede, 
daß er den Bund bed Adels entworfen oder befördert habe; die Anklage 
aber, daß er aus Ehrgeiz in einem Zande, wo für ihn mehr als bei⸗ 
nahe alle andern Einwohner auf dem Spiele ftand, den Aufruhr ges 
fhürt habe , behandelte er mit Verachtung. Er berührte feine und 
feiner Ahnen Dienfte, fowie die Undankbarkeit, mit welcher Diefefben vom 
Throne vergolten worden wären. Zum Echluß wünfchte er, daß Seine 
Majeftät endlich die Unfchuld feiner verfolgten Unterthanen erfennen, 
und daß es Der Welt befannt werben möge, daß daß diefen zugefügte 
Unreht vielmehr von fchlimmen Rathgebern, als von dem Könige 
felber fomme *). 

Der Plan für den Feldzug war, zu gleicher Zeit an drei verfchies 
denen Stellen in das Land einzubrehen, um die Aufmerffamfeit bes 
Herzogs irre zu führen und womöglich einen allgemeinen Aufitand 


—— 
— — u. 


) Die „‚Justification‘‘ ift fehr häufig der Feder des gelchrten Languet, der mit 
Wilhelm fehr vertraut und befanntlich damals bei ihm war, zugelchrieben worden. 
Aber, wie Groen vermuthet, macht Wilgelm’s Uebung im Schreiben es wahrfchein- 
ih, Laß er die Ausarbeitung eines ſolchen Schriftftüds Feinem Andern anvertraute, 
fondern ſelbſt Hand an's Werk legte. Höchft wahricheinlich unterbreitete er. feine 
eigne Arbeit dem Languet zur Durchficht, meil ihm der politifche Scharffinn deſſelben 
wohl befannt war. Und höchftens laͤßt fich dies billigermaßen aus der Nachricht des 
Languet felbft ſchließen: „„Fui Dillemburgi per duodecim et tredicim dies, ubi Prin- 
ceps Orangise mihi et aliguot aliis curavit prolixe explicari causas et initia tumul- 
taum in inferiore Germania et suam responsionem ad accusationes Albani.‘‘ &6 
ging mit der ‚‚Justification‘‘ des Bringen, wie mit Waſhington's,, Farewell Address, ‘* 
die zwar fo oft Anderen zugefchrieben worden ift, aber — wie viel auch Andere durch 
guten Rat und durch Verbeflerungen dazu beigetragen haben mögen — doch auf 
feder Seite die unzweideutigften Kennzeichen feiner Echtheit trägt. 

Die „‚Justiflcation‘‘ rief von der Gegenpartei mehrere Entgegnungen hervor. 
Darunter waren zwei von Vargas und Del Rio. Mflein nach der Meinung des 
Biglius, der ficherlich nicht parteiiſch für Wilhelm war, waren diefe Antworten vers 
fehlt. Eiche feinen Brief an Hopper (Epist. ad Hopperum, p. 458). ine volls 
Räntige Erörterung des Gegenſtandes wird der Lefer bei Groen in dem Archiv des 
Haufes OraniensRaffau, Band 3, ©. 187 finden. 


6A Drikies Kapitel. 


hersorzurufen. Gin hugenottiſches Korps ſollte unter ber Zeitung eines 
Abenteurers Namens Cocqueville gegen Artois operirm. DHoogfraten 
ſollte mit dem Herrn von Villers und andern verbannten Adeligen 
durch Brabant in einer mittlern Richtung in das Innere des Landes 
eindringen. Unterdeſſen hatten Wilhelm's Brüder, die Grafen Louis 
und Adolph, bie ein theils aus Flamaͤndern, theils aus Deutſchen zu⸗ 
ſammengeſetztes Heer befehligten, den Krieg über die noͤrdlichen Pro⸗ 
vinzen nach Groͤningen zu tragen. Der Prinz ſelbſt ſchlug ſein Haupt⸗ 
quartier in der Naͤhe von Cleve auf; er ſuchte ein neues Heer aufzubringen, 
um noöthigenfalls die eine ober andere der drei Hecresabtheilungen zu 
unterftügen. 

Erft Ende April rüdten Hoogftraten und Louis in's Feld. Die 
Hugenotten famen noch fpäter, während Wilhelm auf Hinderniſſe 
ftieß, die die Bildung feines eignen Korps beträchtlich verzögerten. 
Das Haupthinderniß, welches von vornherein die Unternehmung ſchei⸗ 
tern zu machen drohte, war der Geldmangel. Diefer machte fich ebenfo 
fühlbar bei der Werbung von Truppen, wie bei der Einichärfung ber 
Disciplin nad) erfolgter Werbung. In diefer Beziehung fchreibt Wil; 
helm an feinen Sreund, den „weiſen“ Landgrafen von Heflen: „Wenn 
Sie irgend welche Breundfchaft gegen mic) hegen, bitte ich Sie, mir 
privatim eine genügende Summe vorzuftreden, damit ich den erften 
Monat den Truppen ihren Sold bezahlen fann. Außerdem bin ich in 
Gefahr, meine Verpflichtungen nicht einzuhalten, was für mic) ſchlim— 
mer ald der Tod ift, ganz abgeiehen von dem Nadıtheile, den ein 
ſolchet Bankrott unferer Ehre und unferer Sache bringen muß.“ In 
ber Laufbahn bes Prinzen von Oranien werben wir fortwährend an 
bie Berlegenheiten unferes Waſhington's während der Nevolutiongzeit, 
und an bie Geduld und Ausdauer, womit er diefelben überwand, 
erinnert. | 

Bon ziveien der Unternehmungen brauche ich wenig zu fagen, 
denn fie fcheiterten. Hoogftraten hatte faum gegen dad Ende April 
die Graͤnze uͤberſchritten, als Alva's zuverläffiger Lieutenant Sancho 
Davila auf ihn ſtieß und ihn mit beträchtlichem Verluſte ſchlug. Vil— 
lers und einige andere aufrührerifche Herrn wurden zu Gefangenen ge 
macht. Sie entgingen bloß dem Schwerte des Feindes im Felde, um 





Die Gyerdlensragiezung. 65 


bush dasienige dad Schacfrichters in Pryſſel zu fallm. Hoogſttaten 
ſuchte mit dem Lcheursfte des Hosted ſein Heil in der Flucht umd bes 
wertießligte feine Bereinigung mit dem Prinzen von Oranien. 

Noch übler erging ed dem Cocqueyille. Gegen ihn wurde von 
Karl dem Reunten, bee auf dieſe Weile den ihm unlaͤngſt vom Herzog 
Alva geleiteten gleichen Dienft vergalt, eine Abtheifung franzölifcher 
Truppen geichict. Wei der Annäherung ihrer Landsleute ſtreckten Die 
Hugemotten. feig die Waffen. Cocqueville und feine vornehmften Dis 
figiere wurden umringt, zu Gefangenen gemacht und endeten ſchimpflich 
auf dem Schaffet. 

Die Unternehmung Ludwig's von Raſſau hatte einen befleren 
Erfeig. Doch gerieth er, nachdem er in Oröningen eingedrungen war, 
in die peinlichfte Berlogenheit wegen des meuterifchen Geiſtes feiner 
deutſchen Soͤldlinge. Die Provinz wurbe von ihrem Gouverneur, dein 
Grafen Aremberg, vertheidigt. Derfelbe war ein alter Offizier und 
hatte die Kriegsfunft unter Karl dem Hünften ftubirt; er zählte zu jenen 
mußterhaften Kavalieren, an denen fich eine jüngere Generation eifrig 
zu bilden pflegt. Er hatte verichiedene ausgezeichnete Stellen befleidet, 
und cd gab am brüfieler Hofe mır wenige Männer, die ſowohl unter 
Bhilipp als unter feinem Bater eine größere Achtung genoflen. Die 
Hauptftärfe feined Heered lag in der fpanifchen Infanterie. Seine 
Kavallerie war zwar ungenngend, doch follte fie naͤchſtens durch eine 
Adtheilung Reiterei unter dem Grafen Megen, ber bloß nody einen 
Tagmarſch von ihm entfernt war, verflärft werben. 

Als Aremberg ſchon nach Kurzem Louis’ anfichtig wurde, war 
dieſer nicht ſowohl wegen der Nähe des Feindes, ald wegen des unor⸗ 
dentlihen Betragens jeiner deutſchen, ihren Sold verlangenden Sol 
daten bange. Indem Louis feiner Leute nicht ficher war, lehnte er es 
sb, ſich mit einem Feinde, der ihm, mit Ausnahme der Zahl, fonft in 
jeder Hinficht überlegen war, in eine Schlacht einzulafien. Deßhalb 
nahm er eine ungewöhnlich flarfe Stellung ein, die ihm tie Beichafs 
fenheit des Bodens glüdlicherweife an die Hand gab. Geſchuͤtzt von 
einem biden Walde‘, lag in feinem Rüden das Klofter Heyligerler, 
welches der Schlacht den Ramen gab. Bor ihm lief der Boden ab« 


ſchuſſig einem ausgebehnten Morafte zu. Seine Infanterie war auf 
Sretcort, Geſq. Philipps I. II. 5 








66 Drities Kapitel, 


der Linken vor dem feindlichen Feuer theilweife durch einen Berg ge: 
borgen. Auf die Rechte ſtellte er unter feinem Bruder Adolph die Kas 
. vallerie, die dem Feinde, falls er fo fühn wäre, fich auf eine Schlacht 
einzulaſſen, in die Slanfe fallen follte. 

Allein Graf Aremberg Fannte die Hinderniffe des Bodens zu gut, 
als daß er ein Treffen gewagt hätte. Wenigſtens wollte er erit bie 
Berftärfung unter Graf Megen abwarten. Aber unylüdlicherweife 
verachtete die an Siege gewoͤhnte fpaniiche Infanterie die ihr gegen» 
überftehenven undisciplinirten Refruten und verlangte laut, gegen bie 
Ketzer geführt zu werden. Vergebens beftand ihr Elügerer General auf 
feinem Plane. Sie fchalt über das Verfchieben und verweigerte einem 
flamändifchen Befehlähaber den Reſpekt, den fie wahricheinlich einem 
ihrer eigenen Landoleute bewieſen haben würde. Cie flagte ihn offen 
der Verrätherei und des Einverftändniffes mit feinen Landeleuten im 
feindlichen Lager an. 

Da Aremberg fid) von ihren Bormwürfen verlegt fühlte, that er, 
wad mehr denn ein tapferer Mann zuvor und feitbem getban haben: er 
opferte fein eigenes Urtheil vem fürmifchen Verlangen feiner Soltaten. 
Indem er audrief, daß fie bald fehen follten, ob er ein VBerräther wäre, 
ftellte er fi) an die Spige feines Fleinen Heeres und marjchirte gegen 
ben Feind. Unterdefien eröffnete feine auf ber rechten Seite ftehende 
Artillerie ein lebhaftes Feuer auf Louis’ linfen Blügel, ohne jedoch — 
wegen ber Beichaffenheit ded Bodend — viel Schaden anzurichten. 

Gedeckt durch dieſes Feuer, rüdte der Hauptkörper der fpanifchen 
Infanterie vorwärts. Allein fchon bald blieben, wie der Befehlshaber 
vorhergefehen hatte, die Leute im Morafte fteden; ihre Reihen geriethen 
in Unordnung, und ale fie endlich nach langen peinlichen Anftrenguns 
gen wieder feften Grund unter die Füße befamen, waren fle ermübdeter, 
als nad) einem ftarfen Tagemarſch. Alfo ermattet und in jo traurigem 
Aufzuge wurden fie plöglid) vorn von einem Feinde angegriffen, der 
im Bewußtfein feined Vortheils noch ganz frifdy war und vor Kampf 
luft brannte. Ungeachtet ihrer üblen Lage hielten’ die Soldaten Arem⸗ 
berg's doch auf einige Zeit Stand, gleich Männern, die nicht gewohnt 
find, gefchlagen zu werden. Da beorberte Louis endlich die Kavallerie, 
auf der Rechten in Aremberg's Flanke einzubauen. Diefe unerwartete 


Die Echredeupregierung. 67 


Beregung in einem fritifchen Augenblide entfchieb den Tag. In ter 
Fronte und auf der Flanke angegriffen und von dem im Rüden befind⸗ 
lichen Moraſte eingeichloflen,, gerietben die Spanier in die Außerfte 
Verwirrung. Ihr tapferer Führer, der in Gefahr Etich hielt, obſchon 
er nicht gegen die Borwürfe feiner Leute Etand gehalten hatte, fuchte 
fe vergebene wieter zu fammeln. Unter ihm wurde das Pferd ge 
tödtet, und als er ein anderes befteigen wollte , erhielt er von einem 
Bußgänger einen Schuß, fo daß er töbtlicdy verwundet aus dem Sattel 
fiel”). Icgt wurde das Flüchten allgemein. Einige eilten dem Morafte 
zu und fielen den Siegern in die Hände. Andern gelang ed, nachdem 
die größere Anzahl ihrer Kameraden das Leben bei dieſem Verſuche 
verloren batte, fich einen Weg durch die Feinde zu bahnen. Der Bos 
den war mit VBermunteten und Todten bedeckt. Der Eieg war volls 
ffänvig. 

Sechzehnhundert Feinde blicben tott auf dieſem unheilvollen 
Felde Der Phantaſie der rachedurſtigen Verbannten fonnte Dies ges 
wiflermaßen tie blutige Xifle der von dem erbarınungslofen Herzoge 
zur Rechenfchaft geforderten Schlachtopfer aufzumirgen fcheinen. Neun 
Etüde Artillerie nebft einer großen Menge Munitione: und fonftiger 
Kriegsvorräche, ein dein Aremberg angehöriges reiched Tafelgedeck und 
eine beteutente Summe Geldes, die er neulich zur Bezahlung der 
Rückſtaͤnde der Soldaten erhalten hatte, fielen in die Hände der Parrio- 
im. Doch der fehmerzlichfie Verluſt, der den Spaniern zugefügt 
wurde, war der Tod ihres tapfern Befehlöhabere. Sein von Wunden 
entftellter Leichnam wurde unter einem Haufen Gefallener an ben ihm 
um den Hals hängenden Infignien bed goldenen Vließes, die Louis 


— — * — — 


) Brantome hat uns das Portrait dieſes Hamändifchen Edelmannes geliefert. 
& lernte ihn zu Paris kennen, als derſelbe dahin zur Unterſtuͤtzung des franzoͤſtſchen 
Monarchen von Alva abgeſchickt worden war. Der ritterliche alte Schriftſteller hebt 
die perfönliche Erſcheinung Aremberg’s , feine edlen Züge und hochgebildete Höflichs 
keit, die ihn zu einem Liebling der Hoftamen machte, hervor. „Un tres beau et très 
agrdable seigneur, surtout de fort grande et haute taille et detres belleapparence.** 
(Oeurres, tume I, p. 383.) Auch vergißt er nicht, unter andern Vorzügen die Ge 
läufigfeit, womit Aremberg franzöfifch und einige andere Sprachen fprach, zu ers 
wähnen. Ebend., S. 384. 

5#* 


68 Ä Orines Kapitel. 


feinem Bruder als ein ſtolzes Stegedzeichen uͤberſandte, erkannt. Do 
ein trauriged @reigniß trüßte die rende der Sieger: der Tod bei 
Brafen Adolph von Naffau. Letzterer fiel tapfer fechten® an ber Spihe 
feiner Truppen als eine® der erfien Opfer in dem Revolutionskriege. 
Er war ein jüngerer Bruder Wilhelm's, und erſt ſiebenundzwanzig 
Jahre alt. Aber er hatte ſchon jene beidenmüthigen Eigenfchaften bes 
wiefen, welche zeigten, daß er des edlen Geſchlechtes, aus deiner ftammte, 
wärdig fit). 

Die Schlacht fiel am dreiundzwanzigften Mai 1568 vor. Am 
folgenden Tage langte Graf Megen mit einer Verftärfung an. Er 
kam zwar zu fpät, um den Sieg ficher zu ſtellen, aber nidyt, um bie 
Früchte deffelben ven Eiegern zu entreißen. Durdy eine reißend ſchnelle 
Bewegung gelang es ihm, fich in die Stadt Gröningen zu werfen und 
auf dieſe Weife zu verhüten, daß Liefer wichtige Blag in die Hänte der 
Patrioten fiel, 

Die Nachricht von der Schlacht bei Heyligerlee rief im ganzen 
Bunde eine große Aufregung hervor. Während fie die Hoffnung der 
Unzufriedenen erſtarkte, erfüllte fie den Herzog von Alva mit Ent 
- rüftung. Derſelbe war um fo Ärgerlicher, weil er fah, daß der Verluſt 
der Schlacht hauptfächlich dem uͤblen Betragen feiner eigenen Soldaten 
zugeichrieben werden mußte. Er erkannte mit Schreden, weiche un 
heilvolle Wirfung ein fo glängender Eieg der Rebellen gfeich im An⸗ 
fange ihres Kampfes wahrfcheinlich hervorbringen werde. Die Fühnen 
Männer Frieslands würden fi zur Erringung ihrer Unabhängigfeit 
erheben, und wahrfcheinlich würbe ber Prinz von Oranien mit feinen 
beutfchen Angeworbenen nun zu feinem fiegreichen Bruder flogen, fo 
daß er mit Hülfe der Einwohner im Stande fein werte, irgend einer 
Macht, die Alva aufbringen fonnte, wirffam die Spige zu bieten. 
Das war eine wichtige Krifis, die ein ſchnelles, entichiedened Handeln 
erforderte. Deßhalb befchloß der Herzog mit feiner gewöhnlichen 


) Gewoͤhnlich berichten die Gehchichtöfchreiber , daß Adolph ımd Aremberg im 
dichten Handgemenge auf einander fließen, und daß einer den andern tödtete. Siehe 
Cornejo, Disension de Flandes, Fol. 68; Strada, De BeHlo Belgico, tom, I, p. 382; 
et al. Gin fo romantifches Zufammentreffen fand in einem fo romantifchen Zeits 
alter leicht Glauben. 








Die . U) 


Energie, bier beinen Vertreter zu gehramchen, fanbern die Sqchen ſelbſt 
in die Haud zu nehmen, feine Macht zu Eomzentriren und in eiguer 
Berfon gegen ben Feind zu marſchiren. 

Dody hielt er, ehe er den Feldzug begann, für nochwendig, erß 
einige Sachen auszumachen, und wäre ed auch nur wegen bes Ein⸗ 
fies, den dies auf tie Öffentliche Seimmaung ausüben würde. Des 
achtundzwanzigften Mai wurde über den ‘Prinzen von Oranien, ſeinen 
Bruver Louis und ihre adeligen Begleiter das Urtel geſprochen. Sie 
wurden im contumaciam für ſchuldig erflärt, der Berfatung des Rathes 
wicht Folge geleiftet und gegen den König Krieg erzegt zu haben. Des⸗ 
halb wurden fie zu lebenslänglicher Berbaunung verurcheilt und ihre 
Bürer als der Krone verfallen erklärt. Das Urtel war vom Herzog 
Alva unterzeichnet. Wilhelm’s Güter waren bereito fequeftrirt worben, 
und in feiner Stabt Breba lag eine Abtheilung fpanifcher Truppen. 

Eine andere Handlung ganz eigenthuͤmlicher Art verrteth ziemlich 
Far die Beftunungen der Reglerang. Der Herzog lich nämlid das 
Eulembosg’ide Hotel, we feit der Abreife der Regentin feine beftäntige 
Wohnung geweſen war, umd wo die Geuſen bei ihrer Ankunft in 
Brüſſel ihre Berfammlungen gehalten hatten, ver Erbe gleich machen, 
Auf dem Plage wurde eine Marmorſäule errichtet, die an jeder Seite 
ihrer Baſts die folgende Infchrift enthielt: „Hier land einft der Palaf 
Slorence Ballant” (Name des Grafen Eulemborg); „er iſt jetzt ber 
Erde glei gemacht wegen ber darin gegen bie Religion, bie roͤmiſch⸗ 
tatholiiche Kirche, des Könige Majeftät und das Land angezettelten 
Verſchwoͤrung ).“ Jedenfalls wollte Alva durch diefe Handlung der 
Welt nicht fowohl feinen Abfcheu vor der Verſchwoͤrung — denu dies 
wäre überflüflig geweien — als vielmehr feinen Entichluß, Daß er den 
dabei Betheiligten keine Gnade erweiſen weilte, zeigen. Auch ſpricht 
er mehr als einmat in jeinen Briefen von den Unserzeichnern des Kom⸗ 
promifies ald won Menſchen, Die ſich ſelbſt außerhatb des Bereiche der 
Gnade geftellt hätten. 


*) Das wegen feines Zufammenhanges mit ten erfien Berfammlungen der 
Geuſen fo merkwürdige Hotel Culemborg war nicht lange im Beflge des Grafen 
Eateniborg geweſen, ſondern ee von han 1556 gefauft worden: Bo Rand auf dem 
Pisce de Pait Sablon. 


70 Drities Kapitel. 


Aber alle diefe Alte waren nur das Borfpiel zu dem betrübenben 
Trauerſpiele, welches ſchon bald vor ſich gehen follte. Seit der Ber- 
haftung der Orafen Egmont und Hoorme waren beinahe neun Monate 
verflofien. Während biefer ganzen Zeit waren fie unter einer ſtarken 
Bewachung in dem Genter Schloffe ald Staatögefangene gehalten 
worden. Ihre Uinterfuchung war in einer bedächtigen, ja verfchleppen- 
den Weiſe geführt werden, fo daß dadurch bei ihren Freunden bie 
Heffnung auf einen günftigen Ausgang genährt worden war. Alva 
beſchloß jegt, Lie Unterfuchung zu fchließen, das Todesurtheil über die 
beiden Herren auszufprechen und baffelbe vor feiner Abreije zum Feld⸗ 
zuge vollfireden zu laffen. 

Umſonſt fellten ihm einige feiner Rarbgeber das Unkluge eines 
foldyen Schrities vor, wenn er m einer Krifid, wie der gegenwärtigen, 
tie Gefühle der Ration, bei weldyer namentlich Egmont jo belicht war, 
verlegte. Vergeblich machten fie geltend , taß die beiden Edlen ald 
Geiſeln für da6 gute Betragen des Volfes während feiner Abweſenheit 
dienen würten, weil jeder TZumult nur zur Beichleunigung des Geſchicks 
der Sefangenen beitragen müßte. Sei es, dag Alva befürdtete, daß 
die von verfchiedenen Seiten einlaufenden Bittgefuche bei feinem Herrn 
Wirfung haben fönnten ; oder fei es, daß er, was wahricheinlicher iſt, 
beforgte, ein Tumult möge während feiner Abweienheit den Gefangenen 
die Kerker öffnen: — er war entſchloſſen, auf ver Stelle zu ihrer Hins 
richtung zu fchreiten. Sein Rachedurſt vermehrte ich vieleicht noch 
durch den Aerger über das unlängft erlittene Waffenunglück, und er 
fühlte, dag ein Streich, wie der gegenwärtige, am wirfjamften fein 
würde, um die Arroganz der Ration herabzuſtimmen. 

Es gab noch einige andere Gefangene von geringerem Range, 
aber von nicht geringem Anfehn, über die nody zu verfügen war. Ihre 
Hinrichtung follte die öffenttihe Meinımg auf die fepte Scene Ted 
Drama’8 vorbereiten. Reunzehn Männer nämlidy faßen damals im 
Schloſſe Bilooorde, einer fehr ftarfen Feſtung, zwei Etunden von 
Brüffel, gefangen. Sie waren meiftend vornehme Leute und größtens 
theils Mitglieder der Union. Fuͤr diefe legteren war feine Gnade vors 
handen. Ihre Unterfuchungen waren jegt geichloflen und fie warteten 
auf ihr Urtel. Am neumundzwanzigfin Mai, einem Tage, wo ba6 


Die Gewedhensrgiegung. 71 


Blutgericht ungemein thaͤtig geweſen zu fein fcheint,, wurden fie ohne 
Ausnahme zum Tode durch's Schwert verurtheilt, während ihre Güter 
von Staatswegen eingezogen werben follten. 

Den erfien Juni langten fie in Brüſſel an, wohin fie unter der 
Bededung von neun Kothpagnien fpanifcher Infanterie gebracht worden 
waren. Sie wurden hier auf den großen freien Plag den Rathhaufe 
gegenüber geführt, und während die Trommeln bie Herumſtehenden 
darın verhinderten , ihre legten Worte zu hören, ichlug ihnen das 
Schwert des Scharfrichterd die Köpfe ab. Achten, die im roͤmiſch⸗ 
fatbolifchen Glauben geſtorben waren, wurde gnäbig ein chriftliches 
Begräbnig nad) Eatholifchem Ritus zugeftanden. Die Köpfe der übris 
gen elf wurden auf Pfähle geftedt, und ihre Körper blieben, wie die⸗ 
jemigen der niedrigften Verbrecher, am Balgen hängen, um dort zu 
verfaulen ®). 

Den zweiten Juni endeten noch zehn bis zwölf andere, darunter 
angeiehene Leute, am nämlichen Platze in Brüffel auf dem Echaffot, 
Unter ihnen war Billerd, der Begleiter Hoogftraten’8 auf der unglüde 
lichen Erpedition nach Brabant , bei welcdyer derfelbe gefangen genoms 
men worden war. Während feiner Gefangenſchaft hatte er den Alva 
einige Aufichlüfe über die Maßregeln Oranien's und der Partei deffels 
ben gegeben, io daß er hätte Nachlicht erwarten dürfen. Allein er hate 
den Kompromiß unterzeichnet. 

Den folgenden Tag wurden fünf andere Schlachtopfer innerhalb 


— — — — m 


*) Der tritte Band der Archives de la maison d’Orange-Nassau enthält die Er⸗ 
YAblung diefer Hinribtung von einem Augenzeugen, einem Kuriere Alva'e, ber 
Brüflel einen Tag nach dem Ereigniß verließ und unterwegs von den Patrioten abs 
gelangen wurte. Ban fann fi das Interefle denken, womit Wilhelm und feine 
Freunte die Erzählung der Tragödie anhörten, und darf Rh vorflellen, welche Angſt 
He nm das Schickſal ihrer Übrigen Freunde — namentlich um Egmont und Hoorne „ 
über welchen das Schwert des Nachrichters an einem Faden hing, empfunden haben 
möflen. Wir dürfen wohl die Nachricht von der Niedergefchlagenheit in Brüflel 
glauben. Il affirıne que c’estoit une chose de l’auıre monde, le crys, lamentation 
et juste eompession qu’avoient tous ceux de la ville du dit Bruxelles, nobles et 
igaobles, pour ceste harhare tyrunnie, mais que nonobstant, ce cestay Nero d’Alve 
se vante en ferat ie semblable de tous ceulz quy potra avoir en mains.““ ©. 341, 


da vung Dep. 


ber Mauern von Vilvoorde, wo fit Tange gefaugen yefeffen hatten, zut 
Hinrichtung geführt. Einer von im, Eafembröt, Herr von Barker 
zeele, Egmont’6 vertrauter Gefretär, kann von Imteteffe für und ſein. 
Dieſet umglinttiäye Herr war meßtmäls, damit er dem Eymeni nach⸗ 
heilige Enthüfungen machen ſoine, auf die Folter gefpammt worden. 
Mer feine Feſtigkeit erwied ſtch als Märfer, denn die Braufamfeit feiner 
VPeiniger. Er follte jeht feine Leiden mit einem ſchimpflichen Tode bes 
fließen; doch war berfefbe infofern glücklich für ihn, als er es ihm 
erfparte , Zeuge von dem Geſchicke feines geliebten Gern zu fein). 
Go beſchaffen waren die düſtern Scenen, melde bir große Kataftropht 
am fünften Inni einleiteten. 


*) Bern wir Bentivoglio glauben türfen, wart Baderzeeie von Rierden 
jerrifien. Da quattro cavalli fa smembrato vivo in Brusselles il Caseınbrot giä se- 
gretario dell’Agamonte.‘‘ (Guerra di Fiandra, p. 200.) Aber fo hart und unbe 
denflich Ava auch Bei der Ausführung feiner Pläne geweſen frin mag, fo redhtfertigt 
fein Sharafier doch no& wicht die Bnfıhufkigung rüncs Altes fo uumüger Grauſan⸗ 
teit, wie viefer geweſen fein würde. Glüdllichermeiie Acht tiefe Hemblung durch fein 
gefchichtliches Zeugniß feh. Dean mar jintet feine Grmwäbnung davon in Strata, 
ober WReieren, oder dem Berfafler der Guerres Civiles des Pays-Bas; von ten übrigen 
damaligen Geſchichtsſchreibern, tenen man feine allzu große Parteilichkeit für Die 
Epanier Schuld geben fann, ganz za fdweigen. Wäre eine ſe unmenichfige Hand 
lung vorgefallen, fo müßte es in der That für femderbar angeieben werten, daß ft 
da dem Berpidmilie der von dem Pringen von Dranien bem Niva Shulh gegebenen 
Serbrechen weggeblichen wäre. Siche beſenders feinen in einem Anfall von Kum- 
mer und Geirüßung an Schwendi gerichteten Briei, ten er, furz nachdem er dit 
Hinrichtung feiner Freunte erfahren harte, fchrieb. Archives de la maison d’Orange- 
Nassau, tome III, p. 244. 


Biertes Kapitel. Die Peſeſſe Opihont’s und Hoorne's. 33 


biertes Sapitel. 
Die Prozeſſe Egmont's und Hoorne's. 


Das Berhör. — Verwendungen für fie. — Die Spezifizirung der Anſchuldigun⸗ 
gen. — Das Toderurcheil. — Ueberſicht der Krozeſſe | 
1568. 


Seitdem die Grafen Egmont und Hoorne in die ftarfe Citadelle 
von Gent eingeferfert wurben, waren jegt neun Monate verflofien. 
Während ihrer Haftzeit wurde ihnen nicht einmal eine fo gute Be⸗ 
handlung zu Theil, wie gewöhnlichen Etantögefangenen. Cie durfs 
ten im Schloffe nicht freie Luft fchöpfen und waren an allem Verkehr 
mit den Bliedern ihrer Familie verhindert. Ferner hatte fie die Seques 
fration ihres Eigenthums gleich nach ihrer Verhaftung in eine fo große 
Armuth verfept, daß fle ohne die Unterftügung ihrer Freunde die ger 
wöhnlichen Betürfniffe bed Lebens nicht würden haben befriedigen 
fönnen *). 

Während dieſer Zeit hatten ihre Feinde nicht die Hände in den 
Schooß gelegt. Wir fahen, daß bei der Verhaftung der beiden Edlen 
auch ihre Sefretäre verhaftet und ihre Rapiere in Befchlag genommen 
wurden. „Backerzeele,“ fchreibt der Herzog von Alva an Philipp 
„madyt in Bezug auf feinen Herrn, den Brafen Egmont, taͤglich Enthuͤl⸗ 
lungen. Wenn er erft auf die Zortur gebracht werden wird, kann man 
von ihm in diefer Beziehung Wunder enzarten!” Aber Alles, was 
man aus dem unglücklichen Manne herauspreßte, war die dunkle Ans 
gabe eined Platzes, wo Egmont einen Theil feiner Habfeligfeiten ver 
borgen hatte. Nachdem die Spanier den Boden un das Genter Schloß 
berum nach jeder Richtung Yin durdmenihlt Hatten, gelang eo ihnen, 
Hf Koffer mit Taſelgeſchter, einige Safer Juwelen und andere koſtbare 





*) Der die helländifde Geſchichtoſchreiber Bor, ver -Diefe Breignifie erlebte, 
Rt, 205 ‚‚Hoorme im Gefängniile aus Mangel au Grid Hungers geſtorben ſein 
7. wofern ihn nid fee Schwieger mtter, die Gräfin Witte, miceſtuͤq 

e.“ 








36 

Direft vefwegen an Pälliyp mu Dasın üle,, ex muöge meit Dem beiden 
Bieligen gemäß der Starcten des Ordens verfahren. Warimilien 
a nr gteidyen Juhetıb, und fudhte, indem cr bie glänges 


7 verlafſene Lage der Gräfin un Iyrer Kinder zu erregen. 

Aber nit alien Uuslänter verwandten fü) für Die gefangemn 
Deren. Auch Manofeld, ver treuefie Umerthan Philipp's in ben Nie 
derlanten, fichte feinen Souwerain an: rechto⸗ und vernunftgemäß iu 
der Sache zu verfahren. Der Graf Barlaimont, ber fid, bei allen 
Gelegenheiten als nicht minter treugefinnt erwiefen hatte, befand ſich 
fegt,, indem er ſowohl ein Ritter des Urtens ald cin Mitglied des 
Katiö der Unruhen war, in einer großen Berlegenheit. Gr ſchrich 
defwegen am Philipp, indem er Erin Majeßät erfncke, übe ber 
Rothwendigkeit zu entheben, daß er ennweder als cin umgeherfamer 
Unterthan handein oder ih die Vorwürſt jeimer Orbenöhrüber zw 
sichen müßte. 

Noch bemerfenöwerther IR die Verwendung Oranvellcd. Der 
felbe vergaß feine Abberufung als Miniſter, woran Egmom vielleicht 
ebenſo viel wie jeder Andere Schuld geweien war, unb fam cbeimüthig 
mit einem Bittgefuche für feinen alten Feind ein. Er fichte Philipp 
um Milde an, weil diefe fidy für einen großen Yürften befler gezieme, 
als Strenge. Er erinnerte an tie guten Handlungen des Grafen und 
erflärte, wenn derfelbe fpäter auf Abwege geführt worden fei, fo wär 
Died cher Andern, ale ibm felbR zur Laſt zu fegen. Allein, wenw 
gleid, der Karbinal mehrmals in diefem Einne an ven König fehrieb, 
fo war «6 tod) nun ſchon zu fpät: denn er fonnte den Eindruck feiner 
frühern Briefe, werin er Egmont angeflagt hatte, daß er an den body 
verrätherifchen Plänen det Prinzen von Dranim Antbheil habe, nicht 
mehr verwifchen. Wir wir jahen, hatte dir Regentin dem Egmont ein 
mal völlig Ir Zutrauen entzogen, und bie von ihe bin und wieder an 
Philipp geſchicten Berichte hatten den Gindrud der Grumvelle ſchen 
Briefe noch erhöht. Alfe war die Schuld Egmont’s im der BRrinung 
des Könige eine fo ausgemachte Sad, daß zur Zeit, we Alva bi 
Regierung in den Niederlanden erhielt, Egmont hoöͤchſt wahrſcheinlich 
ſchon zum Gühnepfer für bie SGünten der Nation bezeichnet war. 


Die Prozeſſe Agnont'e und Hoorne's. 77 


Deshalb Hatten die gegenwaͤrtig angewandien Argumente und Pittge⸗ 
ſache, die Philipp von feinem Vorhaben abbringen foliten, feine an« 
dere Wirfung, ald daß fie ihn zum jchnelleren Handeln antrieben, 
Zudem er fi von unbequemen Beflürmungen zu befreien wünfchte, 
befahl er dem Alva, die Unterfuchung zu beichleunigen, und fügte 
hinzu , daß Alles fo far gemacht werden würde, daß bie Welt, deren 
Blicke jept auf dieſen Prozeß gelenft wären, von ber Gerechtigkeit deſ⸗ 
ſelben überzeugt werden ſollte. 

Noch vor Ende Dezember hatte der Kronanwalt Du Bois die 
Unflageartifel gegen Egmont ausgearbeitet. Sie beliefen ſich auf 
nicht weniger als neunzig, und einige Davon waren jehr lang. Sie 
gründeten fich hauptfächlich auf die aus dem perfönlichen Verhör ge⸗ 
wennene Evidenz, die durch die anderwärts erhaltene Information 
noch aeftüßt wurde. Der erfte Artikel, welchen man in der That als 
den Schlüffel zu allen übrigen anfehen kann, befchuldigte Egmont, 
daß er mit Wilhelm von Oranicn und den andern verbannten Herren 
fonfpirirt habe, um die ſpaniſche Herrſchaft abzufchütteln und die Res 
gierung unter fich zu theilen. Aus vielem Grunde habe er den treuen 
Granvelle befämpft, die Gewalten der verichiedenen Räthe in eine eins 
zige zu konzentriren gefucht, der Inquifition Widerſtand geleiftet, die 
Beriammiuug der Scneralftaaten betrieben, kurz, er habe, fo viel ald 
möglid) in jedem einzelnen Sal, die Abjichten des Königs zu vereiteln 
gefucht. Berner wurde er angeflagt, daß er die Seftirer erinuthigt 
babe. Er habe ſich nicht nur geweigert, die zur Unterdrüdung ihser 
Gemwaltthätigfeiten geforderte Hülfe zu leiften,, fontern auch wieder⸗ 
bolt ihren Berfammliungen beigewohnt und ihnen die Ausübung ihrer 
seligiöjen Gebräuche erlaubt. Egmont war ein zu guter Katholif, 


als daß man jeinen eignen Glauben hätte in Zweifel ziehen fönnen, - 


Man nahm bloß an, daß er die Partet der zeligiöien Reform wegen 
threr Berbindung mit den polttifchen Bewegungen des Landes begüns 
Rigt Habe. Zulegt ward ihm Schuld gegeben, daß er die Berbins 
dungen des Adels nicht allein befördert, fondern nebſt dem Prinzen 
von Oranien und Genoſſen den urfprünglichen Plan dazu entworfen 
babe. Es bewies feine Geneigtheit für die Ligue, daß er mehrere 
Mitglieder feines Haushalts in feinem Dienſte behalten habe, nach⸗ 


68 Ä Dritten Kapkrl. 


feinem Bender als ein ſtolzes Stegeszeichen überſandte, erkannt. Do 
ein trauriged @reignig trüßte die rende der Sieger: der Tod des 
Srafen Adolph von Raffau. Lepterer fiel tapfer fechtend an der Spihe 
feiner Truppen als eines der erfien Opfer in dem Rexolutiondfriege. 
Er War ein jüngerer Bruder Wilhelm's, und erſt fiehenunbavanzig 
Fahre alt. Aber er hatte fchon jene heldenmuͤthigen Eigenfchaften bes 
wiefen, welche zeigten, daß er des edlen Geſchlechtes, aus dem er ſtammte, 
würdig fel®). | 

Die Schlacht fiel am dreiundzwanzigften Mai 1568 vor. Am 
folgenden Tage langte Graf Megen mit einer Berflärfung an. Er 
kam zwar zu fpät, um den Sieg ficher zu ftellen, aber nicht, um bie 
Früchte deffelben den Eiegern zu entreißen. Durch eine reißend ſchnelle 
Bervegung gelang es ihm, fich in die Stadt Gröningen zu werfen und 
auf dieſe Weife zu verhüten, daß tiefer wichtige Plag in die Hände der 
Patrioten fiel. 

Die Nachricht von der Schlacht bei Heyligerlee rief im ganzem 
Bunde eine große Aufregung hervor. Während fie die Hoffnung ber 
Unzufriedenen erftarfte,, erfüllte fie den Herzog von Alva mit Ents 
- rüfung. Derſelbe war um fo Ärgerlicher, weil er ſah, daß der Berfluft 
der Schlacht Huauptfächlich dem uͤblen Betragen feiner eigenen Soldaten 
zugeichrieben werden mußte. Er erkannte mit Schreden, welche uns 
heilvolle Wirfung ein fo glänzender Eieg der Rebellen gleich im An⸗ 
fange ihres Kampfes wahrfcheinlich hervorbringen werde. Die Fühnen 
Männer Frieslande würden fi zur Erringung ihrer Unabhängigkeit 
erheben, und wahrfcheinlich würde der Prinz von Dranien mit jeinen 
beutfchen Angeworbenen nun zu feinem flegreichen Bruder Roßen , fo 
daß er mit Hülfe der Einwohner im Stande fein werte, irgend einer 
Macht, die Alva aufbringen fonnte, wirkſam die Spige zu bieten. 
Das mar eine wichtige Kriſts, die ein ſchnelles, entſchiedenes Handeln 
erforderte. Deßhalb befchloß der Herzog mit feiner gewöhnlichen 


) Gewoͤhnlich berichten die Gefchichtefchreiber , daß Adolph ımd Aremberg im 
dichten Handgemenge auf einander fließen, und daß einer den andern tödtele. Siehe 
Cornejo, Disension de Flandes, Fol. 68; Strada, De Bello Belgico, tom. I, p. 382; 
et al. Gin fo romantifches Zuſammentreffen fand in einem fo romantifchen Zeitr 
alter leicht Glauben. 


Die —— 9— 60 


Energie, bier keinen Vertreter zu gehrauchen, ſarndern die Sachen ſelbſt 
in die Hand zu nehmen, feine Macht zu konzentriren und in eigner 
Berfon gegen ken Feind zu marſchiren. | 

Doch hielt er, che er den Feldzug begann , für nochwendig, erh 
tinige Sadyen auszumachen, und wäre es auch nur wegen beö Ein⸗ 
ſiuſſes, den dies auf die Öffentliche Stimmung ausüben wuͤrde. Den 
adıtundzwan;igften Mai wurbe über den Bringen von Dranien, feinen 
Bruder Louis und ihre adeligen Begleiter das Urtel geſprochen. Sk 
wurden m contumaciam für ſchuldig erklärt, der Berladung deo Rathes 
nicht Folge geleiftet und gegen den König Krieg erzegt zu Haben. Dede - 
halb wurden fie zu lebenslänglicher Berbaunung veruriheilt und ihre 
Guter ald der Krone verfallen erflärt. Das Ursel war vom Herzog 
Alva unterzeichnet. Wilhelm's Güter waren bereitö fequeftrirt worben, 
uud im feiner Stadt Breda lag eine Abtheilung fpanifcher Truppen. 

Eine andere Handlung ganz eigenthämlicher Art verrteth ziemlich 
Har die Geſiunungen ber Regierung. Der Herzog ließ nämlich das 
Tulemborgſche Hotel, wo feit der Abreiſe der Regentin feine beitäntige 
Wohnung geweien war, und wo die Geuſen bei ihrer Ankunft in 
Brüffel ihre Verſammlungen gehalten hatten, der Erbe gleich machen 
Auf dem Plage wurde eine Warmoridnte errichtet, die an jeder Seite 
igrer Baſts bie folgende Infchrift enthielt: „Hier fand einft der Palaß 
Florence Ballant” (Rame des Grafen Eulemborg); „er iſt jetzt der 
Erde gleidy gemacht wegen der darin gegen bie Religion, bie roͤmiſch⸗ 
katholiſche Kirche, dee Königs Majeſtät und das Land angezettelten 
Beriywörung*)." Jedenfalls wollte Alva durch diefe Handlung Der 
Welt nicht ſowohl feinen Abſcheu vor der Verſchwoͤrung — denu bieß 
wäre überflüfiig gemejen — als vielmehr feinen Entichluß, Daß er den 
dabei Betheiligeen feine Gnade ermweifen wollte, zeigen. Auch fpricht 
er mehr als einmal in jeinen Briefen von den Unserzeichnern des Roms 
promiſſes als von Menfchen, die fich ſelba amferhatb des Bereich ber 
Gnade geftellt Hätten, 


9 Das wegen feines Zufammenhanges mit den erfien Verſammlungen der 
Geuſen fo merhvürdige Hotel Eulemberg war nicht fange im Beige des Grafen 
Gulemborg geweſen, fondern erh von Iyın 1558 gefauft worden: Be Rand auf dem 
Place da Pait Ssblon. 





70 Dres Kapitel. 


Ader alle dieſe Alte waren nur das Borfpiel zu dem betrübenben 
Trauerſpiele, welches ſchon bald vor ſich gehen ſollte. Seit der Ver⸗ 
baftung der Orafen Egmont und Hoorne waren beinahe neun Monate 
verflofien. Während biefer ganzen Zeit waren fie unter einer ftarfen 
Bewachung in dem Center Schloffe als Staatögefangene gehalten 
worden. Ihre Unterfuchung war in einer bebächtigen, ja verfchleppen- 
den Weile geführt worden, fo daß dadurch bei ihren Freunden die 
Hoffnung auf einen günftigen Ausgang genährt worden war. Alva 
beſchloß jegt, die Unterfuchung zu ichließen, dad Todesurtheil über Die 
beiden Herren audzufprechen und baffelbe vor feiner Abreiſe zum Feld⸗ 
zuge vollfireden zu laffen. 

Umfonft Rellten ihm einige feiner Katbgeber das Unkluge eines 
ſolchen Schrittes vor, wenn er in einer Kriſis, wie der gegenwärtigen, 
die Gefühle der Nation, bei welcher namentlich Egmont jo beliebt war, 
verlegte. Vergeblich machten fie geltend, Laß die beiden Edlen als 
Geiſeln für das gute Betragen des Volfes während feiner Abweſenheit 
dienen würden, weil jeder Zumult nur zur Beichleunigung des Geſchicks 
der Oefangenen beitragen müßte. Sei es, daß Alva befuͤrchtete, daß 
die von verfchiedenen Seiten einfaufenden Bittgefuche bei feinem Herrn 
Wirfung haben fönnten ; oter fei es, daß er, was wahrfcheinlicher ift, 
beforgte, ein Tumult möge während feiner Abweienheit ven Gefangenen 
die Kerker öffnen: — er war entfdlofien, auf der Stelle zu ihrer Hins 
richtung zu fchreiten. Sein Racheburft vermehrte ſich vielleicht noch 
durch den Aerger über das unlängft erlittene Waffenunglück, und er 
fühlte, daß ein Streich, wie der gegenwärtige, am wirffamften fein 
würde, um die Arroganz der Ration herabzuſtimmen. 

Es gab noch einige andere Gefangene von geringerem Range, 
aber von nicht geringem Anfehn, über die noch zu verfügen war. Ihre 
Hinrichtung follte die Öffentliche Meinung auf die letzte Scene tes 
Drama's vorbereiten. Reunzehn Männer nämlich faßen damals im 
Schloſſe Vilvoorde, einer fehr ftarfen Feſtung, zwei Stunden von 
Brüffel, gefungen. Sie waren meiſtens vornehme Leute und größten« 
theils Mitglieder der Union, Fuͤr diefe legteren war feine Gnade vors 
handen. Ihre Unterfuchungen waren jest geſchloſſen und fie warteten 
auf ihr Urtel. Am neunundgwanzigften Mai, einem Tage, wo daß 





Die Gpeedensregeyung. 71 


Blutgericht ungemein thaͤtig geweſen zu fein ſcheint, wurben fie ohne 
Ausnahıne zum Tode durch's Schwert verurtheilt, während ihre Güter 
von Staatöwegen eingezogen werben follten. 

Den erfien Juni langten fie in Brüfiel an, wohin fie unter der 
Bededung von neun Kothpagnien fpaniicher Infanterie gebracht worden 
waren. Sie wurden bier auf den großen freien Platz dem Rathhaufe 
gegenüber geführt, und während bie Trommeln bie Herumſtehenden 
darın verhinderten, ihre legten Worte zu hören, ichlug ihnen das 
Schwert des Scharfrichters die Köpfe ab. Achten, die im roͤmiſch⸗ 
fatholifhen Glauben geftorben waren, wurde gnädig ein chriftliches 
Begräbniß nad) Eutholifchem Ritus zugeftanden. Die Köpfe der übris 
gen elf wurden auf Pfaͤhle geftedt, und ihre Körper blieben, wie Dies 
jenigen ter niedrigfien Verbrecher, am Galgen hängen, um dort zu 
verfaulen ). 


Den zweiten Juni endeten noch zehn bis zwölf andere, darunter 
angeiehene Leute, am nämlichen Plage in Brüffel auf dem Echaffot. 
Unter ihnen war Billerd, der Begleiter Hoogſtraten's auf der unglüde 
tihen Erpedition nady Brabant , bei welcher derfelbe gefangen genoms 
men worden war. Während feiner Sefangenfchaft hatte er dem Alva 
einige Aufichlüfie über die Maßregeln Oranien's und der Partei beffels 
ben gegeben, io daß er hätte Nachficht erwarten dürfen. Allein er hatte 
den Kompromiß unterzeichnet. 


Den folgenden Tag wurden fünf andere Schlachtopfer innerhalb 


— — — ——— 


*) Der tritte Band der Archives de la maison d’Orange-Nassau enthält die Er⸗ 
Ablung diefer Hinrichtung von einem Augenzeugen, einem Kuriere Alva's, ber 
Brüflel einen Tag nach dem @reigniß verließ und unterwegs von den Patrioten abs 
gelangen wurte. Dan fann ſich das Interefie denfen, womit Wilhelm und feine 
Jrreunte die Erzählung der Tragödie anhörten, und darf Rch vorflellen, welche Angſt 
fe um das Schickſal ihrer übrigen Freunde — namentlich um Ggmont und Hoorne — „ 
über welchen das Schwert des Nachrichters an einem Faden hing, empfunden haben 
wühm. Wir dürfen wohl die Nachricht von der Niedergefchlagenheit in Brüffel 
glauben. Il affirme que c’estoit une chose de l’auire monde, Je crys, lamentation 
et juste compession qu’avoient tous ceux de la ville du dit Bruxelles, nohles et 
iguobles, pour ceste harhare tyrunnie, mais que nonobstant, ce cestay Nero d’Alve 
se vante en ferat le semblable de tous ceulx quy potra avoir en mains.‘‘ &. 24. 





da Date Sup. 


ber Mauern son Vilvootde, wo fit fange gefangen yefeffen halten, zut 
Vinrichteng gefliigrt. ner von Ihm, Caſembrot, Gere von Barfeb 
zeele, Egmont’s vertrauter Gektetär, kann von Intereſſe für und fein. 
Dieſet engluͤckliche Herr war meßtıhäls, damit er bein Egment nach⸗ 
theflige Emhlillungen machen ſolnt, auf die Kolter geipammt worden. 
er feine Feſtigkeit erwied ſtch als Märker, denn die Braufamfeit feiner 
Veiniger. Er folite jet feine Leiden mit einem ſchimpflichen Tode bes 
ſchließen; doch war derſelbe infofern glücklich für ihn, als er es ihm 
erſparte, Zeuge von dem Geſchicke ſeines gelichten Herrn au fein *). 
So befäyaffen maren die duſtern Scenen, welche bie große Kataftropht 
am fimften Juni einfeiteten. 


— — — — — 


) Wenn wir Bentivoglio glauben dürfen, ward Backerzeele won Pierden 
zerriſſen. ,‚Da quattro caralli fu smembrato vivo in Brusselles il Casembrot gib se- 
gretario dell’Agamonte.!* (Guerra di Fiandra , p. 200.) Aber fo hart und unbes 
denflich Alva auch bei der Ausführung feiner Bläne getvefen fein mag, fo rechtfertigt 
fein Eharatter doch noch nicht die Aufchufpigung eines Altes fo annger Braufaue 
Trike, wie dieſer geweien fein würde. Gluͤcklicherweiſe Recht dieſe Handlung durch fein 
gefchichtliches Zeugniß feR. Deun man findet keine Erwähnung davon in Strata, 
ober Meteren, oder dem Berfafler der Guerres Civiles des Pays-Bas; von den übrigen 
damaligen Geſchichtsſchreibern, denen ınan feine allzu große Parteilichkeit für die 
Evpanier Schuld geben kann, ganz zu fchroeigen. Wäre eine fo anmenfchfige Hand 
lung vorgefallen,, fo müßte es in der That für ſonderbar angefehen werden, daß fr 
in dem Berzeichmiſſe der von dem Prinzen von Dranien dem Alva Sobuld gegebenen 
Berbrehen weggeblieben wäre. Siehe befonders feinen in einem Anfall von Kum⸗ 
mer und Gntrüfung an Schwendi gerichteten Brief, den er, kurz nachdem er bie 
Hinrichiung feiner Freunde erfahren hatte, ſchrieb. Archives de la maison d’Orange- 
Nassau, tome Ill, p. 244. 





Biertes Kapitel. Die Wrdefie-Bpikont’s und Hoorne's. y3 


diertes Kapitel, 
Die Prozeſſe Egmont’8 und Hoorne's. 


Das Berhör. — Verwendangen für fie. — Die Speziſtzirung der Anſchuldigun⸗ 
gen. — Das Toderurcheil. — Urberficht der Brogeffe, 
1568. 


Seitdem die Grafen Egmont und Hoorne in bie ftarfe Citadelle 
von Gent eingeferfert wurben, waren jegt neun Monate verfloflen. 
Während ihrer GHaftzeit wurde ihnen nicht einmal eine fo gute Be 
handlung zu Theil, wie gewöhnlichen Staatögefangenen. Sie durfs 
ten im Schloffe nicht freie Luft fchöpfen und waren an allem Verkehr 
mit den Gliedern ihrer Familie verhindert. Kerner hatte fie die Seques 
Rrasion ihres Eigenthums gleich nach ihrer Verhaftung in eine fo große 
Armuth verfegt, daß fie ohne die Unterftügung ihrer Freunde die ges 
wöhnlichen Betürfniffe des Lebens nicht würden haben befriedigen 
können *). 

Während diefer Zeit hatten ihre Feinde nicht die Hände in den 
Schooß gelegt. Wir fahen, daß bei der Verhaftung der beiden Edlen 
auch ihre Sefretäre verhaftet und ihre Papiere in Befchlag genommen 
wurden. „Backerzeele,“ fchreibt ber Herzog von Alva an Philipp 
„macht in Bezug auf feinen Herrn, den Brafen Egment, taͤglich Enthül⸗ 
lungen. Wenn er erft auf die Tortur gebracht werben wird, fanh man 
von ihm in diefer Bezichung Wunder errrarten!“ Aber Alles, was 
man aus dem unglücklichen Manne herauspreßte, war die dunkle Ans 
gabe eines Platzes, wo Egmont einen Theil feiner Habſeligkeiten vers 
borgen hatte. Nachdem die Spanier den Boden un das Genter Schloß 
Serum nach jeter Richtung Hin durdwoühlt Hatten, gelang eo ihnen, 
tif Koffer mit Tafetgefehler, einige Fafſer Jawelen und andere koſtbare 


— — — 4 


*) Der alte holländifde Geſchichtoſchreiber Bor, der Wieſe Breignifle erlebie, 
ſagt, daß, Hoorne im Gefängnifie aus Mängel au Grid Hungers geſtorben Aria 
derde, wofern Ihn nicht feine Schwieger matier, dir Gräfin Mittwe, nieht 
haͤtie⸗ 





74 Gin Bay 


Artikel Geranö;ugraben. Das wer Als, wa ned rom dem einſt je 
gänynten Bermögen Egment’5 übrig geblichen wer. 

Unterteiien gingen Kemminäre in tie frũber von ben beiben Adeli⸗ 
gen regieren Preriusen ab, um Ausiagen über ihre Regierung zu ſam⸗ 
wein. Tie Bürgermeiüer ber Stader wurden einem ürengen Verhoͤt 
unSeriegen, unE, wenn Ür zu anfıporica zögern, durch Drohungen 
eingeibüdtert. Am mcilien jetedh redhncte Alva ai das Verhoͤr ber 
Geiangenen ielbũ. 

Ten ʒroliten Rovember 1567 begab ũch eine Kemmiſſion, be⸗ 
ſtehent aus Vargas, Tel Rio unt tem Sckretär Prag, nach Gt, 
um tert das perionliche Rerbör Egmont's zu begimen. Die geſtellten 
Fragen ſchleiſen tie ſammtlichen arulichen Unruhen in ſich. Man 
fuchte beſonders Egment's Verhältniſß zu der refermirten Partei, vor 
Allem aber ieine Beziehung zu ten Verbündeten, was in den Augen 
ter Kommihäre das gravirendſte Verbredken war, herauszuftellen. 
Tas Verhör tauerte runf Tage, und von ten Berreifenten wurde ein 
Brotofoll, welches tie Oruntlage zu dem fünftigen Berfabren gegen 
den Aingeflagten abgab , umterzeichnet unt beichworen. Aehnlich vers 
fuhr man dann mit Hoome”). 


Unterdeſſen waren tie Freunde ter beiten Adeligen eifrig für fie 
bemüht. Wir wir bereitd fahen, war Egmont mit einer deutſchen 
Prinzefin, Eabina, ter Sckweſter des Kurfürſten von Baiern , vers 
mähltı. Dieie Tame war wegen ihred Ranges, ihres anmuthigen 


— 


) Die Interrogasoires, bie beinahe fünfzig Oftanfeiten einnehmen, wurben vou 
Dem verficchenen Baron Reifienberg, am Schluſſe feiner werthollen Sammlung ter 
Korreivontenz Nargarethens, ter Oeſffentlichkeit übergeben. Was ums verwun⸗ 
dern fann, if, daß fowohl die ragen wie die Antworten urfprünglich in der caflis 
liſchen Eprache abgefaßt waren. Gleich darauf wurde — wahrſcheinlich für vie 
Samänviiden Mitglieder res Bintgeridie — davon von tem Gefretär Pratz eine 
franzöflise Ueberſezung gemacht. Sowohl das cafilifche wie Las franzöfiche Mas 
nufeript wurden bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts, wo ein unwürtiger @rbe 
Ber alten Linie Heide in fremde Hände fommen ließ, in dem Archiv des Hauſes Eg⸗ 
ment aufgehoben... Epätre wurten fie von der Krone gefauft und befinden füch jeht 
in vom Archiv des Königreichs Holland , einem pafienden Anibewaßrungsorte. Das 
von Beiffenberg veröfientlichte Mauufeript iR franzoͤſiſch. 


Die Prozeſſe Egmont's und Hoorne's. 35 


Benchmens und ihres vonvurfäfreien Charakters bie ſchoͤnſte Zierde 
bed brüfieler Hofes. Sie war die Mutter von ellf Kindern, von benen 
das Altefte noch fehr jung war. Indem nun bie Graͤfin dieſe zahl» 
reiche bülflofe Familie um fich hatte und fo plöglich aus einem Zus 
Rande des Ueberfluſſes einem drüdenden Mangel anheimgefallen war, 
wurde fie der Gegenſtand allgemeiner Bemitleidung. Sogar das harte 
Herz Alva's fcheint, da derfelbe in einem Briefe m Philipp ihre 
„beklagenswerthe Lage” erwaͤhnt, gerührt geweſen zu fein. 

Erfreulicherweife gewann die unglüdliche Dame bie Hüffeleiftung | 
eines der hervorragendſten Juriften des Landes, des Nikolaus de Lanr 
das, eines periönfiches Freundes ihres Satten. Diefer fchrieb in 
ihrem Ramen Briefe an mehrere deutiche Fürften und an den Kaifer 
MRarimilian und erſuchte diefelben darin, daß fie fi für Egmont vers 
wenden möchten. Auch fchrieb er an den König und an Alva, we 
niger um bie Freilafſung Egmont's zu erbitten — weil dieſe nicht zu 
erwarten war —, al& vielmehr, um die Berweifung des Prozeſſes von 
dem Blutrathe an ein aus den Rittern bed Goldenen Vließes beſtehen⸗ 
deö Bericht zu erlangen. Hierauf hatten fowohl Egmont wie Hoorme 
einen guten Anſpruch, denn fie gehörten diefem Orden an, und bie 
von Philipp feierlich beftätigten Statuten deffelben verbürgten feinen 
Mitgliedern das Recht, daß fie nur von den Rittern deö Ordens ger 
richtet werden fonnten. Der freie, unabhängige Ton, worin der den 
Orden felbft angehörige und gefegfundige flamändifche Juriſt dieſes 
Recht bei dem fpaniichen Monarchen geltend machte, gereicht feinem 
Andenken fehr zur Ehre. 

Ebenio waren bie Battin Hoorne's, die gleichfalls aus Deutfchland 
Rammte und dort hochftehende Berwandte hatte, fo wie jeine Stich 
mutter, die Gräfin Wittwe, unermüblich in ihren Verwendungen für ihn. 
Diele Damen fchrieben an die Ritter des Goldenen Bließes in allen 
Ländern und erhielten von ihnen die fchriftliche Beftätigung, daß die 
Aingeflagten dad unverdußerliche Recht, nur von ihren Drdensbrüdern 
gerichtet zu werden, befäßen. Offenbar war biefer Bunft von ber 
größten Bedeutung , weil eine vom Blutgerichte geführte Unterfuchung 
einer Berurtheilung gleichkam. 

Mehrere Kurfürſten und antere Fürſten des Reiches jchrieben 


us Ä Birrtes Ari. 


direkt deßwegen an Pälliup nud baten ihn, er möge meit den beiden 
Borligen gemäß der Statuten des Ordens verfahren. Marimilian 
ſchrieb zwei Briefe gleichen Inhalts, und fuchte, indem er die glänzen 
den Dienfte Egmonis erwaͤhnte, zugleich des Königs Mitleiden für 
die verlaſſene Lage der Sraͤfin und ihret Kinder zu erregen. 

Aber nicht allein Ausländer verwandten ſich für die geſangenen 
Herren. Auch Mansfeld, der treueſte Umerthan Philipp's m ben Nie⸗ 
derlauden, flehte feinen Souverain an: rechts⸗ und vernumftgemäß in 
der Sache zu verfahren. Der Braf Barlaimont, ber ſich bei allen 
Gelegenheiten als nicht minder treugefinnt erwieſen hatte, befand ſich 
jetzt, indem er ſowohl ein Ritter des Ordens als ein Mitglied des 
Mathe der Unruhen war, in einer großen Verlegenheit. Gr ſchrich 
deßwegen an Philipp, indem er Seine Majeftät erfuchte, ihn ber 
Nothwendigkeit zu entheben, daß er entweder als ein ungeborfamer 
Unterthan handen oder fich die Borwürfe feiner OrdenſSbrüder zw 
siehen müßte. 

Noch bemerkenowerther iſt die Verwendung Granvelle's. Ders 
felbe vergaß ſeine Abberufung als Miniſter, woran Egmont vielleicht 
ebenſo viel wie jeder Andere Schuld geweſen war, und kam edelmüthig 
mit einem Bittgefuche für feinen alten Yeind ein. Gr fichte Philipp 
um Milde an, weil diefe fich für einen großen Kürften befler gezieme, 
al8 Strenge. Er erinnerte an die guten Handlungen ded Grafen und 
erflärte, wenn berfelbe fpäter auf Abwege geführt worden fei, fo wäre 
Dies cher Andern, als ihm felbft zur Laf zu iegen. Allein, wenns 
gleich der Kardinal mehrmals in dieſem Einne an den König fchrieb, 
fo war e8 doch nun ſchon zu ſpaͤt: denn er fonnte den Einbrud feiner 
frühern Briefe, worin er Egmont angeflagt hatte, daß er an den hoch⸗ 
verrätheriichen Biänen dee Prinzen von Dranim Antbeil habe, nicht 
mehr verwiſchen. Wie wir jahen, hatte die Regentin dem Egmont ein⸗ 
mal völlig ihr Zutrauen entzogen, und bie von ihe hin und wieder an 
Philipp geſchickten Berichte hatten den Gindrud der Grawvelle'ſchen 
Briefe noch erhöht. Alfe war die Schuld Egmont's in der Meimmg 
des Könige eine fo ausgemachte Sache, daß zur Zeit, wo Alva die 
Regierung in den Niederlanden erhielt, Egmont höchft wahrfcheintich 
Ion zum Sähnepfer für die Sünten der Nation bezeichnet war. 


Die Prozeſſe Egmont'e ud Hoorne's. 77 


Deßhalb batten Die gegenwärtig angewandten Mirgumente und Ditige« 
fudhe , die Philipp von feinem Vorhaben abbringen foßten, feine aus 
dere Wirkung, ald daß fie ihn zum ſchnelleren Handeln antrieben, 
Indem er fi von unbequemen Beflürmungen -zu befreien wünfchte, 
befahl er dem Alva, die Unterfuchung zu beſchleunigen, und fügte 
hinzu, daß Alles fo Har gemacht werden würde, daß die Welt, deren 
Blicke jegt auf diefen Prozeß gelenft wären, von der Gercchtigfeit deis 
felben überzeugt werben follte. | 

Noch vor Ende Dezember hatte der Kronanwalt Du Bois bie 
Ainflageartifel gegen Egmont audgearbeitet. Cie beliefen ſich auf 
nicht weniger als neunzig, und einige Davon waren jehr lang. Sie 
gründeren ſich hauptfächlich auf die aus dem perfönlichen Verhör ge 
wennene Evidenz, die durch die anderwärtd erhaltene Information 
noch geftügt wurde. Der erfte Artikel, welchen man in der That ale 
den Schlüffel zu allen übrigen anfehen kann, beſchuldigie Egmont, 
daß er mit Wilhelm von Oranien und den andern verbannten Herren 
fonjpirirt babe, um die fpaniiche Herrſchaft abzufchütteln und die Res 
gierung unter fich zu theilen. Aus dieſem Grunde habe er den treuen 
Gtanvelle befämpft, die Gewalten der verichiedenen Räthe in eine eins 
jige zu fonzentriren geſucht, der Inquifition Widerftand geleiftet, die 
Verſammlung der Senerafftaaten betrieben, kurz, er habe, Jo viel ald 
möglich in jedem einzelnen Ball, die Abfichten des Königs zu vereiteln 
pefucht. Berner wurde er angeklagt, daß er die Seftirer ermuthigt 
habe. Er habe fich nicht nur geweigert, die zur Unterdrüdung ihser 
Gewaltthätigkeiten geforderte Hülfe zu leiften, fontern auch wicders 
holt ihren Berfammlungen beigewohnt und ihnen die Ausübung ihrer 
weligiöjen Gebräuche erlaubt. Egmont war ein zu guter Katholif, 


a6 daß man feinen eignen Glauben hätte in Zweifel ziehen können, 


Dan nahm bloß an, daß er die Partei der zeligiöhen Reform wegen 
fhrer Berbindumg mit den politifchen Bewegungen des Landes begün⸗ 
Rigt habe. Zulegt warb ihm Schuld gegeben, daß er die Verbin⸗ 
dungen des Adels nicht allein befördert, fondern nebſt dem Prinzen 
von Dranien und Genoffen den urfprünglichen Plan dazu entworfen 
babe. Es bewies feine Gencigtheit für bie Ligue, daß er mehrere 
Ritglieber feines Haushalts in feinem Dienfte behalten habe, nach⸗ 


8 Biertes Kapitel. 


dem diefelben den Kompromiß unterzeichnet gehabt hätten. Aus dieſen 
verfchiedenen Gründen wurde Egmont als des Hodyrerrathe ſchuttig 
erklaͤrt. 


Bei dem erſten Anblick könnte es ſcheinen, als ob dieſe Anſchul⸗ 
digungen, die ſehr lang ſind, unbedeutende und gar nicht zur Suche 
gehörige Dinge mit andern , wirklich wichtigen Anflagen zuſammen⸗ 
würfen®). Indeß muß man zugeftehen, daß fie fo liſtig zuſammen⸗ 
geftellt wurden, daß fie einen der Unſchuld des Angeflagten hoͤchſt 
nachtheiligen Eindruck hinterlaſſen. Indem der Kronanwalt manch⸗ 
mal fühn die Antworten Egmont's verdrehte**), und in andern Fällen 
den Einräumungen deffelben ein übertriebened Gewicht beilegre, gelang 
es ihm, feine Fallftride fo fünftlich anzubringen, daß man, feld 
wenn man unpartelifch war, feinen geringen Grad von Kaltblütigfeit 
und Vorſicht bedurfte, um ihnen zu entgehen. 

Die Anflageafte wurde Egmont den neun und zwanzigften Des 
zember eingehändige. Bloß fünf Tage waren ihm zur Ausarbeitung 
feiner Veriheidigung geftattet, und zwar wurde ihm dabei die Hülfe 
eined Freundes oder der Rath eines Advokaten vorenthalten. Zuerſt 
weigerte er fich entichloffen, überhaupt eine Vertheidigung zu machen; 
fondern erflärte, daß fein anderes Tribunal, als die Glieder ſeines 
Ordens, ein Recht über ihn habe. Als man ihm jedoch mittheilte, 
daß er, wenn er hierbei verharrte, in contumaciam verurtheilt wers 
ben toürde, ließ er ſich zwar zu einer Vertheidigung herbei, proteftirte 
aber förmlidy gegen dieſes ungeſehliche Verfahren. 


— — — — — 


*) Das ſcheint in der That die Anficht der Anhänger der Regierung geweſen zu 
fein. Der Rath Belin fhreibt ven 14. Dezember 1567 an Granvelle: „Man hat 
Hoorne und Egmont verhaftet, doch hat man fi bei ihren Anlagen nicht aflein 
auf perfönliche Belaftungen befhränkt, fondern eine konfuſe Mafle Dinge zufams 
mmganorfen.‘‘ 

**) Siehe zum Beifpiel den acht und dreißigfien Artikel, worin der Kronans 
walt Egmont befhuldigt, bei feinem Berhör eingeräumt zu haben, daß er mit einem 
feiner Anhänger, der feperifcher Dieinungen verdächtig geweien wäre, nur auf eine 
furze Zeit gebrochen hätte, während er austrüdfich gelagt habe, daB ver Brut 
dauernd geweſen fei, und daß er den Menſchen nie wieter gefehen hätte. 


Die Prozeſſe Egmonl'e und Hoorne's. 79 


Entruſtet wies er jeden Gedanken an einen beabſichtigten Stutz 
der Regierung von ſich. Die Anklagen in Bezug auf fein Verhalten 
zu Granvelle räunte er ein, doc) vertheidigte er fein Betragen als den 
damaligen Umftänden angemeffen und vom öffentlichen Intereſſe er- 
heiſcht Denfelben Grund führte er für fein Verfahren in Bezug auf 
einige andere ihm zur Laſt gelegte Sachen, befonders aber hinſichtlich 
der Seftirer an, indem er geltend machte, daß man diefen nicht offen 
habe widerftehen können , weil fie zu zahlreich geweſen ſeien. Das 
ihm Schuld gegebene Berhäftniß zu den Verbündeten ftellte er auf das 
Entfchiedenfte im Abrede, und erflärte, daß er, weit entfernt, ed mit 
der Ligue gehalten zu haben , vielmehr ihr Borhandenfein immer be 
Hagt und Allen, auf die er Hätte wirfen fönnen, von dem Beitritt abs 
geraten habe. Wenn er aber Baderzeele, nachdem fein Eintritt in 
den Bund befannt geworben fei, nicht entlaffen babe, fo rühre dies 
daher, weil fein Eefretär der Regierung mehrfach, befonterd aber 
durch die Unterdrüdung der Unruhen der Bilterffürmer , gute Dienfte 
geleiftet habe. Im Ganzen feheint feine Ermwiderung aus feiner Ueber» 
xugung hervorgegangen zu fein, und fie binterläßt den Eindrud, daß 
fie von einem Manne ausging , welcher zwar die Politif der Krone 
richt billigte und einige Regierungsmaßregeln für unpraftifch hielt, 
der aber nicht die Abficht hegte, die Regierung zu ftürzen. 

Gleich darauf fegte der Kronanwalt die Anflageafte des Grafen 
Hoorne auf. Diefeibe beftand aus drei und fechzig einzelnen Anfchuls- 
digungen ziemlich des gleichen Inhalts wie die gegen Egmont vorges 
brachten. Das Fühne, ungebuldige Wefen des Admirals ftellte ihn 
ganz befonderd den Angriffen feiner Feinde bloß. Er weigerte ſich 
noch entfchiedener , als fein Freund, feine Rechte ald Ritter des Gol⸗ 
denen Bließed aufzugeben und vor dem Tribunal des Alva zu er» 
ſcheinen. Rachdem er dahin vermocht worden war, feine Bedenken 
fahren zu laſſerd, kleidete er feine Bertheidigung in fo treffende, maͤnn⸗ 
liche Worte, daß er dadurch augenbliclich unfer Zutrauen gewinnt. 
Er bemerft: „Da ich in derartigen Sachen unbewanbert bin und nicht 
die Hülfe Jemandes, der mir zur Hand geht, befige, fo müflen bie 
Jirihümer, wenn ich in ſolche verfalle , nicht einer boͤſen Abficht von 
meiner Seite, fondern nur dem Mangel an Erfahrung zugeichricben 





® Wieden Kavitel. 


werben... Deihalb Fann ih Diefeninen, welche meine Verthei⸗ 
Yang Irien,, kloß bitten, zu glauben, daß ſie aufrichtig und wahr⸗ 
deitagemaͤß, wie es fich für einen Herrn von chrenmweriher Abhunft 
gezienn, gemacht werben iR.“ 

Endlich murde der Herzog durch Die Varſtellungen der Angteklag⸗ 
ten und ihrer Freunde dahin gebracht, den Veiſtand von Eachwalteru 
zugulaflen. Jeder der beiten Herren erhielt den Beiſtand von fünf der 
hervporragendſten Juriſten des Bındes. Diele feinen ehrenhaft ge- 
nug geweſen zu fein, um nicht vor der Erfüllung einer Pflicht zuruͤd⸗ 
zufchaudern, die, wenn auch nicht mit wirklicher Gefahr verknüpft, 
Bach jedenfalls nicht lodend war. 

Die Anwälte der beiden Herten jegten ohne Verzug die Verthei⸗ 
digung ihrer Klienten auf, indem ſie eine jede von dem Kronanwalt 
vorgebrachte Beichuldigung einzeln vomahmen und ausführlich barauf 
erwiderten. Ihre Vertheidigung war wejentlich dieſelbe, wie die von 
ben Angeklagten ſelbſt aufgeſetzte, nur daß fie beſſer ausgearbeitet war 
und ſorwohl mehr Thatſachen, als mehr Gründe aufführte. Unter 
deſſen ließen fie nicht ab, fich dafür zu bemüßen,, damit die Prozefit 
vor das Tribunal des Toison d’Or gebracht würden. Denn fie mußten, 
daß, wofern dies nicht bewerfftelligt werden fonnte, alle ihre Verſuche, 
die Unfchuld ihrer Kliensen zu beweilen , ohne Erfolg bleiben würten. 

Alva hatte die Verlegenheit, der er in biefer Beziehung audges 
ſeht fein mußte, vorhergefehen. Deßhalb hatte er Philipp gebeten, 
dadurch, daß er feinen eigenen Willen hierin bekannt machte, allen 
weiteren Geſuchen Einhalt zu thun. In feiner Rüdäußerung ver 
ſicherte der König den Herzog, daß maßgebende und gelehrte Männer, 


welchen der Orgenftand vorgelegt worden wäre, bie vor Alva's Abreiſe 


gemachte Enticheidung völlig beftätigt hätten, indem nad ihnen ein 
Fall des Hochverraths außerhalb der Kompetenz des Toison d’Or läge. 
Diefem Briefe war eine Vollmacht beigefügt, welde den Herzog aw 
terifirte, den Ball zu richten”). Mit diefer Vollmacht fuchte num 


*) Diefe Bollmadıt war früher datirt, ale fie ausgeflellt wurde; denn fie trug 
das Datum tes 15. April 1567. Wahrfcheinlih follte es nicht ausſehen, ats ob 
fie für Die jegige Gelegenheit gemacht worten wäre, 


Die Prozeſſe Ramonts: und Hoorne's. 81 


Alva die Auwaliſchaft der Angellagten, wenn er fie nicht übergeugen 
fonnte, wenigfiend zu beſchwichtrigen. Durch ein förmliches Dekzet 
wurde jeßt Die fernere Cinreichung son Geſuchen, weiche hie Ueber⸗ 
tragung ber Sache von Alva's Gerichtabarkeit auf diejenige des Gol⸗ 
denen Bließes bezweckten, ein für allemal verboten. 

Jebody wurden nicht Alle auf diefe Weife zum Schweigen ges 
draht. Die Gemahlin Egmont's fuhr unermäbet in ihren Bemühungen 
fort, Sympathie für ihren Gatten bei Allen, welche einigen Einfluß 
auf die Regierung ausüben zu können ſchienen, zu erweden. Im 
Anfange des Jahres 1568 fchrieb fie von Reuem an Philipp, indem 
fe ſich beſchwerte, daß fie ihren Gatten nicht einmal babe befuchen 
dürfen. Sie flehte den König an, fie und ihre Kinder als Geifeln zu 
nehmen und Egmont zu erlauben, daß er in eines feiner Häufer ges 
bracht würde. Wenn bies jedoch nicht fein Fönnte, bat fie, daß er 
wenigſtens im Schloſſe möge friiche Luft fchöpfen dürfen, damit ihm 
die Haft, obfchon er unſchuldig wäre, nicht das Leben Foften möge. 
Sie berührte ihre elende Lage mit ihrer jungen, hülflofen Familie und 
vertraut der Güte und Berechtigfeit des Könige, daß fie nicht 
gezwungen fein werde, in Deutfchland, aus weldyem Lande fie von 
ihtem Vater, dem Kaiſer, nad Flandern gebracht worden fei, einen 
Lebensunterhalt zu fuchen. — Der Brief, fagt ein damaliger Chronik⸗ 
Ihreiber,, konnte von Riemandem ohne ein Gefühl innigen Bedauerns 
für die Schreiberin gelefen werden *). 

Zu gleicher Zeit fuhren die beutfchen Fuͤrſten fort, ſich bei dem 
Könige für die beiden Edelleute zu verwenden. Ramentlich flehten ihn 
der Herzog von Baiern und der Herzog und die Herzogin von Lothrin⸗ 
gen un Milde für fie an. Da Philipp, ohne in feinem Entſchluſſe 


9 Dem Dfierio, Alva's Biograpben , zufolge würde das Geſuch der Gräfin 
wahrſcheinlich Philipp's Herz erweicht und ihn einer „‚ungeitigen Milde‘’ geneigt 
gemacht haben, Hätte nicht der damals int Rabinette vorwiegende Rardinal Bepinofa, 
welcher den König daran erinnerte, daß „Milde eine Sünbe fei, wern das Vergehen 
gegen die Religion gerichtet waͤre,“ Dagegen Binwände erhoben. (Albae Vita, p. 282). 
Ber mit dem Charakter Philipp's bekannt if, mag die „‚Wahrfcheinlichlet‘‘ des Ges 
ſchichtoſchreibers erwas weniger wahrſcheinlich finden. 

Vrescott, Geſch. Vhilipp's U. ML. 6 





82 Biertes Kapitel. 


wanfend zu werben, diefer Beftürmungen überdrüfftg war, forderte er 
Alva nochmals auf, dem Prozeß zu Ende zu bringen. 

Gegen Ende April 1568 erfolgte der im vorhergehenden Kapitel 
befchriebene Gränzeinfall von Seiten Hoogftraten’s und Genoſſen. 
Indem Alva wahrfcheinlicy ahnte, daß feine eigne Gegenwart, im bie 
Eindringlinge zurüdzutreiben , erfordert werden würde, erhielt er das 
durch noch einen Grund mehr, die Prozeffe zu einer Entfcheidung zu 
bringen. 

Den fechsten Mai reichte der Kronanwalt eine Beſchwerde gegen 
das verfchleppende Verfahren ber Anwaltichaft Egmont's ein, indem 
er fagte, daß felbige, obſchon viele Monate verfloffen wären, es vers 
faumt habe, ihre Entlaftungdzeugen vorzuführen. Er bat, daß ein 
Tag für den Abjchluß des Vrozeſſes angelegt werden möge. 

Ende Mai traf die Rachricht von der dur Louis von Naffau im 
Norden gewonnenen Schlacht ein. Eines, was vorher blos wahr: 


fcheinlich gemwefen war, wurde jegt gewiß, nämlich: — daß Alva pers 


fönlich auf den Kriegsfchauplag abgehen und den Oberbefehl über dad 
Heer felbft übernehmen würde. Jetzt konnte fein weiterer Aufichub 
ftattfinden. Den erften Juni erfchien ein Dekret, welches erklärte, 
daß, da die den Angeklagten zur Bertheidigung anberaumte Zeit abs 
gelaufen fei, von nım an feine weitere Evidenz zugelaflen werben 
fönne*). Die Anwälte der Angeklagten proteftirten laut gegen eine 
folche Entfcheidung, die ihnen alle Mittel, die Unjchuld ihrer Klienten 
barzuthun, abſchnitt. Sie hätten, fagten fie, überflüffiged Zeugniß 
vorräthig; allein fie hätten bloß warten wollen, bis bie Regierung 
ihre Zeugen vorgeführt haben würde. Das war plaufibel, weil nad) 
dem gewöhnlichen Verfahren ber Kläger die Vorhand hatte. Allein 
man kann ſchwerlich daran zweifeln, daß die pfiffigen Advofaten merk⸗ 
ten, wie wenig von einem Tribunal wie dem Blutgerichte zu erwarten 
fände, und daß fie deswegen ben Fall nicht zu einer Entfcheidung 
treiben wollten. Wenn man bie Sache hinzog, fonnte ſich irgend 
Etwas ereignen — (vielleicht Fonnte fich die öffentliche Meinung ftärfer 


— · —— 


) Durch ein am achten Mai erlaſſenes Dekret war Egmont ſchon von dem 
Rechte, Entlaftungszeugen vorzuführen, ausgefchloflen worden. 


Die Prozeſſe Sgment’s und Hoorne's. 83 


ausſprechen) —, was ben König zum Beflern flimmen konnte. Dies 
war zwar eine fpärliche, aber doc) die einzige Ausficht für die Anges 
klagten; baher war jeder verfchobene Tag ein gewonnener Tag für bie 
Klienten. | 

Aber man erhielt feine Zeit zur Verftänbigung. Den nämlichen 
Tag, an welchem Alva's Dekret erfchien, wurde die Sache dem Blut: 
rathe zur Entfcheitung vorgelegt, und am folgenden Morgen erklärte 
biefer Körper — oder befler Bargad und Del Rio, ald bie einzigen, 
welche eine Stimme hierbei abzugeben hatten — beide Angeklagten für 
des Hochverraths ſchuldig und verurtheilte fie zum Tode. Das Urtel 
erhielt die Beftätigung des Alva. 

Am Abende des vierten ging Alva jelbft in die Sigung bed 
Rathes. Die Urtheilsiprüce der beiden Herren wurden ein jeder 
unter einem verjiegelten Eouvert vorgelegt und von dem Sekretär laut 
verlefen. Beide waren genau des nämlichen Inhalts. Sie erklärten 
nach der gewöhnlichen Einleitung, baß die Grafen Egmont und 
Hoorne an der abicheulichen Ligue und Berfchwörung des Prinzen 
von Dranien und deſſen Genoflen Theil genommen und zum Schaden 
des katholiſchen Glaubens in ihren bezüglicyen Regierungen ſich fons 
derlicher übler Praktiken mit Bezug auf die Ketzer jchuldig gemacht 
hätten. Auf diefe Gründe hin würden fie für des Hochverrache. und 
Aufruhre fchuldig befunden und demgemäß zum Tode durch's Schwert 
verurtheilt. Ihre Köpfe aber follten auf Pfähle geftedt werten und 
darauf fo lange bleiben, als dem Herzoge gefiele. Ihre Befigungen, 
Lehen und Rechte jeglicher Art feien zum Beften ber Krone einzus 
sieben.) Diefe Urtel waren blod von Alva unterzeichnet und von 
dem Sekretaͤr Prag gegengezeichnet. 


, *) Unter ben von Gachard anafyfirten Dokumenten gibt eines die Einkünfte der⸗ 
jenigen nieterländifchen großen Herren , deren Guͤter konſiszirt wurden, an. Mit 
Ausnahme des Bringen von Oranien befaß feiner auch nur annähernd ein fo großes 
Ginfommen, wie Egmont. Daflelbe belief fih auf 63,000 Gulden. Er befaß 
einen Palaſt zu Brüffel, und hatte andere Refidenzen zu Mecheln, Gent, Bruges, 
Irras und im Haag. 

Die Ginfünfte des Grafen Hoorne beliefen fih auf ungefähr 8,500 Bulden. 
Giaf Lulemborg, deilen Hotel zum Sufammentunftsorte für bie re diente, hatte 
% 


84 Biertes Kapitel. 


Dergeſtalt war das Refultat dieſer berühmten Prozefle, welche 
wegen der fie begleitenden befonberen Umftände, befonderd wegen ihrer 
außergewölmlichen Länge und des erlauchten Charakters und Ranges 
der Angeklagten allgemeines Interefje in ganz Europa erregten. Ins 
dem wir fie überblidden, äft die erfte Trage, welche uns aufftößt, ob 
die Gründe , weowegen fie der Juriodiktion des Toison d’Or entzogen 
wurden, ftihhhaltig find. Die Entfcheidung der „maßgebenden und 
gelehrten Männer”, worauf ſich der König bezieht, ift von geringem 
Gewicht, wenn man die Einflüffe bedenkt, unter weldyen am Mas 
drider Hofe nothwendiger Weife eine folche Entſcheidung gegeben 
wurde. Die einzige einigermaßen gewichtige Autorität zu Gunften 
biefer Deutung ift diejenige des Praͤſidenten Viglius geweſen, da der⸗⸗ 
felbe ein rechtsfundiger Mann war, die Statuten des Ordens vor fidh | 
hatte und ihm alled Erforderliche zu Gebote ftand, um in der Sache 
ein wohlerwogene® Urtheil abzugeben. | 

Seine Anficht fcheint ſich bauptfächlic auf das Faktum geftügt 
zu haben, daß fich im Jahre 1473 ein mit einem Kapitalverbrechen 
belafteter Ordensritter den gewöhnlichen Gerichtshöfen unterwarf. 
Aber dagegen wurden einige Jahre fpäter (1490) vier Ritter, die ge⸗ 
rabefo, wie Egmont und Hoorne , des Hochverraths angeflagt waren, 
vor den Teison geftellt und von den Gliedern beffelben gerichtet. in 
nod) fchlagenderer Beweis gegen Biglius wurde dur dad Faktum 
geliefert, daß 1531 unter Kaifer Karl dem Yünften ein Geſet 
erſchien, wonach fein Ritter ded goldenen Vließes wegen irgend eimes 
Bergehend anders, ald von den Mitgliedern feines eigenen Ordens 
verhaftet oder gerichtet werden fonnte. Dieſes Statut wurde 15850 
von Philipp felbft feierlich beftätigt, und ficherlih wäre fein Geſetz 
aufzufinden gewefen, welches vollftänbiger den fraglidhen Bunft in 
fih begriff. Doc Viglius beſaß die Unverichämtheit, dies als außer 
Kraft bei Seite zu fchieben, weil es mit Präcebenzfällen und mit den 
Statuten im Widerſpruch ſtehe. Ein folder Winfelzug, wie diefer, 
hätte die Mißachtung eines jeden anderen Geſetzes rechtfertigen fönnen ; 


ein jährliches Cinkommen von mehr als 31,080 Gulden. Die Einkünfte Wilhelm's 
Waren weit größer, und beirugen über 192,000 Gulden. 


Die Prozeſſe Gpneont’& und Hoornes. 85. 


daher ihm auch bie Ordensglieder durchaus wicht beiftimmten. Ar⸗ 
ſchot und Barlaimont insbeſondere, welche bie eiftigften Anhänger der 
Krone waren und ſich unter den wenigen in Brüffel damals anweſen⸗ 
den Gliedern des Toison befanden, gaben offen ihre Meinungsver⸗ 
Wietenheit fund. Indeſſen war für den Herzog, der nicht unterließ 
Yamit Parade zu machen, die Autorität eines Juriſten wie Biglius 
von hoher Bedeutung. ”) Aber es gereichte dieſem furchtfamen und 
seiterwendiichen Rathe zu arger Schande, daß er ſich in folch’ einer 
Sache zum Werkzeuge voiffürlicher Gewalt hergab. Dies kann uns 
xranlaſſen, leichter, als wir fonft gethan haben würden, jenen Be- 
Yuldigungen des Unterfchleifd umd der Gemeinheit, womit ihn die 
Regentin in der Die des Parteikampfes fo freigebig bedachte, Glau⸗ 
ven zu ſchenken. 

Was man aber aud) von den dem Toison d’Or hierin zuftehenben 
Reiten halten mag, fo kann über die Ungefegmäßigfeit des Gerichts» 
jefes, vor welchen die Sache gebracht wurde, fein Zweifel herrichen. 
Dean dieſer Gerichtshof hatte für fein Beßehen Nichts, als den 
Bilen des Alva, aufzuweiſen; feine Richter waren, den Geſetzen des 
landes enigegen, Ausländer, und ber vorfigende Beamte mußte fogar 
uhr nothivendig bei dem Aburtheilen der Fälle, deren Richtipruch 
T allein zu beftätigen hatte, anweſend fein. 

Während man bei der Errichtung biefed Gerichtshofes die Geſetze 
v wenig beachtete, zeigte man auch faum mehr Geſetzesachtung in ben 
ermen des Berfahrens. Im gegenwärtigen Falle fcheint von ben 
Angeflagten gar keine Evitenz befchafft worden zu fein. Da wir nun 
los einen Fleinen Theil deflen, was die Anklage auffichte, befigen, 
o können wir nicht leicht ensfcheiden, in wie fern die Betreffenden des 
hnen zur Laft gelegten Verbrechens fchuldig oder nicht fchuldig wa⸗ 
in, noch weniger aber, ob diejed Verbrechen nad) den Geſetzen des 
anded bis zum Hochverrath wirflih reichte. Die fchwerfte, mit 
inigem anfcheinenden Grunde vorgebrachte Befchuldigung war bie 


— 
— — — 


*) In einem Briefe vom 6. Januar 1568 erzählt Alva tem Könige, Daß Vig⸗ 
Ws, nachdem er die Sache aevrüft hat, die Cvidenz in dieſem Punfte fo klar fintet, 
ꝛaß gar Nichts zu wünfden übrig bleibt. 


86 Biertes Kapitel. Die Prozeſſe Egmont's und Hoorne's. 


eines geheimen Einverfländniffed mit den Verbündeten. Die zuger 
ftandene Abſicht der Verbündeten war, in gewiſſen Faͤllen der Aus 
führung einer befonderen Ordonnanz zu widerftehen,,*) aber ohne ben 
Plan, die Regierung umzuftoßen. Dies würde nach unferen Geſetzen 
ſchwerlich als Hochverrath audgelegt werten fünnen. Allein in 
den Niederlanden mag unter der fpanifchen Herrfchaft der geſetzliche 
Begriff des Hochverraths weiter gefaßt worden fein; auch ift es nicht 
wahrſcheinlich, daß das Wort „Berrath“ fo genau beftimmt war, wie 
es im englifchen Geſetzbuche unter den Plantagenets der Hal if *9. 
Wir beſitzen aus jener Zeit ein intereffantes Dofument, weldyed 
die Sache aufhellen fan. Peter d'Arſet, der Präfident von Artois, 
war urfprünglic) ein Mitglied des Rathes der Unruhen, hatte fich jedoch 
ſchon vor der Unterfuchung gegen die beiden Herren daraus zurüdger 
zogen. Wahrfcheinfich weil er in der Provinz Egmont’8 eine jo hohe 
juriftifche Stellung einnahm, befragte man ihn um feine Anflcht über 
biefen Prozeß. Nachdem er die Akten durchgegangen, gab er eine las 
teinifch geichriebene , fehr lange Antwort , die durch. die Reinheit ber 
Sprache beweift,, daß er ein gelehrter Mann war. Hierin geht et 
das ganze Gebiet der Anklage, Artifel für Artikel dur , und indem 
er die Unzulänglichkeit ded Beweiſes des Klaͤgers zeigt, beweift er 
vollftändig durch Argumente und durch Berufung auf Gefege die Un 
ſchuld des Angeflagten. Wir können wohl glauben, daß die fo un 
parteiifch dargelegte Anficht des Präfidenten feine große Gunſt in den 
Augen Alva's fand, und daß fich der letztere wohl hütete, diefelbe Aus 
torität anzuführen. | 
Aber felbft wenn e8 wahr wäre, daß die beiden Herren währen? 
der allgemeinen Aufregung auf einige Zeit fich verleiten ließen, ihrer 


*) Der Widerſtand, wozu fih Die Unterzeichner des Kompromiſſes verpflich⸗ 
teten, ging gegen die Inquifition, falls dieſe ein Mitglied des Bundes zu verhaften 
ſuchen ſollte. Vergl. oben im zweiten Theile. 

**) Beſonders in dem berühmten Statute Eduard's des Dritten, der Grundlage 
der ganzen ſpäteren hierauf bezüglichen Gefeggebung. Im funfzehnten Kapitel von 
Hallam’s fonftitutioneller Gefchichte Englands kann man ſowohl über dieſes Geſeh, 
wie über bie fpäteren, daſſelbe modifizirenden Gelege einige Bemerkungen finden, dit 
mit dem gewöhnlichen Scharffinn tes befannten Verfaflers gemacht find. 





Fünftes Kapitel. Die Hinrichtung Egmont's und Hoorne's. 87 


Pfucht als Unterthanen untreu zu werden, ſo durfte man ihnen doch 
wohl Nachſicht zu Theil werden laſſen, weil fie in der Folge mit ihren 
früheren Freunden brachen und bei der Ausführung der Regierungs⸗ 
maßregeln den größten Eifer zeigten. Wenigſtens war der Eifer Eg⸗ 
mont's fo groß, daß er der Regentin das unbedingtefte Lob entlodte. 
Dem Manne, weldyer feinem Souverain die berrlichften Trophäen 
feiner Regierung gewann , hätte man doch wohl etwas mehr nachiehen 
fönnen. Aber leider war, wie ich fchon zu bemerfen @elegenheit hatte, 
Philipp's Natur von der Art, daß fie die Beleidigungen mehr, ale 
die Wohlthaten fühlte. 

Unter den Umftänden , weldye dieſe Unterfuchung begleiteten, 
kam es als Zeitverſchwendung angefehen werden, wenn man die Ges 
keplichkeit des Gerichtshofes, welcher die Sache aburtheilte,, ober bie 
Regelmäßigkeit der Formen feines Verfahrens prüfen will. Der eis 
gentliche Prozeß fand nicht in Flandern, fondern in Caſtilien ftatt. 
Ber könnte wohl zweifeln, daß lange vorher, ehe der Herzog von Alva 
feinen Marfch antrat, das Urtel der beiden Evelleute in dem Madrider 
Kabinet gefällt worden war ? 


Sünftes Kapitel. 
Die Hinrihtung Egmont’d und Hoorne's. 


Die Grafen werden nach Bruͤſſel gebracht. — Sie werben mit dem Urtel befannt 
gemacht. — Der Weg zum Blutgerüfe. — Die Hinrihtung. — Der Ehas 
talter Egmont's. — Das Schidfal feiner Bamilie. — Die Stimmung des 


Volkes. 
1568. 


Den zweiten Juni 1568 wurde eine Abtheilung von dreitauſend 
Bann nach Gent beordert, um die Grafen Egmont und Hoorne nad) 
Brüffel abzuholen. Obſchon die Einwohner von Gent das Geichid 
ihtes geliebten Herrn ahnten und wegen ber Anmwefenheit der Spanier 


88 Wrainfies Kapitel. 


in große Aufregumg geriethen, feßten fle ihnen doch Keinen Widerſtaud 
entgegen. 

Die beiden Edelleute wurden in getrennte Wagen gebradyt; einem 
jeden begleiteten zwei Offiziere. Sie wurden von zwanzig Kompag⸗ 
nieen Lanzenmaͤnnern und Vuͤchſenſchuͤtzen bewacht, unb eine Abtbeis 
[ung Reiflge, darunter ein Theil von des Herzogs Leibgarde, ritt 
voraus, während eine Abtheilung von gleicher Stärfe dem Rüden 
deckte. Unter diefer flarken Bewachung rüdten fie langſam Brüffel 
zu. Eine Nacht brachten fie in Dentermonde zu, und gegen Abend 
am vierten ded Monatd Famen fie in die Hauptſtadt. Als fich ber 
friegerifdse Aufzug, fagt ein Augenzeuge, die Straßen entlang bewegte, 
konnten felbft die fefteften Männer nicht ohne das Gefühl der Weh⸗ 
muth dad traurige Schaufptel jehen und bie Klagetoͤne der Muflf 
hören. 

Die Gefangenen wurden nach dem Brodhuys oder „Brot 
haus“ gebracht. Dafielbe heißt gewöhnlich Maison du Roi und if 
das ehrwürdige Gebäude auf dem Brüfleler Marktplatze, welches noch 
jegt feiner zierlichen Bauart wegen , befonders aber, weil es für bie 
flamändifchen Herren zur legten Wohnung diente, von jedem Reifens 
ben befucht wird. Hier wurden fie in getrennten, kleinen, dunklen, 
unbequemen und mit bürftigen Meublen verfehenen Zimmern unterges 
bradıt. Beinahe die ganze Macht, welche fie nach Brüffel escortirt 
hatte, wurde auf den großen freien Platz gelegt, um Befreiungsvers 
ſuche zu verhindern. Allein nichts Derartiges fiel vor, und die Nadıt 
verftrich ſtill. Den einzigen Lärm machten fleißige Arbeiter, bie mit 
ber Errichtung eined Schaffots für die Hinrichtungsfceene des folgenden 
Tages beichäftigt waren. 

Den vierten Juni Nachmittags ließ der Herzog von Alva den 
Biſchof von Ypern, Martin Rithovius, holen. Nachdem er dem Bräs 
laten den Urtheilöfpruch der Angeklagten mitgetheilt hatte, erfuchte er 
ihn , diefelben. mit ihrem Geſchick befannt zu machen und fie für die 
Hinrichtung des nächften Tages vorzubereiten. Der Biſchof, ein aus⸗ 
gezeichneter Mann und perfönlicher Freund Egmont's, war über dieſe 
Mittheilung erftaunt. Er warf fih Alva zu Füßen, flehte ihn um 
Gnade für die Berurtheilten an, und bat ihn, wofern er ihnen nicht 


Die Hinrichtung Ogmonts und Hoorne's. 89 


das Leben ſchenken koͤnnte, denſelben wenigſtens eine längere Vorde⸗ 
reitungszeit zu geſtatten. Allein Alva ſah den Brälaten finſter an 
und ſagte, daß er nicht gefordert worben ſei, um die Ausführung des 
Geſehes zu hemmen, fondern die Verurtheilten zu troͤſten und fie in 
den Stand zu fegen, als Chriften zu ſterben. Da ber Bifchof fah, 
daß feine Bitten vergebens warn, fand er auf und ging am fein 
trauriges Geſchaͤft. 

Als er in das Zimmer Egmont's trat, war es beinahe Mitter- 
nacht. Gr fand den armen, durch feine Haft geſchwaͤchten und von 
ber Anftrengung ber Reife erichöpften Edelmann in tiefen Schlafe. 
Bei ihrer Abholung nach Bruͤſſel follen fich die beiden Herren der ei⸗ 
tem Hoffnung bingegeben haben, daß fie dort mit dein Schluffe ihrer 
Unterfuchung und mit ihrer Freilaffung befannt gemacht werden follten! 
Wie fid) dad aber aud) verhalten mag, fo fcheint Egmont auf die ihm 
überbradyte Nachricht nur fehr. wenig vorbereitet geweien zu fein, Als 
er den Bilchof anhörte , wurte er tobtenbleich und rief tiefbeiwegt aus: 
„Es if ein ſchreckliches Urtheil. Ich glaube nicht, daß irgend ein 
Vergeben, welches ich gegen Gott oder den König beging, eine foldye 
Strafe verdient. Den Tod ſelbſt fürchte ich nicht. Der Tod ift unfer 
Alter Roos. Aber ich entiege mich vor der Schande. Dod) darf ich 
hoffen, daß mein Leiden meine Schuld binlänglich fühnen wird, damit 
meine unfchuldige Familie nicht durch die Konfisfation meines Eigen» 
thums mit in meinen Ruin gezogen wird. So viel wenigſtens, glaube 
ih, darf ich für meine geleifteten Dienfte verlangen.” Dann feste er 
nach einer Pauſe hinzu: „Weil ich denn einmal nach dem Willen 
Gottes’ und Seiner Majeftät fterben muß, will ich verfuchen, es mit 
Faffung zu thun.“ Er fragte den Bifchof, ob denn gar feine Hoff- 
nung fei, und als er die Antwort erhielt: „durchaus feine,” bes 
ſchloß er, fich fogleich der Vorbereitung auf den feierlichen Wechfel zu 
widmen. 

Er ſtand von feinem Lager auf und kleidete ſich haſtig an. Als— 
dann beichtete er dem PBrälaten, wünſchte, daß Meſſe für ihn geleſen 
wärde, und bat um das Abendmahl. Dieb geihah mit großer Yeier- 
lichfeit. Egmont empfing dad Saframent in der andächtigften Weiſe 
und zeigte bie größte Reue über jeine Sünten. Hierauf fragte er den 


90 Fünftes Kapitel. 


Biſchof, welches Gebet er am beften zur Stärfung in diefer Stunde 
ber Verſuchung gebrauchen fönne. Der Prälat rietb ihm das Gebet 
an, weldes der. Heiland feinen Juͤngern anempfahl. Der Graf fand 
den Rath gut und vertiefte ſich in ernfte Andacht. Aber eine Maſſe 
zärtlicher Erinnerungen tauchte in ihm auf, und die Bilder feiner 
Frau und feiner Kinder lenkten feine ©edanfen nad) einer anderen 
Richtung , bis ihn die freundlichen Ermahnungen des Prälaten wieber 
zu ſich felbft brachten. ' 

Egmont fragte, 06 es gut fein würde, vom Schaffot aus Etwas 
zur Tröftung des Volks zu fagen. Allein der Bifchof rieth ihm davon 
ab, indem er fagte, daß Egınont nur unvollfommen verftanden wers 
den würde, und daß das Wolf bei der gegenwärtigen Aufregung daß 
Gehoͤrte wahrfcheinlich mißdeuten werde, was nur Schaden bringen 
fönnte. - 

Rachdem Egmont für das Heil feiner Seele geforgt hatte, verlangte 
er Schreibmaterialien , um von feiner Gemahlin, welche er während 
ber ganzen Haft nicht gefehen hatte, fchriftlich einen zärtlichen Abfchieb 
zu nehmen. Dann richtete er einen franzöftichen, furzen, aber rührenden 
Brief an den König... Slüdlicherweife iſt derfelbe uns aufbehalten 
worden. Egmont fchreibt: „Heute Morgen hat man mich mit dem 
Urtheile befannt gemacht, weiches Eure Majeftät über mich zu fällen 
geruht hat. Dbfchon es nun nie meine Abſicht geweſen if, Etwas 
gegen die Perfon oder die Regierung Eurer Majeftät, oder gegen uns 
feren wahren, alten fatholifchen Glauben zu unternehmen , füge ich 
mich doch gedulbig in den Willen Gottes. Wenn ih während dieſer 
Unruhen etwas Anvderdfcheinendes gerathen oder erlaubt habe, fo ges 
ſchah es nur aus einem aufrichtigen Beftreben für den Dienft Gottes 
und Eurer Maieftät, und weil ich ed von der Nothwendigfeit der Um⸗ 
ftände fuͤr geboten hielt, Deshalb bitte ich Eure Majeftät, es zu 
verzeihen, und um meiner geleifteten Dienfte willen gegen mein 
Weib, meine Kinder und meine Dienerfchaft barmherzig zu fein. In 
diefen Vertrauen empfehle ich mich jelber der Gnade Gottes.“ Der 
Brief ift datirt: Bruͤſſel, „an der Schwelle des Todes,“ den 5. Juni 
1568. 


Weil noch Zeit übrig war, ſchrieb Egmont die beiden Briefe ins 





Die Hinrihtung Egmonns und Hoorne'e. 9 


Reine und übergab fie dem Bifchof mit der Bitte, biefelben an bie 
Adrefiaten gelangen zu laſſen. Demjenigen an Philipp fügte er einen 
Ring bei, welcher dem Monarchen zugleich mit dem Briefe übergeben 
werden follte. Diefer Ring war von hohem Werthe. Da berfelbe ein 
Geſchenk Philipp's war, welches Egmont bei feiner letzten Anweſen⸗ 
heit in Madrid empfangen hatte, konnte er den Koͤnig verſoͤhnen, in⸗ 
dem er ihn an bie glücklicheren Tage, wo Philipp feinen unglüdlichen 
Bajallen noch mit Gunft behandelt hatte, erinnerte. 

Nachdem Egmont mit allen feinen Anordnungen fertig war, 
fehnte er fi) nach der Stunde des Abgangs zum Richtplatze und 
fpradı den Wunſch aus, daß man feinen unnöthigen Aufſchub machen 
möge. Früh zehn Ubr erfchienen die Soldaten, welche ihn nach 
dem Schaffot führen follten. Wie gewöhnlich, brachten fie Stride 
mit, um dem Berurtheilten die Hände zu fefleln. Allein Egmont 
erhob hiergegen Einwand, und zeigte, daß er feldft, um den Streich 
des Echarfrichterd zu erleichtern, von feinem Wamd und Hemd 
den Kragen abgefchnitten hatte. Dies that er, um fie zu übers 
jeugen, daß er auf feinen Widerftand dachte, und da er veriprach, 
daß er nichts Derartiges verfuchen wolle, ließen fie feine Hände un- 
gefeſſelt. 

Egmont hatte ein Gewand von rothem Damaſt an; darüber 
hing ein goldverbrämter ſpaniſcher Mantel. Seine bis zum Knie rei⸗ 
chenden Hoſen waren von ſchwarzer Seide, und auf ſeinem aus dem⸗ 
ſelben Stoffe beſtehenden Hute ſtaken weiße und ſchwarze Federn. In 
feinen Händen, welche, wie wir fahen, frei blieben, hielt er ein weißes 
Taſchentuch. Auf feinem Wege zum Richtplage begleiteten ihn Ju⸗ 
lian de Romero , mattre de camp; ber Kapitän Salinad, welchem 
die Feftung Gent übertragen war, und der Biſchof von Ypern. Als 
fi der Zug langfam vorwärts bewegte, betete der Graf einen Theil des 
einundfunizigften Pſalms: „Set mir gnäbig, o Bott!” —, wobei ihn 
der gute Praͤlat begleitete. In der Mitte deö großen freien Platzes, 
auf der Etelle, wo fo viel des beften Blutes der Niederlande vergoflen 
worden ift, fand das ſchwarz ausgelegte Blutgerüfte. Darauf be 
fanden ſich zwei Sammetkiſſen und ein Heiner, ebenfalls ſchwarz ges 
dedter Tiſch, mit einem flbernen Kruzifie. An den Eden des Ges 


83 Wiertos Kapitel. 


Dergeſtalt war dad Refultat Diefer berühmten Prozeſſe, welche 
wegen der fie begleitenden befonberen Umftände, befonders wegen ihrer 
außergewölmlichen Länge und de& erlauchten Charakters und Ranges 
der Angeklagten allgemeines Interefle in ganz Europa erregten. Ins 
‚den wir fie überbliden, iſt die erſte Sage, welche und aufftößt, ob 
die Gründe , weswegen fie der Jurisdiktion des Toison d’Or entzogen 
wurden, ftihhaltig find. Die Enticheidbung der „maßgebenden und 
gelehrten Männer“, worauf ſich der König bezieht, ift von geringem 
Gewicht, wenn man die Einflüffe bedenkt, unter welchen am Mas 
drider Hofe nothmwendiger Weile eine folche Entſcheidung gegeben 
wurde. Die einzige einigermaßen gewichtige Autorität zu Gunften 
diefer Deutung ift diejenige des Praͤſidenten Viglius geweſen, da der⸗⸗ 
felbe ein rechtöfundiger Dann war, die Statuten des Ordens vor fi 
hatte und ihm alled Erforderliche zu Gebote ftand, um in der Sache 
ein wohlerwogenes Urtheil abzugeben. 

Seine Anficht fcheint fi) hauptfächlich auf das Faktum geftügt 
zu haben, daß ſich im Jahre 1473 ein mit einem Kapitalverbrechen 
belafteter Ordengritter den gewöhnlihen ©erichtshöfen unterwarf. 
Aber dagegen wurden einige Jahre fpäter (1490) vier Ritter, die ges 
radefo, wie Egmont und Hoorne, des Hochverraths angeflagt waren, 
vor den Toison geftellt und von den Gliedern deflelben gerichtet. Ein 
noch fchlagenderer Beweis gegen Biglius wurde durch das Faktum 
geliefert, daß 1531 unter Kaifer Karl dem Yünften ein Geſetz 
erfchien, wonach fein Ritter des goldenen Vließes wegen irgend eines 
Vergehens anders, ald von den Mitgliedern feines eigenen Ordens 
verhaftet oder gerichtet werden konnte. Dieſes Statut wurbe 1550 
von Philipp felbft feierlich beftätigt, und ficherlih wäre fein Geſetz 
aufzufinden geweien, welches volftändiger den fraglichen Punkt in 
fih begriff. Doc Viglius beſaß bie Unverichämtheit, dies als außer 
Kraft bei Seite zu fchieben, weil es mit Präcedenzfällen und mit den 
Statuten im Widerfpruc, fiehe. Ein ſolcher Winfelzug, wie diefer, 
hätte die Mißachtung eines jeden anderen Geſetzes rechtfertigen fönnen; 


ein jährliches Binfommen von mehr als 31,000 Gulden. Die Einkünfte Wilbelm’s 
waren weit größer, und betengen Über 192,000 Gulden. 


Die Prozeſſe Gznont's und Hoorne's. 85. 


daher ihm auch die Ordensglieder durchaus sicht beiftimmten. Ar⸗ 
ſchot und Barlaimont indbefondere, weiche die eiftigften Anhänger der 
Krone waren und ſich unter den wenigen im Brüffel damals anweſen⸗ 
ben Bliedern bes Toison befanden, gaben offen ihre Meinungsver⸗ 
ſchiedenheit fund. Indeſſen war für den Herzog, der nicht unterließ 
damit Parade zu machen, die Autorität eines Zuriften wie Biglius 
von hoher Bedeutung. *) Über es gereichte diefem furchtiamen und 
wetterwendifchen Rathe. zu arger Schande, daß er ſich in folch’ einer - 
Sache zum Werkzeuge willfürlicher Gewalt bergab. Dies kann une 
veranlaffen , leichter, als wir fonft getban haben würden, jenen Bes 
fdyuldigungen des Unterfchleifd und ber Gemeinheit, womit ihn die 
Regentin in der Hitze bes “Barteifampfes fo freigebig bedachte, Glan⸗ 
ben zu ſchenken. 

Was man aber auch von den dem Toison d’Or hierin zuſtehenden 
Rechten Halten mag, fo kann über die Ungefehmäßigfeit des Gerichts⸗ 
hofes, vor welchen die Sache gebracht wurde, fein Zweifel herrichen. 
Denn diefer Gerichtshof hatte für fein Beheben Nichts, als den 


" Willen des Alva, aufzuweiſen; feine Richter waren , den Gefegen des 


Landes enigegen, Ausländer, und ber vorfigende Beamte mußte fogar 
nidyt noihwendig bei dem Aburtheilen der Kalle, deren Richtipruch 
er allein zu beftätigen hatte, anweſend fein. 

Während man bei der Errichtung diefed Gerichtshofes die Gelege 


| fo wenig beachtete, zeigte marı aud) kaum mehr Geſetzesachtung in ben 


Gormen des DVerfahrene. Im gegenwärtigen Balle fcheint von ben 
Angeklagten gar feine Evitenz befchafft worden zu fein. Da wir nun 
blos einen Eleinen Theil deſſen, was die Anklage aufftellte , befigen, 
fo können wir nicht leicht enifcheiden, in wie fern die Betreffenden des 
ihnen zur Laft gelegten Verbrechens ſchuldig oder nicht ſchuldig wa- 


. ren; noch weniger aber, ob diejed Verbrechen nach den Gefepen des 


Landes bid zum Hochverrath wirflich reichte. Die fchwerfte, mit 
einigem anfcjeinenden Grunde vorgebrachte Beichuldigung war bie 


— 





*) In einem Briefe vom 6. Januar 1868 erzählt Alva tem Könige, daß Vig⸗ 
lius , nachdem er die Sache geprüft hat, die Boitenz in dieſem Punfte fo Har fintet, 
daß gar Nichte zu wünichen übrig bleibt. 


86 Biertes Kapitel. Die Prozeſſe Egmont’s und Hoorne's. 


eine® geheimen inverftänbnifies mit den Verbündeten. Die zuger 
ftandene Abfiht der Verbündeten war, in gemwiflen Fällen der Aus⸗ 
führung einer befonderen Ordonnanz zu widerſtehen,“) aber ohne den 
Plan, die Regierung umzuftoßen. Dies würde nach unferen Gefegen 
ſchwerlich als Hochverrath ausgelegt werten fönnen. Allein in. 
ben Niederlanden mag unter der fpanifchen Herrfchaft der gefetliche 
Begriff des Hochverrath8 weiter gefaßt worden fein; auch iſt ed nicht 
wahrſcheinlich, daß das Wort „Verrath“ fo genau beftimmt war, wie 
e8 im englifchen Geſetzbuche unter den Plantagenets der Fall ift**). 

Wir Eefigen aus jener Zeit ein intereffantes Dofument, welches 
die Sache aufhellen kann. Peter d'Arſet, der Vräfident von Artois, 
war urfprünglich ein Mitglied des Rathes der Unruhen, hatte fich jedoch 
jhon vor ber Unterfuchung gegen die beiden Herren daraus zurüdger 
zogen. Wahrfcheintich weil er in der Provinz Egmont’d eine 10 hohe 
juriftifche Stellung einnahın, befragte man ihn um feine Anficht über 
biefen Prozeß. Nachdem er die Akten durchgegangen, gab er eine las 
teinifch gefchriebene , fehr lange Antwort, die durch. die Reinheit ber 
Sprache beweiſt, daß er ein gelehrter Mann war. Hierin geht er 
das ganze Gebiet der Anklage, Artikel für Artikel durch, und indem 
er die Unzulänglichfeit dee Beweiſes des Klägers zeigt, beweift er 
vollftändig durdy Argumente und durch Berufung auf Geſetze die Uns 
ſchuld des Angeflagten. Wir fönnen wohl glauben, daß die fo uns 
parteiifch Dargelegte Anficht des Präſidenten Feine große Gunſt in den 
Augen Alva's fand, und daß ſich der feßtere wohl hütete, dieſelbe Aus 
torität anzuführen. 

Aber felbft wenn e8 wahr wäre, daß die beiden Herren während 
der allgemeinen Aufregung auf einige Zeit fich verleiten ließen, ihrer 


) Der Widerſtand, wozu ſich die Unterzeichner des Kompromifles verpflichs 
teten, aing gegen die Inquifition,, falls dieſe ein Mitglied tes Bundes zu verhaften 
ſuchen Sollte. Vergl. oben im zweiten Theile. 

”*) Beionters in dem berühmten Statute Gduard's des Dritten, der Grundlage 
der ganzen ſpäteren hierauf bezüglichen Geſetzgebung. Im funfzehnten Kapitel von 
Hallam's fonftitutioneller Geſchichte Englands kann man fowohl über dieſes Geſetz, 
wie über die fpäteren, daflelbe mobdifizirenden Gefege einige Bemerfungen finden, die 
mit dem gewöhnlichen Scharffinn tes befannten Verfaſſers gemacht find. 


Fünftes Kapitel. Die Hinrichtung Cgmont's und Hoorne's. 87 


Pflicht als Unterthanen untreu zu werden, fo durfte man ihnen doch 
wohl Nachſicht zu Theil werben laflen, weil fie in der Folge mit ihren 
früheren Sreunden brachen und bei ber Ausführung der Regierungds 
maßregeln ven größten Eifer zeigten. Wenigftend war ber Eifer Eg⸗ 
mont's fo groß, baß er der Regentin das unbebingtefte Lob entlockte. 
Dem Manne, welcher feinem Souverain die herrlichen Trophäen 
feiner Regierung gewann , hätte man doch wohl etwas mehr nachiehen 
tönnen. Aber leider war, wie ich fchon zu bemerken Gelegenheit hatte, 
Philipp's Natur von der Art, daß fle die Beleidigungen mehr, als 
die Wohlthaten fühlte. 

Unter den Umſtaͤnden, welche dieſe Unterfuchung begleiteten, 
kann ed als Zeitverfchwendung angefehen werden, wenn man bie Ges 
feplichkeit des Gerichtshofes, welcher die Sache aburtheilte,, oder bie 
Regelmäßigfeit der Formen feines Verfahrens prüfen wi. Der ei⸗ 
gentliche Prozeß fand nicht in Flandern, fondern in Eaftilien ftatt. 
Wer fönnte wohl zweifeln, daß lange vorher, ehe der Herzog von Alva 
feinen Marſch antrat, das Urtel der beiden Evelleute in dem Madrider 
Kabinet gefällt worden war? 


Sünftes Kapitel. 
Die Hinrihtung Egmont's und Hoorne's. 


Die Srafen werden nach Brüffel gebracht. — Sie werden mit dem Urtel befannt 
gemacht. — Der Weg zum Blutgerüfle. — Die Hinrichtung. — Der Cha⸗ 
rafter Egmont's. — Das Schickſal feiner Familie. — Die Stimmung bes 


Bolfes, 
1568. 


Den zweiten Juni 1568 wurde eine Abtheilung von breitaufend 
Mann nad) Bent beordert, um die Grafen Egmont und Hoorne nad) 
PBrüffel abzuholen. Obſchon die Einwohner von Gent dad Geſchick 
ihreö geliebten Herrn ahnten und wegen ber Anweienheit der Spanier 


88 Weaaunftes Kapitel. 


in große Aufregung geriethen, feßten fle Ihnen doch keiten Wiverftaub- 
entgegen. 

Die beiden Edelleute wurden in getrennte Wagen gebradyt; einen 
jeden begleiteten zwei Offiziere. Sie wurden von zwanzig. Kompag⸗ 
nieen Lanzenmaͤnnern und Büchfenfchägen bewacht, und eine Abthei⸗ 
lung Reiflge, darunter ein Theil von des Herzogs Leibgarde, ritt 
voraus, während eine Abtheilung von gleicher Stärfe den Rüden 
deckte. Unter diefer ftarfen Bewachung rüdten fie langſam Brüffel 
zu. Eine Racht brachten fie in Dentermonde zu, und gegen Abend 
am vierten des Monats kamen fie in die Hauptftant. Als fi der 
kriegeriſche Aufzug, fagt ein Augenzeuge, die Straßen entlang bewegte, 
fonnten felbft die fefteften Männer nicht ohne das Gefühl der Wehr 
muth dad traurige Schaufptel jehen und die Klagetöne der Muflf 
hören. 

Die Gefangenen wurden nady dem Brodhuys oder „Brot 
haus” gebraht. Daſſelbe heißt gewöhnlich Maison du Roi und if 
das ehrwuͤrdige Gebäude auf dem Brüffeler Marftplage, welches noch 
jest feiner zierlihen Bauart wegen, beſonders aber, weil «8 für die 
flamändifchen Herren zur legten Wohnung diente, von jedem Reifens 
den befucht wird. Hier wurden fie in getrennten, fleinen, dunklen, 
unbequemen und mit bürftigen Meublen verfehenen Zimmern unterges 
bracht. Beinahe die ganze Macht, welche fie nach Brüffel escortirt 
hatte, wurde auf den großen freien Play gelegt, um Befreiungsver⸗ 
ſuche zu verhindern. Allein nichts Derartiges fiel vor, und die Nacht 
verftrich IN. Den einzigen Lärm machten fleißige Arbeiter, bie mit 
der Errichtung eines Schaffots für die Hinrichtungsfcene des folgenden 
Tages beichäftigt waren. 

Den vierten Juni Nachmittags ließ der Herzog von Alva den 
Biſchof von Ypern, Martin Rithovius, holen. Nachdem er dem Brä- 
laten den Urtheilsſpruch der Angeklagten mitgetheilt hatte, erfuchte er 
ibn , diefelben. mit ihrem Geſchick befannt zu machen und fie für die 
Hinrichtung des nächften Tages vorzubereiten. Der Biſchof, ein aus» 
gezeichneter Mann und perfönlicher Freund Egmont's, war Über diefe 
Mittheilung erftaunt. Er warf fih Alva zu Füßen, flehte ihn um 
Gnade für die Verurtheilten an, und bat ihn, wofern er ihnen nicht 





Die Hinrihtung Bgmonts und Hoorne's. 89 


das Leben fchenten koͤnnte, benfelben wewigfiens cine längere Vorder 
reitungszeit zu geftatten. Allein Alva fah den Brälaten finfter an 
und fagte, daß er nicht gefordert worben fel, um die Ausführung des 
Geſetzes zu hemmen, fondern die Verurtheilten zu. trößfen und fie in 
den Stand zu fegen, als Chriſten zu ſterben. Da ber Bifchof fah, 
daß feine Bitten vergebens waren, fiand er auf und ging an fein 

trauriges Geſchaͤft. 

Als er in das Zimmer Egmont's trat, war es beinahe Muter⸗ 
nacht. Gr fand den armen, durch feine Haft geichtwächten und von 
der Anftrengung der Reife erichöpften Edelmann in tiefem Schlafe, 
Bei ihrer Abholung nach Brüffel follen ſich Die beiden Herren der eis 
teln Hoffnung bingegeben haben, daß fie dort mit dem Schluffe ihrer 
Unterſuchung und mit ihrer Freilaffung befannt gemacht werden follten ! 
Wie fid) das aber auch verhalten mag, fo fcheint Egmont auf die ihm 
überbradyte Nachricht nur fehr wenig vorbereitet geweſen zu fein, Als 
er den Bilchof anhörte,, wurde er todtenbleich und rief tiefbewegt aus: 
„Es iſt ein fchredtiches Urtheil. Ich glaube nicht, daß irgend ein 
Vergehen, welches ich gegen Gott oder den König beging, eine ſolche 
Strafe verdient. Den Tod felbft fürchte ich nicht. Der Tod ift unfer 
Aller Loos. Aber ich entiege mich vor der Schande. Doch darf ich 
hoffen, daß mein Leiden meine Schuld binlänglich fühnen wird, damit 
meine unfchuldige Yamilie nicht durch die Konfisfation meined Eigens 
thums mit in meinm Ruin gezogen wird. So viel wenigftens, glaube 
ich, darf ich für meine geleifteten Dienfte verlangen.” Dann feste er 
nach einer Baufe hinzu: - „Weil ich denn einmal nadı dem Willen 
Gottes’ und Seiner Majeftät fterben muß, will ich verfuchen, es mit 
Saffung zu thun.“ Er fragte den Bifchof, ob denn gar feine Hoff 
nung jei, und al& er die Antwort erhielt: „durchaus feine, * bes 
jchloß er, fich fogleidy der Vorbereitung auf den feierlichen Wechfel zu 
wismen. 

Er ſtand von feinem Lager auf und Fleidete ſich haſtig an. Als⸗ 
dann beichtete er dem Präfaten, wünfihte, daß Meſſe für ihn gelefen 
würde, und bat um das Abendmahl. Dies geichah mit großer Feier⸗ 
lichkeit. Egmont empfing dad Saframent in der andächtigften Weife 
und zeigte bie größte Reue über feine Sünten. Hierauf fragte er den 


90 Fünftes Kapitel. 


Biſchof, welches Gebet er am beſten zur Stärkung in dieſer Stunde 
der Verfuchung gebrauchen koͤnne. Der Prälat rieth ihm das Gebet 
an, welches der Heiland feinen Jüngern anempfahl. Der Graf fand 
den Rath gut und vertiefte fi) in ernſte Andacht. Aber eine Maffe 
zärtlicher Erinnerungen tauchte in ihm auf, und bie Bilder feiner 
Grau und feiner Kinder Ienften feine Gedanken nach einer anderen 
Richtung , bis ihn die freundlichen Ermahnungen ded Prälaten wieder 
zu fich felbft brachten. 

Egmont fragte, ob e8 gut fein würde, vom Schaffot aus Etwas 
zur Tröftung des Volks zu fagen. Allein ber Bifchof rieth ihm davon 
ab, indem er fagte, daß Egmont nur unvollfominen verftanden wer⸗ 
den würde, und daß dad Volk bei der gegenwärtigen Aufregung das 
Gehoͤrte wahrfcheinlich mißdeuten werde, was nur Schaden bringen 
fönnte. - 

Nachdem Egmont für dad Heil feiner Seele geforgt hatte, verlangte 
er Schreibmaterialien, um von feiner Gemahlin , welche er während 
der. ganzen Haft nicht gefehen hatte, fchriftlich einen zärtlichen Abſchied 
zu nehmen. Dann richtete er einen franzöftichen, kurzen, aber rührenden 
Brief an den König. Gluͤcklicherweiſe ift derjelbe und aufbehalten 
worden. Egmont fchreibt: „Heute Morgen hat man mic mit dem 
Urtheile befannt gemacht, welches Eure Majeſtät über mich zu fällen 
geruht hat. Obſchon es nun nie meine Abficht geweien it, Etwas 
gegen die Perfon oder die Regierung Eurer Majeftät, oder gegen uns 
feren wahren, alten Fatholifchen Glauben zu unternehmen , füge id) 
mich doch geduldig in den Willen Gottes. Wenn ich während dieſer 
- Unruhen etwas Anderöfcheinendes gerathen oder erlaubt habe, fd ger 
ſchah es nur aus einem aufrichtigen Beftreben für den Dienft Gottes 
und Eurer Maieftät, und weil ich ed von der Rothwendigfeit der Um⸗ 
fände für geboten hielt. Deshalb bitte ich Eure Majeftät, es zu 
verzeihen, und um meiner geleifteten Dienfte willen gegen mein 
Weib, meine Kinder und meine Dienerfchaft barmherzig zu fein. In 
dieſem Vertrauen empfehle ich mich felber der Gnade Gottes.“ Der 
Brief ift datirt: Brüffel, „an der Schwelle des Todes,“ den 5. Juni 
1568. 

Weil noch Zeit übrig war, fchrieb Egmont die beiden Briefe ins 


Die Hinrihtung Egmont’s und Hoorne'e. 9 


Reine und übergab fie dem Bifchof mit ber Bitte, dieſelben an bie 
Adreffaten gelangen zu laſſen. Demjenigen an Bhilipp fügte er einen 
Ring bei, welcher dem Monarchen zugleich mit dem Briefe übergeben 
werden follte. Diejer Ring war von hohem Werthe. Da derſelbe ein 
Geſchenk Philipp's war, welches Egmont bei feiner leuten Anweſen⸗ 
beit in Madrid empfangen hatte, konnte er den König verfähnen , ins 
dem er ihn an bie glüdlicheren Tage, wo Philipp feinen unglüdlicyen 
Bafallen noch mit Gunſt behandelt hatte, erinnerte. 

Nachdem Egmont mit allen feinen Anordnungen fertig war, 
fehnte er fi nad) der Stunde des Abgangs zum Richtplage und 
fprady den Wunſch aus, daß man feinen unnöthigen Auffhub machen 
möge. Früh zehn Uhr erfchienen die Soldaten, welche ihn nad 
dem Schaffot führen follten. Wie gewöhnlidy , brachten fie Stride 
mit, um dem Berurtheilten die Hände zu fefleln. Allein Egmont 
erhob hiergegen Einwand, und zeigte, daß er ſelbſt, um den Streich 
des Echarfrichterd zu erleichtern, von feinem Wamd und Hemd 
den Kragen abgefchnitten hatte. Dies that er, um fie zu über: 
zeugen, daß er auf feinen Widerftand dachte, und da er verſprach, 
daß er nichts Derartiges verfuchen wolle, ließen fie feine Hände un- 
gefeffelt. 

Egmont hatte ein Gewand von rothem Damaft an; darüber 
Bing ein goldverbrämter fpanifcher Mantel. Seine bis zum Knie reis 
chenden Hofen waren von fchwarzer Seide, und auf feinen aus dem: 
felben Stoffe beftehenden Hute ftafen weiße und fchiwarze Bebern. In 
feinen Händen, welche, wie wir fahen, frei blieben, hielt er ein weißes 
Taſchentuch. Auf feinem Wege zum Richtplatze begleiteten ihn Ju⸗ 
lian de Romero, maftre de camp; ber Kapitän Salinas, welchem 
die Feſtung Gent übertragen war, und der Bilchof von Ypern. Als 
fid) der Zug langfam vorwärts bewegte, betete der Braf einen Theil des 
einundfunfzigften Pſalms: „Sei mir gnäbig, o Bott!“ —, wobei ihn 
der gute Brälat begleitete. In der Mitte des großen freien Platzes, 
auf der Etelle, wo fd viel des beſten Blutes der Niederlande vergoffen 
worden ift, fand das ſchwarz ausgelegte Blutgerüfte. Darauf be 
fanden ſich zwei Sammetkiſſen und ein Feiner, ebenfalld ſchwarz ges 
dedfter Tiſch, mit einem filbernen Kruzifir. An den Eden des Ges 


93 Fünftes Kapitel. 


rüſtes ſtanden zwei mit Stahlipiben verſehene Bfähle, deren Zweck 
klar war. | 

Dem Schaffot gegenüber faß der Profoß Bed Gerichtshofes zu 
Pferde und hielt in feiner Hand den rothen Amtsſtab“). Wie ges 
wöhnlich, blieb der Scharfrichter ungefehen unter dem ®erüfte, damit 
er nicht, ehe es nöthig wäre, durch feine Gegenwart das Gefühl 
der Verurtheilten verleßte**). Die Truppen, welche bie ganze Nacht 
bindurdy unter Waffen geftanden hatten, waren rund herum in 
Schlachtordnung aufgeftellt, und ſtarke Abtheilungen Büdsfenfchügen 
waren vor die Ausmündungen der zum Platze leitenden Straßen por 
flirt. Der von den Soldaten freigelaffene Raum wurde ſchnell von 
einem Haufen neugieriger Zufchauer befegt. Andere drängten ſich auf 
den Dächern und in ten Fenſtern der den Marftplap umgebenden 
Gebäude. Bon den letzteren ftehen einige noch heutzutage; fie zeigen 
durch ihre Fünftliche und ehrwürdige Bauart, daß fie die tragifche 
Szene, welche wir jest darftellen,, mit angejehen haben. 

Für Brüffel war ed ein in ber That trauriger Tag, denn ed war 
jo lange der Aufenthaltsort der beiden Edelleute gewelen und man 
fannte fie dafelbft fo gut und fie waren fo beliebt, wie in ihren 
eigenen Provinzen. Alle Beichäfte ftanden ftil. Die Laͤden waren ges 
ſchloſſen. Von allen Kirchen läuteten die Glocken. Ein düfteres Ausſehen 


— — — — — 


2) Dieſes Individuum, Namens Spel, hatte fein beſſeres Geſchick, als die 
Opfer, deren Hinrichtung er jetzt vorſtand. Wie uns Strade berichtet, wurde er, 
zur großen Genugthuung des Volkes, kurz darauf für ſeine vielen Verbrechen vom 
Herzoge zum Galgen verurtheilt. 

**) Der Scharfrichter ſoll früher ein Bedienter Egmont's geweſen fein. „EI 
verdugo, que hasta aquel tiempo no se havia dejado ver, por que en la forma de 
morir se le tuvo este respelo, hizo su oflciv con gran presteza, al qual havia hecho 
dar aquel maldito oficio il decho Conde, y dicen aver sido lacayo suyo.* Relacion 
de la Justicia, MS. — Diele Relacion findet fih in einer intereflanten handichrifts 
lihen Zufammentragung unter dem Titel: „Cartas y Papeles varios“ im britifchen 
Muſeum. Der Berfafler tavon foll Pedro de Gante, der Sefretär des Herzogs 
von Narera, geweſen fein, ter ein Bergnügen daran fand, verſchiedene intereflante 
„Berichte” aus der Zeit Rarl’s des Fünften und Philivp tes Zweiten abyus 
fchreiben. 


Die Hinrihiung Egmoni's und Hoorne's. 93 


Tag, als ob irgend ein Ungluͤck bevorftände, über der Stadt. „Es fehlen“, 
fagt ein Augenzeuge, „als ob das jüngfte Gericht angehen follte. * 


Wie ſich der Zug langfam durd die Reiben der Soldaten be⸗ 
wegte, grüßte Egmont die Offiziere , unter welchen e8 alte Waffenge⸗ 
führten von ihm gab, auf eine fo anmuthige umd würdige Werfe, daß 
fih die Zufchauer lange daran erinnerten. Selb von den Spaniern 
tonnten fidy nur wenige, als fie zum legten Dale den tapferen Edlen, 
der fo fchmählicy enden follte, fahen , der Thränen enthalten. 


Mit feftem Tritte beftieg er das Schaffot. ALS er darüber 
binfchritt, ſprach er den eitlen Wunfch aus, daß er, anftatt ein ſolches 
Geſchick zu finden, gern im Dienfte feines Königs und feines Landes 
geftorben wäre. Indem er ſich jedoch bald anderen Gedanken zus 
wandte, fniete er auf eines der Kiffen nieder und vertiefte fich in ernftes 
Gebet, während zu feiner Seite der Biſchof auf dem andern Kiffen 
fniete. Mit zum Himmel gerichteten Augen und einem unaudfpredys 
lich traurigen Blicke betete er fo inbrünftig und laut, daß er von den 
Zufchauern deutlich gehört werden fonnte. Der tiefgerührte Präfat 
gab ihm dad filberne Kruzifir in die Hände; Egmont küßte es zu 
wiederholten Malen, empfing darauf zum legten Mate die Abfolution 
und winfte, indem er aufftand, dem Bilchof, ſich zurüdzuziehen. 
Alsdann warf er feinen Mantel und fein Gewand ab, fniete wiederum 
nieder und zog fich eine zu dem Zweck mitgebrachte fammtne Kappe 
über bie Augen. Indem er nun die Worte herfagte: „Herr, in beine 
Hände befehle ich meinen Geiſt,“ erwartete er-ruhig den Streidy des 
Scharfrichters. 


Als dieſer oben auf dem Schaffot erſchien, verſtummten die 
dumpfen Klagen, welche von Zeit zu Zeit aus der Menge gehoͤrt 
wurden. Er näherte ſich feinem Opfer und trennte mit einem einzigen 
Streige dad Haupt vom Rumpfe. Da erichallte aus der Menge 
ein Schrei des Entfegene. inige, außer fi vor Kummer, durch⸗ 
brachen die Reihen der Soldaten, tauchten rafend ihre Tafchentücher 
in das vom Schaffot fließende Blut und, fagt die Chronik, bewahrten 
fie auf als Foftbare Liebedandenten und Mahner der Rache. — Als⸗ 
dann wurde der Kopf auf einen der Pfähle an ben Eden des Serüftes 


94 Fünftes Kapitel. 


geſteckt, während ein über den Rumpf gerworfener Rantel dieſen den 
Blicken des Publikums entzog. 


Es war Mittag, als der Befehl ertheilt wurde, den andern Ver⸗ 
urtheilten zur Richtſtaͤtte zu führen. Der Geiſtliche von La Chapelle 
hatte den Grafen Hoorne mit ſeinem Schickſale bekannt gemacht. Letz⸗ 
terer empfing die Nachricht noch mit weniger Fafſung, als ſein Freund. 
Er brach in Zorn über die Grauſamkeit und Ungerechtigkeit des Urtels 
aus. Das wäre, ſagte er, eine kümmerliche Belohnung für die acht 
und zwanzigiährigen,, feinem Souverain geleifteten treuen Dienfte. 
Doch fei er, fegte er hinzu, nicht ärgerlich darüber, daß er endlich von 
einem fo unaufhörlich mühevollen Zeben erlöft würde. Er weigerte ſich 
eine Zeit lang, zu beichten , indem er fagte, er hätte fchon genug ges 
beichtet. Als er jetoch ermahnt wurde, daß er nicht Die wenigen koſt⸗ 
baren, ihm übrig gelaffenen Augenblide ungenügt verftreichen laffen 
. möge, gab er endlich nad). 


Der Graf war in einen ſchwarzen Anzug gekleidet und trug eine 
milanefilche Feder auf feinem Qute. Er war gegenwärtig gegen funfs 
zig Iahre alt. Er befaß einen hoben Wuchs, fchöne Züge und 
machte einen durchaus gebieterifhen Eindruck. Er hatte eine gerade 
Haltung, und al& er auf feinem Gange zur Richtftätte mit einem fichern 
Tritte durch die Reihen der Soldaten ging, grüßte er ungezwungen 
unter den Zufchauern feine Bekannten. Sein Blid verrieth nicht fos 
wohl Kummer, als Entrüftung, wie derjenige eined Mannes, ber 
weiß, daß er Unrecht leidet. Eine Sorge, die Egmont's Scidfal 
verbittert hatte, war ihm in feiner legten Stunde erfpart; denn, ob⸗ 
fchon er, wie Egmont, verheirathet war, hinterließ er doch Feine vater, 
lofe Familie. 


Als er das Schaffot betrat, Ichien auf ihn der Todesapparat 
feinen Eindrud zu machen. Er wiederholte die Erklärung, daß „fo 
oft er auch gegen feinen Schöpfer gefehlt, er doch nad, feinem Wiflen 
fein Verbrechen gegen den , Rönig begangen Babe.“ Indem feine 
Augen auf das blutige Gewand, welches Egmont’d Ueberbleibfel vers 
hüllte, ftreiften,, fragte er, ob das ber Körper feines Freundes ſei. 
Nachdem man ihm dies bejaht hatte, machte er eine unverftandene 





Die Hinrigtung Egmont's und Hoorne's. 095 


Bemerkung auf Eaftfliih. Einige Augenblicke betete er aldann, aber 
fo leiſe, daß Die Worte von den Beiftehenden nicht gehört werden fonn- 
ten. Hierauf erhob er ſich, bat diejenigen , welche er beleidigt haben 
fönnte, um Verzeihung und erfuchte fie ernftlich, für ihn zu beten. 
Nachher Eniete er ohne weiteren Verzug nieder und unterzog ſich feinem 
Geſchick, indem er die Worte „In manus tuas, Domine“ herfagte*). 


Sein blutiges Haupt wurde demjenigen feined Leidendgefährten 
gegenüber aufgepflanzt. Drei Stunden blieben diefe Schredenstros 
phäen den Blicken der Menge ausgeſetzt. Dann wurden fie abgenoms 
men und zufammen mit den Körpern in bleierne Särge gelegt. Den 
Sarg mit den Ueberreften Egmont’ fchaffte man in das Klofter St. 
Elara und denjenigen Hoorne's in die alte Et. Guduliskirche. Nach 
diefen Plägen, befonderd aber nach St. Klara firömte nun das Volk 
wie nad) dem Schreine eined Märtyrerd. Man warf fich auf den 
Sarg, füßte ihn und bethaute ihn mit Thränen, glei) ald wenn er 
die Reliquien irgend eines ermordeten Heiligen enthielte, während 
Andere, ohne fich viel um etwaige Angeber zu fümmern, Rache ges 
lobten ; ja, Manche’ ſchworen, daß fie, bis fie ihr Gelübde erfüllt häts 
ten, fich weder Haar noch Bart fcheeren wollten. Die Regierung 
fcheint e8 für flug gehalten zu haben, dieje Oefühlausbrüche nicht zu 
beachten. Allein ein Todtenfchild mit Egmont's Wappen, den die 
Bedienten, wie nach dem Tode ded Herrn gewöhnlih war, an bie 
Thore feined Palafted befeftigt hatten, mußte auf der Stelle entfernt 
werben ; wahrfcheinlich gefchah dieſes Verbot, damit die Volksauf⸗ 
tegung nicht wach erhalten würde. Die Leichen durften nicht lange in 
ihren zeitweiligen Ruheftätten bleiben , fondern wurden auf das Land 
nad) den Bamilienfigen der beiden Herren geichafft und bort in ben 
Grüften ihrer Ahnen beigeſetzt **), 


*) ‚Wenn nicht fchon alle Thränen, ’’ fagt Strade, ‚‚für Egmont verweint ges 
weien wären, würde der Tod dieſes Mannes über die Maßen betrauert worden fein.‘ 
»2) Mondoucet, der franzöfifche Geſandte am brüfleler Hofe, war unter den 
Zuſchauern, weldye der Hinrichtung der beiden Edeln beimohnten. Gr fandte 
feinem Herrn einen vollländigen Bericht der tragifchen Scene: den ausführlichen 
und vielleicht glaubwürdigften unter allen, die wir befigen. Diefer Bericht fiel glüds 


96 Eimfied Kapitel. 


Alto fielen durch den Arm des gemeinen Scharfrichters diefe bei⸗ 
den unglüdlichen Edelleute, welche durch ihren Rang , durch ihre Be⸗ 
figungen und perfönlichen Eigenfchaften die vornehmften Opfer waren, 
die man in den Niederlanden auswählen konnte, Beide Hatten ſchon 
früh bei Karl dem Bünften in Gunft geftanden,, und beide waren von 
Philipp mit den Höchften Stellen im Staate betraut worden. Philipp 
de Montmorency , Oraf Hoorne, ber ältere von den beiden, ſtammte 
aus dem alten Haufe der Montmorencys in Branfreih. Außer daß 
er den hohen PBoften eines Admirals ber Niederlande bekleidete, war 
er nody Gouverneur der Provinz Geldern und Zütphen , verfah die 
Stelle eines Staatsraths und war vom Kaijer zum Ritter des Gols 
denen Vließes ernannt worden. Zwar war fein Vermögen geringer, 
ald dasjenige Egmont's; aber die Konfiöfation deſſelben war für bie 
bedürftige Kaffe des Herzogs von Alva keineswegs eine unwillfoınmene 
Hülfe. 

Auf wie gleicher Stufe fie auch beide in vieler Hinficht zu ftehen 
fchienen, fo wurde Hoorne doch von feinem Freunde durch deſſen milis 
tärifchen Ruhm verbunfelt. Lamoral, Graf Egmont erbte von feiner 
Mutter , der fchönften Frau ihrer Zeit, den Titel: Fuͤrſt von Gavre, 
— einem Orte an der Schelde unweit Gent. Indeſſen zog er den 
durch feinen Vater von Ahnen , welche das Herzogthum Geldern res 
giert hatten, ererbten befcheidenen Titel: Graf Egmont — vor. Der 
Umſtand, daß er fchon frühzeitig zu ungewöhnlichen Hoffnungen bes 
rechtigte, Tenfte zufammen mit feiner hohen Abfunft die Aufmerkſam⸗ 
feit des Kaiſers Karl des Fünften auf ihn. Auch beehrte der Kaifer 
1544 Egmont’d Bermählung mit Sabina, Pfalzgräfin von Baiern, 
durch feine Gegenwart. Im Jahre 1546 wurde der faum vier unb 
zwanzig Jahre alte Egınont in den Orden ded Goldenen Vließes auf 
genommen, und zwar gefchah dies durch ein fonderbared Zuſammen⸗ 
treffen am nämlicyen Tage, an welchem die gleiche Würde auf den 
Herzog von Alva , der fpäter fein tödtlicher Feind werden ſollte, über⸗ 
tragen wurbe. Bei der Thronbefleigung erhob ihn Philipp zu der 


— — — — — 


licher Weiſe dem Braniome in die Hände, der ihn in feine Nachricht über Egmont 
einfchaltete. 


Die Hinrichtung Egmont's und Hoorne's. 97 


Würde eines Staatsrathes und machte ihn zum Gouverneur der wich⸗ 
tigen Provinzen Artois und Ylandern. 

Aber jede antere Auszeichnung verfchwand vor dem Ruhme jener 
beiden Siege, welche feit der Niederlage bei Pavia den tiefften Makel 
auf dem franzoͤſiſchen Namen binterliegen. „Ich habe,” ſchrieb der 
franzöfifche Gefandte, weldyer Egmont’d Hinrichtung mit anfah, — 
„ich babe das Haupt ded Mannes, der zweimal Frankreich zittern 
machte, fallen fehen. ” 

Jedoch fhlug der von diefem Erfolg geärntete Ruhm wahrjchein« 
lich zu Egmont's Verderben aud. Denn derfelbe, ald die bloße Folge 
ungeftümer Tapferkeit und eined glänzenden coup de main, war fehr 
verichieden von einem glüdlichen langen Feldzuge, der bei einem Bes 
fehlshaber Genie und große militärifche Wiflenfchaft vorausfegt. Ins 
deß hätte der daraus entfpringende Eclat wohl einem weniger ftolzen 
Mann, ald Egmont , den Kopf verbrehen können. Er erhob ihn mit 
einem Male auf die hervorragendfte Stellung im Lande und zwang ihn 
gewifliermaßen einen Platz einzunehmen, dem feine Fahigkeiten nicht 
gewachien waren. Als die Unruhen begannen, ging er an der Spige 
der Unzufrietenen Hand in Hand mit dem Prinzen von Dranien. 
Hierzu wurde er mehr durch eine edle Cutrüftung über dad jeinen 
Landsleuten angethane Unrecht, ald durch feite Lebendgrundjäge bes 
wogen. Indem er alfo einem augenblidlichen Gefühle folgte, fah er 
nicht, wie Wilhelm, die Konfequenzen feines Handelns voraus. Als - 
nun diefe Konjequenzen kamen, war er nicht auf fie gefaßt: er glich 
einem ungeſchickten Beichwörer, der weder den von ihm herbeigeführten 
Sturm zu legen verfteht, noch die Kühnheit, demfelben zu begegnen, 
befigt. Er fand unter widerſpruchsvollen Einflüffen. Der Volks⸗ 
bewegung trat fein ftarfed Gefühl der Gefeglichkeit und feine noch 
Närfere Anhänglichkeit an den fatholifchen Glauben entgegen. Hierzu 
gefelite ſich noch feine perfönliche Eitelkeit; denn Egmont befaß viel. 
zu viel von einem Hofmann, als daß er gern dem huldvollen Lächeln 
de8 Monarchen entfagt hätte. So hoben benn bie ihn beſtimmen⸗ 
den entgegengefegten Kräfte einander auf. Anſtatt wie fein Freund 
Wilhelm von Dranien fonjequent vorzugehen, erichien er ſchwach und 
ſchwankend. Wo er hätte handeln jollen, da zauderte er. Und als 

Brescott, Geſch. Philipps Il. II 7 





98 Fünfte Kapitel. 


der Sturm ſtark wurde, trat er fogar auf die Himterfüße und fichte fich 
der Gnade des Monarchen , den er beleidigt Batte, anheim. Wilhelm 
Kannte den Charakter feines Herrn, wie benjenigen deö zur Ausführung 
feiner Befehle geſchickten Diener beffer*). 

Doch gab es, trog aller feiner Mängel, fowohl in Egmont’d per» 
fönfichen Eigenfchaften, als in feinen Thaten genug Bewundernd- 
werthed. Brantome fagt: „Ich war fomohl in Frankreich wie in 
Spanien mit ihm befannt , und niemals traf ich einen Edelmann von 
einer befiern Erziehung oder von anmuthigeren Sitten“ **), Bei einem 
fo einnehmenden Aeußeren, einem fo edelmüthigen Herzen und fo 
glänzenden Ruhme ift ed nicht zu verwundern, wenn Egmont der 
Stolz des Hofes und der Abgott feiner Landsleute war. In ihrer 
Berehrung für ihn konnten leßtere nicht begreifen, taß Alva blos aus 
Pflihtgefühl und Gehorfam gegen den Monarchen angetrieben worden 
fein ſollte. Sie fuchten in der früheren Gefchichte des Rivals fleißig 
nad) einem Grunde perfönlichen Haſſes. Bei Alva's erfter Anweſen⸗ 
heit in den Niederlanden follte ter damals noch junge Egmont ihm 
eine beträchtliche Summe im Spiele abgewonnen haben. Die Abs 








*) Bloß einige wenige Wochen vor Egmont’s Gefangennahme entwirft Morils 
fon in einem Briefe vom 3. Auguft 18567 tem Granvelle von tiefem Edelmanne 
eine Eurze Beichreibung,, welche, wenn fie auch von feiner freundlichen Hand bers 
"rührt, doch nicht von der Wahrheit weit entfernt zu fein fcheint. „Ce seigneur, y 
est-il dit, et haut et prösumant de soy, jurques & vouloir embrasser le faict de la 
röpnblique et le redressement d ’icelle et de la religion, que ne sont pas de son 
gibier, et e&t plus propre pour conduire une chasse ou volerie, et, pour dire tout, 
une bataille, 8’ il fut este si bien advise que de se cognoistre et se mesurer de son 
pied; mais les Qlatteries perdent les gens, et on leur fait accroire qu’ ilz sont plus 
saiges qu’ ilz ne sont, et ils le croient et se bouttent sy avant, que apre&z ilz ne se 
peuvent ravoir, et il est force qu’ ilz facent le sault.* Archives de la Maison 
@Orange-Nassau, tome I. p. LXIX. 


**) ine alte Dame am franzöftichen Hofe, weldye in ihrer Jugend bie Nieder⸗ 
lande beſucht hatte, verficherte Brantome, daß fie Egmont, der damals noch nicht 
über das Zünglingsalter hinaus war, oft gefehen hätte, und daß er damals fo aus⸗ 
nehmend furchtſam unt Infifch gemwefen wäre, daß er dadurch am Hofe fowohl bei 
Männern wie bei Frauen zur Sielfheibe des Witzes wurde. So beſchaffen war 
der Rohſtoff, aus welchem fpäter die Blüthe des Ritterthums fproflen follte! 


Die Hinrihtung Egmoni's und Hoorne's. 99 


neigung Alva's wurde durch Egmont's Ueberlegenheit bei einer Schieß⸗ 
partie vermehrt: denn das Volk, welches dieſe Ueberlegenheit ald einen 
nationalen Triumph feierte, ſteigerte des Herzogs Unwillen noch höher. 
Was jedody dad Maß der Eiferfucht ded Herzogs voll machte, war 
Egmont’d militärischer Ruhm. Denn die fabiusgleiche,, die Feldzüge 
des Herzogs beſtimmende Politik Eonnte ihm wohl Anfprüche auf den 
Kamen eines großen Feldherrn geben ; allein fie begünftigt keineswegs 
jene glänzgenten Waffenthaten, welche für die Menge fo viel Anziehen, 
bes haben. Das Gefühl des Hafled war, wie man jagte, in Alva's 
Bruft in der That fo flarf, daß er fih am Tage ber Hinrichtung feines 
Nebenbuhlers in dem nämlichen Haufe, wo Egmont in Haft geweien 
war, hinter ein Eiſengitter ſtellte, damit ich feine Augen an tem Todes⸗ 
fampfe feines Opfers weiden fönnten. *). 


Alva's Freunde erzählen die Sachr ganz anderd. Nach ihnen 
war eine Krankheit, an welcher Alva am Echluffe der Egmont'ſchen 
Unterſuchung litt, von jeinem geiftigen Kummer über den ihm vom 
König ertheilten Aufırag verurfacdyt worden. Er hatte mehrmald an 
ben caftilischen Hof gefchrieben,, mit der Bitte um eine Milderung des 
Egmont’fchen Urtels, erhielt jetoch die Antwort: „daß died ohne Weis 
tereß gejchehen fein würde, wäre die Beleidigung gegen den König ges 
richtet ; Da es jedoch ein Verbrechen gegen die Kirche fei, fei eine Mils 
derung unmoͤglich.“ Der Herzog fol fogar am Tage der Hinrichtung 
fo bewegt gewefen fein, daß man ihn Thränen fo groß wie Erbfen 
weinen fah ! 


Sch muß geftehen, daß ich niemals einen Bericht gefehen habe, 
ber dad Gerücht von Alva's perfönlicher Anweſenheit bei der Hinrich: 
tung verbürgen fönnte. Aber dagegen ift mir auch fein Brief aufges 
ftoßen, worin Alva von dem ftrengen Urtel abs und eine mildere 


Schiller erzählt uns in feinem :Berishie von der Hinrichtung der beiden Cdlen, 
dag Alva ten Todesfampf feiner Opfer von einem Fenſter des Rathhauſes, bes 
fhönen alten, dem Marktplatze gegenüberftehenden Gebäudes, zufah. Der Eicerone 
dagegen, weldyer dem gläubigen Reifenten die Merkwuͤtdigkeiten der Haupflant zeigt, 
gibt das Zimmer der Gefangenen in bem Maison du Roi als dasjenige an, wo 
fi) der Herzog verborgen hielt. — Valest quantum. 

7* 


100 Fünftes Kapitel. 


Strafe anräth. Died würde in der That feiner offen eingeftandenen 
Politik geradezu entgegen gewefen fein. Vielleicht erinnert fi ber 
Lefer an den derben Vergleich, in welchem er der Königin Mutter zu 
Bayonne anempfahl, lieber den großen Adel, als die ®emeinen, zu 
züchtigen. „Ein einziger Lachſs,“ fagt er, „iR zehn taufend Froͤſche 
wertb.” Kurz nah Egmont's Verhaftung famen einige brüffeler 
Bürger zu ihm und fragten ihn, warum diefelbe gefchehen wäre. Der 
Herzog gab ihnen die derbe Antwort: „wenn er erft fein Heer beifams 
men habe, wollte er es ihnen wiflen lafien.” Alles beweiſt, daß feine 
Berfahrungsweife gegen die beiden Herren auf einem vorher abgemad)s 
ten Plane, an weldyem er feinen vollen Antheil hatte, beruhte. In 
einem furz nad) der Hinrichtung geichriebenen Briefe an Philipp ipricht 
er mit Freude davon, daß er den koͤniglichen Willen in Bezug auf die 
großen Verbrecher audgeführt hat. In einem anderen Briefe erwähnt 
er die durch den Tod Egmont's verurfachte Aufregung und fegt hinzu: 
„De größer die Aufregung, um jo größeren Nupen werden wir daraus 
ziehen." — In Alledem ift wenig Reue über die Handlung und wenig 
Mitleid für die Opfer zu finden. 

Das Wahre Scheint zu fein, daß Alva ein Mann von einem arros 
ganten Wefen, einem unbeugfamen Willen und von ben befangenften, 
beſchraͤnkteſten Anfichten war. eine Lehre vom unbedingten Gehors 
fam ging fo weit al8 diejenige Philipp's jelbft. Indem er diejelbe 
einfhärfte, wies er eine mildere Verfahrungsweiſe, wie die Uebers 
zeugung durch Gründe und die Ausföhnung, von fih. Auf Gewalt, 
brutale Gewalt allein vertraute er. Er war ald Soldat erzogen und 
frühzeitig an die firenge Disciplin des Lagerd gewöhnt worden. Das 
einzige von ihm anerfannte Gefeg war das Kriegsgeſctz, fein einziges 
Argument das Schwert. Ein deöpotifcher Fürft hätte feinen beiferen 
Vertreter zur Ausführung feiner Pläne finden fönnen. ein harteß, 
unzugängliched Weſen war jenen Gefühlen verfchloffen, melde bis- 
wrilen die unempfindlichften Menfchen von ihren Vorfägen abbringen. 
Ebenſo wenig kannte er Furcht; auch fonnte ihn feine Gefahr ron 
der Ausführung ded Unternommenen abfchreden. Sein Haß in 
den Niederlanden war fo groß, daß es für ihn, wie man ihn warnte, 
nicht fiher war, nad) eingebrochener Dunfelheit auszugehen. Man 


»- 


Die Hinrihtung Ggmont’s und Hoorne's. 101 


hatte in Brüffel Anfchläge angeheftet, weldye ihn mit dem Tode be- 
drohten, wofern er nicht von der Verfolgung Egmont's abftehen würde. 
Diefe Drohungen fchlug er ebenfo gering an, wie die Bitten ber 
Gräfin oder die Argumente ihres Anwaltes. Weit entfernt, von per- 
fönlichen Rüdjichten geleitet zu werben, konnte ihn Nichts von dem 
engen Pfade, den er den Pfad ver Pflicht nannte, ablenken. Eicher, 
wenn auch langſam, bewegte er fi) dem Ziele zu und zertrümmerte 
mit feinem eifernen Willen jedes iım Wege ſtehende Hinderniß. Wir 
fhaudern, wenn wir einen folchen Eharafter, welcher kaum burdy einen 
menfchenfreundlichen Zug gehoben wird, fehen. Doch müflen wir zus 
geben, daß in der ftarren, fchroffen Weile ohne Furcht und Liebe, womit 
ein Menſch von diefem unbeugfamen Temperament feine Pläne aus⸗ 
führt, Etwas liegt, was unfere Bewunderung erregt. 

Es würde umbillig jein, wollte ich aus dem gegenwärtigen Zus 
fammenhange einige Stellen aus Alva's Korrefpondenz unerwähnt 
laſſen, weil diefelben zur Vermuthung leiten, daß er nicht gänzlich des 
Gefühle des Mitleids bar war, fobald daflelbe ihm nicht bei der Vers 
richtung feiner Aufgabe hinderlih war. In einen Briefe an ben 
König vom neunten Juni, alfo bloß vier Tage nach dein Tode der 
beiten Edlen, fhreibt ter Herzog: „Eure Majeftät wird fid) das Bes 
dauern vorftellen fönnen, womit ich diefe armen Herren ein folche® 
Ende finden und mich felbft fie dazu zu bringen gezwungen fah. Aber 
ich bin nicht von dein, was den Interefien Eurer Majeftät dient, zus 
rüdgefchredt. In der That haben fie und ihre Mitichuldigen ein 
großes Uebel der Gegenwart, welches noch auf viele fünftige Jahre 
die Seelen Bieler in Gefahr bringen wird, verurfadht. Die Lage der 
Gräfin Egmont erfüllt mich mit dem tiefften Mitleiden, denn diefe Frau 
iſt mit einer Bamilie von elf Kindern belaftet, wovon feines alt genug 
ift, um für fich felbft zu forgen. Dazu iſt fie eine Dame aus fo hohem 
Stande, eine Schmwefter des Pfalzgrafen , und ihr Lebenswandel iſt fo 
tugenphaft, Acht katholiſch und eremplariſch. Es gibt im ganzen Lande 
nicht einen Menfchen , der fie nicht bemitleider !” Alva fchließt: „Ich 
fann , wie id) hiermit unterthänigft thue, fie bloß der Gnade Eurer 
Majeftät anempfehlen, indem ich Sie bitte, Sich zu errinnern, daß ber 
Graf, ihr Gemahl, wenn er am Ende feiner Tage ſich in Unruhen ein» 


1092 Funftes Kapitel. 


ließ, früher dem Staate große Dienſte leiſtete.“ Freilich kam dieſe 
Betrachtung etwas ſpaͤt. 


In einem anderen Briefe an Philipp vom naͤmlichen Datum em⸗ 
pfiehlt Alva dem Könige an, die Graͤfin und ihre Kinder nach Spanien 
fommen zu laffen, damit die Töchter dafelbft den Schleier nehmen, 
während bie Söhne paflend erzogen werden. „Ich glaube nicht,” fügt 
er hinzu, „daß ed noch eme fo unglüdlicye Familie in der ganzen Welt 
gibt. Ich bin nicht einmal gewiß, ob die Gräfin die Mittel befigt, 
ſich heute Nacht ein Abendeſſen zu beichaffen. ” 


Philipp bewies in feiner Antwort auf Diele Briefe, daß er fich 
nicht von feinem Theile Verantwortlichfeit für die Maßregeln feines 
Generals losmachen wollte. Der Herzog, fügte er, habe nur gethan, 
was feine Pflicht und die Gerechtigkeit forderten. Er hätte gewünſcht, 
daß die Lage der Dinge zu einem anderen Refultate hätte führen mögen, 
und er fönne nicht umhin, es fchmerzlich zu empfinden, daß Maßres 
geln wie diejenigen, zu welchen er gezwungen worden, unter feiner 
Regierung nothwendig gewefen feien. „Aber,“ fährt der König fort, 
„Niemand hat das Recht, vor feiner Pflicht gurüdzujchreden. — Mit 
großem Vergnügen,“ fchließt er, „habe ich gehört, daß die beiten 
Herren to gut fatholifch geftorben find. Was Sie mir in Anbetracht 
der Gräfin Egmont und ihrer elf Kinder anempfehlen, werde id) 
ganz gebührendermaßen beachten.“ 


Die Lage ber Gräfin hätte dad härtelte Herz zu Mitleid rühren 
können. Indem ihr aller Zutritt zu ihrem Gemahl verfagt war, 
konnte ſte ihm nicht jenen Troſt leihen, deſſen er während jeiner lan⸗ 
gen und einſamen Haft fo fehr bedurfte. Indeſſen war fie nicht uns 
thätig,, fondern firengte,, wie wir ſahen, alle ihre Kräfte an, um für 
ihn Sympathie zu erwecken. Auc) vertraute ſie nicht allein auf irdiſche 
Hülfe, fondern wallfahrtete beinahe alle Nächte mit ihren Töchtern 
barfuß nach den verjchietenen Kirchen Brüffeld, um dort den Himmel 
um Segen für ihr Bemühen anzuflehen. Eie war in diefer Brüfunge« 
zeit immer durch die fefte Hoffnung auf das Gelingen ihrer Anftren« 
gungen aufrecht erhalten worden, und hierin wurde fie durch die Er⸗ 
muthigung, welche fie aus dem höchſten Kreiien erhielt, noch beftärft. 


Die Hinrihtung Egmont's und Hoorne's. | 103 


Man hat feinen Grund, der Erzählung eines rohen Scherzes des Alva 
zu glauben, wonach derfelbe zur Gräfin am Tage vor der Hinrichtung 
gelagt haben foll, „fie möge guten Muthes fein; benn ihr Gemahl 
werde den folgenden Tag das Gefaͤngniß verlaffen I” Mehr Grund 
bat nran jedoch, zu gluuben, daß der Kailer Maximilian kurz vor dem 
Ende der Linterfuchung an die Gräfin einen Heim mit einem freund» 
lichen Briefe ſchickte, worin er feine Theilnahme an ihrer Lage außs 
ſprach und fie verficherte, daß fie für ihren Gemahl Nichts zu befuͤrch⸗ 
ten habe. An dem Morgen von Egmont's Hinrichtung fol fie fogar 
der Graͤfin Aremberg, deren Gatie neulich in der Schlacht bei Hey⸗ 
ligerlee gefallen war, einen Kondolenzbeſuch abgeflattet haben; und 
dort im Haufe ihrer Freundin, heißt es, erfuhr fie die erke Nachricht 
von dem Schickſale ihres Mannes. 


Eie fühlte den Schlag um fo ftärfer, je unerwarteter er kam. 
Den nämlihenTag wurde fie nicht nur eine Wittiwe, fondern auch eine 
Bettlerin — mit einer Familie von elf Kindern, die von iht vergebens 
die gewöhnlichen Lebensbeduͤrfnifſe erwarteten”). In ihrer Roth bes 
ſchloß fie, fich an den König felbft zu wenden. Hierfür fand fie einen 
Vorwand in dem Umftande, daB fie Philipp ihres Mannes Brief, 
der, icheint es, ihr anvertraut worden war, überfchiden mußte**). 
Sie entichuldigt fich, wenn fie diefe legte und untertbänigfte Bitte ihres 
todten Gemahls nicht eher fendet, mit dem Außerften Elend ihrer Lage, 
indem fie von Allen verlaften ımd fern von ihrer Verwandtfchaft und 
Hrimath if. Sie vertraut in die Güte und dad Mitleid Seiner Muje⸗ 
ftät, daß er ihre Söhne, wenn diefelben das vorgejchriebene Alter 
erreicht haben werden , in feinen Dienft nehmen wird. Dies wird fie 
felbft währent des Weberrefted ihrer traurigen Tage und ihre Kindes 


*) Bine Tochter von ihr fuchte ich das Leben zu nehmen, intem fie fih aus 
einem Fenſter hinuuterflürzte. Die Urfache davon war ein Anfall von Wahnfina, 
herbeigeführt durch maßlofen Kummer. Relation de la Justicia, SM. 

2) Das war ohne Zweifd das Duplikat tes dem Bifchofe von Dyern gegebenen 
Brieiee. Dem Biſchofe gab Egmont wahrscheinlich den einen Briel, weil er glaubte, 
legterer würde auf dieſe Weife ficherer, als durch bie Beemintung feiner Frau in Die 
Hände des Könige gelangen. 


104 Fuͤnftes Kapitel. 


nach ihr verpflichten , zu Gott um ein langes Leben Seiner Majeftät 
zu beten. — Es muß dem Gefühle der verwittweten Gräfin einen 
neuen Schmerz zugefügt haben, daß fie ſich alfo gezwungen fah, Hülfe 
von der nämlichen Hand, die fie gefchlagen hatte, zu erflehen. Aber 
fie handelte hier als eine Mutter, die fich für ihre Kinder verwendete. 
Indeß zeigte Philipp, troß der dem Herzog Alva gegebenen Vers 
ſicherungen, feinen großen Eifer, die Dürftigfeit der Gräfin zu erleich⸗ 
tern. Den erften September fchrieb der Herzog nochmals, und ftellte 
die Nothwendigfeit ihres Falles ald dringend dar, indem er erflärte, 


daß „fie fammt ihren Kindern Hungers geftorben fein würde, wenn er 


ihr nicht ſelbſt eine Fleine Summe geſchickt hätte!” 

Das Unglüd diefer Eveldame erregte nicht nur in Holland, ſon⸗ 
bern in ganz Europa , beſonders aber in Deutſchland, ihrer Heimath, 
allgemeines Mitleiden*). Der Kurfürft von Baiern, ihr Bruder, 
fchrieb an Philipp, und forderte dringend die Reftitution der Güter 
ihred Gatten an deffen Samilie. Andere deutfche Fürften fchlugen den⸗ 
felben Weg ein. Berner forderte der Kaifer förmlich daffelbe durch 
feinen Maprider Gejandten. Philipp verfegte troden, „daß die Zeit 
hierzu noch nicht gefommen ſei.“ Unterdeſſen wurde der Gräfin Eg⸗ 
mont jährlich eine mäßige Penſion ausgezahlt. Sie lebte noch zehn 
Jahre nach dem Tode ihres Mannes, eine Zeit, die nicht lang genug 
war, um fie die Einfegung ihrer Kinter in das väterliche Erbtheil ſehen 
zu lafien**). Kurz vor ihrem Tode nahm ihr unterdeflen zu einem 
Manne herangewachſener Altefter Sohn, der über bie ihm und feiner 


— — [tn 


) Es erſcheint als ſonderbar, daß Goͤthe in feiner Tragoͤdie „Egmont“ in der 
Bruſt der Zuſchauer ein Intereſſe zu erwecken ſuchte, das man wirklich ein Metzenin⸗ 
tereſſe nennen kann: indem er, anſtatt des edeldenkenden Weibes, welches viel beſſer das 
Unglück ihres Gemahls theilen und ſeinen Leiden Wuͤrde verleihen konnte, eine er⸗ 
fundene Geliebte, Namens Clara, einführte. Abgeſehen von anderen Gruͤnden, kann 
dieſe Abweichung von hiſtoriſcher Wahrheit auch nicht durch einen Grund drama⸗ 
tiſchen Effekts vertheidigt werden. 

) Nacdh einer jaͤhrlichen Bewilligung von acht bis woif tauſend Franken, 
feßte ihr der Herzog eine ſeſte Penſion von zwei tauſend Gulden aus, die bis zu 
feinem Tode tm Jahre 17.28 fortbauerte. Der Gulden oder Gülden heutzutage gilt 
ohngefähr einen Ehilling und neun Bence, oder neun und dreißig Cents. 


Die Hinrihiung Egmont's und Hoorne's. 105 


Familie angethane Ungerechtigkeit erbittert fein mochte, an dem Kriege 
gegen die Spanier Theil. Da Philipp jept vieleicht einige Neue über 
die unedelmüthige Belohnung, womit er die Dienfte ded Vaters deſ⸗ 
felben vergolten hatte, fühlte, vergab er dem Sohne nicht nur biefen 
Akt des Treubruhs , fondern erlaubte dem jungen Manne audy drei 
Jahre fpäter, wieder in fein Lehnsverhältniß einzutreten, und ſetzte ihn 
in den vollen Beſitz der Ehren und Güter feiner Ahnen ein”). 


Wie wir fahen, hatte Alva in feinen Briefen an Philipp die wich⸗ 
tigen Folgen der Hinrichtung Egmont’ hervorgehoben. Er übertrieb 
diefe Folgen nicht; aber er mißverftand ihre Bedeutung. Im Auds 
lande warf der Kurfürft von Baiern auf der Stelle fein ganzes Gewicht 
in die Wagfchale Oraniens und der Reformpartei. Andere beutjche 
Fürſten folgten feinem Beifpiele, und der Gefandte Marimilian’d zu 
Maprid theilte Philipp mit, daß die Hinrichtung der beiden Evelleute 
durch die in ganz Deutfchland verurfachte Entrüftung den Zweden des 
Prinzen von Oranien wunderbar gedient hätte. 


Im SInlande traten diefe Folgen nicht minder hervor. Der Lob 
biefer beiden berühinten Männer, welcher fo fchnell auf die vorherges 
gangenen Hinrichtungen folgte, verbreitete durch das ganze Land eine 
büftere Etimmung. In den Leuten fegte fich die Vorftellung feft, daß 
die Blutregierung dauernd werben ſollte. Alles Zutrauen, felbft das⸗ 
jenige, was von Natur zwifchen dem Bater und dem Kinde, zwiſchen 
dem Bruder und dem Bruder herrfcht, war zerftört. Auch dem frem⸗ 
den Kaufmann theilte ſich etwas von dieſem allgemeinen Mißtrauen 
mit, weßhalb er feine Waaren nicht mehr nady einem Rande, wo fie 


der Konfisfation audgefegt waren, fchiden wollte. Doch war ber 


Zorn unter den Einwohnern ftärfer,, als felbft die Furcht oder der 
Gram; daher zitterten diejenigen Flamaͤnder, weldye fid) an der Bers 


— — — — 


“) Philipp, Graf Egmont war im Genuſſe der Ehren feiner Vorfahren bie 
1890, mo er im Kampfe gegen Heinrich den Bierten und die Broteftanten in Frank⸗ 
rei bei Zory umfam. Da er ohne Nachlommenfchaft Rarb, folgte ihm fein Bruder 
Zamoral ; doch war derfelbe ein leichtfinniger Verſchwender, welcher mit dem Namen 
feines berühmten Baters wenige Tugenden defleiben geerbt zu haben fcheint. 


106 Fuͤnftes Kapitel. Die Hinrichtung Egmont's und Hoorne's 


folgung Egmont's betheiligt hatten, vor der Rachewuth bes Volkes *), 
Das war die Wirfung der Hinrichtung von Männern, welche die Ras 
tion ald Märtyrer für die Sache der Freiheit verehrte. Alva fpricht 
von diefen Folgen in feinen Briefen an den Koͤnig; aber, obfchon er 
die Zeichen der Zeit entdedte, dachte er doch nicht im Geringften an 
die Größe der Unruhen, deren Vorläufer fie waren. „Die Leute dieſes 
Landes,” fchreibt er, „befigen einen folchen leichten Sinn, daß, wenn 
Sure Majeftät ihnen eine allgemeine Amneftie zu bewilligen für gut 
findet, diefe Milde fie ficherlich fo Ichnell zum Gehorchen machen 
wird, wie fie jebt langfam find.” — Der ftolge Eoldat konnte bei 
feiner Verachtung ber friedlichen Gewohnheiten eined VBürgervolfes 
fo wenig wie fein Herr den wahren Charafter der Leute in den Nieders 
landen verftehen. 





— —— 


2) Mie man fich erinnern wird, war ber flamändifche Rath Heflels mit den 


Prozefien der Provinzen beauftragt, Gegenwärtig zog er fi einen noch größeren . 


Haß zu, weil verlautete, daß er die Urtheilfprüche ter beiden Herren ins Reine ges 
fhrieben habe. Gr zog fih in der Folge von tem Blutgerichte zurüd und ging 
wieder in feine Heimatheprovinz, wo er Vicepräfitent des Rathes von Flandern 
wurde. Dieſes neue Amt feßte ihn nur noch mehr tem öffentlichen Hafle aus. Als 
4877 in Gent ein Volfsaufftand die Regierung flürzte, wurde Hefleld aus feinem 
Haufe fort ins Gefängniß gefchleppt. Nachdem er daſelbſt beinahe ein Jahr gefeflen 
hatte, brach ein Haufen gemeiner Kerle ein, fegte ihn gewaltfam in einen Wagen 
und fuhr ihn eine furze Strecke vor die Stadt, wo fie die die fummarifche Gerechtig⸗ 
feit des eynchgeſetzes an ihrem Opfer voflzugen,, indem fie es an einem Baume aufs 
knuͤpften. @inige, die mit dabei geweien waren, hatten die Redheit, nach Bent zus 
rückzukehren, während fie auf ihren Hüten zu einem Zeichen des Triumphes graue 
Haarlocken tes Berödteten aufgeftedt trugen. | 

Als nad einigen Jahren die früheren Obrigfeiten wieder eingefrgt wurden, 
holte man die Gebeine Hefleld’ aus ihrem unheiligen Begräbnißplage hervor und 
legte fie mit großer eierlichfeit und Pracht in die Et. Michaelsfirhe. In Brofa 
und in Berfen verfündete man fein Lob. Sein Andenfen wurde wie das eines Märs 
tyrers verehrt; auf feinem Grabe geichahen Wunder, und die Zeichtgläubigfeit des 
Volkes ging fo weit, daß man ſich in Gent vielfach erzählte, Philipp habe den Papſt 
gebeten, Heflele zu fanonifiren ! 


1 


Sechſtes Kapitel. Die geheime Hinrichtung des Montigny. 107 


Serhfles Kapitel. 
Die geheime Hinrichtung des Montigny. 


Bergen und Montigny. — Ihre Lage in Spanien. — Der Ton Bergen’s. — Die 
Berhaftung Montigny’s. — Das Komptott zu feiner Befreiung. — Sein 
Prozes. — Er wird nad Simancas gebracht. — Die ftrengere Haft. — Die 
Hinrichtung mitten in der Nacht. 


1567—1570. 


Ehe ich auf eine lange Zeit von den Niederlanten Abfchied nehme, 
wird ed gut fein, den Leſer mit einem Vorgange befannt zu machen, _ 
welcher die Gefchichtöforfcher viel befchäftigt hat, aber bis jest in uns 
durchdringliche® Dunkel gehüllt geblieben ift. 

Man wird fich erinnern, daß im Jahre 1566 zwei adelige Fla⸗ 
mänder, der Marquis von Bergen und der Baron von Montigny, an 
ben Madrider Hof abgefandt wurden, um dem Könige den bedenflichen 
Stand der Angelegenheiten , welcher gebieterifch in der Regierungs⸗ 
politif eine Veränterung erheiſchte, auseinanderzufegen. Die beiden 
Herren unterzogen ſich der Milfion , Fehrten jedoch nie zurüd. Ueber 
ihr Schickſal bat man viele Vermuthungen aufgeftellt, und bie Ges 
ſchichtsſchreiber find der Meinung gemwefen, daß Bergen möglicherweife, 
Montigny aber gewiß einen gewaltfamen Tod fand *). Allein bei dem 
Mangel an Evidenz war daß eine bloße Vermuthung; zudem herrichte 
in den Einzelheiten die größte Abweichung. Erft neulich, als bad 
Arhiv von Simancas, jenes fchredliche Depofltorium, worin die Ges 
beimniffe der caftiliichen Könige viele Gefchlechter hindurch begraben 
lagen, dem Publikum geöffnet wurde, ift der Schleier gelüftet worden. 
Abgeſehen von dem Intereſſe, welches die gegenwärtige Erzählung an 
ſich jelbft bieter, ift fie befonders wichtig, weil fie die dunfle, gewiſſen⸗ 


*) Meteren erzählt uns, daß Montiguy an Gift narb, welches ihm fein Diener, 
der fpäter dad Berbrechen bekannte, in bie Fleiſchbrühe milchte. — Nachdem Bans 
dervynckt verfchiedene Gerüchte erwähnt hat, läßt er fie auf fch beruhen, mit bex 


Bemerfung: ,‚On n’a pu aaroir ce qu'il dait devenu.‘‘ 





108 Sechſtes Kapitel. 


lofe Politik Philipp's des Zweiten aufhellt. Ferner befit fie dad Ver⸗ 
dienft, daß fie fih auf die authentifchen Quellen — den Briefwechfel 
des Königs mit feinen Miniftern — ſtützt. 

Beide Geſandte waren fehr angefehene Männer. Der Marquis 
von Bergen gehörte durdy feinen Stand und fein Bermögen zu der 
Kaffe der flamändifchen Ariftofratie”). Montigny war aus dem alten 
Haufe der Montmorencys und ein jüngerer Bruder des unglüdlichen 
Grafen Hoorne, Karl der Bünfte that ihm bei feiner Abdanfung bie 
Ehre an, daß er ihn mit unter die Zahl der flamändifchen Adeligen, welche 
ihn in's Klofter nady Spanien begleiteten, aufnahm. Er befleidete 
mehrere wichtige Poften, unter andern denjenigen eined Gouverneurs 
von Tournay, — und war, wie Bergen, ein Ritter ded Goldenen 
Vließes. Wenn die beiden Adeligen während der politifchen Unruhen 
auch nicht mit an der Spige ber Unzufriedenen ftanden, waren fie dody 
der Partei der Mißvergnügten beigetreten, hatten am Kriege gegen 
Sranvelle Theil genommen und in fehr vieler Hinficht die Politik der 
Krone gemißbilligt. Namentlic hatten fie ihre Etimme gegen das 
Syſtem der Religionsverfolgung mit einem männlichen Breimuthe ers 
hoben, was ihnen — wie e3 fcheint, mit Unrecht — den Ruf zuzog, 
daß fie die religiöfe Reform befürwortet hätten. Beſonders war dies 
mit Bergen der Fall, weil derfelbe auf die Frage, wie ınan die Ketzer 
behandeln follte, antwortete: „Wenn fie fich befehren wollten, würde 
ich fie ungefchoren laffen; wenn fie fich der Befehrung weigerten, würde 
ich fie auch nicht und Leben bringen, weil fie fpäter immer noch bes 
fehrt werden können.” Diefer Ausſpruch, den man pflichtgemäß dem 
Philipp zu Ohren brachte, wurde ohne Zweifel gegen den Mann, 
welcher den Much, ihn zu thun, befaß, aufbewahrt **). 

Ihre Sefandtichaft hatte den Zweck, daß fie tem Könige bie 
Nothwendigkeit einer freifinnigeren und milderen Politik vorftellen 


*) Mit Ausnahme der Einkünfte ECgmont's und Dranien’s fcheinen die feinis 
gen diejenigen jedes andern flamändifchen Herrn übertroffen und ſich auf etwas 
mehr als funfzigtaufend Gulden das Jahr belaufen zu haben. 

**) Er wurde Philipp's Sekretär Craſſo von jenem gefährlichen Bigotten ray 
Lorenzo Billacencio hinterbracht, und zwar nicht, wie man glauben könnte, um feis 
nem Autor eine Ehre anzuthun, fondern um ihn zu verderben. 


Die geheime Hinrichtung des Montigny. 109 


folten. Margaretha felbft war einer ſolchen Politif zugeneigt, denn 
fie Hatte Damals noch nicht mit dem Abel gebrochen. Es kann nicht 
verwundern, wenn bie beiten Herren den Auftrag nur höchſt ungern 
übernahmen; denn derfelbe brachte fie unmittelbar in die Gewalt des 
Monarchen, welchen fie, wie fie wußten, beleidigt hatten, und der, wie 
fie gleichfalls wußten, nicht Beleidigungen zu verzeihen fähig war. 
Zwar war Egmont in einer ähnlichen Miſſion nach Madrid gegangen 
und heil von dort zurüdgefehrt; allein es war in einer früheren Periode 
geweien, wo die Sachen noch nicht fo gefährlich ausfahen. Seine Zeit 
war damals nody nicht gefommen. 

Erft nad vielem Zögern übernahmen die beiden Adeligen den 
Auftrag. Sie wurden hierzu von der Regentin und von den übrigen 
Adeligen vermocht, indem diefelben ihnen dringend vorftellten, daß die 
Miffion von der höchſten Wichtigkeit für bie Ruhe des Landes fei. 
Doc ſelbſt dann nody lieferte eine Verlegung, welche den Marquis 
einige Wochen am Ausgehen verhinderte, ihm eine plaufible Entfchuls 
digung für die Richtvollziehung ded angenommenen Auftrags. Wirks 
li wollte der Marquis diefe Entichuldigung weiter benugen, ber 
feine Bedenken wurben wiederum durd die Gründe und Bitten feiner 
Sreunte befeitigt,, und fo fieß er fich endlich bewegen, dem Montigny, 
welcher fchon fort war, nachzureifen. 

Der letere erreichte Madrid gegen Mitte Juni 1566. Er wurde 
vom Könige gnädig aufgenommen und zu verfchiedenen Audienzen zus 
gelaffen. Hierbei unterließ er nicht, die von Margaretha befürworteten 
Heilmittel ald nothwendig darzuftellen. Philipp fchien ihn mit Wohls 
gefallen anzuhören; allein da der andere Geſandte, welcher zwar bie 
Reife fchon angetreten hatte, aber auf feinem Wege durch Frankreich 
von einem Fieberanfalle ereilt wurde, noch nicht angefommen war, 
lehnte der König die Antwort ab. Bergen blieb in Frankreich halten 
und dachte wieder an dad Aufgeben der Reife. Sein guter Genius 
ſchien immer eingreifen zu wollen, um ihn zu.retten. Allein fein böfer 
Genius in der Geftalt Philipp's fchrieb an ihn in den huldvollften 
Ausdrüden, er möge jeine Reife befchleunigen, und lub ihn nach 
Mabrid ein. 

Außer den beiden Geſandten vermweilte damald noch ein britter 


110 Sechſtes Kapitel. 


vomehmer Mann aus den Niederlanden in der Hauptſtadt. Das war 
Simon Renard, der einftige Geſandte am englifchen Hofe und der uns 
erbittliche Feind Granvelle's. Obſchon derjelbe mußte, daß er, wenn 
er nach Spanien ginge, fid) felbft der Unterfuchung wegen vielfältiger 
Beleidigungen der Regierung überlieferte, ließ er ſich dennody von 
Philipp überreden. Er ward verhaftet; ein Prozeß wurde gegen ihn 
anhängig gemacht, und bloß eine mit dem Tode endigende Krankheit 
befreite ihn. Philipp fcheint einen geheimnißvoflen Zauber befefien zu 
haben, weil er auf diefe Weife gerade die Männer, welche alle Gründe 
der Selbfterhaltung hätten in einer unermeßlichen Kerne halten follen, 
in feinen Kreis ziehen Eonnte. 

Die Anfunft des Marquis befchleunigte das Geſchaͤft der Sen⸗ 
dung nicht. Unglüdlicherveite gelangte um dieſe Zeit die Nachricht 
von dem Ausbruch des Bilderflurmd, welcher nicht allein in Spanien, 
fondern in der ganzen Chriftenheit Abfcheu und Entrüftung erregte, 
nad, Madrid. Bon einer gemäßigteren Bolitif war nun nicht mehr 
die Rede. Der einzige Gebanfe war Rache. Vergebens fuchten Die 
flamändifchen Geſandten den Zorn des Königs zu befänftigen und ihn 
von den gewaltfamen Maßregeln, weldye dad Land verderben mußten, 
abzubringen. Ihre Vorftelungen blieben unbeadhtet. Sie fanden jetzt 
keineswegs mehr fo leicht wie früher bei ihm Zutritt. Sie empfanten, 
daß fie felbft ein Theil des Hafles wegen der neulichen Vorgänge traf. 
Selbft die Höflinge, deren Inftinkt leicht den Grimm bes Königs ent⸗ 
deckte, wurden in ihrem Benehmen kaͤlter. Die Lage der Geſandten 
wurde mit jedem Tage unangenehmer. Ihre Miffion war augenſchein⸗ 
lic) zu Ende, und Alles, warum fie jept noch baten, war die Erlaub- 
nis, in die Niederlande zurüdfehren zu dürfen. 

Alein der König hegte feine Luft, biefe Erlaubniß zu ertbeilen. 
Durch Granvelle und Andere, in weldye er Vertrauen fegte, war er 
auf die entfchiedene Rolle , welche beibe Edle bei der Beförderung ber 
Unruhen des Landes gefpielt hatten, aufmerkſam gemacht worben. 
Daher ſollten fie nie in biefed Land zurüdtehren. Philipp fagte ihnen, 
daß er ihrer Gegenwart etwas länger benöthigt fei, damit fie mit ihm 
den fritifchen Zuftand der flandrifchen Angelegenheiten berietfen. Ein 
fo dünner Schleier konnte ihnen den wahren Beweggrund nicht vers 


— u 


Die geheime Hinrigtung des Montigny. 111 


hüllen, weshalb fie mit den ernfteften Befürchtungen erfüllt wurden. 
Sie fchrieben an Margarethen und baten fie, daß fie den König um 
ihre (der Adeligen) Entlafjung erfuchen möge, fonft würden fie guten 
Grund haben, ſowohl fich über fie, wie über die Adeligen, welche fie 
in einer von ihnen nur ungern angenommenen Miſſion hierher geſchickt 
hätten, zu beichweren. Aber Margaretha hatte ihrem Bruder fchon 
geichrieben , er möge beide fo lange in Epanien zurüdhalten, bis bie 
Unruhen in $lantern vorüber wären*). Dennoch fchrieb fie den Ge⸗ 
fandten darauf ald Antwort zurüd, daß fie den König fchon um die 
Erlaubniß zu ihrer Ruͤckkehr brieflich angegangen habe **). Ich habe 
nirgends cinen folchen Brief erwähnt gefunden. 

Im Brühjahre 1567 ward der Herzog von Alva in die Nieder 
lande gefandt, um dort den Oberbefehl zu übernehmen. Eine folche 
Ernennung während einer folchen Krifi zeigte deutlich, welchen Weg 
ber Hof einichlagen wollte, und welche Uebel für das auserfehene Land 
daraus entfpringen mußten. Die Üeberzeugung hiervon brüdte Bergen 
zu ſchwer darnieder, zumal da fein Kummer durch feine Trennung in 
einem jolchen Zeitpunfte von Allem, was ihm auf Erden am theuerften 
war, noch erhöht wurde. Ihn befiel ein Fieber, und e& ging fchnell 
mit ihm immer fchlimmer, bis endlich dem Philipp mitgetheilt wurde, 
daß, wofern Bergen feine Erlaubniß zur Rüdkehr in feine Heimath 
erhielte, nicht an jeine Geneſung zu denken ſei. 

Dies brachte den König in ein großes Dilemma. Er war nicht 
gewillt, ven Marquis — und ſei ed auch durd, einen natürlichen Tod 
— entichlüpfen zu lafien. Noch weniger war er geneigt, die Zuftim- 
mung zu feiner Rüdkehr nad) Flandern zu geben. In diefer Klemme 
befahl er Ruy Gomez, den Fürften von Eboli, den franfen Edlen, der 
befien perfönlicher Feind war, zu befuchen. Im al dag Gomez den 
Marquis fo frank fände, daß feine Wiedergenefung beinahe unmöglich 
fei, follte er ihm des Könige Erlaubniß zur Heimkehr ertheilen. Wäre 
jedoch eine Ausficht auf feine Wiedergenefung vorhanden, fo follte er 


°) Diefer Brief iR vom 18. November 1566 datirt. Der Brief der beiden 
Serten war den legten Dezember deſſelben Jahres gefchrieben. 
Ihr Brief iR vom 5. März 1867 datirt. 


112 Sechftes Kapitel. 


ihm bloß auf eine folche Rückkehr Hoffnung machen. Falls der Kranfe 
fterben ſollte, Hatte Gomez das Reichenbegängniß fo würdig zu feiern, 
daß das Bedauern ded Königs und feiner Minifter über den Tod 
Bergen’s, und ihre Hochachtung vor den Herren der Niederlande daraus 
erfichtlic, würde! Werner follte er in diefem Falle Mittel ergreifen, da⸗ 
mit dad Eigenthum ded Marquis in den Niederlanden fequeftrirt 
werde, da daflelbe, wofern dem Bergen feine Betheiligung an Aufruhr 
nachgewiefen werden fönne, der Krone verfallen fei. — Diefer interefs 
fante und jedenfalls Außerft vertraute Brief war vom König eigen» 
haͤndig gefchrieben. Die Adrefie lautete: „Ruy Gomez; — ihm felbft 
einzuhändigen. Nicht in der Gegenwart des Ueberbringers zu öffnen 
oder zu leſen.“ 

Es wird und nicht berichtet, welchen Theil der koͤniglichen Ins 
ftruftion zu befolgen der Dinifter für gut hielt, und ob er dem Marquis 
bie wirffihe Erlaubniß zur Rüdfehr ertheilte, oder ihm bloß dazu 
Hoffnung machte. Indeß ift es von geringer Bedeutung. Wahrfcheinlich 
batte der Marquis fchon gelernt, daß er fein Vertrauen nicht auf Fuͤrſten 
fegen dürfe. Jedenfalls befierten die Verfprechen des Königs ebenſo 
wenig wie die Recepte ded Arztes die Rage des Patienten. Den eins 
und;wanzigften Mai farb er und rechtfertigte Dadurch die tüftere Ah⸗ 
nung, womit er fi der Miſſion unterzogen hatte. 

Jetzt war Montigny das einzige dem Philipp übrig gebliebene 
Opfer. Ihn ließ er nun mit verboppelter Sorgfalt bewachen. Gr 
wied den Ruy Comer an, auf alle Bewegungen beffelben ein wach⸗ 
famed Auge zu richten und den Gouverneuren von Navarra, Catalo⸗ 
nien und anderen Öränzplägen zu fchreiben, daß fie Votſichtsmaßregeln 
treffen möchten, um ten flamändifchen Herrn, falls er aus dem Lande 
zu fliehen fuchen follte, aufzufangen. Montigny war faftifch ein Ges 
fangener und Madrid fein Gefängnig. Doc, fonnte ihm die Regentin 
noch nachher von Brüffel jchreiben, fie habe mit Vergnügen von ihrem 
Bruder erfahren, Daß er ihm bald feinen Abfchied (conge) geben würde. 
— Wenn der König dies fagte, fo hatten feine Worte eine bittere, 
der Königin unverftäntlicke Bedeutung. 

Indeffen wurde diefer Grad Freiheit tem Montigny nicht lange 
gelafien. Im September gelangte die Nachricht von der Verhaftung 


Die geheime Hinrichtung des Montigny. 113 


der Orafen Egmont und Hoorne an. Augenblidlich wurde ver Befehl 
zur Verhaftung des Montigny ertheilt. Er wurde von einer Abtheis 
lung der föniglichen Garde aufgegriffen und in den Alcazar von Segovia 
gebradyt. Hier durfte er die Feſtung weder bei Tage noch bei Nacht 
verlaflen ; aber außerdem bewies man ihm fo viel Rachficht, wie fich 
mit dieſer firengen Haft vertrug. So ward ihm geftattet, die verſchie⸗ 
denen zu feinem Haushalt gehörigen Diener mit fid) zu nehmen und . 
ſich Häuslich im Gefängniß einzurichten. Aber welche Rachficht hätte 
vermodht, die Bitterfeit einer Gefangenjchaft fern von den Verwandten 
und von der Heimath zu verfüßen, zumal da man wifien fonnte , daß 
der einzige Weg aus dem Gefängnifje nach dem Scyaffot führte ! 

In diefer großen Roth war Montigny auf Mittel zur Bewerf- 
ftelligung feiner Flucht bedacht. Auch wäre biejelbe ihm beinahe ge⸗ 
lungen. Einer oder mehrere wachhabende Spanier zufammt jeinen 
Tienern waren im Komplott. Man verabredete, daß der Gefangene 
durch die Eifenftäbe feines Benfterg durchbrechen und fich vermittelft 
einer Etridleiter auf den Boden hinablaſſen follte. Bon Station zu 
Station fanden Pferde bereit, um ihn fchnell nady dem nördlichen 
Eeehaien Santander zu bringen, von wo ihn eine Schaluppe nach 
St. Jean de Ruz fahren follte. Die Materialien, welche Montigny 
zur Entweichung aud dem Gefängniß brauchte, wurden ihm täglich 
durch feinen Bäder in Brotlaiben geſchickt. Alles fchien den beften 
Erfolg zu verfprechen. Schon waren die Eifenftäbe vom Fenſter ent⸗ 
fernt, und man wartete nur noch auf einen Tag, an welchen der Als 
cayde des Schloffe® dieſes wahricheinlicy nicht befuchen würde. Da 
wurde dad Komplott Durch den Leichtfinn des Mattre d’hötel entdedt. 

Diefer Menjch unterließ, feinem Kern einen Laib zu fchiden, 
welcher einen Zettel mit unterfchiedlichen Rathſchlaͤgen hinfichtlich der 
Art und Weije der Flucht und mit den Namen mehrerer Betheiligten 
enthielt. Der Laib fiel einem Soldaten in die Hände. Als ihn dieſer 
voneinander brach, entdedte er dad Papier und brachte daflelbe dem 
wachabenden Hauptmann. Das Komplott war an den Tag ges 
bradyt; die Betheiligten wurden artetirt und zum Zode oder zu ben 
Galeeren verurtheilt. An den Spaniern ließ der König das Urtel voll 
fireden. Doch den Flamaͤndern geftattete er einen Aufichub, indem er 

Brescott, Gef. Philipps ll. IH. 3 


114 Sechſtes Kapitel. 


fagte, daß das, was fie gefham hätten, gewiflermaßen zu entichuldigen 
fei, weil es im Dienfte ihres Herrn gefchehen wäre. Außerdem fönn- 
ten fie fpäter noch von Rugen fein, inbem fie im Proseffe des Montigny 
Zeugniß ablegten. Aus diefem doppelten Grunde blieb ihr Leben ver- 
ſchont. Nachdem fie eine kange Zeit im Gefängniß geihmachtet hatten, 
durften fie nach ten Niederlanden zurüdfehren. Sie hatten Briefe des 
Montigny an feine Freunde mit fidh, worin er dieſe bat, für feine Dies 
ner in Anbetracht der ihm von ihnen gebrachten Opfer zu forgen. Aber 
für fie forgte Alva in einer viel durchgreifenderen Weife; denn er ließ 
fie fogfeicy bei ihrer Landung verhaften und unter Androhung der To⸗ 
deöftrafe für den Fall der Rüdfehr aus dem Lande verbannen. 

In den Riederlanden hegte man die größte Sympathie für Mon⸗ 
tigny. Die Adeligen waren über die unwürtige Behandlung, welche 
Philipp ihrem Geſandten Hatte zuTheil werben lafſen, empört. Seine 
Stiefmutter , die Gräfin Witwe von Hoorne, war in ihren Anftren- 
gungen für ihn unermüdlich, wie fie ed für feinen unglüdlichen Bruder 
gemweien war. Hierin wurde fie eifrig von feiner Frau, einer Tochter 
bes Fürften von Epinoy, unterftügt, mit weldyer fih Wontigny nur 
furz vor feiner Sendung nad) Spanien verheirathet hatte. Diele 
Dame richtete in den unterthänigften Ausbrüden an Bhilipp ein Bitt- 
gefuch. Sie fchilderte das über ihr häusliches Glüd gebrachte Ber- 
derben, fprady ihre fefte Ueberzgeugung von der Unfchuld des Montigny 
aus, und flehete den König unter Thränen und Weheklagen, in Anbes 
tracht der ihm geleifteten Dienfte und bei dem Leiden des heiligen Er- 
löferd um Onade für ihren Gemahl an. 

Ehe der Herzog gegen Montigny einen Prozeß einleitete , verſtri⸗ 
hen nad) der Hinrichtung” der Grafen Egmont und Hoorne mehrere 
Monate. Erft im Februar 1569 wurde der Licentiat Salazar, ein 
Mitglied des königlichen Rathes, nad) Segovia gefchicft, um ben Ges 
fangenen zu verhören. Die Anflagen waren von ber nämlidyen Art, 
wie die gegen Egmont und Hoorne vorgebradhten. Zuerſt weigerte ſich 
Montigny, indem er fly auf fein Recht als Ritter des goldenen Vlie⸗ 
ßes berief, darauf zu erwidern. Indeß brachte man ihn dahin, daß 
er, nachdem er einen förmlichen Proteft eingelegt hatte, dieſes Vorrecht 
aufgab. Das Berbör dauerte mehrere Tage. Die verfchiebenen, 


— 


Die geheime Hinrichtung des Montigny. 115 


hierauf bezüglichen Aftenftüde werden noch m dem Archiv von Ei- 
mancad aufbewahrt. Herr Gachard hat zwar feinen Auszug davon 
gegeben ; allein diefer fcharffinnige Forfcher nennt die Antworten Mon» 
tigny’8, nachdem er jorgfältig die Akten durchgegangen bat, „eine 
ſchlagende Widerlegung der Anflagen des Kronanwalts.“ 

Indeſſen war es nicht eine Widerlegung , was Philipp und fein 
Bicefönig brauchten. Montigny wurde aufgefordert, augenblicklich 
einen Anwalt zu wählen. Aber Niemand wollte dieſes Geichäft über 
fidy nehmen, bi8 endlich eine ziemlich unbekannte Perfönlichkeit durch 
die Drohungen Alva's ſich dazu bergab. Wohl mochte Jedermann 
einem Amte abgeneigt fein, dad ihm dad Uebelmollen der Regierung 
zuziehen mußte, während daſſelbe wenig Ausficht auf Nugen für den 
Klienten bot. 

Selbft hierauf mußte Montigny, ehe feine Richter über ihn das 
Ürtel Sprachen, nach ein ganzes Jahr im Gefängniß ſchmachten. Das 
hierbei beobachtete Verfahren des Blutraths war wo möglich noch eine 
fchreiendere Verlegung der Gerechtigkeit, ald das gewöhnliche Verfah⸗ 
ten defielben. Der Herzog theilte in einem Briefe vom 18. März 
1570 dem Könige die Einzelheiten des Prozeſſes mit. Er habe den 
Hall nicht dem ganzen Gerichtöhofe, fondern einer gewiſſen Anzahl zu 
dem Zwede von ibm ausgewählter Räthe vorgelegt. Er 
berichtet nicht, nad) welchem Prinzip die Auswählung vor ſich ging. 
Doc konnte Philipp das leicht erraten. Nach dem Urtheile der 
Mehrheit wurde Montigny für des Hochverraths fchuldig befunden. 
Demzufolge ſprach der Herzog die Todesftrafe über ihn aus. “Der 
Richtſpruch war vom A. März 1570 datirt. Er war genau von dem 
nämlichen Wortlaut, wie die Urtel Egmont’8 und Hoorne's. Er ver- 
ordnete, daß Montigny aus dem Gefängniß genommen und öffentlich, 
mit dem Schwerte enthauptet werden follte. Sein Haupt war auf 
einen Pfahl zu pflanzen und follte darauf fleden bleiben, fo lange es 
Seiner Majeftät gefiele. Seine Güter und Beflgungen waren zum 
Beften der Krone einzuziehen. 

Der Richtfpruch wurde nicht einmal dem Blutrathe mitgetheilt. 
Die einzigen Perfonen, welche um feine Exiſtenz wußten, waren des 
Herzogs Sekretär und feine beiden vertrauten Räthe Vargas und Del 

8” 


116 Sechſtes Rapitel. 


Rio. Alva hielt ihn fo geheim, weil er noch nicht den Willen feines 
Herrn fannte. Zu gleicher Zeit bemerkte er, daß es Philipp für befler 
halten fönne, wenn unter den gegenwärtigen Umftänden die Hinrichs 
tung, anftatt in den Niederlanden vor ſich zu gehen, in Caſtilien 
ftattfände. 

ALS die Depefchen des Bicefönigs bei Philipp eintrafen, durch⸗ 
reifte der lehtere gerade die füdlichen Provinzen und befand fidy in An» 
daluften. Er war nicht völlig mit ihrem Inhalte einverftanden. Nicht 
daß er etwas am Urtel auszufepen gehabt hätte; im Gegentheil war 
er, wie er dem Alva fchrieb, von Montigny’d Schuld überzeugt. Aber 
er war nicht für eine öffentliche Hinrichtung. Man Eonnte in den Nies 
derlanden denken, daß ſchon genug Blut vergoflen worden fei, und die 
Leute dafelbft Fonnten einwenden, daß dem während feines Prozeſſes 
in ein ausländifches Gefängniß eingefchloffenen Montigny nicht Recht 
geworden fei. Sicherlich war für eine foldye Einwendung Grund vors 
handen. 

Philipp beſchloß, bis er nach dem Norden zurüdgefehrt wäre, 
feinen enticheidenden Schritt in der Sadye zu thun. Unterdefien empfahl 
er dem Alva an, über das Urtel das ftrengfte Geheimniß zu beobachten, 
und gebot ihm, es unter feiner Bedingung felbit den Gliedern des Ge⸗ 
richtshofes wiſſen zu laffen. 

Ehe der König zu einer Enticheidung fam, vergingen nad feiner 
Rüdfunft noch mehrere Monate. Er bewied dadurch, daß das Hin- 
audfchieben ein hervortretender Zug feined Charafterd war, und zwar 
felbft hervortretend unter einem Volke, bei dem bad Hinausfchieben 
fein Wunder if. Vielleicht befchäftigte ihn dieſen Augenblid gerade 
eine dringende interefjante Angelegenheit. Nämlich zwei Jahre zuvor 
war Philipp fo unglüdlid, geweien , feine junge fhöne Königin, Iſa⸗ 
bella des Friedens, zu verlieren: ihre Stelle wurde jetzt durch eine 
deutfche Prinzeffin, Anna von Oeſterreich, feine vierte Gemahlin, die 
noch jünger als bie verftorbene war, erfegt. Sie war ſchon nad) Eafti- 
lien unterwegd. Deshalb mochte der Rönig viel zu fehr mit ben 
Hochzeitsfeierlichkeiten beichäftigt fein, ald daß er fi um das Loos 
ſeines elenten Gefangenen viel hätte befümmern fönnen. 

Es handelte fich jegt darum , wie man das Urtel vollſtrecken und 


dm 


_. 


Die geheime Hinrichtung des Montigny. 117 


doch dabei auf das Publitum den Eindrud, daß Montigny eined na⸗ 
türlichen Todes geftorben fei, machen fönne. Yaft alle unter den we⸗ 
nigen Miniftern, welche der König ind Geheimniß zog, waren der 
Meinung, daß ed das Räthlichfte fein würde, wenn man ben Tod bed 
Gefangenen durch ein langſames, in fein Trinken oder feine täyliche 
Speije gethanes Gift herbeiführe. Dies würde ihm obendrein Zeit 
laflen, für das Heil feiner Seele zu forgen, Allein Philipp hatte das 
gegen einzuwenden, daß eine folche Todedart nicht dem, was er den 
Lauf der Gerechtigfeit nannte, genüge. Zulegt entſchied er ſich für den 
Garrotte, die noch jest bei niedrigen Verbrechern in Spanien übliche 
Todeöftrafe, welche den Tod durch Erftidung herbeiführt, aber nicht 
viel Spuren am Körper binterläßt*). 

Um dies zu bewirken, mußte Montigny von der Stadt Segovia, 
der luſtigen Reſidenz des Hofes, wo fchon bald die Bermählungsfeiers 
lichfeiten aufgeführt werten ſollten, nad) einem entlegneren und wenis 
ger befuchten Orte gefchafft werden. Hierzu wurde Simancas auders 
feben , deflen finftere, abgefperrte Feſtung für die VBerrichtung einer 
foldyen That der geeignete Platz zu fein fchien. Die Feſtung war fehr 
ſtark; es umgaben fie maffive Mauern und ein breiter Waflergraben, über 
welche zwei Brüden in das Innere führten. Sie hatte vor Alters 
zum Oefängniß für Staatäverbrecher gedient. Kardinal Zimenes fam 
zuerft auf den Gedanfen, fie zu einem edleren Zwede, zur Aufbewah⸗ 
rung der Staatdurfunden, zu verwenden **). Karl der Fünfte brachte 


— — — — — 


) Die Garrotte wird noch jetzt in Spanien bei Kapitalverbrechen angewandt. 
Es mag einigen meiner Leſer erwünfcht fein, zu erfahren, daß man hierbei dem Ver: 
brecher einen Strid fo feſt um den Hals fchlingt, daß er tavon erflidt. Dies ges 
fhicht, indem man im Naden einen Stod in den Strid hineinfledt und denſelben 
umtrebt. Anftart deſſen wendet man bei den modernen Hinrichtungen häufiger ein 
eiferned Halsband an. 

») Dies geht aus einem Briefe des Kardinals feld hervor. Darin erfucht er 
ben König, ullen Staatsdienern zu befehlen , daß fie ihm ihre Regifter, Aktenſtücke 
und tie öffentliben Dokumente jeter Art einfenten , Tamit fie in dieſem Archiv auf: 
bewahrt und ven nun an vor jetem Echaben aufbehalten werten. Sein Biograph 
fügt Hinzu, daß von Liefen Dofumenten,, die man durch Des Rartinale Bemühung 
zufammerbringen fonnte, nur wenige bis auf tie Regierung Ferdinand's und Sfa: 
bellens zurückreichen. 


H& Sechſtes Kapitel. 


biefen aufgeflärten Gedanken zur Ausführung ; allein man wurde erft 
in der Zeit Philipp’s des Zweiten hiermit völlig fertig. Philipp ſchrieb 
bie Regulation vor und traf alle nöthigen Sinrichtungen, um die An- 
flalt auf eine dauernde Grundlage zu fielen. Auf dieſe Weife verſah 
er den zufünftigen Gefchichtöichreiber mit den beiten Mitteln, damit 
biefer durch die dunfeln und gewundenen Stellen von Philipp's 
Regierung den Weg finden fönne. Aber felbft nachdem die Beſtim⸗ 
mung der eftung diefen Wechfel erlitten hatte, fuhr man noch bin und 
wieder fort, Simancad ald Oefängniß für Staatögefangene zu ges. 
brauchen. Der berühmte Biſchof von Zamora , welcher fich fo thätig 
am Kriege der Communidades betheiligte, wurde hier auf Befehl 
Karl’d des Fünften erdrofielt. Der Theil des Gebäudes, wo er ums 
fam, ift nody jeßt unter dem Namen El cubo del obispo (der Biſchofo⸗ 
tburm) befannt. 

Nach diefem ftarfen Plage ward Montigny am 19. Auguft 1570 
unter einer zahlreichen Bedeckung Algualzild und Büchfenichügen von 
Segovia abgeführt. Um größerer Sicherheit willen hatte man ihn in 
Eifen gelegt: eine überflüffige Grauſamkeit, von der ſich zu entichuls 
digen Philipp in einem Briefe an Alva nöthig hielt, indem er fagt, 
es jei dies ohne feinen Willen geihehen. Wir fönnen und wohl eins 
bilden, daß, ald Montigny durch die vüfteren Portale in feinen neuen 
Aufenthaltsort einzog , vollends tie legten Hoffnungsftrahlen in feiner 
Bruft erlöfchen mußten. Dennod) wird und verfichert,, daß ihn die 
Hoffnung nicht gänzlich verließ. Er hatte erfahren, daß Anna von 
Oeſterreich viel Sympathie mit feinen Xeiden zu erfennen gegeben hatte. 
Aud war es ganz natürlich, wenn die Tochter des Kaiſers Marimis 
lian einen Antheil an dem verfolgten Volke der Niederlande nahın. 
Sie jollte fogar der Gattin und der Stiefmutter des Montigny vers 
ſprochen haben, daß die Breilaffung des legteren das erfte Geſchenk 
jein follte, um welches jie ihren Gemahl nach ihrer Anfunft in Eaftilien 
bitten würde. Montigny hegte daher die freudige Hoffnung, daß der 
Einfluß der jungen Braut den König von feiner Abficht abbringen und 
daß ihre Ankunft in Gaftilien das Signal zu feiner Befreiung ſein 
würde. Wenn Anna von Oefterreich fich wirklich einer ſolchen Täu- 
ſchung hingab, fo fann das, weil fie Bhilipp nie geichen hatte, nicht 


. Die geheime Hinrichtung des Montigny. 149: 
verwundern; allein es iſt fchwerer zu begreifen, wie fih Montigny in 
einem ſolchen Wahne wiegen fonnte. 

In feiner neuen Wohnung wurde, er. äußerlich mit Refpekt, um 
nicht zu fagen, mit Nachſicht, behandelt. && wurden ihm fogar einige 
Vorrechte bewilligt. Wenngleich feine Wachen verdoppelt wurden, 
durfte er.doch feine eigenen Diener haben und, wenn es ihm beliebte, 
in dem Korridor die frifche Luft und den Sonnenſchein genießen. 

In den erften Tagen des Oftoberd landete die junge öfterreichifche 
Prinzeffin zu Santander, an der nördlichen Küfte des Königreichs. 
Wahrſcheinlich bewog die Nachricht hiervon den König, mit feinem 
Gefangenen fchneller vorzugehen. Denn, indem er dies that, fehnitt 
er feiner jungen Brauf alle Gelegenheit, fich für denfelben zu verwen- 
den, ab und befreite fich zu gleicher Zeit von dem unangenehmen Falle, 
ihr die erfte Bitte abfchlagen zu müffen. Vorläufig mußte alfo dem 
Montigny die bisher genofjene Freiheit verkürzt werben; er war auf 
fein Zimmer zu beichränfen, und fodann hatte man, indem man ihm 
alle Verbindung, felbft mit den Schloßbewohnern abfchnitt, das Gerücht 
von feiner Kranfheit, welches die öffentliche Meinung auf feinen Tod 
vorbereiten follte, zu verbreiten. 

Um für feine firenge Haft einen Borwand zu haben, tifchte man 
eine Erzählung auf, daß er einen ähnlichen Sluchtverfuch wie zu Se- 
govia gemacht hätte. Veralte, der Alcayde der Feſtung, ein zuvers 
fäffiger Bafall, der die ganze Angelegenheit in die Hand zu nehmen 
hatte, fchrieb an den König einen Brief und legte einen lateiniſch bes 
fihriebenen Zettel bei, von welch legterem er jagte, daß er ihn unter 
dem Fenſter Montigny’d gefunden habe. Auf demfelben ftanden un⸗ 
terichiebliche Rathichläge für die Flucht Montigny's. Dap ein folcher 
Anſchlag, fagte der Schreiber, wirflic no im Gange war, wurde 
noch durch das Ericheinen gewifier als Mönche verfleideten Perfonen 
in der Nähe des Schloſſes beftärft. Demnach fah ſich der Gouverneur 
genöthigt, feinen Gefangenen in eine andere, ficherere Gegend bes 
Schloſſes zu verlegen. Derjelbe wurde daher in ben Bilchofsthurm — 
einen ominöfen Theil des Gebäudes! — gebradht, wo ihm nicht länger 
feine eigenen Bedienten aufwarten durften, weil er nun in ftrenger 
Haft war. Montigny erzürnte ſich jo fehr über diefed Verfahren und 


120 Sechſtes Kapitel. . 


beffagte fich fo heftig über die Ungerechtigkeit deffelben, daß er ſich da⸗ 
durch ein Fieber zuzog, an welchem er noch jegt darnieder lag. Schließ« 
(ih drüdte Beralta fein Bedauern darüber aus, daß er durch Mon⸗ 
tigny's eigenes Betragen zu einem für ihn ſelber fo unangenehmen 
Berfahren genöthigt worden fei, da er ihm von Herzen gern alle mit 
feiner eigenen Ehre verträgliche Nachficht würde haben zu Gute fom- 
men lafien. — Diefer Brief, welcher von Anfang bid zu Ende im 
Madrider Kabinet gefchmiedet worden war, wurde bei Hofe öffentlich 
gezeigt. Montigny’s früherer Sluchtverfuch bewirkte, daß man dem⸗ 
felben leichter glaubte, und e8 verbreitete ſich nach Außen das Gerücht, 
bag Montigny gefährlich franf liege. 

In den erften Tagen des Dftoberd war der Licentiat Alonzo de 
Arellano von Eevilla berufen und al® Alcalde in bie Kanzlei von Bals 
ladolid, das bloß zwei Stunden von Simancaß liegt eingeſetzt wors 
den. Da Arellano ein Mann war, deſſen Verfchwiegenheit und Ers 
gebenheit Philipp vertrauen durfte, fo übertrug er ihm jegt bie 
Hinrihtung ded Montigny. In den föniglichen Inftruftionen wurde 
er mit der größten Genauigfeit angewieſen, wie er fiy benehmen und 
welche Vorfichtömaßregeln er zur Vermeidung alles Verdachtes anwen⸗ 
ben follte. Jedenfalls bilden diefe Inftruftionen ein fo merfwürbiges 
Dofument, wie nur felten eines aus einer königlichen Feder floß. Der 
Alcalde follte, wenn er nah Simancas abging, einen Notar, einen 
Scharfrichter und einen Priefter mit fiy nehmen. Der legtere mußte ein 
Mann von unzweifelhafter Frömmigkeit und Gelehrfamfeit fein, und 
bie Fähigfeit beſitzen, alle Zweifel oder Irrthümer, die unglüdlicher- 
weile in der Bruft Montigny’s hinfichtlich des Glaubens aufyetaucdht 
fein konnten, zu befeitigen. Ein folcher Mann ſchien Fray Hernando 
del Caſtillo aus dem Orden des heiligen Dominicus in Ballatolid zu 
fein. Einen befferen Mann als ihn hätte man nicht wählen fönnen, 
zumal er jenen menfihlichen Gefühlen, welche nicht immer unter der 
Moͤnchskutte gefunden werden, zugänglich war. 

In Begleitung diefer dreiBerfonen verließ der Alcalte am Abende 
bes vierzehnten Dftoberd kurz nach dem Anbrud der Dunkelheit Val⸗ 
ladolid. Peralta war ſchon von ihrer Ankunft benachrichtigt worden: 
daher wurde bie Fleine Geſellſchaft mit folcher Vorſicht in’d Echloß 


Die geheime Hinrichtung tes Montigny. 121 


eingelaflen,, daß man fie nicht bemerfte. Der Gouverneur und der 
Richter begaben ſich fogleich in das Zimmer bed Montigny. Hier lag 
der unglüdliche Mann auf feinem Lager, nicht ſowohl franf an bem 
vielbeiprochenen Fieber, als vielmehr unter dem Einfluffe jener Krank⸗ 
heit des Herzens, welche aus verfchobener Hoffnung entfpringt. Nach⸗ 
dem er in fo freundlichen Worten, wie mit einer fo graufamen Mits 
theilung verträglich waren, von Arellano mit feinem Urtel befannt 
gemadt worden war, war er ganz davon überwältigt und lag einige 
Zeit in einer bedauerndwürdigen Berzudung da. Indeß hätte. man 
glauben follen, daß ihn bie zu Theil gewordenen Warnungen fchon 
bis zu einem gewiſſen Grade auf den Schlag hätten gefaßt machen 
müflen. Denn er fcheint ſich in der Rage ded Bewohners jener vene- 
tianifchen Inquifitionsgerichtögellen (deren Wände ſich jeden Tag, bie 
fie zulegt den unglüdlichen Bewohner zerquetfchten, immer näher rüd- 
ten) befunden zu haben. Nachdem Montigny von feiner Aufregung. 
wieder fo viel zu fich gefommen war, daß er das Urtel hören konnte, 
wurde ihm dafjelbe vom Notar vorgeleien. Man fchenfte ihm vor ber 
Hinrichtung noch einen Tag Friſt, damit er Zeit gewoͤnne, um, wie 
Philipp fagte, feine Angelegenheiten mit dem Himmel abzumaden. 
Und obſchon, wie der Alcalde hinzufebte, das über ihn ausgefprochene 
Urtel von dem Könige al ein gerechter Epruch angefehen würde, wäre 
Seine Majeftät rein aus Güte und Barmherzigfeit und in Anbetracht 
feines Standes gewillt, daſſelbe hinfichtlich der Form infofern zu mil» 
dern, daß er ihm aeftatten wollte, nicht öffentlich, fondern insgeheim 
hingerichtet zu werden, um auf diefe Weife feine Ehre zu retten und zu der 
Borftellung au führen, daß er eined natürlichen Todes geftorben fei. Fuͤr 
diefen Gnadenact fcheint Montigny gebührend dankbar geweſen zu fein. 
Der Leſer vermag zuentfcheiten, wie wahr die vorgegebenen Motive waren, 

Nachdem fich Arellano und der Gouverneur ihres peinlichen Aufs 
trages entledigt hatten, zogen fie fich zurüd und uͤberließen den Verur— 
theilten den geiftlichen Trofteögrünten des Moͤnches, welche er fo 
notbiwendig brauchte. Was jegt folgte, wiflen wir von Caſtillo felbft. 
Als die Aufregung Montigny's nachgelaffen hatte, hörte er aufmerkſam 
die Ermahnungen tes guten Vaters an, und nachtem er endlich ziems 
lich ſich wierer erholt hatte, beteten beite ernſtlich zuſammen. Alsdann 





128: Sechſtes Kapitel. 


beichtete er, empfing dad Saframent und jchien in jeder Beziehung bie 
furze ihm übrig bleibende Spanne Zeit zur Vorbereitung für das Jens 
ſeits benugen zu wollen. In den Zwifchenräumen, mo er nicht mit 
Andahhtsübungen beichäftigt war, las er die Werfe des Pater Luis be 
Granada deſſen geiftreiche Gedanken ihn während der Stunden feiner 
Gefangenſchaft oft getröftet hatten. 

Ueber das von ihm verbreitete Gerücht, "daß er in feinen religiös 
fen Orundfägen wanfend geworden fei und die Irrthümer der Refors 
matoren angenommen habe, zeigte ſich Montigny fehr beunruhigt. Um 
diefen Eindrud zu verwiſchen, fegte er eigenhändig ein kurzes Glau⸗ 
bensbefenntniß auf. Darin befennt er einen unbebingten Glauben an 
alle von der roͤmiſch⸗katholiſchen Kirche fanktionirten Artikel und an 
dad Haupt derjelben, den Stellvertreter Ehrifti, fowie ed Pius ber 
Zünfte jelber nur hätte wünichen können. Nachdem Montigny auf 
biefe Weife jein Gewiſſen erleichtert hatte, mandte er ſich einigen irdi⸗ 
chen Angelegenheiten, die er noch ordnen wollte, zu. Diefelben nah⸗ 
men nicht viel Zeit weg. Denn er hatte, wie Philipp richtig bemerkte, 
feine Urſache, ein Teftament zu machen, weil er nichts hinterließ, ins 
dem fein ganzed Eigenthum zum Beſten der Krone konfiszirt worden 
war. Sollte jedoch fein Gewiſſen eine fchwere Schuld drüden, fo 
durfte er diefelbe anzeigen. Ebenfo war ihm erlaubt, irgend eine bes 
fonders von ihm gewünfcte Beftimmung für einen jpecielen Zwed zu 
treffen. Indeß geichah dies unter der Bedingung, daß er darin eine 
Anfpielung auf feinen Tod als einen natürlichen machte. 

Mentigny benugte died, um den Wunfch auszudrocken, daß fie 
benhundert Seelenmefien für ihn gelefen, daß unterſchiedliche Summen 
zu Privatzweden verwendet und daß feinen treuen Dienern einige Ges 
fchenfe gemacht werden follten. Vielleicht erfährt der Leſer gern, daß 
die Meſſen pünktlich gelefen wurden. In Hinficht auf die frommen 
Vermaͤchtniſſe ichrieb der König an Alva, daß derjelbe erfi zufehen 
müfle, ob Montigny's Befigungen einen ſolchen Abzug erlaubten; 
was jedoch die Gejchenfe für die Diener anbelange, jo fönne von dies 
fen nicht die Rede fein. 

Ein Andenken , welches er den Händen bes Caſtillo anvertraute, 
erreichte ohne Zweifel feine Beftimmung. Es war dies eine fein ge: 


— — — 


Die geheime Hinrichtung des Montigny. 123- 


arbeitete goldene Kette, an welcher ein Siegel ober Siegelring mit ſei⸗ 
nem Wappen hing. Er bat, daß dieſes Eleine Andenken feiner Gemahlin 
eingehändigt werde. Seit feiner Verheirathung fei es fein beftändiger 
Begleiter geweien, und er wünfche, daß jene es ald eine Erin⸗ 
nerung an ihn tragen follte, Zu gleicher Zeit ſprach er fein Bedauern 
darüber aus, daß ihm fein längeres Leben geſchenkt fei, um ihr zu 
zu dienen und fie zu ehren. Ald das Vermaͤchtniß eined Sterbenden 
richtete er an fie die Bitte, fie möge ſich nicht in die neuen Lehren vers 
ftriden laflen oder von dem Glauben ihrer Ahnen abfallen. — Wenn 
Montigny ſich wirklich jemals den Lehren der Reformation zugeneigt 
batte, fo fonnten diefelben bei ihm ſchwerlich tiefe Wurzel gefchlagen 
baben; denn die frühzeitige Gewohnheit und Erziehung gewannen jegt 
in diefem feierlichen Augenblide dergeftalt wieder über ihn die Obers 
hand, daß der Dominicaner an feiner Seite erklärte, er bezeigte fich 
als einen fo guten katholiſchen Chriſten, wie er nur wünfchen fonnte 
felbft zu fein. Die wenigen Stunden, während deren Montigny alfo 
die Bitterkeit des Todes koſtete, fchienen ihn mehr als die ganzen 
Jahre einfamer Haft innerhalb der Mauern von Segovia und Eis 
mancas den Eitelfeiten des Lebens entwöhnt zu haben. Doc) werden 
wir fchwerlich der Verſicherung des Mönches glauben, daß Montigny 
jeine Refignation fo weit trieb, daß er, wenn er auch auf feiner eigenen 
Unſchuld beharrte, doc den Spruch feiner Richter ald einen gerechten 
anerfannte. 

Ungefähr um zwei Uhr am Morgen deö fechözehnten Oftobers, 
nachdem bie zu diefer feierlichen Vorbereitung zugeftandene Friſt abge⸗ 
laufen war, ging ter Pater Eaftilo zu dem Gouverneur und dem Al: 
calten und benachrichtigte fie, daß die Etunde gefommen und der Ge⸗ 
fangene auf fie vorbereitet fei. Ohne weiteren Aufſchub begaben fie 
fib alfo zufammt dem Notar und dem Scharfrichter in das Zimmer 
des Tores. Während alsdann der Notar in ihrem Beifein über den 
Vorgang ein Protofoll aufnahın , verrichtete der Büttel des Geſetzes 
an tem widerftandslofen Opfer feine Arbeit. 

Eobald dem Montigny der legte Hauch entſchwunden war, 
machten ſich der Alcalde, der Prieſter und ihre beiden Begleiter wieder 
auf den Weg nad) Ballatolid auf. Sie erreichten die Etabt noch vor 


124 Schfles Kapitel. 


Tagesgrauen, fodaß fie von den Einwohnern nicht bemerkt wurden. 
Alle vier waren verpflichtet, uͤber die finftere That, zu welcher fe ver- 
wandt worden waren, Stillſchweigen zu beobadhten. Der Notar und 
ber Scharfrichter wurden noch obendrein mit bem Tode bedroht, wo—⸗ 
fern fie fich merfen ließen, daß fie um die Sache müßten, und fie waren 
vollfommen überzeugt, daß Philipp auch der Mann dazu war, feine 
Drohungen auszuführen. 

Der Leichnam wurbe in eine Sranziöfanerfutte geftedt, welche, 
da fie bis an die Gurgel hinauf reichte, blos das Geſicht frei ließ. 
So wurde er von Montigny’8 Dienern gefehen, welche die Züge ihres 
Herrn erfannten und an denfelben faft feine größere Veränderung be⸗ 
merften, als manchmal erfichtlich if, wenn ber Todeskampf feine 
Spuren zurüdläßt. Nun verbreitete fi) dad Gerücht, daß ihr Herr 
an einem heftigen Yieberanfalle geftorben fei. 

Dem koͤniglichen Willen gemäß wurde das Leichenbegängniß mit 
allen fchidlichen Ehren gefeiert. Der Vikar und die Pfründner ber 
Erlöfersfirche fungirten bei der Gelegenheit. Die Bedienten des Vers 
blichenen erhielten Trauerfleiver als Zeichen des Reſpekts, ebenfalls 
Philipp’ Verordnung gemäß. Der Bedienten,, bemerfte Philipp, 
feien fo wenige, daß man fie wohl in Trauer fleiden fönne. Auch 
wollte er, in Anbetracht, daß Montigny nicht genug Geld hierfür bins 
terlaffen habe, diefe und andere Koften des Leichenbegängniffes felber 
beftreiten. Der zu feinem Begräbnißplage erwählte Ort war ein Ge⸗ 
wölbe unter einer Kapelle ber Kirche. Auch zeigte ein beſcheidenes 
Denkmal den Raum an, wo bie Afche des aus den Niederlanden in 
ber unglüdlichen Miffton nad) Madrid gefommenen legten Geſandten 
ruhte. 

So beichaffen ift die wahrhaftige, aus des Königs eigenen Brie⸗ 
fen und denjenigen feiner Agenten gefchöpfte Darftellung dieſes tragis 
fchen Vorganges. Eine bei weitem verfchiedene Geſchichte war damals 
im Umlauf. An fiebzehnten Oftober , dem nächften Tage nad) dem 
Tode Montigny’3, langten bei Hofe von Peralta, dem Alcayden der 
Teftung, Depefhen an. Eie berichteten, daß nad der Abfendung 
feine& früheren Briefes dad Fieber feines Gefangenen fo fehr zuges 
nommen habe, daß er einen Arzt zu Huͤlfe rufen mußte. Da jedoch 


Die geheime Hinrichtung des Montigny. 125 


die Symptome beunruhigender geworden wären, Habe fich der legtere 
mit dem Leibarzte der früheren Regentin Joanna benommen, damit 
feinem Patienten Nichts an dem, was menfchliche Hülfe leiften könnte, 
abgehen follte. Deſſen ungeachtet nahm die Krankheit zu, und ba 
glüdlicherweife damals gerade der Pater Hernando del Eaftillo von 
Bulladolid in Simancad anweſend war, fam er herbei und gab dem 
fterbenden Manne die legten religiöfen Tröftungen. Nachdem Mon⸗ 
tigny Alles, was ein guter Chriſt zu einer foldyen Zeit thun ſollte, 
gethan hatte, ftarb er früh am Morgen des fechszehnten und bewies 
ſich zulegt ald einen fo guten Katholifen, daß man hinfichtlicy der 
Rettung feiner Seele gute Hoffnung hegen koͤnne. 

Es ift wohl kaum nöthig zu bemerfen, daß dieſe heuchlerifche 
Epiftel, gleich ihrer Vorgängerin, in Madrid fertig gemacht worden 
war. Audy war fie nicht völlig grundlod. Der Arzt des Platzes, 
Namens Biana , war zugezogen worden, und man hatte für noth⸗ 
wendig gefunden, ihn in dad Geheimniß einzumweihen. Jeden Tag 
ftattete er im Schloffe einen Befuch ab , und ſtets Fehrte er mit ſchlim⸗ 
meren Erzählungen von dem Zuftande ded Patienten zurüd. Auf 
diefe Weife waren die Gemüther der Einwohner auf den töbtlichen 
Ausgang ber Kranfheit vorbereitet. Freilich hegte man troßdem, wenn 
man bedachte, wie gelegen ein folched Ereigniß fam, den Verdacht, 
daß ed um die Sache nicht ganz richtig ſtaͤnde. Allein der Verdacht 
war fein Beweid. Das Geheimniß wurde zu gut bewahrt, ald daß 
Jemand hinter den Schleier deffelben hätte blicken können, und bie 
Wenigen, welche hinter diefem Schleier ftafen, hatten ihr Leben zu 
lieb, als daß fie denfelben gelüftet hätten. 

Mit Ziffern gefchriebene Depeſchen, die einen vollftändigen und 
wahren Bericht von der Sache gaben, mwurben an den Herzog von 
Alva abgefhidt. Ihnen waren die beiden Briefe des Peralta, welche 
ja vielmehr für den brüffeler Horizont, als für den Madrids berechnet 
waren, beigefügt. Der Herzog: follte diefelben anfcheinend zufällig 
zeigen, ohne Jemanden auf fie aufmerflam zu machen, fo daß bie 
Freunde Montigny’s in den Niederlanden an ihre Wahrheit glauben 
möchten. 

In feiner Privatmittheilung an Alva erwähnt Philipp den ortho- 








126 j Eeechſtes Kapitel. 


doxen Glauben, welchen ſein Opfer in den letzten Augenblicken be⸗ 
wieſen hatte; zeigt jedoch dabei, daß mit der von ihm bei ſolchen Ge⸗ 


fegenheiten gewöhnlich ausgedrückten Genugthuung etwas Zweifel 


vermifcht war. „Wenn fein Inneres ‚” fchreibt er von Montigny, 
„von einem fo hrifllichen Seifte, wie fein Aeußeres, und wie der 
Mönch, fein Beichtiger , berichtet hat, durchdrungen war , fo dürfen 
wir wohl annehmen , daß Gott feiner Seele gnädig fein wird.“ In 
bem urſpruͤnglichen, von des Königs Sekretär gefchriebenen Entwurfe 
dieſes Briefes finden fi noch Lie Worte: „Doc, wer kann nad) 
Alledem wiſſen, ob das nicht ein Saufelfpiel des Satans war, der 
ja den Ketzer in ber legten Stunde nie verläßt." — Diefen Cap — wie 
man auf dem in Simancad aufbewahrten Manufcripte fehen fann, — 
ſtrich Philipp aus und fchrieb dazu die eigenhändige Bemerkung: 
„Dies ift wegzulaflen, da wir von den Zodten nichts Uebles denfen 
follen. * 


Ungeachtet dieſes edlen Gedankens that Philipp alled Mögliche, 
um ber Welt den Montigny als einen Berräther darzuftellen und die 
Konfiöfation feiner Befigungen zu fordern. Bon der heiligen Inquiſi⸗ 
tion erhielt der Blutrath eine gute Lehre; denn fie jorgte dafür, daß 
felbft der Tod fie nicht um ihre Opfer bringen follte. Wie ed zuvor 
in Bezug auf Bergen gefchehen war, wurde nun ein Verfahren gegen 
bad Gedächtniß ded Montigny eingeleitet *). 


Den zweiundzwanzigfien März 1571 ſprach der Herzog von Alva 
den verftorbenen Blorence de Montmorency, Her von Montigny, des 
Hochverraths jchuldig und Fonfiscirte fein bewegliche und unbeweg⸗ 
liches Vermögen zum Beften ber Krone, „indem ihm,” fuhr das Aften- 
ftüd fort, „zu wiſſen gethan worden, baß der beiagte Montigny 
in der Feſtung Simancas, wo er unlängft gefangen geieflen habe, 
eined natürlichen Todes geftorben fei! “ 

Mie ich ſchon fagte, wurde dad Verfahren bes Blutraths gegen 
Montigny fogar noch durch eine größere Frechheit und eine fchreiendere 


*) Die tonfiseirten Befigungen des Marquis von Bergen wurden deflen Erben 
von Philipp 1577 zurückgegeben. 


Die geheime Hinrichtung des Montigny. 187 


Verletzung der gebräuchlichen juriftifchen Formen, als bei diefem Ges 


richtshofe fonft fchon gewoͤhnlich war, charafterifirt. Eine nadte Auf⸗ 
zählung der Tharfachen genügte. Gegen das angeflagte Individuum 
wurde eine Unterfuchung, — wenn man das Unterfuchung nennen 
darf, — in dem einen Rande eingeleitet, während ed in dem andern 
in fitenger Haft gehalten wurde. “Der Hof, vor welchem ber Anger 
Elagte abgeurtheilt wurde — ober beffer die Jury, denn der Rath 
fcheint mehr die Macht von Geſchwornen, ald von Richtern audges 
übt zu haben, — war bei diefer Gelegenheit eine für den Zweck des 
Anflägerd auderlefene, einverftandene Geſellſchaft. Anftatt daß der 
Richtſpruch öffentfich verfündet wurde, wurde er bloß dem Könige, 
als demjenigen Theile , der ein Interefie ihn zu erhalten hatte, anvers 
traut. Sogar diefer Richtfpruch wurde nicht vollzogen, fondern ihm 
wurde ein anderer fubftituirt, und die öffentliche Hinrichtung ward 
durch einen mitternächtlichen Meuchelmord erſetzt. Man würde bie 
Sprache mißbrauchen, wenn man ein ſolches Berfahren Juſtizmord 
betiteln wollte. 

Indeß hielt Philipp den von ihm eingefchlagenen Weg für ganz 
richtig. Im ihm hatte ſich die Vorftellung von der Schuld des Mon⸗ 
tigny feftgefegt. Xebterer war feinem Könige, war feiner Religion 
untreu geworden: zwei Verbrechen, die der Tod allein fühnen konnte. 
Dennoch fehen wir Philipp zu einer geheimen Hinrichtung feine Zu⸗ 
flucht nehmen , obfchon Alva, wie wir wiflen, voraudgefeht hatte, daß 
diefe Strafe an Montigny eben fo öffentlich wie an den übrigen 
Opfern des Bluttribunald vollzogen werden müßte, Aber der König 
fcheute ſich, vor der Deffentlichfeit eine That zu begehen, welche, abs 
gefehen von ihrer Grauſamkeit in anderer Hinficht, eine fo fchreiende 
Hinterlift gegen den auf den Wunſch feines Souverains und in einer 
öffentlichen Miſſion nad Madrid gekommenen Gefandten in fldh 
fhloß. Indem Philipp auf diefe Weife die öffentliche Meinung feiner 
Zeit fcheute, kann man fich wundern, daß er nicht verfucht hat ‚ jede 
Spur feiner Verbindung mit der betreffenden Handlung durch Zerflö- 
rung bes fie enthaltenden Protofolld zu verwilchen. Aber er trug 
im Gegentheil nicht nur Sorge, daß ein folches Protokoll aufgenoms 
inen wurde, fonbern ließ daſſelbe auch nebft aller anderen hierauf bes 


128 Siebentes Kapitel. 


züglichen Evidenz für immer in dem Nationalarchiv aufbewahren. 
Dort liegt es der Nachwelt, die eines Tages über Philipp’s Verfahren 
zu Gericht figen follte, zur Anſicht offen. 


Siebentes Kapitel. 
Das ottomannifche Reid. 


‚ Die Lage ter Türkei. — Die afrifanifchen Korfaren. — Die Unternehmung gegen 
Tripolis. — Der Krieg an der Barbureifüfte. 


1559 — 1563. 


Es giebt zwei Arten der Gefchichtöfchreibung : die eine folgt dem 
Strome der Zeit und ftelt die Ereigniffe in ihrer chronologiſchen 
Drdnung bar; bie andere dagegen theilt diefe Ereigniffe nad) ihrem 

Inhalte ein. Die erftere it am felbftverftändlichften und kann viels 
leicht als die beffere angefehen werden, fobald die Handlung wenigs 
. ftend in Biographien oder in einem großen, das ganze Intereife auf 
ſich Ienfenden hiftoriichen Ereigniffe einfacdy und zufammenhängent ift. 
Allein wenn die Gefchichte verwidelter wird, ein weites Feld in fich 
begreift und eine große Verichiedenheit von Zufällen darbictet, wird 
das chronologifche Syſtem, fo leicht ed auch für den Schriftfleller ift, 
für feinen Leſer langweilig und nutzlos. Der letztere wird von einer 
Scene zur anderen gehegt, ohne daß er fie vollftändig begreift, und 
da der Faden der Erzählung durch die plöglichen Uebergänge beitändig 
unterbrochen wird, nimmt er in feinem Gebächtniffe nur unzufammens 
hängende Stüde auf, welche er ſchwerlich zu einem verbundenen 
und dauerhaften Ganzen bringen kann. Doch iſt biefe Methode 
ald die einfachfte und natürlichfte bei den älteren Schriftftellern 
am häufigften zu finden; ganz befonders aber trifft man fie bei den 
alten caftilifchen Ehroniffchreibern, welche für dad gegenwärtige Werk 
die Hauptautoritäten bilden. Ihre ermüdenden Eeiten umfaflen, 
ohne fih an eine andere Orbnung ald diejenige der Zeit zu fehren, 


Das sitomannilde Reich. 19° 


eine in ſich unzufammenhängende Neihe von Borfällen und Reben fo 
wenig in Beziehung zu einander, wie bie Kolumnen einer Zeitung. 

Um dieſen Uebelßand zu vermeiden, haben bie Geſchichtsſchreiber 
einer fpäteren Periode es vorgezogen, ihre Darfieflung nach philofo- 
phiſcheren Orundfägen zu ordnen, und fidh mehr an bie Art der bes 
ſchriebenen Ereigniffe, ald an die Zeit ihres Vorfalls zu halten, fo 
daß der Lefer, ehe er auf etwas Anderes übergeht, erfi mit der einen 
Handlung, ihren Urfadhen und igren Folgen bekannt gemacht und da⸗ 
durch in den Stand gelegt wird, in feinen Gebächtnifie getrennte und 
deutliche Eindrücke des Ganzen aufzunehmen. 


In Uebereinſtimmung mit dieſer Methode habe ich den Leſer in 
ben Niederlanden zurüdgehalten,, bis er dad Ende der Verwaltung 
Margarethend und die charafteriftifche Politik der erften Zeit ihres 
Nachfolgers geiehen hatte. Während diefer Periode hatte Spanien 
mit feinen europälfchen Nachbarn Frieden; denn die meiften von ihnen 
waren zu fehr mit inneren Zwiſten beichäftigt, ald daß fle Muße zum 
Kriege mit dem Auslande gehabt hätten. Befonderd war Frankreich 
von religiöfen Kämpfen zerrifien, an welchen Philipp als der Vor⸗ 
fämpfer des Glaubens nicht allein das tieffte Intereffe, fondern einen 
thätigen Antheil nahm. Hierauf werde ich fpäter zurüdfommen. 


Aber während Spanien mit feinen chriftlichen Brüdern in frieds 
lihen Beziehungen fand, Tag es in fortwährendem Streite mit den 
Mufelimännern Afrifa’8 wie Aften’d. Im fechözehnten Jahrhunderte 
war das Verhälmiß Europa’d zum Oſten ganz veriihieden von dem, 
was es heutzutage iſt. Die türfiihe Macht lag wie eine dunfle Wolfe, 
nach welcher ein jedes Auge mit Schreden fah, am öftlihen Hori: 
zonte; weßhalb daffelbe Bolf, zu deffen Schutze die europäiichen Staa» 
ten jegt gemeinfchaftliche Sache machen, von ihnen im fechözehnten 
Sahrhunterte als ein gemeinichaftlicher Feind betrachtet wurde. 


Als das Banner des Propheten der ſchwachen Hand ber Araber 
entfanf,, wurde daffelbe zum ©lüd für den Islam von einer Nation 
wie die Türken ergriffen; denn dieſe trieb ein Feuereifer, daſſelbe 
im Siegeöfchritte vorwärts zu tragen. Die Türken waren für bie 
Araber, was die Römer für die Griechen. Bei ihrem fühnen, fries 

Brescott, Geſch. Philipp's II. IL. 9 


130 Sicbenles Kapitel. 


gerifhen und chrgeizigen Weſen befaßen fie wenig von jener Kunftliebe, 
weldye die vorherrichende Leidenfchaft ihrer Borgänger geweſen war; 
noch weniger aber machten fie fich jene Verfeinerung, die bei ben Ara⸗ 
bern in Weichlichkeit und Trägheit ausgeartet war, zu eigen. Ihre 
Regierungdform paßte wunderbar zu ihrem Eharafter. Es war ein 
reiner Despotismus. Wenn aud) der Souverain nicht ganz mit dem 
theofratifchen Charakter der Kalifen befleivet war, war er body rund 
herum mit jo viel Heiligkeit verfchanzt, daß ein Widerſtand gegen feine 
Autorität zugleich eine Beleidigung der Religion wie des Geſetzes war. 
Er fand in unermeßlicher Kerne body oben über feinen Unterthanen. 
Keiner erblichen Ariftofratie war es geftattet, die Kluft zwilchen beiden 
zu verföhnen und als Schugmauer des Volkes fid) in die Mitte zu 
ſtellen. Alle Gewalt ging vom Souverain aud und fehrte beim Tode 
des Eigenthümers zu ihm zurüd. In den Augen des Eultand waren 
. feine VBafallen alle gleich, das heißt: alle auf gleiche Weile feine 
Sklaven. 

Es möchte fcheinen, ald wenn die Theorie des abfoluten Regi- 
mentes die Vollkommenheit des Oberhauptes vorausſetzte. Allein da 
bei den Sterblidhen feine Vollkommenheit zu finden iſt, war von der 
türfifchen Staatseinrichtung Flugerweife dafür gelorgt, daß der Sul⸗ 
tan ſich eines ihn mit Rathichlägen unterflügenden Körperd bediente. 
Diefer beftand aus drei oder vier, vom Sultan felbft ernannten großen 
Beamten mit einem Großvezier an ihrer Spitze. Der legtere Würden- 
‚ träger befaß bei weitem eine größere Autorität, als irgend ein erfter 
Minifter in einem europälfchen Staate. Man fönnte fagen, daß alle 
Staatdangelegenheiten ihm durch die Hände gingen. Die zu biefem 
Amte auserlefenen Perſonen waren gewöhnlich fühige, erfahrene 
Männer; weßhalb fie unter ſchwachen Regierungen, während fie den 
Staat vor Schaden behüteten , zugleich durch ihre große Autorität die 
Unfähigfeit de8 Souveraind den Bliden feiner Unterthanen entzogen. 
Man könnte glauben, daß eine Gewalt wie die des Bezierd diefen für 
feinen Herrn fürchterlich, wo nicht gefährlich gemacht hätte. Allein 
fein Herr ftand eben fo hoch über ihn erhaben , wie über den gering⸗ 
ften Untertban. Denn der Sultan befaß Gewalt über Tod und 
Leben, eine Gewalt, welche er, wie die ®efchichte im Ueberfluß beweift, 


Das ottomanniſche Heid. 131 


ohne viel Bebenken gebrauchte. Nur allzu oft war die Bogenfehne 
ber einzige Befehl zur Abſetzung eines Minifters. 

Aber die merfwürdigfte türfifche Staatseinrichtung , welche man 
ben Eckſtein des ganzen Gebaͤudes nennen fann, war diejenige bezügs 
lich der chriftlichen Bevölferung bed Reiches. Alle fünf Jahre nämlich 
geichah eine allgemeine Konffription, vermittelft deren alle fiebenjähris 
gen Chriftenfnaben,, welche zur Hoffnung berechtigten, daß fie fich 
geiſtig oder körperlich auszeichnen würden, aus ihrer Heimath fortges 
nommen und in die Hauptfladt gebracht wurden. Man vertheilte fie 
jodann in verfchiedene Gegenden und that fie in Seminare, wo fie für 
die Pflichten des Lebens erzogen wurden. Diejenigen, welche in Zus 
funft die fräftigften und ausdauerndften Männer werden zu wollen 
ſchienen, fandte man nad) eigens dazu errichteten Plägen in Kleins 
afien. Hier erhielten fie eine ftrenge Erziehung in der Enthaltfamfeit, 
in Entbehrungen jeter Art und in der pünftlichen , fie für den Sols 
datenftand eignenden Disciplin. Aug ihnen wurde die berühmte 
Iruppenabtheilung , die unter dem Namen Janitjcharen befaunt ift, 
gebildet. 

Ein anderer Theil Knaben fam in die Schulen der Hauptftadt 
oder der benachbarten Städte , wo fie gleichlam unter den Augen des 
Sultans in verfchiedenen männlichen Fertigkeiten unterrichtet und mit 
fo viel Wiffenfhaft, als die türfifche oder vielmehr arabifche Gelehr⸗ 
famfeit bieten fonnte , auögerüftet wurden. Nachdem ihre Erziehung 
zu Ende war, traten die Einen in des Sultans Leibgarde ein, wo 
ihnen ein glänzender Unterhalt gewährt wurde. Die Anderen das 
gegen, welche für das bürgerliche Leben beflimmt waren, betraten 
eine Laufbahn, die fie zu den hoͤchſten Staatsämtern führen konnte. 

Da man alle diefe Klafien Ehriftenfnaben von ihren Aeltern in 
einem Alter fortnahm , in welchem bie Xehren ihres eigenen Glaubens 
in ihrer Seele nody nicht leicht Wurzel gefchlagen Haben Fonnten, 
wurden fie ohne Schwierigkeit zu dem Glauben des Koran befehrt. 
Zudem lag ja aud) diefer Uebertritt zu ber Staatöreligion in ihrem 
Intereſſe, weil fie hierdurch nur zu Reigen hoffen fonnten. Indem 
fie auf diefe Weife von der Gemeinfchaft der übrigen Staatdangehöris 
gen ausgefchieden und von dem Sultan begünftigt wurden, ſchaarten 

9% 








132 Eicheuies Rupitel. 


fich die Reubefchrten um den Thron des Gouveraind uud wurden hier 
für ihn durch ihre Hingabe an fein Intereffe, wie an das Interefie 
der adoptirten Religion eine ichere Etüpe als die Türken ſelbſt. 

Zwar ertrng die chriſtlibe Bevölferung , welche dieſe ſchwere 
Steuer in ihrer eigenen Radyfommenfchaft zu entrichten hatte, dieſe 
eigenthũmliche Staatseimichtung nur ſehr ungern; allein die letztere 
war für die Monarchie von großem Nutzen. Denn indem auf dieſe 
Weiſe beftändig neues Blut in die Adern bed Staates floß, erhielt 
derjelbe immer wieder friſche Etärfe und offenbarte lange Zeit feine 
Anzeichen ver Altersſchwäche oder des Berfalls. 

Die wichrigfte jener verſchiedenen Klaflen waren tie Janitſcharen, 
deren Disciplin mit ver Entlafiung aus der Schule keineswegs ſchon 
zu Ente war. Ja man fönnte fagen, daß ihr ganzes Leben im Kriege, 
oder in der Borbereitung zum Kriege aufgegangen fei. Beil ihnen 
das Heirathen verboten war, wurde ihre Reigung nicht auf tie Fa⸗ 
milie abgezogen, fontern heftete ſich, wie es in chriftlichen ändern bei 
den Wrieftern und Möndyen der Fall ift, völlig an ihren Stand, 
deſſen Wohl unzertrennlidy mit tem Staatswohle zufammenbing. Im 
Stolze auf tie, fie von der übrigen Armee trennenden Borrechte fchienen 
fie durch eine untadelhafte Disciplin und durch die Freudigkeit, wo⸗ 
mit fie ven gefährlichften und fchwerften Dienſt verrichteten , beweiſen 
zu wollen, daß fie ihren Vorzug wohl verdienten. Ihr Poſten war 
ftetö der ‘Boften der Gefahr. Stolz pflegten fie fi) zu rühmen, daß 
fie nie vor einem Feinde geflohen wären. In ihren lofen, für den 
Kriegsmann fo wenig paſſenden Gewändern, bewaffnet mit der Flinte 
und dem Damadcener, die in ihren Händen der Lanze und bem 
Schwerte des Europäers tiberlegen waren, und mit der über dem 
Haupte fliegenden Reiherfeter fonnte man ibre dichten Reihen immer 
in das dichtefle Gefecht vorbringen fehen. Oefters, wenn das Geichid 
bes Reiches auf dem Spiele ftand, gab diefed unbezwingliche Korps 
den Ausfchlag und entſchied durch fein unerfchrodened Handeln das 
Gluͤck des Tages. Indem fie mit jedem Geſchlecht neuen Ruhm ers 
warben, waren fie, fo lange ihre alte Disciplin beftand , den beften 
Soldaten Europa’8 gewachſen. Aber mit ber Zeit erlitt biefe bes 
wunderungswürbige Organifation eine Beränderung. in Sultan 


Das otiomanniſche Meich. 133 


erlaubte ihnen dad Heirathen; ein anderer geflattete ihren Söhnen in 
das Korps einzutreten, und ein dritter öffnete ihre Reihen fowohl den 
Türken, wie den Chriſten, fobaß die Janitſcharen zuletzt, nachdem fle 
ihren eigenthünlichen Charakter eingebüßt hatten, mit der Landesmiliz 
zuſammengeworfen wurben. Diefe Beränderungen gingen in ber Zeit 
Philipp's des Zweiten vor ſich; allein die Folgen berfelben entwidelten 
fich erſt vollftändig im folgenden Jahrhundert. 

Ben man die unbegrenzte Macht der Sultane bedenkt, muß 
man ed für die Türken ald ein Gluͤck anſehen, daß ihre Herricher fo 
häufig den Muth und bie Fähigkeit beſaßen, ihre Gewalt zum Forts 
fhritt der Nation zu verwenden. Bon Ottman dem Erflen, dem 
Gründer der Dynaftie, bis auf Soliman den Prächtigen, den Zeitges- 
nofien Philipp'o des Zweiten, war der türfifche Thron immer mit 
fähigen Hürften befegt. Sie waren zum Kriege herangebilvet, erweis 
terten jebed Jahr die Grenzen bed Reiches und vergrößerten die 
Hülfsquellen deffelben. Um die Mitte des fechszehnten Jahrhunderts 
beberrichten fie, außer ihren weiten Beſitzungen in Aften, auch die öft« 
lichen Theile Afrika’. Neben denjenigen Ländern Europa’s, welche 
noch beutzutage ihr Scepter anerfennen,, befaßen fie auch Griechen⸗ 
land, und, nachdem Soliman Siebenbürgen und Ungarn unterworfen 
batie , trug er zweimal feine fiegreichen Banner bis unter die Mauern 
Wiens. Der Kampfplagp für Kreuz und Halbmond war aus dem 
Weſten nach dem Often Europa's verlegt, fodaß Deutichland nun im 
fehözehnten Jahrhunderte das Bollwerk der Chriftenheit wurde, wie 
es Spanien und die Pyrenaͤen im achten geweien waren. 

Die Seemacht der Türkei war nicht minder furdtbar, als ihre 
Landmacht. Ihre Flotte war die unbeftrittiene Herrin der Levante, 
denn das durch die merfwürdige Niederlage 1538 bei Preveſa und 
durch den Verluſt Cyperns und anderer Gebietötheile gewarnte Bes 
nedig befaß feine große Luft, den Kampf zu erneuern. Diele jchlaue 
Republik hielt «6, wenn fie mit den Öttomannen zu thun hatte, für 
gerathener, den Berhandlungen mehr, ald den Waffen zu vertrauen. 

Die das Mittelmeer beberrichende türfifhe Seemacht vereinigte 
fi) mit den Korfaren der Barbareifüfte, welche in einem gewiflen Sinne 
die Oberhoheit der Piorte anerfannten , und beide zufammen landeten 


134 Siebentes Kapitel. 


bäufig an den Käften Italiens und Spaniens, um bafelbR fchlimmere 
Verwuͤſtungen, als die dortigen Orfane anzurichten. Frankreich allein 
war von diefen Berheerungen ausgenommen, weil feine Fürften ver- 
mittelft einer unbedenflidhen Politik, die die Mißbilligung der ganzen 
Chriftenheit erregte, ein Bünbdniß mit den Türfen eingegangen waren 
und fo ihre Gebietstheile einigermaßen zum Nachtheile der franzöflichen 
Ehre dedten. 

Die Nordfüfte Afrika’ wurde damals von wmterfchiedlichen 
Racçen bewohnt, welche, fo verfchieden fie auch in anderer Beziehung 
von einander fein mochten, fich doch alle im Gehorfam gegen den Kos 
ran glihen. Unter ihnen circulirte viel mauriſches Blut von ten 
arabifhen Etämmen, welche einft den Süden Epaniens befaßen und, 
als fie von den Ehriften befiegt wurten, lieber aus dem Lande flohen, 
als der Religion ihrer Väter entſagten. Sogar viele damals noch les 
bente Mauren waren von diefer religiöfen Verfolgung mit betroffen 
worden. Mit Schnfuchtsbliden fahen fie zurüd nach dem ererbten 
Lande, und mit unausfpredhlichem Hafle betrachteten fie die Spanier, 
die fie daraus vertrieben hatten. 

Tie afrifanifche Küfte war dicht mit Städten beſetzt. Einige 
darunter, wie Algier, Tunis, Tripolis, beherrfchten ein großes Ges 
biet anliegenden Landes. Alle aber ftanden unter der Herrfchaft irgend 
eines mufelmännifchen Befehlshabers, der entweder als unbeichränf- 
ter Herrſcher regierte, oder auch wohl bisweilen um des Schutzes 
willen auf bedingte Weife die Oberberrichaft des Sultans anerfannte. 
Indem nun diefe rohen Häuptlinge die Rage am Meere benupten, 
trieben fie das fchredliche Korjarengewerbe. Sie tauchten aus ihren 
Beiten hervor und fielen über den unbefchügten Kauffahrer her; oder 
ſte anteten an den gegenüberliegenden Geftaden von Andaluſien und 
Valencia, verheerten die Dörfer und ichleppten die elenden Einwohner 
mit fich fort in die Eflaverei. 

Die caftilifche Regierung that ihr Möglichftes, um ihre Unter⸗ 
thanen zu fchügen. Länge der Küfte waren befeftigte Poſten errichtet. 
Auf den Anhöhen fanden Wachtthürme, von wo aus bei der Ans» 
näherung eines Seindes Zeichen gegeben wurden. ine beftändig im 
Dienft gehaltene Galeerenflotte ruderte an der Küfte, um die Korſaren 


PU O4 — 





Das ottomannifche Reich. 135 


aufzufangen: Hin und wieber wurde ber Krieg’ auch in bas Land des 
Feindes getragen. Man unternahm Erpebitionen, um die Barbareis 
füften zu beftreichen oder bie Veften der Seeräuber nieberzufchmettern. 
Andere Staaten, beren Gebietstheile ebenfalls an das Mittelmeer 
graͤnzten, halfen bei diefen Erpebitionen ; darunter Toskana, Rom, 
Neapel und Sicilien, wovon die beiden legten unter fpanifcher Ober⸗ 
hoheit fanden; vor allen andern aber half Genua, deſſen beberzte 
Seeleute in diefen Seekriegen gute Dienfte leifteten. Hierzu könnte 
man auch die Johanniter rechnen, deren Feine Infel Malta , welche 
mit-ihren eifernen Befeftigungen dem Feinde fühn Trotz bot, der aftis 
kaniſchen Küfte gleichfam in den Rachen geworfen war. Diefe tapfern: 
Ritter, die durch ihr Gelübde zu ewigem Kriege mit.den Ungläubigen 
verpflichtet waren, ftanden alfo auf dem Außenpoften ber Ehriftenheit, 
und wie fie bei einem Einfalle zuerit die Laͤrmſignale gaben, waren fie 
auch die vorderften bei der Abwehr befielben, . 

Das Mittelmeer bot:damald einen ganz andern Anblid als ges 
genwärtig bar. . Denn: heutzutage wimmelt es vom Handel manches 
entfernten Landes und auf feinen Küften ſchimmern Städte und Doͤr⸗ 
fer, welche vom Geraͤuſch einer friedlichen, geichügten Induſtrie wies 
derhallen. Aber damals erblidte man an feinen Ufern lange Streden 
verödeten Landes, und bie gefchwärzten Trümmer manches Dörfchens 
verfündeten nur allzuverländlich , daß hier fürzlich der Korfar gehauft 
hatte. Die damalige Lage des Bauernftandes im füdlichen Spanien, 
war derjenigen unferer Vorfahren in Reuengland nicht unähnlich, wo 
ja auch die ländlichen Arbeiten jederzeit durch Kriegsgeſchrei der über 
die Niederlaffung hereinbrechenden Wilden, welche die nicht niederges 
megelten unglüdlichen Einwohner mit fich als Gefangene in die Wilds 
niß fortichleppten , unterbrochen werden fonnten. Anſtatt daß der 
Handelömann hinaus in die See fuhr, ſchlich er fich furchtſam längs 
ber Küfte unter dem Schuge der Feſtungen hin; denn er befürchtete, 
daß der wilde Feind fi, wenn er ed gar nicht erwartete, auf ihn 
fürzen und ihn in die Kerfer Afrika's mit fortnehmen werde. Wenn 
er ſich jedoch in die offene Tiefe hinausmwagte, geichah es entweder 
unter dem Schuge wohlbewaffneter Galeeren, oter während er ſelbſt 
bis an die Zähne bewaffnet und friegägerüftet war. 


‚136 Siebentes Kapitel. 


Selten verfiri ein Tag, ohne daß nicht irgend ein Konflklt zwifchen 
den Ehriften und Moslems auf den Gewäffern des Wittelmeere6 vor- 
fiel. Micht felten Fährte an der Stelle eines Mauren ein Chriſten⸗ 
renegat den Oberbefehl. Nachdem derſelbe feine Heimath und feine 
Religion mit dein Räuberleben der Korfaren vertaufcht hatte, hegte er. 
nad) Art der meiften Spoftaten einen tieferen Haß, als felbſt die natür⸗ 
Uchen Feinde, gegen das Land, weldyem er abgeſchworen hatte”). In 
biefen Treffen wurden oft auf beiden Seiten fo heldenmuͤthige Thaten 
verrichtet, daß fie, wären fle auf einem weiteren Felde der Handlung 
vorgefallen, ihren Urhebern unfterblihen Ruhm eingebradyt haben 
wären. Durch dieſes unaufbörliche Kriegführen bildete fich in den 
an das mittelländifche Meer anſtoßenden Ländern ein Echlag beherzter 
und erfahrener Seeleute heran und mehr als em Name gelangte wegen 
nautiſcher Kenntniß und Tapferfeit, deögleichen in andern Theilen der 
Ehriftenheit nicht häufig zu finden war, zur Berühmtheit. Hierher 
gehören die Dorias von Genua, eine Familie, für weiche dad Meer 
das eigentliche Element zu fein fchlen, und deren Thaten zur See mehr 
tere Generationen binter einander auf die Waffen der Republif einen 
unfterblichen Glanz ftrahlten. 


Das Leben des Korfaren war voller Eeeabenteuer. Bon feinen 
Thaten gab es mandye tragifchsintereffante Erzählung ; manche traurige 
Geſchichte von den Leiden des chriftlichen Gefangenen, der an der Rus 
derbank arbeiten oder in den Kerfern von Tripolis und Algiers ſchmach⸗ 
ten mußte. Derartige Erzählungen bildeten den Gegenftand nicht nur 
der damaligen Volfögefänge, fondern auch der eleganteren Literatur, 
wie ded Drama’d und der Romandichtung. Allein die Wirklichkeit 
ging über die Dichtung hinaus. Es wäre ſchwer geweien,, die Zahl 
der gefangenen Ehriften ober die ®röße ihrer Leiden zu übertreiben. Es 


_— 


) Tervantes heilt uns im Don Quixote in feiner Erzählung der Abenteuer 
des Gefangenen mit, daß fih ein Renegat gewöhnlich von einem hrifllichen Ge⸗ 
fangenen eine Beicheinigung ausflellen ließ, daß er nah Spanien zurüdzufchren 
wünfchte. Wurde er dann, indem er gegen feine Lantsleute Waffen trug, ergriffen, 
fo erfchien feine Handlungsweiſe als Zwang, und er entging dadurch den Fang⸗ 
zähnen der Inquifition. 


Das sttemmnifche Reh, 137 


wisd uns verfichert, daß 18.35 bei der Eroberung von Tumis durch 
Karl den Fimften zehn Taufend folcher unglüdlicher Dienfchen die Kerber 
verließen und vor ihrem Behzeier unter Tränen der Dankbarkeit und 
Freude auf die Kniee fielen. In Spanier bildeten ſich wehlthätige 
Geſellſchaften zu dem einzigen Zwede, Gelber zur Loöfaufeng der Bar⸗ 
bareigefangenen aufzubringen. Allein bie geforderte Summe war oft 
fo unnäßig, daß die Bemühungen der wehlihätigen Brüberfchaften 
bie Geſammtzahl der Gefangenen mur ſchwach verringerten. 

Während alfo bie Zeit ber Kreuzzäge in den meiften Weilen ber 
Ghriftenheit ſchon worüber war, bauerte an ben Geſtaden des mittel- 
landiſchen Meeres der Krieg zwilchen dem Kreuze und bem Salbmonde 
fort. Wie ich oft zu bemerken Gelegenheit hatte, war da6 Reben bes 
Spaniers ein langer Kreuzzug, und er focht im ſechszehuten Jahrhun⸗ 
dert gegen die Ungläubigen noch eben fo tapfer, wie in den heipenmüs 
tigen Tagen des Eid. Ja, die wüthenden Kämpfe mit den winzigen 
Piraten der Barbarei erzeugten in feiner Bruſt fogar eine größere Feind⸗ 
ſchaft, als er in feinen Kämpfen mit den Arabern gehegt hatte. Denn 
damals hatte er ed nicht mit einem auflauernden , plündernden Feinde 
zu thun, fondern es fampfte im offenen Felde vie eine Armee gegen bie 
andere um bie Oberherrichaft der Halbinfel. Der durch die afritanifchen 
Mauren wieder angefachte Religionshaß theilte ſich bis zu einem ger 
wiſſen Grabe ber die Gebietötheile an ber füdtichen Bränze bewoh⸗ 
nenden Moridcobevölferung mit, deren Vorfahren, vie fpantichen 
Araber, einft tie Herren ber Monarchie geweſen waren. Dieſes feind⸗ 
liche Gefühl wuchs durch den nicht ganz grumpiefen Verdacht, daß 
zwiſchen den Moridco’8 und ihren Brüdern an der Barbareitäkte eine 
geheime Korreſpondenz befiehe. Der Hab und Berbacht fhärften vers 
ent das Schwert der Berfolgung und führten zu den tsaurigften Fol⸗ 
gen, die über furz dem Leſer vorgeführt werben ſollen. 

Unter den afrikaniſchen Korfaren gab es einen, Namens Dragut, 
der fi) durch feine Kühnheit und die verderbensfdywangere Thaͤtig⸗ 
feit, womit er den fpanifchen Handel verfolgte, auszeichnete. In 
feiner Zugend war er von Andreas Doria zum Gefangenen gemacht 
werten; Doch vermochten die vier Jahre, welche hindurch er au bie 
Ruderbank der Baleeren Genna's geichmiedet war, nidyt den gegen 


138 | Siebentes Kapitel. 


bie Ehriften gehegten Haß zu befänftigen. Denn bei feiner Befreiung 
ging er mit erneuter Thätigkeit an fein altes befperated Korſarenge⸗ 
werbe. Nachdem er fih zum Herrn von Tripolis gemadıt hatte, 
ſchluͤpfte er mit feinen Galeeren aus diefer Befte heraus , fiel über ben 
ganz vertheidigungslofen Kaufmann ber, verwüftete die Küften, ließ 
fich Fühn mit hriftlichen Geſchwadern in Gefechte ein, und machte feinen 
Kamen am Mittelmeere fo fürchterlich, als berienige Barbarofla’s zur 
Zeit Karl’ des Yünften gewefen war. 

Die Einwohner der ſüdlichen Provinzen wandten ſich in ihrer 
Roth öfters an Philipp mir der Bitte, daß er eine Erpedition gegen 
Tripolis audfenden, wo möglich dieſe Diebshöhle abbrechen und 
bas Mittelmeer von den fürdhterlichen Korfaren befreien möge. Allein 
Philipp, der gerade mit feinen fiegreichen eldzügen gegen die Frans 
zofen beichäftigt war, befaß damals weder Muße noch Mittel, um fidh 
auf eine foldhe Unternehmung einzulaffen. Indeß befahl er im Fruͤh⸗ 
jahre 1558 dem Herzog von Mebina Eeli, zu dem Zwede eine Rüftung 
vorzunehmen, ſich der Beihülfe der italienifchen Staaten zu verfichern 
und den Oberbefehl zu führen. 

Eine fchlimmere Wahl hätte nicht getroffen werden fönnen. Ins 
bem ich diefe Bemerkung mache , jehe ich ab von des Herzogs Mangel 
an Erfahrung ; denn eine Lehrzeit auf der See wurde zu einer Zeit, in 
welcher Männer ohne Bedenfen vom Landdienft zum Seedienft übers 
gingen, nicht für nörhig erachtet. Aber, den perfönlichen Muth abges 
rechnet, Scheint der Herzog von Medina Celi feine von den für einen 
Befehlshaber zu Lande oder zut See erforderlichen Fähigkeiten beſeſſen 
zu haben. 

Die verichiedenen itatieniichen Mächte — Toskana, Rom, Reapel, 
Sicilien, Genua — ftellten alle ihre bezüglichen Kontingente. Iohann 
Andreas Doria, der Neffe des großen Doria und ein feined Namens 
würdiger Mann, befehligte die Galeeren feiner Republil. Hierzu fam 
nod) eine vom Großmeifter zu Malta gelieferte Berftärfung. Die 
ganze Flotte belief fi) über hundert Fahrzeuge, wovon vier und fünfs 
zig ©aleeren waren. Bei weiten der größere Theil wurde von Spanien 
und feinen italieniihen Provinzen geftellt. Das ganze Geſchwader 
enthielt vierzehn taufend Mann Truppen. Tie Rüftung nahm fo viel 


Das ottomannifſche Reich. 139 


Zeit weg, daß man erft fpät im Oftober 1559 fegelfertig war. Frei⸗ 
lich war zu einer folchen Jahreszeit das ftürmifche Wetter an ber afri⸗ 
fanifchen Küfte einem Beginne der Feindſeligkeiten nicht günftig. 

Doc) hielt dad den Bicefönig nicht ab, im November aus dem 
Hafen von Syrafus an der Spige der vereinigten Flotte auszulaufen. 
Aber die Elemente hatten fich gegen biefe übelgewählte Expedition 
verihworen. Denn faum hatte das Geſchwader den Hafen verlaffen, 
ald es ein Sturm befiel, weldyer die Fahrzeuge zerfiteute, einige völlig 
unbrauchbar machte und anderen beträchtlichen Schaden zufügte. Um 
das Unglüd noch zu erhöhen, brach unter der Mannfchaft eine Seuche 
aus. Sie wurde von den fchledhten Nahrungsmitteln, welche Die ges 
nueltfchen Lieferanten beichafft hatten, verurſacht. In feiner Noth 
. fegte der Herzog von Medina Celi an der Infel Malta an. Ihm 
wurde daſelbſt von Seiten ded Großmeifters eine gaftfreundliche Auf⸗ 
nahme zu Theil; denn die Baftfreundfchaft war eines ber Gelübde des 
Ordens. Ehe der Herzog wieder auszulaufen im Stande war, ver 
gingen volle zwei Monate. Seine Macht aber war durch Kranfheiten 
und Todesfälle beinahe um ein Drittel verringert, 

Unterdefien hatte Dragut, ber den Zwed ber Expedition 
fannte, Alles gethan, um Tripolis in Vertheidigungszuftand zu fegen. 
Doc befchloß der ſpaniſche General, wegen der Abfhwächung feiner 
Macht den Angriff auf Tripolis auf eine andere Zeit zu verfchieben 
und vor der Hand feine Operationen gegen die Inſel Jerbach oder, wie 
fie bei ven Spaniern hieß, Gelves, zu richten. Dieler faum eine 
Stunde von der afrikanischen Küfte nahe bei Tripolis liegende Platz 
richtete auf dem Mittelmeere großes Unheil an; denn er war fchon lange 
ats ein Piratenneft befannt. Fuͤr die Spanier, deren Waffen bier 
unter Ferdinand dem Katholifchen eine merkwürdige Niederlage erlitten, 
war es ein Ort von übler Borbedeutung. Indeſſen landete ber Herzog 
mit feiner ganzen Stärke und machte fih, da er von Seiten ber 
Mauren auf geringen Widerftand ſtieß, zum Herrn des Plaped. Die 
bier befindliche Feſtung war fehr verfaßen. Weil nun der fpanifche 
Oberbefehlshaber eine Befagung dafelbft zurüdlafien wollte, mußte er 
die vorhandenen Beiefligungen ausbefiern, oder vielmehr neue Werke 
errichten. Obſchon hierbei die ganze Armee thätig war, brachte man 


149 GSlebentes Rayikel. 


doch damit beinahe zwei Monate zu. Alsdann pflanıte man Artillerie 
auf die Feſtung und verſah fie mit Proviant und den nöthigen Ber» 
theidigungsmitteln. Endlich fegte der Herzog eine Beſatzung hinein 
unb übergab dem Don Alonzot de Sande, einem tapfern Offizier, den 
Oberbefehl. 


Kaum waren dieſe Anftalten fertig und die Truppen zum Wies 
bereinfchiffen bereit, als der Herzog benachrichtigt wurde, daß eine 
große türfiiche Flotte von Konftantinopel unterwegs fei, um dem Dras 
gut Beiftand zu leiften. Der fpanifche Admiral hielt deßhalb auf 
feinem Schiffe einen Kriegsrath ab. In diefen waren die Mei- 
nungen getheilt. inige, worunter Doria , riethen in Anbetracht des 
geihmwächten Zuftandes des Befchwaders , fo fhnell als möglidy nad) 
Sicilien zurüdzufchiffen. Andere dagegen betrachteten ‚eine ſolche Hands» 
lungsweiſe als eined Spaniers unwürtig; daher wollten fie, daß 
man hinaus in die See fteche und dem Feinde eine Schlacht Liefere. 
Durch diefe entgegengefegten Meinungen wurde der Herzog fo verwirrt, 
daß er zu feiner Entfcheidung foınmen fonnte. Auch war da8 gerade 
nicht nöthig, da er bald der ottomannifchen Blotte, die mit vollen 
Segeln auf ihn zufam, anfichtig wurde. Diefelbe beitand aus ſechs 
und achtzig Galeeren, deren eine jede hundert Janitfcharen enthielt, 
Ihr Oberbefehlshaber war der türfifche Adıniral Piali, deffen Name 
auf dem Mittelmeere fchon fein langer Zeit gefürchtet war. 


Bei dem Anfichtigwerden dieſer fuͤrchterlichen Armada befiel die 
Chriſten ein panifcher Schreden. Kaum leifleten fie einigen Wider⸗ 
fand. Der Feind fuhr mitten unter fie, donnerte feine Kanonen an 
den Selten der Schiffe nach Rechts und Links ab, vwerfenfte einige 
Fahrzeuge und machte andere Tampfunfäbig, während diejenigen, 
weiche fid außer der Tragweite feiner Kanonen befanden , Ihr Heil in 
ſchimpflicher Flucht fuchten. Siebzehn Fahrzeuge des vereinigten Ges 
ſchwaders wurden verfenft; vier und zwanzig, die mehr oder weniger be» 
(hädigt waren, zogen die Segel ein; nur einigen wenigen gelang es, 
die Infel wieber zu erreichen und fich unter den Schug ber Kanonen 
ver Feſtung zu begeben. Unter denen, welche an die Küfte gelangten, 
befanden ſich Medina Eeli und Doria. Diefelben flüchteten ſich in der 


Das otteimamaifihe Reich. 441 


folgenden Wacht unter bem Schuhe der Dunkelheit auf eine Fregane, 
entfamen wie durdy ein Wunder, ohne bemerkt zu werden, durch bie 
feindliche. Blotte und gewannen auf dieſe Weile die Räckehr nach Si⸗ 
cilien. Niemals war eine Riederlage für die Beſtegten ſchmachvoller 
und für die Sieger weniger ruhmreich. 

Ehe fi der Herzog einichiffte, befahl er dem Sande, bie Beftumg 
bi8 zum Aeußerſten zu verteidigen, und verfprach ihm baldige Hüffe. 
Die Sarnifon, welde nun den Kampf mit der ganzen thrkifchen Armee 
aufzunehmen hatte, war beträchtlich durch bie Flüchtigen von ber Flotte 
verſtaͤrkt worden, fo daß fie fich jetzt auf ungefähr fünf taufend Bann 
belief. 

Am folgenden Morgen (andete Pialt mit feiner fämmtlichen 
Macht und ging auf der Stelle daran , ſich vor der Citadelle zu vers 
fchanzen. Nachdem er feine Gefchügbatterierr errichtet hatte, forderte 
er die Befagung auf, ſich zu ergeben. Sande gab als Antwort zus 
rüd, daß „der Platz nicht, wie Niali's letzter Sieg, ohne Blutwer- 
gießen zu gewinnen ſei.“ Der türfifche Befehlshaber wartete nicht 
länger , fontern cröffnete auf die Wähle eine lebhafte Kanonade, die 
einige Tage anbielt, bis eine benußgbare Brefche geicheflen war. Als⸗ 
bann ordnete er einen allgemeinen Sturm an. Unter einem mörberi« 
fehen Artillerie: und Kleingewehrfeuer von der Feſtung und von ben 
das Feuer der Belagerten unterftügenten Schiffen, drangen die Janit⸗ 
ſcharen mit ihrer gewöhnlichen Heftigfeit vor, Ohne zu wanfen, ſtuͤrz⸗ 
ten die tapfern Moslems über die Leichen ihrer gefallenen Stameraden 
vor, und indem fie fih durdy den Graben hinburcharbeiteten,, gelang 
es ihren leitenden Kolonnen , ſich in die Brefche zu werfen. ber bier 
trafen fie auf einen Widerftand, der ihrem eigenen Muthe gleichfam. 
Die mit Lanze und Büchfe bewaffnete eilerne Mauer von Kriegen mit 
Sande an ihrer Spige ftand fo feit, wie die Wälle der Feſtung felbft. 
Kun fämpften Mann gegen Dann auf einen Raume, der zu eng war, 
um der feindlichen Ueberzahl einen Vortheil zu bieten. Unterdeflen 
warfen tie Belagerten von den Bruſtwerken auf die Köpfe der Ans 
greifer Geſchoſſe jeder Art herab, Der Kampf dauerte einige Stuns 
den. ber am Ende triumpbirte bie fpanifche Tapferkeit. Der Feind 
ward in Unordnung über den Graben zurüdgetrieben,, während feine 


142 Siebentes Kapitel. 


binteren Reiben auf dem Rüdzuge von dem unaufhoͤrlichen Feuer ber 
Seftung arg mitgenommen wurden. 

Piali war über dad Mißlingen feined Angriffs und die Hin- 
mepelung feiner tapferen Leute hoͤchſt aͤrgerlich. Dod hielt er es für 
flug, zu warten, bi8 Dragut anfäme und ihn mit frifchen Truppen und 
neuem Gefchüg verftärfte. Die Belagerten benugten biefe Zwiſchen⸗ 
zeit, um ihre Werke auszubeflern, ſodaß fte, ald Dragut erfchien, ziem⸗ 
lich ebenfo fampfgerüftet ald zuvor waren. 

Da Piali durdy die Anfunft des Korfaren mit ſchwererem Ges 
fchüß verfehen worden war, Eonnte er num ein wirffamered Feuer auf 
die Eitadelle eröffnen. Indem die Werke jchnell nachgaben , ſah fich 
ber türfifche Befehl&haber bald im Stande, nochmals den Eturm zu 
wagen. Letzterer ging mit dem nämlihen Muthe vor fi und traf 
auf denfelben Widerftand, wie zuvor. Auch nahm er das gleiche Ende. 
Denn die Angreifenden zogen fich zulegt völlig geichlagen zurüd, indeß 
die Leichen ihrer hingefchlachteten Kameraden den Graben audfüllten. 
Während der Feind zahlreidy genug war, daß fick bei ihm die flürs 
menden Abtheilungen ablöjfen konnten, fehrte er immer wieder zum 
Angriff zurüd. Dagegen hatten die Belagerten fortwährend mit der 
Ausbefjerung der durch das unaufhörliche Heuer geöffneten Brefchen 
zu thun. Glüdlicherweile fegte fie ihre Menge in Stand, diefen bes 
fchwerlichen Dienft zu verrichten. Trotzdem daß viele von ihnen 
fampfunfäbig und nur wenige nicht verwundet waren, hielten fie doch 
mit der nämlichen Unerfchrodenheit wie am erften Tage der Belage- 
rung auf ihren Poften Stand. 

Allein, wenn die Stärke der Beſatzung in der einen Beziehung 
von Nutzen war, gereichte fie in einer anderen zum Berderben. Die 
Feſtung war nur für eine geringere Macht mit Proviant verfehen wors 
den. Die vermehrte Zahl der Mägen half daher dem Feinde. Trotz 
der größten Sparfamfeit litt man ſchon Mangel an Rahrungsmitteln, 
und nad) fech8 Wochen war die Garnifon völlig ohne Speife. Das 
Waſſer fehlte ebenfalls. Ein Soldat hatte den fpaniichen Oberbes 
fehlshaber mit einer geiftreichen Methode, frifches Wafler aus Salz 
zu bereiten, befannt gemacht. Dieß gewährte zwar eine fehr bes 
fhränfte, aber doch wichtige Aushülfe. Allein das zum Bereiten bes 


Das ottomannifche Reich. 143 


Waflers erforderliche Brennholz war am Ente verbraucht, fo daß ſich 
nun zur Plage ded Hungerd ein unerträglicher Durft gefeltte. 

Obſchon ber tapfere Sande auf diefe Weife in die Außerfte Noth 
gerathen war, gerieth er body nicht in Verzweiflung. Er rief feine 
Leute zufammen und fagte ihnen, daß die Freiheit mehr ald das 
Leben werth jei. Alles wäre beſſer, als ſich einem folchen Beinde zu 
ergeben. Er fchfüge ihnen daher vor, noch dieſelbe Nacht aus ber 
Feſtung auszufallen und fid) wo möglich einen Weg durch die türkifche 
Armee zu bahnen oder bei dem Berfuche zu fallen. Die Spanier gaben 
ber Aufforderung ihres heidenmüthigen Führers ihre" herzliche Zuſtim⸗ 
mung. Wie er, fo empfanden auch fie, daß dad Loos eined Sklaven 
fürchterlicyer denn der Tod fei. 

Die nämliche Nacht, oder zwei Stunden vor Tagesanbrud am 
Morgen ded neun und zwanzigften Juni brad) Don Alvaro mit allen 
Denen, welche Waffen zu tragen im Stande waren, aus ber Feſtung 
heraus. Die Garniſon war fo fehr durch den Tod vermindert , ober 
durch Hunger und Krankheit abgeihwächt worden, daß fie fi auf 
kaum noch mehr als ein taufend Mann beliefen. Unter dem Schuge 
der Dunkelheit gelang es ihnen, ohne den fchlafenden Feind aufzus 
fchreden, fich durch die dreifache Reihe Verfhanzungen hindurch zu 
fhleihen. Endlich fprangen die durch das Gefchrei ihrer Schildwachen 
aufgewedten Türken zu den Waffen, häuften fi in dunkeln Maffen 
rings um bie Ehriften an-und ftellten den weiteren Borbringen der⸗ 
felben ein unüberwindlicyes Hinderniß entgegen. Jetzt wurbe ber 
Kampf ein erbitterter; doch war er kurz. “Die fleine heldenmüthige 
Schaar war durch die langen Anftrengungen zu fehr erfchöpft und 
durch den völligen Mangel an Speife während der zwei legten Tage 
zu fehr abgemattet worden, ald daß fie vermocht hätte, e& mit der 
überwältigenden Zahl ihrer Angreifer aufzunehmen. Nachdem viele 
durch die türkifchen Damascener umgelommen waren, wurden die 
übrigen nach heftigem Kampfe dahin zurüdgetrieben, woher fie gefoms 
me waren. Sie fanden eine Zuflucht in der Feſtung. Doc, gelang 
es ihrem heidenmüthigen Führer, der ſich zu ergeben verſchmaͤht hatte, 
fidy einen Weg durch den Feind zu bahnen und ſich auf eined der im 
Hafen befindlichen Schiffe zu werfen. Hierher folgte ihm eilends eine 


144 Giehentes Kapitel. 


ſolche Menge, daß dad Schiff zu finfen broßte und an ferneren Wiber- 

ftand nicht. zu denken war. Deßhalb überlieferte er fein Schwert, Tieß 

ſich gefangen nehmen und wurde im. Triumphe in. dad Zelt des türfifchen 
Befechlshabers geführt. 

Noch den nämlichen Tag übergab fich ber Weberreft der Beſatzung, 
weil er feinen Sturm mehr aushalten fonnte, auf Gnade und Ungnabe. 
Biali hatte jept den Zweck der Erpedition erreicht; daher fchiffte er ſich, 
nachdem er die mauriichen Autoritäten wieder in den Plap eingefebt 
hatte, mit feiner ganzen Armee nad) Konftantinopel ein. Die Nach⸗ 
richt ded Siege war ihm vorausgerilt, weßhalb, ald er den Bos⸗ 
porus ftolz hinauffegelte, ihn Geſchuͤtzdonner vom Seraglio und von 
den Anhoͤhen rings um die Hauptftadt begrüßte. Woran fuhren in 
fchöner Ordnung die tuͤrkiſchen Galeeren; hinter ihnen drein ſchleppten 
fie ſchimpflich die den Ehriften abgenominenen Banner durchs Waffer. 
Dann folgten ihre Brifen, die fiebzehn im Kampfe genommenen Schiffe, 
deren durchlöchertes Ausichen zu dein Ausſehen der Echiffe der Eieger 
einen auffallenden Gegenſatz bildete. Aber die allergrößte Priſe 
waren die Gefangenen, bie fich beinahe auf vier taufenb beliefen. 
Ihnen waren, gleich eben jo vielen Berbrechern, Die Hände gefeſſelt. 
Nachdem man fie ſchnell ans Land gefegt hatte, trieb man fie unter den 
Freuderufen und dem Hohngeichrei des Poͤbels durch die Etraßen von 
Konftantinopel auf den Sflavenmarft. Nur einige wenige Vornehmere 
wurben um des erwarteten Löjegeldes willen zurücdbehalten. Unter 
diefen waren Don Alvaro de Sande und cin Sohn des Medina Eeli. 
Der Letztere ftarb fchon bald in der Gefangenſchaft. Don Alvaro da- 
gegen erlangte feine Freiheit wieder und lebte lange genug, um für 
alles Erlittene an ten Siegern vollftändige Rache zu nehmen. 

Das war das Ente der unheilvoflen Erpevition gegen Tripolis. 
Sie ließ an ten fpantichen Waffen eine fo große Scharte zuruͤck, daß 
felbige fogar durch dad tapfere Benehmen der Befagung zu Gelves 
nicht völlig ausgewegt wurde. Während die Mauren über die Riebers 
lage ihrer Feinde jehr aufgebläht waren, wurden die Spanier mit einem 
verhältnigmäßigen Grade von Muthlofigfeit erfüllt, zumal wenn fie 
daran dachten , wie beträchtlich nun ihre Küfte und ihr Handel den 
räuberifchen Angriffen der Korſaren ausgelegt fein würden. Beſonders 


Das oitemannilge Weich. 185 


war Phitipp ſeht um die Sicherheit feiner Befigungen an der afrikani⸗ 
ſchen Füße beforgt. Die vornehmſten unter dieſen Beſitzungen waren 
Dran und Mazarquivir, Heine nicht weit entfernt weitlich von Algier 
gelegen. Sie waren die Eroberungen des Kardinals Zimened. Der 
eıiere Platz wurde auf einer vom Kardinal ſelbſt qusgeruͤſteten Expe⸗ 
‚dition genommen. Die Unternehmungen dieſes merfwürbigen Mannes 
geſchahen ‚auf einem fo großartigen -Zuße, daß fie weit eher ben Ein- 
fünften eines Kürften angemefien zu fein feheinen könnten. Bon den 
beiden Plaͤtzen war zwar Dran her bedeutendere , doch war es faum 
‚wichtiger ald Oran, weil diefed — was ander Barbareifüfte felten 
war — einen ausgezeichneten Hafen befaß. Bon ber caftilifchen Re 
gierung waren beide mit Sorgfalt gepflegt worden. Kein ſpaniſcher 
Monarch aber begriff beſſer als Philipp die Wichtigfeit diefer Bes 
fitungen, welche nicht nur wegen des bequemen Hafens von Nupen 
waren, fondern ihm auch die Mittel an die Hand boten, die Kühns 
‚heit der afrifanifchen Kreuzer im Zaume zu halten. 

Im Jahre 1562 ließ der König in dem Hafen von Malaga ein 
Geſchwader son vier und zwanzig Galeeren unter dem Oberbefehl des 
Don Iuan de Mendoza ausräften, damit es den afrifanifchen Kolonien 
Voerſtärkung zuführe. Allein die Schiffe wurben bei ihrer Ueberfahrt 
über das mittelländifche Meer von einem jo ftarfen Sturine heimge⸗ 
ſucht, daß fie in dem feinen Hafen Herradura eine Zuflucht juchen 
mußten. Indeß nahm die Heftigfeit des Sturmed immer mehr zu. 
Die vor Anker liegenden Schiffe ftießen mit jolcher Gewalt gegen 
inander , daß viele von ihnen untergingen, während andere fich von 
den Tauen losrifien und an die Küfte, die fich weit und breit mit graus 
gen Trümmern bededte, gefchleudert wurden. Bloß zwei oder brei 
wurden glüdlicdy gerettet, weil fie hinaus in die See fuhren und dort 
dem Orkane Trop boten. Bei diefem fchredlichen Schiffbruche wurden, 
den Befehlshaber mit eingerechnet, vier taujend Mann von den Wogen 
serichlungen. Die füdlichen Provinzen wuren über dieſes neue -Uns 
gluͤck, welches fo kurz nach der Niederlage bei Gelves hereinbrach, 
mit Niedergefchlagenheit erfüllt. Es ſchien, als ob in ihren Kriegen 
mit den Mufelmännern der Arm Gottes gegen fie erhoben wäre. 

Indem die Mauren der Barbarei, durch dieſe Berlufte der fpanifchen 

Mrescott, Geſch. Philipp'e I. IL. 10 





146 Siebentes Kapitel. 


Marine Muth befamen,, hielten fie dafür, daß das ein gimfliger Zeit⸗ 
punft fei, um ihre alten Beflgungen an ber Küfte wieder zu gewinnen. 
Haffem, der Dey von Algier, war befonders ein friegerifcher Kürft, der 
fhon mehr als ein erfolgreiches Treffen mit den Ehriften beftanden 
hatte Derfelbe rüftete jest eine Erpedition gegen die Gebiete Oran 
und Mazarquivir aus. Die Regierung diefer Pläge war damals Don 
Alonzo de Cordova, dem Grafen von Alcaudete, anvertraut. Gr war 
in diefem Poften feinem Bater, einem tapfern Krieger, nachgefolgt, 
welcher vor fünf Jahren von dem nämlichen Haflem, Herm von Al- 
gier, in einer Schlacht getödtet worden war. Achttauſend Epanier 
waren mit ihm entweder auf dem Felde geblieben, oder zu Kriegöge- 
fangenen gemacht worden”). Solchergefalt waren die traurigen 
Aufpicien in den Kriegen mit den Moslems, womit die Regierung 
Philipp's begann **), 

In Oran lag damals eine Befagung von fiebenhundert Mann ; 
auf feinen Mauern waren fiebenundzwanzig Gefchügftüde aufgepflanzt. 
Seine Befeftigungen waren zwar in gutem Zuftande, aber ed war 
nicht in der Lage, gegen eine fo fürchterliche Macht, wie Haffem in 
Algier auf die Beine brachte, auszuhalten. Der Gouverneur, Graf 
Alcaudete, ein feiner berühmten Abfunft würdiger Krieger, fette fogleich 
fowohl Oran wie Mazarquivir in den beften Vertheidigungszuftand und 
machte Philipp mit der ihm drohenden Gefahr befannt. 


*) Die Einzelheiten der Schlaht wurden dem Künige von Don Alonzo in einem 
Briefe vom 5. September 1858 mitgetheilt. Es fcheint, daß fein Vater fiel, ale er 
ben Berfuch machte, feinen jüngeren Sohn aus den Händen der Feinde zu befreien. 
Der Bater farb, aber der Sohn war gerettet. Es war das der nämlide Don Mar: 
tin de Cordova, weldyer, wie unier Tert mittheilt, fpäter Mazarquivir fo tapfer ges 
gen Haflem vertheidigte. 

”*) Nach Cabrera beſchleunigie die Nachricht dieſes traurigen Unfalles ten Tod 
Karl's des Fünften. Allein ein Brief des Faiferlihen Sefretärs Gaztelu meldet ung, 
daß man Sorge bafürtrug, dieBotfchaft dem fterbenden Herrn nicht zu Ohren fommen 
zu laflen. ‚‚La möerte del conde de Alcaudete y su desbarato se entendi6 aqui por 
carta de Don Alonso su hijo que despachö un correo desde Toledo con la nueva 
y por ser tan ruyn yestar S. Magd. en tal disposicion no se le dixo, y se tendra 
cuydado de que tampoco la sepa hasta que plazca à Dios esté libre; porque no se 
yu ei hay ninguno en cuyo tiempo haya sucedido tan gran desgracia como esta.“‘ 


Das ottomannifche Reich. 147 


Mittlerweile ging ed mit den Rüftungen des Befehlähaberd von 
Algier lebhaft vorwärte. Außer feinen eigenen Bafallen forderte er 
die winzigen Fürften des benachbarten Landes zur Hüffeleiftung auf, 
fodaß er binnen Kurzem ein aus Mauren, Arabern und Türfen bunts 
gemifchtes Heer, welches fich zufolge der verfchiedenen fpanifchen Abs 
ſchätzungen auf funfzig bis bunderttauiend Mann belief, zuſammen⸗ 
brachte. 

Auf die Zahlangaben ter Spanier in ihren Kriegen mit den Uns 
gläubigen läßt fi wenig: bauen. Die fraffe Ucbertreibung der Anzahl 
der vom Beinde in’d Feld geftellten Truppen und der Zahl der Todten, 
welche er ficher dort laflen mußte, neben der entfprechenden zu geringen 
Angabe ihrer eigenen Truppen in beider Hinfiht, fünnte zur Ber- 
muthung führen, daß fie in diefen Religiondfriegen ein Wunder für 
nothwendig hielten, um zu zeigen, Laß fie den Himmel auf ihrer Eeite 
hatten. Je größer das Wunder, deito größer der Ruhm. Dieſer über: 
treibende, den alten Spaniern charakieriſtiſche Ton, der zu ihnen vom 
Dften gebracht worten fein fol, ift befonders erfichtlic, in den Erzäh- 
lungen ihrer Kämpfe mit den Ipanijchen Arabern, wo auf beiden Seiten 
große Maflen in's Feld geführt wurden, und wo in der That die 
Schlachtberichte die Farbe eines arabifchen Märchen® trugen. Diefelbe 
übertreibende Särbung dauerte, wenn auch etwas vermindert, bis zu 
einer fpäteren SBeriode fort und kann noch in den Berichten der Kämpfe 
mit den Moslems, fei ed nun mit Türken oder Mauren, im fechözehn- 
ten Jahrhunterte wahrgenommen werben. 

Am funfzehnten März 1563 verließ Haflem an der Spige feined 
etwas buntjchedigen Heeres Algier. Das ſchwere Belagerungsgefhüg 
fandte er zu Wafler herum nach dem Hafen von Mazarquivir, wo er 
ed erwarten wollte. Er beſchloß, diefen ‘Plaß zuerft zu belagern, ins 
den derfelbe, während er für die Flotte einen paſſenden Hafen darbot, 
auch |päter durch feine die Umgebung beherrfchende Lage die Eroberung 
von Dran erleichtern mußte. Nachdem er daher eine ftarfe Belage— 
rungsarmee vor ter legteren Stadt zurüdgelaffen hatte, fegte er feinen 
Marſch gegen Mazarquivir, das bloß zwei Sıunden entfernt lag, fort. 
Die Vertheidigung diefed Platzes war von Alcaubete feinem Bruder 
Don Martin de Cordova Übertragen worden. Die bafigen Vertheiti- 

10* 





148 Siebentes Kapitel. 


gungswerke waren in gutem Stande und beinahe mit dreißig Artillerie⸗ 
ftüden verfehen. Die Befagung, welche Binlängtichen Schießbedarf und 
auch auf zwei Monate Lebensmittel harte, befand aus fünfhundert Wann. 
Aud war der Plat durch ein detachirted Fort, Namens St. Michael, 
gedeckt, welches nom Grafen von Aleaudete erbaut war und jept wer 
gen feiner beherrfchenden Lage ven erſten Angriff auf ſich lenkte. In 
demjelben lagen einige hundert Spanier. Sie hatten, weil fehr viel 
darauf anfam, bis zur Ankunft ter Hülfe aus Spanien Zeit zu gewinnen, 
ben Befehl erhalten, es auf's Aeußerſte zu vertheidigen. 

Haffem ließ fogleich Verfchanzungen aufwerfen. Indem er je 
doch über dad Ausbleiben der durch das ſchlechte Wetter aufgehaltenen 
Flotte ungeduldig wurde, befchloß er, nicht auf die Artillerie zu war⸗ 
ten, fondern dad Fort mit Sturmleitern zu nehmen. Aber obichen 
diefer Verfudy muthig begann, wurde er do fo entidhieden zus 
tücgefchlagen, daß Hafleın weitere Operationen bid zur Anfımft 
feiner Schiffe auffhob. Sobald diefe anlangten, landete er fein 
ſchweres Geſchütz, pflanzte es fo Schnell ald möglich auf und eröffnete 
auf die Feſtungsmauern eine lebhafte Kanonare. Die Mauern waren 
nicht befonders ftart. Schon bald war eine Brejche geöffnet. Da gab 
Haſſem Befehl zum Sturmlaufen. 

Kaum war das Signal gegeben, als auch die verichiedenen Ra⸗ 
gen, in deren Adern das heiße Blut des Südens wallte, der Maure, 
Türfe und Araber, ungeftüm fortftürzten. Umfonft wurden die leiten⸗ 
ben Kolonnen, fowie fie anfamen, von der Artillerie der Feſtung weg⸗ 
gefegt, "während die Kanonen von Mazarguisir eine gleiche Verheerung 
auf ihrer Flanke anrihteten. Die Sturmfluth drang mit einem En- 
thuſtasmus, der jedes Hinderniß überwand, vorwärts. Gin jeber 
Dann fchien mit feinem Kameraden zu wettelfern, gleich als ob er die 
Ueberlegenheit feines Stammes oder feiner Race zeigen wollte. Der 
mit beim Gebrödel der Mauern und mit hintingeworfenen Faſchinen 
ausgefüllte Feſtungsgraben war bafd überfliegen. Während alsdann 
fih Einige furchtlos in die Brefche warfen, verfuchten Andere die 
Mauern zu erflimmen. Aber überall ſtießen fie auf Maͤnner, vie fo 
fampfluftig und unerfchroden wie fie felbf waren. Die Schlacht tobte 
längs des Parapets und in der Breſche. Am legteren Orte war ber 


Dat ottomenniſche Mech. | 149 


Kampf am töbrlichften. Es war bie alte, fo oft gefchlagene Schlacht 
zwiſchen dem Halbwond und bem Kreuz, dem feurigen Afrifaner und 
bem falten, unbezähmbaren Guropäer. Dis Büchfe und Lanze , ber 
Saͤbel und Damaszener blitzten fürdkerlich gegeneinander, während 
über dem Getöfe dad Kriegsgeſchrei, Allah“ und „St. Jago,“ das 
den Glauben und das Land ber Kämpfenden anzeigte, aufftieg. 
Einmal jchien ed, als ob der Enthukasmus der Moslems die 
Oberhand gewinnen wollte: benn zweimal mar bie Standarte bed 
Haldınomdes auf die Mauern gepflanzt. Aber eilends wurde fie von 
ber Garniſon herabgeriffen und die fühnen Wagehälfe, welche fie auf 
gepflanzt hatten, Hals über Kopf hinab in den Waflergraben geftürzt. 
| Unterdeſſen wurde unaufhoͤrlich von ven Wällen aus ein Klein« 
gewehrfeuer unterhalten, und Handgranaten untermifcht mit Fäffern 
brennenten Peches fauften hinab auf die Köpfe der Angreifenden. Die 
Berwirrung ber Iepteren nahm noch zu durch die Alles in Rebel huͤl⸗ 
(enden Dampfwolten,, weldye von den Faſchinen im Graben , bie in 
Heuer gerathen waren, aufftiegen. Aber ſowie die Stürmenden läfliger 
wurden, ermutbigte fie Haſſem durch die Abfendung frifcher Abtheis 
lungen, fodaß ſich der Kampf ſtets mit verboppelter Wuth erneuerte. 
Jedoch bewieſen fich alle diefe Anfirengungen gleich unwirffam. Die 
Mauren wurden auf allen Bunften zurüdgetrieben, und zogen ſich, in⸗ 
dem fie dem unbezwinglichen Muthe der Spanier wichen, in folder 
Unortnung über den nun mit den Reichen der Getödteten angefüllten 
Graben zuräd, daß ihnen die Befapung, wenn fie ftarf genug geweien 
wäre, hätte in die Schanzen nachfolgen und dort einen die ganze Bes 
lagerung auf einmal entſcheidenden Schlag verſetzen können. Eowie 
die Sache ftand, war der Berluft des Feindes fchredlich, während ders 
fenige der Spanier, die durch die Bertheipigungewerfe geichirmt wor⸗ 
ben waren, verhältnigmäßig geriag war. Doch der Feind war fo 
zahlreich, daß er den Verluft von hundert Leben weniger fühlte, als 
die Delagerten die Einbuße eines einzigen. Es wird und erzählt, daß 
die Garniſon funfzig in der Brefche oder im Graden gefallenen Türken 
die Köpfe abfchnitt und viefelben als vie fchredlichen Trophäen ihres 
Sieges nad) Dran fihidte: was den bittern Haß, vielleicht aber auch) 
bie Furcht zeigte, womit die Türken von den Chriften betrachtet wurden. 


150 Siebentes Kapitel. 


Der über feinen Berluft erbitterte maurifche Anführer eröffnete 
nun dad Feuer auf die Feſtung mit größerer Wuth, als je zuvor. 
Darauf erneuerte er den Sturm, aber mit ebenfowenig Erfolg. Vers 
gebens kehrte er ein drittes und ein viertes Mal zum Angriff zurüd. 
Auch riß Huaffem vergebens feinen Turban ab und trieb, unter Klüchen 
und indem er dad Schwert ſchwang, feine Leute vor in's Gefecht. 
Der Muth fehlte feinen Soltaten nicht, denn fie vergoffen ihr Blut 
wie Wafler. Allein er vermochte nicht die Standhaftigfeit der Spanier 
zu erfchüttern , deren Feftigfeit in eben vem Maße zu wachen fchien, 
in welchem ihre Lage verzweifelt wurde. Diefelben warfen fi, wenn 
vor ihnen die Vertheidigungswerke eingerifien worden waren, auf die 
Kniee und fandten noch hinter den Ruinen hervor den Hagel ihres 
Gewehrfeuers auf die Stürmenden hinab. 

Freilich hätten fie ihren Boden nicht fo lange behaupten Fönnen, 
hätten fie nicht eine fehr zeitgemäße Verftärfung von Mazargnivir ers 
halten. ber wie greß auch immer ihr Muth fein mochte, ift doch 
ftetd der Ausdauer eine Graͤnze geftedt. Die Kraft der Garnifon 
nahm ab durch bie unaufhörlichen Wachen und den Mangel an 
Nahrung. Berner waren ihre von den feindlichen Kugeln völlig durchs 
löcherten Befeftigungen nicht länger zu Balten, und eine von Haſſem 
jegt unter den Wällen angelegte Mine mupte dad Werk der Zerftös 
rung vollenden. Die Belagerten hatten den Befehlen gehorcht und 
bis zulegt tapfer Stand gehalten, jegt erhielten fie die Erlaubniß, das 
Hort zu verlaffen. Nachtem die Garniſon alſo acht Stürme und eine 
dreimöchentliche Belagerung von einem ihr an Zahl fo überlegenen 
Feinde ausgehalten hatte, marfchirte fie am ficbenten Mai aus dem 
Hort St. Michael heraus. Unter vem Schuge der Kanonen von Ma: 
zarquivir gelang es ihr, fi, ohne großen Verluft gu erleiden, mit 
ihren Kameraden zu vereinigen. Bon ihrem Befehlshaber Don Martin 
de Cordora, der ihre tapfere Haltung gebührend ehrte, wurde ſie freus 
dig bewillfommnet. Noch denjelben Tag jegte fi Haſſem in ven 
Befig ter Feſtung. Er fand bloß einen Haufen Ruinen. 

Angeftuchelt von Wuth, dag er feinen Sieg fo theuer erkauft 
hatte, und überdies bemüht, zum Ziel zu fommen, ehe die Qülfe aus 
Spanien anlangte, fchritt jegt der maurifche Fürft mit der Belagerung 


Das ottomanniſche Rei. 151 


von Mazarquivir eifrig vorwärts. Mit Hülfe feines Seegeſchwaders 
ſchloß er den Play eng zu Land und zu Waffer ein. Dem Schlofle ges 
genüber waren Batterien ſchweren Geſchuͤtzes errichtet und-zehn Tage 
lang donnerten biefelben ‚ohne Unterbrechung gegen die auserfehenen 
Mauern. Als diefe fo ſehr erfchüttert waren, daß fie den Belagerern 
eine Deffnung darboten, fandte Haſſem, um nicht mehr Leute zu 
opfern, an Don Martin die Aufforderung, er folle ſich ergeben, weil 
ja ohnehin die Werke in au fchlechtem Zuſtande wären, als daß fie 
länger vertheidigt werden fünnten. Hierauf erwiderte der Spanier. 
troden, daß, „wenn fich diefelben wirflich in einem ſolchen Zuſtande 
befänden, Haſſem fommen und fie nehmen möge.” 

Auf das von ihrem Anführer gegebene Zeichen drangen bie 
Mauren rafch zum Angreifen vor. Bald ftanden fie im Angeſichte 
ihrer Feinde. In der Brefche und auf den Wällen entfpann fich ein 
blutiger Kampf, der über fünf Stunden anhielt. Die Angreifenden 
fanden, daß fie Männer von ihrem eigenen Guſſe vor fich hatten, und 
daß die Bertheidigungen noch ftärfer, als diejenigen des Forts St. 
Michael waren. Hier zeigte fich wiederum, daß der afrifanifche Unger 
flüm dem falten, gefegten Muthe der Europäer nicht gewachfen war. 
3a, Hafiem’s auf jedem Punkte zurüdgefchlagenes Heer war bei dem 
Rüdzuge in die Schanzen fo übel zugerichtet, daß es mehrere Tage 
lang nicht im Stande war, den Sturm zu erneuern*). 

E83 würde langweilig fein, wollten wir die Operationen einer 
Belagerung, welche derjenigen des Forts Et. Michael fo ſehr in ihren 
Einzelheiten gleicht, herzählen. Die hervorragenpfte Beftalt des blu, 
tigen Ecyaufpield® war Don Martin de Cordova, der Befehlshaber 
der Garnilon. Indem derſelbe fich reichlich den Muͤhſalen und Ges 
führen jeiner geringften Untergebenen ausfegte, gelang es ihm, ihnen 
feinen eigenen unbezwinglichen Muth in die Bruft zu pflanzen. Am 
Vorabente eines Sturmes konnte man fehen, wie er mit einen Kru⸗ 
zifir in der Hand durch ihre Reihen fchritt, indem er feine Leute bei 


*) Zufolge Eabrera fielen bei dieſer Gelegenheit zweitaufend Ungläubige, von 
den Ghriflen aber bioß zehn: ein Verhaͤltniß, das ein chriftlicher Geſchichtoſchreiber 
ohne Bedenken zugeben konnte. Ex uno etc. 


— — —— — — — 


15% Giebentes Rapid, 


dem gedenebeleten Zeichen ihren Etloͤſumg ihre Pflicht zu tchun beſchwor 
und fie des Beiſtandes des Himmels verſicherte. Deßhalb entbrannte 
jeber Soldat von dem: Enthuflasmus feines Fuͤhrers, beiwachtere ſich 
als einen Kämpfer des Kreuzes und fühlte fi verſichert, daß der Echitv 
bes Alfmächtigen über diejenigen, welche alje die Schlachten des Glau⸗ 
bins fchlugen, audgebreitet fein mäßte, Selbſt die Frauen. entbrannten 
von einer Ähnlichen Kampfluſt; anftatt ſich auf bie ihrem Geſchlechte 
zukommende Wartung. der Kranken und Verwundeten zu beſchraͤnken, 
nahmen fie thaͤtigen Antheil an den Verrichtungen der Soldaren und 
halfen dieſen ihre Muͤhſale erleichtern. 

Da jedoch die Kräfte abnahmen und die Veriheidigungswerke 
ringsum durch das unaufhörliche Fener der Belagerer aufgelodert 
wurden, ward bie Lage der Garnifon mit jedem Tage bedenklicher. 
Bergebens fuchte fie der Graf von Alcaubete zu entfegen , oder wenig» 
fens eine Diverfion zu ihren Gunſten zu bewirken. Indem er aus 
Dran herausbrach, hatte er mehr als em: ſcharfes Treffen mit dem 
Feinde. Allein das Verhältmiß war zu ungleich, und, wenngleich er 
Berderben in die mosfemitifchen Reihen brachte, fo brachten ihm ſelbft 
doch derartige Ausfälle zu viel Verluft an Menſchenleben. Zugleich 
wurden die beiten Garniſonen' von einen inneren Feinde, der unerbit® 
licher al& derjenige vor den Thoren war, angefallen. Die Hungers⸗ 
noth fing an, ſich in ihrer gehäffigften Geftalt zu zeigen. Schon fab 
man fi genöthigt, Pferdes und Ejelsfleifch zu verzehren, und felbft 
diefe Nahrung fehrumpfte fo Fümmerlich zufammen, daß man nur allzu 
deutlich vorausfehen konnte, daß auch biefer elende Unterhalt ihnen 
bald abgehen würde; Unter dieien Umftänden würden fe den Much 
verloren haben, hätte fie nicht die Hoffnung auf Hülfe von Spanien 
aufrecht: erhalten. Daher fandten fie manchen fpähenden Blick über 
das mittelländifche Meer und fitengten ihre Augen bis zu dem ent⸗ 
fernteften Rande des Horizontes an, um zu fehen, ob fie nicht auf ten 
Gewaͤffern freundliche Segel entdecken könnten. 

Aber Philipp war ihrer nicht uneingedenf. Abgelehen von ber. 
Wichtigkeit der belagerten Plaͤtze, ſah er es auch als einen Ehrenpunft 
an, biefe tapferen Lente, welche nicht allein die Sache Caſtiliens, fons 
bern diejenige der Ehriftenheit verfochten, zu ſchützen. Kaum war er 


Das ottomauniſche Reich. 188: 


durch Meaudete von dev drohrnden Befahr benachrichtigt worben, «lb 
er auch ſchon ven Befehl ertheilte duß eine Entſetzungoflotto audgen 
rüfter werben ſollte. Aber bei dent geſchwächten Zuſtande ber Maeine 
wurden dergleichen Befehle leichter gegeben, als ausgeführt. Doch 
ſtrengte man ſich an, um eine Armada aufzubringen und fle in ber 
‚möglich ürzeften Zeit auszuruͤſten. Setbft diejenigen Schiffe, welche 
zum Transport der indifhen Gallionen verwandt wurden, mußten 
mit in den Dienft eintreten. “Die jumgen Kavaliere gefeiten fich eifrig ale: 
Freiwillige einer Exrpebitien bei, welche ihnen Gelegenheit bot, bie den 
ſpaniſchen Waffen angethanen Beleidigungen: zu rächen. Die übrigen, 
am das Mittelmeer anyränzenden Staaten, welche ja bei der Sache 
faft ein ebenfo großes Intereffe, wie Spamien ſelbſt, auf dem Spiebe 
hatten, ſtellten pünftlich ihre Kontingente. Hierzu kamen noch, vote 
gewöhnlich, die Galceren der Maltäeferritter, weiche letztere ja: immer 
voran flanden, ıwenn es galt, die Bahnen im einem Kriege mit den Uns 
gläubigen zu entfalten. So fammelte fich binwen nicht ganz zwei Mo⸗ 
nnaten im Safen von Malaga eine Armada von zweiundvierzig großen 
Sateeren, die kleineren Bahrzeuge nicht mit eingeredjner. Sie war 
weohlbemannt und binlänglicd mit Proviant und Scyießverrath vers 
fehen. Ihr Befehlshaber war Don Antonio de Mendoza. Derfelbe 
lichtete am fechften Juni die Anfer und fteuerte in gerader Richtung 
auf die Barbareiküfte 108. 

Kurz nad) Tages anbruch am Morgen des achten Juni enideckte 
bie Schildwache auf den Wällen von Mazargwivir die Flotte alt einen 
bunflen Flecken auf den fernen Gewäflern. Wie fie näher ruͤckte und 
bie aufgehende Sonne auf tie caftilifche Flagge ihren Blick warf, zeigte 
es fi, daß die fang verſprochene Hülfe nahe zur Hand war. Als 
dann überließ ſich die erfchöpfte und beinahe am Abgrunde der Bew 
zweiflung ſtehende Garniſon einer raienden Freude. Gleich Leuten, wie 
von einem fchrediichen Geſchick befreit fin, umarmten fie ſich und 
brachten mit gehobener Brut dem Allmaͤchtigen für ihre Retrung Dank⸗ 
gebete dar. Bald verfündete der Kanonendonner von Mazarquivir bie 
frohe Rachricht der Befagung von Oran, welde ihrerfeitä von ihren 
Brufiwehren aus den Donner erwiederte und dadurch in die Herzen der 
Belagerer den Echreden trug. Wenn Haflem eva noch einigen Zweifel 





154 Siebentes Kapitel. 


über die Urfache diefer Freude hegte, fo mußte ihm derjelbe bald durch 
mehrere maurifche Schiffe benommen werben; denn diefe, die vor dem 
Feinde furchtſam berflatterten, wie Fleinere Vögel vor dem Adler, 
brachten die Rachricht mit, daß eine fpanifche Flotte mit vollen Segeln 
gegen Mazarquivir heranrüde. 

Da durfte feine Zeit verloren gehen. Er beorderte feine im Hafen 
liegenden Schiffe ihre Taue aufzuminden und fo fchleunig als möglich 
nach Algier zu fegeln. Dann wurde auf der Stelle der Befehl zur 
Aufhebung der Belagerung gegeben. Alles wurde im Stiche gelafien. 
Was dem Feinde von Rupen fein fonnte, ward vernichtet. Haſſem 
ließ feine Kanonen überladen und zerfprengen. Er entledigte ſich eines 
jeden Dinged, das feine Bewegungen hindern fonnte, und begann 
ohne Weitered den Rüdzug. 

Sobald ald Alcaudete die belagernde Armee auf ihrem Marche 
. Über die Berge ſah, brady er an der Spige feiner Reiterei heraus, um 
fie auf dein Rüdzuge zu beläftigen. Zu ihm ftieß gleich darauf fein 
Bruder aus Mazarquivir mit denen, welche von der Garniſon noch 
Dienft verrichten fonnten. Aber der Feind war ihnen zu weit voraus, 
Als die Spanier auf die Arrière⸗Garde trafen, fanden fie diefelbe aus 
lauter Janitſcharen zufammengefegt. Dieſes tapfere Korps, dus 
feine gewoͤhnliche Disciplin bewahrte, ſchwenkte fich und zeigte gegen 
die Angreifer eine jo entichloffene Haltung, daß Alcaudete die ſchon 
errungenen Bortheile nicht auf's Spiel fegen wollte, fondern feine 
Leute zurüdgog und dem Beinde einen freien Durchmarſch erlaubte. 
Rum mifchten fih die Soldaten der beiden Garniſonen untereinander, 
beglüdwünfchten fich wegen ihrer glüdlichen Befreiung und erzählten 
einander ihre Thaten und die ausgefandenen Gefahren und Entbch- 
rungen. Unterdeffen umarınte Alcaudete feinen Bruder. und fonnte 
fich, als er ihm auf. das blaffe, abgemagerte Antlitz blickte, wo die 
Geſchichte feiner Leiden zu lefen war, kaum der Thränen enthalten. 

Die Nachricht von dem Zurüdtreiben der Moslems wurde in 
ganz Spanien mit unbegrängter Sreude aufgenommen; denn man hatte 
für die braven Männer, welche an den Außenpoften ded Reiches ſtan⸗ 
den und ihrem eigenen Geſchick überlaflen zu fein fchienen, die größte 
Sympathie empfunten. Der König. theilte dieſes öffentliche Gefühl. 


Das ottomannifche Reich. 155 


und bewies feine Erfenntlichfeit durch die Ehren und Belohnungen, 
welche er dem Alcaudete und feinen Soldaten verlieh. Außer der Bes 
willigung eines jährlichen Einfommens erhielt Alcaudete die Würde 
eines Vicefönigd von Navarra. Sein Bruder Don Martin de Cor⸗ 
dova empfing die encomienda von Hornachos nebft der Summe von 
fechetaufend Dufaten. Die Offiziere niedrigeren Ranges befamen 
eine ihren Dienften angemefiene Belohnung. Selbft die gemeinen 
Soldaten gingen nicht leer aus, denn die Regierung febte mit einer 
klugen Sreigebigfeit den Weibern und Kindern der bei der Belagerung 
Gefallenen Benfionen aus. 

Philipp befchloß nun, jeinen Sieg zu verfolgen. Anftatt ſich auf 
der Defenfive zu halten, bereitete er fich vor, den Krieg in dad Land 
des Feindes zu tragen. Seine erfte Sorge jedoch wur, die Befeftiguns 
gen von Mazarquivir wiederherzuftellen, die bald ſich aus ihren Trüms 
mern zu größerer Etärfe und Dauerhaftigfeit als vorher erhoben. 
Aladann projeftirte er eine Expedition gegen Peñon de Velez de la 
©omera , einen weſtlich von feinen Beſitzungen an der Barbareifüfte 
gelegenen Platz. Derfelbe war eine Beftung auf einer Felſeninſel und 
galt fowohl wegen der Stärfe feiner Vertheidigungswerfe, wie wegen 
feiner natürlichen Lage für uneinnehmbar. Ein Korfar , deffen Name 
in diefen Gewaͤſſern lange gefürdytet gewefen war, war Meifter davon. 
Mit Hülfe der Alliirten brachte der König im Sommer 1564 cine 
mächtige Armada auf und fandte fie auf der Stelle gegen Beüon de 
Velez. Gegen alle Erwartung leiftete die Feſtung feinen großen Wis 
derftand; denn Schon, nachdem fte kaum. eine bloß einwoöchentliche Bes 
Lagerung auegehalten hatte, unterwarf fie ſich der überlegenen Tapfers 
feit — oder Zahl — der Chriften. 

Auf diefe Eroberung folgte im nächften Jahre eine Expedition 
unter Don Alvaro Bazan, dem erftien Marquis von Santa Cruz, 
deffen Rame in den Seeannalen Eaftiliend denfwürdig geworben iſt. 
Der Zweck diefer Erpedition war, den Fluß Tetuan in der Nähe der 
neulihen Eroberung abzufperren. Die Ufer dieſes Fluſſes waren 
lange der Zufluchtsort einer Horde verberblicher Räuber geweien, bie 
aus feiner Mündung herausſchwärmten, ſich über dae mittelländifche 
Meer verbreiteten und den Handel der Ehriften hart bedrängten. Don 





156 Eichente® Kapitel. 


Alvaro erreichte feinen Zweck angeſichts eine® verzweifelten Feindes 
Nachdem er ein fcharfed Treffer beftanden hatte, gelang es ihm, neum 
Yrigantinen vol Steine in die Mündung des Fluſſeo zu verienfen, 
worurd er Ihn für nie Schifffahrt völlig unbemupbar machte. 

Diefe glänzenden Erfolge verurfachten dur ganz Spanien und 
bie benachbarten Länder eine allgemeine Freude. Sie waren befonberd 
wichtig , weil fie auf den durch eine Reihe von Ereunfällen berabges 
ſtimmten Muth der Chriſten einen großen Einfluß ausübten. Indem 
die Spanier ſahen, daß das Glück wieder Ihr Banner begünſtigte, er⸗ 
hielten fie ihr altes Selbfivertrauen wieder. Run verloren ihre Schiffe, 
die ſich disher geipenfterheft unter dem Schatten der Küfte hingeſchli⸗ 
chen hatten, die Furcht vor ben Korfaren und fuhren wieder muthig 
hinaus auf das offene Meer. Die Modlems dagegen, als fle ihre 
Flotien gefchlagen und fich einen Play nach dem andern entriffen fahen, 
verloren das Sefbfigefühl und wagten wenigftend eine Zeit lang feine 
affive Unternehmung. 

Aber während auf diefe Weiſe die ſpaniſchen Waffen gluͤcklich 
bie Korfaren der Barbarei züchtigten, gelangten Gerüchte an, daß im 
Oſten die Rüflungen vor ſich gingen, melde noch fürdyterlicher als 
irgend welche an den afrifanischen Geftaden wären. Die Beſtimmung 
dieſer Rüftungen war nicht Spanien felbft, fondern Maltha. Doc 
war dieſe Fleine Inſel, das Bollwerk der Ehriftenheit, mit dem Geſchick 
Spaniens fo innig verwebt, daß eine Darftellung ihrer merfmürbigen 
Belagerung ſchwerlich als eine bloße Epiſode in der Geſchichte Phi⸗ 
lipp's des Zweiten betrachtet werben kann. 


— — — — — — 


achtes Kapitel. Die-Gofpitaleitier Et. Johannis. 457 


Achtes Kapitel. 
Die Hoſpitalritter St. Johannis. 


Sie find Herren von Rhodus. — Sie werden von Rhodus vertrieben. — Sie 
fegen fih auf Maltha feſt. — Sie werden von Soliman bedroht. — La Bas 
lette. — Seine Vertheidigungsanſtalten. 


1565. 


Der Urfprung ded Ordens der Maltheſerritter batirt von einer 
entfernten Zeit, dem erflen Kreuzzuge im elften Iahrhumderte. Da- 
mals bildete ſich in Paläftina ein religiöfer Berein unter dem Namen 
Hofpitatpfleger St. Johannis des Täuferd. Wie der Rame bekundet, 
war der Zweck diefed Vereins die Krankenpflege. Bon den armen 
Pilgrimen, welde aus allen Theilen Europa's nach dem gelobten 
Lande wanderten, wurten eine große Menge krank, fodaß der Verein 
vollauf zu thun hatte. Doch Halb ſchon weihete fich die Gefellichaft 
anderen Pflichten einer militärifchen Art, indem fie fich nicht bloß ber 
Krankenpflege, fondern auch der Bertheidigung des Pilgrims widmete. 
Reben den gewöhnlichen Moͤnchsgelübden verpflichtete ſich nun ber 
neue Verein, der den Ramen Hofpitalritter St. Johannis annahm, 
zur Vertheidigung des heiligen Grabes und zu fortwährendem Kriege 
gegen die Ungläubigen. 

In diefer neuen, dem Geiſte des Zeitalterd fo angemefjenen Ges 
Ralt fam das Inftitut in gute Aufnahme bei den fühnen Kreugfahrern, 
fodaß durch den Eintritt von Mitgliedern aus den verfchiedenen Theilen 
der Ehriftenheit die Macht und politische Bedeutung des Ordens fehr 
wuchſen. Bald wetteiferten bie Ritter mit der Bruterſchaft der Templer, 
und wurden, gleich diefem Vereine, eine ber Hauptftügen ded Thrones 
von Serufalem. Nach dem Falle diefed Königreiches und der Bers 
treibung ter Ehriften aus Paläflina verweilten die Ritter des heiligen 
Johannes eine furze Zeit auf Cypern, bis es ihnen gelang, den Türfen 
Rhodus abzunehmen und ſich auf diefe Weije einen dauernden Wohns 
fig zu verfchaffen. 


Nachdem die „Ritter von Rhodus,“ wie fie nun gewöhnlich hies 


158 Acdtes Kapiiel. 


ßen, ſich die unbeſtrittene Herrſchaft dieſer kleinen Inſel verſchafft 
hatten, befanden fie ſich auf einer neuen, unabhängigen Bühne, wo 
fie alle Mittel ihrer Inftitutionen entfalten und ihre ruhmreiche Bes 
ftimmung erreichen konnten. Indem fie an den Graͤnzen des ottomans 
nifchen Reiches mitten unter die DMufelmänner geworfen waren, fam 
ihr Schwert nie in die Scheide, Ihre Galeeren breiteten fich über die 
ganze Levante aus. Mochten fie nun für fi) allein ftchen,, oder mit 
den Benetianern , den einzigen Rivalen der Türfen in diefen DMeeren, 
verbunden fein: fo erfüllten fie ftetö treu ihr Gelübde eines unaufhör 
lichen Kampfes mit den lingläubigen. Jede Woche fah ihre fiegreichen 
Galeeren mit den dem Feinde abgenommenen reichen Priſen zurück⸗ 
fehren, und jedes Jahr traten neue Fürſten und Adelige aus jedem 
Theile der Ehriftenheit, die gern in einen fo berühmten Orden aufge- 
nommen fein wollten, in die Bruderfchaft ein. Viele fo Eintretende 
befaßen ausgedehnte Beligungen, welche bei der Aufnahıne zu denjeni- 
gen der ganzen Bruberfchaft gefchlagen wurden. Ihre über ganz Eu: 


ropa zerftreuten Ländereien übertrafen weit an Zahl diejenigen ihrer 


Rivalen, der Tempfer, in ihrer blühendften Epodhe*). Auch gingen 
bei der Unterbrüdumg des Ordens der Templer die großen Befigungen 
derfelben , welche nicht von den habgierigen Bürften, in beren Rande 
fie lagen, in Beichlag genommen wurden, auf die Hände der Ritter 
Et. Johannis über. Die Befehlshaberfchaften ter Johanniter, jene 
Flöfterlichen Einrichtungen, welche treu in ihrer Disciplin das väterliche 
Verhaͤltniß wiederfpiegelten, waren fo Elug verwaltet, daß jährlich von 
den Einkünften ein großer Ueberichuß zur Bereicherung des Ordens⸗ 
ſchatzes zurüdgelegt werben Eonnte. 

Die Regierung diejer ritterlichen Bruderihaft, wie fle in den 
ihre .gefchriebene Konftitution bildenden Statuten enthalten ift, war 
ihrer Art nad) ariftofratifh. An der Spike ftand der Großmeiſter. 
Er war, gleich dem Dogen von Venedig, auf Lebenszeit von dem ganzen 
Vereine erwählt und befaß faft mehr Macht, wie ein Doge, Die 


*) Boisgelin, geftüßt auf die Autorität des Matthäus Paris, fagt, daß im 
Jahre 1224 die Johanniter 19,000 Jurisdiftionen in verfchiedenen Theilen Gus 
ropa’8 hatten, während tie Tempelritter bloß 9000 beſaßen. 


Die Hofpitalritter &t. Johannis. 159 


geießgeberifchen und richterlichen Funktionen fanden zwar Räthen zu, 
in welchen der Großmeiſter bloß das Vorrecht einer doppelten Stimme 
beſaß; allein er befaß eine große Patronage, indem er ſowohl daheim 
wie im Ausdlande die Ernennung zu den wichtigften Aemtern ausübte, 
Die Mannichfaltigfeit und die hochklingenden Titel dieſer Aemter 
fönnen dem Lefer ein Lächeln abnöthigen, da ihm diefelben eher auf 
ein großes Reich, als auf eine fleine Moͤnchsbrüderſchaft hinzudeuten 
fcheinen fönnen. In der That lebte der Großmeifter auf einem Buße, 
wie ein großer Fürft. An die vorzüglichften europäifchen Höfe fchickte 
er Gejandte, und man erfannte ihm einen Rang zu, der demjenigen 
der gefrönten Potentaten zunächfi fam und den Rarig aller Herzöge 
übertraf. 

Er war im Stande, vermittelt der Reichthuͤmer, welche aus den 
fhen angeführten Hülfsquellen in den Schatz floſſen, diefe Stellung 
zu behaupten. Große Summen waren erfordert, um die Infel in den 
beften Bertheidigungszuftand zu fegen, öffentliche Bauten, Palaͤſte 
für den Großmeifter und reichliche Wohnungen für die verfchiedenen 
„Sprachen“ — ein technifcher Ausdrud, womit man die Einthei- 
lung der Mitglieder nach ihren bezüglichen Nationen bezeichnete, — 
zu errichten ; endlich brauchte man Geld zur Verfchönerung der Haupts 
ftadt, welche durch die Pracht ihrer Bauart ed mit den fchönften 
Erädten der Chriftenheit aufnehmen fonnte, 

Doch verfanfen die Ritter von Rhodus, , troß aller diefer Außeren 
Pracht und Herrlichkeit, nicht in den verweichlichenden Lurus, welcher 
den Templern Schuld gegeben wurde. Auch liegen fie fich nicht auf 
jene weltlichen , ehrgeizigen Entwürfe ein, welche die Eiferfucht der 
Fürflen erregten und dem folgen Orden der Tempelherrn Verderben 
brachten. Im Ueberfluß wie in der Armuth waren fie ſtets den Grund⸗ 
fägen ihrer Gründung treu. Ihre Oaleeren ‘breiteten fich noch über 
Die Levante aus und famen von ihren Karavanen, wie ihr Kreuzen 
gegen die Moslems hieß, feggefrönt zurüd. Noch fonnte man bei 
einer jeden, von ben chriſtlichen Mächten gegen die Feinde des Glau⸗ 
bend unternommenen Erpedition dad rothe Banner St. Johannis 
mit feinem achtfpigigen weißen Kreuze in der Schlacht voran ſchim— 
mern fehen. Es giebt fein zweites militaͤriſches Inſtitut, das die Re⸗ 





400 Achtes Kapitel. 


ligien in Auge hatte und unter jeber veränderten Rage fo viele Jahr⸗ 
hunderte hindurch Die Reinheit feiner Grundſaͤtze ſo unbeugſam aufrecht 
erhielt und fich fo gewiſſenhaft dem Zwecke, um deſſentwillen es ges 
ſchaffen war, widmete. 


Es war nicht zu erwarten, daß eine große Macht, wie die Tuͤrkei, 
geduidig dao Vorhandenſein eines winzigen Feindes an ihren Graͤnzen 
hinnehinen werde. Und wenn dieſer Feind auch feine fo große Bevoͤl⸗ 
ferung und fein fo ausgebehntes Neich wie Benedig briaß, machte ar 
ſich doch durch feine unaufbörlichen Nedereien und durch die Störung 
des türkischen Handeld noch läftiger. Deßhalb fuchten ſich mehrere 
Sultane von diefer Beläftigung zu befreien, und rüfteten, um die Hors 
nifien in Ihrem Neſte zu vernichten, Erpebitionen gegen die Intel aus. 
Aber ein jeder ihrer Verfuche fcheiterte an der Tapferkeit dieſer Fleinen 
Schaar dhriftlicher Ritter. Endlich führte Soliman der Zweite im 
Jahre 1522 in eigener Berfon eine Erpebition gegen Rhoͤdus an. 
Sechs Monate lang widerftanden dieſe tapferen Ritter, mit ihren 
genen guten Schwertern und ohne die Beihülfe einer «inzigen euros 
päifchen Macht, der ganzen Kriegomacht ded ottomannifchen Reiches. 
Als fie ſich aber am Ende zur Uebergabe genöthigt ſahen, geftattete 
ihnen Soliman fo chrenhafte Bedingungen, daß er hierdurch zeigte, 
wie fehr er felbft bei einem chriftlichen Feinde die Tapferkeit zu chren 
‚verftiand. Jetzt wiederum ohne Heimath, waren die Johanniter in die 
‚Welt hineingeworfen, Indem die europäljchen Fürften fich den An⸗ 
fchein gaben, als ob fie den Orden jetzt als erloſchen anfähen, Ichidten 
fie fi) an, alle Befigungen deſſelben innerhalb ihrer Gebiete einzus 
ziehen. Bon diefem Ruin wurde er jedoch durch die Bemühungen des 
Großmeifterd L'Jole Adam gerettet, der jegt in dieſer Kriſis ebenfoviel 
viplomatifche Gewandtheit bewies, als er zuvor Tapferfeit im Felde 
bewährt hatte. Während er die vorzuͤglichſten Höfe in eigener Perſon 
beſuchte, brachte er die Souveraine durch feine gefällige Gewandtheit 
wie durch feine Argumente nicht allein von ihrem-Borhaben ab, ſon⸗ 
dern verichaffte auch feinen unglüdlichen Brüdern eine wirkſame Hülfe. 
Der Bapft bot ihnen ein zeitweiliges Afyl in dem Slirchenftaate an, 
und der Kaifer Karl der Fünfte wurde bewogen, tem Orten die Infel 


Die Hofpitalritter St. Johannis. 161 


Maltha nebft Zubehörungen und der hierzu gehörigen ſaͤmmtlichen 
Jurisdiktion zu einem dauerhaften Wohnftg abzutreten. 

Maltha, welches von Karl’d Vorfahren zu Sizilien gefchlagen 
worden war, fam auf diefen Monarchen als ein Theil der Befigungen 
der Krone Aragonien. Indem er ed nun den Johannitern abtrat, 
forgte der ſchlaue Fürſt ganz ebenfo für feine eigenen Anterefien , wie 
für diejenigen bed Drdend. Er bezog von der felfigen Infel feine Eins 
fünfte; im Gegentheil lag ihm ihre Bertheidigung gegen die maurifchen 
Korfaren ob, welche häufig dafelbft landeten, dad Land vermüfteten 
und die unglüdlichen Einwohner mit fich fort in die Sklaverei fchleppten. 
Durch die Uebertragung der Infel auf den kriegerifchen Kreuzorden 
befreite er fich nicht nur von allen weiteren Ausgaben für die Infel, 
fondern verichaffte ſich auch ein bleibendes Bollwerk zum Säupe feiner 
eigenen Befigungen. 
| Es war weile von dem Kaifer, wenn er einmilligte, daß das es 
fchenf an feine anderen Bedingungen als bie jährliche Lieferung ‚eines 
Falkens, zum Zeichen feiner Lehnsoberhoheit, geknüpft fein follte. Auch 
wurde ftipulirt, daß der Orden feine Waffen gegen Sizilien tragen 
durfte. Diefe Stipulation war nicht fehr nöthig bei Menichen, welche 
durch ihr Gelübde verpflichtet waren, nicht gegen die Ehriftenheit, fons 
dern für diefelbe zu fechten. Im Dftober 1530 nahmen L'Isle Adam 
und feine tapferen Genoſſen von der Inſel Befis. Als ihre Augen 
über die felfige Fläche fchweiften, die mit dem vieljährigen Aufent- 
haltsorte, dem fchönen „Lande der Rofen,” einen fo traurigen Gegen⸗ 
faß bildete, fiel ihnen der Muth in ber Bruft*). Aber fchon binnen 
Kurzem blühte vor ihnen die Wildnig unter ihrer fleißigen ‘Pflege wie 
eine Rofe**). Mit großen Koften und in großen Duantitäten wurde 


— —— .— — — — 


) „Rhodus,“ vom griechiſchen dodor. Die Etymologiſten leiten den Namen 
von der großen Menge auf der Infel wildwachſender Roſen ab. Der Name Maliha 
(Melita) wird dem dafelbft in den Belfen gefundenen, ausgezeichnet feinen wilden 
Honig, Eis, zugefchrieben. 

**) (Ein neuerer Reifenter, welcher fowohl Rhodus als auch Maltha befucht 
bat, machte über den veränderten beiderfeitigen Zufland diefer Infeln die folgende 
Bemerkung: „Es wird uns berichtet, daß, al6 L'Isle Adam und feine tapferen Ges 
noſſen zuerfi an dieſer Küfte landeten, ihnen der Muth fiel wegen des Kontraftes, 


Brescott, Geſch. Bhilipps il. II 11 


162 Achtes Kapitel. 


von Sizilien Erbe herbeigefchafft. Man hieb in die fteifen Seiten des 
Felſens Terrafien ein, weldhe die Erde aufnehmen follten, und bald 
war der Boden, deſſen Triebfraft noch durch die heiße Sonne Maltha’s 
befchleunigt wurbe, mit der prächtigen Vegetation des Suͤdens befleidet. 
Doch wurde nicht das Getreide hervorgebracht, welches zur Konfums 
tion ‘auf der Infel erforderlich war. Daffelbe wurde deßhalb regel⸗ 
mäßig von Sizilien eingeführt. Es wurde in großen Grüften ober 
Höhlen aufgeipeichert, welche man in die Wellen gehauen hatte, 
und die, da fie hermetiſch verichloffen waren, ihren Inhalt Jahre lang 
unbefchädigt erhielten. Bald ftrogte die Infel auch von Feſtungs⸗ 
werfen, bie, verbunden mit den von ver Natur gefchaffenen Befeftiguns 
gen, bie Beſatzung in den Stand fetten, die Angriffe der Korfaren 
herauszufordern. Zu diefen Werfen fam bie Einrichtung von paflen» 
ben Gebäuden zur Wohnung des Ordens hinzu. Aber ed war lange 
nachher, und erft nadıdem das Land von der Belagerung, auf welche 
wir nun zu fprechen kommen, verwüftet worden war, daß bie Iniel 
mit den feften Gebäuden gefrönt wurde, welche felbft diejenigen von 
Rhodus übertrafen und Maltha zum Stolze des Mittelmeeres machten. 

Die jebige Lage der Ritter war nicht fehr von der früheren in der 
Levante verfchieden. Ste waren noch zwifchen den Ungläubigen ges 
lagert; die Wachtfeuer des Feindes fladerten ringsum. Ebenfo fegel- 
ten ihre Galeeren aus, um mit den Korfaren zu kampfen, und fehrten 
mit der Siegesbeute beladen zuruͤck. Noch war dad weiße Kreuz St. 
Johannis auf dem Poften der Gefahr zu fehen. Auf allen Expedi⸗ 
tionen Karl’8 des Fünften gegen die Mauren der Barbarei, feit der 
Belagerung von Tunis bis auf die Eroberung von Peñon de Belez, 
hatten fie einen hervorragenden Antheil genommen. Mit der Tapfers 


welchen bie bürre, öde Oberfläche zu ihrem eingebüßten Föftlichen Rhodus bildete, 
Ich neige mich dem Urtheil zu, daß jegt fi das Blättchen bezüglich der beiden Ins 
fein in vieler Beziehung gewendet hat. Sicherlich Tiefern fie ein fehr fehlagendes 
Kriterion zu den Refultaten türfifcher und chriſtlicher Botmäßigkeit.“ The Earl of 
Carliste’s Diary in Turkish and Greek Waters, Bofton, 1858; — ein nichts beans 
fpruchender Band, der auf jeder Seite Beugniß ablegt von der weifen und toleranten 
@efinnung, der vielfeitigen Gelehrſamkeit und dem Sinne für’ Schöne, welche dem 
edlen Berfafler fo Harakteriftifch find. 


Die Hoſpitciritier St. Johannis. 163 


feit des Kriegerö verbanden fie die Gefchidlichfeit des Seefuhrers. Go 
hatten fich an. jenem unheifoollen Tage, an welchem die chriſtliche Flotte 
vor Algier auseinandergejagt wurde, die maltheflichen Baleeren unter 
den wenigen, welche den Sturm auöhalten fonnten, befunden*). In 
Rurzem war der Rame ber Mattheierritter an den ſuͤdlichen Geſtaden des 
möittelländifchen Meeres ebenfo fürchterlich geworden, wie früher im 
Oſten derjenige der Ritter von Rhodus gemefen war. 

Indem ihre Galeeren bin und wieder durch das adriatifche Meer 
fuhren, famen fie in die Levante und ſuchten kühn ihren alten Feind, 


ſelbſt wenn ihnen derjelbe ſehr an Zahl überlegen war, in feinen eige- 


nen Meeren duf. Weil die Mauren der Barbareifüfte die ihnen von 
ihrem unermädlichen Feinde zugefügten Verluſte fchmerzlich empfans 
ben, erfuchten fie den Sultan öfters, ihnen zu Hülfe zu fommen und 
die feiner Religion angethanen Beleidigungen an den Häuptern der 
Beleidiger zu rächen. Unter fo bewandten Umftänden fiel die Weg» 
nahme einer türkischen Gallione in der Levante vor. Es war ein ries 
fige® , reich beladened, von zmanzig Kanonen und zweihundert Janits 
ſcharen vertheidigtes Schiff. Nach einem verzweifelten Kampfe wurbe 
es von den maltheftfchen Galeeren genommen und als eine willflommene 
Priſe mit nach Maltha gebracht. Es gehörte dem oberfterfien Eunu⸗ 
chen des kaiſerlichen Harems und einige fchöne Bewohnerinnen des 
Serail follten bei der foftbaren Fracht des Schiffes intereffirt fein **). 
Diefe Perfonen vereinigten ſich jegt in dem Verlangen nach Rache mit 
den Mauren. Soliman theilte die allgemeine Entrüftung über die ihm 

) „Die Baleeren des Ordens allein widerflanden der Wut der Wogen, und 
als Karl dem Bünften berichtet wurde, daß noch einige Schiffe auf der See am 
Leben zu fein fchienen, rief er aus: „„Das müllen wahrhaftig Malthefergaleeren 
fein, die einen foldhen Sturm aushalten koönnen!““ Seine hohe Meinung von diefer 
Flotte rechtfertigte fich vollfommen; denn bald ſchon war die Standarte des Ordens 
zu ſehen.“ Boisgelin, Ancient and Modern Malta. 

»*) Der Werth der Fracht wurde auf mehr als achtzigtaufend Dukaten abge 
ſchätzt. — ‚‚Se estimo la presa mas de ochenta mil ducatus, de sedas de levante, 
y alombras y otras cosas, cada uno piense lo que se dirja en la carte del Turco; 
sobre la perdida desta nave tan poderosa, y tan rica.‘‘ La Verdadera Relacion de 
todo lo que el'’Ano de MDLXV ha succedido en la Isla de Malta, por Francisco 
Balbi de Correggio, en todo el Sitio Soldado (Barcelona, 1868). 

11* 


164 Achtes Kapitel. 


gleichlam unter den Mauern jeiner eigenen Hauptflabt angethane Bes 
leivigung, und er beichloß, den Schluß feiner Regierung mit der Bers 
treibung der Ritter von Maltha zu bezeichnen, wie er den Regierungs⸗ 
anfang durch die Vertreibung derfelben von Rhodus bezeichnet hatte. 

Da es nicht unwahrfcheinlih war, daß die hriftlichen Fuͤrſten 
ſich verbünden würden, um einen Orden zu unterflügen, welcher für 
die Ehriftenheit fo viele Schlachten geichlagen hatte, fo betrieb Solis 
man feine Rüftungen in einer großartigen Weile. Das Gerücht 
davon verbreitete fich weit und breit. Indem der Zwed diefer Rüftuns 
gen nicht bekannt war, feßten die großen Mächte des Mitteländifchen - 
Meeres, deren eine jede befürchtete, daß ihre eigenen Befigungen der 
Gegenftand des Angriffs fein wuͤrdeu, Sogleich ihre Küften in Verthei⸗ 
digungszuftand. Der König von Spanien fandte feinem Bicefönig 
in Sizilien den Befehl, daß er eine zum Schuge ber Infel hinreichende 
Flotte ausrüften möge. 

Mittlerweile hatte der Großmeifter von Maltha durch feine in 
Konftantinopel angeftellten geheimen Agenten den wirflihen Zweck ber 
Erpedition erfahren. Der gegenwärtige Großmeifter war Jean Barifot 
de la Balette, ein Dann, dem fein außerordentlicher Charafter und 
die außergewöhnlichen Umftände , in welchen er fich befand, einen un« 
vergänglichen Namen im Buche der Geſchichte verfchafft haben. Er 
gehörte einer alten Familie im fürlichen Sranfreih an und flammte 
aus der Provence. Er fand jest in feinem achtundſechszigſten 
Sahre. In feiner Jugend war er Zeuge der merkwürdigen Bela- 
gerung von Rhodus geweſen und hatte nad) einander jeden Poſten 
bed Ordens befleidet, ſodaß er von dem niebrigften bis zum höchften, 
auf dem er jegt ſtand, gefliegen war. Mit feiner großen Erfahrung 
verband er eine feltene Umſicht und einen unbeugfamen Willen, der 
auf die gänzliche Hingebung an die große Sache, welche er gegenwärtig 
vertrat, gegründet mar. Die Ücherzeugung von diefer Hingebung hatte 
wenigſtens theilweiſe dem La Balette feine große Ueberlegenheit über 
feine Brüder gegeben, eine Ueberlegenheit, welche in einer Kriſts wie 
ber jegigen fehr wichtig war. Vielleicht ahnte man eine ſolche Krifis, 
ald man ihn 1557 zum Großmeiſter wählte, und vielleicht zeigte das 
über die Gewäffer herauffteigende Dunfel die Nothwendigkeit, daß man 


Die Hofpitaltitter St. Sohannie. 165 


einen erfahrenen Steuermann, weldyer dem Ungewitter zu begegnen 
verftände, befigen müfle. 

Sobald der Großmeifter von ber wahren Beftimmung der tür 
fiichen Rüftungen unterrichtet worden war, fandte er Emifläre an 
die verfchiedenen chriftlichen Mächte und ließ diefe um Beiftand für 
den Orden in feiner Roth bitten. Er forderte die in fremden Rändern 
verweilenden Ritter auf, nad) Maltha zurüdzufehren und in dem fünfs 
tigen Kampfe das Gefchid ihrer Brüder zu theilen. Bon Sizilien und 
Spanten führte er große Vorräthe an Proviant und Munition ein. 
Er übte die Miliz der Infel ein und formirte eine effektive Truppe von 
mehr als dreitaufend Mann. Hierzu kamen eine große Anzahl ſpa⸗ 
nifcher und italienischer Truppen, welche die ausmärts lebenden Ritter 
anwarben. Diefe Macht wurde noch durch die außergewöhnliche Eins 


reihung von fünfhundert Galeerenfflaveh vermehrt, denen La Valette, . 


indem er fie von der Ruderbanf nahm , die Freiheit verfprach, wofern 
fie ihm treu dienen wollten. Endlich wurten die Befeftigungen aus⸗ 
gebeffert, mit Außenwerfen verfehen und in den beften Vertheidigungss 
zuftand geſetzt. Alle Klaſſen der Einmohnerfchaft halfen hierbei. Die 
Ritter felbft nahmen an der harten Handarbeit Theil, und jogar der 
Großmeifter verjchmähte es nicht, mit feinen niedrigften Leuten zu 
arbeiten. Er ordnete nicht nur an, fondern gab au, wo Hände ers 
fordert wurden, ein gutes Beifpiel, wie man feine Anordnungen auss 
führen mußte. Wo immerhin feine Anweienbeit erfordert wurde, war 
er auch zu finden. Er pflegte die Kranfen, ermuthigte die Niederges 
fchlagenen, fpornte die Gleichgüftigen an, fchalt die Trägen, und wachte 


äber die Intereffen der Fleinen, feiner Obhut anvertrauten Gemeinſchaft 


mit väterlicher Eorgfalt. 

Mähren? La Balette auf viele Weife befchäftigt war, befuchte 
ihn der fizilianifche Vicefönig Don ‚Garcia de Toledo, der Eroberer 
von Peñon de Belez. Derfelbe war von Bhilipp gefchidt, um mit dem 
©roßmeifter die beften Vertheidigungsmaßregeln zu berathen. Er ver- 
ficherte den legteren, daß er, fobald er eine Flotte bei einanter hätte, 
ihm zu Hülfe fommen würde, und lieg feinen natürlichen Sohn bei 
ihm zurüf, damit derfelbe die Kriegsfunft unter einem fo erfahrenen 
Oberbefehlshaber erlernte. Die. Hülfsveriprechungen des Vicekoͤnigs 


266 Achtes Kenikel. 


geveichten dem La Balette zum Troße, Doch wußte besjelbe, daß er 
fi) in feinem gegenwärtigen Falle nicht auf die Verſprechungen An⸗ 
derer, fondern auf feine eigenen und feiner tapferen Benoflen Kräfte 
werlaffen mußte. 

Die Ritter hatten dem an fie ergangenen Rufe Gehorfam geleiftet 
und waren jetzt meiftentheild angelangt. Ein jeder von ihnen brachte 
eine Anzahl Diener und Untergebenen mit fih. Nur einige wenige 
von den Alten und Schwachen waren noch zurüd, und zwar nicht for 
wohl wegen ihres Alters und ihrer Schwäche, ſondern weil es wichtig 
war, daß man an den fremben Höfen Vertreter hatte, welche für bie 
Snterefien der Gemeinfchaft thätig waren. Die Freudigkeit, womit bie 
Brüder auf ihre Poften eilten, um zu ihrem Orden in ber Stunde der 
Gefahr zu ſtehen, rührte den La Valette. Er umarmte fie zärtlich, 
und nachdem er fie bald nachher zufammenberufen hatte, iprady er mit 
ihnen über ihre gefährliche Rage, indem fie ed mit der ganzen Heeres⸗ 
macht des türfifchen und der maurifchen Reiche aufnehmen müßten. 
„Seht würde,“ fagte er, „die große Schlacht zwifchen dem Kreuze und 
bem Koran gefchlagen. Sie wären die auderwählten Kämpfer des 
Kreuzed. Wenn daher der Himmel ihr Leben zum Opfer forderte, fo 
fei hierzu feine beffere Zeit, als bei der gegenwärtigen Gelegenheit.“ 
Darauf führte fie der Großmeifter in die Kapelle, wo er mit den Brüs 
dern zuerit andächtig beichtete,, dann dad Abendmahl einnahm, und 
wo Alle an den Stufen des Altars feierlich ihr Gelübde, die Kirche ges 
gen die Ungläubigen zu vertheidigen,, erneuten. Indem durch diefe 
geiftlichen Llebungen,, fagt ihr Gefchichtöfchreiber , ihr Geiſt gehoben 
wurde , fchienen alle weltlichen Erwägungen von dieſem Augenblide 
“an feine Macht mehr auf fie zu befiten. Sie ftanden da, gleich einer 
Schaar Märtyrer, als die verlorene Hoffnung des Chriſtenthums, 
und bereit, wie ihr Führer fagte, ihr Xeben der großen Sache, für 
welche fie kaͤmpften, zum Opfer zu bringen. Mit foldhen Sefinnungen 
erwarteten La Valette und jeine Genoflen, nachdem fie ihre Rüftungen 
vollendet harten, die Ankunft des Feindes. 





Neuntes Kapitel. Die Belagerung von Maltha. 167 


Neuntes Kapitel. 


Die Belagerung von Maltha. 


Der Zufland Maltha’s. — Die Ankunft der Türken. — Sie refognogeiren die Infel. 
— Die Belagerung von St. Elmo. — Seine heldenmüthige Bertheidigung. — 
Sein Fall. | 


1565. 


Ehe ich auf die Einzelheiten diefer merfwürdigen Belagerung 
eingebe, wird ed nöthig fein, den Leſer etwas mit dem Lande, weldyes 
die Operationgfcene bildet, befannt zu machen. Die Infel Maltha if 
ungefähr fiebzehn (englifche) Meilen lang und neun Meilen breit *). 
Zur Zeit der Belagerung enthielt fie gegen zwölftaufend Einwohner, 
die Ordensmitglieder nicht mit eingerechnet. Erftere wohnten meiftens 
theild in Armlichen Städten und Dörfern zufammen. Der größte diefer 
Drte war mit einer ziemlich ftarfen Mauer umgeben und mit dem Ras 
men Civita Notable (berühmte Stadt) beehrt. Da die Stadt im Ins 
neren,, ziemlich im Centrum, der Infel lag, fchlugen die Ritter ihre 
Wohnung nicht dafelbft auf, fondern zogen den norböftlichen,, nad 
Eizilien zu liegenden Theil, der für die Baleeren einen bebeutenden 
Hafen enthielt, vor. 

In diefer Gegend ift die Bildung ded Bodens jehr merkwürdig. 
Ein enges, felfiged Vorgebirge geht in das Mittelänpdifche Meer hinein 
und theilt dadurdy das Waſſer in zwei Bolfe. Bon diefen heißt ber 
weftliche Marza Musiette oder Hafen Muſiette, während ber öftlich ges 
legene, welcher jept ven Namen Balettahafen führt, damals ber, Große 
Hafen” hieß. Auf dem äußerftien Punkte des Vorgebirged lag das 
Schloß St. Elmo, welches von dem Orden furz nach feiner Ankunft 
auf der Infel an der den Eingang in beide Häfen beherrichenden Stelle 
erbaut war. Befonderd um feiner Lage willen war e8 ein Ort von 
befonderer Stärke. Indem ed nämlicdy auf einem Helfen gelegen und 
faR ringsum von dem Meere befpült war, bedurfte es nach diefer 


*) Bier englifhe Meilen find gleich einer geographiſchen Meile. 


168 Meuutrt Lavitel. 


Richteng bin feine weitere Befritigung. Allein nad; dem Sau mu 
wer cd für cimen Feind zugänglicer; Dem obichon e& Durd: eine 
wodeen Graben unt rim Contreicarpe gedrdi war, hielt man dod m̃ 
möthig, es noch au! der fünmweitlicdhen Brise vermittelt eines Ranelme, 
welches Sa Baleue kurz vor der Anfuntı der Zürten fertig brachte, zu 
Khüpen. 

Der wräilid lirgende Hafen Mutiene it derjenige, ın weichem 
bir Schifft jegt Der E-uaraniaine umiermorten int. Ger Grohe Daten 
war Der wichtige, wril runt herum tie kleine @emeinde Der Km 
wohne. Sein bios eine Birriclmeile (— 7) , Rıinuen, mene: Ein⸗ 
ganz wirt ven gıpri Yandipigen beberricht, aut Deren eimer, wi. ichea 
eben ermähnt wurde, dad Fort Eı. Elmo nant. Die Fänge red 
Daten: mag ziemlid zwri enginde Meilen betragen. dm von der 
grp̃ten Sat Innnen hier uber vor Anfer liegen, intem rinr&ihriie birras 
bad Kater niet gemig it, umt anberntbeilä tie herumaehenden Ürme 
ber Lite Den Fabrzeugen Echuß vor den Erürmen des Melläntndes 
Neeres gemähren. 


Son ber ulıhen Seie dieſes Velen: lauten zwei bervoriprin⸗ 
gende Santicngen and, tie innerhalb des Großen Satrn® wirter fi 
were Sören bilden. Mut dem nörtiihen tirier Santüteiien lag te} 
Fur Sins Er Angelo. Um tañt! bt herum idmitatt ah eine rim 
Siati, weiche wram ihrer crbabenen &aae N Rorse (re Burg hip, 
FR aber Den itelaeren Namm „Tie Hrare.dhe Sıradı* ah. Si 
war ed, we Ir Orden icinen Webrũtz axtt.ug. Wöbrent te 
Exartı turd emt Mauer ge'hügı war, harte man greſt Eorae ara 
gr, tas Erin, worm die Erosmeiner wehren, m cum Ber 
ehriisencäickarnt su Vopen Aut einem naraüc: laurenden Yand 
Ure'en, meet von enem Öreercker dicſes Nomers ats tıe Juſel 
La Sarclt befanrı iM, want ern Korn, gerannı tas Ron Si. Widatl. 
Um tar̃t. de herum aden serttrente Säuser, Deren Etrwebrer itzt emũg 
min ter Ssermärfong der Verrheitisunsämerfe beit angt warn. Iwi⸗ 
Uhr den Kıiten Yantamgm lay der @aleeren.haden, Der, wic itin Name 
ar.r.:, der Keinen alııe Des Orderd sum Noten d. trae. Tier Hafen 
mar tx rme eeme Kete, mehe autrttet vor itinem Eingange 


Die Belagerung von Maltha. 169 


von der Gpite der einen Landzunge nach der andern ging, ficherer ge 
macht worden. 

Das waren die von den Rittern binnen dem furzen Zeitraume, 
während deffen fie die Infel befaßen, errichteten Befeſtigungswerke. 
Sie waren infofern unvollkommen, al8 manche die Umgegend beherrs 
ſchende Anhöhe, welche um ber Sicherheit des Landes willen hätte ftarf 
befeftigt fein follen, noch fo nadt und bloögeftellt_baftand , wie zur 
Zeit der Ankunft des Ordens. Diefer unvollfommene Vertheidigungs⸗ 
zuftand bildet einen flarfen Kontraft mit der jegigen Belchaffenheit 
Maltha's. Denn gegenwärtig ftroßt e8 ganz von Befeftigungen, die 
mit dem natürlichen Felſen, welchem fie entipringen, völlig ermachfen 
zu fein fcheinen und in den Händen einer dad Meer beherrichenden 
Macht der ganzen Welt Troß bieten können. 

Das ganze Heer, welches La Balette zur. Bertheidigung der Infel 
aufbringen Fonnte, belief fi auf ungefähr neun taufend Mann. Hier 
unter find fieben hundert Ritter begriffen, von denen ſechs Hundert 
fhon angefommen waren. Die übrigen Ritter waren unterwegd und 
trafen bei ihm im Verlaufe der Belagerung ein. . Drei biß vier taufend 
waren Maltheſer, die zwar feine.regelmäßigen Soldaten waren, aber 
body durch die Kämpfe mit den Korfaren der Barbarei einige Kriegs⸗ 
kenntniß erlangt hatten. Mit Ausnahme der fünf hundert fchon ange 
geführten Galeerenſklaven und der Dienerfchaft der Ritter beftand ber 
Reft der Armee aus Ipanifchen und italienifchen Truppen , die herbei⸗ 
gefommen waren, um bei der Bertheidigung zu helfen. “Der nuglofe 
Theil der Bevölferung , die Alten und Echwacen, waren meiftend 
nad Sizilien binübergefchafft worden. Indeß war noch eine große Zahl 
rauen und Kinder zurüdgeblieben. Indem bie erfteren jene heldenmüs 
thige Ausdauer zeigten, welche ihr Gefchlecht in Zeiten der Unruhen fo 
oft auszeichnet, gereichten fie durch die den Kranfen gewährte Pflege und 
durch die Reubelebung ded Muthes den verzagenden Soldaten während 
der Belagerung zu großem Nutzen ®). 


*) Balbi gibt uns in feiner Verdadera Relation ein Truppenverzeichniß, wonach 
Äh tie Gefammtiumme aller Waffentragenden nicht über ſechs taufend ein hundert 
Mann beläuft. Indeß fpricht er von einer unbeſtimmten Anzahl neben dieſen, 











170 Reuntes Kapitel. 


La Balette vertheilte feine Kleine Armee auf bie verfchiebenen 
Punfte und wies einen jeden derfelben, um den Geiſt des Wetteifers 
in der Ordengritterfchaft rege zu machen, einer der Sprachen oder Ras 
tionen an. Das Schloß St. Elmo war ein Bunft von der höchften 
Wichtigkeit. Es war dergeftalt auf einen befchränften Raum zufams 
mengebrängt,, daß ed faum ein Unterfommen für taufend Mann bot. 
Im Anfange der Belagerung waren bloß acht hundert innerhalb feiner 
Mauern eingefchloffen. Seine Räumlichkeiten erlaubten feine großen 
Magazine, welche bedeutende Quantitaͤten PBroviant oder militärifche 
Borräthe hätten aufnehmen fünnen,, weßhalb es in biefer Beziehung 
unglüdlicherweife auf eine Verbindung mit Il Vorgo , der Stadt jen- 
feitö des Hafens, angewiefen war. Die Mauern des Bortd galten 
nicht für die beften, wenngleich feine Werke mit wenigftens dreißig 
meift landeinwaͤrts gerichteten Kanonen verjehen waren. Seine ges 
wöhnlich ſechszig Mann betragende Garnifon ftand unter dem Kom⸗ 
mando eined greifen Ritters, Ramend De Broglio. Der Großmeifter 
verftärfte diefe Zahl mit fechözig Rittern unter dem Vogte von Negros 
pont , einem ergrauten Krieger, in deſſen erprobte Tapferkeit La Balette 
unbedingted Zutrauen fegte. Derfelbe wurde nody durch zwei Kom⸗ 
pagnieen fremde Truppen unter der Führung eines ſpaniſchen Kava⸗ 
lierd, Namend La Gerda, verftärft. 

Berichiedene andere Punkte wurden mit Fleinen Abtheilungen bes 
fest, an deren Spige immer ein Ordensglied fland. Doch die Haupt- 
macht, mit Einſchluß von beinahe allen übrigen Rittern, lag im 
Schloſſe St. Angelo und in der Stadt ald Baſis deſſelben. Hier 
nahm auch La Balette feinen Stand, weil es derjenige Plag war, 
welcher durch feine Tage in ber Mitte ihn befähigte, über die Intereflen 
des Ganzen zu wachen. In diefem Quartier war jegt Alles emſig, 
denn die Leute arbeiteten fleißig an der Berftärfung der Vertheidigungs⸗ 
werfe der Stadt und an dem Raſiren der Gebäubde der Vorftädte, von 
denen der Großmeifter befürchtete, daß fie bein Feinde einen Anhalts⸗ 
punft bieten fonnten. Hierbei wurden ihre Arbeiten von ein taujend aus 


darunter ein taufend Sklaven, weldye Alle auf verſchiedene Weife zur Vertheitigung 
der Inſel beitrugen. 


Die Belagerung von Maltha. 171 


dem Befängniß genommenen und paaztweife zuſammengeketteten Sklaven 
unterſtuͤtzt. 

Am achtzehnten Mai 1565 in der Frühe entdeckten die Schild⸗ 
wachen won Et. Elmo und St. Angelo im Ofen die türkifche Flotte. 
Sie war noch ungefähr dreißig englifche Meilen weit entfernt unb 
fleuerte geradenwegs auf Maltha zu. Seht wurde den Einwohnern, 
indem man auf einem jedem Fort eine Kanone abfeuerte, das verabs 
redete Eignal gegeben, damit fie fich von dem Lande in die Dörfer zus 
rũckzogen. Die türkifche Flotte belief fih auf ein hundert und dreißig 
Galeeren, neben funfzig von geringerer Größe umd außer einer 
Anzahl Transportfahrzeugen für Kanonen , Schießbedarf und fonftige 
Kriegsartifel. Das Belagerungsgeſchütz beftand aus drei und fechözig 
Kanonen, von denen bie kleinſte Sechdundfünfzigpfünder fchoß , waͤh⸗ 
rend einige wenige, Basilicas genannt, ein hundert und zwölf Pfund 
ſchwere Marmorfugeln fandten*). Seit fehr früher Zeit ſchon waren 
bie Türfen wegen des ungeheuern Kalibers ihrer Kanonen berübmt 
und fie fuhren noch lange fort, diefe Etüde anzuwenden, nachdem 
man im übrigen Europa Kanonen von einer mäßigeren und prafs 
tifcheren Größe angenommen hatte. 


Die am Bord befindlichen Soldaten waren der Kern ber ottos 
mannifchen Armee. Ihre Zahl belief ſich auf etwa dreißig taufend, 
darunter fechd taufend Janitſcharen; doch fine die Marinefoldaten 
bierbei nicht mit inbegriffen. Sie waren auf dad Beſte ausgeftattet, 
und für Alles, mad man zur Betreibung der Belagerung brauchte, 


*) Bertot ſpricht von Ginhundertundfechszigpfündern. Doch felbft dies wurde 
im vorhergehenden Jahrhunderte bei der Belagerung von Konftantinopel durd bie 
von Mabomet angewandte Mammuthfanone, welche, nach Gibbon, fleinerne Sechs⸗ 
hundertpfünter fchoß, bei weitem übertroffen. 

Seitdem die obigen Zeilen geichrieben wurden, ift ſelbſt Diele Leiftung burch den 
britifchen Unternehmungsgeiſt in den Hintergrund geftellt worden. Die Times bes 
nadhrichtigt uns von einigen „Monftrefanonen,“ die in der Oflfee angewandt wers 
den, und deren leichtefte Kugeln drei Gentner, die ſchwerſten aber zehn Gentner 
wiegen follen. 

Anmerfung des Ueberfepers : Diefe in der Times erwähnten Monftrefanonen 

find nie zu Stande gefommen, gefchweige denn angewendet worden. 


172 Remtes Kapitel. 


war geforgt. Bermuthlicy war niemals eine fo prächtige Armada auf 
den Gewäflern des Mittelmeeres erblidt worden. Wie Ear zu eriehen, 
war Soliman feft entfchloffen,, den Orden , welchen er einft ins Eril 
getrieben und der nun neue Stärfe gewonnen hatte und der fürdhters 
tichfte Beind des Halbmont® geworden war, zu vertilgen. 

Der Oberbefehl der Erpedition war zwei Offizieren anvertraut. 
Der eine davon, Piali, war ber nämliche Admiral, welcher die Spas 
nier bei Gelves geichlagen hatte. Er hatte die Leitung der Seeopera⸗ 
tionen. Das Landheer befchligte Muftapha , ein beinahe fiebenzig 
Jahre alter Veteran, den feine große Erfahrung verbunten mit großen 
militärifchen Talenten an die E pipe ded Heeres erhoben hatte. Leider 
thut feine Braufamleit der Achtung , welche feine Kriegskenntniſſe ab» 
nöthigten, Abbruch. Außer dem Öberbefehle der Armee beſaß er die 
höchfte Autorität über die ganze Erpedition. Doc machte dieler Ums 
ftand die Eiferſucht Piali's rege, weil fidy derfelbe durdy ten feinem 
Rivalen gegebenen Borzug beleidigt glaubte. Auf tiefe Weile erzeugte 
fi) in der Bruft der Führer ein gegenfeitiges Mißtrauen , welches bis 
zu einem gewifien Grade die beiderfeitigen Operationen paralyfirte. 

Die türfifhe Armada fegelte nach dem ſuüdweſtlichen Theile der 
Infel und warf im Hafen Ct. Thomas Anfer. Die Eoltaten ftiegen 
ſogleich aus, vertheilten fid) in einzelnen Truppen über die Injel, vers 
wüfteten dad Land und fielen über alle einzelnen Perſonen auf den 
Feldern her. Nachdem Muſtapha mit der Hauptabiheilung der Armee 
eine Etrede ind Innere marichirt war, feßte er fich auf einer Anhoͤhe 
bloß wenige (englifche) Vieilen von Il Borgo fe. Nur mit Mühe 
fonnte man die Einwohner abhalten, daß fie nicht aus den Thoren 
hinausgingen , um fid die Eindringlinge anzufehen. Denn die prädhs 
tige Aufftellung der legteren zog ſich weit über die Berge hin, ihre 
ſchmucken Waffen und Banner erglänzten in der Sonne und ihre Frieges 
rifche Muſik fpielte den Ehriften herausfordernde Weiten auf. Daher 
leiß Ra Balette feinerjeitd Die Standarte Et. Johannis von den Wällen 
wehen und feine Trompeten mußten dem Feinde in herausfordernden 
Tönen antworten. 

Mittlerweile hatte der Großmarſchall Eoppier an der Epige einer 
Heinen Truppe einen Ausfall gemadyt und fidy auf einige der Abtheis 


Die Belagerung von Raltba. 173 


lungen, welche das Land fäuberten, geworfen. Um den Erfolg feiner 
Waffen zu beweifen, fandte er die blutigen Häupter der erfchlagenen 
Türken zurüd nad) Borgo. Indem La Balette diefe Treffen geftattete, 
begte er die Abficht, daß er feine Leute mit dem noch neuen Ausfehen 
und den eigenthümlichen Waffen ‚der Feinde, fowie mit dem wilden 
Kriegögeichrei, welches die Türken beim Kampfe ausſtießen, befannt 
machen wollte. Allein die in diefen Scharmügeln errungenen Vortheile 
wogen nicht die, wenn auch noch fo geringfügigen Verluſte auf der 
Seite der Ehriften auf; weßhalb der Großmeifter, nachdem zwei Rit⸗ 
ter und eine Anzahl Gemeine getödtet worden waren, feinen Leuten bes 
fahl, ruhig innerhalb der Stadtmauern zu bleiben. 

Man hatte im türfifchen Kriegsrathe befchloffen, daß man die 
Operationen mit der Belagerung bed Schloſſes St. Elmo anfangen 
wollte; denn der Befig dieſes Platzes war nöthig, um der türfifchen 
Blotte einen ficheren Hafen zu verfhaffen. Den vier und zwanzigſten 
Mai warf man Schanzen auf, — wenn fid) das überhaupt von der 
felfigen, undringliben Natur des Bodene fagen läßt. Da nämlid 
keine Schanzen gegraben werden fonnten, mußten fich die Belagerer 
binter einem Bruftwerf fchirmen. Daflelbe aber war aud Bohlen ges 
bildet, zwifchen Lie man weit herbeigejchuaffte Erde geichüttet hatte, und 
dad Ganze wurde von Stroh und Binjen zufammengehalten. In ges 
wifien Zwiſchenräumen hatte Muftapha die Stellen für die Batterieen, 
angegeben. Die Hauptbatterie enthielt zehn Kanonen, darunter einige 
vom fchwerften Kaliber. Wenn man auch damals mit der Artillerie 
noch nicht fo weit vorgefchritten war, wie in unferer Zeit, wo man 
eine größere Erfahrung und bewegbarere Stüde hat: jo hätte doch ein 
ſtaͤrkeres Mauerwerk, ald dasjenige von St. Elmo, unter den gegen 
daſſelbe gejchleuderten Maflen von Stein und Eifen zufammenbrechen 
fönnen. j 

Da die Mauern zu weichen anfingen, ſchien es Far, daß fich bie 
Samifon mehr auf ihre eigene Stärfe, als auf diejenige ihrer Bes 
feſtigungswerke verlaflen mußte. Deßhalb befchloß man, an ben 
Großmeiſter zu ſchicken und von ihm eine Berftärfung zu verlangen. Mit 
diefem Auftrage wurde der Chevalier de la Eerda betraut. Nachdem 
derfelbe nach Il Borgo übergefegt war, ftellte er fi) dem La Balette vor 





174 Reuntes Kapitel. 


und machte geltend, daß, wenn ſich das Hort gegen bie Unglänbigen 
hatten folle, eine neue Berftärfung nöthig fei. Als der Großmeifter 
fehon nad) eimer fo kurzen Belagerung diefes Nachſuchen um Huͤlfe 
hörte, vermochte er fein Mißfallen nicht zu verbergen, zumal da meh⸗ 
tere Ritter, die dadurch wohl entmuthigt werden fonnten , es mit ans 
gehört hatten. Er fragte La Eerda troden , weldyen Berluft die Gars 
nifon erlitten hätte. Der Ritter wich der Frage aus und erwiderte, 
dag St. Elmo in der Lage eines franfen Mannes , der die Hülfe des 
Doktors nöthig babe, fer. „Ich will der Doktor fein," tagte La Bas 
Tette, „und will folche Hülfe leiften, daß, wenn ich Eure Furcht nicht 
kuriren fann , ich zum wenigften hoffen darf, daß der Play nicht in 
die Hände der Feinde fallen wird.” Gr war fo fehr von der Wichtig« 
keit überzeugt, daß man dieſen Poſten zum Aeußerſten vertheidigen 
müßte und wäre es auch nur, um Zeit zu gewinnen und bie ficilianifche 
Hülfe herbeifommen zu laflen: daß er, wie er fagte, bereit war, ſich 
felbft in das Fort zu werfen und fich nötpigenfall6 unter den Trũm⸗ 
mern defielben zu begraben. 

Von diefem verzweifelten Entſchluſſe rietben ihm einffimmig bie 
fämmtlichen Ritter ab, indem fie ihm vorftellten, daß es nicht die Pflicht 
bes oberften Befehlshabers fei, ſich gleich einem gemeinen Soldaten 
audzufegen und feinen Platz auf einem verlornen Poſten aufzuichlagen. 
Der Großmeifter ſah die Richtigkeit diefer Borftelungen ein. Da nun 
die Ritter mit einander um die Ehre fritten, wer auf den SBoften der 
Gefahr abgehen follte, fo erlaubte er funfzig Ordensmitgliedern nebfl 
zwei Kompagnieen Soldaten, mit La Gerda nad dem Fort zurüdzus 
fehren. Die Berftärfung ftellte er unter den Oberbefehl des Cheva⸗ 
lier de Medrano , eines tapferen Soldaten, auf deffen Ausdauer und 
Muth La Balette ficher vertraute. Die Truppen wurben zufammen 
mit Proviant und Munition unter dem Schuge eines heftigen Kanonen 
feuer8 von St. Angelo in offenen Booten über den Hafen gefandt. 
Indem hierbei eine Kugel zufällig auf einen Stein in der Nähe der 
Schanzen, wo ber türfifche Admiral Piali ftand, niederfiel, fprang 
demjelben ein Splitter an den Kopf und verfehte ihm eine gefährliche, 
wenn auch nicht toͤdtliche Wunde. Ya Balette bemupte die durch diefen 
Borfall erzeugte Verwirrung , um eine Galeere nach Siäilien abzu⸗ 


Die Belagerung von Maltha. 175 


ſchicken, welche ven Vicckoͤnig antreiben follte, daß er feine Operas 
tionen beithlennigte und die verfprochene Hülfe leiſtete. Hierauf gab 
Don Garcia de Toledo die Verficherung, daß er dem ®roßmeifter um 
Mitte Juni Entſatz bringen würde. 

Gegenwärtig ftand man im Anfange dieſes Monate. Sobald 
als de Medrano nad St. Elmo gefommen war, machte er einen Außs 
fall gegen die Türken , tödtete viele in den Schanzen und fchlug die 
übrigen in die Flucht. Aber fie famen bald in fo üiberlegener Anzahl 
zurück, daß fle die Chriften zwangen, zu weichen und fich hinter ihre 
Vertheidigungswerke zu retten. Unglüclicherweife trieb eine aus dem 
Süden wehende Luft den Rauch des Gemehrfeuerd nach dem Schloffe 
zu, was die Türfen fidy zu Nuge machten, um ſich in den Beſitz ber 
Eontrefcarpe zu fegen. Als ſich der Rauch verzogen hatte, fah bie 
Sarnifon zu ihrem großen Leidweſen, daß die Standarte der Mos⸗ 
lems auf ihre eigenen Bertheidigungswerfe gepflanzt war. Umfonft 
verfuchten fie Alles, um diefelben wieder zu nehmen. Denn indem 
die Angreifer fich ſchnell Hinter ein aus Schanzförben, Bafchinen und 
Wollſaͤcken gebildetes Parapet verfchanzten, ſchlugen fie auf der Eon- 
trefcarpe ihren dauernden Wohnfiß auf. 

Bon diefem Punkte aus unterhielten fie nun ein lebhaftes Muss 
fetenfeuer auf dad Ravelin und tödteten alle bervorfommenten Bers 
theidiger. in ärgerlicher Vorfall fegte fie bald in den Beſitz des Ras 
velins ſelbſt. Ein türkifcher Offizier nämlich fol, während er von 
jenem Außenwerfe au& die Bontrefcarpe recognodchrte, eine Schild⸗ 
wache auf ihrem Poſten fchlafen gefehen haben. Er benadhrichtigte 
hiervon feine Landsleute, und ed gelang einer Anzahl Sanitfcharen, 
vermittelt ihrer Zeitern die Mauern des Ravelins zu erfteigen. Ob⸗ 
ſchon die Wache nicht zahlreich war und überraicht wurde, fuchte fie 
doch den Plap zu behaupten. Daraus entſpann ſich ein fcharfes Schar- 
mügel. Da jedoch die Türken eilends von ihren ihnen zu Hülfe foms 
menden Kameraden verftärft wurden , Überwältigten fie die Ehriften 
und zwangen biefelben zu weichen. inigen wenigen gelang es, ſich 
in dad Schloß zurüdzugiehen. Die Janitfcharen waren den Slüchtigen 
bart auf den Ferſen, und es ſchien eine Zeit lang, al& ob die Mos⸗ 
lems und Ehriften beide zufammen durch das Wogen der Schlacht in 


176 Neuntes Kapitel. 


das Fort getrieben werden würden. Aber glüdlicherweife ſtellten fich 
ber Vogt von Negropont, de Medrano, und einige andere Kavaliere 
an die Spitze ihrer Leute, um fi auf den Feind zu werfen und der 
Berfolgung Einhalt zu thun. Nun entiyann fi ein verzweifelter 
Kampf, worin Kriegswiflenichaft Nichts nügte, fondern der Sieg dem 
Stärferen gehörte. Am Ende mußten die Sanitfcharen ihrerſeits zus 
rudweihen. Sie machten jeden Zoll des Bodens ftreitig, bis die von 
ihren ©egnern hart gebrängten Zürfen auf dad Ravelin zurüdfielen, 
wo fie mit Hülfe ihrer Kameraden den Chriften einen entfchloffenen 
Widerftand leifteten. Dan fuhr gegen fie zwei Kanonen auf; allein 
obſchon dieſe eine mörberifche Verheerung unter ihnen anrichteten, 
warfen fie fi doc mitten in dad Feuer und arbeiteten furchtlos, bie 
fie mit Echanzförben , Santfäden und anderem Material ein fie vor 
fernerer Beläftigung ſchützendes Parapet erbaut hatten. Weil alfo 
aller weitere Kampf unnüg war, überließen die Ritter den Angreifern 
diefes wichtige Außenwerf und zogen fich verftimmt in bie Yeftung 
zurüd ®). 

Während dies vorfiel, ergoß fich ein frifcher Trupp Türfen durch 
eine Brefche der Contrefcarpe in den Graben und verfuchte die Feſtung 
zu erſteigen. Glücklicherweiſe waren ihre Leitern zu kurz, und bie 
Garnifon bediente fie mit einem fo ftarfen Gewehrfeuer und warf zu 
gleicher Zeit einen ſolchen Hagel von Geſchoſſen auf ihre Köpfe, daß 
der Graben bald mit verftümmelten Gliedern und Reichen bebedt war. 
In demfelben Augenblide ftürzte ein Haufen aus dem Fort hinaus, 
fiel auf den $eind, megelte ihn nieder und trich diejenigen, welche noch 
zu fliehen vermochten, in die Schanzen zurüd. 


— — -- 


*) In dem Berichte, welchen uns Vertot von tiefem Vorfalle gibt, iſt viel von 
einem nicht befchriebenen Außenwerfe die Nete. Gr benennt e8 mit dem technifchen 
Ausdrucke Cavolier; tod Hat dieſes Wort bei ihm eine ganz antere Bereutung, als 
in modernen Kortififationen. Es ſtand außerhalb ter Mauern und war mit 
tem Ravelin durch eine Brücke verbunten, um teren Befiß heiß gefämpft wurde. 
Der fo oft eitirte Tpanifche Soltat Balbi, der zwar im Fort St. Michael lag, aber 
doch bei der Vertheidigung mit thätig war, fagt, daß das Sefecht in tem Graben 
ſtatt fand. Seine Darſtellung befigt dad Verdienſt, daß fle zugleich die fürzefte und 
verfläntlichfte ifl. 





Die Belagerung von Maltha. tr 


Bir wir fahen, entſpann fi das Gefecht durch einen Zufall; 
es dauerie mehrere Stunden. Der Verluſt der Türfen war weit 
geößer, als derjenige der Garniſon. Letztere verlor.ein hundert Dann, 
darunter zwanzig Ordensmitglieber. Allein der größte Berluft ber 
Belagerten war die Einbuße der Gontrefcarpe und des Ravelind. Ins 
dem das Schloß St. Elmo alſo feiner Außenwerfe beraubt war, ſtand 
«6 da wie ein dürser, rinfamer Stamın , gegen den fid) nun die ganze 
Burh ded Sturmes richtete. 

Der Berluft des Ravelins verurfachte.dem La Balette die tieffte 
Bekuͤmmerniß, die jelbit nicht durch den Gedanken, daß tiefer Berkuft 
wenigfiend zum Theil durch die Nachlaͤſſigkeit feiner Bertheidiger her⸗ 
beigeführt worden war , gelindert wurte. Um fo eifriger mußte ver 
Großmeifter jegt für die Sicherheit des Schlofles ſorgen. Er ließ 
daher die Benvunderen auf Booten abholen und erfegte fie durch eine 
entſprechende Anzahl geiunder Ritter und Soldaten. Er münfcte 
nicht, daß die Garniſon mit irgend welchen , die nicht zur Berthei- 
digung beitragen koönnten, beläftigt wäre. Unter den neuen, zum Er⸗ 
tag geſchickten Truppen befand fidy der Kavalier de Miranda, eines der 
beruhmteften Ordendmitglieder , der unlängft aus Sizilien angekom⸗ 
men war. Er mar cin Krieger, defien perfönliche Autorität verbunden 
mit feinen großen mititärifchen Kenntniſſen, fich für die Garniſon fehr 
nüglidy erwied. 

Der Berluft der Belagerer bei tem lebten Kampfe wurde jeßt 
durch die Anfunit Dragut's, des berühmten Paſchao von Tripolis, 
mit dreizehn mauriichen Galeeren reichlich erfeßt. Derfelbe wurde mit 
Kanonenſchüſſen und dem allgemeinen Jubel ber Armee begrüßt, nicht 
. fowohl weil er die Verflärfung brachte, wonach man fein Betürfniß 
fühlte , ſondern vielmehr , weil er einen fo großen Ruf als Ingenieur 
und ald Seemann hatte. Da der Eultan die hoͤchſte Achtung vor den 
großen Eigenfchaften Dragut's hegte, hatte er feinen Oenerälen befoh⸗ 
fen, ihm den größten Reſpekt zu bezeigen ; weßhalb biefelben mit ihm 
fogleidy über die beflen Mittel zur Betreibung der Belagerung bes 
rithen. Schon bald fonnte man an den verftändigen und wirfamen 
Maßregeln, die nun ergriffen wurten, bie Fruͤchte ſeines Rathes fehen. 
Auf der weftlichen Landſpitze, welche den Eingang in den Muſiette⸗ 

Brescort, Geſch. Bhilipp's II. LIE 12 


578 Neuntes Ruspitel. 


hafen beherrſchte wurbe eine Batterie wit vier halben Kartiaumen er- 
richtet. Es war beabfichtigt, daß fie auf die weſtliche Flanke Ber 
Feſtung wirken ſollte. Noch regt führt: der Viab, wo" fe Rand, den 
Ramen des fuͤrchterlichen Korjaren. 

Eine zweite Batte bie wegen ber Zah und. ‚&rbhe ihrer 
Kanonen nody fehredtlicher war, wurde auf.einer.von Et. Elmo ſuͤdlich 
gelegenen Anhoͤhe errichtet. Diefelbe beftrich fowohl das Fort, wie 
das Schloß St. Angelo. Nachdem von der erfteren Feftung die Con⸗ 
trefcarpe weggeichoflen und dadurch der Artillerie der Belagerer ein 
freies Spiel gefchaffen war, wurden auf dad Ravelin zwei Kanonen 
gepflanzt, die auf das Innere der Feſtung ein fo gut gezielte Feuer 
eröffneten, daß fih die. Garniſon hinter Verſchanzungen, die man 
unter der Anordnung bed. Miranda errichtete, ‚beugen mußte. 

Indem jetzt die türfifche Artillerie. ihr euer auf die nackten 
Mauern St. Elmo's concentrirte, übte fie eine fürchterlihe Wirkung 
aus. Kein Mauerwerk Eonnte dem Eifenhagel und den ſchweren Mar⸗ 
morfugeln , welche auß den riefigen Geſchüͤtzen der Belagerer gefchtens 
dert wurden, lange wiberftchen. Bon der Mauer fielen Stüde berun- 
ter, als ob fie von Gyps geweſen wären, und St. Elmo erzitterte 
unter dem Donner ber fchredlidhen Kanonen bis in feine Grunpfeften. 
Wohl konnte dem waderften Krieger bange werben, wenn er täglidy bie 
Riffe weiter und weiter werben ſah, gleich als ob fie auseinander 
gingen, um ber wilden, draußen vor den Thoren ſchwaͤrmenden Menge 
einen Einlaß zu verfchaffen. 

Da alfo dur das beftändige feindliche Feuer die Garnifon ges 
ſchwaͤcht, durch maßlofe Anftrengungen erfchöpft, da viele Ritter vers 
wundet, alle aber durch die Lange fortgefegten Rachtwachen entfräftet, 
waren, fann es fein Wunder nehmen , wenn die meiften dachten , daß 
fie Alles, was ihre Pflicht forderte, gethan hätten, und daß fie ohne 
Schaden an ihrer Ehre einen Poften, der nicht länger haltbar fei,. vers 
laffen bürften. Daher befchlofien fie, beim Großmeiſter nachzufuchen, 
daß er Boote jchide und die Ritter nebft der übrigen Garnifon nach 
Il Borgo bringen ließe. Zu diefer Miſſion wurde der Kavalier be 
Medran auserfehen , von dem ber Großmeiſter annehmen fonnte , daß 
berfelbe die Schwierigfeit der Lage nicht übertrieb. 


Die Belagerung von Maltha. 179 


RNachdem alſo de Medran über den Hafen gefahren war, ſetzte er 
den Großmeifter in einer Zufammenkunft den Zwed feiner Sendung 
auseinander. Er ſprach von dein verfallenen Zuftande ber Befeftiguns 
‚gen und fchilberte die verlorene Lage der Garnifon, die nur Durch fort- 
währende Berftärfungen von Il Borgo ſich behaupten fönnte. Aber 
im Grunde fei died nur eine andere Methode zur Abſchwaͤchung des 
Ordens. Anftatt alfo eine verzweifelte Vertheidigung, die bloß mit 
dem Verderben der Vertheidiger entigen müßte, fortzufegen , würde es 
befier fein, wenn biefelben fogleidy nad) der Stadt, wo fie mit ihren 
Brüdern gegen den Feind gemeinfchaftlihe Sache machen Fönnten, 
berübergebracht würden. 

Aufmerkfam börte La Valette de Medran's Gründe an, denn 

diefelben verdienten wohl die Beachtung. Weil die Sache jedody für 
bie Intereſſen der kleinen Gemeinfchaft von der hoͤchſten Wichtigkeit 
‚war, hielt er für gut, fie dem Rathe der Großkreuze vorzulegen. 
‚Das waren die Männer, welche im Orden die höchften Stellen beflei- 
beten. Ginftimmig waren diefelben der nänlichen Meinung, wie be 
Medran. Nicht fo La Balette. Er fühlte, daß die Erhaltung St. 
Elmo's mit der Eriftenz des Ordens jelbft verfnüpft war. Er fagte 
feinen Brüdern , der Vicekönig von Eizilien babe erflärt, daß, wenn 
diefer Punkt in der Hant des Feindes wäre, er nicht die Blotte feines 
Herrn zur Rettung der Infel in die Schanze fchlagen würde. Nach 
ihren eigenen guten Schwertern aber müßten fie zunächft auf den ſizi⸗ 
lianifchen Beiftand bauen. Deßhalb müßten die Ritter diefen Punkt 
unter allen Umftänden behaupten. Der Bicefönig fönne fie in ihrer 
Roth nicht verkaffen. Auch er wolle fie nicht verlaffen ; denn er wolle 
fie mit Allem , was zur Vertheivigung erforberlich fei, verfehen; ja, 
wenn ed nöthig wäre, würde er in eigener Perfon hinübergehen , dad 
Kommando felbft übernehmen und den Plag gegen die Ungläubigen 
entweder halten, ober in der Breiche fterben. 

Als die älteren Nitter die Entfcheidung bed Großmeiſters ver: 
nahmen , erflärten fie, daß fie fich feinem Willen fügten. Sie 
wußten ‚wie gering er das Leben im Vergleich zu der Sache, welder 
es geweiht war, anſchlug, und fie gaben ihren Entſchluß fund, daß 


fie zur Bertheidigung des ‚ihnen anvertrauten Poſtens den legten. 
12* 


190 Neunies Rupitel. 


Blutstropfen vergießen wollten. Die jüngeren Ritter fügten Rich nicht 
fo leicht in die Entſcheidung ihrer Borgefegtn. Länger zu bleiben, 
ſagten fie, fel ein unnüged Opfern von Menfehenleben. Wie Schafe 
wären fie im Fort eingeftallt un. müßten gebuldig warten, bis fie von 
den wilden, 'nach ihrem Blute türftenten Wölfen zerrifien würden. 
So Envas fönnten fie nicht ertragen, und wenn fie der Großmeifter 
nicht auf ter Stelle fortfchaffte, würden fie gegen den Feind einen Aus, 
fal machen, um auf dem Schlachtfelde einen ehrenhaften Tod zu 
finten. Diefen Entfchluß ſetzten fie fchriftlih nieder, und fandten 
mit dem von funfzig Rittern wnterzeichneteh Briefe einen der Ihrigen 
nach Il Borgo ab. 

Der Eindrud, welchen diefe Erklärung auf La Valette machte, 
war Kummer, untermifcht mit Aerger. Er fagte, es fei noch nicht 
genug, daß fie ben Ehrentod , welchen fie fo jehr begehrten, frürben. 
Sie müßten fierben, wie er es ihnen vorfchriebe. Sie wären vers 
pflichtet , feinen Befehlen zu gehorchen. Er erinnerte fie an das bei 
ihrem &intritte gethane Gelübde und an die Verpflichtung eines jeden 
Ritters, wo nöthig jein Leben für dad Wohl des Ordens zu opfern. 
Auch würden fie, fegte er hinzu, Nichts dadurch, Daß fie ihren Poſten 
verließen und in die Stadt zurüdfehrten, gewinnen. Denn eines» 
theils würde Die türfifche Armee fchon binnen Kurzem bier vor den 
Thoren fiehen und anberntheild würde fie der Bicefönig von Sizilien 
ihrem eigenen Geſchick überlaffen. 

Damit es jedoch nicht fcheinen follte, als wenn La Valette ihre 
Borftelungen zu wenig beachtete, befchloß er, drei Koınmifläre zur 
Befichtigung von St. Elmo abzufenden, bamit fie ihm über den Zus 
fand des Forts Bericht erftatteten. Zu einer Zeit, wo jebe gewonnene 
Stunde von Wichtigfeit war, mußte died wenigftend den Bortheil 
haben, daß man dadurd Zeit gewann. Auch fchidte er eine Bot- 
ſchaft nach Sizilien, um dem Vicefönige fein langes Saͤumen vors 
zubalten und demſelben dringend vorzuftellen, daß er, wenn er 
das Schloß gerettet wiffen wollte, unverzüglich zu Hülfe kommen 
müßte. 

Die Kommiffäre wurden von den widerfpenftigen Rittern freudig 
aufgenommen. Die’ letzteren waren in ber That fo fehr für ihre Abs 


Die Belagerung von Maltha. 181 


reife eingenommen, daß fle bereits die Gefchofle in die Brunnen zu 
werfen begannen, bamit biefelben nicht dem Türfen in die Hände fallen 
foßlten. Gifrig zeigten fie den Kommiffären die ſaͤmmtlichen Werke, 
teren beichäbigter Zuftand allerdings ftärfer ald das Murren der Gar⸗ 
nifon ſprach. Zwei Kommiffionsmitglieder traten der Meinung ver 
mißvergnügten Partei bet und erflärten, das Hort fei nicht länger 


haltbar. Allein das dritte, ein italienifcher Kavalier, Namens 6a 


Rriot, dachte andere. Er gab wohl zu, daß die Befeftigungawerfe 


fi in einem üblen Zuftande befänden; allein er behauptete, daß das 


noch lange fein Zuftand zum Verzweifeln ſei. Mit frifchen Truppen 
und aus der Stadt bezogenen Materialien Fönnten fie fo hergeſtellt 
werden, daß fie noch ehvad länger aushielten. Indem er biefe 
Meinung im Widerſpruch zu dem Anliegen der Ritter ungefcheut aus⸗ 
ſprach, verletzte er ihr Ehrgefühl. Es entſpann fich zwifchen beiden 
Theilen ein heftiger Etreit, aus welchem vieleicht üble Folgen ents 
fprungen wären, hätten nicht der Kommandant de Broglio und der 
Boqt von Negropont, um dem Tumulte Einhalt zu thun, die Sturm⸗ 
gloden läuten und dadurch einen. jeden Ritter auf feinen Poften rufen 
laffen. 


Bei der Rüdkunft ftattete de Broglio dem Großmeifter einen aͤhn⸗ 


lich lautenden Bericht ab und machte ihm das kühne Anerbieten, daß 
er durch die That beweiſen wollte, was er ſagte. Wofern La Balette 
ihm nur erlauben würde, Truppen aufzubringen, wollte er mit diefen 
binüber nad St. Elmo fahren und bort die Werfe in einen jolchen 
Zuftand ſetzen, taß diefelben fich noch länger gegen die Türfen halten 
könnten. 

La Balette ging gern auf diefen Vorfchlag, den er vielleicht ſelbſt 
an die Hand gegeben hatte, ein. Um Solvaten für das Unternehmen 
zu erhalten, konnte man freilich bei einer fo gefährlichen Sache feinen 
Zwang anwenden. Über es kamen raſch Ritter, Soldaten und Eins 
wohner fowohl aus der Stadt wie vom Lande, um fich als Kreiwillige 
anzubieten. Die einzige Schwierigfeit beftand nur darin, tag man 
nidt Alle nehmen konnte, fondern aus ihnen berauswänlen mußte. 
Denn Alle irebten nach dem Ruhme, fidy in dieſe Heine Helt enſchaar 
einreihen zu laſſen. | 


189 Neuntes Kapitel. 


La Baletie war über die Kundgebung vieferieblen Denkweiſe feiner: 
Untergebenen ſehr erfreut, well diefelbe mehr Erfolg verfprady, als er 
von freinder Hülfe endeten koönnte. Er ſchrieb fogleich an die miß⸗ 
vergnügten Ritter in St. Elmo und benachrichtigle ſie von dem Ge⸗ 
ſchehenen. Ihre Bitte'fei aun erhört, Re foltten noch denſelben Abend 
erloͤſt werden. Sie Hätten ihre Poſten blos ihren Nuchfolgern zu übers 
geben. „Kehrt nach dem Kloſter zurück, meine Brüder,“ ſchloß er. 
„Dort werdet Ihr vor der Hand ſicher ſein. Ich aber werde weniger 
für da® Geſchick der Feſtung, von welcher die Erhaltung deſer Inſel 
ſo ſehr abhaͤngt, zu befürchten haben.“ 

Die Ritter, welche einige Cunde von der Wendung, welche die 
Sache in Il Borgo nahm , erhalten hatten, geriethen dadurch fehr 
außer Faſſung. Das Ueberlafien des ihrer Obhut anvertrauten Pos 
ftend an Andere war eine Schande, welche fie nicht ertragen konnten. 
Ald der Brief des Großmeiſters anfam, flieg ihr Aerger -aufs 
Aeußerſte; auch wurde derfelbe nicht durch die falte, fchneidende Verach⸗ 
tung , die unter dem bünnen Schleier der Befümmerniß für ihre per- 
fönliche Sicherheit hersorblicte, gemindert. Sie flehten deu Vogt von 
Regropont an, in ihrem Namen an La Valeite zu fchreiben und ihn 
zu bitten, daß er fie feiner foldhen Schande audfegen möge. Eie ers 
flärten, daß fie ihre Handlungsweiſe bereuten, und baten blos, es 
möge ihnen Gelegenheit gegeben werben, daß fie durch Beweiſe ihrer 
Hingabe an die Sache ihre früheren Srrthüner wieder gut machen 
fönnten. 

Der Brief wurde durch einen Schwimmer über den Hafen ges. 
bracht. Aber der Großmeifler antwortete Falt, daß ihm rohe Refruten. 
mit Disciplin lieber wären, als ungehorfame Beteranen. Die Nieder⸗ 
geſchlagenheit der Ritter über diefe abfchlägige Antwort war unauss 
fpreblih. Denn in ihren Augen war die Schande fchlimmer als ter 
Tod. Sie wandten fi daher in dieſer Außerfien Berlegenheit noch⸗ 
mals an La Valette, indem fie von Reuem ihre Reue über das Vers 
gangene bethenerten und ihn, in ten demüthigften Ausbrüden um ers 
zeihung baten. Der Meijter fühlte, daß er die Eadye nun weit genug 
getrieben hatte. Vielleicht war das das Ziel, bis wohin er fie bringen 
wollte. Es wäre nicht wohlgethan gewefen, hätte cr jeine-UÜntergebenen 


Die Belagerung von Maliha. 183 


zur Berzweiflung getrieben. ‚Er. tab ein, daß er ihnen jegt trauen 
konnte. Demnad entließ vr bie neuen Truppen und behielt vom dieſen 
tapferen Leuten nur -tinen Theil, um-die Garniſon zu verſtaͤrken, zurüd. 
Rit-benfelben fanbte er Munitiondworräthe und Materialien zur Aus 
beflerung der zerichoftenen Werke nach dem Schloffe. :: . 

Mittlerweile rieb der türfifche Oberbefehlshaber die Belagerung 
kraͤftig vorwärts. :Zag und Nacht hindurch donnerten bie Batterien: auf 
vie Bälle. der auserichenen Feſtung. Der: Graben war mit Stüden,“ 
weiche der Eifenhagel von den Mauern Tosgerifien hatte, beftreut, 
und’ ein Haffender. Riß auf der ſfüdweſtlichen Seite des Schloſſes, ber 
fich allmaͤlig erweiterte, zeigte, daß endlich eine benupbare Brefche zu 
Stande gebracht war. . Die ungewöhnliche Lebhaftigkeit, womit ben 
ganzen funfzchnten Juni.die Kanonen fchoffen, und ber faljche Marm, 
durch welchen in der folgenden Nacht die Garniſon ermüdet wurde, 
leiteten zu dem Glauben, daß ein allgemeiner Sturm unmittelbar bes 
vorfiehe. Dieſe Borausfegung mar. richtig. ALS es am ſechszehnten 
Juni früh Tag wurde, fand bie: ganze belagernde Armee unter 
Waffen. Das Abfeuem ziner Kanone follte als Signal dienen. 
Kaum war der Echuß gefallen, ald-ein zahlreicher Haufen Janitſcha⸗ 
zen eine Kolonne bildete und geſchwind vorrüdte, am die große Vreſche 
des Schloffes zu erſtürmen. 

Umerdeſſen hatte die ottomanniſche Flotte ihren Anferplap auf 

der oͤſtlichen Seite der Inſel verlafin und. war vor die Mündung des 
Großen Hafens herumgeſegelt, von wo aus ihre ſchweren Geichüße 
auf die Seefrite von St. Elmo gerichtet wurden. Die auf dem Plape 
Dragut ſtehende Batterie deſchoß die Feſtung auf bei weſtlichen Flanke, 
wäheend vier tauſend Musketiere in den Schanzen bir Brefche durch 
ihren Rugelregen fäuberten und diejenigen von der Garniſon, welche 
ihre :Röpfe über die Bruſtwehr herausſteckten, wegpugten. 

Die. Kanonen der Belagerien waren unterdeſſen nicht müßig. 
Ginesaheild antiwonteten fie der Ranonade der Schiffe und andern, 
theils ſpielte nach ter Lunpfeite gi ein ununterbrochenes Artillerie» und 
Muöferenfeuer. Die Belagerten richteten jept ihre Kugeln ſaͤmmtlich 
auf den fürchterlichen Janitfcharenhaufen, weldyer, wie bereitd bemerkt, 
zum- Sturm herangesilt kam. Die leitenden Kolonnen wurben nieder 











184. Sürtusitn Kapitel. 


gemäht und bie Fanbe derſelben durch die nicht ganz eime Katbe Wire 
weit entfernten Kanonen von Et. Angels graufam zerfleiſcht. Aber 
wenngleich Die Janitſcharen durch diefed doppelte euer in ber Fronte 
und Flanke beunruhigt wurben , wurden fie doch nicht auf ihrem Wege 
aufgehalten, ja nicht einmal in Unordnung gebracht. Unbekuͤmmert 
wm bie Fallenden, faın die dunfle Kolonne unaufhaltfam gleich einer 
Donnerwolte heran, während dad Geſtoͤhn der Sterbenden durch da® 
laute Kriegögeichrei ihrer zum Sturme rilenden Kameraden übertäubt 
wurde. Der mit den Ruinen ber Wälle angehäufte Graben bildete für bie 
Starmläufer eine Brüde ; fie bedurften alfo der Faſchinen nicht, wor 
mit ihre Pioniere Die Bertiefung auszufüllen bereit itanpen. “Der 
Weg zur Brefche war jedoch etwas ſteil, und dieſe ſelbſt wurde von 
einer Anzahl Ritter umd Soldaten vertheibigt, -bie ihre Kugeln gleich 
einem dichten Hagel auf die Scarmenden hinabſandten. Dennoch 
brangen biefe durch den Kugelregen vorwärts, und nach einem wils 
den Kampfe befand ſich bie vorkerfte Reihe auf ber Höhe im Angefichte 
des Feindes. Allein die Kraft der Türken war durch die Anftrengung 
beinahe erichöpft , und fie wurben von den friich in ten Kampf kom⸗ 
menden Chriſten zufammengehauen.. Indeß wurden tie Fallenden 
durch neu Hinzukommende erfept, bis die an Zahl übertroffenen Rit- 
ter zu weichen begannen und die Kräfte ſich in gleicherem Berhäftmiß 
vertheilten. Alsdann fampfte Mann gegen Mann, wobei beide Theile 
. von ber Wuth religiöfen Hafied getrieben wurten, intem fowohl vie 
Shriken wie die Moslems das Paradies als Belobnung wer im 
Kampfe gegen tie Ungläubigen Fallenden anfahen. Ban verlangte 
feine Gnade, man erwied feine. Lang und bart war der Kampf 
zwifchen der Blüthe der moslemitifchen Krieger und den beſten Rittern 
der Ebriftenheit. In der Hige des Gefechtes pflanzte ein fedfer Tünfe 
feine EStantarte auf den Wal. Allein fie murde eilemde von dem 
Kavalier de Mebran herabgerifien. Derfelbe bieb den Muſelmann in 
Stüde, erhielt aber in dem nämlichen: Augenblide einen töttlichen 
Flintenſchuß.ꝰ) Indem der Kampf weit in den Tag hinein dauerte, 


— — — ⸗ 


*) Die Ueberteſte Medran's wurden hinüber nach N Borgo gebracht, mo La 
Balene Re aus Hochachtung vor dem Andenken deſſelben neben Diejenigen der Groß⸗ 


Die Belaterung von Meltba. 188; 


entſtand eine heftige Hipe,, welche die Mũhe ter Kämpfenden arg ers 
hoͤhte. Doch ließ Feine von beiden Parteien in ihren Anftrengungen- 
wach. Die Türken, obfchen mehrmals zurüdgefchlagen, fehrten immer 
wieder mit dem nämlihen Muthe, wie zuvor, zum Sturm zurüd. 
Wenn Säbel und Damascener gebrochen waren, rüdten ſich bie 
Kömpfenden mit den Dolchen auf den Leib und follerten, im tödtlichen 
Kampfe mit einander begriffen, den Abhang bei der Brefche hinunter. 

Während der Tod in biefer Gegend feine Arbeit verrichtete, ges 
ſchah in einer anderen ein kräftiger Verfuch, die Feſtung zu erklimmen. 
Ein Haufe Türken nämficd) drang in den Graben hinein, lehnte bie 
Leitern an die. Mauern und verfuchte, indem er von ben hinterdrein, 
folgenden Kameraden vorwärts gedrängt wurde, unter dem vernich 
tenden Gewehrfeuer der Garniſon ſich gewaltſam emporzuarbeiten. 
Felsfüde , Holzklöge und ſchwere eiferne Geſchoſſe wurden über die 
Bruftwehr hinabgerollt. Dazwiſchen flogen brennbare Stoffe und 
Handgranaten, weldye leßtere, indem fie beim Herabfallen zerplagten, 
die Leitern zertrümmerten und bie verftünmelten Körper der Etür- 
menden hinunter auf den felfigen Boten bed Grabens fchleuterten. 
Bei diefem Kampfe erwies fidy eine Erfindung als von befonderem 
Augen für die Belagerten. Cie wurde von La Balette für dicielben 
gemacht. ie beftand aus einem eifernen Reifen, umwunden mit 
Tuch, daB mit Salpeter und pecyartigen Eubflanzen getränft war. 
Eobald man taffelbe anzüntete, war es nicht mehr zu föfchen. In⸗ 
dem dieſe Reifen auf die Etürmenden binabgeworfen wurden, fchlofien 
fe dieſelben im ihren feurigen Kreiien ein. Bisweilen wurden auf 
dieje Weife zwei zu gleicher Zeit in einem und demfelben Reife einges 
ſchloſſen. Da nun die lofen Kleider der Türken fehr leicht in Brand 
gerietben, waren die Betroffenen fchnell in eine fladernde Flaimme eins 
gehuͤllt, Die fie arg verbrannte, wo nicht töbtete.*) Diefe ſo eins 





freuge legen ließ. — „El gran Maesire in mondo enterrar en uns sepultura, adonde se 
entierran los cavalleron de la gran Cruz, porque esta era ia mayor honra, que 
en tal tiirmpo le podia hazar, y el iuy bien la merecia.“ Bulbi, Verdadera Re- 
hcion. 

*) Bertot nimmt dieſe Eründung für den La Baletıe in Anſpruch. Balbi da: 
gegen fehreibt fie einem Drdensbruder, Namens Ramon Fortunii. zu. 


108 Mrumtes Rapibrl. 


falle und — wie man heutzutage’ denken mag — fo rohe Erfiudung 
erwies ich durch ihre Wirkungen ſo verderblich, daß bie Türken 
ie wmebe ale irgend ein anderes Brennmaterial .ber . Belagerien 

Auf der anderen Seite des Schlofled machte man einen aͤhnlichen 
Verfuch, die Mauern zu erfleigen. Er wurde jedoch durch ein wohl⸗ 
geziette® Feuer der Kanonen von St. Angelo ereitelt. Biete ſchoffen 
fo genau, daß fie die meiften Stürmenden vernichteten ımd den Reſt 
zum Aufgeben des Planes zwangen.“) Wirklich unterhielt vie Ar 
tillerie von St. Angelo, St. Michael und Il Borgo während des 
ganzen Sturmes ein fo verderbliches euer auf die außgefepte Flanke 
und den Rüden des Feindes, daß feine Bewegungen beteutend gehin⸗ 
dert und dadurch den Belagerten gute Dienfte erwiefen wurben. 


So tobte denn die Echlacht längs des Waſſers und auf dein Lande. 
Der ganze Umkreie des großen Hafens war mit Zeuer befept. Ein 
Geidſe ſchrecklichen Laͤrmes ftieg in die Luft auf: der Donner der Ka⸗ 
nonen, das Gepraffel des Gewehrfeuers, dad Gezifch der feurigen 
Geſchoſſe, das Krachen des einfallenden Mauerwerk, das Geftöhn 
der Sterbenden , vor Allem aber das wilde Gefchrei derjenigen, die 
mit einander um den Sieg fämpften! Um das Getümnel noch zu 
Reigern,, fiel in der Hige des Gefechts ein Funken in das Brennftoffe 
magazin der Feſtung und fprengte daſſelbe mit einem fo ſchrecklichen 
Krachen In die Luft, daß dadurch jeder andere Lärm tibertäubt wurde 
und für einen Augenblid der Kampf ftille ftand. Eine Raudy- und 
Dampfmwolfe flieg in die Luft und hing wie ein ſchwarzes Himmelszeft 
dicht oben über St. Elmo. Es war ald ob plotzlich aus den frieds 
lichen Gewäflern des Mittelländifchen Meeres fich ein Bulfan entladen, 
feine Maflen von Feuer und Rauch audgefpieen und die Infel bis in 
dad Innerfte erfchüttert hätte! 


°*) Der erfie Schuß war nicht fo gfüdlich, intem er acht von den eigenen Leuten 

tödtete! — „Mas el artillero, o fuesse la prissa , o fuesse la turbacion que en se- 

mejantes casos suele sobre venir en los hombres el se tuvo mas a mano drecha, 

ausmo deviera, pues de aydel tiro mato ochu de los nuestros que defendina aquella 
hi, Verdadera Relucion, - ' a 


Die Belagerung von Malıba. 18m 


Der Kampf hatte ſchon mehrere Stunden gedauert; aber noch 
immer hielt die Meine Schaar hriftlicher Krieger gegen die fo uͤberwäͤl⸗ 
tigende Heberzahl wacker Stand. Die Sonwe war jetzt doch am 
Hmmel'aufgekitgen und Ihre Strahlen ſielen ſo heiß ‚herab auf: Pie 
Hänpter der Stürmenden, daß ber Ungeftüm derſelben wachzuiafien 
begann. Am Ende konnten die Janitſcharen, erfchöpft'von ber Hitze 
und von übermäßiger Anſtrengung, und vielfach an Wunden leidend, 
nur noch mit Mühe zum Angriff zurüdgefühnt werden, Muſtapha 
fah alfo zu feinem Aerger, daß St. Elmo dieſen Tag noch nicht: ger 
nommen werden Tonnte. Bald nad) der Mittagoſtunde gab er das 
Signal zum Rüdzug.. Gleichwie der Tiger, dem bie erſehnte Beute 
entgangen iſt, fid wor dem Speere des Jägers zurlid in fein Schilf⸗ 
rohr fluͤchtet, fo zogen ich die Schaaren Moolems unter dem verderb⸗ 

lichen Feuer der Gamifon zurüd und warfen ſich in duͤſterem Schweigen 
wieder hinter ihre Schanzen. 

Als fi die Türken zurüdgogen, erhob die Beſatzung von St. 
Elmo ein Siegesgefhrei, das über das Wafler fchalite und fomohl 
von St. Angelo wie von der Stadt freudig beantwortet wurde. Ras 
mentlich hatten die Einwohner der Stadt den Berlauf des Kampfes, 
von deſſen Ausgange ihr eigenes Schidfal fo ſehr abhing, mit ger 
fpanntem Interefſe überwadht. 

Die Zahl der bei dem Sturme gefallenen Moslems läßt fi blos 
muthmaßlich veranfchlagen. Allein fie muß ſehr groß geweſen fein. 
Diejmige der Barnifon wird auf dreihundert angegeben. Unter den 
Gefallenen gab es flebzehn Orbensritter. Aber man hatte bemerft, 
daß den ganzen Tag fiber der gemeine Soldat feine Pflicht eben fo 
männlich erfällte, wie der befte Ritter, an defien Seite er focht. Rur 
wenige, wenn irgendwelche, von den Ueberledenden waren ohne Wum⸗ 
den davongefonimen. Die Schwervetwundeten wurben ſogleich nad) 
der Siadt gefchafft, und eine gleiche Anzahl friſcher Truppen kam 
von da zurüd, um fie zu erfepen. Mit diefen fam noch "Bor, 
rat an Munition und Materialien zum beſtmoͤglichen Audbeſſern der 
befchädigten Werke. Unter denen, welche am meillen von ihren 
Wunden zu leiden hatten, war der Vogt von Regropont. Er wollte 
fi durchaus nicht in bie Stadt fortfchaffen laſſen, und alo ihn 


1986 Neuates Rayitd. 


fache und — wie man: hartzutage’ benten mag — fo rehe Erſindung 
etwies ſich durch ihre Wirkungen ſo verderblich, daß die Türken 
ſie mehr als irgend ein anderes Bromematerial ‚ber. Belagerien 
fürchteten. 

* Auf der anderen Eeite bes s Shoe machte man eimn-hntiten 
Verſuch, die Mauern zu erfleigen. Er wurde jedoch durch ein wohl⸗ 
gezieltes Heuer der Kanonen von St. Angelo vereitelt. Biete ſchoſſen 
ſo genau, daß fie die meiften Stürmenden vernichteten und den Reft 
zum Aufgeben des Planes zwangen.) Wirklich unterhielt die Ars 
tillerie von St. Angelo, St. Michael und Il Borgo während des 
ganzen Sturmes ein fo verderbliche® Feuer auf die ausgeſetzte Flanke 
und den Rüden des Feindes, daß feine Bewegungen bebeutend gebin- 
dert inid Dadurch den Belagerten gute Dienfte erwiefen wurden. 


Su tobte denn die Schlacht längs des Waſſers und auf dein Lande. 
Der ganze Umfreie des großen Hafens war mit Feuer befept. Ein 
Getoͤſe ſchrecklichen Larmes ftieg in die Luft auf: der Donner der Ka⸗ 
nonen, das ©epraflel des Gewehrfeuers, dad Geziſch der feurigen 
Geſchoſſe, das Krachen des einfallenden Mauerwerfs, das Geftöhn 
der Sterbenden , vor Allen aber das wilde Geſchrei derjenigen, die 
mit einander um den Sieg Fämpften! Um ba® Getümmel noch zu 
fteigern , fiel in der Hige des Gefechts ein Zunfen in das Brennftoffs 
magazin der Feſtung und fprengte daffelbe mit einem fo fchredlichen 
Krachen in die Luft, daß dadurch jeder andere Lärm uͤdertäubt wurde 
und für einen Augenblid der Kampf ftille fand. Eine Rauch» und 
Dampfwolfe ftieg in die Luft und hing wie ein ſchwarzes Himmeldzeft 
dicht oben über St. Elmo. Es war als ob plöplid aus den fried⸗ 
lichen Gewäffern des Mittelländifchen Meeres fich ein Bulfan entladen, 
feine Maſſen von Feuer und Rauch audgefpieen und die Infel bie in 
das Innerſte erfchüttert hätte! 





— — — — — * 


9 Der erſte Schuß war nicht fo gluͤcklich, indem er acht von den eigenen Leuten 
tödtete! — „Mas el artillero, o fuesse la prissa, o fuesse ls tarbacion que en se- 
mejantes casos suele sobre venir en los hombres el se tuvo mas a mano drecha, 
que no deviera, pues de aydel liro mato ocho de tos nuestros que unfendine aquella 
puste.“ Balti, Verdadera Relscion. - 


Die Belagerung von Malıba. 1011 


Der Kampf hatte ſchon mehrere Stunden /gedauert; aber noch 
immer hielt die Meine Schaar chriſtlicher Krieger gegen die fo uͤberwäl⸗ 
tigende Ueberzahl wacker Stand. Die Sonne war jetzt hoch am 
Himmel aufoſtiegen und ihre Strahlen fielen ſo heiß herab auf die 
Hänpter der Stürmenden, daß der Ungeſtüm derſelben nachzulaſſen 
begann. Am Ende konnten die Janitfcharem, erſchöpft von ber Hitze 
und von übermäßiger Anftrengung, und vielfach an Wunden leidend, 
nur noch mit Mühe zum Angriff zurüdgeführt werben, Muſtapha 
ſah alfo zu feinem Aerger, daß St. Elmo diefen Tag nody nicht ges 
nommen werden konnte. Bald nady der Mittagbftunbe gab er bad 
Signal zum Rückzug. Gleichwie ber Tiger, dem bie erſehnmte Beute 
entgangen iſt, fi wor dem Speere des Jägers zurld in fein Schilf⸗ 
rohr flüchten, fo zogen fi die Schaaren Moslems unter dem verderb⸗ 
lichen Feuer der Barnifon zurüd und warfen fich in büßerem Schweigen 
wieder hinter ihre Schanzen. 

Als fi die Türken zurüdgogen, erhob bie Beſatzung von St. 
Emo ein Siegeögefehrei, das über das Waſſer ſchallte und ſowohl 
von St. Angelo wie von der Stadt freudig beantwortet wurde. Na⸗ 
mentlich hatten die Einwohner der Stadt den Verlauf des Kampfes, 
von deſſen Ausgange ihr eigenes Schichſal ſo ſehr abhing, mit ge⸗ 
fpanntem Intereſſe überwadht. 

Die Zahl der bei dem Sturme gefallenen Moslems läßt ſich blos 
muthmaßlich veranfchlagen. Allein fie muß ſehr groß geweſen fein. 
Diejenige der Gamifon wird auf dreihundert angegeben. Unter den 
Gefallenen gad es fiebzehn Orbensritter. Aber man hatte bemerft, 
daß den ganzen Tag über der gemeine Soldat feine Pflicht eben fo 
männlich erfüllte, wie der befte Ritter, an defien Seite er foht. Rur 
wenige, wenn irgendwelche, von den Ueberlebenden waren ohne Wun⸗ 
den davongekommen. Die Schwervetwundeten wurden ſogleich nad) 
der Etadı geichafft, und eine gleiche "Anzahl friſcher Truppen kam 
von da zuräd, um fie zu erfegen. Mit dieſen fam noch Bors 
rath an Munition und Materialien zum beſtmoͤglichen Auobeſſern ber 
befyädigten Werke. Unter denen, welche am meiften von ihren 
Wunden zu leiden hatten, war der Bogt von Regropent. Er wollte 
fi durchaus nicht in die Stadt fortfchaffen laffen, und als ibn 


188 Neuntes Kapitel. 


Ya Batette draͤngte, daB er fh durch einen Erſatzmann abloͤſen laffen 
ſolle, antwortete ber Beteran, daß er dad Kommando gern einem an 
feiner Stelle Ernammten übergäbe, aber. er hoffte, daß ihm erlaubt fein 
würde, ia St. Elmo zu bleiben und ben legten Biutätropfen für bie 
Bersheidigung des Glaubens zu vergießen. . 

Eine gleiche heldenmuͤthige Geſinnung offenbarte ſich in dem 
Eifer, womit ſich die Ritter und ſogar die maltheflichen Soldaten 
herzudrängten, um bie Stelle der in der Feſtung Gefallenen zu er- 
ſegen. Es war jetzt nicht blos ein gefährlicher Voften-, fontern, wie 
man ihn mit Wahrheit nennen konnte, der Poſten des Todes. Den⸗ 
noch bewarben ſich dieſe tapferen Maͤnner um ihn fo eifrig wie um 
die Palme des Nuhmes, und La Valette mußte zwoͤlf Ritter aus der 
Sprache Italiens blos deßhalb zurüdwelien, weil die Zahl der Bars 
niſon ſchon voll war. 

Der einzige nody übrige Hoffnungsſtrahl war bie von Sizilien 
erwartete Hülfe. Allein der Vicefönig, weit entfernt, ſich au beeilen, 
ſchien vielmehr die Rolle des Matader in den ſpaniſchen Stiergefechten 
fpielen zu wollen. Denn er ließ die fechtenden Theile ſich erft in ber 
Arena durch den Kampf abmüden , um dann zu erfcheinen und Durch 
einen einzigen Echwerthieb Bad Gefecht zu eriticheiden. 

Doch hatte St. Elmo noch Ausſicht, feine Exiſtenz verlängern 
zu können, fo lange man bie Berbindung mit Et. Angelo und ber 
Stadt erhalten fonnte , weil hierdurch. die nadhlaffende Kraft der Gars 
niſon fortwährend durch das neue in ihre Lebendadern eingegoflene 
Blut verjüngt wurde. Am Ende fah der türfifche Oberbefehlshaber 
ein, daß, wenn er die Belageruug zu Ende bringen wollte, dieſe Ver⸗ 
bindung abgeichnitten werden mußte. Es wäre gut für Ihn geweien, 
hätte er dieſe Entſcheidung ſchon früher gefaßt. 

Nach der Anfiht Dragut's mußte man bie Cernirung des Schlofſes 
dadurch vervollſtaͤndigen, daß man die Schunzlinien bis an den großen 
Hafen ausvehnte. Bon dort fonnte eine Batterie mit fchmerem Ges 
ſchuͤz den Landungsplatz beberrichen. Während der mauriſche Feld⸗ 
herr dieſe Arbeiten leitete, wurde er durch einen Felſenſplitter, den 
eine herabfallende Kanonenkugel losrieß, am Kopfe verwundet. Er 
fiel bewußtlos in dem Echamzen. nieder. Nachdem Muſtapha dem ges 


Die Belagerung von Maltha. 189 


faltenen Kührer einen Mantel hatte äberwerfen laften,, ließ er ihn in 
‚fein Zelt tragen. Die Bunde war todilich, und obſchon Dragut noch 
den Full Er. Elmo's erlebte, ſcheint er -voch nicht im Stande geweſen 
zu fein, die Belagerung durch feine Ratbfchläge zu fördern. Die Ein» 
buße dieſes fähigen Kriegers war ‚ber haͤrieſte Sching, der Bie Belas 
gerer treffen Fonnte. 

Während tie erwähnten Schanzarbeiten im Foriſchritt begriffen 
waren, unterhielt der Feind auch ein unabläfftges Feuer gegen die 
wanfenden Wälle. Dieſes war von falfchen Alarmirungen und von 
NRachtangriffen begleitet. Wenn aledann die feurigen Geſchoſſe durch 
die Luft fuhren, hellten fie für einen Auyenblid das unten befindliche 
Waſſer auf, ſodaß man die ſchwarzen Uniriffe von St. Elmo in zu 
Grunde gerichteter Majeftät oben über der Scene der Vernichtung em⸗ 
porragen fah. In der Dunkelheit der Nacht bedienten fih bie Artif- 
teriften von St. Angelo beim Richten der Kanonen des Lichtes, welches 
ihnen das feindliche Feuer lieferte. Obſchon dieje Angriffe der Türfen 
mit großem Verluſte an Menichen verbunden waren, geichahen fie boch 
weniger, um dad Fort zu nehmen, als vielmehr, um die Kräfte der 
Barnijon zu erfchöpfen. Die leptere war in der That In einer trauri⸗ 
gen Lage. Denn während fie den Tag über focht und die ganze 
Nacht hindurch die Zerftörungen in den Werfen ausbeflerte, vermochte 
fie weder zu raften, noch fonnte fie die noͤthige Speife zur Stärkung 
der erichöpften ®lieder einnehmen. Hierzu gefellte ſich noch eine 
größere Berftimmung , weil man fah, wie fidy die eifernen Banden 
immer enger herumgzogen, um alle Verbindung mit den Freunden für 
immer abzufchneiden. 

Den achtzehnten Juni war die Einichließungsarbeit beendet. Am 
Außerften Ende der Linien befand fich eine Neboute, um und auf ihr 
fanden zwei Kanonen, weldye zufammen mit dem Musfetenfeuer aus 
den Schanzen den Landungsplatz fAaubern und wirffam das Abenden 
frifcher Unterftügung von der anderen Eeite ded Hafens verhindern 
fonnıen. Indem aljo die Garnijon fich felbft überlaflen blieb, waren 
nun ihre Tage gezählt. 

La Valette, der diefe Operationen des Feindes genau beobachtete, 
harte Alles, was er vermochte, gethan, um diefelben zu verzögern. 


490 Neunies Repitel. 


Mnaufhoͤrlich hatte en auf ‚die Arbeiter ſchießen laſſen, in der, Hoffnung, 
Daß er fie werde aus wen Schengen verirciben Tonnen. Als nun bie 
Arbeiten fertig waren ,.. erfüllte ſich feine Seele mit Angſt, und fein 
edfed Antlig ,. weiched gewöhnlich cin melancholiſches Ausichen hatte, 
zeigte jetzt, wo er feine tapferen. Kameraden ihrem Geſchick überlafien 
mußte, noch einen tiefen Ausdruck von Traurigkeit. 

Den zmangigften des Monats war der Feſttag Corpus Christi. 
Dieſer war in glüdlicdyeren Tagen von den Kreuzrittern geavöhnlich mit 
großem Gepränge gefeiert worden. Sie unterließen felbft jetzt nicht, 
ben Tag zu begehen. . Den Großmeifter an ter E pipe , bildete man 
eine Brozeifion. Die Ritter waren in ihre ſchwarzen, mit dem weißen 
Kreuz von Maltha beftidten Gewänder gekleidet. -Die ganze Orts be⸗ 
völferung, Männer , Frauen und Kinder, folgte ihnen, Sie machten 
die Runde um die Stadt und ſchlugen dubei einen Weg ein, ‚welcher 
fie am wenigften den feindlichen Yeuer ausſetzte. Als fie die Kirche 
erreichten, warfen fie fidh zu Boden und flehten ben Herrn ter Heer⸗ 
fhaaren an, daß er ſich ihrer in ihrer Betrübniß erbarınen und feinen 
Feinden nicht erlauben ınöge , über die treuen Kämpfer ded Kreuzes zu 
triumphiren. ° Die Beierlichfeit wurde durch den Ernft ihrer Lage, vor 
Allen aber dur dad Geſchick ihrer tapferen Genoſſen in St. Elmo 
noch erhöht. | 

Während ded ganzen einundzwanzigften Juni feuerten die Bes 

lagerer mit foldyer außergewöhnlichen Heftigfeit, daß ſie an einigen 
Stellen bie abbrödelnde Mauer bis auf den nadten Felſen, worauf fie 
fand, niederfchoffen. Ihre Pioniere, die zu dem Zwede Laſten 
Reifigholz zufammengebradht hatten, füllten den Graben ‚mit Fa⸗ 
ſchinen an. ie bebedten felbige mit naffer Erde, was verhinderte, 
daß fie von ter Garniſon in Brand geflect wurden. Die ganze fols 
gende Nacht hindurch wurden die Soldaten durdy eine Reihe Schein» 
alarmirungen auf den Beinen gehalten. Dies Alles deutete auf einen 
allgemeinen Sturm bin. Derfelbe kam den nächkten Tag. 

Mit den erfien Strahlen des Morgens waren bie türfiichen Trup⸗ 
pen in Bewegung. Sie ergofien fid) bald über den Graben, welcher, 
ba er ausgefüllt war, Fein Hinberniß darbot. Einige warfen fich ſo⸗ 
dann in die Brefche. Dort fanden die Ritter mit ihren Zeuten, um 


Die Belagerung von Maltha. 491 


fie. zu empfangen. «Anbeve fuchten die Walle zu erfieigen, wurden 
aber durch Schauer won Wefcheften zurüdgetrieben., Das: Gervehr: 
feuer. war chwach, daın die Munition fing an auszugehen. Über 
überalk fließen die: Stürmenden..auf- den naͤmlichen unbezwinglichen 
Muth, wie: zuvor. Es ſchien, als ob die durch ihre außerordentlichen 
Strapazen erfchöpften Bertheidiger von St. Emo ihre Stärfe wie 
durch ein Wunder zurüderhalten hätten. Dreimal fehrte der Feind 
zum Sturme zurüd und dreimal wurde er zurüegefchlagen. Das Ges 
megel war fürdpterlih. Der Ehrift und Mufelmann rangen wild mit 
einander, bis auf den Ruinen, worauf fie fochten, Haufen von Ers 
ſchlagenen lagen. 

Der Kampf batte nichrere Stunden gewährt. - Muftapha war 
über den Widerſtand, den ihm eine Handvoll Krieger entgegenitellte, 
erftaunt. Er ſah ein, daß er, wenn er das Leben feiner Leute nicht 
länger aufopfern wollte, bie Beſitznahme des Platzes noch einen Tag 
verichieben mußte. Da feine Feinde durch den jet erhaltenen Schlag 
betäubt fein mußten, fo hätten fie, um noch einen Sturm auszuhalten, 
übernatürlicye Kräfte befigen ntüflen. Deßhalb gab er nochmals das 
Signal zum Rückzuge und wiederum erhoben die Sieger ein Gefchrei 
— ein ſchwaches Triumphgefchrei. Auch verfündete das von ben 
Waͤllen wehente Banner des Ordens, daß St. Elmo noch in ben 
Hänten der Ehriften war. Es war der legte Triumph der Garniſon. 

Dieſelbe war in der That in die äußerfte Noth gerathen. Ihre 
Munition war ziemlich zu Ende, die Waffen waren zerhadt und zer⸗ 
brochen; die Vertheidigungswerfe klafften von Breſchen gleich einem 
vom Winde hin» und hergeiworfenen Schiffe, welches dad Wafler zu 
allen Fugen hereinläßt und jeden Augenblick untergehen will; die wer 
nigen Üeberlebenden waren mit Wunden bededt, und viele von ihnen 
fo übel zugerichtet, daß fie faum den fchwmachgewordenen Körper länge 
ber Wälle hinfchleppen konnten. Noch ein Angriff, und die Scene 
mußte geichloflen fein. - 

In diefem bejammernswerthen Zuftande befchlofien die Belager- 
ten zu verfuchen,, ob fie nidyt mit ihren Freunden ienfeit6 des Hafend 
verfehren und denſelben ihre Lage berichten fönnten. Die Entfernung 
war nicht groß, und unter ben Malthefern gab ed viele ausgezeichnete 


192 Neuntes Rupikel. 


Schwimmer, welde, ta fie-von Jugend auf an das Meer gewöhnt 
waren, fiy in temielden wie in ihrem Lebenselemente bewegten. Eimer 
von denſelden erbor fi, dem Großmeiſter die Mittheitung zu über- 
bringen. Indem er untertaudite und lange unter dem Waſſer fort- 
ſchwamm, entging er glädlich den Kugeln ber Feinde und landete im⸗ 
verſehrt am entgegengeleßten Ufer. 


Obſchon La Valette fehr von feiner Erzählung ergriffen wurde, 
war er doch nicht Tarüber erftaunt. Wie die Übrigen Ritter, hatte er 
mit angeftrengtem Blick den Verlauf des Gefechtes beobachtet. Wenns 
gleich er fich wunderte, daß trog de8 großen Mißverhältnifſes der Sieg 
den Ehriften verblieben war, fo wußte er auch, wie theuer Derfelbe ers 
fauft worden fein mußte. Wiewohl er nicht auf den Erfolg baute, 
machte er doch wenigftens einen Verſuch, ihnen zu helfen. Er ließ 
fogleich fünf große Barfen in's Wafler fchaffen und that eine Truppen» 
verftärferung,, ſowie Vorräthe für die Garniſon hinein. Die Ritter 
drängten fich auf dem Kai, weil ein jeder das gefährliche Unternehmen 
binüberzufchiffen für fich in Anfprudy nahm. Diefelben dachten blos 
an ihre unglüdlichen Kameraden in Et. Elmo. | 


Was La Valette vorausgeiehen hatte, geſchah. Der Lantungs: 
plap wurde von einer Batterie von fchwerem Kaliber beherrſcht; Dazu 
bedrohten hundert Musketiere einen Seren, ber ſich ter Küfte näherte, 
mit augenblidlichem Tode. Aber die Ritter durften fich ber Küfte gar 
nicht nähern. Denn als der türfifche Admiral, deffen Schiffe am Eins 
gange des großen Hafens lagen, die vor fich gehenden Anitalten bemerkte, 
ſchickte er eine Flottille von feinen leichteren Bahrzeugen in den Hafen, 
um die Zufuhr abzufangen. Dies gefchah fo fchnell, daß die Chriften, 
wären fie nicht eilends umgekehrt, vom Feinde umringt und gefangen 
genommen worden fein würden. 


ALS die Bertheidiger von Et. Elmo von den Wällen auf bie 
ihnen zu Hülfe fommenden Boote beobadhtet-hatten und das Scheitern 
des Verſuches ſahen, erftarb ihnen vollends der legte Hoffnungsſtraͤhl 
in der Bruft. Ihr Geſchick war ietzt befiegelt. Es ftand ihnen nun 
nody wenig mehr frei, ald ruhig den Todesſtreich abzuwarten. Doch 
überließen ſie füch nicht einer unmännlichen Verzweiflung , fondern bes 


Die Velagerung ver Baltha. OB 


ıröelen. ſich mit hereifcher: Standhhaftigheit / vor, wie Maͤrtyrer fuͤr bie 
‚gute Sache, welcher ſie ihr Leben. gewriht'hatten, zu Kerben. 

‚Sie brachten die folgende Macht / nicht etwa mit dem vergeblichen 
DBDemuͤhen zu, die Verchtidigungswerke aus zubeſſern und dadurch ihr 
Daſein um/einige wenige Stunden zu. verlängern, ſondern fie bereite⸗ 
‚ten ſich feierlich auf den Tod. vor, gleich Männern, welche wiſſen, daß 
He an der Schwelle der Ewigkeit fichen. Sie beieten, beichteten, 
mpfingen dad Sakrament, und indem fie einander an ihre Pflicht 
mahnten, erneuerten fie nochmals ihr @elübbe, weiches fie verpflichtete, 
wörhigenfolld ihr Reben ‚für die Vertheidigung bed Glaubens zum 
Opfer gu bringen. Einige, darumter namentlich Miranda und ber 
Bogt von’ Negropont, gingen’ bei ihren Brüdern herum, um fie zu er- 
muthigen und zu tröflen. Obſchon fie felber mit Wunden bebedt 
waren, leifteten fie den Kranken und Sterbeaden allen möglichen Beis 
fland. Sterbende aber. waren in Menge vorhanden. Eie lagen mit 
den bereitö Todten untermiſcht anf den Trümmern , welche bald ihrer 
Aller Grab werden ſollten. 

So verftrich die traurige Nacht. Am Morgen umarınte man ſich, 
wie auf: innmer fcheidende Freumde, und ein jeder Ritter begab fich auf 
feinen Poſten, um fein 2eben fo theuer ald möglich zu verfaufen. 
Manche von den Aelteren und Gebrechlicheren und bie durch Wunden 
Berfrüppelten wurden auf ben Armen ihrer Kameraden an Ort und 
Stelle getragen, wo fie fich auf die Ruinen niederließen , ihre unwirk 
famen Schwerter ſchwangen und bereit waren, als wahre, rechte Ritter 
in der Brefche zu fterben. 

Sie brauchten nicht lange zu warten; denn die Türfen, welche 
fo oft um ihre Beute gebracht worden waren, verlangten laut zum 
Sturme geführt zu werden. Die fchwachen, planlos von ber Feftung 
auf fie berabgeworfenen Geſchoſſe Fonnten fie nicht am Vorrücken 
bindern, umd bald fchon kletterten fie den Hügel vor ber Breiche bins 
auf, der noch von der Schlächterei- des vorhergehenden Tages ſchluͤpfrig 
war. ber trog ihrer großen Anzahl konnten fie lange nicht die Fleine 
Reihe malthefiicher Ritter, welche fie dort empfing, durchbrechen. 
Wohl mag es unglaublich fheinen ; aber der Kampf, welcher das. Ge⸗ 
ſchick St. Elmo's entfchied, dauerte noch einige Stunden. Endlich 

Brescott, Geſch. Philipp's U. IM. 13 . 











19 Meunies Kapitel. 


fammelte ſich das türkifche Heer nach einer einen Raſt zu einem letzten 
Sturme. Indem alddann die Fluth der Schlacht durch die weite Breiche 
mit unwiberftehblihem Rafen einbrach, riß fie den Ritter wie den 
‚Soldaten nieder und ließ fein lebendes Weſen auf den Wählen übrig. 
Ein Heiner Haufen Ritter, die aus dem Tumult ſich retteten, flüchtete 
in die Kapelle. Als fie jedoch ſahen, daß denen, welche ſich ergaben, 
feine Gnade erwiefen wurde, flürzten fie hinaus und endeten durch Das 
Schwert ded Feindes. ine Abtheilung von neun Rittern, weldye 
am Ende des Grabens nahe bei den Leuten Dragut’d einen Poften 
befegt hielten, ergab ſich den Korfaren als Kriegögefangene, und 
da diefe bei ihrem Seeräuberleben bie Menfchen wie eine Art Waare 
betrachten gelernt hatten, weigerten fie ſich glüdlicherweife, die Chriſten 
ben Türfen zu überliefern, und behielten diefelben um des Loͤſegeldes 
willen bei fih. Das waren bie einzigen Ordendmitglicder , welche 
bem Gemegel entgingen*). Indeß gelang es einigen malthefifchen 
Soldaten , die geübte Schwimmer waren, immitten des Tumultes die 
gegenüberliegende Seite des Hafens zu erreichen und dort die traurige 
Botfchaft von dem Yale Et. Elmo’d zu überbringen. Diele 
wurde bald durch das Freudenfeuer der türfifchen Kanonen beftätigt, 
und die Standarte ded Halbmondes, welche an die Stelle des Banners 
St. Johannis aufgepflanzt wurde, zeigte nur allzu Flar, daß diefer ftarfe 
Platz, der Schlüffel zu der Infel, aus den Händen der Ehriften auf 
die Ungläubigen übergegangen war. 

Bald darauf wendete ſich die ottomannifche Flotte und fuhr unter 
Muſik und mit fliegenden Wimpeln und Slaggen hinein in den weſt⸗ 
lichen Hafen Muſiette. Unterdefien hallten die Belfen von dem Jubel⸗ 
gefchrei der türkifchen Eoldaten wieder, und die am Lande befindlichen 
Batterien donnerten Antwort auf die Schüffe der Schiffögefchüge. 


9) Bertot,, den die Sucht nach dem Grftaunlichen bisweilen zum Wunderbaren 
treibt, giebt uns zu verfiehen, daß Niemand von der Barnifon das Erflürmen von 
Et. Elmo überlebte. Wenn dem wirklich fo wäre, möchten wir wiflen, wie der Ges 
ſchichtsſchreiber erfuhr, was in der Feſtung den Tag und die Nacht vor dem Sturme 
vorfiel. Die oben angeführten Binzelheiten, die dem Balbi entlehnt find, zeigen, daß 
derfelbe Nachricht über die letzte Zeit erhielt, und tragen das Gepräge der Wahr⸗ 
ſcheinlichkeit an ſich. 


Die Belagerung von Maliha. 195 


Der Tag diefe® Ereignifſes war der dreiundzwanzigſte Juni, ber 
Fefttag St. Johannis des Täufers, des Patrons des Ordens. Bon 
den Rittern war er immer mit größerem ®lanze als jeder andere Fefi⸗ 
tag gefeiert worden. Jegt war er leider für fie ein Buß⸗ und Trauertag, 
während fie zu ihrem noch größeren Aerger fahen, daß er von den 
Beinten ihres Glaubens als ein Jubeltag begangen wurbe. 

Zu ihrem noch tieferen Leidweſen befleckte Muftapha feinen Sieg 
mit einigen Robheiten, die in feinen Charakter gemwurzelt zu haben 
Iheinen. Er ließ nämlich die Köpfe von vier hervorragenden Rittern, 
barunter Miranda und der Bogt von Regropont, nad) der Staptfeite 
zu auf Stangen fieden. Aber bald bot fich den Blicken der Belagerten 
ein noch empörentered Schaufpiel dar. Der türfifche General ließ den 
Körpern mehrerer Ritter (movon einige jogar noch gelebt haben 
follen) auf der Bruft Kreuze ausjchneiden. Nachdem die auf diefe 
Weiſe Entftellten auf Planfen gefchinietet worden waren, wurden fie 
auf denjelben in’d Wafler geworfen. Mehrere davon ſchwammen nach 
der gegenüberliegenden Küfte, wo fie von ihren Brüdern fogleich er- 
fannt wurden. 2a Valeite konnte ſich über dieje Entehrung ber Ueber: 
refte feiner theuren Genoflen der Thränen nicht enthalten. Aber bald 
machte der Kummer wilderen Gefühlen Platz. Er ließ feinen türfifchen 
Gefungenen die Köpfe abfchlagen und diefe aus den großen Kanonen 
hinüber in die Linien ber Feinde fchießen. Dies that er, fagt ber 
Ehronikfchreiber, um den Moslems Humanität zu lehren! 

Die Zahl der in diefer Belagerung gefallenen Ehriften belief fich 
auf funfzehnhundert. Bon dieſen waren einhunderidreiundzwanzig 
Ordendmitglieder, und zwar einige darunter die berühmteften Krieger. 
Der Verluſt der Türken wird auf achttaufend gefhäßt, obenan fland - 
Dragut , deffen Verluſt fo viel werth war, wie der Tod einer ganzen 
Legion Gemeiner. Obſchon ſprachlos, war er doch noch am Leben, ald 
bad Fort erftürmt wurde. Er wurde von feiner Lethargie durch das 
Eiegeögefchrei aufgewedt. Weil er die Herumftehenden mit forfchen: 
ten Blicken anfah, fagte man ihm die Urfache des Lärınes. Alsdann 
ſchlug er, als um für dad Ereigniß zu danfen, jeine Augen zum 
Himmel auf und verfchied*). 

u‘ Kein Name des ſechszehnten Jahrhunderts fcheint jo ſehr, wie der Dragut’s, 
13# 


196 Poruntes Kapitel. 


Der türkifche Oberbefehls haber Heß St. Emo ſchleifen; doch 
war daffelbe ohnchin ſchon nicht viel beſſer als ein Haufen Ruinen. 
Etwa dreißig "Kanonen, welche auf den Werten .geitanden :hatten, 
ſchickte er als Stegestrophäen nach Konftantinepel. 


So endete die merfwürdige Belagerung von St. Elmo, bei der 
eine Handvoll Krieger'einen ganzen Monat lang Ber ganzen türkifchen 
Heeresmacht widerftand. Während diefer Umftand die unbefiegbare 
Tapferkeit ver Garniſon beweift, zeigt er zugleich, daß die Türfen, wie 
bewandert fie auch in Feldoperationen gewejen fein nıögen, doch wenig 
Geſchicklichkeit als Ingenieurs beſaßen und Die richtige Art und Weiſe, 
eine Belagerung zu leiten, nicht kannten. Es mußte von vornherein 
flar jein, daß man, um die Belagerung fehnell zum Ende zu brin⸗ 
gen, die Verbindung St. Elmo's mit der Stadt zerfiören ınußte. Doc 
wurde dies nicht eher verfucht, als bis Dragut anfam. Diefer rieth 
bald zu diefem Zwecke bie Errichtung einer Batterie auf einem Hügel 
dem Großen Hafen gegenüber an. Indeſſen war der nürfiiche Obers 
befehl&haber dem entgegen. Erft etwas fpäter wurde nach der Angabe 
des Korfaren jene Eernirungslinie bis an den Wafferrand fortgeführt, 
wodurd das Geſchick der Feſtung entfchieden wurde. 


St. Elmo fiel zwar, aber man hatte dabei eine foftbure Zeit vers 
foren. In der Folge zeigte ed ſich, daß diefer Zeitverluft unerfegfich 
war. Zugleich hatte der lange, tapfere Widerjtand der Ehriften dieſe fehr 
ermuthigt, während er bid auf einen gewifien Grad das Selbftver: 
trauen der Moslems verminderte. Indem Muftapha auf Et. Angelo 
anipielte, rief er aus: „Was wird nicht erft der Vater foften, wenn 
das Kind und ſchon fo theuer zu ftehen gefommen tft *)! 


in der ſpaniſchen Ballavendichtung verherrlicht worden zu fein. "Der ,„Romancero Ge- 
neral‘‘ enthält viele romances (und darımter fehr fchöne), welche den armen Ge⸗ 
fangenen barftellen,, wie er an die Galeere des fchredlichen Räubers granfam ge: 
feſſelt ift, oder melde die-Seefämpfe Dragut’s mit der maltheflfchen Ritterfchaft, 
den ‚‚las velas de la religion, ‘‘ wie die Geſchwader des Drdens hießen, verherrlichen. 

*) Die beiden Hauptautoritäten, auf die ich mich bei der Darftellung der Bes 
lagerung Maltha's geitügt habe, find Balbi und Bertot. Der erſtere war ein wähs 
end Der Belagerung dienender Soldat. Bein Jept ziemlich feltenes Werk erſchien 


Zehntes Kapitel... Bier Delagerung von Moaltho. An 


Zehntes Kapitel. 
Die: Belagerung von Maltha, 


Y Borgo wird eingeihloffen. — Der Sturm auf St. Michael. — Die Nieders 
meßelung der Türfen. — Die ununterbrodyene Kanonade. — Wllgemeines 
Sturmlaufen. — Die Türken werden zurüdgefchlagen. — Die gefährliche Lage 
von SI Bergo. — Die Standhaftigleit La. Balette's. 


1568. 


Die Stärke des Ordens war jetzt auf den beiden Landſtreifen, 
welche von. der Oſtſeite des großen Hafens auslaufen, concentrirt., 
Obſchon dem Leſer dieſe Plaͤtze bereits beichricben worden find, wird. 
ed nicht unnüß fein, feine Erinnerung an die nunmehrige Operations, 
feene aufzufriſchen. 


fur, nachher im Drud und erlebte in weniger als drei Jahren eine zweite Auflage. 
Diefe Gaben wir bei unferer Darftellung benutzt. Da Balbi fowohl Augenzeuge als 
auch auf dem fleinen Theater , wo fait nichts fich den Blicken entziehen konnte, hans 
deinde Berfon war, und weil er fchrieb, während die Breignifle noch friſch in feinem 
Gedaͤchtniſſe waren, iR fein Zeugniß von dem höchſten Werihe. Auch geht dem 
Buche nichts dadurch ab, daß es in einem gemäßigten, hausbadenen Tone geſchrie⸗ 
ben it: denn der Berfafler Scheint dadurch bloß bemüht zu fein, die Wahrheit zu 
fagen und nicht die Partei oder Sache, welcher er angehört, zu erheben. Hierin 
bildet der ehrenhafte Soldat einen Gegenſatz zu feinem geübteren Rival, dem Abbe 
de Vertot. 

Diefer Hervorragende Schrififkeller wurde aufgefotert, die @efchichte des Ordens 
zu Ichreiben, unt erhielt deßwegen das Ordensarchiv von den Rittern zur Berfügung, 
geſtellt. Er ging darauf ein und fchmeichelte bei der Vollziehung feiner Aufgabe 
dem Orden dergeftalt, als ob er felbf ein Johanniter geweien wäre. Dies thut dem . 
Werke einigen Abbruch; im Uebrigen aber beruht daflelbe auf den gefundeiten hiſto⸗ 
rifchen Grundlagen. Des Abtes Vorliebe für das Romantifche hat ihm wahr⸗ 
. ſcheinlich bei der Mehrzahl der Leſer nicht geſchadet, ſondern iſt ihm im @egentheil 
zu Gtatten gefommen. Sein flarer, bisweilen berebter Styl, das Intereflante feiner 
Geſchichte und tie dramatiſche Kunſt, womit er den Augen des Leſers Die einzelnen 
Züge der handelnden Berfonen vorführt, wiegen bis zu einem gewiflen Grade die 
Veitſchweifigkeit feiner Darflellung auf und haben da& Buch nit nur bei dem ges 
wöhnlihen Bublilum in Gunſt gebracht, ſondern es auch für Gelehrte zu einem 
llaſſiſchen Werke in feinem Fache gemacht. 


198 Zeimtes Kapitel. 


Die nörblihe Halbinfel mit der Stadt II Borgo und bem auf 
der Außerftien Spige gelegenen Schloffe St. Angelo befaß Werke, die 
ftärfer und in beſſerem Zuftande als diejenigen von St. Elmo waren. 
Ihre Bewachung war unter die verfchiedenen Sprachen vertheilt, und 
eine jede derfelben gab ihren Namen derjenigen Baſtei, weldye fie vers 
theidigte. Eo war den fpanifchen Rittern auf der öftlichen Seite der 
Halbinfel die Baftei Caſtilien, welche in der folgenden Belagerung 
eine hervorragende Rolle fpielen follte, anvertraut. 

Auf dem parallellaufenden Landſtreifen land das Fort St. Mi⸗ 
chael, eine Küfte von geringerer Ausdehnung ald das Schloß St. 
Angelo. Auf feiner Bafts fah man eine Feine Anzahl Häufer, welche 
faum den Namen Stadt verdienten. Die Befeftigungen diefer Halb- 
infel waren faum erft fertig; um fie herzuftellen, hatte der Großmeifter 
La Sangle, welcher dem Drte den Namen gab, edelmüthig fein Pris 
vatverınögen geopfert. Dad Ende der Werfe bildete auf dem aͤußerſten 
Punkte eine niedrige, oder befier halbe Baftei, genannt der Eporn. 

Die foftbare Zwifchenzeit , welche man durd) den fangen Aufent» 
halt der Türfen vor St. Elmo gewonnen hatte, war von La Balette 
fleißig dazu verwandt worden, um unter den gegenwärtigen Umftänden 
fowohl die Vertheidigungswerfe von La Sangle wie von Il Borge in 
den beftmöglichen Zuftand zu fegen. Männer, Brauen, Kinder: Alle 
halfen bei diefem guten Werfe, denn Alle belebte baffelbe patriotifche 
Gefühl und ein gemeinfchaftliher Haß gegen die Ungläubigen. La 
Balette ließ die fchweren Gefchüge von den vor Anker liegenden Gas 
leeren nehmen und auf die Mauern der Keftungen bringen. Er vers 
ordnete, daß alle PBroviantoorräthe im Befts von Privatperfonen um 
eine angemefjene Entſchaͤdigung in die öffentlichen Magazine abgelies 
fert werden follten*). Fünf Kompagnien Eoldaten, welche in ber 
Civita Notable lagen, beorderte er jegt nach Il Borgo, wo ihre Dienfte 
befier gebraucht werden fonnten. Da endlich fein Pla für die Ges 
fangenen vorhanden war, welche in der That nur die für die Garnifon 


*) Dur eine andere Verordnung ließ La Valette alle Hunde in 2a Sangle 
und Il Borgo tötten, weil diefelben bei Nacht die Garniſonen lörten und bei Tage 
die Broviantvorräthe derfelben fraßen. 


Die Belagerung von Naltha. 198 


uumtbehelichen Borräthe aufzehren mußten: fo gab La Balette den 
Befehl, daß Feine Gefangenen gemacht werben follten,, fondern daß 
man Alle, vie in die Hände der Sieger fielen, über bie Klinge fpringen 
ließe. Es ſollte auf beiden. Seiten ein Bernichtungstampf fein: 

Unter diefen Umſtaͤnden erhielt Ya Balette zu feiner Genugthuung 
eine Berftärkung von Sizilien, welche zwar nicht zahlreich, aber doch 
in.der gegenwärtigen Lage fehr wichtig war. Der Bicefönig nämlich hatte 
endlich den Beflürmungen ber an feinem Hofe anweſenden Johanniter, 
welche fchnfüchtig der Bereinigung mit ihren Brüdern entgegenharrten, 
infoweit nachgegeben,, daß er ein Geſchwader von vier Galeeren, wo⸗ 
son zwei ihın und zwei dem Orden gehörten, ausrüftete. Diefelben 
hatten vierzig Ritter und fiebenhundert Soldaten am Bord. Letztere 
waren audgezeichnete, aus den fpaniichen Garniſonen in Italien bes 
zogene Truppen. Die Yahrzeuge wurden unter.den Oberbefehl des 
Don Juan de Cardona geftellt, welcher angewieſen war, baf er, wor 
fen St. Elmo bei feiner Ankunft ſchon in den Händen des Feindes 
fei, ohne irgend einen Landungoverſuch zu machen, unverrichteter Sache 
zurückkehren follte. Indem Cardona in hohem Grade bie furdhtiame, 
ſchwankende Politik feines Vorgefegten theilte und fidy vor der ottos 
mannifchen Flotte fürdhtete, fuhr er einige Tage hin und ber, ohne fidh 
der Infel zu nähern. Unterbeffen war St. Elmo genommen. Weil 
Cardona nichts von dem Borgefallenen wußte, fegelte er füblich und 
warf endlich bei Pietra Regra, auf ber entgegengefegten Seite ber Infel, 
Ainfer. Hier erlaubte er einem ber Ritter. an’d Land zu gehen, um 
Nachricht einzuziehen. Daſelbſt erfuhr derſelbe das Schickſal St. EL 
mo's. Indem er jedoch forgfältig die Nachricht verheimlichte, feßte 
Cordona eilends die Truppen an’d Land und fuhr fchnell mit feinen 
Galeeren wieder nach Eizilien zurüd. 

Die Truppenabtheitung ſtand unter dem Befehle des Chevalier 
de Roblea, eined tapferen Kriegerd und eines der berühmtelten Ors 
dendmitglieder. Unter dem Schutze der Nacht marfchirte derfelbe un« 
entdeckt in Kanonenfchußweite vor den türfifchen inien vorbei und , 
brachte feine Leute gluͤcklich in Sicherheit auf der Seite des englifchen 
Hafens, welcher Il Borgo ſich gegenüber befindet und an bie Nord⸗ 
feite deffelben flößt. Hier warteten ſchon Boote auf feine Ankunft, 





2. Dates Zap 


weidhe voni Gtofmrißer, ver um vie Gadıe wußte, grienbt werben 
warn. Gin bier Achel bebeilte Die SDterfläche des Weſſers, uni 
Truppen üdlid in vie Etabt, we bir Ritter Dir Aulsimmuruten: bes 
willfommmeten unb bie tabferes GSeuoſſen, weiche Damen, um mit 
ihaen wie Srfafren ber Belagerung zu theilen, frrubig Begrüßten. 
Unterbefien hatte fich Muſteha, ber tũrtũſche Beichtähaber, überlegt, 
ob es wohl nicht möglich wäre, jeimen Imed aui den Wege der Unterbau» 
Iung, anftatı zurdy Waſſengewalt zu erreichen, wewnsrch er ben großem 
Bieuidyenvertuft, weichen ih Die Einnahme von Et Ems gefoſtet hatke, 
eriparen Tonnse. Er fdemcichelte fich mit der Hoffnung, daß da Balrtte, ger 
warnt durch Dad Schicſal jener Feſtung, dahin gebracht werben fonme, 
auf billige, chreuhaite Bedingungen bin zu fapituliren. Drmmad) janbtr 
er an den Großmeiſter eisen Boten mit ber Aufforberung, daß La Valette 
die Infel übergeben felle, wogegen ihm und feinen Lauten nebt Let gan⸗ 
zen Habe ein ungehinderter Abzug nach Siztlien grfatitt werben würbe.. 
Der erwählte Geſandte wer ein griechiſcher Sklave, cin alter 
Mann , der feit feiner Kindheit in der Sklaverci geicht hatte. Ber 
mittelft einer Ariebenöflagge erhielt der Sllave Zulaß nad St. Uingele 
und wurde mit verbundenen Augen vor den Großmeißter geführt. Der 
ſelbſt entledigte er ſich ſeines Auftrages. Ruhig und ahme ihn eines 
Eimmurfes zu würtigen , hörte ihn La Valette an. Als der Sprecher 
zu Eude war, befahl der firenge Befehlöhaber, daß man ihn aus jeinen 
Gegenwart entferne und augenblidlidy aufhänge. Der unglüdlide 
Mann warf fi dem Großmeiſter zu Füßen, bat um. Schonung 
feineö Lebens und beiheuerte, baß er nur ein armer Sflave jei und 
gegen feinen Willen bloß die Befehle des türkiſchen Generals audger 
führt habe. La Balctte, dem es wahrſcheinlich von vornherein mit der 
Ausführung feines Befehle fein Eraft geweſen war, ſchien erweicht zu 
werden, erflärte jedoch, daß, würde irgmd ein anderer Bote ihn mit 
dergleichen Borfchlägen zu beleitigen wagen , derſelbe nicht fo leicht 
‚ wegfommen follte. Darauf ward der entfegte alte Mau entlaffen. 
Sowie er hinaustrat, führte man ihn durch lange Reiben in impo⸗ 
fanter Ordnung aufgeftellter Krieger und daun zeigte man ihm bie 
Werke des Schloſſes Et. Angelo. „Siche, “ ſagte ein Offizier, indem 


Die Belagerung. von Maltha. 208. 


er hinunter auf den die Feſtung umgebenden tiefen Graben zeigte, „das 
in der: ganze Platz, weichen wir deinem Herrn einräumen Fönnen ; aber 
er iſt tief genug, um ihn. zufenmmt- feinen Leuten zu begraben!“ Wenns 
gleich der Sklave ein Ehrift: war, ließ: er fich; doch nicht bereden, zu 
bleiben und ſein Geſchick von demienigen der Velagerten abhängig zu 
machen. Ste müßten, fagte.er, am GEnde, doch geſchlagen werben, und 
wenn er dann wieder in.türfifthe Haͤnde geriethe, wuͤrde fein Schidfal 
ſchlimmer: ald je zuvor fein. 

Jetzt hatte Muſtapha feine andere Wahl, als zu fechten. Auch 
hatte er ſeit dem Kalle von St: Elmo feinen Augenblich Zeit verloren, 
um mit feinen Anftalten vorwärts zu fommen. Auf den Hügeln am 
Fuße des Berges Konrndin, am füblichen. Ende. des Großen Hafens, 
warn Schanzen aufgetmorfen worden, .und bie Linie derſelben reichte " 
von da bis zum Berge St. Salvasor. Wo der Boden. zum Graben 
zu bart war, erfebte man die. Schangen durch eine fteiserne Wauer.. 
Auf den Anhoͤhen hatte man an verfchiedenen Punkten ver Linie Bate 
terien mit Geſchuͤzen vom ſchwerſten Kaliber errichtet. Auch. ftanden: 
Batterien auf der Höhe, weiche Berg Sceberrad heißt und den Hafen 
Muſiette von dem Großen Haſen trennt. Sie gingen bis zu dem Plage, 
wo St: Elmo ftand. Sogar auf die Trummer dieſes Echloffed hatte 

"Ve Türken einige Kanonen gepflanst. | 

Auf dieſe Weile waren die chriftlichen Feſtungen in jedem Punkte 
bedroht. Während nun die Rinien der Belagerer alle Verbindung auf 
der Landſeite abichnirten, verhinderte eine Abtkeilung der Slotte, die den 
Eingang des Großen Hafens verſperrte, auch allen Berfehr zu Waſſer. 
Die Einichließung zu Land und Eee war vollftändig. 

In den erfien Tagen des Juli eröffnete der weite Vatterienkreis 
wit fech&zig bis fiebenzig Süden Artillerie fein concentrirted Fruer auf 
die Feſtungen, die Etädte und die im Galeereuhafen vor Anker liegen⸗ 
den Schiffe. Bon den Kanonen auf St. Augrie und St. Michael, 
die mit tüchtigen Kanonieren bedient waren, wurde die Kanonade leb⸗ 
haft erwiedert. Sobald als die Brefihen benugbar waren, nahm ſich; 
Muſtapha vor, zuerfi St. Michael, die ſchwaͤchere Feſtung, zu erſtuͤr⸗ 
men, und beichloß, den Sturm zugleich zu Waſſer und zu Lande zu 
sachen. Jedoch märe es nicht moͤglich geweſen, feine im Muſtette⸗ 


23 Beintes Kapitel. 

hafen liegenden Fahrzeuge, ohne fie dem Feuer von Et. Angelo aus⸗ 
zufeßen, herum in den ®roßen Hafen zu bringen. Deßhalb griff er zw 
einem Auskunftsmittel, das zwar überrafchend, aber doch in der Kriego⸗ 
gefchichte nicht neu war. Er ließ. nämlich eine große Anzahl Boote 
über das die beiden Häfen trenmende Hochland fchleppen. Diefe muͤh⸗ 
fame Arbeit wurde von feinen Ehriftenfflaven verrichtet. Mit Erflaus 
nen fah daher die Ganiſon die türkifche Flotille die ſteilen Abhänge der 
gegenüberliegenden Anhöhe herunterkommen und fich ſchließlich hinab 
in die Gewäfler des Binnenlandbedens laſſen. Nicht weniger ale 
achtzig Boote, darunter einige vom größten Umfange, wurden auf biefe 
Art über die Höhen gefchafft. 

Nachdem Muftapha mit diefer großen Arbeit fertig war, traf er 
“ die Anftalten zum Sturme. Um dieſe Zeit traf bei ihm eine beträcht« 
liche Verftärfung unter Haffem, dem Korfaren von Algier, ein, welcher 
bei den benfwürdigen Belageruingen von Oran und Mazarquivir bes 
fehlige hatte. Als diefer Die geringe Größe des Schloſſes Er. Elmo 
ſah, drüdte er jein Erftaunen darüber aus, daß fich daflelbe jo lange 
habe gegen die türfiihen Waffen halten fönnen,, und bat Muftapha, 
daß er ihn mit der Leitung des bevorfichenden Sturmes auf St. 
Michael beirauen möge. Indem der türkifhe General ed nicht ungern 
fah, daß der eingebildete junge Häuptling die Schärfe der malthefifchen 
Schwerter felber erprobte, überließ er ihm gern den Oberdefehi und 
bezeichnete den Tag zum Angriff. 

Glücklicherweiſe kam um dieſe Zeit ein Ueberlaͤufer, ein ange⸗ 
ſehener Mann in der tuͤrliſchen Armee, hinüber nach Il Borgo und 
machte den Großmeiſter mit den Abfichten ded Feindes befannt. Wie 
fhon angegeben wurde, war La Sangle im Norden durch eine ftarfe 
eiferne Kette gefchügt, welche, indem fie vor ter Mündung des Gas 
leerenhafens querüber ging, nad) diefer Richtung hin die Annäherung 
feindlicher Boote verhindern mußte. La Balette ließ jept eine Reihe 
Palliſaden am Ende ded Hafens in den Schlamm einrammeln, indem 
dadurd) von dem Außerfien Punkte La Sangle’6 bis zum Buße des 
Berges Konradin eine Kinie gebilder wurde. Diefe wurden mit ftarfen 
Ketten zufammengefügt ‚fo daß fie für die Durchfahrt der türfiichen 
Flotille ein wirkſames Hinterniß bildeten. Die Länge diefer Barrikade 


Die Belagerung von Naltha. 3: 


war zwar nicht groß, aber es war befienumgeachtet ein fehreierige® Werk, 
zumal man die Arbeit, um bie Arbeitöleute vor ben feindlichen Ras 
nonen zu fichern, bei Nacht verrichten mußte. In weniger ald einer: 
Woche war es vollendet. Muſtapha ſchickte eime Heine Abtheilung 
Leute, die gute Schwimmer waren, mit Aerten ab, damit fie eine 
Deffnung darin machten. Schon hatten fie dem Werke einigen Scha⸗ 
den zugefügt ‚ al® eine Abtheilung Malthefer mit Schwertern zwifchen 
ben Zähnen binausichwamm , über bie Türken. herfiel, ſte vertrieb und 
bie Ballifaden glüdlich wieder herſtellte. 

Den funfzehnten Juli fräh am Morgen gaben zwei Kanonen in 
ben türkifchen Linien auf den entgegengefepten Seiten des großen Ha⸗ 
fens das Sturmfignal. Haſſem fchidte ih an, dem Sturm in eigener. 

Perion auf der Landſeite zu leiten. Den Angeiff zu Waſſer übertrug 
er feinem Lieutenant, einem algerifchen Korfaren. Roc che der Ka⸗ 
nendonner verhallt war, fah die Garniſon auf St. Michael eine große 
Zahl Boote von der Küfte abftoßen. Diefelben waren mit Truppen 
und, der Kleidung nad zu fchließen, mit vielen vornehmen Pers 
fonen angefüllt. Wir haben die Nachricht darüber von dem fo oft 
citirten alten Soldaten, welcher, indem er auf ver Spornbaſtei poftirt 
war, den Feind vollftommen gut jehen fonnte. Es war ein’ erfreufidye® 
Schaufpiel, dieſe moslemitifchen Führer zu ſehen: — ihre reichen 
orientalifchen Trachten, ihre bunten Turbane, ihre loien , fliegenden 
carmoifinrothen oder gold» und filbergewirkten Mäntel, ihre in ben 
Etrahlen der aufyehenden Sonne erglänzenden blanfen Waffen, ihre 
feingearbeiteten Bogen , ihre Damascener aus den Werkſtaͤtten von 
Alerandrien und Damascus, ihre Flinten aus Fez. „Es war ein 
ſchoͤner Anblick,“ fügt der Schreiber mit einiger Naiverät hinzu, „da 
man ihn haben konnte, ohne felbft dabei Gefahr zu laufen. ” 

Bor dem Geſchwader her fuhren zwei ober drei Boote mit Pers 
fonen, deren ehrwürbiges Ausfehen und dunfelfarbige Gewaͤnder zeig⸗ 
ten, daß fie die Geiftlichfeit der Moslems waren. Sie fchienen etwas 
aus einem dicken Buche vor ſich hin zu fagen und richteten wahrſchein⸗ 
lich Gebete an Allah, indem fie möglicherweife feine Rache auf die 
Ungläubiygen heradriefen. Aber ſchon bald zogen fie ſich bei Seite und 
machten der übrigen Flotille Platz, welche auf bie Palliſaden zuruterte, 


208: Schuies aapitel. 


in ver offenbaren Abſicht, deet eine Durchfahrt zn erzwingen: Aber: 
das: Hinderniß / mar zu. flarf, für ſitt, zumal da fie das Gewehrfeuer 
von. der Baſtei beunruhigte. Da ſprang ber. algertiche Befehlshaber 
in/s Wuſſer, das:ihm etwas bisher den Gurt reichte, und marfchirte 
mit feinen Leuten fühn.auf die Küfte zu. 

Auf dem Walle ſtanden zwei Moͤrſer; aber wegen irgend. einek 
Verſehens ſchoſſen fie nicht, ſodaß es den Angreifern geftattet war, bie: 
anı den. Fuß der Baftei, welche fie mit: Leiten: zu: erfteigen: fuchten, vor» 
zudringen. Nachdem fie ihre Leitern angelehnt hatten, fingen fie an, raſch 
hinaufzuſteigen. Da fchwirrte aber auf fie ein Hagel von Steinen, 
Handgranaten und Brennſtoffen jeder Art herab, mährend: riefige Fels⸗ 
blöde über die Bruſtwehr rollten, bie Leute zuiammt: den Leitern zer⸗ 
trämmerten un fie hinab in Etüde fehmetterten. Die Wälle waren 
mit Rittern und Soldaten bebedt. Unter ihnen ſchimmerte die ſtattliche 
Geſtalt des. über feine Kameraden hervorragenden und diefelben zum 
Rampfe anfeuernden Antonio de Zanoguerra heraus. Indeſſen fonnte 
man die Stürmenden, die fich gleich einem Schmarme Horiflen zum. 
Angriffe zufammenfchaarten , bald wieder die zenbrochenen: Leitern ans 
Iehnen und die Wähle binaufflettern fehen. Die vordern Reiben 
wurden von den hinteren vorwärt& geträngt. Doch kaum waren bie 
fühnen Wagehälfe über die Bruftwehr hinaufgefommen , als fie 
von den Piken der Soldaten durchbohrt oder van ben. Schwertern und 
* GStreitärten der Ritter niedergehauen wurden. Indem in dieſem Eritis 
ſchen Augenblide unglüdlicherweife ein Yunlen in dad Magazin mit 
den Brennftoffen ftel , fing daſſelbe Feuer, flog mit einem fchredlichen 
Krachen in die Luft, töbtete oder verftünnmelte eine Menge von der 
Garnifen und wälzte große, undurchdringliche Dampfmaſſen die Baftei 
entlang. Die Belagerer machten fich die Verwirrung zu Ruge, um 
feften Fuß auf den Wällen zu faflen. Als ſich daher die Rauchwolfen 
zerftreuten,, fanb die Garniſon zu ihrem Erflaunen die Zeinde an ihrer 
Seite und fah, daß eine Dienge Heiner Banner, wie die Türfen ge« 
wöhnlich mit in's Gefecht nahmen, auf den Mauern aufgepflanzt 
waren. Da jept die Parteien unser gleicheren Verhaͤltniſſen fochten, 
raſte der Kampf wilder als je zusor. Die Türfen wurden durdy ihre 
Wunden enıflanmt, und die Ehriften fühlten fich angefewert durch die 


Die Belagerung von Maltha. us 


Erinnerimg an St. Elmo :und durch "dad. Verlangen, ihre hinge⸗ 
ſchlachteten Brüder zu rächen. Der. Streit: dauerte lange, während 
He hoch am Himmel aufgeftiegene Sonne ihre Gluth auf die 
Kaͤmpfenden herabgoß, und die durch die Überlegene Menge beträngte, 
ermüdete und duch Wunden abgeſchwächte Garniſon war kaum im 
Stande , auf-tem fchlüpfrigen Boden, der mit ihrem eignen und bem 
Biute der Feinde gefättigt. war, Stand zu haltım. Doch immer ne) 
fhallte.der muthige Schlachtenruf St. Johannes in die Lifte und noch 
fonnte man den tapferen Führer Zanoguerra an ber Spige feiner Ruter 
in dem dichteften Gefechte fehen. Dort war auch Bruder Robert, em 
Geiſtlicher des Ordens. Obfchon verwundet, eilte er mit dem Schwerte 
‚in der einen Hand und mit dem Kruzifir in der andern durch die Reihen 
‚und ermahnte die Leute, „für den Glauben Jeſu Chriſti zu fechten und 
"für die Bertheidigung deſſelben zu fallen. * 

In diefem enticheidenden Augenblide traf den Kommanden Janos 
guerra, ungeachtet feiner ftich» und Eugelfeften Rüftung, ein zufälliger 
Flintenſchuß, welcher ihn leblos auf den Wall ſtreckte. Bei feinem 
Galle erhoben die Belagerer ein Triumpbgeichrei und vertoppelten ihre 
-Anftrengungen. Run gätte ed übel um die Garniſon geftanden, wäre 
jept nicht zur rechten Zeit Verftärfung von Il Borgo eingetroffen. Sie 
kam von 2a Balette geſchickt, weil derſelbe die gefährliche Lage der 
Baftei erfahren hatte. Kurz vorher hatte er eine Echiffbrüde über den 
Galeerenhafen fchlagen laffen, wodurch er bie beiden Halbinfeln mit 
einander in Verbindung ſetzte und nun einen leichteren Weg als zuvor 
herſtellte. 

Während der Zeit war auch eine mächtige Verſtaͤrkung zur Unters 
fagımg der Stürmenden unterwegd. Zehn Boote vom größten Um⸗ 
fange mit taufend Janitfcharen ſah man.über ven Großen Hafen von 
der gegenüiberliegenden Küfte heranfonmen. Indem fie ſich dutch 
das Geſchick ihrer Landsleute gewarnt fein ließen, vermieden fie bie 
Ballifaden und ruderten, indem fle mehr eine nörpliche Richtung eins 
bieften, auf den Außerften Bunft des Sporns los. Dadurch ſetzten fie ſich 
aber ven euer einer ziemlich mit dem Wafjerfpiegel gleichliegenden 
Batterie in St. Angelo aus. Gerade diefe niedrige Lage des Werfes 
war eö, welche 28 den Blicken des Türken entzogen hatte. Die aus 


286 Zelzutes Rayitl. 


fünf Kanonen beſtchende Batterie wurde vom Ritierer te Guiral ber 
fehligt. Derſelbe wartete rubig, bis der Frind auf Schußweite heran» 
gelommen war, und dann lommantirte er Sruer. ‘Die Geſchüge waren 
mit ſchweren Sugeln und mit Säden voll Ketten und Eiſenſtücken ge 
laden. Die Schäffe ıhaten eine Ichredliche Wirfung. Neun Barfen 
gingen in Trümmer und fanfen augenblidlich unter. Das Waſſer war 
mit den Eplittern ter Fahrzeuge, mit verfümmelten Rumpfen , abge 
riffenen Gliedern, Lleivungsfepen und einer Menge Broviant bes 
dedt; denn der Feind fam vorbereitet, um für die Dauer jeine Woh⸗ 
nung in der Feſtung aufzuichlagen. Inmitten ber traurigen Trümmer 
fah man einige Unglückliche mit den Wellen kaͤmpfen und ihre Kameraden 
um Hülfe anflchen. Aber die im geretteten Boot Befintlidhen batıen, 
als fie von dem Echreden der Erplefion zu fidy ſelbſt famen, feine Auf, 
in einer fo gefährlichen Lage zu bleiben, fondern fuhren, ohne fih um 
das Schickſſal ihrer Kameraden zu kümmern , jo ſchnell als möglidy 
zur Küfte zurüd. Tag für Tag fpülten die Wogen die Leichname ber 
Ertrimfenen ans Land, und die multheiifchen Taucher holten auf eine 
lange Zeit von dem Grunde reiche Kleidungeftüde, Zierrathen und 
fogar Geldbörien, die die FJaniticharen bei fidy getragen hatten, herauf. 
Bei vielem Unglüdsfalle follen acht hundert umgelommen fein. Schr 
wahricheinlich wurde hierdurch das Geſchick ver Feſtung entichieden ; 
denn die Größe der Berftärfung würde bei weiten die von La Balette 
ber Barnifon zu Hülfe gefandte Unterftügnng überwogen haben. 
Unterbefien waren die vom Großmeifter zu Hitlfe geichidten 
Zruppen in der Baflei angefommen. Kaum hatten fie ihre Brüder 
in fo arger Bebrängniß, die Bahnen der Moslems aber lange der 
Bruftwehr aufgepflanzt geiehen, als fie ihr Kriegsgeſchrei ausſtießen 
und wüthend über den Feind herfielen. Hierbei wurden fie von der 
Garniſon unterftübt, denn bdiefelbe fühlte fi bei dem Anblid 
der Hülfe neu geſtaͤrkt. Die auf allen Seiten bebrängten Türken 
wichen. inigen gelang es, wie fie hinaufgefommen waren, jo wies 
der auf den Leitern hinabzufteigen. Andere wurden auf den Belfen 
binuntergefhleubert. Die meiften jedoch wandten fich gegen ihre An⸗ 
greifer und fielen fechtent auf dem nämlichen Wale, welchen fie bei 
einem Haar gewonnen gehabt hätten. Die Entlommenen eilten nad) 





Die Velagerung vun Maltha. 207 


der Küfte zu, indem fle die Boote zu erreichen fuchten, aber fle wurben 
von einer aus der Baftei ausfallenden Abtheilung auf ihrer Flucht 
aufgefangen. In dieler Klemme mußten fie fechten, fie mochten wollen 
oder nicht ; allein der Muth hatte fie verlaffen, weßhalb fie mit Teich» 
ter Mühe von den Berfolgern niebergebauen wurden. Alsdann warfen 
ſich Einige auf die Kniee und flebten um Gnade. „Solche Gnabe, 
wie ihr zu Et. Elmo bewieſet,“ fchrieen die Sieger, und bohrten ihnen 
den Dolch in die Bruſt. 

Während unten diefe blutige Arbeit gethan wurte , boten die auf 
ben ausgeſetzten Punkten oben auf ter Baſtei ſtehenden Ritter und 
Soltaten für die türkifchen Kanonen jenfeits des Waſſers, die aus 
Furcht, die eigenen Leute zu verlegen, während des Eturmes nicht 
geihoffen hatten, eine deutliche Zielfcheibe dar. Sept, wo die Türfen 
von den Wällen verfchmunden waren, wurden einige ſchwere Geſchoſſe 
mit verberblicher Wirfung mitten unter die Ehriften gelandt. Unter 
Anderen wurde Kriedrich de Toledo, ein. Sohn des Vicefönige von 
Sizilien , getödtet. Er war ein junger Ritter, der zu großen Hoff- 
nungen berechtigte, und fland unter der fpeziellen Obhut des Großmei⸗ 
fierd , welcher ihn beftändig um feine Perſon hatte. Als jedoch der 
ebeldenfende Züngling von der äußerften Gefahr, worin feine Brüder 
in La Sangle ſchwebten, gehört hatte, ſtahl er fi) in die dahin zur 
Hülfe abgehende Verftärfung und that dafelbft in dem fich entfpinnens 
den Kampfe feine Pflicht als ein guter Ritter. Während er dort auf 
dem Walle fland , wurde er von einem Artilleriegeichoß getödtet, und 
ein Splitter feines Panzers verwundete töbtlicdy einen Kameraden, mit 
welchem er gerade ſich unterhielt. 

Während auf diefe Weile der Kampf am Sporn vor fi ging, 
fürmte Haffem auf dem gegemnüberliegenden Theile die Brefche des 
Forts St. Michael. Die Sturmlaufenden, welche fowohl aus Mauren 
ale aus Türken beftanden, drangen mit der gewöhnlichen Unerfchroden- 
heit zum Sturm vor. Aber fie fanden hier einen ganz andern Bein, 
als die geipenfterhaften Geftalten gewefen waren, die, abgeſchwächt 
durch Mühfale und Leiden, in den legten Tagen von St. Elmo ihnen 
einen fo unwirffamen Widerftand entgegengeftellt hatten. Vergebens 
fuchte die berandonnernde Sturmfluth fih durch die Reihe ernfter 





208 Sıuiıs Buyikl_ 


Wrieger, welche jeht gleich einer <iierner Mauer tie Dreide ausfüllten, 
wu tens 2 Indem fic in Berwirrang abprafk, 


— Aber ſchon bald Arllıc Haſſem die Archen wieter ber 
ab führte fie zum Begriff zurüf. Wirderum warden fie mit Ver⸗ 
haft zurüdgeichlagen. Da jedoch friſche Truppen zu ihrer Unrerkügung 
"tamen, würte bie Fleine Gamiſon von der Ueberzahl überwältigt wer 
den icin, mären jcht nicht ihre Kameraden, angefeuert von dem in ber 
Baſtei errungenen Eirge , zur Hülie herbeigeiprumgen. Gleich einem 
Dirbelwind reinigten fe tie Breiche,, trieben unter fürchterlichem Ge 
megel ten Feind länzd des Abhanges bin und jagten ihn binter teine 

Se endete der erſte Sturm der Belagerer jeit tem Falle St. El⸗ 
mo’d. Der Sieg der Ehriften war velifäntig. Zufolge der malthe⸗ 
ſiſchen Angaben fielen bei den Angriffen auf die Feſtung um» die Baſtei 
zwilchen drei bis vier tautent Muielmänner, tie Ertrunfenen mit ein 
gerechnet. Mein die Veranſchlagung eines Feindes iR gewoͤhnlich 
nicht genau. Der Berluft ter Ehriiten war nicht über zwei hundert. 
Selbſt dies war für tie Belagerten ein ſchwerer Berluft ; denn mehrere 
ihrer beften Ritter waren gefallen, ganz abgefchen von denen, tie durch 
unten fampfunfühig gemadı waren. Dennoch war ed an yläns 
zender Sieg, teten Holgen fh an tem gehobenen Muthe der Belager- 
ten und an tem eingejlößten Sclöftvertrauen füblbar machten. Yu 
Balctte trug Sorge, dieſe Stimmung zu begünftigen. Die Ritter und 
hinter ihnen vrein Lie ganze Bevölferung von Il Borgo gingen in feier 
licher Prozeſſion nach der St. Yaurenziuzfirdye, wo das Te Deum ans» 
geftimmt wurde und die den Ungläudigen abgenommenen Fahnen ald 
rubmvolle Siegeötrophäen an ten Bünten hingen. 

Muſtapha fand jeßt, dad ter Murb der Belagerten, weit ent- 
ferne, durch die neulichen Unfälle gebrodyen zu jein, größer ald je zuvor 
war, indem ihre Hülfäquellen beteutenter unt ihre Fortiſikationen 
ſtärker als diejenigen Et. Elmo's waren. Er begriff, tag er mii 
größerer Borficht vorgehen mußte. Er beichloß , die Bertheidigung®: 
werte erſt kein Boten gleid) zu machen und dann, indem er die ge: 
fammte Macht feines Heeres vereinigte, gleichzeitig IL Borgo umd 


Die Balagerung vo Maltha. 209 


St. Michael zu fürmen. Das Erfte, was er zu biefem Zwecke ihat, 
war, daß er die Schanzlinie unterhalb Gt. Salvador bis an wen Wafs 
ferrand fortführte und dadurch die Verbindung des Felndes mit der 
gegenüberliegenden Seite ded englifchen Hafens, über welchen die letzte 
Verſtaͤrkung aus Sizilien hereingeflommen war, abfchnitt. Werner 
serftärkte er die Batterie auf St. Salvador und befebte fie mit ſechs⸗ 
zehn Kanonen. Unter diefen gab es einige von fo ungeheurem Kaliber, 
Daß fie fteinene Dreibundertpfünder fchoflen. 


Bon biefer wichtigen Batterie eröffnete er ein vernichtendes Feuer - 
auf die benachbarte Baftei Caſtilien und das ihr am nächften liegende 
Biertel von Fl Borgo. Trotzdem daß die Häufer aus Stein gebaut 
waren, legte der Steins und Metallhagel fchon bald viele in Trümmer, 
und die durch die Straßen faufenden Geſchoſſe tödteten eine große An» 
zahl Einwohner, Frauen und Kinder inbegriffen. Deßhalb lieh La 
Palette Schupmauern von folidem Geftein über die Straßen für bie 
Eicherheit der Einwohner errichten. Weil diefe Arbeit ınit großer Ge⸗ 
fahr verknüpft war, nahm er hierzu feine Sklaven, indem er zugleich 
hoffte, daß der Feind aus Beforgniß für das Reben feiner moslemi⸗ 
tifchen Brüder zum Nachlaſſen des Feuers ſich bewogen fühlen würde. 


Allein mit diefer Erwartung war er fehr im Irrthum. Mehr als 
fünf buntert Eflaven fielen unter den unaufhörlichen Sulven der Bes 
lagerer, und nur durch die firengfte, ja graufame Behandlung fonnten 
diefe unglüdlihen Weſen zur Sortfegung ihrer Arbeiten gezwungen 
werben *), " 

Um diefe Zeit ließ La Balctte, um die Stadt gegen einen Sturm 
auf der Seite des engliichen Hafens zu fidhern, eine Anzahl mit fchweren 
Steinen beladener Fahrzeuge nicht weit von der Küſte verfenfen. Dann 
befeftigte man fie durch Anfer, welche miteinander durch Ketten ver 


*) In der That eine graufame Behantiung nad dem Berichte bes Balbi, ter 
uns erzählt, daß die Shriten den Wideripentinden die Ohren abichnitten und einige 
fogar sötteten, — pour encourager lesautres. — „‚Ilan muerto en esta 
jornada al traliajo mas de quinientos esclavus; mas los pohres Ilegarun atal de 
puros cansadus y acabados del trab:jo continun, que nu po.lian estar en pie, y se 
dezavan cortar las orejas y matar, por no poder trabajor mas.““ 


Brescott, Def. Bhiliyp's I. ZI 14 


us Beimiee Bepikdh: 


buidert waren, fs baf- fir eine wöllig sRburdgheitgliche Gehetpineitt 
gegen jede Uımäherung ze SBnfier bildeten. 

Eowehl fie Gimpelmir vun A Berge, wie bie Gaälbaien warch 
uet eifig mie dam Bertelbigengbäntjhelten befäpdftigt, (Gimige kreisen 
groß Seile uab Taut auf, um Maseriat jur Berfettigung von Ghdicih, 
Vie iO Echangforbe denen fellten, zu gestanden Mauche verkertigsen 
emfig Verfchieiene Birten Feuerwerk, bad Bit Belegerten eis cin fir 
zuverläffige® Bertheidigungäikittel betreqteten. Arber muß bie 
großen Steine ber zertrümmerten Gebäude in kleinere zerhauen , indem 
ſich dieſelben, wenn fie auf die Köpfe des Stürmenden hinabgeſchleu⸗ 
bert wurden, als wirfiame Beichofie bewährten. Doch die größte und 
ununterbrochenfte Acheit war das Uusbeſſern ter Breichen und die Er- 
sihtung von Schanzgräben, uns felbige zu verteidigen. Ucherall 
fonnte man den Laͤrm des Hammers und der Säge hören. Die euer 
ber Schmieden durften nie ausgehen. Das Arbeitögetöfe war in ber 
ganzen Stadt ebenſo unaufhörtich, wie in Friedenszeiten; nur daß es 
jegt einen ſehr verichiedenen Zwed hatte. 

Leber alle diefe Arbeiten übte der Großmeifter eine forgfältige 
YAufit ans. Er war immer am Platze, wo feine Gegenwart ge 
braudyt wurde. Sein Auge fchien nie zu fchlummern. Er war ebenfo 
thätig al8 Soldat, wie ald Befehlshaber. Bei Nacht madıte er bes 
Rändig die Runde, um zu fehen, ob Alles ſicher Hände, und ob die 
Schildwachen auf ihren Poſten wären. Hierbei ſehte er ſich oft Ge⸗ 
fahren aus, indem er für feine eigene Sicherheit eine fo große Unbes 
befümmertheit zeigte, daß ihm bie Brüder deßwegen mehrmals Vor⸗ 
flellungen machten. „Er wachte,“ fagt der alte Geſchichtſchreiber, 
welcher Augenzeuge davon war, „wirklich über Alle, und verriet in 
feiner tapferen Haltung fein Zeichen von Furcht, ſondern gab feinen 
Leuten durch feine edle Miene Muth und Leben. * 

Dennoch hätte bei dem Anblid ber Ecene jelbft das flaͤrkſte 
Herz von Fuccht erzittern können, Dean fo weit das Auge reichen 
fonnte, etſtreckten fich die Neihen Ber mostemitifchen Atmee Aber Berg 
und Thal, während dad beläubende Krachen der Artillerie aus vier⸗ 
zehn Batterien dem feften Boden erichütterte und indem es mehr als 
hundert engliſche Meilen weit über die Bewäfler jchallte, von ben 


Die Belagerung von Maltha. 411 


Curvohnern van: Eyrakus und Catanien wie daß Roblen eines ent⸗ 
fernten Donners gehoͤrt wurde. Inmitten dieles Wirrwarsd. und ums 
geben wos ben glänzenden Rinien der Belagerer fonnte man die beiden 
Cheiſtenfeſtungen man durch bie Mafſen Heuer und Qualm ſchimmern 
ſehaen, welche in dunkeln Wolken um hie Spitzen derſelben wirbelten 


“amd das ſtolz in Ber Luft flatternde, gleichſam den Feind trotzig herauo⸗ 


fordernde Banner Et. Johannis faft gaͤnzlich verhüllten, 

Allein da die Werke unter der Erfgütterung der Kugeln zuſam⸗ 
menbrachen, wurde die Lage der Garniſon mit jedem Tage bedenklicher. 
La Valette fann darauf, dem Könige von Sizilien Mittheilung zu 
maden und ihn anzutreiben , daß er, wenn er die Inſel retten wollte, 
keine Ankunft nicht länger verfchieben dürfe. Aber, wunterbar genug, 
hatte fich bei den Räthen des Vicekoͤnigs eine fo furchiſame Politif ein 
geſchlichen, daß man ernſtlich die Frage erörterte, ob es denn übers 
Baupt von Nugen wäre, den Rittern auf Maltha Hülfe zu fenden! 
Einige behaupteten, dag Epanien auf feine Weife ſich an dem Streite 
zu beteiligen verpflichtet wäre, und dag man es den Rittern überlaflen 
folte , igren Kampf mit ten Türken in Maltha auszufechten,, wie das 
zuvor auf Rhodus gefchehen fei. Andere machten hiergegen geltend, 
daß, wenn man die tapfere Ritterfchaft, welche fo viele Jahre hindurch 
die Schlachten der Ehriftenheit gefchlagen , in ihrer Roth im Etiche 
ließe, Died auf dad Wappen Caſtiliens einen unvertilgbaren Flecken 
bringen würde. Dazu fei der König von Spanien, als der feudale 
Oberherr des Ordens, insbefondere verpflichtet, die Inſel vor den 


Türfen zu fügen, welche ja außerdem, wenn fie einmal im Beſitze 


biefer Infel wären, fich als die fuͤrchterlichſte Geißel für den Handel 
des Mittelänbifchen Meeres erweifen würden. Der edelmüthige Rath, 
der glüdlicherweife auch der flügere war, behielt die Oberhand. Kor 
mit dachte der Vicefönig darauf, dem Großmeiſter die Verficherung zu 
uͤberſchicken, daß er, wenn berfelbe nur fich bie zu Ende des folgenden 
Monats halten könnte, ihm ſechszehn taufend Mann zum Entſatz 
ſenden würde. 

Das war jedoch für Leute in Roth eine lange Zeit aum Warten. 
La Balette ſah mit Kummer, wie fehr er ſich getäufcht hatte, indem er 
auf den Vicekoͤnig rechnete. Er befchloß, feine Brüder zu enttäufchen, 

14* 





212 | Sehntee Kapitel. 


damit ſie nicht nangn Ewas auf trügerifche Huͤlfe verſprechungen 
gaͤben. „Die einzige Hülfe, worauf man bauen koͤnne,“ ſagte er, 
iſt der allmächtige Gott. Er, der bisher feine Kinder vor Gefahr bes 


hütet, wirb fie auch jetzt nicht verlaſſen.“ La Valette erinnerte feine... 


Leute, daß fle Krieger des Hinimels wären, indem fie für den Olaus 
ben , für die Breiheit und das Xeben fämpften. „Würde der Feind die 
Oberhand gewinnen,“ fügte er mit einem Fugen Winfe hinzu, „fo 
könnten die Chriften fein beſſeres Geſchick, als dasjenige ihrer Kames 
raden von St. Elmo erwarten." Die Ermahnung des Großmeiſters 
war bei den Soldaten nicht umfonft. „Jedermann von und, * fagt 
Balbi, „beſchloß eher zu flerben, ale ſich zu ergeben, und fein Leben 
fo theuer als möglich zu verfaufen. Bon biefer Stunde an ſprach 
Riemand mehr von Unterftügung. “ 
Jeezgt kam aus dem päpftlichen Arfenale eine von den geiflichen 
Waffen, welche fich in Zeiten der Roth fo oft als ausgezeichnet wirks 
- faın bewiefen haben, fehr zur rechten Zeit dem La Valette zu Hülfe. 
Eine Bulle des Papſtes nämlich bewilligte völligen Ablaß für alle 
Sünden, welche die an dem heiligen Kampfe gegen die Moslems 
Berheiligten begangen hatten. Der Geſchichtſchreiber ſagt: „Nur 
wenige, feien ed Männer oder Srauen, welche alt genug zur Begeifterung 
waren, gab es, die nicht darnach geftrebt hätten, dieje Gnade durch 
die ernftlichfte Hingabe an die Sache zu verdienen, während Jeders 
mann bie vollfte Ueberzeugung hatte, daß Alle, die in dem guten 
Werke fielen, auf der Stelle zur Glorie eingingen. “ 

Seit dem für die Türken fo nachtheiligen Angriffe auf die Feſtung 
St. Michael waren mehr als zwei Wochen verftrihen. Während 
diefer Zeit hatten fie ein unabläffiged Beuer auf die hriftlichen Fortifi⸗ 
fationen unterhalten. Bir Wirkung davon ließ fih an mehr ale 
einer fchredlichen Brefche, die den Feind zum Sturm einlud, fehen. 
Demnach war der zweite Auguft zu einem allgemeinen Angriff fowohl 
auf das Fort St. Michael, wie auf die Baftei Caſtilien feftgefegt. 
Die letztere dedte, indem fie an dem oberiten Theil des engliichen Has 
fens öftlih von SI Borgo lag, die Flanke der Vertheidigungälinie in 
diefer Gegend. Muftapha wollte die Operationen gegen das Fort in 
eigener Perſon leiten und übertrug den Sturm auf die Buflel dem 


Die Belagerung von Maliha. 213 


Piali. Es war dies eine Theilung des Oberbefehls, welche im hoͤch⸗ 
ſten Grade den Ehrgeiz der nebenbublerifchen. Führer entflammen 
mußte. 

Slüdlicherweife erhielt La Valette durch einige Deferteure Nach: 
richt von den Plänen der türkifchen Befehlöhaber und traf demgemäß 
feine Vorbereitungen. Am Morgen des zweiten Auguft rüdten auf 
das feftgefeßte Zeichen die Leute des Piali lebhaft zum Sturme vor. 
Schnell marfchirten fie über den theilweife mit den Trümmern des 
Walled angefüllten Graben, erftiegen unter einem fcharfen Ges 
wehrfeuer die Anhöhe und fanden endlich, mit etwas zerriſſenen 
Reihen, auf dem Hügel der Brefche. Aber bier ftießen fie auf Widers 
Rand, indem von den Belagerten innerhalb Verfchanzungen aufgewors 
fen waren, hinter welchen diefelben auf die Stürmenden folche bichte 
Salven hervorfandten , daß die Fronte der Kolonne wanfte und einige 
Schritte zurüdiallen mußte. Doch dort drängte man von hinten 
vorwärts und es entſtand Verwirrung. Diefe vermehrte ſich noch 
durch das Fräftige Gewehrfeuer der Garnifon von den Wällen und 
durch die zu gleicher Zeit auf die Köpfe der flürmenden Kolonne herab» 
fliegenden ſchweren Blöde, Handgranaten und Ströme fiedenden 
Peches. Durch den Angriff geblendet und taumelnd gemacht, wantten 
die Angreifer gleich einem betrunfenen Menfchen bin und ber. Die 
Leiden der Soldaten vergrößerten ſich noch, indem ihre Fuͤße an den zahls 
reihen in die Trümmer der Brefche von den Belagerten eingeichlagenen 
Naͤgeln fich zerfleifchten und hängen blieben. Wehe dem, der fiel! 
Sein ſich kruͤmmender Körper wurde bald von dem gedrängter Haufen 
mit Füßen getreten. Vergebens fuchten dic moslemitiichen Führer 
wieder Ordnung berzuftellen. Ihre Etimmen verhallten in dem wild 
berumtofenden Aufruhr. In dieſem entfcheidenden Augenblide machten 
bie Ritter an der Spige ihrer Leute einen Angriff, fäuberten die Brefche 
und trieben den Feind mit Berluft in die Schanzen zurüd. 

Nachdem dort die aufgelöften Kolonnen wierer hergeftellt und 
mit frifchen Truppen verftärft worden waren, wurden fie zum Angriff 
zurüdgebradht. Aber dies gab der Garnüoı eine Baufe, welche La 
Balette ſich zu Nupe machte, indem er den E oldaten Erfriichungen 
reichen ließ. Durch feine Fürſorge wurden Echläuche mit Wein und 


211 Zchales Kayitd. 


Waſſer, nebſt Brotrationen, in die Nähe der Uingriffspuntte ge: 
bracht und unter die Leute verrheilt. Mio geätkt, fand ſich die 
Gamiſon in den Stand gefebt, es mit der neuen feindlichen Rach 
aufzunehmen, und die Erfeifchumgen auf der einen Eeite geſchahen ge⸗ 
wiflermaßen, um die Berflärfungen der andern aufzuwiegen. Auch 
fanden Gefäße mit Salz und Waſſer bereit, damit dieienigen, welche 
fid) bei den Feuerwerken verbrannt hatten, die Wunden bäben konnten. 
„Dhne diefe verfäsiedenen Vorſichtomaßregeln,“ fagt der Ehronil- 
fchreiber, „würde es für fo wenig Leute, wie mir waren, ganz unmög 
Tich geweien fein, gegen einen folchen Feind, der und auf allen Seiten 
angriff, Stand zu halten.“ 

Nochmals und abermals erholten fidy die gefchlagenen Thrfen zu 
einem neuen Sturme; doch wurten fie eben fo oft mit dem nännlichen 
Berlufte wie zuvor zurüdgetrieben. Endlich zog Piali feine entmmtbig- 
ten Legionen zurüd und gab für viefen Tag jeden weiteren Verſuch auf. 

Es ging nicht viel beffer auf der anderen Seite, wo bie. Belagerer 
unter den Augen des Oberbefehlshabers vie Feſtung Et. Michael 
Alırmten. Auf jedem Punkte war die unerſchrockene Ritteriähaft Er. 
Johannis fiegreih. Allein der Sieg wurde um einen hohen Preis 
erfauft. 

Am nächften Tage und jeden folgenden Tag fehrten die Türken 
zum Angriffe zurüd. Augenſcheinlich war es ihre Abficht, ſich ihre 
überlegene Zahl zu Nute zu machen, um bie Belagerten zu ermürden 
und zu erfchöpfen. Einer diefer Stürme wäre beinahe von verderb⸗ 
lichen Folgen begleitet geweſen. 

Eine Mine nämlich unter der Baſtei Caſtilien wurde gefprengt 
und riß eine weite Strede des Walles ein. Der auf das Ereignik 
vorbereitete Feind erftieg die rauchenden Ruinen und ergoß ſich durch die 
unvertheidigte oder doch nur ſchwach von einer überrafchten Garniſon 
vertheidigte Brefhe. Schon im nädften Augenbfid war die große 
Standarte der Dttomannen auf die Mauern gepflanzt. Man machte 
Laͤrm. In wenigen Minuten fihon Tonnte der Feind in der Etabt 
fein. Ein Drdensgeiftlicher , Namens Bruder Wilhelm, der von dem 
Anblick erfchredt war, eitte fo ſchnell als möglich auf den Marft, wo 
der Großmeiſter damald feinem gemöhnlihen Stand aufgefchlagen 


Die Biegen wu Maltha. ats 


battıe. Ürmen der Vrickter zu Aber Hirdhezie , rief er ihm zu, def 
er, da der Feiad in wie Stadt hereingebeochen when, fich In das Schloß 
St. Angelo flüchten möge. Allein der unerfchrodene Bührer esgriff 
ſchnell feine Qanze, und während er Beine autene Riung als den Helm 
Inte, viel er wen Ümfichmaen zur „Dept IR es Zen, kat und zu⸗ 
ſammen flesbent* - Mit diem Worten elite ex nad dem Slampfptake 
ws ſiel dont, nachdem er feine Beute wieder gefammelt Hatte, wüthend 
uf den Beind. Es entipamn fich ein Ichanfer Kampf. Mehrere Nitter 
wurden m La Valettes Seite niedergehauen. Er ſelbſt wurde vurch 
den Eplitter einer Handogranate in's Bein verwundet. Heftig Säntete 
die Sturmglocke dr Saadt. Wan verkuͤndete, daß der Groſmeiſter in 
Belaht fei. Da eilten vie Ritter, Soldaten und Stadtleute zur Stelle. 
Sogar bie Kranken ſprangen nad ähren Betten um eilten, fa Schuch! 
fie fonnten , um ihn zu Sefwien. Jadem mun die Mosiemd auf allen 
Seiten gebtängt und durch ben entichäsfienen Angriff wandern gemacht 
wurden, fielen ſie laugſam auf die Breiche zuruͤck. 

Die Kavaliere Hätten jegt den Großmeiſter, welcher noch inmitten 
dar Haufras Getödieten Rand, gern Dazu vermocht, daß er ſich am 
dien ſichera Ort surkdiyog und den Austgang der Schlacht feinen Bas 
gleiten überließ. Mllein indem er jene Augen auf wir nnd won den 
Mauern wehende ottomannifche Standarte Hoftete, fchüttelte er traurig 
den Kopf, um daderch feinen Entſchluß zu bleiben auszudruͤden. Da 
machte Sie von Scham ımd Jom angeſpomte Befabung auf die Mog⸗ 
«ns einen wwürhenteren Aufall ale zuwor. Die von den Wählen herab» 
gerifiene Fahne wurde im Kampfe gerfegt. Die Chriſten behielten Die 
Oberhand, und die Tuͤrken, durch den unbezwingtichen Buch derſelben 
armattet, mußten nad) einem- langen, blutigen Gefecht die hei einem 
Haas gewormenen Werke aufgeben. 

Doch ver Großmeiſter, weit entfernt, ſich zwrüdgusichen,, ſching 
die folgende Nacht fein Standquartier in der Nähe der Breiche auf. Er 
jweifelte nicht, daß der Feind unter dem Schuge der Dunfelheit zurück⸗ 
fehren und den Sturm, ehe die Garnifon hätte Verſchanzungen aufs 
werfen fönnen, erneuern würde. Vergebens baten den Großmeifter feine 
Begleiter, ſich zurüdzuzichen,, ihnen ben Faupf allein zu überlaflen, 
und nicht fein fir die Gemeinschaft fo koſtbares Leben in die Schanze 





816 . : Behnkes Aeuiiei. 


zu ſchlagen. „Und kann wehl ein Greis, wie ich,“ ſagte er, „ſein 
Leben rubmreicher euben, als in der Mitte. feiner Brüder und im Kanıpfı 
für das Kreuz?" . 

Die Borausfegung 2a Valette's war richtig. Kaum war t⸗ 
dunkel geworden, als die wieder unter Waffen beſindliche Türkenſchaat 
über die Ruinen des Walles nach der Brefche zu wogte. Allein ed 
geihah nicht unter dem Echuge der Dunkelheit; benn bie. ganze Bucht 
war durch das unaufhörliche Bligen ber Kanonen, durch den Lichtſchein 
der Brennftoffe und durch die feurigen Geleiſe der durch bie Luft ſchwir⸗ 
renden Gefchofle erhellt. Auf diefe Weiſe kämpfte man wie bei hellem 
Tage. Die auf. den Angriff vorbereitete Garniſon erneuerte die Scenen 
vom Morgen und ſchlug die Stürmenden wieder zurück, ſodaß leptere, 
gebrochen und entmuthigt, felbft nicht durch die Schläge ihrer Offiziere 
zur Rückkehr aum Sturme gebracht werden konnten ). 

Den folgenden Morgen ließ La Balctte in der St. Lorenzkirche 
dad Te Deum fingen und am Throne des Allgnädigen Danfgebete für 
die Befreiung darbringen. Und wenn die. Beierlichfeiten nicht mit dem 
gewöhnlichen Glanze des Johanniterordend abgehalten wurden, fo ge 
fchahen fie wenigſtens, fagt der Geſchichtsſchreiber, mit dem Opfer zer⸗ 
Inirfchter Herzen, — wie fi an den Thränen mandyen Mannes und 
mancher Frau in der Prozeffion zeigte. 

Man hatte in der That faft ebenfoviel Urſache zu Kummer alt 
zu Freude. Wie fiegreich die Ehriften ſich and) vertheidigt und einen 
wie ſchweren Berluft fie aud) dem Feinde zugefügt hatten, io hatten fie 
doch ſelbſt den Verluft ihrer berähmteften Ritter zu betrauern, während 
Andere fampfunfähig darniederlagen. Unter den legteren war De 
Monti, der Admiral dee Ordens, der jetzt im Fort St. Michael, 
defien Kommandant er war, gefährlidy verwundet lag. Unter den 3os 
desfällen gab es einen, welcher La Palette perfönlich berührte. Kin 


*) Nah Vertot wurde dieſer letzte Angriff den achtzehnten Auguft gemacht. 
Eeine Zeitrechnung fann durch diejenige Balbi's verbefiert werden; denn in 
dem die Darftellung des Iehteren die Form eines Tagebuches annimmmt und die 
Vorfälle jedes einzelnen Tages beſonders aufzählt, trägt ſie das Gepraͤge viel grös 
ferer Genauigkeit an fih. Balbi gibt als Datum den fiebenten Auguft. 


Die Belagerung yon Naliha. 217 


junger Kavalier nämlich, der fein Neffe war, hatte fi mis einem Ra 
meraben gleichen Alters auf eine, gefährliche Unternehmung eingelaffen. 
Die fchöne Seftalt und vergofdete Rüftung des jüngeren La Baletie 
hatte die Aufmerkſamkeit des Feindes quf ihn gelenkt, und er fiel, zus 
fammen mit feinem Freunde, unter einem Hagel türfifcher Kugeln 
in dem Graben vor der Baftei. Um die Leichen ber Getoͤdteten folgte 
ein heißer Kampf zwiſchen den Chriften und den Tuͤrken. Die Chriften 
blieben Sieger, und 2a Balette fonnte demnach den Ueberreſten ſeines 
tapferen Verwandten die legte Ehre erweiſen. Die Ritter wollten ihm 
ihr Beileid über feinen Verluft bezeigen. Aber fein Eharafter gab fid) 
keinem felbftfüchtigen Kummer hin, „Alte find mir theuer,“ fagte er; 
„Euch Alfe betrachte ich wie meine Kinder. Ich betraure Palaftra (den 
Freund des jungen La Balette) ganz eben fo fehr, wie meinen Neffen. 
Und wenn man es recht bedenkt, hat es auch wenig zu fagen; benn fle 
find und nur eine furze Zeit voraudgegangen. * 

In der That war jept nicht bie Zeit, fich dem häuslichen Kummer 
hinzugeben, weil ja die Sorge für die Oeffentlichkeit fo ſchwer bie 
Herzen drüdte. Mit jedem Tage wurde die Lage der Belagerten bes 
denflicher. Die wanfenden Vertheidigungswerke fowohl von Jı Borgo 
wie von La Eangle ſchwanden weg unter dem unbarınherzigen Feuer 
der Belagerer. ine große Menge, nicht nur Ritter und Soldaten, 
fondern auch; Einwohner der Stadt, waren getöbtet worben. Die 
Frauen hatten während der ganzen Belagerung den nämlidert Helden⸗ 
muth wie Die Männer gezeigt; denn fie verrichteten nicht nur die ge⸗ 
wöhnlichen weiblichen Dienfte ber Pflege und Erleichterung ber Kranken, 
fondern waren oft in ber Schlacht mit anweſend, um die Garniſon 
mit Erfriichungen zu verforgen, Munition herbeizufchaffen oder bie 
Berwundeten fort nach dem Hofpital zu bringen. Indem fie alfo die 
Gefahren ihrer Gatten und Vaͤter theilten, theilten fie auch ihr Loos. 
Biele kamen durch das feindliche Feuer um. Auf den Wällen und in 
ben Straßen lagen die weiblichen Leichen mit den männlichen vermiſcht. 
Die Hofpitäler waren voll von Kranken und Berwundeten, obfchon 
glüdlicherweile noch feine ausgebrochene Seuche die Todtenliſte ver- 
mehrte. Diejenigen von der Befagung, welche noch ihre Pflicht zu 
thun vermochten, waren von langen Nachtwachen und übermäßigen 


218 at Apliel. 


Mihfaten wfgenemmm. Bei Bage ſechten, des Nachts Verſchan⸗ 
zungen aufıwerfen ober In deu Dunstrühett Die gerbebckeinden Werhe ads 
beffern : das mar die harte Uirbeit des Sokdaten. Nur kurze Zeit war 
tm zur RaR erlaubt: eine Ruf, die jrden Augenblick drech den Schal 
der Sturmglocke ımierbeodhen werden fonnte und welche unter einem 
fo wilden tärme genoffen wurde, daß es ſchien, ald ob, nach der uns 
gegierten Sprache 36 fo oft genannten Bereranın, „vie Welt unter 
gehen fofite.* 


Gluͤdlicherweiſe war dur die Fürſorge des Großmeiſters noch 
Vorrath an Propiant in den Magazinen. Aber die Mamition fing 
bereitd an, duͤnn zu werden. Indeß verlieh die Brlagerten die Ents 
fchleffenbeit nicht. Diefe Entichloffenbrit wor ohne Zweifel durch das 
graulame Benehmen der Türfen in St. Elmo verflärft worden, dena 
diefes hatte bewieſen, daß man yon einem folchen Feinde feine Gnade 
erwarten durfte. Die Ueberzeugung hiervon hatte die Ehriften mit dem 
Muthe der Berzweiflung bewaffnet. Auf fremde Hülie fonnte man 
nicht mehr bauen. Man baute nur nody, wie der Großmeiſter es an⸗ 
gerathen hatte, auf den Schuß ded Himmeld, Wie und verfichen 
wird, ging Ba Valette jeben Tag während der Belagerung in die St. 
Lorenzfirche und flehte dort die Hülfe des Himmels auf die tapferen 
Leute herab, welche, allein und ohne Unterftügung, die Schladhten des 
Glaubens forhten. 


Am Ende bewog die bedenftiche Lage der Vertheidignngowerke den 
Rath) der Großkreuze, dem Ta Balette vorzuſchlagen, daß er Il Borgo 
aufgeben und fidy fammt den Truppen und Einwohnern in das Schloß 
St. Angelo zurüdzichen möge. Der Großmelfter erblickte aufder Stelle 
Die verderblichen Kolgen eines ſolchen Schrittes und verwarf ihn, ohne 
nur einen Augendlick zu zögern. „Sich in das Schloß zurüdzichen, “ 
fagte er, „hieße alle Berbindimg mit Er. Michael aufgeben und bie 
tapfere Beſatzung dort Ihrem eigenen Seſchick fiberlaffen. Um die Ein⸗ 
wohner der Etadt würde es nicht befier chen. Die Eifterne , welche 
St. Angelo mit Waſſer verſorgt, würde ffir die Bebürfniffe einer fo 
großen Menge durchaus nicht hinreichen und man würde fchon bald 
in die Außerke North gerathen. Rein, meine Brüder,“ ſchloß er, 


Die Belagerung von Maltha. 29 


„bier müffen wir Stant Kalten, und bier müffen wir ſterben, wenn 
wir und nicht gegm die Uingtäudigen behaupten fönnen. ” 

Er wollte felbſt nicht zugeben, daß die beifigen Reliquien oder 
das Ordensarchis vahin als nach ehem Orte von größerer Skcherheit 
gebracht wuͤrden. Das würde zur Entmuthigung der Soldaten führen, 
indem diefelben daraus fchließen müßten, daß er ihnen nicht die Kraft 
zutrante, die Stabt gegen den Beind zu halten. Im Gegentheil ließ 
er eine Kommunflationdbrüde mit dem Schloſſe, nachdem er den gröe 
Seren Thell der Gamffon zum Belftand dei der Vertheftigung M 
Vorgo's herbeigezogen hatte, abbrechen. Durch dieft Maßregeln kün⸗ 
dete er feinen unabänderlichen Entfchluß an, daß er die Stadt bis zum 
Aeußerſten behaupten, und nöthigenfalls dri Ihrer Vertheidigung fallen 
wollte. 


mm — — — — 


Elſtes Kapitel. 
Die Belagerung von Maltha. 


Di Türten ſind enimathigt. — Die Verßarkung von Siku. — Die Aufhebug 
der Belagerung. — Freude ber Ghriften. — WBütterer Aexget Solimaus. — 
Ueberblick der Belagerung. — Die fernere Lebensgeſchichte La Valeite's. 


1569. 


Während die Angelegenheiten der Belagerten fo traurig ausſahen, 
wie im legten Kapitel deidyrieben wurde, ftand ed um tie Sache der 
Belagerer nicht viel deffer. Ueber die Hälfte des urfpränglichen Heeres 
war umgefommen. Der blutigen Lifte der bri den zuhlreichen Stuͤr⸗ 
men Gefallenen mußte man jegt noch die täglichen Opfer der Peſtilenz 
hinzufügen. Im Folge der großen Hige, Anftrengung und fohlechten 
Rahrung war nämlidy im modlemitifchen Heere eine Ruhr ausge⸗ 
brochen , die jeden Tag Hunderte dahinraffte. Sowohl die Munition 
wie der Proviant gingen auf die Neige. Die Schiffe mit Zufuhr wurden 
beſtaͤndig von ten ſizilianiſchen Kreuzern weggefangen. Viele große 
Kanonen waren fo arg befhädigt, daß man fie wegthun und an Bord 





2 GH Rayud. 


der Fotte bringen mmfte. Dies geicheh mit einer Exiie, bie zu 
dem lärmenden Geſchtri, wemit tie Batterien aufgeführt worden 
waren, cinen arten Gegeniap biltete. Tod wurten cd bie Bes 
lagerten trogbem gewahr und ihr Muth beb Hd icht durch die 
Berichte, welche die täglidgen Uleberläufer von der Lage der Armee 
abſlatteten. 

Muſtapha ärgerte ſich nicht wenig über ten lang hinausge⸗ 
zogenen Witerſtand der Belagerten, denn er blidie mir Gurt auf 
Die Folgen des Mislingens einer Erpetition, deren Zurüſtungen 
von feinem Herrn auf einem jo großartigen Fuße unt mit jo gewiſſer 
Zurefiht des Gelingens gemadıt worden waren. Er unterließ nicht, 
zur Erreichung feine® Zweckes jedes Mittel anzuwenden, welches bie 
damalige Kriegswiſſenſchaft — wenigftend Lie türkiſche — an bie 
Hand geben konnte. Er ließ beiwegbare hölzerne Thürme bauen, wie 
fie in dem alten Belagerungöiyfieme bei fehlen Plätzen angewandt 
worden waren. Nachdem er diefelben nahe an die Werke berangebracht 
hatte, folten feine Musketiere von ihnen herab ihre Ealven in die Stadt 
fenden. Allein die Belagerten ftürzten heraus, legten euer an feine 
Thürme und brannten dielelben nieder. Dann ließ er eine umfang⸗ 
reihe Maſchine von der Größe eined Orhoftes machen, diefelbe mit 
Brennftoffen anfüllen und vermittelfi einer Borrichtung auf den Wall 
der Baſtei fyleuden Aber e8 gelang ter dortigen Belagung , fie 
zurüd auf die Köpfe der Erfinder zu werfen, wo fie mit einer fürdhters 
lidyen Wirkung erplodirte. Muftapha trieb feine Minen bis unter bie 
chriſtlichen Bertheibigungswerfe, bis der Boden wie eine Wachsſcheibe 
durdylöchert war und die Garniſon auf der Oberfläche eines Bulfans 
zu ſtehen ſchien. Da machte La Balette feinerieitd Eontreminen. In⸗ 
dem die Ehriften nun in die Gänge der Türfen einbrachen, ließen fie 
fi) kühn mit ihnen in unterirdiſche Gefechte ein, wobei biöweilen bie 
Mine fprang und dadurch beide, Türfen und Chriften, unter einem 
Haufen Trümmer begrub. 

Wie nun die Türken auf allen Punkten ſich umfonft anftrengten und 
ihre Reiben ftündlich durch Krankheit gelichtet wurden, entfiel der mos⸗ 
lemitifchen Armee der Muth. Jetzt gerade, wo bie Baftei Gaftilien 
mit ihren verfallenen Werfen einem feiner Rüftung entkleideten Krieger 


Die Belagerung von Maltha. 99 


glich, deffen vertheidigungsloſer Zuftand zum Angriff einladet, Batten 
fie feinen Muth, diefen Angriff zu wagen. Sowie ihr Feuer naclich 
und ihre Stürme feltener und ſchwaͤcher wurden, erneute fich die us 
verficht der Chriften, bis fich die letzteren fogar der Hoffnung hinga⸗ 
ben, daß fie, ‚ohne die langverſprochene Unterſtuͤtzung von Stzilien 
abjumarten, den Feind eigenhändig würden vertreiben fönnen. Zum 
Gluͤck für die Ehre Epaniend wurde die Ritterfhaft nicht zu’ diefem 
gefährlichen Verſuche getrieben. 

Indem der Vicekönig Don Garcia de Toledo am Ende den 
Bitten der Ritter und dem Enthuflasınus der Armee nachgab, ver- 
fammelte er im Hafen von Syrakus eine Flotte und lichtete am 25, 
Auguft die Anker. Die Flotte beftand aus 28 Galeeren und führte 
eftaufend , hauptfächlich aus fpanifchen Veteranen zufamınengefeßte 
Truppen. Daneben befanden ſich zweihundert Ordengritter, die aus 
fremden Rändern gerade noch zur rechten Zeit angefommen waren, um 
der Schlußicene ded Dramas beizumohnen. Auch war eine ziemlich 
große Anzahl Abenteurer aus Spanien, Branfreid und Jtalim vors 
handen. Diefelden waren häufig Perfonen aus vornehmem Stande 
und von großem militärifchen Ruhme; fie hatten den Rittern von 
Maltha ihre Dienfte angeboten, um an der ruhmreichen Bertheidigung 
Antheil zu nehmen. | 

Unglüdtlicherweife erlitt die Flotte auf ihrer kurzen Fahrt einen 
heftigen Eturm, der fo viel Schaden anrichtete, daß der Vice, 
König, um feine Galeeren auszubeſſern, nach Sizilien zurüdfehren 
mußte. Glüdlich entging er der Aufmerfiamfeit des Yeindes, deſſen 
Armada zum Theil, um den Belagerten die Zufuhr abzufchnrivden, vor 
der Mündung des Großen Hafens lag, und lief am 6. September uns 
ter dem Schutze der Dunfelheit der Racht in die Bai von Melecca auf 
der weſtlichen Eeite der Inſel ein. 

Nachdem der Vicekoͤnig am nächften Morgen fein Heer nebft dem 
Gepaͤck und den Kriegsvorräthen gelandet hatte, fuhr er wieder nad 
Sizilien, um noch eine in Meſſina wartende Verftärfung von viertaus 
fend Truppen berüberzuholen. Gr kam fo nahe bei den belagerten 
Seftungen vorbei, daß er von den Garniſonen geſehen werden konnte, 
und begrüßte fie mit drei Kanonenfalven, welche ihre Herzen erfreuten. 





338 Blüten Kapitel, 


Ginen gang audem Eimdrud machten hie Salven auf bie Belagerer. 
Diefe hörten mit überreizter Reichtgläubigfeit auf die bald gu ihnen ger 
laugenden übertriebenen Berichte von der Stärke der auf der Juſel 
gelandeten Truppen, und fürchteten, ſchon bald von denſelben in ihren 
Verſchanzungen angegriffen zu werben. Ohne Zaubern traf Muſtawha 
Aufalten zu feiner Abzeife. Seine ſchweren Gefüge und die Feld 
bagage wurben an Bord ber am Eingange des Großen Hafens liegen⸗ 
den Galeeren und Heineren Fahrzeuge fo Kill und fchnell als möglik 
gebtacht. La Valette hatte gehofft, daß während der Nacht ein Theil 
Der ſpaniſchen Verfiärkung der Garniſon zu Hülfe gefchidt werden 
würde. Er wollte aldtann auf den Feind einen Ausfall machen, um 
wenigſtens, wenn nicht mehr dabei herauskaͤme, in Beſitz der für ſeint 
Fortifikationen fo nötbigen Kanonen zu gelangen. Die ganze Nacht 
bindurd) hörte er ungebuldig dad Knarren der Räder, welche Die Ar 
sillerie nach den Schiffen fortbrachten; aber feine fizilianische Unter⸗ 
ſtũhung fam bei ihm an. 

Sobald es Tag wurde, fchiffte ſich Die ottomannifche Armee ein, 
und bie Fahrzeuge fuhren nach dem Muflettehafen herum, wo die türs 
kifche Flotte, von welcher bier Der größere Theil lag, jept emſig die 
Vorbereitungen zu ihrer Abreife traf. Kaum war ber Feind abgezogen, 
ald die Belagerten heraus in die Schanzen ftrömten. Ein oder zwei 
ungeheure Gelchüge, welche man wegen ihrer fchwerfälligen Größe 
nicht fortfchaffen Eonnte, waren von den Zürfen zurüdgelaflen worden 
und blieben als eine merkwürdige Siegeötrophäe*). Auf der Stelle 
machten bie Ehriften die ottomanniſchen Berfhanzungen der Erbe 
gleich, und fchen fehr bald Fonnte man über den Trümmern von St. 
Elmo die Flagge St. Johannis Iuftig in ber Luft flattern fehen. Der 
Großmeifter rief jest feine Brüder zufammen , damit fie ihre Andacht 
in der nämlichen St. Lorenzkirche, wo er fo oft während der Belage⸗ 


| — nn — — — — — 


*) Die Ruͤſtkammer im Regierungspalaſte La Valetie's enthält noch jegt eine 
Menge Waflen, Säbel, Hafenbühfen, Stahfbogen und vergleichen, welche zu vers 
fäyiedenen Zeiten den Türken abgenommen worben find. Unter andern gibt es dabei eine 
Kandne von einer eigentfiäwlidgen Arbeit; doch If dieſelbe weit fleiner , als die beis 
ber im Teste erwaͤhnten Sefdakge, Jene Siegeſtrophaͤcn der Delagerung hätten 
unter ven Nationalandenken aufbewahrt werben ſollen. 


Die Beinguung von Valtha 2 


zung ben. Beißt and des Himmeld angerufen baser, yerrictetem. „Ries 
male hörten monſchliche Ohren eine fügere Mufit, denn. He unfsigen, ” 
ut Balbi aus, „als ıma jene Bloden in die Meſſe riefen, zur naͤm⸗ 
lihen Stunde, wo fie vor drei Monaten gegen den Feind Sturm ger 
läutet hatten,“ Aus: den ſaͤmmtlichen Orbensmitgliedern, den Soldaten 
und den Bürgern wurde eine Prozeſſian gebildet. Der Gotteadieuſt 
wurde jegt mit einer größeren Feierlichkeit und einem größeren. Glanze 
abgehalten, ala in der Eile und dem Tumulte der Belagerung wrägtich 
geweſen war, Mit überfrömenden Herzen fiimmie die Menge in das 
Te Deum ein und opferse dem Allmaͤchtigen ſowie ber gebenedeiten 
Jungfrau Dank für die Befreiung von den Feinden. Es mar Died am 
achten September, dem Geburtotage ber heiligen Jungfrau: einem 
benfwürbigen Tage in ber Geſchichte Maltha's, ber noch jetzz won den 
Einwohnern als ihr ruhmreichſter Jahrestag gefeiert wird. 

Kaum waren bie türfiichen Galteren mit Muſtapha am Bord u 
der großen Blottenabtheilung im Muſiettehafen geſtoßen, als dieſer 
Befehlohaber durch die ihm hinterbrachte Nachricht die Ueberzeugung 
erlangte, dab die Angaben über die Zahl der Spanier fehr übertrieben 
worden waren. Er fah ein, daß er, indem er ohne einen Schlag zu 
verfuchen, einem an Etärfe untergeordneten Feinde das Feld überließ, 
voreilig gehandelt hatte. Wohl mochte ihm dad Haupt auf den Schul⸗ 
tern zittern, wenn er daran dachte, daß er alſo entehrt vor feinen er⸗ 
zärnten Herrn träte. Dem Piali fol der Aerger feines Nebrnbuhlers 
nicht fehr unangenehm geweſen fein. Der Mangel an Uebereinſtim⸗ 
mung zwiſchen den beiden Befehlähabern hatte in mehreren Fällen dem 
glüdlichen Gelingen der Operationen geſchadet. Indeß verftändigse 
man ſich jeht dahin, daß Muſtapha die Fampffähigen Truppen wieder 
ausichiffen und den Spaniern eine Schlacht liefern ſollte. Unterdeſſen 
weilte Piali ven Hafen , welcher dem Feuer des wieter in feindlichen 
Händen befindlichen St. Elmo ausgeſetzt war, verlaflen und weiter 
weRlich in der Rhede St. Paul Anker werfen. 

Mittlerweile waren bie ſiziliſchen Truppen in das Innere bis in 
bie Naͤhe von Gitta Notable ober, wie fie jegt heißt, Citta Vecchia, 
vorgrrüdt. Der Befehlohaber war Ascanio de la Corũa, ein Offizier, 
weicher fidy in den itulienifchen Kriegen hervorgethan hatte. Zweiter 


tm Kommande war Alvaro de Sandé, ber nawliche Feſdherr, welcher 
bie Infel Geloes fo helrenmüthig gegen die Türfen vertheitigt hatte. 
Geine ritierliche Kühnheit wurde turd die Vorſicht des Corna hin⸗ 
Llanglich aufgewogen. 

Ra Balette, welcher auf die Bewegungen ber Türfen ein wach⸗ 
fame® Auge richtete, wnterließ nicht, ben Don Ascanie in Kenntnif 
zu ſetzen, daß ſich ter Feind wieder ausgefchifft hatte und auf dem 
Mariche gegen ihn begriffen war. Deßhalb nahm der fpanifche General 
eine flarfe Stellung auf einer Anhöhe ein, deren Zugänge fteil und 
Außerft ſchwierig waren. Nachdem ſich der kluge Führer dergeflalt ges 
fihert harte, wollte er den Sturm der Moslems abwarten. Allein 
die Das fizittanifhe Hülfsheer begleitenden Johanniter, die an den 
verhaßten Feinden ihres Ordens Rache zu nehmen verlangten , forbers 
ten laut, daß man fie gegen die Ungläubigen führe. Hierin flimmte 
Ihnen der feurige De Sandé und tie Mehriahl der Truppen bei. Als 
man daher ber moßlemitiihen Banner anfidytig wurde und die dichten 
Kolonnen des Feindes tiber das Land heranrüden fah, war die Unge⸗ 
duld der Ehriften nicht länger zu zügeln. Die Stimmen der Offiziere 
blieben unbeachtet. Don Ascanio ſah ein, daß ed nicht weile war, 
diefer Stimmung ber Truppen zu widerfiehen. Echnell wurten fie 
alfo in Schlachtordnung gebracht, und raſch ftürzten fie dann, gleich 
einem Bergftrome, herab auf den Feind. 

Auf ihrer Linfen lag ein Hügel mit einem fleinen, die Ebene ber 
berrichenden Thurme. Es war ten Türken gelungen, biefee Werk zu 
nehmen. Eine Abıheilung Epanier erftieg die Anhöhe, griff die Tür: 
fen an und nahm das Fort nad) furzem Kampfe. Unterbeflen fiel die 
malthefifhe Ritterfchaft nebft Eanre und der Hauptabtheilung des 
Heeres den Feind wüthend in der Kronte und auf den Flanken an. 
Die der langer und unheifvollen Belagerung überdrüfitgen türfilchen 
Soldaten hatten ſich mit großer Freude eingeſchifft, und als fie ſpaͤter 
wieder landen und den Kampf erneuern mußten, hatte ihr ungufries 
denes Murren nicht befcymichrisgt werden fönnen. Verſtimmt und ent- 
muthigt, wie lie waren, waren fie keineawegs im Stante, den heftigen 
Angriff der Spanier auszuhalten. Biele wurden auf der Stelle ges 
worfen, ihre Reihen gebrochen und der ganze Haufe in Unorbnung 


Die Belagerung von Maltba. 22 


gebracht. Nur cinige wenige fuchten gegen die Uingreifenven Stand zu 
halten. Die meiften bachten nur darauf, ſich durch bie Flucht zu ret⸗ 
im. Die Ritter waren den Flüchtigen dicht auf ben Ferſen. Sept 
wur die Stunde ber Rache da. Cie gaben bein Quartier. Ihre 
Schwerter waren von dem Blute der Ungläubigen geräthet. 


Inden Muſtapha um fein eignes Leben unbefuͤmmert war, machte 
er bie unerfchrodenften Anftrengungen , feine Zeute zu retten. Stets 
befund er fidy da, wo der Kampf am heißeflen war. Zweimal wurde 
ihn das Pferd getödtet, und beinahe wäre er in die Hände feiner 
Sende gefallen. Nachdem er endlich einen Haufen Büchſenſchuͤtzen ger 
fammelt hatte, warf er fi), um den Rüdang zu deren, in den Rüden 
der Armee. Indem er überallhin Fronte machte, fandte er ein wohl» 
gezielteö Heuer auf die in Unordnung anfomınenden Verfolger und 
zwang fie züm Halten. Dem Don Alvaro wurde das Pferd 
getödtet. Mehrere Ritter wurden verwundet oder getöbtet. Doch 
ald die Hinterdreinfolgenden anfamen, mußte Muftapha weichen 
und wurde von dem Schlacdhtenftrome mit nach dem Hafen St. Paul 
fortgerijjen , wo die Flotte vor Anker lag. Dafeldft fanden Boote bes 
teit, um die Truppen aufzunehnen, und eine Reihe mit Hafenbüchs 
fenfhügen angefüllter Schaluppen z0g fidy um Die Ylotte herum, um 
die Einichiffung zu teden. Allein die in der Hitze ber Verfolgung 
vorwärtd getriebenen Spanier wabeten bid an den Gürtel ind Meer 
md unterhielten auf die Flüchtigen ein unaufhörliched Heuer, fo daß 
viele derfelben fielen , während andere vergebend nad, den Schiffen zu 
ſchwimmen fuchten und in den Wellen umfamen. Mehrere Tage lang 
fuhren die auf den Sand gemworfenen Leichname fort, die Atmoiphäre 
zu verpeften®). Das war der lepte Verſuch Muftapha’d. Nachdem 
alsdann der türfifche Admiral die eberrefte feines Heeres bei einander 
hatte, lichtete er die Anker, fpannte feine Segel aus und fleuerte nach 
der Levante zu. 


) Als Gegengewicht zu den auf biefe Weile durch Wafler ober euer 
umgefoimmenen drei taufend Feinden gibt uns der Geſchichtſchreiber vier in ber 
ESchlacht gefallene, und vier durch die unmäßige Hige in ihren Rüftungen eritidte 
Chrifien an. 

Brescott, Geſch. Philipp's II. IIL. 15 


226 Gifts Kapikl. 


Hierauf Irgaben ſich dir vornchmfen Dffigiere der fpaniichen Ar- 
mer jammt den Rittern hinüber nach Berge. Dort fanden fie 
eine herzliche Aufnahme. Allein die Ritter waren bei der Umarmung 
ihrer Kameraden che über dad Audichen berieiben erfaun: über 
ihre blafien und von Kummer abgezehrten Gefichter , ihre abgemergel- 
ten Geſtalten, ibr langes verwirrtes Haar und ihre Ichmusige Klei⸗ 
bung. Manche waren durch ebrenhafte Narben entftellt; Einige elend 
verfümmelt; Antere trugen über bie noch nicht geheilten Wunden 
Berbände. Es war ein bejammerndwürtiger Anblid, der nur zu Flar 
anzeigte, in welche äußerfte Noth fie verfegt geweien waren; und 
wenn vie Ritter auf ihre Brüder blickten und an die verlorenen 
Freunde dachten, waren ihre Herzen mit unausſprechlicher Betrübniß 
erfüllt. 

Ten vierzehnten September fam ter Bicefönig mit dem Reſte der 
fizilianifhen Berftärfung zurüf. Das Wimpel des Admirals zeigte 
ein Kreuz, um anzudeuten, daß man in einem heiligen Kriege begriffen 
fei. Als das Geſchwader mit den luftig von ten Maften flatternden 
Wimpeln und Flaggen ten Großen Hafen ſtolz hinauf fegelte, wurde 
ed von den rund herum liegenten Feſtungen unt Baftionen mit Geſchütz⸗ 
falven begrüßt, und die felfigen Küften, welche jo lange von Kriegs 
(ärm wiederhallten, erfchallten nun von Jubelflängen. 


Der Großmeifter fam auf den Yantungsplag unterhalb St. Ans 
gelo hinab, um ben Vicekönig und die in feinem Gefolge befindlichen 
Edlen und Kavaliere zu empfangen. Sie waren wohl zu fpät gekom⸗ 
men, um bie ®efahren der Belagerten zu theilen, aber nicht zu fpät, um 
am Triumphe derfelben Theil zu nehmen. Sie wurden freuntlid von La 
Balette über die Scene der Berwüftung nach feinem Balafte geleitet, der 
zwar in einem bem feindlichen euer ausgefegt geweſenen Statviertel 
ftand, aber doch noch bewohnbar war. Wie tie Fremden auf die leberrefte, 
der beinahe dem Boden gleichgemachten Fortififationen blidten, wuns 
derten fie fi), daß die gefpenfterhaft auf den Ruinen herumſchleichen den 
©eftalten fo lange gegen die moslemitiſchen Armee hatten auahalten 
fönnen. Wohl hatte ihre Stadt den Namen Vittoriosa (die Eirgs 
teiche) verdient, welcher nun an tie Stelle ter Benennung II Borgo 


Die Belagerung von Naltha. 2237 


trat und noch jet: an ihre Verteidigung gegen die Ungläubigen 
erinnert. 

La Balette hatte dafür geforgt, daß feine berühmten Gäfte eine 
Unterhaltung hatten, wie die befchränften Hülfsquellen es erlauben 
wollten; doc fol dad Bankett durch einen Beitrag des BVicefönige 
ünterflügt worden fein. Bei der Abreife der Epanier bezeigte ber 
Großmeiſter feine Dankbarkeit, indem er den Offizieren ſchoͤne Ges 
ſchenke machte und freigebig unter die Soldaten eine große Summe 
Geldes vertheilte. *) 

Unterwegs fah der Vicekoͤnig von Weiten die ottomannifche Flotte 
in geichloffener Orbnung mit vollen Segeln öftlih fahren. Er hatte 
keineswegs eine genügende Stärke, um an ein Aufhalten derfelben zu 
benten ; ficher erreichte daher das Geſchwader Konſtantinopel. Solis 
man hatte ſchon Depefchen erhalten, die ihn auf die Rückkehr ber 
Flotte und auf dad Mißlingen der Expedition vorbereiteten. Er ges 
rieth in einen der Anfälle ungezügelten Zornes, welchen der alte Herr 
in feinem fpäten Alter etwas unterworfen geweſen zu fein ſcheint. Mit 
ohnmaͤchtiger Wuth fol er die Briefe mit Füßen getreten und betheuert 
haben, taß, da er feinem feiner Befehlähaber trauen Förme, er hiermit 
ſchwoͤre, im nächften Jahre felber eine Erpetition gegen Maltha zu 
führen und dort jeden Mann über die Klinge fpringen zu lafien! 
Indeß war er fo edel, daß er feine Wuth nicht an den unglüdlichen 
Befehlshabern ausließ. Damit um fo weniger die öffentliche Aufmerk⸗ 
famfeit erregt würde, ließ er die Ylotte mit den arg mitgenommenen 
Uederreften der Arınee bei Nacht in den Hafen einlaufen, wodurch ein 
fchr fchlagender Begenfaß zu dem Schaufpiel gebildet wurde, welches 
die glängente Armata darbot, als fie vor einigen Monaten unter 
ben freudigen Beifalldgefchrei der Menge von dem Goldenen Horn 
audtegelte. 

Während der ganzen langen und glorreichen Regierung Eolis 





-. 


*) Balbi fpricht mit dem Kefe feine Zufriedenheit aus, indem er erflärt, daß 
die vom Biccfönig herbeigefchafften Lederbiflen, fo koſtbar fie auch waren, doch Zeus 
ten, die für ein Huhn zwei Dufaten und anderthalb Mealen für ein Bi bezahlt hats 
ten, billig zu fein fchienen. 

15* 








228 Ä Eiftes Lapitel. 


man's traf feine Waffen keine fo erniedrigende Niederlage, wie ki 
der Belagerung von Maltha. Abgeſehen von den Koſten der Schiffe⸗ 
rhftungen, war der Berlufi an Menſchenleben ungeheuer, indem fih 
derfelbe, werın man die Mauren mit eintechnet, auf mehr als dreißig 
teufend Mann befief und gerade die beften Truppen des Reiches be 
traf. Das war beinahe der Berluft von Dreivierten der urfpräng 
lichen Belagerungdarmee , und eine fat unglaubliche Zahl, die beweiſ, 
daß die Peſtilenz eben fo thätig, wie das Schwert bed Feindes ge 
weien war.) 

Doch traf bei dieſer Belagerung die Ehriften der empfindlichſte 
Verluſt. Die volle Zahl von zweihundert Rittern, zweitaufend fünfhumdert 
Eoldaten und fiber fiebentaufend Einwohner — Männer, Frauen und 
Kinder — follen umgelommen fein. Die Vertheidigungswerke ber 
Inſel waren der Erde gleidy gemacht, die Dörfer eingeäfchert und bie 
grünen Saaten noch vor der Erntezeit abgemäht. Auf jedem Theile 
Maltha's war die Feuerſpur des Krieges zu fehen. Wohl durften 
die einfältigen Einwohner die Stunde verwünfchen, in welcher die Jo 
banniter zuerft den Fuß auf ihren Boden gelegt hatten. Die Kriegd 
vorräthe waren erfchöpft, die Speicher geleert, die Kaffe in der niedrigs 
fien Ebbe begriffen. Die Ordensmitglieder mußten jest ihre Ber: 
mögen@umftände von vorn beginnen. Aber noch genoflen fie den 
Ruhm des Sieged. Sie hegten das ſtolze Bemußtfein, daß fie mit 
ihren eigenen guten Schwertern die ganze Macht des ottomanni⸗ 
fhen Reiches zu Schanden gemadt hatten. Noch befeuerte ihre 
Bruft der namliche unbezwingliche Muth und mit ungebrochenem Ber 
trauen fahen fie der Zukunft entgegen. 

Dergeftalt waren bie Ergebniffe diefer merfwürbigen Belagerung, 
einer der merkwürdigſten Belagerungen in der Gefchichte, wofern man 
die Sroßartigfeit der Rüftungen, die Größe des Heered und den Muth 
der Bertheidiger in Anfchlag bringt. Es würde felbft für einen milis 
taͤriſchen Mann nicht leicht fein, nadı dem Verlauf von drei Jahrhuns 


— — — — — — 


*) Nah Balbi betrug die moslemitiiche Macht, mit Ausnahme der Seeleute, 
achtundvierzigtaufend Mann. Hiervon waren gegen dreißigtaufend Türfen. Der 
Meft befland aus den von Dragut und Haſſem geflellten Kontingenten. 





Die Belagerung von Naliha. 229 


derten mit einiger Beftinnntheit das von den Kaͤmpfenden eingehaltene 
Berfahren zu fritifiren, um daraus bie Urſachen des Scheiterns der 
Delagerer herzuleiten. in deutlicher und jehr wichtiger Fehler war, 
wie fchon bemerkt wurde, daß man nicht fogleich die Kommunifationen 
mi St. Elmo abichnitt, wodurch man erlaubte, daß von der gegen« 
überliegenden Hafenfelte beſtaͤndiger Zuſchuß in jene Feſtung gebracht 
werben konnte. Ein anderer, in feiner Art ähnlicher Fehler beſtand 
darin, daß bie Türfen trog ber ihnen zu Gebote ſtehenden mächtigen 
Blotte den Belagerten eine fortwährende Verbindung mit Sizilien ges 
ſtatteten und fogar eine Berftärfung von bort auf bie Injel gelangen 
ließen. Wir finden, dag Muftapha und Piali die Schuld hiervon 
auf einander fchieben und fich beionderd in Bezug auf Cordona zu reis 
nigen ſuchen, defien ſehr rechtzeitige Hülfe bei gehöriger Wachſamkeit 
ver Befehlshaber fowohl zu Lande als zu Waffer leicht hätte abge 
fhnitten werden fünnen. Kin ernſtliches Hindernis für die Belager⸗ 
ten war die Unmöglichkeit, von einem fo unfruchtbaren Plabe wie 
Maltha die Mittel zum Unterhalt der Armee zu befchaffen, und die 
Außerfte Schwierigfeit, Zufuhr aus andern Gegenden zu erhalten, ba 
felbige fo leicht von den feindlichen Kreuzern aufgefangen wurde. Doch 
follte man denfen, daß die im wetlichen Hafen unthätig liegenden türs 
kiſchen Galeeren leicht die von ber Barbareifüfte mit Broviant lom⸗ 
menden Tranoportſchiffe hätten decken können. Allein wir finden 
nicht , daß etwas Derartiged unternommen wurde.. Zu dieſen fänımte 
lihen Urſachen des Mißlingens muß man die Peftilenz hinzufügen, 
bie, erzeugt durch die tropische Hige eined malthefiichen Sommers, ſich 
gleich einer Biehleuche über dad Lager der Türfen verbreitete und die» 
jelden zu Taufenven hinwegraffte. 

Es war von Vortheil für die Belagerten, baß bie in ber legten 
Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts in der Fortifikationskunſt ges 
machten Kortfchritte derartig waren, daß fie in einem hohem Grabe 
die der Kelagerer durch den Gebrauch ihrer Artillerie — beſonders 
fo Ichwerfälliger und fchledyt bedienter Artillerie, wie der türkifchen — 
ziemlich paralyfirten. Allein dieſer Vortheil würde von geringem 
Werthe geweſen fein, wären die Belagerer nicht Leute geweſen, die fich 
denfelben zu Rue machten. Die eigentlihe Stärke ter Vertheidigung 


330 Gifies Kapitel. 


lag in bem Charakter ter Vertheidiger. Diefer war das wahre Boll- 
werk, welches jedem Verſuche der türfifchen Waffen widerftand, nach⸗ 
dem fchon die äußeren Bertheidigungen niedergefchoffen waren. Jeder 
Ritter war von ter Hingabe an feinen Orden und von jenem Kaffe, 
womit er feit feiner Wiege genährt worden, und der nun einen unzer⸗ 
trennlichen Beftandtheil feiner felbft bildete, beſeelt. Es war ihnen 
glüdlicy gelungen, dieſes Gefühl ihren Leuten und fogar den Einwoh- 
nern der Infel mitzutheilen. Indem aljo die Handlungsweiſe des 
Ganzen von einem einzigen Prinzipe befebt war, herrſchte jene Ein- 
heit und Pünktlichkeit im Handeln, welche erft ein Zufammengeböriges 
ausmaht. Bon der erften bis zur legten Stunde der Belagerung 
murde jeder Gedanke an Bedingungen mit dem Feinde verworfen. 
Jedermann war bereit, eher zu flerben, al& fi zu ergeben. Nur eine 
“ einzige Ausnahme fiel vor, indem ein gemeiner Soldat, der die Mög 
lichkeit eined erfolgreichen Widerſtandes gegen die Türfen in Abrede 
ſtellte, behauptete, e8 fei nothwenbig, daß man die der Befapung ges 
botenen Bedingungen annähme. Weil das Beifpiel feiner Feigheit 
anſteckend wirfen fonnte, büßte der elende Dann feine Schuld am 
Galgen. 

Bor Allem aber lag die Staͤrke der Belagerten in dem Charakter 
ihres Befehlshabers. La Balette war einer von jenen feltenen Men⸗ 
ſchen, deren Beichaffenheit fo wunderbar für die fle umgebenden Um⸗ 
Hände paßt, daß fie von ber Borfehung für fpezielle Zwecke erwedt 
worben zu fein fcheinen. Mit der Anhänglichkeit an feinen Orden, 
die er mit den übrigen Brüdern gemein hatte, vereinigte er eine flarfe 
religiöfe, aufrichtige und aufopfernde Gefinnung, die aus jeder Hands 
lung feines Lebeno hervorleuchtete. Diefe gab ihm nicht nur über feine 
Leute eine unbefchränkte Herrſchaft, fondern er befaß auch die Fähig⸗ 
feit, daraus den vollfländigften Ruben zu ziehen. Er befaß viele Er⸗ 
forberniffe , die zum Glüd im Kriege nothwendig find: große Erfah⸗ 
rung, fchnelle Auffaffung und ein Faltblütiges Urtheil. Hiermit vers 
band er eine Feftigkeit des Willens , die fidy weder dur Drohungen, 
noch durch Bitten wankend machen ließ und die blos wegen der eigen» 
thümfichen, ihn umgebenden Umflände nicht Eigenfinn genannt werden 
kann. Der Leſer wird fi an den merfwärbigen Fall erinnem, in 


Die Belagerang von Maltha. 351 


welchem La Balerte auf der Bertheidigung St. Elmo's beftand , troß 
der Segenvorftellung, ja, troß bed Widerftandes der Befagung. Hier- 
ber gehört gleicherweiſe feine Weigerung, ungeachtet ber gegentheiligen 
Anſicht des Rathes, die Stadt aufzugeben und ſich nah St. Angelo 
zurüdzuziehen. Wan Fann faum zweifeln, daß in beiden Yällen an 
feiner Enticheidung das Echidfal Maltha's hing. 

La Balette war von Ratur ernft und fcheint ein zur Traurigkeit 
geneigted Temperament befefien zu haben. Auf den von ihm hinter 
laſſenen Porträts hat fein edles Antlig einen melancholifchen Anftrich, 
ber zufammen mit der ®efchichte des betreffenden Mannes das Intereſſe 
des Auspruds fehr erhöht. Ihm war nicht jene Elaftizität, jene Leben» 
bigfeit des Geiſtes eigen, welche einen Menfchen alle im Wege ſtehenden 
Hinderniffe überfpringen läßt. Doch fonnte er den Kranken tröften 
und den Kiedergefchlagenen ermuthigen, nicht, indem er ihm die Ges 
fahr leicht machte, fondern dadurch, daß er ihn aufmunterte, wie ein 
tapferer Mann ihr furchtlos zu begegnen. Er täufchte feine Leute nicht 
durch Verſprechungen fremder Hülfe,, nachdem er felbft die Trüglichs 
keit derfelben eingefehen hatte. Anftatt derfelben lehrte er fie auf den 
Beiftand des Allmächtigen zu bauen, der die Verfechter feiner Sache 
nie verlafien würde. Er flößte ihnen den Muth der Märtyrer ein, jenen 
Randhaften Much, welcher die Seele mir Todesverachtung erfüllt 
und den ſchwaͤchſten Menfchen ftärfer als den ſtärkſten macht. 

In der Geichichte der Belagerung gibt es einen in Dunfel ger 
büllten Bunft, der nie hinreichend aufgehellt worden ift, nämlich: das 
Benehmen des Bicefönigs von Sizilien. Die wmeiften Schriftfteller 
ſuchen daflelbe durch die Vorausfegung zu erklären, daß Don Garcia 
in Gemäßheit der geheimen Inftruftionen feines Herrn handelte; denn 
Bhilipp, meinen fie, habe nicht feine Flotte für die Ritter in die Schanze 
fhlagen wollen, wofern nicht ein foldyer Schritt vollig unumgaͤnglich 
nothwendig geweien fei. Aber ſelbſt nach einer ſolchen Hypotheſe 
ſteht der Bicefönig nicht entichulpigt da; denn es war faft ein Wunder, 
daß die Ritter, che er ihnen zu Hülfe fam, nicht ſchon vertilgt waren, 
und wir dürfen ſchwerlich vorausfegen, daß ein fo fcharffinniger und 
weitblidiender Fürft, wie Philipp , der fo eifrig in Afrifa Eroberungen 
von den Ungläubigen gemacht hatte, es gern geſehen haben würde, 


wenn jene Veſte des Mitelmeers in bie Hand des Türken gefallen 
wäre. Daher bünft es und wahrſcheinlicher, daß ſich Don Barcie, 
im Bewußtſein ber größeren Staͤrbe der türfifhen Armada und unter 
ben Drude ber Berantiwertlichfeit jeiner Stellung als Picelönig von 
Sizilien, vor der Gefahr fürchtete, welcher fein Land nach der Zer⸗ 
ftörung feiner Flotte audgefegt geweien fein würde. Doc immerhin 
bleibt es ſchwierig, fein Berhalten ınit dem verabredeten Operationes 
Plane zu verföhnen und dafjelbe mit den dem Großmeifter im Anfange 
ver Belagerung gegebenen Berfpredyungen in Einklang zu bringen. 

Wie und berichtet wird, beisbwerte ſich La Balette in der Kolge 
über dad Benehmen des Vicekönigo bei dem Papſte, worauf ber legs 
“tere dem Könige von Epanien Die Sache vorftellte. Bald barauf ers 
hielt Don Sarcia die Fönigliche Erlaubniß, fi von der Regierung 
Siziliens zurüdzugiehen. Er zog fi in das Königreich Reapel zus 
rück, wo er, ohne eine weitere öffentliche Anftellung , feine übrigen 
Tage verlebte und in Bergefienheit ftarb. — Zrop alledem fann ein 
ſolches Schidfal noch nicht zu dem unumftößlichen Echiuffe führen, 
bag er nicht in Uebereinftimmung mit den geheimen Befehlen ſeines 
Herrn gehandelt hatte. 

Der Leſer, welcher dem La Balette durch die Belagerung Mal⸗ 
tha's gefolgt ift, dürfte begierig fein, das weitere Geſchick dieſes merfs 
würdigen Mannes zu erfahren. — Die Nieberlage der Türken verurs 
jachte durch ganz Europa eine große Senfation. In Rom wurde die 
Kachricht durch das Abdonnern von Kanonen, durch Illuminationen 
und Feuerwerke angefüntig.. Die Plaͤtze für öffentliche Geſchaͤfte 
waren geichloffen. Die Läden waren gleichfalls geſchloſſen. Die 
einzig geöffneten Orte waren die Kirdyen, und in diefelben. drängte ſich 
in feierlichem Zuge ®Berfonen aus jedem Stande — der Papft, bie 
Kardinäle und das Volk, — um an ben öffentlihen Tanfgebeten für 
dad glückliche Ereigniß Theil zu nehmen. Große Freude herrichte 
laͤngs der fännmtlichen Küften des Mittelländifchen Meered, deren Eins 
wohner von den Berheerungen der Türfen fo viel zu erleiden gehabt 
hatten. Der Name des La Balette, ald ded wahren Bertheibigers 
bed Kreuzes, war in Jedermanns Mumde. Die gefrönten Häupter 
wetteiferten miteinander, um.ihm Ehren und Komplimente zu bezeigen. 


Die Belageseing von Maltha. 298 


Der König von Epamien machte ihm ein Schwert und einen Doilch zum 
Gehen! ,, deren Gräfe von Bold und reich mit Diamanten verziert 
warn. Dee Geſandte, weldger das Geſchenf im Beiſein der verſam⸗ 
weiten Ritter überlieferte , begleitete es mit einer pomphaften Robrebe 
La Balette, worin er ihn den größten Feldherrn des Zeitalters 
nannte und ihn bat, fein Schwert noch ferner zur Bertheivigung ber 
Ehrißenheit zu gebrauden. Pins der Fünfte uͤberſandte ihm einen 
Rarkinalähut,, was in Anbetracht der Stellung des Großmeiſters als 
ein fonderbared Kompliment betradgtet werden fann. Indeß Ichnte 26 
%a Palette ab, indem er vorgab, daß feine Pflichten ald Kardinal ihn 
mit den Pflichten , tie er ald Oberhaupt bed Ordens habe, in Wider⸗ 
ſpruch bringen müßten. Einige legten dieſe Ablehnung als Beichei- 
benheit aus, während Andere, wahrfcheinlich mit eben fo vielem 
Gruude, fie von feiner Ungeneigtheit, feine gegenwärtige Würde durch 
bie Annahme einer untergeorbneten Stellung zu compromittiren, her⸗ 
leiten. 


Aber La Bulette hatte feine Zeit, mit eiteln Komplimenten und 
Ehren zu taͤndeln. Indem fein Heined Gebiet rund herum in Ruinen 
lag, dachte er jept auf die Mittel des Wicderaufbauene. Während 
des erften Jahres nach der Belagerung batten die Ritter guten Grund, 
einen neuen Angriff der Moslems zu befürchten, weßhalb Philipp eine 
Schutzqgarniſon von beinahe funfzehn tauiend Mann auf tie Infel 
fegte*).. Eoliman fehrte jedoch glüdlicherweile feine Waffen gegen 
einen nähern Feind und ftarb noch im Kaufe deſſelben Jahres in einem 
Kriege gegen Ungarn**). Sein Nachfolger Selim fand ein andered 
Feld zur Befriedigung feines Ehrgeizes. Indem auf dieſe Art ter 


au. — un 


*) Außer ten fpanifhen Truppen nahm ein Haufen franzoͤſiſcher Abenteurer 
Dirnfe unter La Balette und blich eine Zeit lang in Maltha. 

“) Bertot berichtet ung, daß die beabfichtigte Erpedition Soliman's gegen Maltha 
durch tie Zerflörung des großen Arfenals in Konſtantinopel verhindert wurde. Dais 
ſelde fei nämlich durch einen geheimen Emiflär La Valette's in Brand geſteckt worden. 
Es würde uns beſſer gefallen , wenn der Abt feine Autorität für dieſe befremdende 
Geſchichte, teren Wahrfcheinlichfeit keineswegs durch das, mas wir von des Große 
meißere Charakter kennen, beftärkt wirt, angegeben hätte. 


2334 Ciftes Kapitel. 


Großmeiſter von feinen Yeinden befreit blieb , konnte er feine ganze 
Thatkraft auf dad große Werk des Wiederaufbaues feiner zerflörten 
Hauptftadt und auf die beflere Inſtandſetzung ber Bertbeidigungswerke 
der Infel verwenden. Er beſchloß, bie Refidenz ded Ordens auf das 
Hodland des Berges Sceberrad, der die beiden Häfen trennt und 
fie beide beberrfcht, zu verlegen. Sein Scharfblid entdedte bald bie 
Bortheile diefer Rage, welche feitbem von der Zeit ald folche bes 
wiefen worden find. Hier nahm er ſich vor feine Hauptſtadt zu 
bauen, fie mit Kortiflfationen zu umgeben und zu gleicher Zeit die Bes 
feftigungen von St. Elmo zu verftärfen und zu erweitern. 


Allein fein Schatz hatte abgenommen. Er machte daher einen 
Plan der bezweckten Verbefierungen fertig und fandte denfelben an bie 
verfchiedenen europäifchen Fürften , indem er fie um ihre Beihülfe bat 
und ihnen Allen vorftellte, weldye Widhtigfeit die Erhaltung Maltha's 
ald des beften Bollwerks gegen die Ungläubigen habe, Sein Plan 
fand allgemeine Billigung. Die meitten Souveraine entfprachen feiner 
Aufforderung durch freigebige Beiträge; bierunter war ſeldſt der fran⸗ 
zöflfche König, ungeachtet feiner freundlichen Beziehungen zu dem 
Sultan. Diefe Gelder wurden nody durch die Beiträge der Ordens⸗ 
mitglieder, weldye fo viel als fie fonnten auf Kredit aufnahmen , ver 
mehrt. Endlich vermehrte fich die Summe noch durch die Verwerthung 
der von den maltheftfchen Kreuzern heimgebrachten Prifen, jener uner- 
fhöpflichen Einnahmequelle. 


Nachdem auf diefe Weiſe Gelder befchafft worden waren ſchritt 
bad Werf rüftig vorwärts. Den acht und zwanzigften März 1566 
legte der Broßmeifter in feinen Geremonienfleidern und im Beifein einer 
großen Menge Ritter und Einwohner den Grundftein zur neuen Haupt 
ſtadt. In denfelben war fein Wappen nebft der lateinischen Inſchrift 
„Valetta, * weldyen Ramen die Stadt zu Ehren ihres Gruͤnders führen 
follte, eingegraben*). Mehr als acht taufend Arbeiter waren bei dem 


*) Nach der ſpaniſchen und italienifchen Weiſe hatten die maltheflichen Städte 
gewoͤhnlich noch ein carakteriſtiſches Cpithet zu ihrem Ramen gefügt. La Baletie 
gab der neuen Gtadt ten Titel „Umillima* (die ſehr Demuüthige): woburd er aw 


Die Belagerung von Naltha. 3935 


Bau beſchaͤftigt, und eine Bulle Pius’ des Bünften geftattete,, daß bie 
Ürbeiten an den Feſttagen nicht eingeftellt wurden. Man fehlen die 
Wiederherftelung von Maltha für eine Ehriftenpflicht anzufehen”). 
2a Balette überwachte bie Arbeiten in eigner Berfon. Er war immer 
imter den Arbeitöfeuten an Ort und Stelle zu ſehen. Daſelbſt nahm 
er feine Mahlzeiten ein, erörterte mit feinem Rathe dort die Staates 
angelegenheiten und gad fogar fremden Geſandten ebendafeldft Au⸗ 
dienz. 

Inmitten dieſer ſtillen Beſchaͤftigungen ereigneten ſich gewiſſe Vor⸗ 
fälle, welche die Aufmerkſamkeit La Valette's ablenkten und betraächt⸗ 
lid, jeine Ruhe ftörten. Hierher gehört das liederliche Betragen einiger 
jüngerer Ritter. Außerdem gerieth er in einen Streit mit dem Papfte, 
weicher nach der gewöhnlichen anmaßlichen Weile des Vatikans ſich 
feloR die dem Drden zufommende Ernennung zu gewiſſen Pfrünten 
angeeignet hatte. 

Dieje unangenehmen Sachen machten dein Großmeifter großen 
Kummer , und er ſuchte fich oft durch einen Ausflug auf die Balken» 
jagd, von welcher er ein großer Liebhaber war, zu zerftreuen. Waͤh⸗ 
send er ſich diefem Zeitvertreib hingegeben hatte, traf ihn an einem 
heißen Tage ded Monate Juli der Eonnenftih. Man brachte ihn augen» 
blicklich nach Hl Borgo. Ein Fieber trat ein, und es wurde bald 
Har, daß fein durch beifpielslofe Mühſale und Entbehrungen abges 
fhwächter Körper der Krankheit reißen fehnell erlag. Ehe er ftarb, 
verfammelte ex um fein Lager mehrere Brüder, weldye hauptfächlich die 
Öffentlichen Angelegenheiten zu feiten hatten, und gab ihnen Rath⸗ 
ſchlaͤge, wie fie am beften feine Pläne ausführen fönnten. Beſonders 
ermahnte er fie, daß fie, wenn fie den Orden wieder zu feiner alten 


zeigen wollte, daß bei der Bruderfhaft Gt. Sohannis die Demuth eine der erſten 
Tugenden war. 

*) Der Bauſtyl der neuen Haupiſtadt fcheint von Rhodus entichnt worten zu 
fein, obſchon er, nach Carlisle, gezierter und reicher ale fein Vorbild war. „I traced 
much of the military architecture of Rhodes, which, grave and severe ihere, has 
bere both swelled into grest amplitude and blossomed into copious efflorescence ; 
it is mach the same relation as Henrys VIl.’s Chapel bears to a bit ol Durbam 
Cathedral. * 





286 Gifte Kayitei. 


Bröße bringen wollten, unter einander die Eintracht wahren follten. 
In feinem Teſtamente gab er feine Slawen (funfsig am der Zahl) frei, 
und erhielt die Bewilligung feiner Brüder, Daß eine von ihn in Bar 
letta erbaute Kapelle mit den binreichenden Mitteln verfeben wurde, 
um feinen Sieg über bie Unglänbigen zu verherrlichen. In biefer, der 
beiligen Jungfrau gewidmeten Kapelle wünſchte er nach feinem Tode 
zu ruhen. Nachdem er diefe Anorbuungen getroffen hatte, verfchied er 
am 21. Auguft 1568. 

Sein legter Wille wurde von feinen Brüdern pünftlich audge- 
führt, Der feine ſterblichen Ueberrefte enthaltende Sarg wurde auf bie 
Admiralitätögaleere an Bord gebracht ; fie war , wie vier andere, die 
fie eskortirten, ſchwarz aufgelegt. Diele Galeeren trugen den Haus⸗ 
halt des Berblichenen und. die Orbensmitglieder. Die von ihm ben 
Ungläubigen in der Schlacht abgenommenen Banner waren an ben 
Hintertheilen der Fahrzeuge aufgehangen , und wurden durchs Waffer 
gefchleppt. Beim Landen nahm die Prozeflion ihren Weg durdy die 
Straßen der auffeimenden Stadt, wo alle Arbeiten eingeftelt worden 
waren, nach der Kapelle zu Unferer Siegreichen Srauen. Dafelof 
wurde dad Leichenbegängnig mit aller Feierlichkeit begangen, und bie 
Ueberreſte des Helden wurden unter den Ihränen der Menge, welche, 
um diejen traurigen Tribut des Reſpekts feinem Andenken zu zollen, 
vor allen Theilen der Infel herbeigeftrömt war, ins Grab gelegt. 

Der jet Maltha befuchende Reifende findet feinen Gegenftand 
intercfjanter , als den ftattlichen Dom La Valette's, der noch an biftes 
riſchen Denfwürdigkeiten und Denfmälern ter Kunft, deren ihn ſelbſt 
die franzöftiche Habgier nicht berauben konnte, reich it. Wenn er in 
feinen verborgenen Theil binunterfteigt und durch feine unterirdifchen 
Räume wandelt, fieht er noch die Nifche mit ten lieberreften La Bas 
lette's, umgeben von der tapfern Ritterfchaft, welche einft an feiner 
Seite die Schlachten ded Glaubens fchlug. And ficherlich fonnte für 
feine Ruhe fein beflerer Platz ausfindig gemacht werten, als das Gerz 
der edlen Hauptftadt, von welcher man fagen kann, daß fie durch fein 
Genie gefchaffen wurbe. 

Die Sohanniter blieben im Allgemeinen den Marimen Sa Nas 
lette’d und den Prinzipien ihrer Gründung treu. Mehr ale zweis 


Die Belagerımg von Waltha. | 237 


hundert Jahre noch nach feinem Tode war Ihr Schwert immer gegen 
Ye Ungläublgen gezüdt. Ihre Galeeren kehrten nody immer nach dem 
Hafen beladen mit der Beute der Barbaren zurüd. Unaufbaltfam 
nahmen fie an Macht und Reichthum zu, und während rund um fie 
herum Reiche erftanden und zerbrödelten, bewahrte dieſe feine Bruͤder⸗ 
ſchaft friegerifcher Mönche, nadı dem Verlaufe von mehr denn fieben 
Jahrhunderten feit ihrer Gründung, noch ihre befondere und unab» 
bängige Eriftenz. 

In der langen Perfpektive ihrer Geſchichte gab es fein Ereigniß, 
welches fie fo fehr in Ehren zu halten fortfuhr , wie die Vertheidigung 
Maltha's durch La Valette. Denn bis zulegt ward der achte Septem⸗ 
ber — der Geburtstag der heiligen Jungfrau — ſtets als ihr ftofgefter 
Jahrestag gefeiert. An diefem Tage ging die fämıntlicye Ritterfchaft 
und dad Volk der Hauptitadt, mit dem Großmeifter an der Epige, in 
“ feierlicher Progeffion nad) der Kirhe St. Johannis. Ein Ritter, 
welcher den Helm und den Panzer der Vorzeit trug, hielt die firgreiche 
Standarte des Ordend hoch empor. in zu feiner Seite gehender 
Bage trug das von Philipp dem Zweiten geichenfte prächtige Schwert 
md ven Dolch. So mie bie Prozeſſion in die Kirche binfchritt und 
die Standarte am Buße des Altar niedergelegt wurde, wurde dies 
durch Trompetenichall und durch Kanonenfalven von den Feftungen vers 
findet. Der Gottesdienft wurde von dem Prior St. Johannis vers 
tichter, und während man das Evangelium las, hielt der Großmeiſter 
em bloße Schwert empor , zum Zeichen, daß die Ritter ſtets für das 
Kreuz zu fämpfen bereit waren. Nachdem die Yeierlichfeit vorüber 
war, wurde dem Wolfe ein fchönes Bild La Valette's gezeigt, und bie 
Brüder fahen mit ®efühlen der Ehrfurcht auf feine majeftätifchen Züge 
alö auf diejenigen des Retters des Ordens. 

Jetzt jedoch iR das Alles verändert. Anftatt daß ſich die Ehriften 
gegen den Türken verbünben, vereinigen fle fi nun, um ihn zu vers 
theidigen. Nun gibt e& feine Kreuzzuͤge gegen die Ungläubigen mehr. 
Das Zeitalter des Rittertbums ift vorüber. Die Zwecke, zu welchen 
die Hofpitalritter geftiftet wurden, haben längft zu eriftiren aufgehört, 
und es war ganz in der Ordnung, daß das Inftitut, das nun nicht 
länger nötbig war, mit ihnen endete. Die den Ruin ihres Ordens 


238 3 olftes Kapliel, 


überlebenden Ritter wanderten in fremde Länder. Ihre Inſel iſt im 
die Hände der Fremden Übergegangen, und heutzutage weht die Flagge 
Englands von den Wällen, auf denen einft dad Banner St. Johannis 
flatterte. 


Zwölftes Kapitel. 


Don Garlos. 
Seine Erziehung und fein Charakter. — Seine gefährliche Krankheit. — Sein 
ausfchweifentes Betragen. — Dleinungen über ihn. — Seine Verbindung 


mit den $lamändern. — Der Blan zur Flucht. — Sein tolles Benehmen. — 
Die Berhaftung. 


1567, 1568. 


Nach einer langen Abwefenheit müflen wir jegt zu den Küften 
Spaniens zurüdfehren,, wo Ereigniffe von der hoͤchſten Bedeutung für 
das zufünftige Geſchick der Monarchie vor ſich gingen. Zu derielben 
Zeit nämlich, wo bie in den erften Kapiteln dieſes Theiles beichriebenen 
tragiichen Ereigniffe in den Niederlanden vorfielen, ereigneten fi), wenn 
wir den umlaufenden Gerüchten glauben dürfen, in dem Palaſte des 
Monarchen felbft ebenfo tragifche Begebenheiten. Ich meine den Tod tes 
Don Earlod , Prinzen von Afturias, und den Ifabellens von Valois, 
Philipp's junger und fchöner Königin. Das Verbältniß, in welchem 
beide Theile zu einander ftanden , ihr frühzeitiger Tod und dad Ges 
heimniß, worein er gehüllt wurde , haben zuſammen mit dem finftern, 
gewiffenlofen Charakter Philipp'o zu den ſchrecklichſten Vermuthungen 
über die Urfache ihres Todes geführt. Das ſchon zu ihrer Zeit über 
ihnen fchwebende Geheimniß ift nicht durch die Unterfuhungen fpäterer 
Geſchichtsforſcher befeitigt worden. Gerade aus biefem Grunde ift es 
für die Fiktion ein unerjchöpfliches Thema geweien, bis man zuleßt 
annehmen fonnte, daß ed ganz aus dem Bereiche ver Geſchichte auf 
dad der Romanze übergegangen wäre. Man fand e8 vorzüglich für 
Bühnenzwede geeignet, weßhalb ed in der dramatifchen Literatur 


Don Carlos. 239 


Curopa's mehrere, von Meiſterhand herrührende Städe gibt, die in 
vüßeren Farben die unglädliche Liebe ded Don Carlos und der Iſa⸗ 
Bella darftellten *). 

Die Zeit, um einen fo dunfeln und verwidelten Gegenſtand zu 
erörtern , war noch nicht gefommen, fo lange als das fpanifche Archiv 
felbR den einheimifchen Forſchern eiferfüchtig verfchloffen blieb. Aber 
jegt, wo glüdlicherweife ein freifinnigeres Syftem bie Oberhand ges 
wonnen, und wo man Zutritt zu dem’ fohredlichen Aufbewahrungsorte 
der Geheimniſſe der fpanifchen Fürften hat, fcheint die Zeit da zu fein, 
die dunkle Geſchichte zu erforfchen. Und wenn ich mich auch nicht 
rühmen fann, daß ich im Stande bin, alle fo lange um den Gegen, 
Rand angehäuften Zweifel zu zerſtreuen, kann ich mir doch wenigftene 
fpmeicbeln , daß ich mit den mir zu Gebote ſtehenden Materialien bie 
Mütel befige, den Leſer auf einen beſſern Standpunft zu flellen, als 
er zuvor einnahm, fo Daß er jegt den ganzen Grund bemeflen und ſich 
fein eignes Urtheil bilden kann. 

Don Earlos ward am achten Juli 1545 geboren. Seine damals 
achtzehn Jahre alte Mutter, Maria von Portugal, ftarb wenige Tage, 
nachdem fie das zum Unglüd beftimmte Kind an's Licht der Welt 
gelegt hatte. Waͤhrend er alfo feit der Wiege Mr zärtlichen Sorgfalt 
der Mutter beraubt war, entbehrte er faft auch gänzlich die Sorgfalt 
des Vaters; denn che Carlos vierzehn Jahre zählte, war Philipp 
beinahe immer in den Niederlanden oder in England abweſend. Die 
Obhut des Kindes war während des größeren Theiles biefed Zeitraums 
Bhilipp’8 Schweſter, der Regentin Johanna anvertraut. Diefelbe 
war zwar eine vortrefflidhe Dame; allein fie fol, indem fie wahr⸗ 
ſcheinlich durch den fchwächlichen Körperbau des Don Carlos hierzu 
verleitet wurde, dem Knaben zu viel Nachficht haben widerfahren laffen 


— — un —— — —⸗- 


*) Alfieri, Schiller und in unferen Tagen Lord Sohn Ruſſel Haben, ein jeder 
nad feiner befonderen Auffaflung , diefe Geſchichte den Augen ihrer Landsleute in 
einem poetifchen Gewande gezeigt. Der caftilifche Dramatiker Montalvan, der vor 
der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts fchrieb , zeigt in feinem Principe Don Carlos 
fowohl mehr Achtung vor Hiftorifcher Wahrheit, wie auch vor der Ehre Iſabellens, 
intem er bie letztere keineswegs mit dem Geſchicke des Prinzen von Afturien in Bee: 
Bindung bringt. 





289 Zusdiftes Qupicel. 


und mehr für bie Erhaltung feiner phyfiſchen Geſundheit, abs fuͤr bie 
Bildımg feines Charatters beforgt geweien fein. Bei uwierem beiden 
Blauben an die der Erziehung zugefchriebenen Wunder gefchirht «6 
manchmal, daß wir auf die Aeltern oder Erzieher jene Maͤngel ſchieben, 
weiche mit mehr Grund in ter fehlerhaften Konftitwtion des Kindes 
gefunden werden. 

Als Carlos älter wurde, beauftragte Philipp mit dem Unterrichte 
befielden den Honorato Juan, tin Glied des faiferlidyen Haudhalted. 
Derfelbe hatte eine gute Erziehung genofien, war ſowohl eis frommer, 
als gelehrter Mann und trat kurze Zeit, nachdem er den Unterricht des 
Bringen übersoınmen hatte, in den geiftlicyen Stand ein. Der Brief⸗ 
wechjel zwiichen Henorato Juan und dem damals in Flandern ver⸗ 
weilenden Philipp dreht ſich um die Fortichritte des elf bis zwölf Jahre 
alten Carlos. Die Zufriedenheit, welche der König in feinen erſten 
Briefen bezeigt, nimmt ab, fowie wir weiter gehen, und nachdem er 
von dem Lehrer erfahren hat, daß der Zögling gegen feine Stubien 
gleichgültig iſt, drüdte er beiorgte Zweifel aus. 

Im Jahre 1556 verweilte Karl der Fünfte auf feinem Wege nad 
dem Klofter Yufte einige Zeit in Valladolid. Daſelbſt jah er feinen 
Enfel und nahın it als den Erben der weiten Befibungen , weldyer 
ſich der Kaifer erft vor Kurzem entäußert hatte, genau in Augenfchein. 
Indem er Carlos feine Feldzüge erzählte, theikte er ihm mit, wie er 
nach Innöbrud geflohen und dort beinahe in bie Hand feiner Feinde 
gefallen war. Hier unterbrady Carlos, ber aufmerffam zugehört 
hatte, den Großvater mit dem Ausrufe: „Ic würde nie geflohen 
fein!” Karl fuchte die Nothwendigkeit des Yalles. darzuthun; doch ber 
Knabe befand eigenfinnig darauf, daß er nie geflohen fein wuͤrde: 
worüber der Kaiſer, der hierin fein eignes Abbild aus ferner Kindheit 
wiederfand, ergögt und fogar entzüdt war. Indeß überfah Karl die 
Schwaͤchen feines Enfeld nicht, fondern gewahrte das tropige, auffah- 
rende Weſen, welches von Seiten der Negentin eine zu große Rad 
fiht verrieth. Karl tabelte Carlos wegen Mangels an Unterwuͤrfig⸗ 
feit gegen feine Tante und fagte diejer ohne Umfchweif, daß fie, wenn 
fie mit dem Knaben ſtrenger verfahren wollte, eined Tages ben Danf 
der Ration verdienen würbe. 


Den Carlos. | a 


Nachdem der Kaifer fi in die Einfamfeit zurückgezogen hatte, 
fam fein Geift,, der, wie wir ſahen, ſich fortwährend mit den außer, 
halb der Kloftermauern vorgehenten öffentlichen Angelegenheiten be 
Ihäftigte, wieder auf feinen Enkel, den Erben feined Namens und 
feines Scepters, zurüd. Noch find zu Simancas die Briefe vorhan⸗ 
den, welche er mit Don Garcia be Toledo , dem Bruder des Herzogs 
von Alva, wechfelte. Derſelbe war nämlich ayo oder Hofmeifter des - 
Prinzen. In einem Briefe dieſes Angeftellten aus dem Jahre 1557 
baben wir eine kurze Weberficht über die Zeiteintheilung des damals 
zwoͤlf Jahre alten Prinzen. Aus diefem ziemlich intereffanten Stuns 
denplane Eönnen wir den Abriß einer königlichen Erziehung jener Zeit 
erichen. 

Carlos fand früh vor fieben Uhr auf, frübftüdte gegen halb 
neun Uhr und ging um diele Zeit zur Meſſe. Darauf machte er fid 
an feine Studien, mit denen er fich bis zur Mittagsmahlzeit beichäfs 
tigte. Worin dieſe Studien beftanden, wird und nicht berichtet. Ein 
damaliger Schrififteller fagt, daß Carlos, un feine Xeidenichaften beſſer 
beherrichen zu lernen, Gicero’d Officia lad. Um elf Uhr nahm er 
die Mittagamahlzeit ein. Alsdann vergnügte er fi in Geſellſchaft 
feiner Gefpielen mit Diskuswerfen, mit trucos (einer Art Billard), 
oder mit echten und bin und wieder mit Reiten. Nachdem er halb 
vier Uhr eine leichte Mahlzeit, die merienda, eingenommen hatte, ließ 
er fi) vorlefen, oder erging fich bei fchönem Wetter im Freien. 
Am Abende foupirte er. Nachdem er hierauf halb zehn Uhr den Ros 
fenfranz burchgebetet hatte, ging er zu Bett, wo er, wie fein ayo 
jagt, gewöhnlich bid zum folgenden Morgen in einem Stüde fort 
ſchlief. Das war gewiß eine mechanifche Lebensweiſe, bei der mehr 
für tie Berürfniffe des Körpers ald des Geiſtes gelorgt zu fein ſchien 
und die in ihrem Verlaufe fo regelmäßig wie dad Mönchöleben des 
Großvaters in Yuſte war. Doch unterläßt Don Garcia nicht, feine 
Unzufriedenheit über den Mangel an Interefie kundzugeben, welchen 
fein Zögling nicht allein bei feinen Studien, fondern auch beim Fech⸗ 
ten, Stodfchlagen und andern für die damalige Erziehung fo weſent⸗ 
lichen männlichen Uebungen an den Tag legte. Zugleich gedenft er 
der erften Symptome jener Zornanfälle, welche ſchon die Konftitution 

Brexcort, Seid. Rbilipp's II. II. 16 





BB Suites Qupliel. 


Des Prinzen bebrohten und diefelbe in fpäreren Jahren völlig unter 
geuben. 

In einem andern Briefe bemerft Don Garcia, daß es beffer fein 
würde, wenn der Kaifer den Don Carlos nad) Yuſte fommen laſſen 
wollte; kenn er iR überzeugt, daß die Autorität des Großvaters ber 
wirfen wird, was bie feinige nicht hat zu Stande bringen fönnen. 
Aber offenbar fand dieſer Borkchlag bei dem königlichen Klausner fein 
günftiges Gehör, weil Karl nicht geneigt war, an feinem Büßorte 
ein fo ſtörendes Kamilienmitglied eindringen zu laſſen. Da ter 
Kater kurz darauf farb, war ihm der Verbruß erſpart, den ihm bie 
traurige Laufbahn ſeines Enfels verurſacht haben würde. 

Die Berichte der venetianifchen Gefandten, — jene koſtbaren 
Dofumente , welche fowohl in Bezug auf Staats⸗ wie auf Privatan- 
gelegenheiten fo belehrend find, — erwähnen zu diefer Zeit den Prin⸗ 
zen manchmal. Doch find diefe Erwähnungen keineswegs ſchmeichel⸗ 
haft. Sie beichreiden Carlos als ſorglos, ungebultig, wild, ja fegar 
ald zur Braufamfeit geneigt) ; dabei fei er fo anmaßend, daß er in der 
Gegenwart tes Kaiſers oder feined Bater6 nicht gern einige Zeit mit 
unbededtem Haupte ftände. Doc, wird diejed herbe Bild einigermaßen 
durch andere Züge gemildert: denn er war — freilich bie zur Ver⸗ 
ſchwendung — freigebig , indem er feine Rleinodien und Juwelen , ja 
fogar, in Grmangelung von Geld, feine Kleiter verſchenkte. Er beſaß 
ein furchtlofe® Herz und eine ftarfe Borliebe für den Kriegerſtand. 
Weit entfernt, einen frivolen Geſchmack zu befipen,, verachtete er die 
RVoffenreißer, und machte fo viel gute Bemerkungen, daß fein Hofe 
meifter diefelbden fummelte**). Wie ed gewöhnlid mit den Beichreis 

*) Nach den von Badoaro mitgetheilten Erzählungen tes Hofes war Carlos 
fo graufam, daß er Hafen oder antere# ibm gegebenes Wiltpret, um ſich zu ergößen, 
lebendig briet! — „‚Dimostra harere aa animo fiero, et tra gli efletli che si 
raccontano one &, che alle volte, che dalla caccia gli viene portato o lepre o simile 
animale, si diletts di vedirli arrosiire riri.“ Relatione de Badoaro, MS. 

**) Gin anderer Zeitgenofle bemerkt ebenfalls tie ſich in ten geiftreichen Bes 
merfungen offenbarenten früßzeitigen Talente tes Knaben. — ‚‚Dexo de contar las 
gracias que tiene en dichos mararillosos que andan por boca de todos desparzidos, 
dexo de contar lo que haze para prorar lo que dize.‘“ Cordero, Promptuarıo de 
Medallas, ap. Castro, Historia de los Protestantes Espanoles. 





Dust Batius. | 238 


bungen von Prinzen ver Fall iſt, ſcheint auch die Befihrelbung dieſeß 
kaum vierzehn Jahre atten Knaben ſowohl kn Guten ats im Boͤſen 
fehr uͤbertrieben au fein. 

Doch mag man biligermaßen feine Fehler, wenigſtens feine Lau⸗ 
nen, mit ſeinem Geſundheitszuſtande entſchuldigen; denn ſein ärger⸗ 
liches Temperament hatte ſchon begormen ſich in der Geſtalt eines 
Wechſelfiebers zu zeigen, womit er ſtets während feines übrigen Le⸗ 
bend behaftet war. Unter dieſer niederdrückenden Kranfheit nahmen 
feine Zebenageifter ab, fein Körper ſchwand dahin, und feine Kräfte 
verließen ihn in fo hohem Grade, daß man befürchtete, er würde daB 
Mannesalter nicht erreichen. 

Im Anfange des Jahres 1560 fam Iſabella von Frankreich nad 
Gafitien und den zweiten Februar ward fie mit Philipp verbunden. 
Durch die Bräliminarien des Vertrags von Catrau⸗Cambreſits war 
ihre Hand dem Don Carlos verfprochen worden; allein da Maria 
Tudor vor der Ratifizirung des Vertrags farb, wurde der Name bes 
Vaters demjenigen des Sohnes fubftituirt und bie Fönigliche Jungfrau 
mit Vhilipp verlobt. 

Die Hochjzeitöfelerlichfeit wurde au Toledo mit großer Pracht bes 
gangen. Carlos war zugegen. Es ift nicht unwahrſcheinlich, daß, 
als er die frhöne Braut erblicte, er ſowohl Aerger als Bedauern fühlte, 
zumal wenn er daran dadjte, wie ihre Hand ohne alle weiteren Ums 
fände von ihm auf feinen Vater übertragen worden ſei. Allein wir 
würden nicht fo wmbedingt glauben, daß auch Iſabella für einem 
viersehnjährigen, mit fo wenig Reizen ausgeftatteten Knaben jene zarte 
Liede empfand, melde ihr romantiiche Gefchichtefchreiber beigelegt 
haben. 

Den zweiundzwanzigften des naͤmlichen Monats wurde Carlos 
von den Eortes Eaftiliend förmlich als Kronerbe anerfannt. Hierbei 
waren die verfchiedenen Glieder der Föniglichen Bamilie nebft dem gro« 
fen Adel und ben Repräfentanten der Gemeinen anweſend. Bei dem 
feierlichen Aufzuge ritt der Prinz ein weißes, mit Berelichen Deden bes 
legtes Roß, während fein von Juwelen ftrahlendes Ktefd zu feinem 
gelblichen, Eränflichen Ausſehen einen traurigen Gegenſatz bildete, 


Gr repräfentirte bei der Geremonie feine Stelle mit Würde und Srfühl. - 


16* 


\ 


BAR Zuwilltes Kapitel. 


48 feine Tante Joanna und fein Ontel -Sohann von Defterreic, 
nachdem diefelben den Eid geleifter hatten, nieberfnieen und nadı ber 
fömmlicher Weife ihm die Hand küſſen wollten, gab er ed nicht zu, 
fondern bob fie liebreich auf und umarmte fie. Als dagegen ber Herzog 
von Alva den legteren Huldigungsaft unachtfam vergaß, empfing ihn 
der Prinz fo Falt, daß der durch des Prinzen Benehmen getabelte ſtolze 
Edle feinen Irrthum einſah und demuͤthig eingeſtand. 

Im Herbſt des folgenden Jahres begab ſich Carlos, in der Hoff⸗ 
nung, durch den Luftwechſel ſeine Geſundheit zu verbeſſern, nach Al⸗ 
calä de Henares, das durch feine vom großen Zimenes geſtiftete Unis 
verfität berühmt war. Ihn begleiteten zwei Sünglinge , die beide in 
ber damaligen Gefchichte zu einer großen Rolle beftimmt waren. Der 
eine war Philipp's natürlicher Bruder, Don Johann von Defterreidy, 
der Held von Lepanto; der andere des Prinzen Better Aterander Bars 
neſe, der Sohn Margarethbend von Parma, welcher jegt die Schule 
durchmachte, die ihm fpäter zum größten Feldherrn feiner Zeit bildete. 
Die drei jungen Leute waren zwar ziemlich von gleichem Alter; allein 
der Onfel und der Eoufin bildeten mit ihrem föniglichen Verwandten 
durch ihre Talente und perfönliche Erfcheinung , ſowie durch bie 
ihrer wartende glänzende Laufbahn einen ftarfen Kontraft”). 

Carlos war noch nicht ganz zwei Wionate in Alcalä, als 
ihn ein Unfall traf, der von den unheilvolften Folgen begleitet war. 
Als er nämlich im April 1563 eines Abends eine von einem Stod- 
werf in's andere leitende Treppe hinabfteigen wollte, trat er fehl und 
fiel fopfüber fünf bis ſechs Stufen hinunter gegen eine Thür am 
Ende des Banged. Er wurde befinnungslos aufgehoben und in 
fein Zimmer gebracht, wo fogleich feine Aerzte erfchienen und bie 
nöthigen Mittel anwandten. Anfangs ſchien ed nur eine einfache 
Duetfchung am Kopfe zu fein, denn die Mittel der Aerzte hatten den 





*) Strada vergleiht die königlichen Jünglinge gegen einander und erfennt dem 
Don Johann von Deflerreich ten Preis zu. Seine Schilderung des Carlos iſt für 
bieien weder in Bezug auf die Geſtalt, noch auf den Charakter ſchmeichelhaft. — „,Ca- 
rolus, praeter colorem et capillum, ceterüm corpore mendosus; quippe humero 


elatior, et tibiä altera longior erat; nec minus dehonestamentum ab indole feroc 
et contumaei.“‘ 


, Don Garlas. 243 
gewünfchten Erfolg. Allein ſchon bald wurden bie Anzeichen beums 
rubigender. Es trat Fieber ein. Er befam dieRofe ; der Kopf ſchwoll 
ihm beträchtlich an; ex wurde gänzlich blind, und hierauf folgte Detis 
rium. Jetzt wurde klar, daß der Schäbel einen Bruch erhalten hatte, 
Dan rief die königlichen Aerzte herbei, und nad) einer flürıniichen Bes 
rathung, bei welcher die Doctoren wie gewöhnlich fich ‚nicht über die 
anzumendenden Mittel einigten, beichloß man, den Patienten zu trepas 
riren. Die Operation wurde mit Sorgfalt verrichtet; ein Theil des 
Knochens der Gehirnfchale wurde entfernt; aber ed zeigte fich feine 
Beflerung *). | 

Unterdefien verbreitete fich durch den drohenden Berluft des 
Thronerben im ganzen Rande der größte Schrecken. Ueberall gefchahen 
Prozeſſionen nach den Kirchen, Gebete wurden angeordnet, Wallfahr⸗ 
ten gelobt, und die fanatifche Menge geißelte fich felbht auf das Uns 
barmberzigfte , indem fie durch felbftauferlegte Kaſteiimg den Zorn des 
Himmeld vom Lande abwenden zu fünnen hoffte. Doch dies Alles 
balf nichts. . oo. 

Wir befigen eine Darftellung des Falles von der Feder ded Docs 
tord Olivares, des Leibarztes des Prinzen. Einige Arzneien waren 
derartig , daB fie, würten fle heutzutage in einem mediziniſchen Jour⸗ 
nale angeführt, in Berwunterung feßen würten. Nachdem alle Bew 
muͤhungen ärztlicher Kunft mißlungen und audy die unter dem Volke 
berühmte Ealbe eined mauriſchen Doctord vergeblid in den Körper 
des Prinzen eingerieben worden war, befchloß man, fidy direft an den 
Himmel zu wenden. In dem Klofter Iefus Maria ruhten bie Gebeine 
eined heiligen Branzisfanerd, Fray Diego’s, welcher vor hundert Jahr 
ten unter der Regierung Heinrich’8 des Vierten im Geruche der Heis 
ligkeit geftorben war. König Bhilipp und fein Hof gingen in feier⸗ 
licher Brozeffion in die Kirche, und in ihrer Gegenwart wurben bie 
moderigen Ueberrefte des guten Vaters, welche, wie und berichtet wird, 
noch angenehm rohen, aus ihren eifernen Sarge genommen und nady 





) Nach Guibert, dem franzoͤſiſchen Geſandien, war Garlos, ale er fiel, im 
einem Liebesabenteuer begriffen. Ex flieg nämlich einen dunkeln Treypenweg hinab, 
um das Töchterlein des Pförtners vom Garten aufzuſuchen. 


Bi6 Zul Aayiel. 


dem Zimmer des Bringen gebuads. DaicthR wurden fie auf fein Bett 
griban, und das Tuch, in weiches der Schäbel des Torten eingchalu 
grweien war, warde Garles auf die Stimme gelegt. Glücklichenweiſe 
verbütche Der verwirrte Zuftand des Patienten das Gmtichen, welches 
ex außerdem bei diefer Operation empfimten haben würde. Noch die 
wimlidge Nacht erſchien der Moͤnch vem Carlos im Traume. Er waz 
in fen Stanziöfanrrgavand eingehüllt, hatte einen grünem Gürtel 
um die Lenden umd hielt cin aus Rohe gefertigted Kreuz in ter Hau. 
Er fagte zu ihm in einem fauften Tone, „er möge guten Muthes fein, 
denn er würde fiher genefen.” Wie ter ten Fall berichtende Arzt zur 
gibt, erholle ſich der Patient vom tieter Jeit an ih. Das Fieber 
wid, bie Beickwmulft des Kopfes ichte ſich, umd er lernte wieder ſehen. 
Nicht ganz zwei Menate frit dem Anfang jeiner Krankheit war Carlos, 
der die ganze Zeit über eine wunderbare Folgſamtkeit bewieſen hatie, 
in den Etand geiebt, in dad anſtoßende Zimmer zu gehen. Dort un 
ermte er jeinen Bater, welcher währen» der ganzen gelährlidyen Per 
riode der Krankheit feine Refidenz in Alcalä aufgeſchlagen wm» eine 
Beiorgniß gezeigt hatte , wie Re einem Bater unter folgen Umfänden 
sarürlide iR. 

Natürlich wurde das Verdiruf der Heilung dem Fray Diege bri- 
gelegt*). Ein gebührendermaßen autbentiich dargeftellter Bericht det 
Wunders wurde nady Rom gefandt, worauf ber heilige Mann, Phi⸗ 
lipp's Anjuchen gemäß, vom Papfe kanoniſirt wurde. Das Recht det 
neuen Heiligen auf die Ehre, daß er die Kur verrichtet habe, wirt von 


") Den Gebeinen des ray Diego wurde von Unferer Lieben Frau von Atocha. 
der Schupbeiligen von Madrid, der Rang Rreitig gemacht. Ihr von Philipp auf's 
Hoͤchſte verehrtes Bild war naͤmlich bald nach dem Skeletie Des heiligen Mönde in 
das Zimmer des Carlos gebracht worden. Da dies erfö gefchah, nachdem ſich der Bar 
titat bereits zu beflern angefangen hatte, haben nie Gefchichtsichreiber Anſerer Fran 
yon Atacha um fo meniger Grund, entſchieden und feft, wie geichieht, für ſie einen Antheil 
zu beanfvruchen. Die Verehrung der Batronin von Madrid hat bis auf unfere Tage 
fortgedauert. Bin nun eingegangenes Journal der Hauptflatt meldet, daß die Kös 
nigin in Begleitung ihres hoben Gemablo und der Prinzeſſin von Aſturias ben 
YAleruntgeemigiien März 1854 in feierlicher Prozeſſion zur Kirche ging, um des 
Bild mit dem Halsbande des Goldenen Btiches zu zieren. 


Deu Gertan. ar 


den caftiliſchen Geſchichtoſchetibern diefe® und. der folgenden Zeikalten 
nareerũchtlich beftätigt. Seinen habe ich hichn genug gefunden, daß er 
daſſelbe beftritten hätte. Nur Doctor Olwares felber, der natürlicher 
weile die Ehre feines Stantes in Schup nakın, ſprach vor der Kano⸗ 
niſirung feine Ueberzeugung dahin aus, daß, abgeſehen vom der Wir⸗ 
bung, welche tie Dermittelung des Fray Diego und Das Gebet der 
Gerechten gehabt hätte, Die Geneſung des Prinzen haupiſachiich der 
Kund der Aerzte zu verdanken ſei. 

Allein die Wiederherſtellung des Carlos ſcheint nicht ſo vollſtaͤndig, 
wie man anfangs glaubte, geweſen zu fein; dena man hatte guten Gruub, 
zu vermuthen, dag die Grjchütterung des Kopfes ſeinem Gehirn einen 
bleibenden Schaden zugefügt haben wine, Wenigſiens läßt ſich dies auß 
ben unfinnigen Ueberſpanntheiten feined folgenden Betragend und aus 
der forgloien Weiſe, in welcher er lich der Vefriedigung feiner Lüfte 
Überlieh, ſchließen. Nachdem or fi) 2565 von eimem viertägigen Fie⸗ 
ber, womit er noch behaftet war, erholt haste, bemerkte Philipp mik 
einem Seufzer gegen den feanzöfifchen Oeſandten Sr, Sulyice, „Dafı 
er hoffte, feine wiederholten Exrmahmangen würden endlich künftig 
bei dem Prien enfıhlagen, damit en nicht mehr fa Ichredlich feine 
Geſundheit untergrüde.“ ber der unglüchliche junge Mann macht ſich 
ſolche Ermahnungen ebenſowenig ‚wie feine eigenen Efahrungen zu 
Nithe. Leute, die damals am Hofe waren, baben uns von ſeinen 
tollen, das Stadigeſpraͤch bildenden Saunen viele Geſchichten hinter⸗ 
laſſen. Brautome, ner 1864 dert war., jagt, daß Carlos mit einer 
Unpaht eben fa ungezogener iger Ghlen durch bie Straßen firidi, 
daß fie die Borübergehenden mit gezogenen Schwertern anfielen, die 
Grauensperfonen küßten uns fogm die nentebiuflen Damen mit ben 
(dimpflichften Ramen briegten. 

Die jungen Stuger deso Hofes pflagken damals jehr grebe Stie⸗ 
feln zu tragen, Carlos Lich die ſeinigan noch größer als gewoͤhnlich 
machen, damit er ein paax Pißolen hineinfledien konnte. Da Philipp 
Weir gehaͤhrl iche Gewohnheit verhindern weilte, lich er hie Suiefeln 
ſeines Sohnes kleiner machen. Als istoc, ber Schuhmacher damit in 
den Palaſt kam, gerieth Carlos daruͤher in Wuth und gab ibm eint 
Taacht Schläge. Nachdem er hierqui das deden hatte in Stüde ſchnei⸗ 


248 Zudlfes Rayikl. 


ben und ſchmoren laſſen, zwang er den unglüdlichen Handwerker, ſo⸗ 
viel als derielbe hinunterfchlingen fonnte , von. dem unfhmadhaften 
Fricaſſee auf der Stelle zu eſſen. 

Ein anderes Mal machte er wegen einer geringfügigen Belei⸗ 
digung einen heftigen Angriff auf feinen Haudmeifter Don Gurcia de 
Toledo. Sodann wollte er einftmals feinen Kämmerer Don Alonze 
de Cordova zum Fenſter hinauswerfen. Diefe Epelleute befchwerten 
fi) deßhalb bei Philipp und baten ihn, er möge fie von einem Dienfte 
befreien , wo fie die ihnen angetbanen Beſchimpfungen nidyt ahnden 
könnten. Indem der König bierein willigte und fie in feinen eigenen 
Tienft nahm, ernannte er feinen Lieblingsminifter Ruy Gomez de 
Silva zum Gouverneur des Carlos 

Allein der Prinz hegte fein Anfehen der Perſon. Eo hatte der 
Kardinal Espinoſa, Bräfldent des Rathes von Eaftilien und fpäter 
Großinquiſitor, einen Schaufpieler, Ramend Ciöneros, aud dem Pas 
lafte, wo er den nämlichen Abend vor dem Brinzen ipielen follte , vers 
wichen. Wahrfcheinli war es auf dad Scheiß Philipp's geicheben. 
Doch ald Carlos dem Earbinal begegnete, faßte er ihn derb am Kra⸗ 
gen und rief, indem er die Hand an den Dolch legte: „Sie räudiger 
Priefter, Sie wagen Eisneros zu verbieten, vor mir zu fpielen? Beim 
Leben meined Vaters, ich will Sie umbringen !* Der zitternde PBrälat 
warf ſich auf die Kniee und fühlte ſich glüdtich, als er mit dem Leben 
aus den Händen des erzüumten Bringen davonfam. Es wird und nicht 
berichtet, ob der Komödiant am Ende noch ſpielen durfte. Allein der 
Stoff, woraus ein Großinquiſitor gemacht ft, gehört Feiner nachgiebi⸗ 
gen Art an. 

Eine noch wunderlichere Anekdote wird und von Robili, dem 
damals bei Hofe anweſenden toscanifchen Geſandten, erzählt. Indem 
Carlos Geld brauchte, erfuchte er einen Raufmann , Ramens Gri⸗ 
maldo , ihm eine Eumme von funfzehnhundert Dufaten vorzuftreden. 
Der Geldleiher ließ fich gern dazu herbei, dankte dem Prinzen für bie 
ihm angethane Gnade und fügte nach der gewöhnlichen caftilifchen 
großfprecherifchen Welfe Hinzu, daB „Alles, was er befäße, zu feiner 
Verfügung ſtehe.“ Carlos hielt ihn beim Worte und verlangte auf 
der -Stelle hunderttaufend Dukaten. Vergebens betheuerte der durch 


Den Gartos. 8 


die Forderung erfchredie. arıne Brimalto , daß „die® feinen Kredit rui⸗ 
niren würbe, und daß er dem Prinzen nur ein Kompliment gefagt 
hätte.” Carlos entgegnete, „derfelbe habe fein Recht‘, mit Prinzen 
Komplimente zu wechieln, und wenn er nicht binnen vierundzwanzig 
Gtunden dad Geld bis auf dem lehten Real bezahlte, follten cr und 
feine Familie e8 zu bereuen haben.” Erſt nach langer Unterhandlung 
fonnte Ruy Oomez den Bringen dahin dringen, fich mit der beſcheide⸗ 
nen Summe von fechözigtaufend Dukaten, welche demnach von dem 
unglüdiichen Raufmanne gezahlt wurde, zu begnügen. Nach Nobili 
war das auf diefe Weiſe erhaltene Geld wie gewonnen, fo zerronnen. 

Gluͤcklicherweiſe gibt ed Lichtſtellen, um bie dunfeln Echattiruns 
gen dieſes Gemaͤldes zu heben. Tiepolo, der 1567, als Carlos 
zwanzig Jahre zählte, venetianifcher Geſandter bein Madrider Hofe 
war, giebt und vom Bringen einige Nachricht. Er räumt das anma⸗ 
ende, auffahrende Wefen deſſelben ein, preift jedoch feine Wahrheit: 
kiebe und, mas man kaum hätte erwarten ſollen, ven Ernſt, womit er 
fine Andacht verrichtete.. Er war Außerft mildtbätig und fragte: 
„wenn Prinzen nicht gäben , wer es denn thun ſolle?“ In feiner Les 
bendweiſe machte er vielen Aufwand und belohnte nicht allein feine 
eigenen Bebienten , fonbern auch diejenigen des Könige, die ihm fehr 
ergeben waren, auf das Yreigebigfte. Eifrig fuchte er an der Leitung 
der öffentlichen Angelegenheiten Antheil zu nehmen unb war arg miß⸗ 
vergnügt, wenn er — wie died von feinem Vater gemöhnlidy geichaf 
— daven ausgeichloffen wurde. 

Es gereichte dem Prinzen ficher zur Ehre, daß er alle diejenigen, 
welche mit ihm in die nächfle Berührung kamen, perſoͤnlich fehr zu 
feffeln vermochte. Darunter war feine Tante, die Regentin Joanna, 
und die Königin Iſabella, welche lehtere, intem fie. ibn mit einem 
durch ihre Stellung gerechtfertigten Intereſſe betrachtete, ihn gern mis 
ihrer Schweſter vermählt geichen hatte. Ebenfo- hielten feine Tante 
und ihr Gemahl, ber Kaifer Marimilian, ven Don Carlos, welchen 
Ne ſchon früh gekannt hatten, in fehr theurem Andenken und wänfchten 
feine Hand ihrer Alteften Tochter zu ſichern. Noch mehr zur Ehre jes 
doch gereicht ihm das Verhältnis, in welchem er zu feinem Lehrer Ho⸗ 
norato Juan Rand. Dieſer war auf des Prinzen Betreiben zum Biſchof 


IR Zwiies-Rupiit. 


won Döma ernannt worden. Bren Büste Carlos den guten Dlanw 
mmer in feiner unmittelharen Nähe behalten ; allein derſelbe war üs 
feiner Dioͤzeſe natpwendbig. Wenn wir vor bear Style abfehen, ſpro⸗ 
den die nam Zelt zu Zeit von bem früheren Zoͤglinge gefcheicbenen 
Briefe ſehr für die Herzensgäte deſſtlben. „Mein beſter Freund in 
dieſem Leben, ich will alle Ihre Weunsiche erfüllen,“ ſchreibt er ame 
Schluffe derfelben. Leider ſtarb diefer gute Freund und Rathgeber uw 
Jahre 1506. In feinem Tetanente erſuchte er Carlos, ſich unter 
frinen Effeften , was ihm anflände, beraus;umähden. Auch ermäch⸗ 
tigte er ihn, ſogar die Teftamentöbchimmsumgen: umzuaͤndern und von 
ſeinem Eigenthume jeben beliebigen , ihm gus hünfensen Grbrauch zu 
waren! Wenn dieſer einzig daßehende Beweis vun Bertram viel 
leicht bloß ein ſpaniſches Kompliment war, fo war berfelbe bei eier 
Perfon mie Santos, ber, wie ker Fall mit Grimaldo zeigt, die Kompli⸗ 
mente wörtlid) nahm, etwas gefährlich. 

Nach Alledem icheim ed, daß im Gharakter db Priagen dev Keim 
zu. ehelmüthigen Eigenichaften lag, welche untes einer brfferen Pflege 
gute Fruͤchte hätten hervorbringen Binnen. Aber er befand ich in jewer 
erhabenen Stellung, welche ihn dein Binfufe von Schmarotzern aud⸗ 
fepte. Diefe fdgmeichelten feinem Stolze und verberbten, Indem fie 
feinen Lüften fröhnten, fein Derz.. Auf der vom ihm eingenemmene 
Höhe wurden auch feine kleinſten Irrthümer and LUeberipamnährie 
ven erſichalich und Begenfeinbe einer ſchonungsloſen Beurtheilung. 
Wenngleich er feinem Vater äͤußerlich ewas ähmelte, war es 
had) ſowehl im Guten wie im Boͤſen won beinfelbew fo verichieden, 
daß zwiſchen beiden eine vollſiändige Kluft beſtand. Indem ber eine 
hen: andern nicht begreifen fonnte, esmangeite ber Vater der Mittel, 
won über ven Sohn einen. Cinfiaeß aubzwüben. Die liederlidye vebend⸗ 
weile deö Bringen, fein fortwähsenke& Bergefien des Deforums eisen, 
um c6 demlicher zu jagen, feine leichtinnige Verlegung alles Anſtandes 
brachte ſeinen Vater Außerft auf, indem ja berfelbe in der Beobadktumg 
ven Äußeren Anfiandes ehr gewifienhait mar. Wohl mag der Künig 
mit Schmerz dergleichen Erzefie des Prinzen gefchen haben; had, famıt 
man noch zweiieln,, ob dem Philipp des Dow Carles chernkaftener 
Wunfch, an ter Leitung deu öffentlichen. Angelegenheiten Autheil zu 


Du Earten, 3 


nehmen, gefiel. Denn Philipp geizte fo fehr mit Den beſeſſenen Macht, 
daß er feinen Miniſtern nur fo Viel, als abfehe nothwendig war, da⸗ 
von abgab. Leider lieferte ihm das Beisagen feines Sohnes einen 
Waufibein Borwand , in beffen politifche Befähigung Mißtrauen zus 
fegen. 

Dergeftalt mit Mißtrauen und vielleicht mit Abſchen von feinem 
Bater berrachtet; von jedem Antheile an der Leitung ber Staatdange⸗ 
legenheiten, fowie von einem militärifchen Leben , für weiches er ſich 
gut zu eignen ſchien, ausgeſchloſſen; umringt von Philipp's Miniſtern, 
weiche Carlos mit gutem Grunde aid Spione feiner Handlungen ber 
tachtete,, gab fidh der junge Dann, zum Nachtheile für feine Gefund« 
beit voie für feinen Charakter, einem leichtinigen Lebenswandel hin, 
DS das Bolt, welches anfangs bie Ausficht auf een einbeimifchen 
Bringen mit Entzuͤcken begräßt hatte, zulegt begründete Bejurchtungen 
binfichttich der Befähigung deſſelben zur Reyierung begte. 

Aber während man ihm im Inlande mißtraute, fuchten mebrent 
auslänvifche zegierende Fürften mit dent GErben der fpanilchen Mo⸗ 
narchie eine Verbindung einzugehen. Mit Freuden witrde ihm Rather 
Ana von Medici die Hand ber jüngeren Schweſter Iſabellens gegeben 
haben: ein Plan, worin fie von ver fpanifihen Koͤnigin unterſtit 
wurde Dies war im Jahre 1565. Allen Philipp verſetzte hietauf 
nur in feier gewöhnlichen, verſchiebenden Weile: „Man muß es in 
Erwägung ziehen.” Mit günfigeren Augen betrachtete er den von 
Kaiſer und der Kaiſerin von Deuiſchland gemachaen Anitag. Wia 
ſchon erwähnt wurde, hielten diefeiden den Don Carlos in freund» 
bchem Andenfen und wünfchten feine Berrinigung mit ihrer Tachter 
Inne. Diefe Prinzeffin war ein Jahr jünger als ihr Better, war eine 
Syauierin von Geburt und hatte auf der Halbinfek währen der Rem 
genticheft Marximilian's das Licht der Welt erblidt, Aber obſchon 
beide Theile alt genug waren und Philipp den Heirathöplan beguͤn⸗ 
Rigte, bewog ihn doch, wenz die Gefchichtöfchreider Recht haben, fein 
Mangel an Zutrauen zu feinem Sohne, die Hochzeitöfeler noch zu ver⸗ 
ſchicben. Allertings beftieg Anna nod den Thron Caftiliend , aber 
wicht als die Gemahlin bes Carloo, ſondem nach bem Tone Mabellent 
als Die Gemahlin Philipp'o. Go verheiratheten ſich durch ein eigene® 


252 Swilftes Kapitel. 


Berhängniß vie beiden Brinzeffinnen , welche für ben Sohn beftimmt 
worden waren, mit dem Bater. 

Damald war die revolutionäre Bewegung in ben Niederlanden 
ber große Gegenſtand, welcher die Aufmerffamfeit der Spanier auf 
fih lenkte. Namentlich fol Carlos ein lebhaftes Interefie daran ger 
nommen haben. Zufolge dem Antonio Perez machten die damals bei 
Hofe befindtichen Slamänder dem Bringen dad beſtimmte Anerbieten, 
ihn an die Spige bed Aufruhr zu ftellen. Strada nennt die damals 
in Madrid anmwefenden Abgeordneten Bergen und Montigny als die 
Berbindungsmittel, deren ſich Carlos bediente, um die Angelegen- 
beiten des verwirrten Landes zu ordnen. Daß ein Menfdy von feinem 
feurigen Weſen mit einem fo tapfer für feine Freiheiten fämpfenden 
Volfe Sympathie fühlte, ift nicht unwahrſcheinlich; auch fieht «6 
Dem, bei welchem Denten und Sprechen Eins waren, keineswegs unr 
Ähnlich, werm er fih über den Gegenſtand mit mehr Freimüthig⸗ 
keit ald Borficht ausdrädte. Vielleicht meinte dies fein Atmoienpfleger 
Suarez, indem er in einem Briefe ohne Datum den Prinzen anflehte, 
„ieine gefährlichen Pläne, die Trugbilder ded Satans, die ihm Unheil 
bringen und die Monarchie beunruhigen mäflen, aufzugeben!“ Der 
Brief fchließt mit einer Predigt, worin der gute Doctor dem Prinzen 
einprägt,, wie nothwendig kindlicher Gehorſam ift, und dies durch 
zahlreiche Anführungen aus der Bibel und der Weltgefchichte von 
Solchen, welche gottlos den Rath ihrer Eltern verachteten und ein 
trauriges Ende nahmen, belegt *). 

Allein wenngleich diefe Hypotheſe vieles Raͤthſelhafte in der fols 
genden Geichichte des Don Carlos erklären würke, muß ich doch fagen, 
daß ich fie nicht in der Korrefpondenz ver Führer der Riederlande bes 
Kätigt gefunden habe. Ebenfowenig findet fie ſich in der Anklage ges 
gen den Mentigny beftätigt,, wiewohl man glauben follte, daß Darin 


) Der innige Verkehr, in welchem Doctor Luarej mit Carlos ſtand, machte 
denſelben — ob in politiſcher oder religiöfer Hinſicht, wird uns nicht berichtet, — 
verdächtig. Vielleicht hätte dieſer Verdacht dem Doctor das Reben gefoftet , wäre 
Kicyt dieſer Brief als ein gemügendes Zeugniß für des Suarez Unſchuld nach dem 
Tode des Bringen unter den Papieren beffelben gefuriden worden, 


— — 


die Aufıviegelung des Tihronerben als einer der abſcheulichſten Punkte 
angeführt fein müßte. Demungeachtet hielt ſich Carlos für den rechten 
Mann, um mir der Sendung in, bie Niederlande betraut zu werben, 
wie aus feinem- Benehmen gegen Alva hervorgeht, als tiefer Adelige 
ben Oberbefehl über die Armee erhalten hatte. 


Als der Herzog bei diefer Gelegenheit erfchien, um dem Prinzen 
vor der Abreife die Aufwartung zu machen, fagte der Prinz zornig: 
„Sie follen nicht nach Flandern gehen; ich will felbft dahin.” Alva 
fuchte ihn zu beruhigen, indem er fagte, daß es für den Tihronerben 
eine zu gefährliche Sendung fei; daß er dahin ginge, um die Unruhen 
bed Landes zu ftillen und daflelbe für die Ankunft des Königs vorzus 
bereiten, und daß der Prinz, wofern er in Caftilien abkommen fönnte, 
fpäter mit feinem Bater dahin gehen möchte. Allein diefe Auseinans 
derfegung erhigte Carlod nur noch mehr. Er zog den Dolch, kehrte 
fih gegen den Herzog und rief aus: „Sie follen nicht gehen; wofern 
Eie es thun, tödte ich Sie!“ Es entipann fich ein Kampf, welcher 
für Alva ungünftig war, weil die Verlegung des Thronerben als 
Hochverrath hätte ausgelegt werden fönnen. Doch indem er glüd- 
licherweiſe der Etärfere war, rang er mit Carlos und hielt ihn feft, 
während fich derjelbe in ohmmächtigen Anftrengungen loszukommen ers 
Ihöpfte. Aber faum war der Prinz frei, als er ſich auch fchon wieder: 
mit der Wuth eines Tollen gegen den Herzog fehrte und von diefem 
nochmals feftgehalten wurde, bis das Geraͤuſch des Kampfes einen 
ber Kämmerlinge aus einem benachbarten Zimmer herbeiführte. Bei 
defien Anfunft zog fih Carlos, nachdem er fich von der eifernen Fauſt 
feines Gegners losgemacht hatte, auf fein Zimmer zurüd. 


Eine ſolche Oemaltthätigfeit gegen feinen Minifter wurde von 
Philipp als eine Beleidigung feiner felbft angefehen. Sie erweiterte 
bie ſchon allzu weite Kluft zwifchen Vater und Sohn nur noch mehr, 
ſodaß beide, ſelbſt wenn fie in dem nämlichen PBalafte zufammen 
wohnten , doch nicht mit einander verkehrt zu haben fcheinen. Indeß 
verbrachte Philipp damals einen großen Theil feiner Zeit im Escorial, 
wo er die Fortſchritte des zur Verherrlichung des Sieges bei St. 
Duentin beflimmten Gebäudes überwachte. Allein während fich ber 





a Buälind Autel. 


König fo zubäidigegogen hatte, verfahen ihn bie ber den Sohn geſttzten 
Minifter mit treuen Berichten Gier das Beuchmen deſſelben. 

So traurig Randen die Dinge, ale Carlos den verderblichen Eut⸗ 
ſchluß faßte, im ein frembed Band zu fliehen, um ſich den Unannehm⸗ 
lichkeiten feiner gegenwärtigen Lage zu entziehen. Nach welchem Lande 
er wollte, iſt nicht gewiß; denn während die Einen die Niederlande ans 
geben, nennen Andere Deutichland. Im Ganzen genommen fcheint 
ed wahricheinlicher, daß er nach Deutfchland flichen wollte, weil er am 
Wiener Hofe feine verfprochene Braut und ſicherlich Freunde, die ihn 
willkommen biegen, finden mußte. 

Weil er für eine ſolche Reife nicht die möthigen Gelder beiaß, 
ſuchte er fie durch einen vertrauten, aus feinem Haushalt genommenen 
Agenten von verſchiedenen Städten zu erheben , indem er bei denielben 
Anleihen machte. Diele leichtfinnige Verfährungsweiſe, welche auf 
ber Stelle feine Abficht verrathen mußte , zeigte allzu deutlich die Un« 
achtfamfeit feined Charafterd und feine völlige Unfenutniß der Tinge. 

Aber während diefe Verhandlungen vor ſich gingen, ereignete ſich 
ein Borfall, welcher dad Berragen des Don Carlos in einem folchen 
Lichte erjcheinen läßt, daß man ed nur als mahnfinnig entichuldigen fann. 
Die Gefchichte wird und von einen Mitgliede des Haushaltes des 
Bringen, einem ayuda de cämara oder Kammerberrn erzählt. Er war 
bei der Scene gegenwärtig und theilt fie mit vieler Raivetät mit. 

Er erzählt und, daß fein Herr einige Tage lang feine Rube 
hatte, fondern öfters wiederholte, daß „er einen Menfchen, mit welchem 
er einen Streit hätte, tödten wollte!” Daffelbe fagte er, ohne jedoch 
den Mann zu bezeichnen , zu feinem Onfel, Don Johann von Defters 
reich, in welchen er ein unbegrenzted Zutrauen gefegt zu haben ſcheint. 
Died war gegen Weihnachten 1567. Nun war ed Eitte, daß die 
Glieder der königlichen Familie am achtundzwanzigſten Dezember, dem 
Tage der unfchulbig getöbteten Stinder, zufammen erichienen,, um 
öffentlich zum Abendmahle zu gehen. Carlos bereitete fich hierauf vor, 
indem er ben Abend vorher in die Kirche bes heiligen Hieronymus 
ging, um bort zu beichten und Abfolution zu empfangen. Als jedoch 
ber Beichtvater das fonderbare Bekenntnis feiner Morbluft hörte, vers 
weigerte er ihm die Abfolution. Carlos wandte fi) an einen anderer 


Den Gucon. | ns 


Ceiftichen, war aber mid ziuͤcklicher. Dergedend ſuchte er den Fall 
su begrnden. Man vie ihn an, daß er nach gelshrieuen Gottes 
kehtten fenten mb Deren Molnung vernehmen möge. Gr that es huf 
Mt Stelle, und nicht weniger als vierzehn Moͤnche aus dem Meoſter 
Unferer Frauen won Atecha nebft porien aus einem anderen Orts wur⸗ 
den zuſammen gebracht, um diejen ſonderdaren kaſuiſtiſchen Punkt zu 
entſcheĩden. Indem fie ſeht entrüßet waren, gaben fie einftimmig Ihe 
Meinung dahin ab, daß unter ſolchen Umftaͤnden feine Abjolution er⸗ 
mheilt werben koͤnne. Bartos erfundigte ſich alsrann, ob er dem Ichre 
ungeweihte Hoftie erhalten könne, was ten Skandal, welchen ſein 
Nichteinnehmen des Sakraments unsermeidlich bei Hofr heraorrufen 
näßte, befeitigen würte. Diefer Vorſchlag verſehte Die eize wuͤrdige 
Verſammlung in neue Beflürzung. Indem der mitanweieabe Beier 
von Atocha dem Garlod den Namen feines Feindes entlocken wellte, 
fagte er ihn, daß, wenn er ihnen bie betreffende Beriom newmte, bie® 
auf ihre Entſcheidung Einfluß ausüben türite. Der Prinz verfeßte, 
daß „ſein Vater diefe Berfon wäre, und daß er das Leben deſſelben 
wollte!“ Der Prior fragte ihn troden, ob er noch Gehülfen in den 
Anſchlaͤgen gegen feinen Bater hube. Allein Carlos wiederholte nur 
einfach feine vorherige Erklärung, und das Conclave brach zwei Sum⸗ 
den nach Mitternacht mir unausfprechlichem Entfegen auf. Man 
ihicte ſodann einen Boten zum Könige in da® Escorial ab, um dem⸗ 
felben die ganze Sache mitzutheilen. 

Diefen Bericht giebt und der Ayuda de cämara, melcher fagt, 
daß er jene Nacht die Aufwartung bei dem Prinzen hatte. Fuͤr einige 
heile der Geſchichte iſt die Autorität beffer als für andere. Es liegt 
nichts Unwahrfcheinliches in der Borausfegung, daß Carlos, deſſen 
Gedanfen, wie wir ſahen, nicht tief verborgen lagen, mit feinen Ber 
bienten in der angegebenen tollen Weile ſprach. Allein mar fann 
fhwerfich glauben , daß er vor Andern wiederholte, was ihm fo liftig 
vom Prior entlodt worden war, ober daß das fchredliche Geheimnig 
innerhatb Hörweite vor den Bedienten geflüftert wurde. Indeflen bat 
dies wenig zu bedeuten, weil die Eache, wie wir fie auch immer aufs 
faffen mögen , eine fo reine Toliheit bei dem ‘Prinzen vorausſetzt, daß 
ihn gewiſſermaßen keine moralifche Berantwortlickeit treffen kann. 


366 Zuölftes Rapltel. 


Um die Mitte Januar 1508 war ber Agent des Prinzen uk 
einhundert und funfzigtaufend Dufaten zurüdgefehrt. Das war bloß 
ein Biertel der verlangten Summe. Doch reichte es einſtweilen hin, 
während Carlos ſich den Reſt in Wechſelbriefen ſchicken laffen wollte. 
Nachdem er mit feinen Borbereitungen fertig war, theilte er feine Abs 
ſicht feinem Onfel Don Johann mit und bat diefen, ihn auf der Flucht 
zu begleiten. Nachdem der leptere feinem Better umfonft bie Narrheit 
feined Vorhabens audeinandergefept hatte, reifte er von Madrid nad) 
dem Escorial ab und berichtete dort feinem Bruder, dem Könige, 
ohne Zweifel die Sache. 

Den fiebzehnten Januar fandte Carlos dem Generulpoftmeifter 
Don Ramon de Taſſis den Befehl zu, für ihn auf die nächfte Nacht 
fieben Pferde in Bereitfchaft zu halten. Indem jedoch Taſſis den Vers 
dacht hegte, daß es damit nicht richtig ftehe, gab er die Antwort zurüd, 
daß die Pferde nicht zu Haufe wären. As nun der Prinz feinen Be 
fehl entichiedener wiederholte, fo ſchickte der Poſtmeiſter die ſaͤmmtlichen 
Pferde aus und begab fich felber in aller Eile nach dem Escorial. 

Der König ließ nicht mit Maßregeln auf fich warten. inige 
Tage vorher, jagt der päpftliche Runtius, Hatte diefer fehr fromme 
Fürſt feiner Gewohnheit gemäß in verichiedenen Klöftern Gebete ange 
orbnet, worin der Himmel um Unterftügung in einer Sache von großer 
Bedeutung angefleht wurde, Dergleichen Gebete hätten den Don 
Carlos ald eine Warnung dienen können. Allein es war für Wars 
nungen zu fpät. Ohne zu zögern, begab fi Philipp nad) Madrid, 
wo diejenigen, welche ihn am Morgen des achtzehnten Januars im 
Audienzfaale jahen, in der Heiterkeit feined Geſichts fein Anzeichen 
bed bevorſtehenden Sturmes bemerften. An biefem Morgen ging er 
mit den Gliedern der königlichen Familie öffentlich zur Meile. ALS 
Don Johann nad) dem Gottesdienſte den Don Carlos auf dem Zimmer 
befuchte, machte diefer die Thüren zu und fragte feinen Oukel, worüber 
er fi Im Edcorial mit dem Könige unterhalten habe. Da Don Jos 
Bann den Fragen, fo gut er fonnte, auswich, gerieth Don Carlos 
jo in Hitze, daß er das Schwert zog und jeinen Onfel angriff. 
Indem fich berfelbe rücklings nach der Thür zurüdzog, rief cr dem 
Prinzen laut zu, abzuftehen, und feßte jich in eine vertheidigende 


‚Den Carlos. 987 


Stellung. Glüdlicher Weiſe erregte der durch das Fechten verurfachte 
Lärm die Aufmerkfamkeit der Bedienten, Durd das Herzufptingen 
derfelben konnte Don Johann entweichen, und Carlos begab ſich in 
büherem Schweigen nach feinem Zimmer zurüd, 

Es ſcheint, daß fidy der Prinz ſchon feit einiger Zeit in dem Pa⸗ 
lafte feines Vaters unficher fühlte. Er ging mit der Vorſicht eines 
Räubers fchlafen, indem er den Degen und den Doldy neben fich legte 
und von feinem-Bette aus eine geladene Büchſe ergreifen konnte, fo 
daß er jeden Augenblid fampfgerüftet war”). Der größeren Sicher⸗ 
beit wegen. hatte er fi von einem fcharffinnigen Handwerker einen 
Riegel derartig anfertigen laflen, daß er legteren vom Bett aus vers 
mittelft eined Flaſchenzugs aufs und zufchieben konnte. Bei foldyen 
Borfihhtömaßregeln mußte es eine gefährliche Sache fein, ven Schlum⸗ 
mer eined befperaten Menſchen, wie Carlos, zu flören. Indeß, 
da Philipp die Schwierigkeit fannte, beauftragte er ben Hanbwerfer, 
die Einrichtung fo in Unordnung zu bringen, daß fie nicht mehr ging: 
worauf die Thür ohne den gewöhnlichen Sicherheitöverjchluß blieb. — 
Das Uebrige theilt und der oben erwähnte ayuda de cämara, der diefen 
Abend im Dienft war und im Palafte zur Nacht fpeifte, mit. 

Gegen elf Uhr am Abende des achtzehnten fah er den König 
mit einer Rüftung über den Kleidern und mit einem Helme auf dem 
Kopfe die Treppe berabfommen. Derfelde war vom Herzoge von 
Feria, dem Hauptmann der Garde, nebft vier bis fünf anderen Herren 
und zroölf Privaten von der Garde begleitet. Der König befahl dem 
Diener, die Thüre zu Schließen und Riemanten bereintommen zu laffen. 
Nachdem fich die Edlen und die Leute von der Garde in das Zimmer 
des Prinzen begeben hatten, ſchlich fich der Herzog von Feria nady 
dem Bette zum Kopfe de& Prinzen und nahm den dort liegenden Degen 
und Dolch, ſowie die mit zwei Kugeln geladene Mudfete weg. Der 


°) De Thou, welcher feine Nachricht dem Acchiteften Louis de Koir entlehnte, 
bat ten Don Garlos mit noch fürcterlicheren Vertheidigungsmitteln bedacht. 
„Ce prince inquiet ne dormoit point, qu’ il n'eat sous son chevet deux épées 
nues et deux pistolets chargez. Il avoit encore dans sa garderube deux argque- 
buses avec de la poudre et des balles, toujours pretes & tirer.‘‘ 
Brescort, Geſch. Bhilipp's II. III. 17 


368 ' gZwotftes Rusikl. 


yon dem Berhufch aufpemedte Carlos richtete ſich empor und fragte, 
wer da waͤre. Der Herzog, der im Befig der Waffen wur, verfegte: 
„Es AR der Staatsrath.“ Als Carloe virs hörte, fprang er au6 Dem 
Bett, ſchrie und drohte end achte die Waffen zu nehmen. Ir virfem 
Augenbiide tvat Philipp, ber feinen Gintritt kiug bis nach ber Wegnahme 
ber Waffen verſchoben hatte hervor, und gebot seinem Sohne, nach 
dem Beste zurüczuschren und rubig zu bleiben. „Was wollen Bam 
Eure. Majeftät von mir?” rief der Prinz. „Das ſollſt Du bakd cr 
fahren," fagte fein Vater und ließ zu gleicher ‚Zeit nie Fenſter und 
Thuͤren Hark verrammeln und die Schlüffel zu den letzteren fich über- 
liefern. Das fämmtlidhe Zimmergeraͤthe bis ſelbſt auf die Heuerböde, 
womit Carlos Schaden anrichten fonnte, wurde entfernt. Indem 
ſich der König hierauf zu Yeria wandte, fagte ex Demjelben , daß „er 
den Prinzen feiner ſpeziellen Obhut übergäbe, und daß Feria ihn gut 
bewachen müßte.” Alsdann richtete er ſich an bie übrigen Adeligen 
und wies fie an, daß „fie den Prinzen mit allem nöthigen Reſpelt be- 
dienen, aber feinen Befehl deflelben, ohne diefen zuvor ihm ſelbſt mit« 
zutheilen, ausführen follten ; endlich hätten fie ihn treu zu bewachen, 
bei Strafe, im andern Falle ald Verräther behandelt zu werden. “ 

Bei diefen Worten rief Carlos aus: „Eure Majeftät würde befler 
thun, midy zu töbten, ald mich gefangen zu halten. Es wird ein 
großer Skandal für das Königthum fein. Wenn Sie midy nicht tödten, 
werde ich mich felbft fortſchaffen.“ — „Sp Etwas wirft Du nicht 
thun, denn das wäre etwas Verruͤcktes,“ fagte der König. — Carlos 
verfegte: „Eure Majeftät behandeln mich fo übel, dag Sie mich zu 
dieſem Aeußerften treiben. Ich bin nicht verrüdt, aber Sie bringen 
mich zur Verzweiflung!” Noch andere Worte fielen zwiſchen dem 
Monarchen und feinem Sohne vor, während die Stimme des leßteren 
fo fehr vom Schluchzen unterbrochen wurde, daß fie faum verſtänd⸗ 
lid war. 

Nachdem Philipp feine Anftalten beendet und einen Koffer mit 
den Papieren des Prinzen weggenommen hatte, verließ er den Saal. 
Diefe Nacht über blieben der Herzog von Feria, der Graf von Lerma 
und Don Rodrigo de Mendoza, der ältefte Sohn bed Ruy Gomez, in 
bem Zimmer des Prinzen. ‚Zwei von den ſechs zu diefem Zwecke er⸗ 


nannten Herren verrichteten abwechfelnd den nämlichen Dienft in jeder 
folgenden Nacht. Aus Refpeft gegen ben Prinzen durfte Niemand 
von ihnen in feiner Gegenwart den Degen tragen. Da er bei feinen 
Mahlzeiten ſich keines Meflers hedienen burfie, brachte man ihn das 
Fleiſch ſchon zerfchnitten in’ Zimmer. Ale Diener des Prinzen 
wurden entlaſſen und Die meiſten fpäter in den Dienft des Könige 
aufgenommen. In den Gaͤngen, welche nad dem Thurme mit dem 
Zimmer des Don Carlos führen, war eine Wache von zwoͤlf Helles 
bardieren aufgeſtellt. Auf diefe Weile war alle Verbindung mit 
Außen abgefchnitten. Da nun der unglüdliche Gefangene auch 
nicht aus den ftarf verammelten Fenſtern bliden fonnte, war er von 
dieſer Zeit an für die Welt eben fo tobt, als ob er in dem tiefftn 
Kerker von Simancas begraben geweſen wäre. 

Am folgenden Tage rief der König die Mitglieber feiner verſchie⸗ 
benen Räthe zuſammen und benachrihtigte fie von ber Verhaftung 
ſeines Sohnes, indem er erflärte, daß ihn Nichts als feine “Pflicht 
gegen Gott und die Wohlfahrt der Monarchie zu einer ſolchen Hands» 
lung bewogen haben fünnte. Einem Anweſenden zufolge ftanden dem 
Philipp bei Diefer Erklärung die Thränen in den Augen. 

Alsdann berief er feinen Staatörath und leitete gegen den Ger 
fangenen einen Prozeß ein. Sein Kummer bielt ihn indeß nicht ab, 
baß er die ganze Zeit über bei ben Verhandlungen gegenwärtig war 
und das Zeugniß, welches gefchrieben einen Stoß Papier von ber 
Dide eines halben Fußes bildete, mit anhörte. So if der und von 
dem ayuda de cämara üher diefen außerordentlichen Vorgang gegebene 
Beriht. . 


17° 








260 Dreizehntes Kapitel. 


Dreisehntes Kapitel. 
Der Tod des Don Carlos. 


Die Urfache feiner Verhaftung. — Sein firenger Gewahrſam. — Seine CErzeſſe. 
— Sein Tod. — Der Bericht des Llorente. — Unterfchiebliche Berichte. — 
Vertächtige Umſtaͤnde — Der Streit im Palaſte. — Die Beflattung des 
Don Carlos 


1568. 


Die Berhaftung des Don Carlos verurfachte im ganzen Lande 
eine große Aufregung, die noch durch die damit verbundenen geheims 
nißvollen Umftände fehr vermehrt wurde Die fchauerlichiten Ge⸗ 
rüchte waren über die Beranlaffung derfelben im Umlauf. Einige fag- 
ten, daß er einen Plan gegen das Leben feines Baterd im Schilde ges 
führt, Andere, daß er gegen dasjenige des Ruy Gomez fonfpirirt; 
Manche, daß er die Flamme des Aufruhrs angefacht und fich mit dem 
Blamändern eingelaflen habe; noch Andere hielten ihn im Verdacht der 
Keberei. Diele hegten,, indem fie den Vater mehr als den Sohn 
tadelten, nody eine ganz verichiedene Anficht von ver Sache. „Auf 
fein Lächeln folgte unmittelbar der Dolch,“ fügt der Ge⸗ 
ſchichtsſchreiber des Philipp ; „weßhalb ihn die einen weife, die andern 
aber ftreng nannten.” Carlos, nie ein Sünftling, hieß es, fönne 
wohl in feinen Gedanken und Worten haſtig gewefen fein; allein er 
habe nie Etwas begangen, was einen Vater veranlaflen dürfe, mit 
feinem Eohne fo rüdftcht8los zu verfahren. Doc Fürften feien nur 
allzufehr geneigt, auf ihre Nachfolger eiferfüchtig zu fein. Sie miß— 
trauen der fühnen und edelmüthigen Denfungsart ihrer Kinder, welche 
weifere Regenten dadurch an fich fefleln würden, wenn fie ihnen einen 
gebührenden Antheil an der Regierung gäben. „Aber ed gab noch 
Andere,“ fagt der weiſe zeitgenöfftiche Ehronifjchreiber, „die den 
Finger an die Rippen legten und ſchwiegen.“ 

Philipp ließ während einiger Tage feine Roft von Madrid abgehen, 
Damit er der erfte wäre, welcher die fremden Höfe von dem Vorfalle benach⸗ 
richtigte. Den vier und zwanzigften Januar erließ er Eircularfchreiben 


Der Top des Don Carlos. 261 


an die hohen Geiſtlichen, die Granden und die Munizipalitäten der 
vorzüglichften Städte des Koͤnigreichs. Diefe Schreiben waren allge 
mein gehalten, indem fie blos die Thatſache von der Verhaftung ans 
führten und beinahe diefelben Gründe, wie die vor den Räthen vorge» 
brachten, angaben. Am nämlichen Tage fchidte er Depeichen an bie 
vornehmften Höfe Europa’d. Diefe, obichon in ihrer Spracde uns 
beftimmt und geheimnißvoll, enthielten wenigftend mehr Andeutuns 
gen, ald die Schreiben an feine Unterthanen. Derjenige Brief, welcher 
im Banzen genommen am intereflanteften ift und die Elarfte Einſicht 
in die Beweggründe gibt, war an feine Tante, die Königin von Pors 
tugal, gerichtet. Sie war die Schwefter des Kaiferd, feined Vaters, 
eine fhägendwerthe Frau, welche von Philipp immer fehr hochgeach⸗ 
tet worden war. 

Er fchreibt: „Obſchon es lange klar war, daß ich gegen den 
Prinzen einfdreiten mußte, ließ mich doch mein Batergefühl vorher 
erſt zu allen übrigen Mitteln greifen, ehe ich zum Aeußerſten fchritt. 
Indeflen haben die Sachen am Ende eine folche Wendung genommen, 
dag ih, um dic Pflicht, welche ich als chriftlicher Fuͤrſt ſowohl gegen 
Gott, wie gegen mein Land babe, zu erfüllen, meinen Sohn in ſtren⸗ 
gen Gewahrſam zu bringen genöthigt worden bin. So habe ich Gott 
gern mein eigne6 Fleiſch und Blut geopfert, indem ich feinen Dienft 
und die Wohlfahrt meines Volkes allen menfclichen Rüdfichten vor⸗ 
ziehe. Sch will bloß hinzufügen, daß diefer Eintfchluß nicht durch ein 
Bergehen von Eeiten meined Sohnes, ober durch irgend einen Mangel 
an Refpeft gegen midy, zu Etande gefommen ift. Auch fol dieſes Eins 
ſchreiten gegen ihn feine Züchtigung fein: denn diefe, fo gerechte Gründe 
bierzu auch vorhanden wären, würde ihre Zeit und Gränze haben, 
Ebenfo habe ich nicht dazu gegriffen, um jeinen unordentlichen Lebens» 
wandel zu befiern. Nein, mein Verfahren beruht auf einem ganz ans 
bern Grunde, und das von mir bezwedte Heilmittel ift 
weder für eine beffimmte Zeit noch für einen befons» 
deren Zwed berechnet, fondern if, wie ich ſchon bemerfte, von 
der größten Bedeutung, indem ich meinen Verpflichtungen gegen ©ott 
und gegen mein Bolf nachzukommen fuche. “ 

In der nämlichen dunkeln Weife richtete fich Bhilipp an Zuniga, 


30x Steigehntes Auyitek. 


feinen Geſandten am paͤpſtlichen Hofe, indem er ſchrieb, daß, „wenw⸗ 
gleich der von Carlos dur fein Leben bewieſene Ungehorſam bins 
teichte,, um einem Beweis von Strenge gegen! ihm zu rechtfertigen, €6 
doch nicht dies, fordern alfein ber ernſte Drud der Nothwendigkeit 
wäre, was ihn habe bewegen können, auf diefe Weife mit feinem erſt⸗ 
gebornen, einzigen Sohne zu verfahren. “ 

Diefe zweideutige Sprache, welche in fich ſchließt, daß die Ver⸗ 
haftung des Don Carlos nicht durch das Betragen befielben vernws 
ſacht wurde, und daß tennoch fowohl die Intereſſen ber Refigion, ale 
die Wohlfahrt des Staats ferne Iebenslänglicye Haft forkerten , dürfte 
anzudenten fcheinen,, daß die Urſache feine anpere ald Wahnſinn fein 
könne. Died war in einer auf des Königs Befehl von dem Fuͤrſten 
Eboli an den franzöfiihen Gefandten Fourquevaulx gemachten Mits 
theilung Mar audgedrüdt. Der König, fagte Gomez, babe ſchon vor 
brei Jahren bemerkt, daß an dem Prinzen der Kopf der fchwächfle Theil 
wäre, und daß derfelbe zu feiner Zeit im vollen Beftbe feiner Verſtan⸗ 
beöfräfte geroefen fei. Weil Philipp jedoch die fichere Erwartung ger 
hegt habe, daß die Zeit eine günftige Beränderung bewirken werte, 
hätte er davon fill gefchwiegen. Indeſſen feien die Sachen nut 
ſchlimmer geworden, und er habe mit Kummer geſehen, daß bie Ueber⸗ 
tragung des Szepterd auf die Hände feined Sohnes tiber feine Unters 
thanen unvermeidfiches Unheil bringen und den Staat ind Berderben 
ſtürzen würde. Deßhalb habe er mit unausſprechlicher Beträbriß 
und nach langer Ueberlegung beſchlofſen, feinen Eohn in Gewahtſam 
zu bringen. 

Das if wenigftend eine verftändlice Rede und ſeht von Phi⸗ 
lipp's eignen Depefchen verſchieden. Denn m den legteren muß ed und 
auffallen, daß, wenn Wahnfinn der wirkliche Grund der Verhaftung 
war , derfelbe hinter einer fo unbeftinmten und zweideutigen Spradte 
verſteckt wurde, fowie ferner in Philipp's Briefen ſich gewoͤhnlich vie 
Erflärung vorfand, daß „er in einer zufünftigen Zeit ven Betreffenden 
die Sache volftändig auseinanderfegen werde.” Die einfade An⸗ 
führung des Wahnfinnd würde wohl bireft gegeben worben fein, da 
fie ja einestheils die befte Apologie für den Gohrt war, und andern⸗ 
theils den Vater rechtfertigte, wenn er eine heilſame Beſchraͤnkang ber 


Den Kan dan Den Carlos. 263 


Feciheit des. Sehnes verfügt: hatte. Aber thatſaͤchlich wax, mie wiz 
geiegenttich fchen werben, bie Strenge des Sewahriama jo uͤhermaͤlig, 
daß ſie viel cher dar einem großes Berbrechen zueribeilten, Strafe, ale 
der Behandlung eines usglüdliden Wahnfiunigen glich. Auch if «4 
uwahreſcheinlich, daß gegen. Jemanden, welcher gerabe burch feing 
Kımtikeit var aller maraliſchen Verantwortlichkeit freigeſprochen wurde, 
ein Kriminalprozeß würbe eingeleitet werben ſein. 


Es gibt zwei Dofumente, bie — follte je eined davon zu Tage 
gefördert werden — Die eigentlichen Gründe zur Verhaftung des Don 
Carlos darthun würden. Der ſpaniſche Gefandte Zuniga teilte dem 
Philipp mit, daß der Papft, indem er mit dem ihm von dem Vor⸗ 
gange gegebenen Berichte unzufrieden fei, von Seiner Majeftät eine 
weitere Erflärung wünfde. Der Wunfch eines folchen Mannes fam 
einem Befehle gleih. Denn vor Pius dem Bünften,, welcher als der 
Papſt der Inquifition ganz nach des Könige Wunſche war, hegte 
Philipp eine ganz befondere Ehrfurcht. Nie fol er, ohne den Hut 
abzunehmen, vor dem an den Wänden des Balafted hängenden Bild 
niffe Seiner Heiligkeit vorübergegangen fein. Auf der Stelle fehrieb er 
an den Papft einen Brief mit einem volfländigen Berichte des Vor⸗ 
gangd. Derfelbe war in der Schlüffelfchrift gefchrieben, mit dem Bei⸗ 
fügen, daß Seine Heiligkeit, wofern er benfelben nicht zu entafffern vers 
möge, Ihn dem damals in Rom anwefenden Brampelle vorlegen ſolle. 
Ohne Zweifel befindet ſich diefer Brief im Batifan. 


Das andere Dofument liefert der Prozeß. Unmittelbar nachdem 
ber König feinen Eohn verhaftet hatte, ernannte er eine fpezielle Kom⸗ 
miffion, um ibn abgwurtheilen. Sie befand aus dem Kardinal 
Espinofa, dem Fürften von Eboli und einem königlichen Rathe , Bri- 
biedca. te Muilatones , welcher mit der Ausfertigung der Anflageafte 
beauftragt war. Aus dem Archiv von Barcelona hatte man die Urs 
kunden von dem merfwürbigen, durch Philipp's Vorgänger Johann 
ben Zweiten von Aragonien angeftellten Prozeß fommen faffen, einem 
Prozefie, der gegen deſſen liebenswürbigen und unglüdliden Sohn, 
ebenfalls bed Namens Garlo$, wor fich gegangen war. Nachdem 
diefe Urfunten aus dem Catalaniſchen ind Gaftiliiche überfeht worden 





96h | Dreizehntes Kapitel, 


waren, dienten fle für dad gegenwärtige Verfahren, welches die Ge⸗ 
ſtalt eines Hochverrathoprozeſſes annahm , als ein unbheilverfündenbes 
Vorbild. Im Verlaufe diefer fonderbaren Anklage fcheint für den Ans 
geflagten weder ein Anwalt, noch Evidenz befchafft worden zu fein, 
obfchon das von der Gegenpartei gefammelte Zeugniß Außerfi umfang» 
reich gemwefen fein muß. Freilich fennen wir nur wenig von dem Ber 
fahren. Denn e8 liegt fein Beweis vor, baß außer dem Könige und 
außer dem geheimen Tribunale , welches das Verhoͤr — wenn man 
diefen Namen gebrauchen darf — anftellte, irgend Jemand jemald bie 
Akten fah. Nach dem Geſchichtsſchreiber Cabrera wurden die Akten 
auf den Befehl Philipp's 1592 in einem ftarf verwahrten grünen 
Kaften in dem Archiv von Simancas niedergelegt, wo fie, da wir 
feine weitere Nachricht haben, vielleicht noch jeßt liegen, um die Arbeit 
eines Fünftigen Alterthumsforſchers zu belohnen *). 

In Abweſenheit diefer Dokumente müflen wir uns, um dieſes 
fchwere Problem zu löfen, an Bermuthungen halten. Mehrere Um⸗ 
fände fönnen uns bei unferın endlichen Urtheile unterftügen. Unter 
den damald am Maprider Hofe anweſenden Gelandten gab fich feiner, 
wig feine Briefe zum Weberflufle beweifen, mehr Mühe, um der Sache 
auf den Grund zu fommen, als der päpftliche Nuntius Caſtaneo, Erz⸗ 
biſchof von Roffano. Er war ein verfchlagener, fcharffinniger Prälat, 
dem feine Stellung und fein Anjehen bei Hofe die befte Gelegenheit, 
Mittheilung zu empfangen, an die Hand gaben. Auf Philipp's Befehl 
machte der Kardinal Edpinofa dem Nuntiud die gewöhnliche Auss 
einanderfegung ber Gründe von der Verhaftung des Prinzen. „Was 
wir Überall von dem Anfchlag des Prinzen auf dad Reben feines Vaters 
hören , ift eine ſeltſame Geſchichte,“ fagte der Nuntius. „Es würde 
wenig zu bedeuten haben ‚“ verfegte der Kardinal, „wenn die Gefahr 
des Könige noch Alles wäre, weil fidy diefer ja leicht ſchuͤtzen könnte. 


*) Wie man mir mitgetheilt bat, find viele Maprider Selehrien der Anficht, 
daß Ferdinand der Siebente die urſpruͤnglichen Alten vieles Progefles gegen Don 
Garlos nebft einigen anderen Dofumenten 1828 von Simäncas fortnehmen ließ. 
Mber es ift nicht befannt, wohin fe gebradt wurden. Auch hat feit dem Tode 
diefes Monarchen Nichts wieber Darüber verlautet. 


Der Ted des Don Carlos. 265 


Allein der gegenwärtige Ball if ſchlimmer, wenn ed noch etwas Schlim: 
mered geben kann. Vergebens hat der König feit zwei Jahren, nad» 
dem er die üble Richtung ſeines Sohnes geichen,, ihr abzubelfen vers 
ſucht. Als er jedoch endlich herausfand, daß er auf den albernen 
jungen Menichen feine Einwirkung auszuüben vermochte, bat er fi 
zu diefem Auswege genöthigt geliehen.” 


Nun mochte wohl nach der Meinung eines Großinquifitors die 
Keperei oder die Hinneigung zur Keperei fogar ein ſchwereres Ver⸗ 
brechen ald der Batermord fein. Indem das Geſpraͤch des Kardi⸗ 
nal8 auf den Nuntius biefen Eindruck machte, ging diefer auf der 
Stelle daran, nach Beweifen der Abtrünnigfeit des Don Carlos zu 
ſuchen. Ebenfo erwähnt der toßfanifche Geſandte in feinen Briefen 
den Verdacht, daß Carlos fein guter Katholif war. ine Beftätigung 
diefer Anficht von der Sache kann man den Bemerfungen Pius’ des 
Bünften zu dem oben erwähnten, in Schlüffelfchrift geichriebenen Briefe 
Philipp’s entnehmen. „Seine Heiligkeit,“ fchreibt der fpaniiche Ges 
fandte , „lobt fehr dad von Eurer Majeftät eingefchlagene Verfahren ; 
weil er einfieht,, wie fehr die’ Erhaltung der Ehriftenheit davon ab» 
bängt , daß Sie lange leben und daß Eie einen in Ihre Bußftapfen 
tretenden Rachfolger haben. * 


Indeß, wenngleich died Alles ziemlich klar zu verrathen fcheint, 
daß der religiöie Abfall des Carlos ein vorwiegendes Motiv zu feiner 
Einferferung war, fo ift doch nicht leicht anzunehmen, daß ein Menjch 
von feinem eigenfinnigen und flüchtigen Wefen ſich fefte Meinungen in 
Glaubensſachen bildete, oder daß feine Stellung den KReformatoren 
einen fo leichten Zugang bei ihm verfchaffte,, daß ihn ihre Lehren fehr 
hätten beeinfluffen können. Defienungeadhtet ift es fehr möglich, daß 
er an den im Auslante vor fich gehenten politifchen Bewegungen, 
weldye im Grunde gegen Lie Kirche gerichtet waren, cin Interefle nahm. 
Ich meine die Unruhen in den Niederlanden , welche er nicht ungern 
geiehen haben fol. Zwar iſt, ſoweit meine Kenntniß reicht, davon 
fein Beweis in der Korrefpontenz ter flamändifchen Bührer zu finden, 
fowie man auch feinen Grund zu der Annahme bat, daß ſich Carlos 
mit ihnen in Briefwechfel einließ oder eine offene Handlung zur Unters 


266 Deeiehates Kapädl. 


ſtũtzung ihrer Sache wirfiidh beging); alkein dies war zu feiner Ber 
urtheilung auch nicht nothwendig, weil es ganz hinreichend geweſen 
wäre, wenn er mur Sympathie mit den Leiben des Volks erpfunden 
hätte. Durch ben Aufenthalt Egmont's, Bergen’ und Montiguwt 
am Mabriver Hofe hatte er ein offenbares Verbindungsmittel mit jenen 
Adeligen, die ihn begreiflicyerweife der Sache ihrer Landelnute genwigt 
zu machen ſuchen fonntn. Die fchnell in der feurigen Bruß des 
jungen Prinzen entzändete Sympathie mußte ſich eben fo fchnell Außer 
li) Eundgeben. Daß er aber eine foldye Eympatbie empfand, kann 
man aus feinem feltiamen Benehmen gegen den Herzog von Alva fur 
vor der Abreife defielben in die Niederlande abnehmen. Die Flamaͤn⸗ 
ber aber wurden zu Madrid als wirkliche Rebellen gegen die Krone 
betrachtet. Tie von ihnen befannte verbeflerte Lehre gab der Bewegung 
den Gharafter einer religiöien Revolution. Die Begünftigung dieſet 
Bewegung in irgend einer Weile war für einen Spanier zugleich ein 
Verbrechen gegen den Souverain und gegen den Ölauben. In einem 
folcyen Lichte mußte die Sache doch wohl von Philipp und von feinem 
Minifter, dem Großinquifitor, angefehen werden. Daß aber der Ber 
bredyer der Kronerbe war, konnte feinedwegs eine Abſchwaͤchung det 
Verbrechens fein **), 

Was den Anichlag tes Carlo gegen das Leben jeined Vaters ans 
langt, io reinigt ihn Philipp von einer fo ſchrecklichen Beſchuldigung 
fomohl in den an vie fremden Höfe geiandten Depeidyen, wie burd 
die auf feinen Befehl den bei Hofe anweienden Geſandten gemachten 
Mittheitungen völlig. Wäre daran etwas Wahred geweſen, fo wuͤrde 


*) Südlicher if Leti geweien. Denn dieier hat einen Brief entdedt, der von 
Carlos an Egmont gefchrieben war und zur Zeit der Verhaftung dieſes Lepteren 
in den Papieren deſſelben gefunden wurde. Der Geſchichtsſchreiber ift vorſichtig ge 
nug, um nicht für die Autbenticität des Defumertes einzuflchen , weil zur Gewins 
sung unfere® Zufrauens in der That ein beſſerer Bürge als Leti erforteriich wäre. 

») De Caſtro gibt ſich alle Mühe, um zu beweilen, daß Don Carlos ein 
Proteflant war. Wenn es ihm aud nicht gelingt, dies ale eine Thatſache feilzus 
Rellen, iſt es ihm doch gelungen, zu zeigen, daß das Betragen bes Prinzen in feiner 
nähen Umgebimg große Zweifel hinſichtlich feiner Kechtgläudigkeit erwecken 
fonnte. 


Der Lab Bee Don Gerlos. 267 


wehl Philivp, auſtatt ed zu verneinen, es zur Schau gelegt haben, 
wei 68 ihm die beſte Mpologle für die Verhaͤngung eines fo ſtrengen 
Gewahrſams lieferte. Das aber ſteht feſt, daß, wenn Carlos wirk⸗ 
lich eine fo ungeheure Abſicht gehegt hätte, er zu ihrer Ausführung 
beicht eine. Belegenheit gefunden haben würde. Gher kann man glau- 
ben, daß Philipp die Sympathie jeined Sohnes mit den Niedesländern 
verſchwieg. Denn bet große Berfechter des Katholicismus mußte ſich 
begreiflicherweiſe hüten, der Welt wiffen zu laſſen, daß die Ketzerei ſein 
eignes Blut angefiedt hatte. 

Indeß, welched auch immer die Motive zur Handlungsweiſe 
Philipp's geweſen fein mögen, fo muß man doch vermuthen, daß ihnen 
ein tief eingewurzelter Abſcheu gegen feinen Sohn zu Grunde lag. Die 
Unaͤhnlichkeit der Charaktere verſetzte beite von vornherein in eine 
ſchiefe Stellung zu einander. Die unbefonnenen Jugendſtreiche des 
Sohnes wurden vom Vater, der bei feinen eignen Ausſchweifungen 
wenigſtens niemald den Schleier des Deforums bei Seite fepte, mit . 
unnachfichtigen Augen angefeben. Das feurige Welen bed Carlos, 
gereizt Durd, ein lange fortgefegtes Syſtem des Mißtrauend, des Aue 
ſchließens und bes Epionisend, machte ſich endlich in ſolchen unfinnigen 
Shorheiten Luft, daß diefelben dem ftreitigen ®ebiete des Wahnſinns 
angehören. Und, wie ſchon erwähnt , formte der Vater auf plauñble 
Weiſe auf diefem Boden fehen Fuß faflen, um gegen feinen Sohn zum 
Aeußerſten zu ſchreiten. 

Um jedoch von den Vergehungen des Don Carlos abzuſchen, 
wurde eo denen , welche die befte Gelegenheit zum Beobachten hatten, 
fhon bald flar, daß er nie feine Freiheit wieder erlangen, noch ben 
Thron feiner Ahnen je befleigen follte. Am zweiten März gab Philipp 
die Vorſchriften, wie man den Prinzen behandeln follte, Aus ihnen 
lann man ſich einen Begriff von der Strenge der Haft bilden. Carlos 
wurde der fpezieflen Obhut des an ver Spige der ganzen Einrichtung 
fiehenden Ruy Gomez übergeben, und von leßterem mußte jede Art dem 
Gefangenen angeftelite PBerfon ihre Ernennung erhalten. Sechs ans 
dere Adelige wurden ernannt, um ſowohl den Prinzen zu bewachen, 
ald zu bedienen. - Davon hatten zwei jede Nacht in feinem Zimmer 
zu bleiben, indem der eine wachte, wähtend ber andere fchlief: was 


Derighnies Kapikl. 


IN 


ne raffinirte Strafe in Ehina erinnert, wo bem Verbrecher 
a. ein Vegleiter folgt, deſſen Geſchäft darin beftcht, daß er 
.ı Mißpeihäter unabläffig überwacht, fo daß dieſer, wohin-er ſich auch 
wendet, doch immer das nämliche Auge auf fich geheftet finden muß ! 
Bei Tage hatten diefe Adeligen bei Carlos zu bleiben, um ihm 
durch ihre Unterhaltung die Nacht feiner Gefangenichaft aufzubellen. 
Allein fle durften nicht über Gegenftände bezüglidy ter Regierung, vor 
Allem aber nicht über die Haft ded Prinzen ſprechen. Woſern er fie 
über dieſes Thema anredete, hatten fie hartnädig ftill zu ſchweigen. 
Sie durften ihm feine Beftellungen übermitteln und feine von ihm nach 
Außen beforgen. Auch hatten fie über Alles im Palafte Borgebende, 
wofern ihnen der König nicht das Gegentheil erlaubte, ein unverbrüdys 
liches Stilfchweigen zu beobachten. Carlos erhielt ein Brevier und 
einige Andachtobucher; außer Werfen religiöfen Inhalts waren ihm 
keine Bücher erlaubt, — Diefe legte Verfügung fcheint dad Vorhan⸗ 
denjein gewiſſer fegeriicher Tendenzen bei dem Prinzen, denen man 
durch Bücher eined entgegengefegten Inhalts entgegenwirken mußte, vors 
auszufegen: — mwofern man das nicht als eine unheilverfündende Bors 
bereitung für fein berannabenbes Ende anſehen will. Außer den ſechs 
Adeligen durften nur noch der Arzt de& Prinzen, fein barbero oder 
Kammerberr und fein Bedienter dad Zimmer beitreten. Der leptere 
war aus ben monteros, oder der Leibgarde des Könige, genommen ®). 
Noch fieben andere aus dieſem treuen Corps waren der Befangeneins 
richtung zuertheilt. Ihr Gelchäft beftand darin, Daß fie die Gerichte 
für den Tiich des Carlos in eine Borterhalle zu bringen hatten, worauf 


*) Gin Beileirsfchreiben der Munizipalität Murcia war in fo loyalen und 
Mugen Ausdrücken abgefaßt, wie es gar nicht befler fein fonnte. Bas Schreiben 
fagt: „Wir fönnen nicht ohne Rübrung unfer gutes Glück betrachten, daß wir einen 
fo gerechten und der Wohlfahrt fo bingegebenen Souverain befigen, weicher unferem 
Beñen jede andere Rüdficht, fogar das Zartgefühl für feine eignen Kinter, opfert.” 
Dies fünnte Manchen wie Ironie vorfommen. Allein Philipp nahm es für das, 
was es ohne Zweifel fein ſollte, nämlich: für baare Münze. Seine eigenhändig 
auf den Umſchlag des Schreibens gefchriebene Bemerkung zeigt, in welden Style 
er wünfchte, daß Ach ibm feine liedenden Untertbanen wäbern follten: „Dieler "Brief 
iR wit Klugheit und Umfit geſchtieden. 


Der Tod des Don Carlos. 269 


diefelben von dem aufwartenden montero in das Zimmer des ‘Prinzen 
getragen wurden. Auch war, um alle Berbindung mit Außen abzus 
fhneiden,, eine Wache von zwölf Hellebadieren in die zum Zimmer 
führenden Gänge geftellt. Jede dienftthuende Perfon von dem höchften 
Adeligen an bis hinab zum niedrigften Aufwärter ſchwor vor dem 
Fürften von Eboli feierlich, daß fte fich den Beftimmungen fügen wollte. 
Der Fürft aber war dafür verantwortlich, daß die Regeln befolgt wur- 
den und die Bewachung des Earloß eine forgfältigere wäre. Damit 
er fein Amt um fo befier verfehen könne, mußte er in den Palaſt ziehen, 
wo ihm und feiner $rau, der Bürftin, neben der Wohnung des Carlos 
Zimmer angewiefen wurden. Bei diefer Anordnung hegte Philipp 
vielleicht noch andere Abfichten , indem er, wie ich gelegentlid; fpäter 
berichten werde, mit der Fürftin auf einem vertrauten Fuße lebte *). 

Die Betinnmungen , fo fireng fle auch waren, wurden buchftäb- 
lid, ausgeführt. Philipp's Tante, die Königin von Portugal, ſchrieb 
in ernſten Ausdrücken an den König und erbot ſich freundlich, bei 
ihrem Entel in feiner Haft zu bleiben und ihn in feiner Trübfal wie 
eine Mutter zu pflegen. „Allein man erfparte ihr fehr gern biefe 
Mühe,“ fchreidt der franzoͤſiſche Geſandte. Der Kaiſer und bie 
Kaiſerin ſprachen fchriftlich die Hoffnung aus, daß die Haft in dem 
Betragen des Carlos eine Beflerung bewirken, und daß er bald feine 
Freiheit wieder erlangen werbe. Zwiſchen den beiden Höfen wurden 
mehrere Briefe gewechfelt, bis Philipp die Korrefpondenz dadurch 
ſchloß, daß er erflärte, daß die Heirath feines Sohnes und der Brin- 
zefftn Anna nie ftattfinden könne, weil Carlos nie in Freiheit geſetzt 
werden würde. | 

Philipp's Gemahlin, Iſabella, und feine Schwefter Johanna, 
welche beide die Behandlung des Prinzen fehr gefcehmerzt zu haben 
ſcheint, fuchten vergebens um bie Erlaubniß nad), ihn in feinem Ges 
wahrfam befuchen zu dürfen. Als Johann von Deftreih, um feinen 


*) Der montero war ein Mann aus der nächtlihen Leibgarde des Königs. 
Das Recht, dieſes Corps zu bilden, mar ein den Bewohnern eines gewiflen Diſtrikis, 
Ramens Espinosa de los Munteros zugeRantenes altes Privilegium. 


20 Detiyhnies Kapitel. 


Philipp feinen Bruker and und :befahl ihm, :den Traueranzug mit ver 
gewöhnlichen Kieibung zu vertauichen. 

Mehrere große Städte ſchickiten fi an, Geſandie an Milip 
abpufenden, um bem Monarchen ihr Beileid im feiner Betrübniß zu 
bezeigen. Doch Philipp ließ fir willen, baß er bloß zum Beften der 
Wohlfahrt der Ration gehandelt habe , und daß ihr Veileid im gege⸗⸗ 
wärtigen Yalle überflüfig wäre. Als hie Abgeordneten Aragoniend, 
Cataloniens amd Balencia’d unterwegs nad) Hofe waren, mit ben 
Auftrage , ſich nad) der Urſache der Verhaftung des Bringen zu erfun 
digen, und feine al&baldige Freilaſſung zu verlangen, erhielten fie noch 
unterwegs eine fo .entichiedene Kundgebung des füniglichen Mißfallent 
daß fie für flug hielten, nicht nad) der Hauptftadt zu gehen , ſonden 
zurädzufehren ®). 

Kurz, ſchon hald gelangte man zur Einficht , daß die Angelegen⸗ 
heit des Don Carlos ein Gegenkand war, worüber man nicht ſprechen 
durfte. Allmaͤlig ſchien fie gleich einer ganz alltäglichen Sache aus 
der Erinnerung der Menichen zu fchwinden. „Jetzt ift nur nod fe 
wenig von dem Prinzen bie Rede, als ob derfelbe ichon zehn Jahr 
tobt wäre,” ſchreibt der franzöftfche Gefantte Fourquevaulr. Zwar 
wurde er in den Kirchengebeten noch unter den Namen der Föniglichen 
Familie genannt; allein der König unterjagte der Geiſtlichkeit, ihn in 
den Predigten zu erwähnen. Auch wagte Niemand, fagt bielele 
Autorität, dad Benehmen des Königs zu tadeln. „Die Herrſchaft, 
weiche Philipp durch feine Weisheit über feine Unterthanen erlangt bat, 
iR fo vollſftaͤndig, daß ihm Ale, fie mögen wollen oder nicht, unbebingt 
gehorchen; und wenn fie ihn nicht wirklich lieben, haben fie do 
wenigftens den Anfchein, als ob fie es thaͤten.“ 

Unter den aus des Prinzen Zimmer genommenen Effekten befand 
fi , wie fich ber Lefer erinnern wird, ein Koffer mit den geheimen 


°*) Die Befimmungen finden fi in extenso bei Gabrera, und die Strenge, 
womit fie vollzogen wurden, wird durch die übereinflimmenden Berichte der am 
Hofe befindlichen fremden Geſandten beflätigt. Indeß ſcheinen fie in einer Hinſicht 
ermäßigt worden zu fein, wern, wie Nobili berichtet, dem Bringen erlaubt wurde, 
ſich durch die Lektüre fpanifcher Befepbücher zu zerſtreuen. Vielleicht ſchlug er die 
legteren wegen feines eigenen Rrozeſſes mad. 


Der Sod des Don Kalos. an 


Pepieren des Dom Corlos. Amir denſelben waren «ine Anzahl 
Deiefe , welche nach feiner Entfernung aus dem Lande hatten vwertheilt 
werben follen. Einer Davon, der an ben König gerichtet war , ſagte, 
daß Die Unfache won Karies’ Flucht hie ihm zu Schell gewordene rauhe 
Behandlung ſei. Andere an verfchiebene Adelige und an einige große 
Ssädte gerichtete Briefe enthielten wine ‚ähnliche Erklaͤruug. Nahe 
dem er die Betreffenden darin an ben ihm als Kronnachfelger geleiſte⸗ 
ven Eid erinnert haste, verſprach er ihnen, wenn daß Egepter in feine 
Hömde gefommen fein würde, die Bewilligung unterſchiedlicher Im⸗ 
munitäten. Bei biefen Papieren befand fie) aud) eined von ganz 
eigenthünnlichem Inhalt. Daffelbe enthielt namtich eine Lifte von 
alten Perſonen, welche Carlos fid) geneigt oder feindlich glaubte. In 
ber erſteren Klafie ſtanden obenan wie Namen feiner Stiefmutier Iſa⸗ 
beile und feined Betterd Don Johann von Deftreich , welche beide in 
ben innigften Ausvräden angeführt waren. In dein Regiiter feiner 
„bid zum Tode zu verfolgenden“ Yeinde ftanden die Namen des Kr 
nigs feined Vaters, des Bürften und der Fürftin von Eboli, des Kar- 
dinals Eopinoſa, ded Herzogs von Alva und Anderer mehr. — So 
befchaffen ift der feltfame, vom päpftlichen Nuntius feinen Hofe über 
ben Inhalt des Kofferd gegebene Beriht. Diefe Papiere follen den 
den Prozeß leitenden Richtern vorgelegt worden jein und bildeten ohne 
Zweifel einen wichtigen Theil der Indicien gegen den Prinzen. Biel- 
leicht erhielt der Nuntius bie obige Rachricht von einer dabei betheiligs 
ten Berion. Doch würde kein Mitglied des Tribunald ohne die Ermaͤch⸗ 
tigung Philipp's die Geheimniſſe zu enthüßlen gewagt haben. Mög- 
licherweiſe aber gab der König, um fein Verfahren zu rechtfertigen, 
die Erlaubniß zur Beröffentlihung der Fakta. Wofern nun diefe 
Sakta wahrheitögetreu berichtet find, liefern fie jedenfalls die Evidenz, 
daß Carlos fi in einem verwirrten Geiſteszuſtande befand. | 
Unterdefien war der König beinahe eben fo fehr ein Gefangener, 
wie fein Sohn. Denn feit der Verhaftung des Prinzen war er nicht 
ant dem Palaſte gekommen und hatte nicht einmal feine Lieblingsfige, 
Aranfurz und den Pardo, beſucht. Auch batte er feinen einzigen Tag 
in dem Escorial zugebracht, deſſen erſtehende Pracht er freudig zu 
überwachen gewohnt war. Ihn fchien beftändig die Furcht zu ner 





213 Dreiyhntes Kapitel. 


folgen, daß unter dem Bolfe ein Aufruhr ausbrechen, oder daß wenig 
ſtend die Parteigänger des Carlos feine Befreiung verſuchen würden. 
Wenn er daher, fagt fein Biograph , ein ungewöhnliches Geräufc in 
dem Palaſte hörte, mochte er wohl ans Fenſter geben, um zu fehen, 
ob der Lärm nicht etwa durch den Berfuch, den Gefangenen zu bes 
freien, verurfacht würde. Es war wenig Grund vorhanden, von 
einem fo gut zum Gehorſam eingefchulten Volke, wie den Gafiliern 
unter Philipp dem Zweiten, Etwas zu befürchten. Aber es ift für 
einen Sefangenen ein unbeilverfündender Umftand , wenn er bie Ur 
fache einer foldyen Befürchtung wird. 

Indeß wurde Philipp nicht durch feine Furcht bewogen, irgend» 
wie die Strenge der Haft feines Sohnes zu mildern. Diefe übte auf 
ben Prinzen eine Wirkung aus, wie von feinem feurigen unlenkſamen 
Weſen zu erwarten ftand. Zuerſt gerieth er in einen an Tollheit 
gränzenden Zuftand und foll fi mehrmals haben umbringen wollen. 
Als er jedoch jah, daß das Anſchlagen des Kopfes gegen die Eifenfläbe 
feine® Gefaͤngniſſes blos feine Leiden vermehrte, ergab er fich in duͤſterem 
Stillſchweigen — in hinbrütender Berzweiflung — in jein Echidial. 
Bei feiner Gleichgültigkeit gegen feine ganze Umgebung hörte er auf 
für fein geiftliches Wohl zu forgen. Weit Davon entfernt, die in jeinem 
Befige befindlichen religiöfen Bücher zu gebrauchen, wollte er feine An⸗ 
dachtöübung verrichten und weigerte ſich fogar zu beidıten oder nur ten 
Beichtvater in feine Gegenwart fommen zu laſſen. Dieſe Zeichen reli⸗ 
giöjer Gleichgültigfeit, wo nicht des gänzlichen Abfalls vom Glau⸗ 
ben, fagten dem Philipp, der nicht gern auf dieſe Weile die Seele mit 
dem Körper untergehen ſah, einen großen Schrecken ein. In biefer 
Noth bediente er ſich des prinzlichen Almofenpflegerd Euarez, der einft 
auf feinen Herrn einen großen Einfluß ausgeübt hatte, damit ihn 
derfelbe in einem Briefe zuredhtfegte. Der auf und gekommene Brief 
ift zu merfwürdig, als daß wir ihn übergehen fönnten. 

Suarez beginnt damit, daß er Carlos daran erinnert, wie ihn 
fein übereiltes Betragen ohne Partei und ohne Freunde gelaffen bat. 
Anftatt daß fein gegenwärtiges Verhalten feine Lage verbefierte, könnte 


ed blod dazu dienen, die Sache fchlimmer zu machen. „Was wird bie 


Welt," fährt der Geiftliche fort, „dazu fagen, wenn fie erfährt, daß 


Der Ton des Don Garlos. 73: 


Sie Sich jetzt zu beichten weigern, und wenn fie gleichfalls die übrigen 
ſchrecklichen Sachen, deren. Sie Sid, fchuldig gemacht haben, erfährt: 
Sachen, von denen einige derartig find, daß, fielen fie bei Jemandem 
anderd ald Eurer Hoheit vor, das Heilige Amt fi bewogen 
finden würde zu unterfudhen, ob denn ihr Urheber 
aub in Wahrheit ein Ehrift fei? In der Betrübniß und 
Angft meines Herzens muß ich Eurer Hoheit erflären , daß Sie nicht 
allein in Gefahr find, Ihr weltliche Befigthum, fondern auch, was 
noch fchlimmer ift, Ihre Seele zu verwirfen.” Schließlich fleht -er 
Carlos an, zurüdzufehren zum Gehorfam gegen Gott und gegen den 
irdiichen Repräientanten deffelben, ven König. 

Aber die Ermahnungen des ehrenwerthen Almoſeniers Anders 
ten fo wenig den unglädlichen Züngling , wie die Gebete feiner Um⸗ 
gebung. Sein geiftige Aufregung übte in Verbindung mit dem Mangel 
an frifcher Luft und Bewegung die natürliche Wirkung auf feine 
Geſundheit aus. Mit jedem Tage magerte er mehr ab, während 
dasé Fieber, welches jo lange an feinem Körper genagt hatte, jet in 
feinen Adern mit größerer Wuth, als je zuvor, brannte. Um die uns 
erträgliche Hige zu vertreiben, nahm cr feine Zuflucht zu defperaten 
Mitteln, welche, wie der päpftliche Nuntius ſagt, anzuzeigen fchienen, 
daß er, menngleid er Hand an ſich felbft zu legen verhindert worden 
war, denſelben Zwed zwar langiamer, aber eben fo ficher erreichen 
würde. Er überfchweinmte, zur großen Unannehmlichkeit feiner Ges 
felichafter im Gefängniß, den Fußboden mit Waſſer und ſpazierte 
Stunden lang balbnadt und barfuß auf dem falten Bflafter herum. 
Bei Nacht ließ er fi mehrmald eine mir Eis und Schnee gefüllte 
Flaſche ind Bett legen und behielt diege ganze Stunden darin. Gleiche 
fam als ob dies nicht fchon genug wäre, ftürzte er ſolche Mengen Schnee: 
wafler hinunter, daß er dadurch die größten Leiftungen in der Gefchichte 
der Wuflerfur weit übertraf. Daſſelbe tolle Verfahren befolgte er bins 
fichtlich des Eſſens. Nachdem er ſich eine unglaubliche Anzahl Tage”) 


°) Nach der einen Autorität drei Tage. (Lettera di Nobili di 30. di Giuglio, 
418568. MS.) Gin Anterer erhöht die Zahl auf neun Tage. (Carta de Gomez Man- 
rique, MS.). Gin Dritter aber (ein Kabinetsminifter Bhilipp'6) wagt Tas Faſten 
Brescott, Seid. Bhilipp's I. HL 18 








74 Dreigimins Rayiid. 


der Speiſe enihalten hatte, fick er über legtere im Berhältuig zu feimer 
biöherigen Enthaltſamfeit her und verzehrte zu eimer Mahlzeit eime 
Paſtete mit vier Rebhühnern nebft drei Gallonen Ciowaſſer oder 
prüber! *) 

Keine Ratur bätte lauge to heftigen Einſtürmungen widerſtehen 
können. Allmälig erlag ihnen Barlod’ Körper. Sein durch lange 
Unthätigfeit geſchwaͤchter Wagen weigerte ſich, bie ibm jzuertbeile 
außergewöhnliche Arbeit zu verrichten. ‘Den Bringen befiel ein un⸗ 
aufbörliche® Erbrechen, der Durchfall trat hinzu und feine Kraft vers 
fagte reißend ſchnell. Der Arzt Olivarez, weicher allein den Batienten 
beſuchte, berieth fi) in der Wehnung des Ruy Gomez mit feinen 
Kollegen. Ihre Arzneien vermochten nicht, die erichöpfte Thätigfeit 
der Ratur wieder herzuftellen , und bald wurde es klat, daß die Tage 
des Carlos gezählt waren. 

Niemandem konnte eine foldhe Mittheilung weniger Kummer bes 
reiten, ald Carlos felbft : denn derfelbe hatte ungeduldig auf den Tod 
als auf feinen Befteier geharrt. Bon diefer Stunde an fchien er alle 
irdifche Sorgen fih aus dem Sinne zu fchlagen und ieine Gedan⸗ 
fen nur noch unabläffig auf die Zukunft richten. Auf fein eigenes 
Verlangen wurden jein Beichwater Chavres und fein Almojenier 


— — — — — 


des Prinzen auf elf Tage zu verlaͤngern, eine Zeit, während welcher er indeß den 
Garlos eine unbegränzte Quantität falten Waſſers trinken läßt. ‚‚Ansi de deter- 
mind de no comer y en esta determisacion passaron onze diss sin que bastasen 
persuasiones ni otras diligencias & que tonıase cosa bevida ni que fuese para salad 
sino afra fria.““ Carta de Francisco de Erasso, MS. 

*) Doc kann Carlos zu ter Anwendung des Schnees und Giewaflere durch 
bie Borfchriften vieler damaligen erste angetrieben worden fein. De Gaftro , ber 
viel Scharffinn und ein forgfältiges Quellenflubium zeigt, führt bei der Erörterung 
dieſes Theils der Geſchichte Philipp's die Schriften von zweien oder mehreren viefer 
ausgezeichneten Doftoren an, von denen uns ber eine jagt, daß die Anwendung von 
Schnee fo fchr zugenommen habe, daß er nicht allein den Patienten in Getränfen 
verorbnet, fondern auch zur Kühlung ber Betttüher verwandt würte; ſodann 
ſchreibt er ſchnurſtracks den Gebrauch einer Küblflaihe von ber naͤmlichen Be 
ſchaffenheit, wie diejenige des Don Carlos war, vor. 

Aumerfung des Meberfepers: Gin engliſches Gallon enihält ohngefähr vier 

Duart. 


Der Tod des Don Garlos. 275 


Euarez herbeigeholt, um ihm mit ihrem geiſtlichen Troſte beizuſtehen. 
Die Schlußſcenen werden von der Feder des Nuntius berichtet. 

„Ploͤtzlich ſchien durch die goͤttliche Guade in dem Herzen deo 
Prinzen ein wundervoller Wechſel bewirkt worden zu ſein. Aus eit⸗ 
lem und leerem Geſchwätz wurde feine Rede die eines vernünftigen 
Menſchen. Er ſchickte nach ſeinem Beichtvater, beichtete andächtig 
und betete Die Hoſtie, weiche er feiner Krankheit wegen nicht genießen 
fonnte, demüthig an. Dabei zeigte er eine ſolche Zerknirſchung, offen» 
barıe, obichon er Die targebotenen Arzneien nicht von füch wies, ein 
ſolches Abgeftorbeufein für die Dinge dieſer Welt, und bewies eine fo 
große Sehnſucht nach dem Himmel, dag Gott wohl für diefe Stunde 
den ganzen Schag feiner Onade aufbehalten hatte. ” 

Er jchien eine Ahnung zu baben, daß er bis zum heiligen Abende 
von Et. Jafobus, dem Schugheiligen feines Landes, leben werde, 
As man ihm mittheilte, daß bis dahin noch vier Taye feien, fagte er: 
„So Lange alfo wird mein Elend noch währen.“ Gern hätte er ſeinen 
Bater nody einmal vor feinem Tode geiehen. Allein fein Beichtwater 
toll dem Monarchen davon abgeredet haben, weil Carlos jept in einer 
fo gluͤcklichen Gemuͤthoverfaſſung lei und e& daher beſſer wäre, biefelbe 
nicht durch eine Abfehrung auf weltliche Gegenftände zu unters 
brehen. Indeß nahm Philipp , wenn Carlos fchlief oder banußılos 
lag, die Gelegenheit wahr, um in’ Zimmer zu treten. Indem er lich 
alsdann leiſe hinter ven Fürften von Eboli oder den Großprior Aus 
tonio de Toledo ſchlich, firedite er feine Hand nach dem Bett aus und 
gab, indem er das Zeichen des Kreuzes machte, feinem fterbenden 
Eohne den legten Segen*). 

Auch Durfte nicht die Geſellſchaft der Königin, des Carlos liebens⸗ 
würbiger Stiefmutter, und feiner Tante Joanna ihm durch freundlidje 
Aufmerkſamkeiten die Bitterfeit des Todes verfüßen. Ihm ward das 
traurige Geſchick, daß er, wie er während feiner ganzen Haft gelebt, 
fo auch unter den falten Bliden feiner Feinde fterben mußte. Doc) 
ſchied er von ihnen allen im Frieden. Im einigen legten Worten, die 


9 ‚Und fo’, fagt Cabrera etwas plump, „zog Mh der König mit mehr 
Kummer als Gorge im Herzen auf fein Zimmer zurück.“ 
18* 


276 Dreischntes Kapitel 


er ſtammelte, ‚verzieh er feinem Vater feine Einfperrung und den 
Miniftern, die demfelben dazu gerathen. hatten. Ruy Gomez und 
Espinoſa nannte er in&befondere mit Namen. 

Indem Carlos jest immer fhmwächer wurte, hatte er faum noch 
fo viel Kraft, um den Ermahnungen feines - Beichtvaterd zuzuhoͤren 
und das Kruzifir, welches er beftändig in der Hand hielt, mit leiſem, 
unverftändlichem Gemurmel anzubeten. Am vier und zwanzigſten 
Juli fagte man ihm kurz nad) Mitternacht, daß es heiliger Abend von 
St. Jakobus fei. Indem er fi alsdann plöglich mit einem Strahl 
der Freude auf dem Antlig erhob, gab er den Wunich zu erkennen, 
daß ihm der Beichtoater die heilige Kerze in die Hand geben folle. 
Nachdem er hierauf, gleichfam um den Himmel um Barmherzigkeit für 
feine Sünden anzuflehen, ſchwach ſich an die Bruft gefhlagen hatte, 
fiel er zurüd und verfchied ohne einen Laut, — „Kein Katholik hatte 
je ein Fatholifchered Ende,” fagt Nobili. 

So beichaffen ift die Nachricht von den legten Stunten bed 
Prinzen, wie fie und der päpftliche Runtius und der toscanifche Ge 
fandte geben und wie diefelbe, mit unbedeutenden Abweichungen, von 
den meiften caftilifchen Schriftftellern dieſer und der folgenden Zeit 
‚wiederholt worten if. Es ift auffallend, daß, obſchon wir folce 
vollftändige Berichte über die Zeit fur; vor und nach Lem Tode bed 
Don Carlos haben, bei dem franzöftichen Geſandten derjenige Theil 
der Korrefpondenz, welcher den Tod des Prinzen begreift, entweter 
zufällig oder abfichtlih aus dem Archive fortgenommen worden ift. 
Aber wahrfcheinlich hatte Niemand außerhalb der Mauern des Pas 
laſtes einen leichteren Zutritt zu den Nachrichtöquellen , al& die beiten 
zuerft erwähnten Geſandten, beſonders aber der päpftliche Nuntius. 
Wohl fönnen fie ihre Nachiicht von Jemandem, der mit um Carlos 
geweien war, geichöpft haben. Wäre dies jedoch der Ball gewefen, 
fo fönnte die Mitteilung nur mit der Bewilligung Philipp's, der viels 
leicht tie Welt wiflen lafien wollte, daß fein Sohn als ein treuer 
©läubiger geftorben fei, gemacht worden fein. 

Lorente gibt und von ded Carlos Ende einen von obigem fehr 
abweichenden Bericht. Ich kann tenjelben nicht mit Stillſchweigen 
übergehen, weil dieſer Schriftfieller al& der Sekretär der Inquifition zu 


Der Tod des Don Carlos. 277 


fehr wichtigen Materialien Zutritt hatte, und weil ‚fein freilich etwas 
weitſchweifiger Bericht durchaus merkwürdig ift. 

Der Prozeß gegen Carlos, deſſen Einleitung bereits erwähnt 
wurde, fam, bem Liorente zufolge, bloß eine kurze Zeit vor dem Tode 
des Prinzen zum Abſchluß. Während biefer ganzen Zeit war dem 
Gefangenen feine Kenntniß davon gegeben. und fein Anwalt für ihn 
beftellt worden. Mit dem neunten Juli war die Sache hinlänglich 
vorgerüdt, fo daß man fie „ſummariſch aburtheilen“ konnte. Mit Evis 
denz ging daraus hervor, baß der Angeklagte des Hochverrathö erften und 
zweiten Grades ſich fchuldig gemacht, indem er den Tod des Königs, 
feines Vaters, zu bewirken gefucht und fich die Souveränetät von Flan⸗ 
dern anzumaßen konſpirirt hatte. In dem dem Könige vorgelegten 
Berichte, worin Munatoned nachwieß, daß Bas Geie bei jetem ans 
deren Unterthan für diefe beiden Verbrechen die Todesitrafe verhänge, 
fügte derjelbe noch Hinzu, daß Seine Majeftät, kraft feiner höchften 
Machtvollkommenheit, enticheiden fönne, daß der Thronerbe wegen 
feines Ranges über den. Bereich gewöhnlicher Belege geſtellt jei. Fer⸗ 
ner fiche es in der Macht des Königs, eine jede beliebige Strafe, ſo⸗ 
bald er dies für das Wohl feiner Unterthanen für gut hielte, zu ers 
mäßigen oter gänzlich aufzuheben. — Mit diefem Urtheile erflärten 
beide Minifter Ruy Gomez und Eöpinofa ihre Uebereinftimmung. 

Hierauf verfeßte der König, daß, obſchon fein Gefühl ihn der 
legteren Andeutung feiner Minifter zu folgen antrieb , doch fein Ge⸗ 
wiflen dies nicht erlauben wolle. Er könne nicht glauben, daß er für 
das Wohl feined Volkes forgen würde, wenn er einen jo zu Laſtern 
geneigten und von Charakter fo heftigen und biutvürftigen Monar⸗ 
chen, wie den Carlos, über daſſelbe fegte. So fehr ſich auch fein 
Batergefühl fträuben möge, müfle er doch dem Geſetze freien Lauf 
laſſen. Indeſſen, jagte er, dürfte es demungeadhtet nicht nothwendig 
fein, zu diefem Acußerften zu fchreiten. Der Geſundheitszuſtand des 
Prinzen fei fo bedenklich, daß man bloß die Vorſichtomaßregeln in 
Bezug auf die Diät zu unterlaffen brauche , um zu bewirfen,, daß ben 
Brinzen fein Betragen int Grab brädıte! Nur fei der Punkt weients 
lich, daß man den Prinzen fo gut mit jeiner Lage befannt mache, daß 
er willig beichten und,. che er ftürbe, ieine Berföhnung mit dem Him- 





Dreizehntes Kapitel. 


note Das wäre der größte Liebesdienſt, weichen er feis 
‚har ud der ſpaniſchen Nation leiften könne, 

Br, Ruy Gomez und Espinoſa, fihloffen aus dieſer Uebers 
u. Did väterlichen Zartgefühls, daß fle die eigentlichen Abſichten 
ts eds nicht befler befördern Fönnten, ala wenn fie fo viel al 
möglich den Tod des Carlos befchleunigten. Ruy Gomez theilte das 
her Seine Anfichten dem Olivarez, dem Arzte des Prinzen, mit. Doch 
that er Died in fo zweideutigen und geheimnißvoflen Phrafen, daß er 
hierdurch, während er feine Meinung erfennen ließ, zugleich den Augen 
deſſen, der das Verbrechen begehen ſollte, die Groͤße des letzteren vers 
Ichleierte. Kein Menſch war zur Berrichtung diefer Aufgabe geſchickter, 
als der Fürft von Eboli, weil er jeit feiner Jugend an Höfen heran 
gebildet und in ein Xeben voller Berftellung eingefchult war. Dlivarez 
begriff mit leichter Mühe den Sinn feiner Rede, nämlid, tag man 
von ihm verlangte, den Gefangenen fo abzuthun, daß fein Tod ein 
natürlicher zu fein fcheinen möge und daß der Ehre ded Könige nicht 
zu nahe getreten würde. Er erhob feine Bedenken dagegen, fondern 
ſprach ſogleich feine Bereitwilligfeit aus, den Willen feines Souve⸗ 
raͤns treu zu erfüllen. Unter viefen Umfländen murde dem nichts 
Arges ahnenden Patienten, der nun felbftverfläntiich immer ſchlimmer 
wurde, am zwanzigflen Juli eine abführente Doſis verabreicht. Dem 
Bater gereichte ed zum Trofe, das Carlos, als er auf feine Gefahr 
aufmerffam gemacht wurte, einen Veichtiger zu empfangen einwilligte. 
Denn auf diefe Art wurde, wenngleich der Körper verdarb, body die 
Seele gerettet. 

So beichaffen ift der uns von Llorente gegebene außerordentliche 
Bericht, welcher, wenn er wahr wäre, die Brage in Bezug auf den 
Tod des Carlos auf einmal befeitigen würde. Allein Llorente hat 
mit einer ded Gefchichtöfchreibers in einer jo wichtigen Sache völlig 
unmwürdigen Umnaufrichtigfeit uns verfchwiegen,, aus welchen Quellen 
er feine Nachricht ſchöpfte. Er ſagt uns einfach, daß diefe Quellen 
„gerviffe geheime Memoiren jener Zeit find, welche viele intereffante 
Mittbeitungen enthalten und, obſchon fie nicht vollftändig den Charak⸗ 
ter der Authentizität beſiden, deſſen ungeachtet, weil fle von Perſonen 
ans dem Palaſte ded Königs herſtammen, auf Glaubwürdigkeit Ans 


Der Tod des Den Garloe. 29 


ſpruch machen fönmen!” Hätte der Stheiftfieller geruht, une mit den 
Ramen oder mit einigen Cuinzelheiten ber Charaktere feiner Autoren 
sefaunt zu machen, fo würden wir im Stade gewefen fein, einiger 
maßen den Werth feined Zeugniſſes abzufchägen. Seine Unterlaffung 
kann uns zu der Annahme leiten, daß er ſelbſt nicht ein vollkommenes 
Zutrauen bineinfegte. Jedenfalls nöthigt er uns, ihm die Sache ganz 
allein anheimzuftellen : ein blindes Vertrauen, das diejenigen, welche 
feine Ungenauigfeit in andern Dingen fennen, ihm nicht in Tehr hohem 
Grade zuzugeftehen geneigt fein werden ®). 

Ferner fleht feine Darftellung im direkten Widerfpruche mit den 
bereit8 angegebenen Autoritäten, deſonders aber mit den fo oft anges 
zogenen beiden fremden Geſandten, welche neben der Leichtigkeit, wo⸗ 
mit fie genaue Nachrichten erhalten konnten, auch unermuͤdlich ihätig 
waren, felbige zu fanmeln. Indem der toscanifche ®efandte auf das 
Stadtgeftatich zu fprechen fommt, fchreibt er: „Ich fage nichts von 
dem Geſchwaͤtz, welches nicht werth ift, daß man darauf hört. Der 
Pobel ift ſchwer zu befriedigen. Am beften hält man fi) an die Wahr⸗ 
heit, ohne fih um die Meinungen derjenigen zu befümmern , welche 
fchauerlihe Erzählungen von unwahrſcheinlichen, der Unwiſſenheit 
und Bosheit entiprungenen Sachen verbreiten. ” 

Doc kann nicht geläugnet werden, daß man nicht nur im Aus⸗ 
ande ganz gewöhnlich den Verdacht ausſprach, «8 fei unreblich mit 
&arlos verfahren worden; fondern daß auch im Inlande, wo davon 
zu iprechen gefährlid) war, über dem Pöbel ftehende Perſonen einen 
folchen Verdacht hegten. Unter Andern theilt und der berühmte Ans 


— [un ano — un 


So jum Beifpiel macht er, bloß vier Eeiten von einander entfernt, widers 
ſprechende Angaben, indem er erſt fagt, dab ter Prinz die Abſicht, feinen Vater zu 
tödten, tem Don Johann von Defterreich mittheilte, und dann, daß er es nicht that. 
Die Sache IR, daß Llorente ſich gewiſſermaßen das Räthſel des Todes des Prinzen 
zu Löfen verbindlich madyte, weil er nog vornherein feinen Leſern anfündigte, daß 
„er glaubte, ex habe das Wahre gefunden.’ Indeß hat er jedenfalls das Faktum 
feſtgeſtellt, Daß vom Heiligen Amte nie ein Prozeß gegen Carlos eingeleitet wurde; 
denn als Eefretär der Inquifition befaß er die Mittel, tie Wahrheit herauszufinden. 
Hierdurch zerſtoͤrte er einen ganz gewöhnlichen Irrthum, auf dem mehrere Schrifts 
Heller die Fiktion ihres Gebäͤudes gegrändet hatien. 


waio Perez, ein Mitglied des Haushaltes des Fürften von Eboli, 
mit, vaß , Carlos, weil ihn der König für fchuldig hielt, vor Caſuiſten 
und Inquifitoren zum Tode verurtbeilt wurde. Um jedoch die Boll« 
Aredung des Urtels nicht zu handgreiflich ver die Oeffentlichfeit zu 
bringen, miichte man ihm vier Donate lang ein langſames Gift unter 
die Speifen.” 


Diefe Nachricht ſtimmt bis zu einem gewiflen Grade mit berieni- 
gen eined damals in Gaftilien anweſenden venetianifchen Adeligen, 
Pietro Giuſtiniano, überein; denn dieſer verficherte den Geſchichts⸗ 
fehreiber De Thou, daß „Philipp, nachdem er.den Tod jeined Sohnes 
befchloflen hatte , fih von einem gefeglichen Richter zu dem Zwede ein 
Urtel verfchaffte. Um jedoch die Ehre des Souveränd zu wahren, 
wurde das Urtel im Geheimen vollzogen , indem man dem Carlos 
vergiftete Hleifhbrühe, von der er nad einigen Stunden farb, zu 
trinfen gab.“ . 


Ginige von Antonio Perez erwähnte Einzelheiten fcheinen durch 
einen Bericht des franzoͤſiſchen Geſandten Fourquevaulr in einem 
Briefe, der ewa einen Monat nach der Verhaftung des Carlos ges 
fhrieben wurde, beftätigt zu werden. Er fchreibt: „Der Prinz wird 
zufehends dünner und abgemagerter, umb die Augen fallen ihm immer 
mehr ein. Man giebt ihm biäweilen kräftige Euppen und Kapauns 
fletfchbrühe, worin Amber und andere nahrhafte Sachen aufgelöft find, 
damit er nicht gänzlich die Kraft verliere und völlig hinſchwinde. Man 
bereitet diefe Suppen privatim in dem Zimmer des Ruy Gomez, durch 
welches man gehen muß, um in dasjenige des Prinzen zu gelangen. * 


Es fand nicht zu erwarten, taß ein caftilifcher Schriftfteller kͤhn 
genug war, zu verfichern, daß der Tod des Eurlo6 auf gewaltiame 
Weiſe herbeigeführt worden fei. Cabrera jedoch, der am beften unters 
richtete Geſchichtsſchreiber jener Zeit, welcher in feiner Kinpheit Häufig 
im Haufe ded Ruy Gomez und fogar im föniglichen Palaſte verkehrte, 
macht, während er die Erzefle des Carlos als die Urſache des frühzei⸗ 
tigen Todes defielben angiebt, einige myfteriöfe Andeutungen, weldye 
— aud wenn man ihnen feine gezwungene Erklärung giebt, — ans 


Der Tod des Don Carlos. 981 


zuzeigen fcheinen, daß man fich noch anderer Mittel bediente, um dieſes 
Ereigniß herbeizuführen *). 

Strada, der im Ganzen beftunterrichtete auslänbifche Schrift 
fteller der damaligen Zeit und der ald ein Ausländer nicht die nam» 
lichen Gründe hatte, wie ein Spanier, zu fchweigen, befchränft feine 
Angabe, daß der Tod ded Prinzen auf natürliche Weife erfolgt fei, 
durch den Bedingungsſatz: „mofern er nicht etwa gewaltiam umkam.“ 
— Der Prinz von Dranien trägt in feiner fühnen Anklage Philipp's 
fein Bedenken, denfelben den Mörder feined Sohnes zu nennen. Und 
iener neugierige Klatfchbruder Brantöme bringt unter den bittern 
Scherzen und Epigrammen, welche, wie er ung jagt, feine Landsleute 
auf Philipp wegen der bei dem betreffenden Vorgange geipielten Rolle 
machten, auch die Autorität eines bochftehenden Spaniers zum Beleg 
vor, daß der Prinz, nachdem er im Widerſpruche zu der Meinung des 
Rathes von feinem Vater zum Tode veruriheilt worden fei, vermittelft 
eined Handtuch erfticdt todt im Zimmer nefunden wurbe**)! In der 
Ihat find die vielen dem Carlos zugefchriebenen Todesarten ein genüs 
gender Beweis, daß feine einzige von ihnen feſtſteht. in neuerer 
Echriftfteller zögert nicht, zu verfichern,, ınan habe Carlos bloß die 
Freiheit gegeben, ſich aus den ihm vorgefchlagenen Todesarten eine 
berauszumwählen: eine Erfindung , die feitdem in einem der vielen aus 
der geheimnißvollen Geſchichte hervorgegangenen Dramen einen paflen- 
deren Platz fand. 

Der Gefchichtsfchreiber muß einräumen, daß in Allcdem bloß 

) ‚‚Mas es peligroso manejar vidrios, i dar ocasion de tragedias ſamosas, 
scaecimientos notahles, violentas muertes por los secretos executores Reales no 
sabidas, i pur inesperadas terrililes, i por la estralieza i rigur de juslicia, despues 
de largas adrertencias a lus Que uw cuidando delles ıncurrieron en crimen de lesa 
Magestad.*‘ 

Die merfwürtige Dunfelheit, worein fein Urtheil zu fleiden es beim Geſchichts⸗ 
f&reiber völlig gelungen iR, Hat natürlich zu tem Verdacht geführt, daß hinter den 
bloßen Morten noch eine antere Meinung fiede. 

») Die Sitte, über diefen Gegenſtand zu ſcherzen, fcheint am franzoͤſi ſchen Hofe 
noch zur Zeit Lurwige des Bierzehnten Mode geweien zu fein. Wenigſtens finden 
wir, daß dieler Monarch Jemandem fagt, „er habe Buſſy Rabutin zu deflen eigenem 
Behen in die Baſtille geſchickt, wie Bhilivp der Zweite gefagt hätte, als er feinen 
Sohn erdroſſeln ließ.“ 





282 Dreizehntes Kapitel. 


wenig Evidenz von pofitivem Werthe vorhanten iſt. Mit Autnahme 
des Antonio Perez, der, wie er uns fagt, feine Nachricht vom Fürften 
von Eboli erhielt, ſcheinen die Berichterftatter keineswegs Zugang zu 
fihern Nachrichtsquellen gehabt zu haben, während außerdem ihre 
Angaben einander widerfprehen und in direktem Widerfpruche zu 
denen des toscaniſchen Gefandten und des Nuntius ftehen. 
Zudem hatte der letztere wahrfcheinlich eine beſſere Kenntniß von dem, 
was in dem Rathe des Monarchen vorging, als irgend ein Anderer 
aus dem diplomatijchen Körper. Selbft die Angabe des Antonio 
Perez, fo wichtig fie auch in vieler Hinficht iſt, wird doch beträchtlich 
durch den Umftand abgefchwäcdt, daß Perez der gefchmworene Feind 
Philipp's war und im Erile ſchrieb, während der näntiche Mann, 
deffen Ehre er angriff, einen Preis auf feinen Kopf gelegt hatte”). 
Wenn wir feine Erfiärung in diefer Sache zurückweiſen, ſehen 
wir und wieder auf dad Meer der Bermuthungen geichleudert, und 
fönnen und bewogen finden, die Gerüchte von einer geavaltthätigen 
Handlungsweile des Philipp aus dem Gcheimniß, worein der ganze 
Borgang gehüllt wurde, und aus der gewöhnlichen Vorftelung von 





*) Bon Raumer, ter dielen Brief des Antonio Perez analyfirt, ſchlaͤgt den⸗ 
felben gering an, meil er von ‚‚einem verſchlagenen, bittern Feinde Philipp'o,“ 
deſſen Wort bei einem ſolchen Gegenſtande von feinem großen Werthe tei, berrüber. 
Wenn ein Mann, wie der Fuͤrſt von Eboli, der gewöhnlich in feinen Angelegcuheiten 
fo verfchloflen war, dem Berez eine ſolche Mittheilung machte, fo war das fürmwaht 
ein einzig daiiehender Beweis von Zutrauen. Doch muß man einräumen, taß ber 
Bericht des Perez einige Beſtaͤtigung durch ten Umſtand erhält, taß der ihn entbals 
tende Brief in feinen vorangehenten Theilen, worin ter Schraber die Berhaftung 
des Carlos darñellt, mit dem im Tert gegebenen authentiſchen Berichte dieſes Bor 
falle übereinftimmt. 

Es if bemerfenswerth,, Daß Sowohl De Thou wie Llorente mit Perez uͤberein⸗ 
flimmen, wenn fie Gift als die Urfache von dem Tode des Bringen anführen. Doch felb 
hierbei giebt es eine beteutende Abweichung ; denn Perez verfichert, daß es ein lang 
fames &ift war, welches, um den Tod herbeizuführen , vier Monate Zeit wegnahm, 
während die andern Autoritäten fagen, daß es unmittelbar wirfte. Ferner if ihre 
Netereinftimmung in Bezug auf die Anwendung von Gift von um fo geringerem 
Werthe, ats man natürlich leicht auf ein folches Mittel, wie Vergiftung, unter ders 
gleihen Umſtaͤnden, wo feine Spur eines gewaltfamen Todes am Körper des Hin⸗ 
gemordeten zurückbleiben durfte, verfallen mußte. 





Der Tod des Don Carlos. 983 


dem Charafter des ihn anordnenden Monarchen herzufeiten. Die näms 
fichen verbächtigen Umftände müffen auf ben Geſchichtsſchreiber noch 
heutzutage Einfluß äußern, wenn er, zwar mit mehr Aufffärung als Phi⸗ 
lipp's Zeitgenofien, aber doch immer noch mit ungenügendem Aufſchluß 
fih mühſam feinen Weg durch dieſe dunkle Stelle in dem Leben des 
fpaniichen Monarchen zu finden, ſucht. Viele düftere Zweifel 
müſſen ſich feiner Serle bemächtigen. Wie wir fahen, war es fchon 
in der erften Stunde der Haft des Prinzen befchloffen, daß derfelbe nie 
wieder frei werben follte. Doch waren die Anftalten zu feiner fortges 
fegten Haft fo außergewöhnlich und bürdeten den erften Männern des 
Königreiches eine folche Laft auf, daß hieraus hervorzugehen fchien, 
feine Einferferung könne nicht von langer Dauer fein. Es ift fchon 
feit der Zeit des Macchiavell zur jprüchwörtlichen Redensart geworten, 
daß ein abgeſetzter Fürft vom Throne bi8 zum Grabe feinen weiten 
Weg zu machen hat. Zwar hatte Carlos nie eine Krone getragen, 
aber e8 fchienen die nämlichen Gründe, als wenn er eine folche getragen 
hätte, vorhanden zu fein, um ihm die Zeit feiner Haft zu verfürzen. 
Seine ganze Umgebung betrachtete den Prinzen ınit Mißtrauen. Wie 
wir ſahen, fehlen der König, fein Vater, nach der Verhaftung des 
Carlos in größerer Furcht als vor derſelben zu leben”). „Die dem 
Carlos verhaßten Minifter ,* fagt der Nuntius, „wußten recht gut, 
daß, wenn er je auf den Thron gelangte, dies ihr Untergang fein 
würde." Während alfo die Befürchtungen und Intereſſen Aller feine 
Befeitigung zn verlangen fchienen, finden wir in dem Charafter Phis 
lipp's nichts, was Dem hätte entgegen wirfen können. Denn wenn 
Hätte man ihn je dad einmal in feiner Gewalt befindliche Opfer wieder 
entwilchen laflen, oder bei der Hinwegräumung eines im Wege ftehen- 
den Hinternificd ein Gewiſſen offenbaren fehen? Man braucht fich 
bloß die lange, mit einer mitternächtlichen Hinrichtung endende Haft 
des Montigny, die offene Ermordung des Prinzen von Oranien, bie 
geheime Ermordung des Sekretärs Escovedo, die unabläfftiye Ver— 


*) Benn wir dem Brantome glauben duͤrfen, war jederzeit zu einer ſolchen Bes 
fürdtung Grund vorhanten. „En fin il estoit un terrible masle ; et s'il eust vescu, 
assurez-vous qu'il s’en fust faict acroire, et qu’il eust mis le pöre en curatelle.** 








284 Dreizehnies Rapitel. 


folgung des Perez, ſeines Inſtrumentes bei dem lepterwähnten Morde, 
und ſeine wiederholten Verſuche, auch den Perez durch den Arm des 
Meuchelmoͤrders abzuthun, in's Gedaͤchtniß zu rufen. Zwar find dieſe 
Stellen in der Geſchichte Philipp's dem Leſer noch vorzuführen, aber 
ihre Kenntniß ift nothwendig, wenn wir in die Tiefe von Philipp's 
fhwarzem, gewifienlofem Charakter dringen wollen. 

Wenn man glauben follte, daß es zwifchen diefen Gewaltthaten 
und der Ermordung eined Sohnes noch einen großen Unterfchied gibt, 
jo müflen wir und erinnern, daß Philipp in Religionsiachen nad) dem 
Grundſatze handelte, daß der Zweck dad Mittel heiligt; daß ein® 
der dem Carlos zur Laft gelegten Verbrechen ber Abfall vom Glauben 
war, und daß Philipp einftinals einem ihn um Barmherzigkeit ans 
fprechenden, zum Scheiterhaufen geichleppten Ketzer geantwortet hatte: 
„Wäre mein Sohn ein folcher Elender, wie Du bift, fo würde ich ſelbſt 
das Holz herbeibringen, um ihn zu verbrennen !* 

Mögen wir nun annehmen, daß der Tod des Carlos gewaltfam 
oder durch jene unfinnigen Erzefle, Lie man den Prinzen während 
feiner Haft begehen ließ, herbeigeführt wurde, fo bleibt Philipp noch 
immerbin in einem hohen Grade dafür verantwortlich, weil er, felbft 
wenn er das Leben feined Sohnes nicht durch den Arın des Meuchelmoͤr⸗ 
ders vernichtete, doch Durch feine ftrenge Behandlung den Prinzen in einen 
Zuftand der Berzweiflung, welcher gleichfalls zum Tode führte, trieb*). 

Kaum eine Etunde vor dem Berfcheiden ded ‘Brinzen und wäh- 
rend derfelbe in den legten Zügen lag, fiel in einem anftogenden Gange 
des Palaſtes eine hiervon fehr verichiedenartige Scene vor. Dafelbft 
entipann fi nämlidy ein Streit zwiſchen zwei Hofleuten. Der eine 


*) Philivp der Zweite iſt nicht der einzige fpanifche Monarch, dem die Ermors 
dung eines Sohnes Schuld gegeben worden iſt; denn auch Leovogild, ein weirgethis 
ſcher Rönig des fechszehnten Jahrhunderts , ließ feinen rebelliſchen Sohn, nachdem 
er ihn.gefangen genommen hatte, in den Kerfer werfen und dort im Geheimen ums 
bringen. Während der König ein Arianer war, war der junge Prinz ein Katbolif 
und hätte fein Leben retten können , wofern er ſich herbeigelaflen hätte, feiner Res 
liaion abzuſchwoͤren. Daher wurde er von der römifchen Rirche ale ein Märtyrer 
betrachtet. Auch iſt e8 ein intereflanter Umſtand, daß es Philipp ter Zweite war, 
welcher tem hingemordeten Hermenegild bri dem Papſte Sixtus tem Fünften bie 
Kanonifation auewirkte. 


Der Tod des Don Carlos. 93855 


von ihnen war ein junger Kavalier, Dun Antonio de Leyva, während 
der andere, Don Diego de Mendoza, ein Adeliger war, welcher früher 
mit großer Auszeichnung den Poſten eines Gefandten in Rom ausge⸗ 
füllt hatte. Der Erreit entftand wegen einiger coplas, deren Urheber: 
ſchaft Mendoza beanſpruchte. Obwohl letzterer jetzt ſchon beinahe 
ſechszig Jahre zählte, war ihm doch das Jugendfeuer nicht durch dae 
Alter abgekühlt worden. Indem er ſich von ſeinem Begleiter beleidigt 
fühlte, gerieth er in Hitze und zog den Dolch. Der andere zog ebenſo 
ſchnell ſein Schwert aus der Scheide. Von beiden Seiten fielen Streiche, 
bis endlich der Lärm des Waffengeklirres die Ohren Philipp's erreichte. 
Entrüfter über ven auf diefe Weiſe und zu diefer Stunte innerhalb der 
Mauern des Valaftes begangenen Brevel, befahl Philipp feiner Wache, 
die Frevler auf der Stelle zu verhaften. Aber die Kämpfenten waren 
bereitd wieter zu Vernunft gefommen , hatten fich glüdtich neflüchtet 
und fuchten Zuflucht in einer naben Kirhe. Da Philipp jetoch zu 
aufgebracht war, um dieſe Freiftäre zu rejpeftiren, fam mitten in der 
Nacht ein Alcalte in die Kirche und ſchleppte Die Uebelthäter mit ſich 
aus dem Heiligthume fort. Leyva wurde in Eifen geſchlagen und in 
Lie Feſtung von Madrid gefegt, indeß fein Gegner in den Thurm von 
Simancas geſchickt wurde. „Man glaubt, daß fie dieſen Frevel mit 
ihrem Leben bezahlen müſſen,“ jchreibt ter toscaniſche Geſandte Nobili. 
„Der König,“ fügt er hinzu, „bat fogar im Sinne, feine Wache ab» 
zufegen, weil fie biejelben hat entwijchen Laffen.” Doch verwandelte 
ter König die Strafe der beiden Edlen in Verbannung vom Hofe. 
Der alte Hofmann Mendoza benugte in der Folge fein Eril dazu, um 
der Welt feine denfwürdigen Romane und geichichtlichen Arbeiten, die 
in der Nationalliteratur eine Epoche bilden, zu geben. 

Carlos fol einige Tage vor feinem Tode ein Teftament gemacht 
haben, worin er, nachdem er die Gnade und den Eegen feined Vaters 
erfleht hatte, dem lepteren feine Bedienten anempfahl, zwei oter brei 
Freunten einige Juwelen ſchenkte und fein Eigenthum unterjchiedlichen 
Kirchen und Klöftern vermachte*). Seinem Wunſche gemäß wurde 


°) Ich habe vor mir ein anderes Teſtament, welches Carlos 1564 zu Alcald de 
Henares muchte und beifen Original in dem Archiv von Simancae nod vorhanden 


iein Lrichnam in cin Franzistanergewand gefleitet und bald barauf im 
einen mit ichwarzem Sammet und reichem Brocat ausgeichlagenen 
Sarg gelegs. Noch den nämlidyen Abend um jichen Uhr wurden bie 
Ucberrche des Carlos aus dem Sterbezimmer nad dem Begraͤbniß⸗ 
platze gebracht. 

Ter Sarg wurde auf den Echultern des Fürften von Eboli, ber 
Herzöge von Infantado und Rio Seca, und anderer vormehmer Örane 
den fortgetragen. In dem Hofe des Palaſtes hatten ich eine große 
Menge Mitglieder ver religiofen Bruderſchafien, Würtenträger ber 
Kirche, fremte Geſandte, Edlt und Kavaliere vom Hofe und Diener 
bed föniglichen Haushaltes verfammelt. Aub war kajelbit die legte 
Umgebung deö Carlos: Leute, die er zum Theil nicht jchr geliebt hatte, 
und die, nachtem fie ihn während jeiner Gefangenſchaft bewacht batten, 
ihn jegt zu feinem legten Ruheplage zu geleiten gefommen waren. 
Ehe fi) der Zug jedoch in Bewegung ſetzte, entftant unter ten Anwe⸗ 
fenden ein Streit wegen ter Borrangdfrage. Ter feierliche Ernft der 
SHantlung, in welcher man begriffen war, hätte dieſe ehrgeizige Öeinnung 
eigentlich nicht auffommen laffen ſollen, denn man hätte fi erinnern 
fönnen, daß ed, im Grabe wenigftene , feine Unterichiede giebt. Aber 
glüdlicherweile wurde vie gefährliche Frage von Philipp beieitigt. 
Diefer ſah nämlidy aus rinem offenen Fenfter des Palafted auf die 
Exene herab und gab mit feiner gewöhnlichen Faſſung Beichle, wie 
man die Prozeſſion bilden follte. Der König begleitete den Zug nicht. 
Zangfam bewegte ſich die Prozeſſion durch die gefüllten Straßen, wo 
das Volk, als es den. glänzenden LZeichenzug ſah und als feine Augen 
auf die Bahre des Prinzen fielen, in laute Klagen ausbrach; ben 
man hatte die freubige Hoffnung gehegt, daß der Prinz eines Tages 
dad Ecepter Baftiliend führen würde; wenn aber berfelbe in große 
Irrthümer verfallen war, fo wurde boch jegt Alles über feinem bei- 
fpiellofen Unglüde vergefien. 

Die Prozejlion bewegte fid) langſam nach dem Klofter San Do⸗ 


if. In der einen Beſtimmung biefes Dokumentes verfchreibt er fünftaufend Dufaten 
dem Don Martin de Cordova für feine heldenmuͤthige Verteidigung von Mas 
jarquisir. 


Der Top das Don Carlos. 2837 


mingo Real zu, welches Carlos zur Rubefätte jeiner Afche auserforen 
hatte. Dafelbft wurde vor der ungeheuern Menfchenmenge der Leichen» 
gottesdienſt mit großer Beierlichkeis abgehalten. Doc; turfte feine 
Leichenpredigt von der Kanzel gehalten werten, weil Philipp entweder 
in die Klugheit der Prediger Mißtrauen fegte, oder einen fühnen Tadel 
wegen feined Benehinen® befürchtete. Neun Tage lang fand zu Ehren 
des Hingeichietenen Sottespienft ftatt und dad Todtenamt dauerte 
vom Morgen bis zum Abend , wobei cine große Menichenzabl, darun⸗ 
ter die in tiefe Trauer gefleideten großen Adeligen und Etnatödiener, 
gegenwärtig war. Auch fonnte man bei dieſen Gelegenheiten die Kö- 
nigin und die Prinzeffin Joanna gemeinichaftlich mit denen weinen 
fehen,, weldye das Andenken an Carlos theuer hielten. In der Kirch» 
mauer, innerhalb des Chores, wurte eine Niſche audgehöhlt und das 
hinein legte man die Ueberreſte des Carlos. Doch blieten fte nicht 
lange dufelbft; denn 1573 wurden fie auf ven Befehl Philipp's nach 
dem Escorial geichafft,, in deſſen tüfteren Zimmern man fie ſich mit 
der Aſche der verwandten föniglichen Linie Oeſterreich vermiſchen ließ. 

Philipp fehrieb an Zuniga , feinen Gefandten in Rom, um den 
Wunſch zu erfennen zu geben, daß man dem Gedächtniß des Carlos 
feine Trauerehren erweifen, daß man feine Trauerfleider anlegen, und 
dag Seine Heiligkeit es nicht für nothwendig halten ſollte, ein Beis 
leidsjchreiben zu überfenden. Zuäiga that fein Möglichftes; doch 
fonnte er nicht verhindern, daß man eine Reichenfeierlichfeit mit dem 
dem Range des Taahingefchiedenen angemeflenen Trauergepränge vers 
anftaltete. In der Kirche des heiligen Jafobus wurde ein Katafalf 
errichtet, im Beijein des in tieffte Trauer gekleideten Geſandten nebft 
Gefolge Gottesdienſt abgehalten und einundzwanzig Karbinäle, das 
tunter Granvelle, nahmen an der feierlichen Handlung Theil. Doch 
hielt man fein Trauerpanegyricum, und feine Monumenteinfchrift vers 
fündete die imaginären Tugenden des Verblichenen. 

Bald nad) dem Tode ded Prinzen z0g ſich Philipp in das Klofter 
St. Hieronymus zurüd, in deſſen verichloffenen Räumen er ſich auf 
eine längere Zeit den Bliden feiner Unterthanen entzog. Der päpft« 
liche Runtius fchreibt: „Er empfindet feinen Berluft wie ein Vater, 
doc) trägt er ihn mit der Geduld eines Chriſten.“ Erließ an die fremden 


288 Dreisehntes Kapitel. 


Höfe Depeichen abgehen, um fe mit feinem unlängft gehabten Unglüd 
befannt zu machen. In feinem Briefe an den Herzog von Alva giebt 
er feinen Gefühlen einen freieren Ausorud. „Sie können fich vorſtel⸗ 
len,” fagt er, „in welcher ‘Bein und Trübſal ich mich jegt befinde, 
nachdem e8 Gott gefallen hat, meinen theuren Sohn , den Prinzen, 
zu fi) zu nehmen, Er ftarb als Ehrift und hatte drei Tage zuvor das 
Saframent empfangen und Reue und Buße gezeigt, was in meinem 
Kummer mir zum Trofte gereicht, denn ich hoffe, daß Gott ihn zu fh 
abberufen hat, damit er auf erig bei ihm bleibe, und daß der Herr 
mir feine Gnade fchenfen mag, daß ich dieſes Leiden mit chriftlichem 
Herzen und chriftlicher Geduld ertrage. “ 

Alfo verfchied im Morgen feined Lebens, nicht viel über dreiunds 
zwanzig Jahre alt, Carlos, der Prinz von Afturias. Keiner feiner 
Zeitgenoffen war unter glüdlicheren Aufpizien zur Welt gefonmen, 
denn er war der Erbe des herrlichften Reiches der Ehriftenheit. Ale 
die Spanier in feinen Sinabenalter die- Keime zukünftiger Größe in 
feinem Churafter entdedt hatten, fahen fie mit Zuverficht der Zeit ent 
gegen, wo er mit dem Ruhme feined Großvarers, Karl's des Yünften, 
wetteifern würde. “Aber fein übler Stern, unter dem er geboren wat, 
machte alle Gaben des Glückes zu Schanden und verfehrte fie in Fluch. 
Sein von Natur wildes, ftarrföpfiges Weſen ward durch Krankheit 
verfchliimmert und verwandelte fich, als fein natürlicher Bormund dems 
felben Mißtrauen und Entfremdung entgegenfeßte, in einen Zuftand 
der Raſerei, welche für feine Ausfchweifungen die befte Vertheidigung 
liefert und zugleich feinen Vater rechtfertigt, wenn diefer, um fie zu 
verhindern, Maßregeln ergreifen mußte. Doc koͤnnen diejenigen, 
welche die Beichultigung des Mordes zurücdweifen, wohl den Vater 
von unerbittlicher Strenge gegen fein Kind in den von ihm angewantten 
Maßregeln over von ber fihredlihen Verantwortlichfeit für tie mit 
diefen Mapregeln verfnüpften Bolgen freiipredhen? 


Bierzehntes Kapitel Der Tod Iſabellens. 289 


Dierzehntes Kapitel. 
Der Tod Iſabellens. 


Die Königin Iſabella. — Ihr Verbaͤltniß zu Carles. — Ihre Brut und 
Tod. — Ihr Gharalie. 


1868. 


Roc waren, feitdem die junge, ſhöne Gemahlin Philipp's das 
Geſchick ihres ungluͤcklichen Stiefſohnes beweint hatte, nicht volle drei 
Monate verfloſſen, als fie ſelber ihm in's Grab, nachfolgen mußte. 
Die fchnelle Aufeinanherfolge dieier traurigen Ereigniffe und das Vers 
hältnig der einft für einander beftimmten beiden Betroffenen gab. den 
Gedanken ein, daß fie zu einander eine unerlaubte Leidenfchaft gehegt 
hätten, und daß Iſabella nach dem Tode ihres Liebhabers jelbft ber 
Eiferfucht ihres rachlüchtigen Gatten geopfert worden fei. 


Vergebens fucht man bei den einheimiſchen caftiliihen Schrift⸗ 
ftellern nach diejer Schredenderzählung. Auch macht bei Erwähnung 
der umlaufenden Gerüchte weder ein einheimilcher , noch ein audlän- 
discher damaliger Geichichtäfchreiber, fo viel ich gefehen, dem guten 
Namen Zjabellend etwas zum Vorwurf; wiewohl allerdings mehrere 
anbeuten, daß Carlos eine Leitenfchaft für feine Stiefmutter gehegt 
babe. Brantöme jagt ung, daß Carlos, als er feine Stiefmutter zum 
erftien Male ſah, „io fehr von ihren Reigen gefeflelt wurde, daß er 
feitdem einen tödtlichen Haß gegen feinen Bater faßte, und deinfelben 
oft vorwarf, daß er ihm, als er ihm die herrliche Beute wegnahm, 
großes Unrecht gethan habe.” „Und dies,” fegt der Schreiber hinzu, 
„fol zum Theil die Urfache von dem Tote des Prinzen geweſen fein, 
denn er fonnte nicht umhin, die Königin auf dad Innigfte zu lieben 
und fie, die fo fehr Zuneigung und Xiebe verdiente, zu ehren und hoch» 
zuachten.” Darauf giebt er und zu verliehen, daß über die Art und 
Weiſe des Todes der Königin viele Gerüchte im Umlauf waren. Auch 
erzählt er eine nicht jehr wahrfcheinliche Geſchichte von einem Jefuiten, 
der nach den entlegenften Theilen Indiens verbannt wurde, weil ders 

Brescott, Geſch. Philipps II. LIE 19 


X Merzchites eilt. 


ſelbe auf der Kanzel die Schlechtigkeit derjenigen, die ein fo unſchul⸗ 
biged Weſen hätten zerköwen Können, angefkagt habe. 

Der Prinz von Oranien, eine gewichtigere Autorität, bezüchtigt 
in der Rechtfertigung ‚feines vigewen Betragene ben Philipp der Er⸗ 
morbung feines Sohnee wie feiner Gattin. Indeſſen ift zu beachten, 
aß er nirgends Zu verſtehen giebt, es habe zwiſchen den Betten ek 
Liebesverhältniß befanden , fondern er fchreibt den Tod der Konigin 
Philipp's Wunfche zu, fi dadudch den Weg zur Verheirathung mit 
Anna von Defterreich zu bahnen. Indeß find dieſe beiden Autoritäten 
in jener Zeit, fo weit es mir befannt iſt, die einyigen , welche biefe 
fchredlichen Gerüchte unterftügt haben. "Beite waren als Freitide fetn 
von ber Bühne der Handlung. Der eine wär ein feichtiertiger, ſchwatz⸗ 
hafter Franzoſe, deffen ergöglicye Erzählungen von der Klätſchetei des 
Hofes wimmeln und oft nicht viel beſſer als eine Chronique scandaleuse 
ſind. Der andere war der toͤdiliche Feind Philipp's, deſſen Ehre er 
— als das beſte Mittel, feine eigene zu vertheidigen, — mit den 
ſchwaͤrzeſten Befchuldigungen angriff. 

Indeß hielten die leichtſinnigen Schriftſteller einer ſpaͤneren Zeit 
außer dem umlaufenden Gerüchte feine weitere Autorität für noch⸗ 
"wendig; denn fie betrachteten den Werth einer Gefchkhte, wie dieſerci⸗ 
gen des Tatlos und 'der Yabella, von dem Stundpunkte des roman⸗ 
tiſchen Interefies , welched dieſelbe ihhten Leſetn gewähten mußte. 
Indem fie ſich dieſen Vottheil zu Nutze machten, haben fie die Uutiſſe 
des Gemäldes mit der Ausſchmuückung Ihrer eigenen Phuntafle aubgr⸗ 
ſtattet, bis envtilh das Inrereffe diefer Erzählung von Liebe und Leid 
dieſelbe eben fo bekannt gemacht hat, wie es die klaſſiſchen Mythen aus 
der fruͤhen Zeit der griechiſchen Geſchichte find. 

Gluͤcklicherweiſe ſteht es in gegenwärtigem Falle in unferer Macht, 
aus unverbächtiger Evidenz die Wahrheit feftjuftellen; derm wir bes 
fiten das Zeugniß von Iſabellens Landoleuten, deren Aufenthalt am 
Madrider Hofe Ihnen reichliche Gelegenheit bot, perſoͤnliche Bevbach⸗ 
tungen anzuſtellen. Iſabellens Mutter, die beruͤchtigte Katharinn won 
Medieis, die mit fo Vielem, was unſerer Vorſtellung fürchterlich vor⸗ 
kommt, verknuͤpft iſt, beſaß wenigſtens das Verdienſt, daß fie mit der 
innigſten Sorgfalt für die Intereſſen ihrer Tochter wachte. Auch titß 


Dax Sod Alahellens. amd 


Diefe Sorgfalt nicht nach, als Die funfzehn Jahre alte ‚Eilfabeth non 
Frankreich ihr Heimathland verlieh und den:fpanifchen Thron .beftieg. 
Indem Katharina mit ihrer Tarhter einen fortwährenden Briefwechſel 
unterhielt, unserwies ‚fe dieſelbe bisweilen, wie.fie fich.benehmen follte, 
und überfankterihrim anberen Fällen ärztliche Varſchriften, in Bezug-auf 
ihre. Befunnheit. Ebenso jorgfältig ſuchte fie ch non.dem franzöfiichen 
Geſandten am Mabriter. Hofe Racdricht über ‚die Lebenaweile Iſahel⸗ 
Jens zu verfchaffen. Haͤtten nun :diele loyalen Unsterthanen bemnerft, 
296 die Konjgin von.ihren Bemabl :igyentnwie ungebührend behmunelt 
märde, fo wüsdenzfie Sicherlich ſchnell beider Hand. geweſen. ſein, das, zu 


berichten. 


Eine ꝓorurtheilafreie Durchſicht ihrer Depeſchen zerſtreut alles 
Brheimuißvslle oder beweiſt vielmehr, Daß.nie Urfache zum Seheims 
‚halten vorhanden war. Der sleiche, kraͤnkliche vierzehniaͤhrige Ruhe 
— denn Eartod.war.bei der Verheirathung. Iſabellens „nicht ‚älter — 
befaß zu wenig ‚verfönliche. Reize, als daß es wahricheinlich wäre, daß 
er das Herz jeiner Ichönen Stiefmutter, wäre.biele leichten Sinnes. ge⸗ 
weſen, Huͤtte rühren fünnen. Aber :ipr gegenfeitiger.Berfehr Icheint 
‚son vornherein ‚ihrem .beiderfeitigen Verwandtſchaftsverhaͤltniſſe ont⸗ 


‚sprechen zu haben ‚und ber Herzensgüte Iſabellens, ‚welche .mit den 


perfönlichen Schwaͤchen und Reiden des Carlos Mitleid .empfant, ons 
gemefien .gewefen zu:fein. Weit davon entfernt, ihre Gefühle in dieſer 
Sinfiht zu bemaͤnteln, ‚zeigte fie dieſelben offen. in ihrem Vriefwechſel 
‚mit-ihrer Mutter, vor ihrem Gemahl. und vor ber Oeffentlichkeit. 
Kurz nad) der Ankunft Iſabellens in Madrid finten ‚wir einen 
‚Brief des Biſchoſs von Limoges an ihren Bruder, Karl den Reunten, 
worin der ‚Schreiber demielben mittheilt, daß „feine Schweiter ;hei 
ihrem Eintritte in den Madrider Balaft den Bringen jo anmuthig ‚und 
liebreich grüßte, daß der König damit Außerft ‚zufrieden war. Rod) 
mehr aber ſchien Carlos bamit zufrieden gewelen zu fein, wie aus 
feinen häufigen Befuchen , die er der Königin .abflattete, erſichtlich 
wäre, und zwar wären dieſelben fo häufig, wie es die Hofetifette, hie 
viel ſteifer als die PBarifer ſei, erlauben wollte.” In einem andern 
Briefe aus dem folgenten Monate erzählt der Bifchof, daß die Königin 
den Carlos, wenn er fie des Abends beſucht, mit unfchuldigen Spiehen 
x 19 % 








2 Bierzehntes Kapitel. 


und Zeitnertreiben zu ergögen ſich bemühe, um den jungen Prinzen, der 
unter feiner Kranfheit binzufchwinden ſcheine, aufzubeitern. 

Aus dem folgenden Jahre haben wir einen Brief an Katharina 
von Medici von einer Dame aus dem Gefolge der Königin. Diefe 
war mit Iſabellen aus Frankreich gefommen. Nachdem die Schreis 
berin erzählt bat, daß ihre Herrin bisweilen mit der Prinzeffin Joanna 
zufammen im Garten foupire, fagt fie, es fäme dort oft zu ihnen „der 
Prinz, welcher die Königin in fehr hohem Grabe liebt, und, wie es 
mir fcheint, nicht böfe darüber fein würde, wenn er mit ihr noch näher 
verwandt wäre." — Es liegt nichts Unmwahrfcheinliches in der Bors 
ausfegung, daß der Prinz in danfbarer Empfindung der freundlichen 
Behandlung, an die er nicht fehr gewöhnt war, mit der Zeit dem 
Einfluffe einer Prinzeffin, deren fanfte Gemuͤthsart und einnehmende 
Sitten die Herzen Aller derer, die in ihre Nähe famen, gewonnen zu 
haben fcheinen , nicht widerftehen fonnte. Auch mag fi, wenn er an 
das harte Geſchick, das zwiſchen fie Beide eine Schranfe geftellt, dachte, 
unter fein Bedauern Groll gemifcht haben. Ebenfo iſt es in Anbes 
tracht de8 heftigen Weſens des Prinzen möglich, daß der franzöftfche 
Geſchichtsſchreiber De Thou aus einer guten Quelle geichöpft hatte, 
wenn er verficherte,, daß man Carlos, „nachdem er eine lange Unter- 
haltung im Zimmer der Königin gehabt hatte, beim Heraustreten fich 
oft laut darüber beklagen hörte, daß fein Bater fie ihm geraubt habe. * 
Aber eine gemeine Leidenfchaft kann er nicht für Ifabellen gehegt haben, 
und gewiß ermuthigte die Königin diefelbe nicht, wenn es wahr ift, 
was Brantöme und erzählt: „So unverfchämt und fühn er auch in 
feinem Verkehr mit allen übrigen Srauen war, Fam er doch nie in Lie 
Gegenwart feiner Stiefmutter ohne ein fo ſtarkes Gefühl von Reſpekt, 
daß hierdurch fein ganzes Weſen wie umgewandelt erfchien. ” 

Auch hat man nicht den geringften Beleg dafür, daß die Bewun⸗ 
derung, welche die Königin, ſei e& bei Carlos, oder fei es bei den Höf⸗ 
lingen, erregte, dem Philipp irgendwie ungelegen war ; denn derſelbe 
fheint in ihre Treue ein unbedingted Zutrauen gefegt zu haben. Und 
während wir finden, daß Iſabelle vor ihrer Mutter den Philipp „einen 
fo guten Gemahl“ nennt, „der fie fo glüdlich macht und ihr den dun⸗ 
felften Flecken in der Welt angenehm erfcheinen läßt," treffen wir auch 


Der Ton Iſabellens. 293 


einen Brief des franzöflichen Geſandten Quibert, worin derfelbe ſagt: 
„Des Könige Liebe zur Königin ift im fortwährenden Wachfen begrifs 
fen, fodaß ſich binnen ber legten paar Monate ihr Einfluß um das 


Dreitache vermehrt hat.“ Einige Jahre fpüter (1565) fchreibt der das: 


malige Mabrider Gejandte St. Sulpice an die Königin Mutter in 


begeifterten Ausdrücken von dem zärtlihen Verhältniß, das zwiſchen 


Philipp und feiner. Gemahlin beftand. Er fagt: „Ich kann Eie vers 
ſichern, Madame, daß die Königin, Ihre Tochter, in der größten Zus 
friedenheit von der Welt lebt, denn tie Bande vollkommener Freund⸗ 
ſchaft ſchließen fie immer enger an ihren Gemahl an. Er beweilt ihr 
das unbefchränftefte Zutrauen und behandelt fie fo herzlich, daß gar 
nichts zu wünfchen übrig bleibt.” Der Schreiber enwähnt eine ihm 
von Philipp gemachte Erfiärung, daß „der Berluft feiner Lebensge⸗ 
fährtin für ihn ein fchwereres Unglüd fein würde, ald ihn jemals 
heimgeſucht babe.“ 

Dap tied aber bei dem Könige feine leeren Worie waren, bewies 
derſelbe durch ſeine Nachſicht gegen die Neigungen Iſabellens, und 
zwar ſogar gegen diejenigen nationalen Neigungen, welche nicht immer 
im Einklang wit den ſtrengeren Regeln ter caſtiliſchen Etikette waren. 
Um die Freiheit ihrer Lebensweiſe zu zeigen, darf ich vielleicht einige 
ſchon in einem, vorhergehenden Kapitel erwähnte Einzelheiten wieder 
berühren. Bei ihrer Ankunft in Lande wurde fie mit Bällen und ans 
deren Feierlichkeiten, an.welche fie in der fröhlichen Hauptſtadt Frank⸗ 
reichs gewöhnt worden war, begrüßt. Ihre häusliche Einrichtung 
war auf einem fo glänzenden Buße, wie ihrer Stellung geziemte, her⸗ 
geſtellt. Mir Entzüden verweilt der alte Höfling Brantome bei tem 
glänzenden Ueberfluſſe ihrer Kleidung und bei den foftbaren Juwelen, 
womit fie gefhmüdt war. Wenn fie ausging, nahm fie nad) der 
Sitte ihres Heimathlandes den Schleier ab ,. obfchon Died von der Ge⸗ 
wohnheit ter fpanifchen Damen fo fehr verſchieden war. Doch machte 
died nur fie zu einem größeren Lieblinge tet Volkes; dem dieſes ſchaarte 
fi), wo fie auch immer erfcheinen mochte, biyierig zuiammen, um von 
ihrem fchönen Antlig einen Bli zu erhaſchen. Sie brachte eine Anzahl 
franzöfifher Damen und Aufwartefrauen mit, von denen einige blieben 
und fidy in Baftilien verheiratbeien. Diejenigen, welche in die Heimath 


398 Viergefhirtte Kirpiitl. 


zurädffehrten, verforgte fie mil einer reichen Autfiuttung. Wr Landes 
leute war fie immer zu ſprechen, und fie empfing‘, wie für Biograph 
fügr, die Niedrigſten wie vie Höchſten urkt der gewohnten Huldv. Bit: 
ihnen unterhielt fie ſich in ihrer Mutterfprache. Aber Binnen einem 
BViertefjahre Hatte ihre Yaffıngeftafi- das Caſſlilifche fo weit bemeiſtert, 
Daß fie ſich darın verfländkich machen konnte, und- binnen Kurzem fprach 
fie mit Eleganz , wenn audy mit efnem leichten fremden, aber nicht 
unangenehmen Accent. Indem Ifabella durch ihr 2008 unter eim 
Volk geworfen war, das fid) von demjenigen‘, unter welchent fle ger 
Boren und erzogen war, fo fehr unterſchied, fchfen fie in ihrer eigenen 
Perſon die guten Eigenſchaften von beiden zu vereinigen. Die leichte 
Lebhaftigkeit des franzöffichen Charafterd wurde von der Würde des 
fpanifchen fo glücklich gemäßigt, daß ihre Eitten dadurch einen umnamee 
forechlihen Zauber erhielten. Da: Eliſabeth von Frankreich ale mit 
den beften Gaben von Natur und Glück reichlich ausgeftattet war, if® 
ed fein Wunder, wenn fie dad Entzücken des Hofzirkels, an befien 
E pipe fie ſtand und deffen größte Zierde fie war, wurde. 

Ihr frommes Weſen muß ſtch ſehr beunruhigt gefühlt haben, 
wenn fie vie Wildheit und Lannenhaftigkeit des Carlos md bie täglich 
wachfende Entfremdung ſeines Vaters ſah. Doch verzweifelte fie nicht 
an feiner Beſſerung. Wenigſtens fönnen' wir dies aus dem Eifer 
fihtießen , womit fie ihre Mutter mterflürgte, als viele die Heirath des 
Mrinzen mit Ifabellens Schweſter, der füngeren Tochter ver Katharina 
von Medici , betrid. „Meine Schweſter beſttzt,“ fagte die Köntgin 
zu Ruy Gomez, „ein fo vortreffliches Gemuͤth, daß feine Primeffin 
In der Chriftenheit geeigneter ſein Pörnte, Cie Laumen meines Stiefs 
fohnee zu mäßigen und fidh ihnen anzupaffen, noch zu gleicher Zeit 
paffender fowohl für ven Vater wie für den Eohn in ihren gegenfet- 
tigen Beziehungen." Obſchon aber der Minifter hierin auf der Stelle 
der Königin beipflichtete, wurden fle doch Beide vom Philipp zu wenig 
Hoffmung ermuthigt , denn diefer ſchien damals einer Berbintung mit 
bem Haufe Orftreich geneigter au fein. 

In dem vorhergehenten Kapitel haben mir gefehen, weichen 
Schmerz Fiabellen die Berhaftumg des Carlos verurſachte. Obſchon 
fie infofern dabei gewann, daß ihrer Rachtommenfchaft hierdurch ter 


Dan Kap Haken RE 


Meg u Achtanfolg⸗ wällıet aupde, weinig fie. hack, win ung. ber Qe⸗ 
ſandia Fauquevauit berichtet, über das Ungluͤq ihrea Stieflohnes ameh 
Tage, kin is Philipo das ſarnece Meinen yerhat., Wis wir ſahen, 
Vianite fin ihn wärend ſeinex Daft act beſuchen und ihm night zinmgh 
Na Bitzerdein dar legten Stunde yeriähen. Wie: fahr, qber zu Dielen, 
Zeit ihre Gegenwart ihn arteichtert haben volgde, laͤßt ſich auq den 
vmar ſainen Bapiaran geundenen einfachen Kotiz ſchließen, morin er 
user ſaiven Freunden der Koͤnigin, gie deritnigenm, welche lich, immer 
ar. lihreichhien gegen ih benommen hätte, den erſten Platz anweiſt, 
Dieſe Zuneigung, moͤgen wir ſie nun exllaͤren, wie wir wollen, hegte cn 
ao fie. aleich vom Anfange an und bewahrte fie his zur legten Stunde 
feines. Lebend.. Der einzige Troſt, welcher Iſabellen jetzt übrig hlich, 
Kam darin, daß fie ſich mit das PringeifinIpanna und ben wenigen, 
das Andenlen des Carloo nach hochhaltenden Freunden vereinigte, um 
unit ihnen zuſqunen die Begrqͤbnißfeierlichkeiten zu begehen. 

Nicht lange darquf hieß es, daß dia Königin ſchwanger wäre, 
Die Rauon gah ſich daher der frohen Haffnung hin, daB fie in her 
Gebun eimed, neuen: Thronerban für dan Parluf des rechtmaͤßigen 
Vainzen einen Erſah finden werde. Allein dieſe Haftung, follte vera 
el merken. Pia Aerzte wänlid begingen ben Fabler, daß fie im 
der erden Zau der Gchwangerſchaft den Zuſtand der Königin yerkann⸗ 
ten und ihr in Folge deſſen nachtheilige Arzueien gaben, 68 ift ficher, 
Vai Robelta in: nie ſpaniſchen Doktocen und ig ihre Arzneien geringes 
Zasaamen Iepinn Auch durfte hierfüg guter Grund vorhanden geweien 
fein, Den. ihra ſtanfen Mittel gleichen in hohem Grade der Sangrado⸗ 
ſchule der Prauia und ſind ebenſo ſehr gegen dad Leben des Patienten, 
nie gegen Tine Kranckheit, gerichtet. Um dis Mitte September fellte 
ſich sin Jieben ein, welchta zwar nicht heftig, aber doch ſo barinärfig 
wort, dam 1 ale Bemühungen her Aczzte zu Schandan machte. Bald, 
flat beunruhigendere Sumptome. Die Königin wurbe oft ohnmaͤchtig. 
Ihre Hände und Füße warten Beif, Die Mütel ſchlugen nicht, an, 
weit ir der Magen zurijdwies. Ueherall geſchahen Prozeſſionen nach 
den Mirchen. vnd Jung und Alt hetete vereint für ihre Geneſung. Uber 
Veſe Geheale qurden nicht erhoͤrt. Do, die Kräfte Iſahellcus in forte 
wähzenher rafcher Ahuahme begritßen waren, gab man mit dem letzten 


296 Bierschntes Kapitel. 


September alle Hoffnung auf. Die Herzte erflärten,, daß die Wiſſen⸗ 
fchaft Alles gethan habe, und daß die Königin ihre Höffnung nur 
noch allein auf den Himmel richten-mäffe. — Auf den Himmel aber: 
hatte fie ftet ihr Vertrauen gefebt. Auch waren ihr der Glanz und 
bie Herrlichfeiten dieſer Welt nicht fo fehr an’d Herz gewachſen, deß 
fie jetzt nicht gern von ihnen geſchieden waͤre. 

Wie ihre Damen, darunter viele Landömänninnen von ihr, nun 
weinend um ihr Bett herumftanben, fuchte fie diefelben in ihrem Kum- 
mer zu tröften und gab freundlich das Intereffe zu erkennen, welches 
fie an dem fünftigen Wohlergehen derfelben nahm. Zugleich bedauerte 
fie, daß fle nicht eine beffere Herrin für fie hätte fein fönnen , „gleich 
als 06” (Sagt ein Zeitgenoffe, welcher und einen umſtaͤndlichen Bericht 
von ihren legten Augenbfiden binterlaffen bat), — . gleich als ob fie 
nicht immer ihnen allen mehr eine Mutter ale eine Herrin geweſen wäre! * 

Da Iſabella am Abend des zweiten Öftoberd ihr Ende berans 
nahen fühlte, machte fie ihr Teftament. Alsdann beichtete fie, em» 
pfing das Saframent und erhielt auf ihren Wunſch die letzte Delung. 
Der anmwefende Kardinal Espinofa und des Königs Beichtoater, der 
Biſchof von Luença, waren, als fie ihr geiftlihen Rath und Troft 
fpendeten , von ihrem Verhalten fehr erbaut und gingen, nachdem fie 
ihr ihren legten Eegen gegeben hatten, hinweg , tief gerührt durch bie 
von ihr gezeigte chriſtliche Ergebung. 

Den folgenden Morgen vor Tagedanbruch fah fie Philipp zum 
lebten Male. Der Borgang wird uns von Fourquevaulr befchrieben. 
Der Gefandte erzählt: „Die Königin ſprach mit ihrem Gemahl mit 
großer Offenheit und wie eine Ehriftin. Sie nahm von ihm auf immer 
Abſchied, und nie zeigte eine Fürftin mehr Güte und Froͤmmigkeit. 
Sie empfahl ihm ihre beiden Töchter und ihre vorzüglichflen Dienerin- 
nen. Zugleich bat fie ihn, mit dem Könige von Frankreich, ihrem 
Bruder, in Frieden und Freunpfchaft zu leben. Noch richtete fle an 
ihm andere Worte, die nicht verfehlen konnten, einem fo guten 
Gemahl, wie es der Königgegen fie war, bad Herz zu 
rühren. Derſelbe zeigte in feinen Antworten die nämliche Faffung, 
wie fie, und verfpradh, alle ihre Bitten zu erfüllen; er fügte iedoch 
hinzu, daß er ihr Ente noch nicht für fo nahe hielte. Darauf z0g er 


Der Tod Ziabellens. 297 


ſich, wie mir berichtet wurde, mit großem Kummer auf fein Zimmer 
zuruͤck.“ Philipp fandte feiner Gemahlin als Troft in ihren legten 
Augenbliden. ein Stüd von dem wirklichen Kreuze. Daflelbe war 
feine Foftbarfte Reliquie und reich mit Perlen und Diamanten befegt. 
Iſabella Füßte inbrünftig diefe heilige Reliquie und hielt ſie, fo Inge 
fie noch lebte, zufammt dem Kruzifir, in ihrer Haud. 

Kurz nach dem Beluche ihres Gemahld ließ fie den Gefandten an 
ihre Bert fommen. Gr war ber Repräfentant ihres Heimathlandes 
und der theuren Freunde und Yreundinnen , die fie nie wiederfeben 
follte._ Fourquevaulr fchreibt: „Sie erfannte mich und fagte: Sie. 
ſehen mich im Begriff, die Eitelfeiten diefer Welt zu verlaffen, um in 
ein befieres Land einzugehen, wo ich, wie ich hoffe, auf immer bei 
meinem Gott fein werde. Sagen Eie meiner Mutter, der Königin, 
und dem Könige, meinen Bruder: fie möchten meinen Tod mit Ge⸗ 
duld ertragen und fich mit dem Gedanken tröften, daß mich fein Glück 
ber Erde je in fo hohem Grade zufrieden geitellt hat, al® der jegige 
Augenblid , wo ich meinem Schöpfer nahen ſoll. Bald werde ich in 
befierer Lage fein, ihnen Dienfte zu thun und Bott anzuflehen,, daß 
er fie fammt meinen Brüdern in feinen heiligen Echuß nimmt. Bitten 
Sie diefelden in meinem Namen , daß fie über ihr Königreich machen 
mögen, damit die dort verbreiteteten Kepereien ein Ende nehmen. Und 
ich will den Himmel anflchen, damit er ihnen feine Gnade verleihe, fo 
baß fie meinen Tod mit Geduld tragen und mich für glüdiid halten. * 

Inden der Gefandte einige Troftesworte jagte,, juchte er ihr wo 
möglich noch Yebenshoffnung einzuflößen. Allein fie antwortete: „Sie 
werden bald fehen, wie nahe mein Ente ift. Gott bat mir die Onade 
verliehen, daß ich tie Welt und ihre Größe verachte und meine ganze 
Hoffnung nur auf ihn und auf Jeium Chriſtum fee. Niemals verurs 
ſachte mir eine Borflelung weniger Augft, als ter Gedanfe an meinen 
Tod.” 

Indem fie hierauf die Ermahnungen ihred Beichtvaters ans 
hörte, blich fie fortwährend im vollen Befige ihres Bewußſeins bis 
einige Minuten vor ihrem Tore. Alsdann fchien fie eine leichte Uns 
rube zu befallen; aber bieje war vorübergehent , umd fie verfchied fo 
fanft,, daß man ten Augenblid nicht beflimmen fonnte, in welchem fie 





DIR: Vieelpiat: Kavitet. 


den Gieiit: aufgab. Doch ſchlag ſie nach einmal die Helen, funtalnben, 
Augen au, und es fchien, als wollte fie min nach amige- Befehke: aa 
theiten. Wenigſteno waren ihre Dlide auf mith; gerichtet „4 

Kury von ihrem: Tode murde Iſabella vom einen Tachten entbun⸗ 
Dem Weil die Grburt derfelben verfeäht war, Ihte fie bloß hi zur. 
Nothtaufe. Das Kind wurde mit feiner Mutaen zuſammen is. den 
nmamlichen Sarg gelegt, und mod am demſelben Ahend krechte man 
wie Ueberreſte Beider im faieslicher Prozeſſton mach der hönighichen Kan 
yelle. Dem Volle aber verkuͤndeta dad Räuten der Blpden in hen, 
Kicchen und Kloͤſtern den ganzen Stadt bie traurige Funde Uehberall 
erichallien Mkagetöne und adferort& gab fh der tieffte Kummer: kund, 

„denn,“ ſagt Bramome, „die Leute button die Königin: nicht: aueis 
gerefrt, ſondern angebrtet. * 

In der Kapelle verfammchen fick: alle Vornehmen der Haupt 
Rabt: vie hohe Beiftlichfnit, Die verſchiedenen religidien Koͤrperſchaften 
die Granden une Kawaliere des Hofes. und die Chrendamen der Ras 
nigin. An dor Spitze der Letzterwähnten ſtaud Die Hergegin von Als, 
die Aufſeherin den Etikette, ſauumt der Herzogin von Feria (einer enge 
liſchen Dame, die ſich am Hofe der Moria Tudor mit dem ſpaniſchen Or 
fandten verheirathet hatte) und deu Prinzeſſin von Gboli, deren Rame 
in der Geſchichte hinlaͤnglich bebannt iſt. Der Sg der verſtorbenen 
Königin war mit einem. prächtigen Leichentuche aus Brocas bedect und 
ſtand auf einem ſchwarz behamgenen Genufte. Dafletbe umgeben zahl 
veiche filberne Arleuchter mit Wachöferzen , hie ihren düſteren Glanz 
auf die Scene audfirabtin. Während te& Gottatdienftes herrſcht« 
unter don Ainweienden die tieffte Stile. Rur manchmal unterbeuh 
dieſelbe dad Yammeın der Frauen, Das ſich in trauriger Harmonie 
unter den Geſang Der Prieſter vnd unter die dad Todtenamt begleitende 
fanfte, feierliche Muſtk miſchte. 

Am folgenden Morgen früh öffnete man den Sarg im Veijcin 
ber Herzogin von Alva und. der weinenden Damen. des Gefoiges, die 
jeht zum legten Mait ayf das im Tode nodı fehöne Ninıkig ihrer Hrran 
blüften. Die Herzogin füllte dem Sarg su Blumen und mehlriedhem 
den Kräutern. Dann wurden die Ueberdeſte her Mutter wa des Kindeh 
von den naͤmlichen trauernden Anweſenden nach tem Klaſter Ber dar⸗ 


Der Top Iſabelklen. 299: 


füßtgen Karmeliter gebradt. Hier rußten fie bis zum Jahre 1883, 
wo fle dann, fammt den Gebeinen des Don Earlos, fir das ſtattliche 
Mauſoleum des Escorials gefchafft wurden. Als dad Volk ber 
Leichenzug erblicte, rief ed den Namen der Koͤnigin ale den: einer Hei⸗ 
ligen aır. 

Zn Laufe des Winter fam von Frankreich der Kardinal Guiſe 
mit einem Kondolenzſchreiben Karl's des Neunten ar: feinen Nöniglichen 
Schwager m. Die dem Kardinal gegebenen Infteuftiowen verraihen 
kin Mißtrauen von Eeiten: de& franzöfifchen Monarchen hinfichtlich 
ver Art und Weife des Todes feiner Schweſter. Doc, if das miß« 
Kauifchere Weſen der Königin Mutter Katharina vorn Medicio auf ihren 
Irnſtruktionen an Fourquevauix erfichtlich ; denn berfelbe follte fich. nach 

dem erkundigen, was über den Tod ihrer Tochter veslautete, und es 
ihr berichten. — Eo ſcheint nicht, daß der Geſandte feinen früheren 
Berichten envas Wichtiges hinzuzufuͤgen hatte, 

Philipp ſelbſt hatte vielleicht da mögliche Vorhandenfein rin 
folden Verdachts im Sinne, als er zw dem Kardinal fagte, daß, 
„wenn er an da® unverflellte exemplariſche Leben der Königin Tächte, 
dies ihm der Befte Trof für feinen Bertuft wäre. Ihe ganzek Birfolge, 
ihre Emmen und Fräulein wüßten, wie gut er fle behankelt hätte; dao 
hate ich auch in dem bei ihrem Tode von ihm gefühlten Schmerze ges 
zeigt. Hierauf,“ fahrer dev Kardinal fort, „ftünmte er eint Bobrete üben 
ihre Tugenden an, und fagte, daß er, hätte er noch einmal zuwaͤhlen, 
blos wuͤnſchen fönnte, gerade wieder eine ſolche Gemahlin zu finden. * 
— Es dauerte wicht lange , bis Philipp Dad auch wirklich veriuchte. 
Andesthalb Jahre nach feiner Unterretung mis dem Kardinal führte ber 
dreimal zum Wittmer gewordene Gatte feine vierte un letzte Frau, Anna 

won. Deſierreich, zum Altar, die, wie wir faben, gleich ihrer Borgängerin 
feinem Eohne verlobt geweien war. Die Leichtigfeit, womit die kaiſer⸗ 
lihen Achern die junge Prinzeffin der Obhut Philipp's anvertrauten, 
kann ziemlich klar zu verrarhen fcheinen , daß wenigiten® fle mit der 
Urt, wie ver König feine legte Gemahlin behandelt hatte, nicht. unzus 
frieben waren. 

RAabella war bei ihrer Crankheit ef drei und zmanzig Jahre alt 
und hatte acht Jahre lang auf dem ſpaniſchen Ihreme geſeſſen. Sie 


300 Bierzchntes Kapitel. 


binterlich zwei Kinder, beides Töchter, nämlidy tie ſpaͤter mit dem 
Herzog von Savoyen verheirathete Katharina, und Clara Eugenia, 
welche mit ihrem Gemahl, dem Erzherzog Albert, die Regentichaft 
der Niederlande theilte und mehr al® irgend ein anderes Weſen 
fowohl die Liebe wie dad Zutrauen Philipp’3 genofien zu haben 
Icheint. 

Died ift die Geſchichte der Königin Iiabella, wenn man fie 
der romantifchen Färbung entfleiter, einer Färbung, Lie fie der Feder 
des Beichichtsichreibers ebenfo jehr , wie derjenigen des Dichters, ver⸗ 
dankt. Aus dem ganzen Berichte geht hervor , daß, wofern Carlos 
jemals eine unerlaubte Leidenſchaft für feine Stiefmutter hegte, biele 
Leidenichaft von Yiabellen niemals ermuthigt oder belohnt wurde 
Denn die Königin fcheint für ihn nur Gefühle empfunden zu haben, 
die durch die Bande der Berwmanttichaft und durch die Theilnahme an 
feinen Leiden gerechtfertigt waren. Ungeachtet jeines nicht unnatürs 
lichen Grolled darüber, taß, um mit Brantöme zu reden, „er um 
eine fo fchöne Priſe geprellt worden war,“ ift dody wenig Beweis vors 
handen , daß die Leidenfchaft des Prinzen über die Gefühle derjenigen 
Liebe und Dankbarfeit , welche die Areundlichkeit Iſabellens in einem 
zugeneigten Weſen wohl erweden Eonnte, hbinausging*). Und daß 
bei allen feinen Mängeln der Charakter des Carlos derartig war, zeigt 
fi) unter Anderm aus feiner dauernden Anhänglichkeit au feinen Onfel 
Don Johann von Oefſtreich und aus einer Ergebenheit gegen jeinen 
frühern Lehrer, den Bilchof von Osma. 


Es liegt fein Beweis vor, daß Philipp jemals mit dem Betragen 
feiner Gemahlin unzufrieden war oder jeinen Sohn ald einen Neben 
bubler anfah. Am allerwenigiten findet fid Etwas in ter Geſchichte 
der damaligen Zeit, was zu zeigen vermöchte, daß er feine Gattin 


*) Die Offenbeit, womit Carlos feine Liebe zu Iſabellen eingeftand , fann als 
Beweis der Unfchuld Beider gelten. Intem Katharina von Medicis in einem Brick 
vom 23. Februar 1568 auf die Verhaftung des Prinzen zu ſprechen fommt , Ichreibt 
fie dem Fourquevaulx: „Ich habe Angſt, daß der Vorfall meine Tochter ſowohl 
des Vaters wegen, als aub um des Prinzen willen, der ihr lets feine Neigung zu 
ertennen gegeben hat, tief betrüßt.’‘ 


Der Tod Iſabellens. 301 


feiner Eiferfucht geopfert hätte. Bon den Landsleuten der Königin, 
welche bei ihr während ihres Lebens umd theilweife in der Sterbeftunde 
freien Zutritt hatten, ift dad Gegentheil hinlaͤnglich feftgeftellt ; denn 
diefe würden in ber Korrefpondenz mit ihrer Familie, wäre etwas 
Verdächtiged vorhanden geweien, nicht unterlaffen haben , ihren Ber: 
dacht zu erfennen zu geben. 

Es fände wohl um dad Andenfen Philipp's des Zweiten, fönnte 
ihm der Geſchichtsſchreiber feine größere Sünde als feine Behandlung 
der Iſabella zur Laft legen. Doc mag man mit Recht zweifeln, ob 
fie jemals über jeinen verichloffenen , vorfichtigen Charakter eine fo 
große Herrſchaft erlangte, daß er fie in’d Vertrauen und zu Rathe 309. 
Ihr Wefen jcheint zu fanft, zu ehrgeizlod geweien zu fein, als daß fie 
fh um Angelegenheiten, zu denen fie weder von der Natur nody durd) 
die Erziehung tauglich gemacht worden war, gefümmert hätte. Indeſſen 
verfichert und Brantome, daß fie auf ihren Gemahl in deflen Bes 
jiehungen zu Frankreich einen heilfamen Einfluß ausübte, und daß 
man den Werth dieſes Einfluffes jpäter fhägen lernte, wo bie wach» 
ienden Mißverftäntnifje zwijchen den beiten Höfen, weil feine befreuns 
dere Hand ſie ſchlichtete, forteiterten ?). Derielbe fährt fort: „Ihren 
Tod fühlte ihre eigene Nation ebenfo bitter, wie die Epanier, und ıwenn 
fie die letzteren „ „die Königin des Friedens und der Guüte““ nannten, 
hieß fie bei den erfteren mit nicht weniger Stunde „„der Delzweig.““ 
— „Aber,“ ruft er aus, „fie ift nun fort in dem füßen und freund⸗ 
lichen Mai ihres Lebens, wo ihre Echönheit fo groß war, daß diefelbe 
faft Die Stürme der Zeit herauszufordern ſchien.“ 

Tie Königin nimmt in jener reihen ®emäldegallerie, worin 
Brantöme die Züge feiner Zeitgenofien zu verewigen geſucht hat, einen 


*) Doc hatte Ifabellens Mutter, Katharina von Medicis, bei der Zufaminens 
fanft zu Bayonne an der Tochter auszufegen, daß fie ganz und gar zu einer Spas 
nierin geworden wäre. Katharina fagte zu ihre fpöttifch: ‚„Muy Espanola venis.‘* 
Hierauf antwortete fanft die Königin: „Go ift möglich, daß ich es bin; uber Sie 
werden finten , daß ich noch ebenfo , wie zur Zeit, da Sie mih nah Epanien jchid: 
ten, Ihre Tochter bin.‘ Diefe Anefpote wird von Alva dem Könige in einem Briefe 
mitgetheilt. 


2 Biechnes Kapitel. 
wichtigen Blag ein. Genf bei Niemand anders hat er bie Umiik 
mit einer garteren und verfichtigeren Sand gezeichnet. Sogar der 
Giſthauch der Verleumdung bat nicht die Macht beſeſſen, bie Reinheit 
ser Ausprüde zu trüben. Unter ber ganzen ‚berühmten Anzahl, weld 
der Künfler den Augen ber Nachwelt vorgeführt hat, hat er Ri 
manbem fo wahrhaft von Herzen gehuldigt, als der Gliſabeth von 
Frankreich. 

Aber es iR Zeit, daß wir und Yon dieſen Scenen häuslichen 
Kummers abfehren, um und lebendigeren und abenteuerlicyeren Ereig 
niffen zuzuwenden. 


Ende des dritten Theiles. 


Drud von Dito Wigend in Leipzig. 


Geſchichte 
Philipp's des Zweiten. 


Bon 


William Prestott. 





Deutſch 


von 
Dr. Johannes Scherr. 


— — — 


Vierter Theil. 


Jeiprig 
Verlag von Otto Wigand. 
1859. 


Inhalt des vierten Bandes. 


Anbalt des vierten Bandes. 


Erfies Kapitel. 
Die fpanifhen Mauren. 

Die Eroberung Spaniens dur die Araber. — Die Spanier erobern es lang: 
fam zurüd. — Man verfuht, die Moslems zu befehren. — Ihre Hei 
math in den Alpujarras. — Ihre Behandlung feitens der Regierung. — 
Der Minifter Espinofa. — Das Eoift gegen die Noriecos. — > Die Ruß: 
loſen Gegenvorftellungen derſelben. 


Zweites Aapitel. 


Die Rebellion der Moriscoso. 

Der Widerand der Moriscos. — Naͤchtlicher Angriff auf Granada. — Der 
Auffand in den Alpujarras. — Die Wahi eines ‚Könige, — Die Nieder⸗ 
megelung der Chriſten.. . 

Drittes Rapitel. 
Die Rebellion der Moriscos. 

Der paniſche Schreden in Granada. — Truppenmufterung. — Mondejar zieht 
u Felde. — Die gefährliche Paflage bei Tablate. — Der Rüdyug ter 
oriscos. — Das Treffen bei Alfajarali. — Gefährlicher Marſch — 

Das Maſſacre zu Jubiles. — Die befreiten Chriſtfen. 


diertes Aapitel. 


Die Rebellion der Moriscos. 


Die Lage des Aben⸗Humeya. — Das Schickſal der mauriſchen Gefangenen. — 
Die Erſtürmung von Guajaras. — Das Entweichen des Aben⸗Humeya. 
— Die Operationen des Los Belez. — Die Kabale gegen Mondejar. — 
Die Zügellofigfeit der Soldaten. — Das Bemegel in Granada. — Die 
MWiederanfachung der Inſurrection. .. 


Fünſtes Kapitel. 
Die Rebellion der Moriscoe. 


Die erfie Lebenszeit Don Juan's von Oeſterreich. — Er wird von Philipp als 
Bruder anerfannt. — Sein Durft nach Auszeihnung. — Sein Kreu n 
im Mittellaͤndiſchen Meere. — Er wird General⸗en⸗Chef. — Die 
neuerung des Krieges. — Die Wohnfigveränderuug der Moriscos. 


Sechstes Kapitel. 


Die Rebellion der Moriscos. 


Die Operationen des Los Velez. — Die Verſchwoͤrung gegen Aben⸗Humeya. 

— Geine Srmordung. — Die Erwaͤhlung Aben⸗Aboo's. — Die Fräftige 

Betreibung des Krieges. — Die grimmigen Kämpfe in der Vega. — Der 
ſtürmiſche Muth Don Juan's — Die Ueberrafhung Guejar's 


37 


67 


v4 


‚1331 


IV Inhalt des fünften Bandes: 


Siebentes Kapitel. 
Die Rebellion der Moriscos. 


Don Juan zieht zu Felde. — Die Einfchließung von Balera. — Heftige An: 
tiffe. — Die Rüftungen für einen legten Angriff. — Die Ervloflon ber 
inen. — Die Verzweiflung der Moriscos. — Grauſames Blutbad. — 

Die Zerſtoͤrung von Galera. . en 


Anbalt des fünften Bandes. 
Achtes Kapitel. 


Die Rebellion der Moriscos. 


Die Niederlage zu Eeron. — Der Tod Duizata’s. — Die fchnellen Sieae 
Don Juan's. — Die Moriscos unterwerfen ſich. — Das Schidfal EI 
Habaqui's. — Der Trog Aben⸗Aboo's. — Die Erneuerung tes Krieges. 
— Die Bertreibung der Mauren, — Die Rüdiehr Don Juan's nach 
Madrid. — Die Ermordung Aben⸗Aboo's. — Das Geſchick der Moriscoe. 


Neuntes Kapitel. 
Der Türkentrieg. 
Die Ligue gegen die Türken. — Die Kriegsrüftungen. — Don Juan als Ge⸗ 
neral⸗en⸗Chef. — Sein Empfang in Neapel. — Seine Abreife von Meffina. 
Sehntes Kapitel. 
Der Türfenfrieg. 


Der Operationsplan. — Die Kunde vom Feinde. — Die Vorbereitungen zum 
Kamyf. — Die Schlacht bei repanio. — Die verwirrte Blut der tuͤrki⸗ 
fhen Armuta. . 


Eiftes Kapitel. 


Der Türfenfrieg. 


Die Einbußen der Fämpfenden Theile. — Die Edelmüthigfeit Don Juan's. — 

Der Enthufasmus in ter ganzen Chriftenheit. — Die Refultate der 

Schlacht. — Die Operationen in der Levante. — Die Eroberung von 
Tunis. — Die Zurüderoberung deflelben turd die Türken. 


Swölftes Kapitel. 


Die innern Angelegenheiten Spanien®. 


Die innere Berwaltung Spaniens. — Die abfolute Marht der Krone. — Die 
königlichen Mäthe. — Alba und Ruy Some. — Gepineſa. — Die ver: 
fönlihen Gewohnheiten Philipps. — Der dor und ber bel. — Die 
Cortes. — Die Garden Caſtiliens. 


Dreizehntes aapitei. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 


Die Geiſtlichkeit. — Ihre unterwüͤrſigkeit gegen b die Krone. — Der Cocorial. 
— Die Koͤnigin Anna. . 
Nachricht Über das Reben des Beriafere 


. 189 


45 


67 


. 119 


. 187 
. 18% 


Erfies Kapitel. 
Die jpanifchen Mauren. 


Die Eroberung Spaniens durch die Araber. — Die Spanier erobern es langfam 
zuruͤck. — Man verfucht, die Moslems zu befehren. — Ihre Heimath in den 
Alpujarras. — Ihre Behandlung feitend der Regierung. — Der Minifier 
Eopinoſa. — Das Epift gegen die Moriscos. — Die nuglofen Gegenvor⸗ 
ftellungen derfelben. 

1566, 1567. 


Es war im Anfange des achten Jahrhunderts, und zwar im 
Jahre 711, als die Araber, voll jened Eroberungägeiftes, der ihnen 
von ihrem Friggerifchen Apoftel eingepflanzt worden war, zuerft die 
jüdlichen Küften des Mittelländifchen Meeres überfchritten und fodann 
an den Rand der Afrifa und Europa von einander treinenden Meer: 
enge famen. Ehe fie ihre Fahnen in ein fremdes und unbelanntes 
Revier der Erde trugen, hielten fie hier einen Augenblick Hille. Doch 
nur einen Augenblid. Denn gleidy darauf fliegen fie mit verftärfter 
Kraft hernieder auf die fonnigen Auen Andaluſiens, ftießen an den 
Ufern des Guadalete auf die in Schlachtreihe aufgeftellte Gefammts 
macht der Gothen und verbreiteten ſich nach der unglüdlichen Schladht, 
worin der König Roderich zufammt der Blüthe feines Adels fiel, gleich 
einem Heufchredenichwarme über alle Theile der Halbinfel. Drei 
Jahre reichten zur Eroberung des Landes hin. Nur im Norden blieb 
ein fleiner Winfel, wo ein Ueberreft der Bothen eine wilde Unab- 
hängigfeit zu bewahren fuchte und wohin ihnen zu folgen die Sara⸗ 
zenen fich wegen ber rauhen Beichaffenheit des Bodens nicht verfucht 
fühlten. 


Brescott, Sei. Philirp's ii. IV. 1 


300 Vierzehntes Kapitel. 


hinterließ zwei Kinder, beides Töchter, nämlidy tie fpäter mit dem. 
Herzog von Savoyen verheirathete Katharina, und Clara Eugenia,. 
welche mit ihrem Gemahl, tem Erzherzog Albert, die Regentichaft 
der Niederlande theilte und mehr al& irgend ein anderes Weſen 
fowohl die Liebe. wie dad Zutrauen Philipp’S genoſſen zu haben 
fcheint. 

Died ift die. Geſchichte der Königin Iſabella, wenn man fie 
der romantifchen Färbung entfleivet, einer Färbung, die fie der Feder 
des Geſchichtsſchreibers ebenfo ſehr, wie derjenigen des Dichters, vers 
dankt. Aus dem ganzen Berichte geht hervor, daß, wofern Carlos 
jemals eine unerlaubte Leidenfchaft für feine Stiefmutter hegte, dieſe 
Zeidenfchaft von Siabellen niemald ermuthigt oter belohnt wurde. 
Denn die Königin fcheint für ihn nur.&efühle empfunden zu haben, 
die durch die Bande ber Verwandtſchaft und durch die Theilnahme an 
feinen Leiden gerechtfertigt waren. Ungeachtet feines nicht unnatürs 
lichen Grolles darüber, Laß, um mit Brantöne zu reden, „er um 
eine fo fchöne Brife geprellt worden war,“ ift doch wenig Beweis vors 
handen, daß die Leidenschaft des Prinzen über die Gefühle derjenigen 
Liebe und Dankbarfeit , welche die Freundlichkeit Sfabellens in einem 
zugeneigten Weſen wohl ermeden Eonnte, binaudging*). Und daß 
bei allen feinen Mängeln der Charafter ded Carlos derartig ıwar, zeigt 
fi} unter Anderm aus feiner dauernden Anhänglichfeit an feinen Onfel 
Don Johann von Deftreich und auß feiner Ergebenheit gegen feinen 
frühern Lehrer, den Bifchof von Osma. 


Es liegt fein Beweis vor, daß Philipp jemals mit dem Berragen 
feiner Gemahlin unzufrieden war oder jeinen Sohn ald einen Nebens 
buhler anfab. Am allerwenigften findet fidy Etwas in ter Geſchichte 
der damaligen Zeit, was zu zeigen vermödhte, daß er feine Gattin 


*) Die Offenheit, womit Carlos feine Liebe zu Sfabellen eingeftand,, fann ale 
Beweis der Unfchuld Beider gelten. Indem Ratharina von Medicie in einem Briefe 
vom 23. Februar 1568 auf die Verhaftung des Prinzen zu fprecben fommt , fchreibt 
fie dem Fourquevaulx: „Ich habe Angft, daß der Vorfall meine Tochter ſowohl 
des Vaters wegen, als auch um des Prinzen willen, der ihr ſtets feine Neigung zu 
erfennen gegeben hat, tief betrübt.“ 


Der Tod Ifabellens. 301 


feiner Eiferfucht geopfert hätte. Bon den Landoleuten der Königin, 
welche bei ihr während ihres Lebens und theilweife In der Sterbeftunde 
freien Zutritt hatten, it dad Gegentheil hinlänglich feftgeftellt ; denn 
diefe würden in ber Korrefpondenz mit ihrer Familie, wäre etwas 
Verdächtige vorhanden geweien, nicht unterlafien haben , ihren Vers 
dacht zu erfennen zu geben. 


Es ftände wohl um dad Andenken Philipp's des Zmeiten, Fönnte 
ihm der Geſchichtsſchreiber Feine größere Sünde als feine Behandlung 
der Siabella zur Laft legen. Doc mag man mit Recht zweifeln, ob 
fie jemals über feinen verfchloffenen , vorfichtigen Charakter eine fo 
große Herrichaft erlangte, daß er fie in's Vertrauen und zu Rathe 309. 
Ihr Weſen jcheint zu fanft, zu ehrgeizlos gemeien zu fein, als daß fie 
fih um Angelegenheiten, zu denen fie weder von der Natur noch durch 
die Erziehung tauglid) gemacht worden war, gefümmert hätte. Indeſſen 
verfichert und Brantome, daß fte auf ihren Gemahl in deflen Bes 
ziehungen au Sranfreih einen heilſamen Einfluß ausübte, und daß 
man den Werth dieſes Einfluffes ſpäter fhägen lernte, wo die wachs 
fenden Mißverftäntniffe zwijchen den beiden Höfen, weil feine befteuns 
dere Hand fie jchlichtete, Forteiterten*). Derielbe fährt fort: „Ihren 
Top fühlte ihre eigene Nation ebenfo bitter, wie die Spanier, und wenn 
fie die legıeren „ „die Königin des Friedens und der Güte““ nannten, 
hieß fie bei den erfteren mit nicht weniger Grunde „„der Oelzweig.““ 
— „Aber, ruft er aus, „fie iſt nun fort in dem füßen und freund» 
lihen Mai ihres Lebens, wo ihre Echönheit fo groß war, daß diefelbe 
faft die Stürme der Zeit herauszufordern fchien. “ 

Die Königin nimmt in jener reichen Gemäldegallerie, worin 
Brantöme die Züge feiner Zeitgenoſſen zu verewigen geſucht hat, einen 


—n — — — —·— 


*) Doch hatte Iſabellens Mutter, Katharina von Medicis, bei der Zuſammen⸗ 
funft zu Bayonne an der Tochter auszufegen, Daß fie ganz und gar zu einer Spas 
nierin geworten wäre. Katharina fagte zu ihre fuöttifch: „„Muy Espanola venis.‘* 
Hierauf antwortete fanft die Königin: „GEs ift möglich, daß ich es bin; aber Sie 
werden finten,, daß ich noch ebenfo , wie zur Zeit, da Sie mich nad Spanien ſchick⸗ 
ten, Ihre Tochter bin.“ Diefe Anekdote wird von Alva dem Könige in einem Briefe 
mitgetheilt. 


‚202 . Bierzehntes Kapitel. 


wichtigen Blag ein. Sonſt bei Niemand anders hat er bie Umriſſe 
‚mit einer Yarteren und vorfichtigeren Hand gezeichnet. Sogar ber 
Giſthauch der Verleumdung bat nicht die Macht befefien, bie Reinheit 
ser Ausbrüde zu trüben. Unter der ganzen ‚berühmten Anzahl, welde 
der Künftler den Augen der Nachwelt vorgeführt hat, hat er Nie⸗ 
manbem fo wahrhaft von Herzen gehuldigt, als ber Glifabeth von 
Frankreich. 

Aber es iſt Zeit, daß wir uns von dieſen Scenen häuslichen 
Kummers abkehren, um und lebendigeren und abenteuerlicheren Ereig⸗ 
nifien zuzuwenden. 


Ende des dritten Theiles. 


Drad von Dito Wigand in Leipzig. 


Geſchichte 
Philipp's des Zweiten. 


Von 


William Brescott, 


— — — — 


Deutſch 


von 
Dr. Johannes Scherr. 


— — — 


Vierter Theil. 


Jeiprig 
Verlag von Otto Wigand. 
1859. 





Inhalt des vierten Bandes. 


Anbalt des vierten Bandes. 


Erſtes Kapitel. 
Die fpanifhen Mauren. 

Die Eroberung Spaniens dur die Araber. — Die Spanier erobern «6 lang: 
fam zunid. — Man verfuht, die Moslems zu befehren. — Ihre Hei⸗ 
math in den Alpufarras. — Ihre Behandlung feitens der Regierung. — 
Der Minifter Gspinoſa. — Das Epift gegen bie Moriscos. — > Die nut⸗ 
loſen Gegenvorſtellungen berfelben. . . 


weites Aapitel. 


Die Rebellion der Moriscos. 


Der Widerfland der Moriscos. — Naͤchtlicher Angriff auf Granada. — Der 
Aufftand in den Alpujarras. — Die Bat eines ‚Könige, — Die Rieder⸗ 
metzelung der Chriſten.. 

Drittes Kapitel, 
Die Rebellion der Moriscos. 

Der paniſche Schreden in Granada. — Truppenmuflerung. — Mondejar zieht 
in Beier. — Die gefährliche Baflage bei Tablate. — Der Rüdyug ter 

oriseos. — Das Treffen bei Alfajarali. — Gefährlicher Marſch. — 
Das Maffarre zu Jubiles. — Die befreiten Chriſften. 


Diertes Kapitel. 


Die Rebellion der Moriscos. 


Die Lage des Aben⸗Humeya. — Das Schicial der maurifchen Befangenen. — 
Die Erflürmung von Guajaras. — Das Entweihen des Aben⸗Humeya. 
— Die Operationen des Los Velez. — Die Kabale gegen Mondejar. — 
Die Zügeliofigfeit der Soldaten. — Das Bemegel in Branada. — Die 
Wiederanfachung der Inſurrection. 


Fünſtes Kapitel. 
Die Rebellion der Moriscos. 


Die erfte Lebenszeit Don Juan's von Defterreih. — Er wirb von Philipp ale 
Bruder anerfannt. — Sein Durft nach Auszeichnung. — Sein Kreuzen 
im Mittelländifchen Meere. — Er wird General⸗en⸗Chef. — Die Cr⸗ 
neuerung des Krieges. — Die Wohnfipveränderung der Moriscos. 


Sechstes Kapitel. 


Die Rebellion der Moriscos. 


Die Operationen des Los Velez. — Die Verſchwoͤrung gegen Aben⸗Humeya. 
— Seine Ermordung. — Die Erwaͤhlung Aben⸗Aboo's. — Die kraͤftige 
Betreibung des Krieges. — Die grimmigen Kämpfe in der Bega. — Der 
flürmifche Muth Don Juan's — Die Veberrafchung Guejar's 


237 


67 


94 


‚138 


IV Inhalt des fünften Bandes. 


Sicbentes Kapitel. 
Die Rebellion der Moriscos. 


Don Juan zieht zu Felde. — Die Ginſchließsung von Galera. — Heftige An- 
riffe. — Tie Rüfungen für einen legten Angrif. — Die Ervlohon ber 
inen. — Die Berzweiflung ter Moriscos. — Grauiames Blutbad. — 

Die Zerſtoͤrung von Balera. . 


Anbalt des fünften Bandes. 
Achtes Kapitel. 
Die Rebellionder Moriscos. 
Die Ricberiage zu Eeron. — Der Tor Duirata’s. — Die fchnellen Siege 
Don Juan's. — Die Moriscos unterwerfen ib. — Das Schickſal EI 
Habaqui's. — Der Trop Aben-Aboo’6. — Die Erneuerung tes Krieges. 
— Die Bertreibung ter Mauren. — Die Rüdiehr Don Juan's nah 
Madrid. — Die Ermortung Aben⸗Aboo's. — Das Beichid der Moriscos. 
Neuntes Kapitel. 
Der Türfenfrieg. 
Die Ligue gegen bie Türken. — Die Kriegerüftungen. — Don Juan als Ge⸗ 
neralsen:&hef. — Sein Empfang in Neapel. — Seine Abreiſe von Meſſina. 
Zehntes Kapitel, 
Der Türfenfrieg. 


Der Oprrationsplan. — Die Kunte vom Feinde. — Die Vorbereitungen zum 
Kampf. — Die Sqhlacht bei repanio. — Die verwirrte wludt der tuͤrki⸗ 
ſchen Armata. . . 


eiſte⸗ aapitel. 


Der Türkenkrieg. 


Die Ginbußen ter kaͤmpfenden Theile. — Die Edelmüthigkeit Don Juan’s. — 
Der Enthuflasmus in ter ganzen Chriſtenheit. — Die Refultate der 
Schlacht. — Die Dperationen in der Levante. — Die Groberung von 
Tunis. — Die Zurüderoberung tefielben turdy die Türfen. . 


Zwölftes Kapitel. 
Die innern Angelegenheiten Spaniens. 


Die innere Berwaltung Spaniens. — Die ablolute Macht ter Krone. — Die 
fönıglichen Raͤthe. Alba und Ruy Some. — Gepineſa. — Die vers 
fönlihen Gewohnheiten Bhilippe. — Der of und der Adel. — Die 
Cortes. — Die Garden Caſtiliens. 


Dreizehntes Kapitel. 
Dieinnern Angelegenheiten Spaniens. 


. 189 


45 


67 


. 119 


Die Beiftlichkeit. — Ihre Unterwürfigteit gegen d die Krone. — Der Gecorial. , 
1 


— Die Königin Anna. . . 
Nachricht über Tas Leben des Beriafers 


— — u——n 


. 184 


Erfies Kapitel. 
Die Ipanifchen Mauren. 


Die Eroberung Spaniens durch die Araber. — Die Spanier erobern es langfam 
zurüd. — Man verſucht, die Moslems zu befehren. — Ihre Heimath in den 
Alpujarras. — Ihre Behandlung feitens der Regierung. — Der Minifer 
Böpinofa. — Das Edift gegen die Moriscos. — Die nuglofen Begenvor; 
ftellungen derfelben. 

1566, 1567. 


Es war im Anfange ded achten Jahrhunderts, und zwar im 
Jahre 711, als die Araber, voll jened Eroberungsgeiftes, der ihnen 
von ihrem Friegerifchen Apoftel eingepflanzt worden war, zuerft die 
ſuͤdlichen Küften des Mittelländifchen Meeres überfchritten und fodann 
an den Rand der Afrifa und Europa von einander trennenden Meer: 
enge famen. Ehe fie ihre Bahnen in ein freindes und unbefanntes 
Revier der Erde trugen, bielten fie bier einen Augenblick ſtille. Doch 
nur einen Augenblid. Denn gleidy darauf fliegen fie mit verftärkter 
Kraft hernieder auf die fonnigen Auen Andalufiens, fließen an den 
Ufern des Guabalete auf die in Schlachtreihe aufgeftellte Geſammt⸗ 
macht der Gothen und verbreiteten fich nach der unglüdlichen Schlacht, 
worin der König Roderich zufammt der Blüthe feines Adels fiel, gleich 
einem Heufchredenfchwarme über alle Theile der Halbinfel. Drei 
Jahre reichten zur Eroberung des Landes hin. Nur im Norden blieb 
ein Feiner Winfel, wo ein Ueberreft ber Gothen eine wilde Unabs 
hängigfeit zu bewahren fuchte und wohin ihnen zu folgen die Sara⸗ 
zenen ſich wegen der rauhen Beichaffenheit des Bodens nicht verfucht 
fühlten. | 


Brescott, Geſch. Philirp's li. IV. 1 


2 Erſtes Kapitel. 


Dieß war ungefähr verfelbe Vorgang, wie jener, der ſich unter 
den normannifchen Eroberern über drei Jahrhunderte Ipäter in Eng⸗ 
fand wiererholte. Was die Schlacht von Haftings für das letztere 
Königreich war, war die Schlacht am Guadalete für Spanien. Frei⸗ 
lich bictirten die normännifchen Barone, ald fie über dad nieberges 
worfene Land dahin ritten, ben Beſiegten ſtrengere Geſetze, als die 
Sarazenen. 

Wie fehr fich auch die beiden Eroberungen in ihren allgemeinen 
Umriffen gleichen mögen, fo gleichen fie fich doch nicht in den aus 
ihnen hervorgehenben Refultaten. Da in England der Rormanne und 
der Sachfe einen gemeinfamen Urfprung hatten, fo fonnten biefelben 
nicht auf die Dauer durch die anfangs den Eroberer vom Unterwor⸗ 
fenen trennende Schranfe von einander gehalten werben; weßhalb die 
beiden Nationen, binnen wahrfcheinlih weniger als drei Jahrhun⸗ 
derten, unmerflich in eine einzige verſchmolzen, fo daß der damalige 
Engländer den in feinen Adern freifenden Strom fowohl auf norınäns 
nifches, wie auf fächlifched Blut zurücführen fonnte, 

Ganz anders ftand ed in Spanien. Dort war ber von ber 
Ragenverfchiedenheit, der Religion, der nationalen Ueberlieferung und 
der moralilchen fowie phyñſchen Organifation zwifchen den Siegern 
und DBefiegten geichaffene Abgrund zum Veberfpringen zu weit, Aller 
dinge zogen viele Eingeborene, indem fie fich den von den Sarazenen 
geftellten leichten Bedingungen unterzogen, e8 vor, lieber in dem froͤh⸗ 
lidyen Klima des Südens zu bleiben, als mit ihren Brüdern die raube 
Unabhängigkeit in den Afturiad zu theilen. Auch fanden im Laufe 
ber Zeit zwifchen ihnen und ihren moslemitiichen Eroberern bis zu 
einem gewiflen Grade Zwifchenheirathen Statt. Doch läßt ſich das 
nicht genau angeben. Gewiß war der Verkehr zwifchen beiden bei 
weitem größer, ald zwiſchen unfern neusenglifchen Vorfahren und ber 
im Beflg des Landes gefundenen Inbianerrage, jenem unglüdieligen 
Menſchenſchlage, der von der Berührung ber Civiliſation zufammen- 
geſchrumpft und abgeftorben zu jein fcheint, wie bie Blätter des Wal⸗ 
bed vor dem Haud) bed Winters. Indeß war bie Bereinigung wahre 
ſcheinlich nicht fo innig, wie zwilchen den alten Spaniem und ben 
das Plateau Mexico's innehabenden halbeivilifirtien Stämmen, beren 


Die fpanifhen Nauren. 3 


Nachkommen man noch heutzutage dort die höchften focialen und polis 
tifchen Poſten ausfüllen fehen kann, währent fie beſonders darauf po⸗ 
chen, daß fie von den Landsleuten Montezuma’s herfiammen. 

Gerade die große Mühe, bie fi) der moderne Spanier gibt, um 
zu bemweifen, daß nur „blaues Blut“ (sangre azul), unbefledt von 
maurifcher oder jüpifcher Beimifchung, in feinen Adern fließt, kann 
gewiffermaßen als ein Beweiſgrund von der Vertraulichkeit gelten, 
bie einft zwifchen feinen Vorfahren und den morgenländifchen Stäm- 
men herrſchte. Jedenfalls aber it es ficher, daß feine noch fo lange 
Zeit im Stande war, dem moßlemitifchen Eindringlinge in den Augen 
des Spanierd einen begründeten Anfpruch auf den Boden zu geben; 
daher denn nad) einem Verlauf von beinahe achthundert Jahren — 
einer eben fo langen Zeit, ald feit der normännifchen Eroberung ver- 
flofien it — die Araber immer noch als unrechtinäßige Befiger betrach⸗ 
tet wurden, bie auszurotten oder aud dem Lande zu jagen für bie 
Spanier eine heilige Pflicht war. 

Das war alfo die Miffion der Spanier und es ift intereffant zu 
fehen, wie treu fie felbige vollzogen. Denn während der geraumen 
Zeit des Mittelalterd, wo andere Nationen in gemeinen feudalen 
Fehden und Gränzftreitigkeiten begriffen waren, ift es intereflant zu 
beobachten, wie der Spanier nur auf das Eine große Ziel, die Wieder⸗ 
eroberung feines Landes aus den Händen der Unglänbigen, bebadht ift. 
Es war das ein Werf der Zeit, deſſen Fortfchritt im Anfange un⸗ 
merklich war und nach Jahrhunderten gemeffen werben mußte. Um 
das Ende des neunten Jahrhunderts war es bis an den Ebro und 
Duero gediehen. Um die Mitte des elften war das fiegreiche Banner 
des Eid bis an den Tafo vorgedrungen. Die Geſchicke des chriftfichen 
Spaniens flanden auf dem Spiele am großen Tage von Ravas be 
Tolofa, der den caftilifchen Waffen ein dauerndes Uebergewicht gab. 
In der Mitte des breizehnten Jahrhunderts aber befchränften die Feld⸗ 
zuͤge Jakobs I. von Aragonien und Ferdinands von Gaftilien, indem 
diefe die übrigen üblichen Provinzen wegnahmen, die Moslems auf 
dad winzige Königreich Granada. Gleihwohl behaupteten fie auf 
diefem engen Plate noch immer ‘ihre nationale Unabhängigkeit und 


troßten über zweihundert Jahre lang allen Eroberungsverfuchen ber 
1* 


A Erſtes Kapitel. . 


Chriften. Der endliche Triumph der legtern war der glorreichen Herr⸗ 
ichaft Ferdinands und Iſabellens aufbehalten. Nach einem Kriege, 
der dem trojanifchen an Dauer gleichfam und ihn durch den roman⸗ 
tifchen Charakter feiner Begebenheiten noch übertraf, hielt das hehre - 
Baar am 2. Januar 1492 feinen feierlichen Einzug in Granada, 
während das große filberne Kreuz, welches im Kriege ihnen ale 
Banner gedient hatte, auf den rothen Thürmen der Alhambra im 
Sonnenfcein glänzte und aljo der chriftlichen Welt verfünbete, daß 
auf immer tem Mufelmanne die legte Ruthe Land auf der Halbinfel 
entfchlüpft ſei. 

Die eigenthümliche Natur dieſes Krieges, in dem der Spanier alio 
acht Jahrhunderte hindurch begriffen war, übte einen bedeutenden Ein- 
fluß auf den Rationalcharafter aus. Eine Generation nad der andern 
hatte ihr Leben mit einen langen ununterbrochenen Kreuzzuge zuges 
bracht. Derjelbe übte in gewifler Hinficht die nämliche Wirfung auf 
den Charafter der Nation aus, wie die zur Wiedererlangung Pa⸗ 
läftinad unternommenen Kriege auf die Kreuzfahrer ded Mittelalters. 
Ein jeder Menſch gewöhnte fich daran, ſich ſpeziell für einen Kämpfer 
des Himmels anzuſehen, indem er ohne Ende die große Schlacht des 
Glaubens ſchlug. Weil feine Einbildung durch diefe freubige Ueber; 
jeugung eraltirt war, darf ed nicht Wunder nehmen, wenn er ſtets 
geneigt war, zu entbeden, wie der Himmel unmittelbar um feinet- 
willen in den natürlichen Gang der Dinge eingriff, und wenn er zu 
wiederholten Malen den Schugpatron feines Landes auf dem milch⸗ 
weißen Streitroffe an der Spige feiner himmliſchen Ritterfchaft einen 
Angriff machen und das ſchwankende Glück des Gefechtd wieder 
zurüderobern fah. Bei diefem aufgeregten Gemüthözuftande nahınen 
bier Inftitutionen, die anderwärts bloß einen politifchen oder milis 
tärifchen Anblid barboten, dad Gewand der Religion an. Daber 
wurden die Ritterorden, deren es mehrere auf der Halbinfel gab, auf 
bie nämlichen Principien gegründet, wie diejenigen in Paläftina, 
wo bie Mitglieder ewigen Krieg gegen die Ungläubigen zu ges 
loben hatten. 

Diefe Kriege mit den Moslems hatten zur Folge, daß ſich das 
patriotifche Princip mit dem refigiöfen ibentificirte. In den Beinden 


Die ſpaniſchen Mauren. 5 


jeined Landes erblidie der Spanier zugleich die Feinde Gottes, und 
das Gefühl nationaler Keindfchaft ward noch mehr verbittert Durch 
dasjenige religiöfen Hafled. In den fiegreichen Tagen des arabifchen 
Reiches wurde diefed Gefühl allerdings gemildert durch die Hochs 
achtung gegen einen Feind, der in ben verfchiedenen Zeigen der 
Civilifation nicht nur die Spanier, fondern jede Nation der Ehriften; 
heit übertraf. Auch ſchwand dieſer Refpect nicht völlig unter den 
Fürften, die fpäter als unbefchränfte Herren über Granada berrfchten 
und dabei an ihren Kleinen Höfen dergeftalt die Höflichkeit der chrift- 
lichen Ritterfchaft mit morgenländifcher Pracht verbanden, taß ber 
davon audftrahlende Ruhm die lepten Tage der untergehenden muſel⸗ 
männifchen Herrichaft auf der Halbinfel verflärte. 

Sowie jedoch die ihres alten Reichthums und ihrer alten Macht 
beraubten Araber an Bedeutung fanfen, wurden die Spanier ans 
maßender. Zu dem Abfcheu, womit fie biöher ihre Feinde betrachtet 
hatten, gefellte fich jegt ein Gefühl der Verachtung. In einem Lande, 
wo, wie in Spanien, religiöfe Gründe in hohem Grade die Motive 
des Handelns beftimmten, fehürte bie einen unbegrängten Einfluß 
befigende Geiftlichfeit das verſteckte Feuer ber Intoleranz zu hellen 
Flammen. Damit dem Banzen die Krone aufgefegt würde, mußte 
das Datum des Falles von Granada mit dem Datum der Einfüh- 
rung der Inquifition zufammenfallen, gleich als ob das jcheußliche 
Ungeheuer die Zeit abgepaßt hätte, wo es für feinen ımerfättlichen 
Rachen eine unerfchöpflicye Lieferung von Schlachtopfern erhalten 
fönnte. 

Laut den Beſtimmungen des Capitulationsvertrages follte es 
dem Volke von Granada erlaubt fein, bei feiner Religion zu verharren 
und deren gottesbienftliche Gebräuche zu üben; ja ed war darin 
ausdrüdlich gelagt, daß feine Verfprechungen oder Drohungen, um 
daffelbe zum Ehriftenthume zu befehren, angewandt werden follten. *) 


*”) „Que ningun Moro ni Mora serän apremiados & ser Christianos contra 
su voluntad ; y que si alguna doncella, 6 casada, 6 vinda, por razon de algu- 
nos amores se quisiere tornar Christiana, tampoco ser& recebida, hasta ser 
interrogada.* Siehe ben in extenso von Narmol mitgetheilten urfprünglichen 
Bertrag, Rebelion de los Moriscos, Madrid 1797, erſter Band, Seite 83 — 98. 








6 Erſtes Kapitel. 


Einige wenige Jahre hindurch refpeftirten Die Eroberer dieſe Be⸗ 
ftimmungen. Unter dem guten Talavera, dem erften Erzbiſchof von 
Granada, verfuchte man nicht, die Moslemd anders zu befehren, al 
mit erlaubten Mitteln, indem man den Leuten prebigte und ihnen bie 
Wahrheiten der Offenbarung auseinanderfegte. Bei einem ſolchen 
belehrenden Berfahren ging das Bekehrungswerk zwar unausgeieht, 
aber doch für die Ungeduld mancher Geiftlichen viel zu langſam vor 
fih. Unter Andern hatte jener außergewöhnlidye Mann, ver befannte 
Cardinal Zimened, welcher Erzbifhof von Toledo war, große Luft, 
bei der Befehrungsarbeit felbft Hand anzulegen. Nachdem er hierzu 
die Erlaubniß des Königs erhalten hatte, ging er mit einem charaf: 
teriftifchen Eifer ind Gefchirr und hegte fo wenig Bedenken hinfichtlich 
ber anzumwendenden Mittel, daß er dem wüthendften Propagandiften 
Nichts zu wünfchen übrig ließ. Wo BVernunftgründe und friedliche 
Auseinanderfegung ihren Zwed verfehlten, zögerte er nicht, Beſtechun⸗ 
gen und nöthigenfalld Gewalt anzuwenden. Unter dieſen combinirten 
Einflüflen ging die Projelytenmacherei [hell von Stattn. Da tägs 
lid) Taufende zu der chriftlichen Heerde hinzugefügt wurden, zitterten 
die firenggläubigeren Mufelmänner bei der Vorausficht eined allge: 
meinen Abfalld ihrer Landsleute. Dadurch, daß die unffrupulöfen 
Mapregeln ded Prälaten, die zugleich eine ftarke Verlegung des Ver⸗ 
traged enthielten, fie zımn Aeußerften trieben, brady unter ihnen ein 
Aufftand aus, der fich binnen Kurzem über die ganze Gebirgsreihe In 
ver Nachbarſchaft von Granada erfiredte. 

Ferdinand und Iſabella waren, weil fie vor den Conſequenzen 
erichrafen, über das ſchonungsloſe Verfahren des Fimenes empört. 
Allein dieſer gab zur Antwort, daß die Dinge gerade fo ftänden, wie 
man ed nur wünfchen fönnte. Denn dadurch, daß die Mauren eine 
rebellifche Haltung angenommen hätten, bätten fie auf alle ihnen 
burdy den Vertrag zugeficherten Bortheile verzichtet, und obendrein 
ten Tod und die Confiscation ihrer Güter verwirft.*) Da dieſes 


— — — — — 


*) „Y que pues habian sido rebeldes, y por ello merecian pena de muerte 
y perdimento de bienes, el perdon que les concediese fuese condicional, con 
que se tornasen C'hristianos, 6 dexasen la tierra.* — Ebend., ©. 122. 


Die ſpaniſchen Mauren. 7 


cafuiftifche Meiſterſtuͤck, welches in ber Kirchengeſchichte faſt unuͤber⸗ 
troffen daſteht, dem Koͤnig und der Koͤnigin zuſagte, ſo beeilten ſie ſich, 
nachdem der Aufſtand gedaͤmpft war, die von ihrem Miniſter ange⸗ 
rathenen. Bedingungen den Mauren als die einzigen Bedingungen ber 
Berföhnung auszuhalten. Inden nun bloß wenige von jenen uns 
glädlichen Menfchen darauf gefaßt waren, um ihres Glaubens willen 
auf ihr Land und ihre zeitlichen Hoffnungen zu verzichten, fo war hier⸗ 
von die Folge, daß binnen einem ſehr kurzen Zeitraume, mit verhält 
rigmäßig wenigen Ausnahmen, alle Moslems des caſtiliſchen Reiches 
brein willigten, ihren Glauben abzufchwören und den ihrer Feinde ans 
zunehmen. *) 

Aehnliche Refultate wurden erzielt durch eine ähnliche Verfah⸗ 
rungsweiſe in Valencia und in andern Sebieten der Krone Aragoniens 
im Anfange der Regierung Karls des Künften; noch hatte dieſer junge 
Monarch nicht volle zehn Jahre auf dem Throne gefeflen, als die ganze 
maurifche Bevölkerung — bie Moriscos (Maurifchen), wie man fie 
von nun an nannte — dem Chriſtenthume, oder beſſer der Inquiſttion, 
zugethan war. **) 

Es läßt fich leicht venfen, wie wenig dergleichen Befehrungen im 
Herzen Wurzel faffen und Frucht tragen konnten. Schon bald ent 
beiften die Diener des Heiligen Amtes einen edenſo weit verbreite, 
ten und eingewurzelten Unglauben, wie vor der Eroberung. Wenn 
man billig fein will, muß man die Schuld davon theilweiſe der Lau⸗ 
heit der chriftlichen Bekehrungsarbeiter zufchreiden. Um die Bekeh⸗ 
rung zu fördern, hatte die Regierung in den vorzüglichften Städten 
und den von den Moridcos bewohnten Dörfern Kitchen errichten 
laſſen und, um die Leute von ihren Irrthümern zu heilen und ihnen 
die großen Wahrheiten der Offenbarung zu erfchliegen, Miſſionaͤre 
unter ſie geſchickt. Indeß hätte allein ein Akt göttlidher Gnade in 
einem Augenblide die Weberzeugung einer ganzen Nation Anbern 


*) Diejenigen Leſer, welche diefen Begenftand genauer zu kennen wünfchen, 
fönnen ihn weitläufig behandelt finden in der Geſchichte Ferdinands und Iſabellens, 
Theil IE, Kapitel 6 und 7. 

**) Advertimientos de Don Geronimo Corella sobre la Conversion de los 
Moriscos del Reyno de Valencia. Manuffr. 


8 Erfies Kapitel. 


fönneu. Die Schwierigkeiten ber Prediger vermehrten ſich noch das 
durch, daß diefelben nur unvollfommen mit der Sprache ihrer Zuhörer 
befannt waren; ferner hatten fie die Eiferfucht und ben Abicheu, wor 
mit gewöhnlich die Spanier von den Mufelmannern betrachtet wur⸗ 
den, zu überwinden. ‘Durch diefe Hindernifie ward der Miffionär fo 
entmutbigt, daß es ihn gleidhgültig wurde, ob er etwas zu Stande 
brächte, oder nicht. Anflatt fidh an ven Verſtand oder an das Gemüth 
feines Zuhörers zu richten, nahm er bamit vorlieb, daß dieſer feine 
Belehrung dur das Mitmachen äußerlicher Geremonien bewied. So⸗ 
gar bei der Verrichtung ber heiligen Gebräuche legte ber Geiftliche eine 
forglofe Fahrläffigfeit an den Tag, welche zeigte, wie wenig fein Herz 
bei ver Sache war. So fprengte er das reinigende Waſſer der Taufe 
fo nadhläfftg über die Menge, daß es gar nichts Uingewöhnlidyed war, 
wenn ein Morisco verficherte, daß Feiner ber geweihten Tropfen auf 
ihn gefallen fei.*) 

Endlich erregten bie Borftellungen der @eiftlichen die Aufmerfs 
famfeit der Regierung. Es ward entichieben, daß die befte Bekehrungs⸗ 
weife der Moslems die fei, daß man alle fie mit der Vergangenheit 
verbindenden Bande zerjchnitte, inden man mit einem Worte fie 
zwänge, ihren altherfömmlichen Gebräuchen,, ihrer nationalen Tracht 
und fogar ihrer Sprache zu entiagen. Demgemäß ward im Sommer 
1526 ein für Granada beftimmtes außerorbentliches Edict dieſes In⸗ 
halts von Karl veröffentlicht, und die Beftimmung getroffen, daß Alle, 
die ſich Dagegen verftießen, vor die Schranken der Inquifition gezogen 
werben follten. Wie zu erwarten war, rief Died Geſetz augenblicklich 
Gegenvorftellungen von den angefehenften Moriscos hervor. Um 
ihren Petitionen Nachdruck zu geben, verfprachen fie dem Kaifer für 
den Ball, daß er ihr Bittgefucdy erhören würde, bie runde Summe von 
adhtzigtaufend Goldducaten. Karl, ber in ber erften Zeit feiner Res 
gierung nicht immer bie religiöfen Ruͤckſichten über bie einer welts 
lichen Politik ftellte, lieh den Bittftellern ein günftiged Ohr; daher 

*) „Sin trater de instruir 4 cada uno en particular ni de examinar los ni 
saber su voluntad los baptizaron 4 manadas y de modo que algunos de ellos, 
sogun es fama, pusieron pleito que no lee arvia tocado el agua que en comun 
les bechavan.“ — Ebendaſelbſt. 


Die ſpaniſchen Mauren. 9 


das monftröje Edict, trotz mancher Gegenbemähungen, während feiner 
Regierung nie in Wirffamfeit treten Eonnte. *) 

So ftanden die Sachen bei der Thronbefteigung Philipp's des 
Zweiten. Granada, Malaga und bie übrigen norzüglichften Städte 
im Süden waren mit einer gemifchten Bevölferung von Spaniern und 
Moriscos angefüllt. Indem die leptern, unter denen es viele reiche 
und vornehme Leute gab, in einem engeren Verkehr mit den Ehriften 
fanden, ließen fie von Zeit zu Zeit die Anzeichen der Belehrung 
zum Glauben ihrer Eroberer bliden. Allein, der bei Weitem größere 
Theil der maurifchen Bevölferung. war füdöfllih von Granada 
über die Gebirgsreihe der Alpujarrad und über die fich längs ber 
Süpfüfte Spaniens hinftredenden fteilen Sierra zerfireut. Hier lag 
inmitten ber eifigen Bergſpitzen, die fich beinahe Swölftaufend Fuß 
hoch über den Meeredfpiegel erhoben und wegen ihrer ungeheuern 
Höhe den Reifenden bes Mittelländifchen Meeres aus großer Ferne 
erfichtlich find, manches grüne abgeichloflene Thal, wo der mau⸗ 
rifche Bauer die in der Blüthenzeit feiner Ration im ganzen übrigen 
Europa unerreichte ausgebildete Kultunwifienichaft erfchöpft hatte. **) 
Seine unverbrofiene Mühe hatte aus dem felfigen Boden Ters 
raſſen geichaffen, dieſelben mit Wein bepflanzt und auf diefe Weiſe 
die fleilen Seitenwände der Sierra mit einem köſtlichen Grün bes 
Heide. Mit dem nämlichen Fleiße hatte er längs ber Thäler und 
niederen Flaͤchen ein Kanalnep zu ſchaffen geſucht, welches die Berg⸗ 
ftröme mit Waſſer verſahen und das wiederum ſeinerſeits fortwaͤh⸗ 
rend das Land traͤnkte. Die verſchiedenen Erhebungen des Bodens 


*) Marmol, Rebelion de los Moriscos, ®t. I, &. 133—185. — Bleda, 
Coronica de losMoros de Espana, Balencia, 1618, ©. 656. — Advertimientos 
de Corella, Manuffr. — Ferreras, Hist. Generale d’Espagne, Br. IX, S.65 u. 
68. — Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 55. 

Der letztgenannte Schrififteller theilt wit, daß die Moriscos, abgeſehen von 
ihrer Kreigebigfeit gegen ven Kaiſer, ſchlau genug waren, fi des guten Willens 
feiner Minifter zu verfichern, indem fe felbigen gleichfalls eine freigebige Spende an 
Dublonen zufommen ließen. — „Sirvieron al Emperador con ochenta mil ducs- 
dos. Aprovechdles esto, y buena sums de doblones que dieron a los privados 
para que Carlos suspendiesse la exscucion deste acuerdo.“ 

*) Galderon hat im „Amar despues de la Muerte“ über die grünen fonnigen 





10 " Gries Rays. 


fiellten ebenſo viele verſchiedene Vrritengrade für vie lantnwirtbichaitli- 
den Erzeugnifle var. Daher wuchien tie Beige, die Bemeranze unt 
vie Orange faft neben dem Hanie des Nordens und dem Gerreite ges 
mäßigter Simmelöfirie. Die niederen Abhänge der Sierra bildeten 
ausgröchnte Weideſtrecken für Heerden Derinofafe*), fowie ber 
Maulbeerbaum in großer Anzahl gepflegt wurde für Me Fabrikation 
von Seide, die im Königreich Granada einen beträchtlichen Ausfuhr- 
artikel bildete. 

Auf dieſe Weile behauptete das in feinen kleinen Gehöften zu⸗ 
fammengedrängte Bolf der Alpujarras die nämliche Art rauher Uns 
abhängigfeit wie der alte Gothe, als er vor dem farazeniichen Ein- 
dringlinge eine Zuflucht in den unzugänglichen Plägen der Aſturias 
gefucht hatte. Da hier die Moriscos Gemeinweſen bildeten, die ihre 
nationalen Vereinigungen aufredyt erhielten, io ſchwelgten fie hier 
noch in den Traditionen ihrer Bäter und brachten die bad Anvenfen 
an die alten Zeiten lebendig erhaltenen Gebräuche und häuslichen 
Einrichtungen auf die Nachwelt. Gerade aus den Alpujarras hatten 
in frühern Zeiten die Könige von Granada die tapfern Krieger bes 





©tellen, die Inmitten der rauhen Wildniſſe der Alpujarras wie Smaragten glänzen, 
die Pracht feiner Nuſe ausgegoſſen: 

„Porque entre puntas y puntas 

Hay valles que la herinosean, 

Campos que la fertilizan, 

Jardines que la deleitan. 

Tode ella estä poblada 

De villages y de aldeas ; 

Tel, que, cuando el sol se pone 

A las visiumbres que deja, 

Parecen riscos nacidos 

Ooncavos entre las penas, 

Que rodaron de la cumbre 

Aungue & la falda no Ilegän.* 

°) Indem Senor de Gayangos einen auf tiefen Gegenſtand bezuͤglichen Irr⸗ 

thum Caſitrus berichtigt, theilt er uns mit, taß der arabiſche Name für Alpujarras 
lautete : Al-busherät, was fo viel als „weibereiche Berge” beteutet. — Siche die von 
orientalifcher Belchriamfeit ſtro zende „Weichichte der mohamebanifhen Dynaflien 
in Spanien“, London, 1848, ®b. II, ©. 518. 


Die fpanifgen Mauren. | 11 


zogen, die fie in den Stand fepten, ihren Feinden fo lange Trog zu 
bieten. Mit dem Kriegshandwerk war es allerdings jetzt am Ende. 
Doc ftählte den Körperbau des Bergbewohners feine abgehärtete Les 
bensweiſe, fo daß er vor der Verweichlichung und Traͤgheit, die bie 
Einwohner der Hauptitadt verderbten, gefchügt blieb. Von der übrigen 
Welt durch feine Berge getrennt, nährte er einen Sinn für Unabhän- 
gigfeit, der für die Zuftände einer eroberten Rage übel papte, und wenn 
er auch fein Rand befaß, das er jein eigen nennen Eonnte, fo befaß er 
nichtöbeftomeniger eine dem Patriotismus gleichlommende Anhänglich- 
feit an den Grund und Boden, bie bei den Bewohnern gebirgiger Ge⸗ 
genden ſehr mächtig wirft. 

Die landwirthichaftlichen Erzeugnifie verforgten die Märkte eines 
gewinnreichen Handels mit den Nationen des Mittelländifchen Meeres, 
bejonderd aber mit dem flammverwandten Bolfe an den Küften der 
Berberei. Der Bertrag von Granada ficherte den Mauren gewiſſe 
fommerzielle Bortheile zu, die die Spanier nicht genoflen.*) Diefe 
lestern jahen das, wie man fich wohl denfen kann, mit feiner freund 
lihen Miene. Zugleich hatten fie einigen Grund, gegen die Politif 
eined Verkehrs zwiichen den Moslems Spaniens und denen Afrikas 
Mißtrauen zu hegen, weil ja beide fo Bietes, vor Allem aber ven Haß 
gegen die Ehriften gemein hatten. Zu dem politifhen Mißtrauen ges 
jellte fich noch die Habfucht und der Neid, da der Spanier noch immer 
bie herrlichſten Provinzen des Südens in den Händen ber verfluchten 
Nachkommenſchaft Ismaels ſah, während er felber dazu verurtheilt 
war, feinen bürftigen Unterhalt dem verhältnigmäßig unfruchtbaren 
Boden des Nordens abzugewinnen. u 

Bei einer folchen Lage der Dinge, wo bie beiden Racen nicht 


) So war 3: B. eine eigentfnimliche, keineswegs fehr politische Beftimmung 
in dieſem Bertrag, daß tie Mauren von gewiſſen Zöllen frei waren, tie die Ghriften 
in ihrem Verkehr mit der Berbereifüfte zu entrichten hatten. -— „Que silos Moros que 
entraren debaro de estas capitulaciones y conciertos, quisieren ir con sus mer- 
caderias & tratar y contrator en Berberfa, se les darä licencia para poderlo 
hacer libremente, y lo mesmo en todos los Ingares de Castilla y de la Anda- 
lucfa, sin pagar portazgos, ni los otros dexechos que los Christianos acostun- 
bran pagar.“ — Marmol, Rebelion de los Moriscos, Bd. I, ©. 93. 








12 Erftes Kapıtel. 


nur einander unähnlich waren, fondern fich geradezu feindlich gegen» 
überftanden,, wird man leicht begreifen, wie ſchwer es fein mußte, 
irgend ein legislatives Syſtem zu entdeden, das die Handlungen 
biefer Mitglieder eines und deſſelben politifchen Körpers in harmo⸗ 
niſche Uebereinftimmung brachte. Deshalb fönnte es uns ſchwerlich 
befremden , wären die Verſuche ber ipaniichen Regierung nicht mit 
Erfolg gekrönt worden, jelbft wenn bie Maßregeln berjelben im 
©anzen weiſer und überlegter geweſen wären. 

Nachdem die Regierung bie Alpujarras hatte in Diftricte eins 
theilen laflen, ftellte fie felbige unter die Controlle von obrigfeitlichen 
Perſonen, die nebft ihren Bamilien in den ihnen als den Mittel- 
punften ihrer Jurisdiction angewieſenen Bläben wohnten. Wenn 
man etwa bie Priefter, welche mit der geiftlichen Wohlfahrt der Ein- 
geborenen betraut waren, abrechnet, fcheinen nur wenige andere 
Ehriften in den maurtichen Nieberlaffungen auf der Sierra gewohnt 
zu haben. Weil die Bekehrung der Eingeborenen der leitende Ge⸗ 
banfe der Regierung war, jo ließ die lestere in allen Städten und 
Dörfern Kirchen errichten und wies die Pfarrer an, Alles aufzubieten, 
um die Herzen der ihnen anvertrauten Heerden zu erleuchten, und 
darauf zu ſehen, daß die Moridcos pünktlich die gotteödienftlichen 
Handlungen und religiöfen Gebräuche der Kirche mitmachten. Allein, 
ihon bald war es Har, daß das Mitmachen von Formen und Eere- 
monien ber einzige annähernde Schritt mar, den die Heiden in der 
Richtung einer Bekehrung zum Chriſtenthume gethan hatten, und 
daß unter diefer eifigen Rinde bed Sichanpaflend an Formen die 
Gewaäͤſſer des Unglaubend noch fo düfter und fo tief, wie je zuvor, 
ftanden. Ohne Zmeifel ift dieſes Refultat theilweife den Geiftlichen 
felber zuzufchreiben, von denen viele der Erfüllung einer Aufgabe, die 
ihnen hoffnungslos fchien, müde wurden.*) Und in der That, welche 


*) Diefe Meinung drüdt der Verfafler ber „Advertimientos“ aus, deſſen be: 
fonder® auf Valencia bezügtichen Bemerkungen von einer Aufrichtigfeit und Freund⸗ 
lichkeit gegen bie Moslems zeigen, wie man das unter ten Spaniern des fechsjehnten 
Jahrhunderts felten antrifft. — „De donde,“ fagt er, „colije claramente que el 
no sanar estos enfermos hasta agora no se puede impndar ä ser incurable la 
enfermedad, si no & averse errado la cura, y tambien se vee que hasta oy no 


Die fpanifben Mauren. 13 


Aufgabe hätte auch hoffnungsloſer fein können, als diejenige, eine 
ganze Nation zum plöglichen Aufgeben ihrer langgehegten Ueberzeus 
gungen, zum Abichwören des in ihren Vorftellungen mit fo mancher 
glorreichen Erinnerung verwebten Glaubens ihrer Väter und zur An» 
nahıne des Glaubens der gerade von ihnen maßlos gehaßten Menichen 
zu überreden? Selbſt von einer eroberten Race ließ fich ein folcher er: 
niedrigender Aft nicht erwarten. 

- Wenn gleich die Spanier hinfichtlich der Mittel, die fie zur Er- 
reihung eined fo wünſchenswerthen Zieled anwandten, in mancher 
Beziehung der Vorwurf der Verfolgung trifft, fo muß man doc) ans 
erfennen, daß fie die Verfolgung noch keineswegs fo weit trieben, ale 
jpäter gegen die proteftantifchen Reformatoren. Aus Politik, oder aus 
"einem unerfünftelten Mitleid mit dem bülflofen Zuftande dieſer um- 
nadhteten Heiden, durften die Bluthunde der Inquifition ihr Wildpret 
noch nicht beliebig niederwerfen, und wenn fie auch die Eingeborenen 
durch das Fletſchen ihrer fürchterlichen Fangzaͤhne erfchredten, fo war 
doch die Zeit noch nicht da, wo fie über bie Leine fpringen und über 
ihre bejammerndwerthen Schlachtopfer berfallen fonnten. Allerdings 
erlitt diefe verftändigere Politif einige Ausnahmen. Denn bisweilen 
wurden den ausgefandten, die Moriscos übermachenden Agenten des 
Heiligen Amtes die notorifcheren Verbrecher auf Gnade und Ungnade 
überliefert. *) Häufigere Pladereien jeboch entiprangen aus den von 
Zeit zu Zeit erlafienen, aufftachelnden Regierungsordonnangen, bie 
feinen anderen Zwed haben fonnten, als die Moriscos aufzureizen 
und ihre Feindſeligkeit zu erhöhen. War der Regierung dad wichtige 
Werk der Befehrung nicht gelungen, um fo mehr hätte fie es fich ange- 
estan bastamente descargados delante de Dios nuestro Seäor, aquellos ä quien 
toca este negocio, pues no han puesto los medios que Christo puestro Senor 
tiene ordenados para la cura de este mal.“ — Manuffript. 

*) „Forzandoles con injurias y penas pecuniarias y justiciando & algunos 
de ellos.“ — Ebend. 

Indem Mendoza von einer etwas fpätern, tem Aufflande unmittelbar vorher: 
gehenden Zeit fpricht, gedenkt er kurz des Factums, daß die Inquifition die Moriscoe 
jegt ſtärker, denn zuvor, zu plagen begann: — „Porque la Inquisicion los co- 
ıpenzö dä apretar mas de lo ordinario.* — Guerra de Granada, Valencia 1776, 
Seite 20. 


4 


14 Erftes Kapitel. 


legen fein laſſen ſollen, durch alle möglichen Beweiſe von Zutrauen und 
Freundlichkeit ſich das eroberte Volk geneigt zu machen, und es ihm zu 
ermöglichen, mit den Eroberern, feinen Mitbürgern, in Eintracht zu 
leben. Das war aber fo wenig bie Potint Philipp's, wie die ſeiner 
Vorgaͤnger. 

In den erſten Jahren ſeiner Regierung hatte der König zu viel 
mit auswärtigen Angelegenheiten zu thun, als daß er fich viel hätte 
mit den Moriscos befaflen koͤnnen. Indeflen konnten fie ſicherlich nicht 
lange der Aufmerkſamkeit eined Fürften entgehen, welcher die Glaubens⸗ 
einheit als den Edftein feiner Regierung anfah. Der erfte, auf dieſes 
Volk bezügliche, bedeutende Aft der Gefepgebung fällt ind Jahr 1560, 
wo bie caftilifchen Cortes eine Beſchwerde bei der Krone einreichten ge- 
gen den Gebrauch der Moriscos, Sklaven zu halten, weilte felbige ſicher⸗ 
lich in den mahomedanifchen Dogmen unterrichten und dadurch die Zahl 
der Unglüdlichen im Lande nur vermehren würden. *) Demzufolge er- 
fehlen ein Fönigliches Pragmaticum, welches den Moslems von Gras 
nada das Halten afrifanifcher Sflaven unterfagte. Das Verbot hatte 
fehr große Unannehmlichfeiten zur Folge; denn die reicheren Leute vers 
wandten diefe Sklaven gewöhnlich zu häuslichen Verrichtungen, wäh 
trend man fie auf dem ande zur Feldarbeit gebrauchte. | 

Im Jahre 1563 erfchien eine neue Ordonnanz; fie frifchte ein in 
Vergeftenheit gerathenes Gefep auf, wonach den Moriscos ber Beſitz 
von allen Waffen, die nicht vorfchriftmäßig vom General’ Kapitän con⸗ 
ceffionirt und mit befien Wappen verfehen waren, unterfagt wurde. *®) 
Generals Kapitän von Granada war damald Don Inigo Lopez de 
Mendoza, Graf von Tendilla, der bald darauf nach feines Vaters 
Tode den Titel: „Marquis von Mondejar“ erbte. Die von ihm vers 
fehene wichtige Stelle war feit der Eroberung von Granada immer 
in in feiner Samilie erblich geblieben. Diefer adelige Herr war ein würs 


*) Marmol, Rebelion de los Moriscos, Bd. I, ©. 138. 
**) Ebend. Br. II, ©. 338. — Ordenanzas de Granada, Fol. 375, ap. 
Circourt, Hist. des Arabes d’Espagne, Paris, 1846, Bdo. II, ©. 267. 
Die Strafe für das Verlegen obiger Ordonnanz beftand in fechejähriger Ga⸗ 
leerenarbeit. Das Nachmachen des Gtempels des Mendoza wurde mit dem Tode 
beſtraft. Vae victis ! 


Die ſpaniſchen Mauren. 15 


higer Sprofle des Hauſes, aus dem er fkammte.*) Seine ſchwerfaͤlligen 
Sitten fonnten ihn zwar nicht populär machen; allein, er war ein un⸗ 
befcholtener Mann mit einem zarten Ehrgefühl und befaß ein fuͤhlendes 
Herz, wie man felbige® in ber eilernen Zeit des Ritterthums nicht all» 
zubäufig wieberfindet. Wenn audy ale Soldat erzogen, war er doch 
friedlicy gefinnt. Da er fein Leben unter den Moriscod zugebracht 
hatte, war er mit ihrem Thum und Treiben volltommen befannt, und 
weil er ein Mann der Klugheit und Mäßigung war, fo ift ed nicht um» 
wahrfcheinlich, daß, wären die Angelegenheiten feiner Leitung überlafs 
ten geblieben, dem Lande viele Störungen, die fpäter über es famen, 
eripart worben wären. 

Wenn man den Charakter Mendoza's bedenkt, fo ift es fonderbar, 
daß er eine fo unbebachte Mafregel, wie die auf die Waffen der Mor 
riscos bezügliche, anempfahl. Die Ordonnanz erregte in Granada all 
gemeine Intignation. Die Leute fühlten fi durch dad Mißtrauen in 
ihre Unterthanentreue, welches das Geſetz in fich ſchloß, beleidigt. Sie 
hielten für unwuͤrdig, um Erlaubniß einer Sache nachſuchen zu muͤſſen, 
die zu thun fie ſich in ihrem guten Rechte glaubten, Die höhern Stände 
verfchmähten ed, Wappen ınit nicht ihren eigenen heraldiichen Zeichen, 
fondern mit denen des Mendoza, zu führen. Die größere Anzahl jedoch 
fümmerte ſich nicht um das Edict, fondern fchaffte ſich heimlich Waffen 
an, was, da es der Obrigkeit zu Obren fam, zu häufigen Brozeffen 
führte. Sp war denn der Gehäffigfeit eine fruchtbare Duelle geöffnet. 
Indem Viele, die der Strafe entgehen wollten, in bie Berge flohen, 
vereinigten fie ſich daſelbſt nur zu oft mit.ben die Päffe der Alpujars 
ras durchftreifenden Räubern, die der ſchwachen fpanifchen Polizei Trotz 
boten. **) 


*) Der Name Mendoza, welcher fo viele Benerationen hindurch einen hervors 
ragenden Platz im Kriege, in der Politif und in den Wiflenfchaften einnimmt, fommt 
in ter ſpaniſchen Geſchichte zuerſt zu Anfang des dreigehnten Jahrhunderis vor. — 
Mariana, Historia de Espaüa, 2b. I, &. 676. 

“*) Gere von Kircourt hat in feinem interefianten Werle von den echten Ent⸗ 
widelungsfiufen des auifländiichen Geiſtes unter den Moriscos einen ausführlichen 
Bericht gegeben, der für unfere Geſchichte zu ſeht ins Ginzelne gehen würte und 
von einem fehr forgfältigen Studium des Gegenflandes zeugt. — Hist. des Arabes 
d’Espagne, Br. I, ©. 268 ff. 








16 Erſtes Kapitel. 


So ſehr auch diefe unklugen Edicte die Moriscos ärgerten, wa: 
ten fie doch nur das Borfpiel einer Ordonnanz, die jo überwältigender 
Natur war, daß fie dad ganze Land in einen revolutionären Zuftand 
verfeßte. Der Abfall der Moriscos, oder, um und genauer auszudrüden, 
bie Beftändigfeit, mit ber fie dem Glauben ihrer Väter anhingen, gab 
den alten Chriſten, beſonders aber ver Geiftlichkeit, und vor Allen de 
ren Oberhaupte Don Bebro Guerrero, dem Erzbifchof von Granada, 
großen Anftoß. Diefer Praͤlat fcheint einen finſtern, händelfüchtigen 
Charakter gehabt und von der Bigotterie feiner Zeit ein volled Maß 
bejefien zu haben. Kurz vor der gegenwärtigen Zeit war er in Rom 
und entwarf dafelbft dem Bapfte Pius dem Vierten ein ſolches Ge⸗ 
mälbe von den Olaubenszuftänden der Moriscos, daß dieſes Kirchen» 
haupt ſich deßhalb an die Ipanifche Regierung wandte. Bald nachher 
— im Jahre 1566 — ward der Regierung eine von Guerrero und 
ben Geiſtlichen feiner Diöcefe abgefaßte Denkichrift eingereicht. Nach» 
dem fie darin die vielfältigen Straucheleien der „neuen Chriſten“, wie 
fie die Moriscos nannten, hervorgehoben hatten, riefen fie laut um 
energifche Maßregeln, dem Uebel Einhalt zu thun. Wie fehr ſich auch, 
fagten fie darin, dieſe Leute Außerlich den Borderungen der Kirche fürs 
gen mögen, bleiben fie in ihrem Herzen dod) ungläubig. Wenn die 
Kinder derfelben getauft würden, trügen die Aeltern bei ihrer Rüdfehr 
nach Haufe Sorge, die Spuren der Taufe hinwegzuwafchen, die Kin» 
der zu befchneiden und ihnen maurifche Ramen zu geben. Ebenſo 
unterliegen fie nicht, nachdem ihre Ehen Firchlich eingejegnet worden 
wären, dieſelben fpäter noch mit ihren eigenen Gebräuchen zu beftäti- 
gen und mit nationalen Gefängen und Tänzen zu feiern. Sie führen 
fort, den Freitag al® einen Feiertag zu begehen. Was aber noch ge- 
wichtiger fei, wäre, daß fie befanntlich Chriftenfinder abfingen und fie 
ihren Brüdern auf der Berbereifüfte verfauften, wo dieſelben beſchnit⸗ 
ten und in der mahomedanifchen Religion aufgebracht würden. So 
unwahricheinlich auch der legte Ankflagepunft war, fand er doch bei 
den Spaniern Glauben und diente dazu, Die gegenfeitige Eiferfucht 
und den Haß gegen die unglüdlide Nachkommenſchaft Ismaels nur 
nody zu erhöhen. *) 


*) Ferreras, Histoire d’Espagne, Bd. IX, ©. 524. — Marmol, Rebelion 


Die ſpaniſchen Mauren. 17 


Die von der Geiftlichfeit erhaltene Denkfchrift wurde von der Res 
gierung, auf deren Beranftaltung fie wahrfcheinlich aufgejegt worden 
war, unverzüglich in Betracht gezogen. Zur Prüfung des Gegenftan- 
ded ward auf der Stelle eine Commiſſion niebergefegt und ihr Bericht 
einer Junta vorgelegt, die, fowohl aus Geiftlichen ald aus Laien be 
ſtehend, Ramen von den talentvolliten und gelehrteften Männern bed 
Königreiches enthielt. Linter ihnen finden wir aud) den Herzog Alba, 
der noch nicht zur Vollziehung feiner traurigen Miſſion nad) den Nie 
derlanden abgereift war. Den Vorſitz führte Diego de Espinoſa, der 
damalige Lieblingsminifter Philipp's, wenigſtens der Hauptlenfer der 
Staatögefchäfte. Er war gerade der Mann, den der König wünjchte. 
Bon der niederen Stellung eines Bacultätvorftandes bed Collegiums 
von Buenca in Salamanca hatte er ſich ftufenweife zu dem hohen Po⸗ 
ſten eines Präfidenten im caftilifchen und indifchen Rathe aufgeſchwun⸗ 
gen. Er war jegt aud) Bifchof von Siguenza, was eine ber reichften 
Pfründen des Königreiched war. Indem er in der Inquifition eine 
hohe Stellung einnahm, follte er bald dem Valdés im nicht beneidens⸗ 
wertben Amte eines Großinquifttord nachfolgen. Um das Maß feiner 
Ehren voll zu machen, wurde er kurz nachher, auf die Empfehlung feis 
ned Herrn hin, von Rom mit dem Cardinalshute verfehen. Nie hatte 
Philipp zuvor einem andern feiner Unterthanen eine folche Ehrerbietung 
bewiefen, wie diefem Minifter, und fie vermehrte ſich noch durch bie 
neuhinzugekommene geiftliche Wuͤrde. 

Espinoſa befand fih damals im Aufſteigen, oder vielmehr auf 
dem Höhepunkte feiner Macht. Seine Befähigung für Staatdange- 
legenheiten würbe außergemöhnlicdy gefchienen haben, felbit wenn er 
dem weltlichen Stande angehört hätte. Geduldig unterzog er fich 
ſchweren Arbeiten und verrichtete fröhlich die Geſchaͤfte Anderer, wie 
feine eigenen. Das war infofern gut für ihn, als es ihm bei der obers 
ften Leitung der Staatdangelegenheiten jene Controlle, nad) ber es feis 
nem Ehrgeiz fo fehr gelüftete, beibrachte. Bel einer würdigen, ftolzen 
Haltung befaß er nur leife Spuren von jener Beicheibenheit, die einem 


de los Moriscos, ®b. I, &. 1432. — Vanderhammen, Don Juan de Austria, 
Fol. 55. 
Mrescott, Sei. Bhilipp's IT. IV. j 2 


18 Erſtes Kapitel. 


durch die Gunft feines Herren und feine eigenen Bervienfte fo hoch 
Geftiegenen fehr wohl angeftanden haben würde. Sein übermüthiges 
Benehmen verlegte den alten caftiltichen Adel, der von der gegenwaͤrti⸗ 
gen hohen Stellung des Minifterd verächtlicdy auf die niebere Stufe, 
wovoner aufgeftiegen war, herabblidte. Kein fo großes Mißvergnügen 
fol der König darüber empfunden haben, denn er fah es nicht ungern, 
baß ein von ihm aus dem Staube Gezogener ber alten Ariftofratie ihren 
Stolz verwied.*) Ihr Verdruß follte übrigens bald gelindert werden 
durch den Fall des Günftlinge, was übrigens ein fo merfwürbiges, 
unerwartetes und für ben, welchen es traf, fo tragiiche® Ereigniß war, 
wie der Fall Wolfey’s. 

Bei einem Manne, der fich für das Amt eines Großinquiſitors 
eignete, ließ ſich für die Rage der Ungläubigen nicht viel Sympathie 
vorausfegen. Yür die Moriscos war ed ein Unglüd, daß ihr Geſchick 
in die Hand eines Miniſters, wie Espinoſa, gelegt wurbe. Nach reif- 
ficher Meberlegung gelangte die Junta,zum Schluffe, daß es für das 
gegenwärtige Uebel das einzige Heilmittel fein würde, wenn man bie 
Art an die Wurzel legte, indem man alle hiftorifchen Verkettungen, 
welche, da fie die Moriscos mit ihrer früheren Gefchichte verfnüpften, 
indgefammt der Befehrung im Weg ftänden, einfach durchhieb. Man 
empfahl daher an, daß es ihnen unterfagt fein follte, fidy beim Spre- 
chen oder Schreiben des Arabifchen zu bedienen, fondern baß fie bloß 
das Gaftilifche gebrauchen follten. Nicht einmal ihre Bamiliennamen 
follten fie beibehalten dürfen; fie follten dafür fpantfche annehmen. Alle 
fchriftlichen Urkunden und Aftenftüde irgend einer Art waren null und 
nichtig, falls ſie nicht im Eaftilifchen abgefaßt waren. Da man einem 
ganzen Volke zum Sprachwechfel Zeit geftatten muß, wurbe ein Termin 
von brei Jahren feftgefegt, nad) deſſen Ablauf diefe Beftimmung in 
Kraft treten follte. 

*) So beurtheilte diefe Sache ein fcharffichtiger Benetianer, der, meil ex ſich im 
Gefolge des Geſandten Tiepols befand, die Vorgänge am Hofe Philipp's des Zweis 
ten in der Raͤhe beobachten fonnte. — „Levato di bassissimo stato dal re, e posto 
in tanta granderza in pochi anni, per esser huomo da bene, libero et schietto, 
et percht S. M. vuol tener basai li grandi di Spagna, conoscendo l’altierissima 
natura loro.“ — Gachard, Relations des Ambassadeurs Ve&nitiens sur Charles- 
Quint et Philippe II, Brüffel 1885, ©. 175. 


Die fpanifchen Mauren. 19 


Es ſollte von ihnen gefordert werden, daß fle ihre Rationaltracht 
gegen die fpanifche umtaufchten. Da aber bie morgenlänbijche Klei⸗ 
dung mit großem Schmud verfehen und oft fehr theuer war, follte es 
ihnen geftattet fein, ihre gegenwärtigen Kleider, wenn dieſe aus Seide 
gefertigt wären, noch ein Jahr, und falls fie aus Baummolle, dem 
gersöhnlichen Anzug der ärmeren Klafien, befländen, noch zwei Jahre 
länger zu tragen. Ferner follte ſowohl ben alten, wie den fungen 
Frauenzimmern gefeglich vorgefchrieben werben, mit unverfchleierten 
Angefichtern auszugehen, was unter den Mahomedanern für ſchaͤnd⸗ 
lich galt. 

Ihre Ehen follten nach chriftlichem Brauche öffentlich abgefchlofs 
fen werden und den ganzen Hochzeitstag über ihre Hausthüren offen 
ftehen, damit Jedermann ind Haus gehen und nachſehen fonnte, ob fie 
fi) nicht etwa unheiliger Gebräuche bedienten. Ferner wurde es ihnen 
verboten, ihre Samilienfefte mit Nationalgefängen und Nationaltänzen 
zu feiern. Da endlich ein fehr einfältiged Gerücht in Umlauf gefom- 
men war, daß die Eingeborenen die warmen Bäder, welche fle zu Haufe 
zu nehmen pflegten, zu lüberlichen Genüflen mißbrauchten, wurde von 
ihnen verlangt, daß fie die Badegefäße zerftören und insfünftig nichte 
Aehnliches gebrauchen follten. 

Alte diefe Beftimmungen follten durdy fehr ſtrenge Strafen einge 
fhärft werden. Für den erften Verſtoß follte der Schuldigbefundene 
mit einmonatlicyem Gefängniß, mit zweijähriger Verbannung aus dem 
Lande und mit einer Geldbuße von fechshundert bis zehntaufend Ma- 
ravedis beftraft werden. Beim zweimaligen Bergehen waren die Stra- 
fen zu verdoppeln; beim dreimaligen aber hatte ven Verbrecher, außer 
den früheren Strafen, noch lebenslängliche Berbannung zu treffen. 
Diefe Verordnung war In den meiften Stüden nad) derjenigen Karl’ 
des Fünften, die, wie wir fahen, biefer aus Klugheit nicht vollfiredie, 
zugefchnitten.*) 


*) Diefe merkwuͤrdige Verordnung fleht in der Nueva Recopilacion, Ausgabe 
von 1640, Buch VII, Ti, 2, Abtheilung 13—18. 

Die ſchwerſten Strafen Banden auf dem argen Verbrechen des Gebrauchs von 
warmen Bädern. Im Wiederholungsfalle wurde der Verbrecher zu fechejähriger 
Baleerenfirafe und in die Confiscation der Hälfte feines Beſitzthums verurtheilt. 

. 2% 


20 Erſtes Kapitel. 


Das waren denn die Hauptbeſtimmungen eines Geſetzes, welchem 
— was Grauſamkeit und Abſurdität anlangt — kaum ein zweites in 
der Geſchichte an die Seite geſtellt werden kann. Denn, was koͤnnte 
wohl abſurder ſein, als der Verſuch, durch einen Geſetzesakt in den 
lange eingewurzelten Gewohnheiten einer Nation einen ſo großen 
Wechſel hervorzubringen, — die Erinnerungen an bie Vergangenheit, 
an bie fi) die Menfchen unter dem Drude des Mißgeſchicks fo feft an- 
klammern, zu verwiſchen, — gleichſam mit einem einzigen $eberftriche 
nicht nur den Glauben, fondern auch die Nationalität eined Volkes 
audzufledfen — und mit einem Male den Moslem ſowohl in einen 
Ehriften, wie in einen Gaftilier umzuwandeln? Ließe ſich wohl ein 
größerer Schimpf denken, der je einem Bolfe angethban worden, als die 
Zwangsbeftimmung, zufolge deren die Frauen ihre Schleier, welche 
nach morgenländifchem Begriff zu den Verpflichtungen ber Beſcheiden⸗ 
heit gehörten, bei Seite legen follten? Oder die Vorſchrift bezüglich 
bes Offenlaffend der Thüren, wodurch die im Haufe befindlichen Per⸗ 
fonen den frechen Blicken eines jeden Borübergehenden ausgefegt waren? 
Oder etwa jene bezüglidy der Bäder, die doch — namentlid im wars 
men Klima des Südens — für Reinlichfeit und Wohlbefinden fo we- 
ſentlich find? 0 

Aber das Meiſterſtuͤck der Ahſurditaͤt ift obne Zweifel die Verfü- 
gung binfichtlich der arabifchen Sprache, gleich als ob es in der Macht 
des Menſchen fände, zu bewirken, daß eine ganze Bevölferung binnen 
einem Zeitraume von drei Jahren in einer fremden Sprache, anftatt in 
ihrer eigenen redete — und zwar unter beſonders ſchwierigen Umftän- 
ben, theild wegen dem Mangel an Berwanbtichaft zwifchen den ſemi⸗ 
tiichen und europäljchen Sprachen, theild wegen ber abgeichloffenen 
Lage der Moriscos, denen, gleich ben Juden, um fie vom vertrauten 
Verkehr mit den Ehriften abzufchneiden,- in den Städten abgefonderte 
Viertel angewiefen waren. Bon diefer Beſtimmung zu fchließen, ift 
uns wohl zu zweifeln erlaubt, ob denn eigentlich die Regierung lieber 
bie Moslems befehren, als fie vielmehr in fo große Geſetzesverlezungen 
verftriden wollte, daß fie einen plauflbeln Vorwand erhielt, die Mo⸗ 
riscos ganz und gar aus dem Lande zu jagen. Diefe Auffaffung wird 
beftätigt durch bie bebeutungsvolle Antwort Otadin's, des Profeſſors 


Die ſpaniſchen Mauren. 31 


der Theologie zu Alcala, der, von Philipp über den Werth der Ber: 
ordnung zu Rathe gezogen, diefe von Herzen billigte, indem er das 
jchredliche Ipanifche Spruͤchwort: „Je weniger Friede, deſto beffer, * 
anführte.*) Es war dem ſchwachkoͤpfigen Philipp dem Dritten vors 
behalten, den Unglüdsfällen feiner Regierung mit der Vertreibung der 
Moriscos vollends die Krone aufzufegen. Freilich fann man nicht in 
Abrede ſtellen, daß dieſe Vertreibung von der großen Mehrzahl des 
fpanifchen Volks ernfllich gewünfcht wurde, indem bie Spanier, wie 
wir fahen, mit fehnfüchtigem Verlangen nach dem von ben Moslems 
befefienen fchönen Gebiete blidten und die Moriscos mit einem eben 
fo großen Mißtrauen und Abfcheu betrachteten, wie man gewöhnlich) 
gegen Feinde, die Einem unverföhnliche Beleidigungen zugefügt has 
ben, empfindet. 

Gleichwohl gab es in der Junta Einige, denen die vorgefchlagene 
Verordnung nicht gefiel. Unter diefen ift Einer, — der Herzog Alba, 
— fiber den man, wenn man fi} fein Betragen in den Niederlanden 
vergegenwärtigt, erftaunt fein fann. Indeß folgte hier, wie in jenem 
Lande, ohne Zweifel die von ihm ergriffene Partei weniger aus men» 
fchenfreundlicyen, als aus politifchen Rüdfichten. Weldye Gründe er 
aber auch gehabt haben mag, fo wurden fie doch von Espinoſa gering 
angefdylagen, denn dieſer empfand wahrfcheinlich eine heimliche Ge: 
nugthuung , indem er einem Mame, den er mit der Eiferfucht eines 
Rivald betrachtete, widerftehen konnte. **) 

Welche Anficht von der Sache eigentlich Philipp hegte, kann 
man bloß vermuthungsweiſe aus der allgemeinen Beichaffenheit feines 
Charakters entiehnen. Er gab vor, daß ihn die Entfcheitung der 


 —— 





*) „Delosenemigos los menos.“ — Gircourt gibt nieht nur eine Neberfegung 
des ganzen Briefes des Profeilors, fondern fügt aud) nod feinen konbaren Commentar 
zum Texte bei. — (Hist. des Arabes d’Espagne, Bd. I, &. 278.) Dem Yerreras 
zufolge war Philipp mit der Maxime feines geifllichen Berathers Außerft zufrieden. 
— Hist. d’Espagne, Br. IX, ©. 828. 

«*) Cabrera fchiebt die Berantwortlichkeit der folgenden Wirren auf Espinoſa 
und Deza, indem er bie ſarkaſtiſche Bemerkung macht, daß „zwei Moͤnchskapuzen 
eine Angelegenheit, die man befler Männern mit Helmen auf dem Kopfe überlaflen 
haben würbe, zu ordnen gehabt hätten.” — Cabrera, Filipe Segundo, Bud VIII, 
Kay. 21. 


23 ECrũes Kevite. 


„weiten und gelehrten Männer”, die er mit dem Gegenſtande beauf⸗ 
tragt hatte, beftimmte. Daß jedoch dieſe Enticheitung ſeinem perſön⸗ 
lidyen Ermeſſen nicht jehr zuwiderlief, läßt ich aus ter Schnelligfeit, 
womit er tie Berorbnung unterzeichnete, ichließen. Er unteridhrieb 
diefelbe amı 17. Rovember 1566, wo das Pragmaricum Geiegeöfrait 
erhielt. - 

Indeflen beichloß man, daſſelbe nicht augenblidlidy zu publiciren, 
iondern vertraute ed ten Hänten eined Witglieded der Junta, dem 
Diego Deza, an, der beim Heiligen Amte Autitor war unt von Es⸗ 
pinofa unlängft auf ten wichtigen Poften eines Ranzeleipräfidenten 
von ®ranata erhoben worten war. Hierdurch gelangte ex mit einen 
Male an die Epige ter Civilverwaltung der Provinz, jowie ter Mar⸗ 
qui von Montejar an der Epige ber Militäratminiftration flant. 
Die von diefen beiten Männern gehegten verſchiedenen politischen 
Anfichten führten einen Behörbenconflict herbei, der fich für den Staat 
ale hoͤchſt nadytheilig erwies. Teza, welcher ipäter tie Cardinals⸗ 
würde erhielt, verbarg unter einem gefälligen Benehmen einen unbeug⸗ 
jamen Willen. Deflenungeadytet unterwarf er fi) völlig den Wün- 
fben feines Gönners Espinoſa, der ihm die Ausführung feiner Pläne 
übertrug. 

Mit mehr Politik, als Menſchlichkeit, beichloß der Praͤſident, die 
Publicirung des Edikts bis auf den nächiten erfien Januar, 1567, zu 
verichieben. Das war am Tage vorher, wo die Spanier den Jahres» 
tag der Uebergabe der Hauptitadt zu begehen vflegten. Ein ſolches 
erniedrigendes Ereigniß, das über die Moriscos zu einer fo kritiſchen 
Zelt hereinbrach, konnte vielleicht ihren Muth brechen und fie geneigt 
machen helfen, das verhaßte Edikt mit geringerem Wibderftande auf- 
zunehmen. 

Am feftgelegten Tage marfchirten die Magiftratöperionen der vor: 
nehmften Gerichte, mit dem Corregidor von Granada an der Epige, in 
feierlicher Brogeffion nad) dem Albaicin, dem von den Moriscos bewohn- 
ten Stadttheile. Da fie beim Klange ber Baufen, Trompeten und anderer 
Inftrumente durch die Straßen zogen , lodte ber Lärm und die Neu⸗ 
nierde die Einwohner aus ihren Häufern, fo daß die Prozeſſion, die 
fich auf den großen Pla Bab el Bonat begab, zu einem langen Zuge 


Die ſpaniſchen Mauren. 93 


anſchwoll. Jener Plag war ein freier, großer Raum, wo ſich in alten 
Zeiten das Bolf von Granada zu verfammeln pflegte, wenn es bie 
Krönung eined neuen Herricherd feierte. Noch jegt ftanden die Thürme, 
von welchen an jenen Tagen die moslemitiſchen Banner über bie 
Häupter der beifallrufenden Menge wehten. Während das Volk nun 
fi) laͤrmend um dieſe alten Gebäude drängte, verlad der öffentliche 
Ausrufer von einem erhabenen Orte aus in vernehmbaren Tönen auf 
Arabiich die Fönigliche Verordnung. Man kann ſich vorftellen, wie 
mit abwechjelnden Gefühlen von Scham, Kummer und Entrüftung 
bie aus beiden Geſchlechtern beftehende ‚große Berfammlung einer Urs 
funde zubörte, in der jedes Wort für die Zuhörer eine perfönliche Bes 
leidigung zu enthalten fchien; die eine Berlegung aller Begriffe des 
Anftändigen und Züchtigen, worin fie von Kindesbeinen an aufge: 
bracht worden waren, enthielt; die die theuren Bande, weldye und an 
Baterland und Angehörige knuͤpfen, zerriß; die das Heiligthum des 
Samilienlebens verlegte, den Gebrauch der Mutteriprache unterfagte 
und ihnen eine Erniedrigung auferlegte, wie fie dem niedrigften ihrer 
Sklaven unbefannt war. Die Schwächeren überließen fich in ihrem 
großen Schmerze händeringend kläglichen, heftigen Ausrufen. Die 
Stärferen dagegen brachen unter den wüthenbften Geberden in Drohun⸗ 
gen und grimmige Scheltworte aus. Noch Andere hörten zu mit jener 
verbiffenen und entfchloffenen Miene, die binlänglich bewies, daß ihre 
Haltung, obfchon ſchweigend, nichts deſto weniger gefährlich war. 
Die ganze Menge befand fi) in einem ſolchen Gährungszuftande, daß 
ein Zufall auf der Stelle eine Exrploflon,, die Oranada bis in feine 
Grundveften erfehüttert haben würde, hätte herbeiführen können. 
Slüdlicherweile gab ed in der Verfammlung einige verftändige Leute, 
die Alter und gemäßigter, als die übrigen, waren, und die genug Ans 
fehen beiaßen, um ihre Landsleute von einem Tumulte abzuhalten. 
Diefe erinnerten daran, daß zu den Lebzeiten ihrer Väter der Kaiſer 
Karl der Fünfte bewogen worben fei, die Vollſtreckung einer ähnlichen 
Verordnung zu fuspendiren. In allen Fällen fei es befier, erft alles 
Mögliche auf dem Wege frieblicher Ueberzeugung zu verfuchen. Yühre 
das zu Nichts, fei es noch immer Zeit, auf Rache zu tenfen. *) 


*) Marmol, Rebelion de los Moriscos, ®b. I, ©. 147 —151. — Circourt, 








A Grfes Kapitel. 


Demzufolge wurde aus den älteren Moriscod ein Wann, der 
unter feinen Lamdöleuten in großem Anfehen ftand, enwählt, damit er 
dem Präftdenten die Aufwartung machte und ihm ihre Anfichten von 
dem Edikt audeinanderfegte. Er machte diefe Auseinanderſetzung fehr 
ausführficd und auf eine Weife, die jeden Inbefangenen von der Grund⸗ 
lofigfeit der gegen die Moslems gerichteten Anflagen und von ter Grau⸗ 
famfeit und Unausführbarfeit der von ber Regierung gemachten Bor: 
ſchläge hätte überzeugen müffen. Rachdem ver PBräfident dem Abges 
ordneten ein gebuftiges und freundliches Gehör geichenft hatte, machte 
er einen furzen, aber nicht fehr glüdlichen Verſuch, dad Verfahren der 
Verwaltung zu rechtfertigen. Schließlich befeitigte er Die ganze Frage, 
indem er erflärte, daß „dad Geſetz zu gerecht und zu heilig fei, und 
mit zu vieler Erwägung abgefaßt worden wäre, als daß es je wieder 
ungültig gemacht werden Fönnte; was aber endlich bei dieſer Sache das 
Interefie beträfe, fo fchlüge Seine Majeftät die Rettung einer einzigen 
Seele höher an, ald alle von den Moriscos bezogenen Einfünfte.”*) 
Eine ſolche Antwort mußte alle Hoffnung auf eine ähnliche Beiles 
gung, wie man fie früher mit dem Kaifer zu Stande gebradht, grünt- 
lich zerftören. 

Nachdem die Moridcos bei dem Präfiventen Nichts ausgerichtet 
hatten, befchloffen fie, ihre Beſchwerde vor den Thron zu bringen. In 
diefer Beziehung gelang es ihnen, den Don Juan Henriquez, einen 
Edelmann von fehr hohem Range und Anſehen, der zu Beza in der 
Mitte von Granada große Güter beſaß und ftarfe Eympathie für bie 





Hist. des Arabes d’Espagne, ®b. II, S. 283. — Ferreras, Hist. d’Espagne, 
Br. IX, ©. 5385. 

Dr. Salazar de Mendoza denft, daß einzig und allein die Revolutionsluf ven 
Moriscos eingegeben habe, eine fo gerechte und lobenswerthe Maßregel, wie biele 
Berordnung, die es in jeter Beziehung auf ihre eigene Wehlfahrt abgefehen hatte, 
als Borwand zum Aufitande zu gebraudyen. — „Tomaron por achaque esta accion 
tan justificada y meritoria del Rey, y para sus almas tan provechosa y salu- 
dable.* — Monarguia de Espana, Bdo. II, ©. 137. 

*) Yal fin concluyo con decircle resolutamente, que su Magestad queria 
mas fe que farda, y que preciaba mas salvar una alma, que todo quanto le 
podian dar de renta los Moriscos nuevamente convertidos. — Marmol, Rebe- 
lion de los Moriscos, ®b. I, ©. 163, 


Die fpanifchen Mauren. 95 


unglüdlichen Eingeborenen empfand, für fich zu gewinnen. Rad lans 
gem Bedenfen übernahm diefer die Miſſion, begab ſich nad Madrid, 
wirkte fidy eine Aubienz bei dem Könige aus und überreichte demfelben 
ein Geſuch zu Gunſten feiner unglüdlichen Unterthanen. Philipp em- 
pfing ibn gnädig und verſprach, der Petition alle mögliche Aufmerk 
ſamkeit zu widmen.” „Was ich in diefer Sache gethan habe,” fagte der 
König, „iſt geichehen auf den Rath mweifer, geroiffenhafter Männer, 
welche mir zu verfiehen gaben, daß es meine Pflicht fei.“ *) 

Kurz darauf ward dem Henriquez bedeutet, daß er, die Antwort. 
von dem Präfidenten von Eaftilien zu erwarten habe. Nachdem Es⸗ 
pinofa das Bittgeſuch angehört hatte, drückte er fein Erftaunen darüber 
aus, daß ein Mann von fo hohem Range, wie Don Juan Henriaug;, 
ſich habe mit einer folhen Miffton beauftragen laflen. „Gerade dep» 
halb habe ich fie übernommen ‚* entgegnete der Evdelinann, „weil ic) 
dadurch eine beffere Gelegenheit habe, dem Könige einen Dienſt zu er- 
weiſen.“ — „Es ift völlig nutzlos,“ fagte der Minifter; „religiöfe 
Drämer haben Seiner Majeität vorgeftellt, daß es ein Leichtes fei, 
diefe Mauren zu retten, und er bat ſich vorgenoinmen,, die erlaflene 
Ordonnanz zu vollziehen.” *®) 

An diefer Stelle abgewieſen, legte ter unverdrofiene Geſandte 
fein Schreiben dem Etaatsrathe vor und fuchte ihn für feine Elienten 
zu intereffiren. Hierin war er glüdlicher. Denn verfchtedene Räthe, 
darunter der Herzog von Alba und Luis de Avila, der große Befehls⸗ 
haber von Alcantara, welchen Karl der Fünfte mit feiner Freundſchaft 
beehrt hatte, gingen mit Freuden auf feine Anfichten ein. Doch rich⸗ 
tete das wenig bei dem Minifter aus. Diefer wollte nicht einmal für 
die Vollſtreckung der Verordnung einen Aufſchub behufs einer weiteren 
Prüfung geftatten oder ihre Vollziehung im Anfange auf einen oder 
zwei Bunfte befchränfen, um die Stimmung der Moridcod annähernd 


— —— — — — 


*) „Que él habia consultado aquol negocio con hombres de eieneis 
eonciencia, y le decian que estaba obligado & hacer lo que hacia.“ — Übent. 
©. 178. 

**) „Que el negocio de la prematica estaba determinado y su Magestad 
resoluta en que se cumpliese.“ — Ebend. wie oben. 


26. Erſtes Kapitel. 


fennen zu lernen.“) Nichts Anderes, ald die augenblidliche Voll⸗ 
ſtreckung des Geſetzes in allen feinen Einzelheiten, vermochte den troßis 
gen Espinofa zufrieden zu ftellen. 

Auch wollte er feinen Ton nicht etwas herabftimmen aus Achtung 
vor dem General» Kapitän, dem Marquis von Mondejar. Diefer 
Edle hatte ſich mit Fug und Recht gefränft gefühlt, daß er bei Ver⸗ 
handlungen von Sachen, die feine Regierung fo wefentlich betrafen, 
nicht zugezogen worden war. Somohl aud Gründen politifcher Bes 
rechnung, wie aus Menfchlichfeit war er dem Inhalte der Verordnung 
entſchieden feind. Vielleicht hatte man, weil man das wußte, ihm 
keinen Sitz in der Junta gegeben. Seine Einwendungen machten auf 
Espinoſa keinen Eindruck, und als er hervorhob, daß er, wenn das 
Geſetz vollzogen werden ſollte, mit einer hinreichenden Militärmacht 
verſehen werden muͤßte, um irgend welche Widerſtandsverſuche zu er⸗ 
drücken, ſo nahm der Miniſter die Gefahr ſehr leicht, indem er ihm 
verſticherte, daß dreihundert Mann friſche Truppen für den Fall aus⸗ 
reichten. Alsdann ſchnitt Espinoſa peremptoriſch alle weitere Discuſ⸗ 
ſion ab, indem er dem General⸗Kapitaͤn ſagte, daß es gut fein würde, 
wenn er nach Granada, wo feine Anweſenheit zur Eräftigen Vollſtreckung 
des Geſetzes erheilcht würde, auf der Stelle zurüdfehrte. **) 

est war es klar, daß für weitere Discuffion fein Ausweg mehr 
offen ftand, und daß die unglüdlicyen Moriscos unter der jegigen Res 
gierung Feine Ausficht mehr hätten, ſich, wie fie zur Zeit Karls des 
Fünften gethan hatten, vom Gelege durch Zahlung einer runden Summe 
loszufaufen. Alle Unterhandlungen waren zu Ende. Sie hatten bloß 
zwilchen unbedingtem Gehorfam und offener Rebellion zu wählen. 
Kein Wunder, daß fie die leßtere wählten. 


*) Ebend., S. 176. — Cabrera, Filipe Segundo, Bud VIII, Kap. 21. 
**) „A estas y otras muchas razones que el marques de Mondejar daba, 
Don Diego de Espinosa le respondi6, que la voluntad de su Magestad era 
aquella, y que se fuese al reyno de Granada, donde seria de mucha importan- 
cia su persona, atropellando como siempre todas las difficultades que le ponian 
por delante.* — Marmol, Rebelion de los Moriscos, ®b. I, S. 168. 


——— - Tune 


Zweites Kapitel. — Die Rebellion der Moriscos. 27 


Zweites Kapitel. 


Die Rebellion der Moridcoß. 


Der Widerfland ber Moriscos. — Nächtlicher Angriff auf Sranada. — Der Auf: 
fand in ten Alpujarras. — Die Wahl eines Königs. — Die Niedermetzelung 
der Chriſten. 

1568. 


Am nämlihen Tage, wo die Verordnung in der Hauptſtadt 
publicirt wurde, ward fte in jeden Theile des Königreich Granada 
befannt gemacht. Ueberall nahm man fie mit gleicher Scham, Kuͤm⸗ 
mernig und Entrüftung auf. Che jedoch diefe Empfindungen zu einer 
übereilten Handlung leiteten, befaßen die Moriscos in den Alpujarras 
die Vorficht, fich mit ihren Landsleuten in dein Albaicin in Verbin⸗ 
bung zu fegen, und erhielten von dieſen den Rath, daß fe ſich ruhig 
verhalten follten, did man den Ausgang der zu Madrid gepflogenen 
Conferenzen erfuͤhre. 

Ehe dieſe noch zum Abſchluß kamen, verfloß das Jahr, nach 
welchem es für jeden Morisco ein Verbrechen fein ſollte, wenn er ſei⸗ 
dene Kleider trüge. Auf die Verordnung des Präfidenten machte die 
Beiftlichfeit in allen Kirchen der Hauptftadt von den Kanzeln bekannt, 
daß dad Gefeg wörtlich vollftredtt werben follte. Hierauf erjchienen 
mehrere Edikte anderen Inhalts, die alle darauf abzielten, die Moris⸗ 
c08 noch mehr zu reizen. *) 

5 So erſchien eine Berordnung, wonach alle Moriscos vom Lande, die mit 
ihren Bamilien in Granata zufammenwohnen wollten, bei Totesfirafe die Statt 
verlaften und wieder nach ihren früheren Wohnfitzen zurüdfehren mußten. — (Mar- 
mol, Rebelion de los Moriscos, Bd. I, S. 169.) Bine andere Verordnung vers 
langte von den Moriscos, alle ihre Kinder, die in einem Alter von trei bis fünfzehn 
Jahren flänten, herzugeben, damit fle in Schulen gebracht und dort in der chrifls 
lihen Religion, fowie in der caſtiliſchen Sprache unterrichtet würden. (Gbend., ©. 
170.) Die Nueva Recopilacion enthält zwei um dieſe Zeit erfaflene Geſetze, die 
jeven Verkehr mit Türken oder Mauren, auch wenn tiefelben nicht als Korfaren, 
fontern um des Handels willen nah Granada famen, zu einem Tobdesverbrechen 
machten. (Buch VII, Tit. 26, Abtheilung 16 und 18.) Gin derartiges Geſetz be- 


28 weites Kapitel. 


Nachdem alle Hoffnung auf eine Befreiung von dem verabjcheu> 
ten Gefege geichwunden war, beriethen fidy die Führer im Albaicin, 
wie man am beften der Regierung wiberftehen fönne. Der erfte Schritt 
fchien die Befignahme von der Hauptftadt zu fein. Es gab damals 
in Oranada einen Moridco, Namens Farar Aben⸗Fararx, ber feines 
Gewerbed ein Färber war. Obfchon er aber einem fo niedern Berufe 
angehörte, floß doch daß befte Blut der Abencerraged in feinen Adern. 
Er war ein heftiger, ja grimmiger Menſch, der die Chriften aus voller 
Seele haßte und ſich nach der Stunde fehnte, wo er fie mit ihren Köpfen 
für die Leiden feiner Landsleute bien laflen fünnte. Da ihn fein Ges 
fhäft oft in die Alpujarras führte, befaß er unter den dortigen Ein» 
wohnern eine audgebreitete Bekanntſchaft. Er nahm es auf fih, em 
Heer von adıttaufend Dann auszuheben und daffelbe heimlich bei Nacht 
in die Bega zu bringen, von wo er fi) mit dem Beiftande feiner Lands⸗ 
leute in dem Albaicin den Eingang in die Stadt erzwingen und bie 
Garniſon in der Alhambra überwältigen wollte. Wer Widerftand leis 
ftete, follte über die Klinge fpringen, und fo wollte er fih zum Herrn 
der Hauptftadt machen. Zur Ausführung dieſes Planes war der 
grüne Donnerflag, der in den nächſten April fiel, feftgefebt, weil die 
Spanier an diefem Tage mit ihren religiöfen Feierlichkeiten beſchäftigt 
fein würben. 

Ein fo Bielen befanntes Geheimniß fonnte nicht fo fireng und lo 
lange bewahrt bleiben, daß nicht Etwas davon den Ehriften zu Chren 
gefommen wäre. Dem Deza, der von dem unrubigen Geifte der Mo- 
riscos einen aͤhnlichen Verſuch erwartet hatte, fcheint died geringe 
Sorge gemadht zu haben. Der General:Kapitän dagegen hielt es für 
Klug, noch einige Vorfichtinaßregeln zu treffen. Deßhalb vertheilte er 
unter die Bürger Waffen, verftärfte die Garnifon der Alhambra und 
bejuchte mehrere große Gränztäbte, um fie in befieren VBertheidigungs- 
zuftand zu fegen. Da die Moriscos fahen, daß ihr Vorhaben den 
Behörden befannt war, befchloffen fie, die Ausführung deſſelben vor 
ber Hand zu verfchieben. Sie fchoben fie ſogar bis auf den Anfang 


- u u. - 


weift, wie fehr die Spanier fortwährend befürchteten, daß ihre maurifchen Unter: 
thanen mit den fremden Moslems eine hochverraͤtheriſche Correſpondenz unterhielten 


Die Rebellion der Moriscos. 39 


des folgenden Jahres 1569 hinaus. Hierzu ſollen fie durch eine in 
ihren heiligen Schriften enthaltene Prophezeihung, daß das Jahr ihrer 
Befreiung mit einem Sormabend beginnen würde, bewogen worden 
fein. Doch wahricheinlich beftimmte die weiferen Männer des Albai⸗ 
cin's weniger ihr eigener Glaube an die Weiffagung, als vielmehr die 
Wirkung, die diefelbe auf die abergläubifchen Bergbewohner, unter 
welchen fie mit Fleiß verbreitet wurde, haben mußte.*) 

Nachdem für den Auffland der erſte Januar feftgefegt worden 
war, fuchten die Moslems von Granada den Verdacht der Regierung 
burch alle Außeren Kundgebungen von linterwürfigfeit zu beſchwichtigen. 
Allein, das wurde ihnen durch Nachrichten, weldye die Regierung aus 
glaubwürdigeren Quellen erhielt, vereitelt. _ ine noch ficherere Evi⸗ 
denz von den Abſichten der Moriscos lieferte ein dem Marquis von 
Mondefar zufällig in die Hände gefallener Brief, der von einem Fuͤh⸗ 
rer des Albaicin an die Moslems der Berbereiküſte gerichtet war, und 
fie um der Bande der Blutöverwandiichaft und des gemeinfchaftlichen 
Glaubens willen zur Hülfe auffordert... „Wir find arg bebrängt,” 
fagt der Abfender, „und unfere Feinde umfchließen uns rings herum 
wie ein verzehrendes Feuer. Geſchrieben,“ ſchließt der leivenichaftfiche 
BVerfafler des Briefes, „in Nächten voll Thränen und Angſt, und nod) 
aufrecht erhalten durch Hoffnung, und zwar durch jene Hoffnung, die 
aus der Bitterfeit des Gemüths entipringt.”**) 

Aber die Mächte der Berberei waren zu fehr von ihren Fleinen 
Fehden in Anſpruch genommen, fo daß fle ihren granadifchen Brüdern 
nicht viel mehr, als füße Verfprechungen bieten konnten. Vielleicht 
dachten ſte audy, daß fie in biefem ungleichen Kampfe mit der fpani- 
chen Monarchie Feine hinreichende Hülfe leiſten könnten. Indeß er- 
laubten fie ihren Unterthanen, als Freiwillige am Kriege Theil zu 
nehmen. Die Korfaren ber Berberei, weldye die Küften des Mittel- 


—— — — 


*) Marmol, Rebelion de los Moriscos, Bo. I, &. 223 -233. — Mendoza, 
Guerra de Granada, Balencia 1776, ©. 43. — Hita, Guerras de Granada, 
Br. II, S. 724. . 

**) „Escrita en noches de angustia y de lagrimas corrientes, sustentadas 
con esperanza, y la esperanza se deriva de la amargura.“ — Marmol, Rebelion 
de los Moriscos, Bd. I, ©. 2419. 


30 Zweites Kapitel. 


ländifchen Meeres unſicher machten, leifteten in der Folge mandje gute 
Dienſte; ebenfo die Monfis, wie die afrifanifchen Abenteurer hießen, 
bie fich zu ihren Brüdern in den Alpujarrad gefellten, und ſich durch 
einen unverföhnlichen Grimm gegen die Ehriften auszeichneten. 

Mittlerweile wurde durch die Hoffnung der Wiebererlangung der 
Freiheit das heiße Blut der Bergbewohner zu fehr entflammt, fo daß 
fie nicht ruhig den zum Losbruche feftgefegten Tag abwarten fonnten. 
Noch vor der Zeit begingen fie mehrere Gewaltthätigfeiten — bie Bor: 
(äufer des bevorftehenden Blutvergießend. Im Monat Dezember 1568 
wurde eine Abtheilung fpanifcher Alguazils, nebft einigen Gerichte: 
beamten, als fie ſich nach Granada begeben wollten, nahe bei der Stadt 
gänzlich niedergemaht. Ein Trupp von funfzig Soldaten follte eine 
beträchtliche Menge Flinten nady der Hauptftabt fchaffen, und da ihre 
Ladung für die unbewaffneten Moriscos eine zu verlodende Beute war, 
wurben fie fämmtlich — und zwar meiftens im Bett — in einem klei⸗ 
nen Dorfe des Gebirges, wo fie ihr Nachtquartier aufgeichlagen hatten, 
ermordet.*) Aben⸗Farax, der fühne Bärber von Granada, ſah voraus, 
was für eine Aufregung biefe Gewaltthätigfeit in der Hauptftabt her⸗ 
vorrufen mußte, und gewann deßhalb die Weberzeugung, daß er jegt 
den beabfichtigten Angriff mit Sicherheit nicht einen einzigen Tag laͤn⸗ 
ger verfchieben bürfe. 

Ohne fi Zeit zum Sammeln einer flärferen Macht zu nehmen, 
fiieg er in der Nadıt des fechdundzwanzigften Dezembers, alfo eine 
Woche vor der feſtgeſetzten Frift, an der Spike von nur hundert und 
achtzig Mann auf die Bega von Granada hernieder. Die Nacht war 
fbauerlih. Ein wilder Schneefturm wüthete im Gebirge und fuhr von 
da mit ſchonungsloſem Grimme auf die Nieberungen herab. **) 


%) Marmol, Rebelion de los Moriscos, Bd. I, ©. 235. 
*) „La furia horrible de los torbellinos 
Cada momento mas se vee yr creciendo ; 
Cubre la blanca nieve los caminos, 
Tambien los hombres luego va cubriendo.* 
So fingt, oder vielmehr, fo erzählt der Chronik⸗Dichter Rufo, deſſen aus viers 
undzwanzig @elängen beflebendes Heldengebicht beweiſt, daß er mehr Geſchichtſchrei⸗ 
ber, ale Dichter, war. Ja, er befennt felbft in der Borrebe, daß er ſich durchaus an 


Die Rebellion der Moriscos. 31 


Bon dem Aufruhr der Elemente begünftigt, foreirte fich Aben⸗ 
Farax, ohne Aufmerkſamkeit zu erregen, durch die verfallenen Mauern 
den Eingang in die Stadt, drang auf der Stelle in das Albaicin ein 
und ſuchte die Einwohner aus dem Schlummer zu weden. Einige 
wenige nur ſollen an bie Fenſter gefommen fein; da fle aber vernah⸗ 
men, was für eine Aufforderung an fe geftellt wurde, fchloffen fie 
eiligft die Fenfterflügel und zogen ſich zurüd, indem fie dem Aben⸗ 
Sarar antworteten: „es fei Tollheit, die Unternehmung mit fo gerins 
ger Macht zu wagen, und er fei zu früh gefommen.**) Vergebens 
ftieß der wüthende Anführer über ihre Perfidie und Feigheit Verwuͤn⸗ 
fhungen aus, vergebens marfchirte er durch die einfamen Straßen, 
zerftörte auf feinem Wege die Erucifire und andere hriftliche Glaubens» 
fymbole, und vergebene rief er die Lofung des Gläubigen: „Es ift nur 
Ein Gott, und Mahomed ift fein Prophet!” Glüdklicherweife übers 
täubte das Braufen ded Sturmes jeden andern Lärın. Erft dann, ale 
er auf eine Wache von fünf oder ſechs Soldaten traf, die auf einem 
öffentlichen Plage um ein Feuer herumfauerten, wurde Alarm gemacht. 
Einen davon machte Farar nieder, die übrigen entflohen unter dem 
Gefchrei, daß der Feind ihnen auf der Ferſe fei. Die große Glode von 
St. Salvador läutete nun Sturm und rief die Bürger zu den Waffen. 
Da aber ſchon der Tagesanbruch immer näher heranrüdte, und der 
maurifche Hührer fich zu einem Treffen, bei welchem er von feinen Brü- 
dern in dem Albaicin nicht unterftügt wurde, zu ſchwach fühlte, hielt 
er für gerathen, den Rüdzug anzutreten. Er zog fich zurüd mit fliegen» 
den Bahnen und klingendem Spiele, fo unerfchroden und in folcher 
Ordnung, als 0b ed nur eine Feiertagsparade geweien wäre. 


die Wahrheit gehalten habe: eine Bigenfchaft, welde die Haupttugend des Geſchicht⸗ 
fchreibere bildet. — Siehe die Austriada, Madrid 1584. | 

*) „Pocos sois, i venfs presto.“ — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 47. 
Hita theilt in feinem Werke ein Cancion mit, tefien Chorus die Klage enthält, daß 
die Bergbewohner den Angriff nicht zu früh, fondern zu fpät gemacht hätten: — 

„Pocos sois, y venis tarde.“ 

(Guerras de Granada, ®r. II, ©. 32.) Diefer Wivderfpruch erklärt fich dadurch, 
daß der Verfafler der Verſe, der wahrſcheinlich Hita felber il, vorausfegt, nicht tie 
Neujahrsnacht, fondern der Weihnachtsabend fei Die für den Angriff feſtgeſetzte Zeit 
gewefen. 


32 Zweites Kapitel. 


Mittlerweile famen die aus ihren Betten aufgeſchreckten Bürger 
jufammen, um bie Urfache des Tumultes zu erfahren. Aus ihren 
Augen ſchoſſen forfchende Blicke, ihre Gefichter waren blaß vor Furcht 
und ihre Unruhe verminderte ſich nicht etwa, als fie vernahmen, baß, 
während fie im Schlafe gelegen, die Feinde, gleich einer Heerde Wölfe, 
um ihre Häufer herumgelungert hätten. Der Marquis von Mondejar 
ließ feine Leute aufligen und würde augenblidlich die Eindringlinge 
verfolgt haben, hätte er nicht zuvor die wirkliche Stimmung in dem 
Albaicin kennen lernen wollen. Denn dort wohnte eine Bevölkerung 
von zehntaufend Moriscos, die, hätten fie bööwillige Abfichten gehegt, 
trog der redhtzeitigen Bemühungen der Regierung, fie zu entwaffnen, 
boch für die geringe ſpaniſche Befagung in der Alhambra zu flarf ge: 
weien fein würben. Nachdem er ſich jedoch verfichert hatte, daß in jes 
ner Gegend Alles ruhig fei, ftürzte er an der Spitze feiner Kavallerie 
und mit einer Eleinen Mannſchaft Infanterie hinaus, den Feind auf- 
zufuchen. Aber diefer war in die von Granada füdlich gelegenen Ge⸗ 
birgspäfle zurüdgefallen : daher Mendoza, nachdem er ihm, foweit ed ihm 
das blendende Unwetter erlaubte, den größeren Theil ded Taged auf 
der Spur geblieben, die weitere Verfolgung beim Anbruch der Nacht 
als hoffnungslos ausgab und feine abgemattete Reiterei wieder in bie 
Stadt zurüddrachte. 

Unterdefien durchftreifte Aben⸗Farax mit feinem Trupp bie 
fchneeigen Säume der Sierra Nevada, fam bei dem breiten, volfrei- 
chen Thale Lecrin heraus und verbreitete überall, wohin er fam, bie 
Nachricht, daß der Anfang der Infurrection gemacht und das Albaicin 
in Bewegung fei, und er forderte alle guten Gläubigen auf, zur Ver⸗ 
theidigung ihres Glaubens die Waffen zu ergreifen. Die Aufforderung 
fiel auf feinen fteinichten Boden. Ein Lauffeuer war jebt angezündet, 
das über das ganze Gebirge bis nach Granada reichte und ſich von 
Almeria und der öftlichen Gränze von Murcia bis in die Gegend von 
Velez Malaga weſtlich erfiredte. Binnen drei Tagen ftand das ganze 
Land unter Waffen. Alsdann machte fidy die wilde Leidenſchaft dee 
Arabers Luft — all’ jener unftillbare Haß, der, durch eine fiebenzig- 
jährige Unterdrüdung in feiner Bruft angehäuft, ſich als allgemeines 
einftimmiged Rachegefchrei offenbarte.e Das blutige Drama ward 


— u 


Die Rebellion der Moriecos. 33 


begonnen mit der Riedermebelung faſt eines jeden Chriften innerhalb 
der maurifchen Graͤnzen, und zwar unter den begleitenden Umſtaͤnden 
einer raffinirten, bedadyten Graufamfeit, wovon man glüdlicherweife 
in der Geſchichte nur wenige Beifpiele findet. *) 

Indeß mar der erfte Schritt der revolutionären Bewegung ein 
falfcher geweſen, in fo fern, al& ed den Aufſtaͤndiſchen nicht gelungen 
war, fi) in den Beſitz der Hauptſtadt, die für die künftigen Opera⸗ 
tionen einen ſehr wichtigen Stüßpunft geliefert haben würbe, zu ſetzen. 
Diefes Mißlingen aber beruhte, wenn die damaligen Gefchichtfchreiber 
Recht haben, mehr auf falfcher Berechnung, als auf Feigheit. Ihnen 
zufolge waren viele von den vornehmften Leuten in dem Albaicin reiche 
Bürger und an das wohlbehäbige, Innuriöfe, dem Geſchmacke ber 
Mauren fo zufagende Leben gewöhnt. Nie hatte es in ihrer Abficht 
gelegen, dadurch, daß fie fich in eigener Perfon in den furchtbaren 
Kampf mit der caftilifchen Krone einließen, ihr Vermögen in Gefahr 
zu bringen. Es war ihnen bloß daran gelegen geweien, ihre einfäls 
tigen Landsleute in den Alpujarras zum Widerftande anzutreiben, um 
die Spanier einzufchüchtern und fie zur Milderung, wo nicht Aufhes 
bung der verhaßten Ordonnanz zu bewegen. ** Wenn fie wirklich fo 
berechnet hatten, waren fie, wie bie Folge zeigte, fehr im Irrthume ges 
wefen. - 

Da die Moriscos jegt ihre Unabhängigkeit proflamirt hatten, 
wurde ed nöthig, an die Stelle des Herrichers, defien Autorität fie bei 
Seite geworfen hatten, einen neuen zu wählen. %ür biefen gefährs 
lichen Borrang erforen die Führer im Albaicin einen jungen Mann, 
der den Spaniern unter feinem caftilifchen Namen Don Yernando de 
Balor befannt war. Er ftammte in directer Linie aus dem alten Haufe 
ber Omeyas***) her, das ziemlich vierhundert Jahre lang ruhmreich 

*) Marmol, Rebelion de los Moriscos, ®d.I, &. 238. — Mendoza, Guerra 
de Granada, ©. 45—52. — Miniana, Hist. de Espana, S. 367. — Herrera, 


Historia General, ®d. I, ©. 726. — Ferreras, Hist. d’Espagne, Bd. IX, 
&. 573—875. 

») „Creyendo que lo uno y lo otro serie parte para que por bien de paz 
se diese nueva orden en lo de la prematica, sin aventurar ellos sus personas 
y haciendas.* — Marmol, Rebelion de los Moriscos, Dd. I, ©. 239. 

») Mach der unbeftreitbaren Nutorität meines gelehrten Freundes Don Pascual 
Prescott, Geſch. Bhiltpp's li. IV. 3 





34 Zweites Rayitel. 


auf dem Throne von Cordova gefefien hatte. Er war bei feiner Wahl 
ef zwei und zwanzig Jahre alt und befaß, einem Zeitgenoſſen, der 
ihn geichen,, zufolge, eine hübſche Geſtalt und ein einuchmended Bes 
tragen. Sein Geſicht war tief olivenfarbig, fein Bart dünn, fein Auge 
groß und ſchwarz; bie Augenbrauen waren flarf marlirt umd liefen 
beinahe zuſammen. ) Trot dieſes von ber Feder eines Gafilianers 
. entworfenen fchmeichelhaften Bildes laͤßt und feine folgende Laufbahn 
ſchließen, daß feine befte Empfehlung feine Abkunft von ber Föniglichen 
Familie war. Obgleich noch fo jung, hatte er body fo lüberlidh ger 
wirthichaftet, daß fein vaͤterliches Erbiheil vergeubet war und daß er 
ſich gerade jetzt im Schuldgefängnifle befand. Er befaß das feurige 
Ternperament feiner Ration: daB hatte er bewiefen, als ereigenhänbig 
einen Mann, welcher in einem Griminalprocefie gegen feinen Bater 
gezeugt, ermordet hatte. Doc kann man nicht leugnen, daß er unge⸗ 
achtet ſeines Hanges zum Lurus einige Stärfe des Charakters und 
einen unzweifelhaften Muth bewies. Er war den Inftitutionen feines 
Sandes zugethan und verbarg feine Wildheit unter einem einſchmei⸗ 
chelnden, gefälligen Atußeren- das ihn zum Lieblinge der Menge 
machte. **) 

Bald nach feiner Wahl, "unmittelbar vor dem Eindringen des 
Aben⸗Farar, gelang ed dem Morisco⸗Fürften, von Granada zu ent⸗ 


be Bayangos im Arabifchen Beni Umeyyah. Giche feine Mohamedaniſchen Dy⸗ 
naftien in Spanien an unterſchiedlichen Orten. 

*) Era mancebo de veinte y dos aüos, de poca barba, color moreno, ver- 
dinegro, cejijunto, 0jos negros y grandes, gentil hombre de cuerpo : mostraba 
on su talle y garbo ser de sangre real, como en verdad lo era, teniendo los 
pensamientos correspondientes. — Hita, Guerras de Granada, ®b. II, ©. 13. 

Pur Wenige dürften in den rohen Tadel des gelehrten Nic. Antonio einftimmen 
wollen, der Hita's herrlichen Werke ,,Miteflfihe Erzählungen, die nur Faullenzer 
und Gedankenloſe ergöken können,‘’ nennt. (Bibliotheca Nova, Od. I, ©. 536.) 
Ohne Zweifel war Hita der König derRomanfchreiber; allein, Fiction iſt doch feine 
Unwahrheit, und wenn uns der Novellenbichter, der an den Kriegen in den Alpus 
jarrae Theil nahm, von Dingen erzählt, die er, wie er verfichert, mit eignen Augen 
geſehen hat, fo dürfen wir ihn gewiß als eine gefhichtliche Autorität citiren. 

”") „Usava de blandura general ; querio ser tenido por Labeza, i no por 
Beila crueldad, la codicia cubierta engand & muchos en los principios.“ — 
Mendoza, Guerra de Granada, ©. 129. 


Die Rebellion der Meriscoe. 35 


fomınen. Er floh in das Gebirge, wo er bei:feinen Verwandten, ber 
mächtigen Bamilie der Valoris im Dorfe Beznar, eine Zufluchtsftätte 
fuchte. Hier fchaarten fich feine Landsleute um ihn her und beftätigten 
durch Acclamation die Wahl des Volfed von Granada. Das vers 
banfte der junge Häuptling großentheild den Bemühungen feines 
Oheims Aben-Iahuar. Diefer, der gewöhnlich EI Zaguer genannt 
wurbe, befaß bei feinem Stamme großes Anjehen und gab feine eigenen 
Anfprüche auf dad Scepter zu Gunſten feines Neffen auf. 

Die Krönungsfeierlichfeit war Friegeriicher Ratur und paßte treff 
lich zu den rauhen Glüdsumftänden des Abenteurerd. Bier mit dem 
moslemitiſchen Halbmonde verzierte Standarten waren auf dem Boden 
ausgelegt, indem ihre Spigen je nach den vier Himmeldgegenden hins 
wieſen. Der maurijche Fürft, angethan mit einem SBurpurmantel und 
mit einer carmoifinrothen Schärpe (Shaw) um feine Schultern , als 
den Infignien der Königswürde, Iniete auf die Banner nieder, wandte 
das Geficht gen Mecca und ſchwur feierlich, nachdem er ein kurzes 
Gebet verrichtet, daß er für die Vertheidigung feiner Krone, feines 
Glaubens und feiner Unterthanen leben und fterben wolle. Alsdann 
warf fich einer feiner vornehmften Diener-auf die Erde nieder und 
füßte, zum Zeichen der Huldigung des Volks, die Fußſtapfen des neu⸗ 
erwählten Monarchen. Hierauf nahmen ihn vier Diener auf ihre 
Schultern und hoben ihn empor unter dem Zuwinfen der Banner und 
ben lauten Zurufe ber Menge: „Allah erhöhe Muley Mohameb- 
Aben Humeya, den Herrn von Andalufien und Granada!”*) Diefer 


*) Ebend. ©. 40. 
Die Krönungsfeierlichkeiten nahmen begreiflicherweile im Heldengebichte Rufe’ 
einen hervorragenden Platz ein. Bine Stange wird genug fein: — 
„Entoncas con aplauso le pusieron 
Al nuero Rey de purpura un vestido, 
Y a manera de beca le cineron 
Al cuello y ombros un cendal brunido, 
Quadro vanderas a sus pies tendieron, 
Una häzia el Levante esclarecido, 
Otra a do el sol se cubre en negro velo, 
Y otras dos a los polos dos del cielo.* 
La Austriada, Fol. 24. 


3% 


36 Gweites Kapitel. 


einfachen Formen hatten ſich in alten Zeiten die arabifchen Fuͤrſten 
Spaniens bedient, als ſich ihre Herrſchaft, weit entfernt in den engen 
Helfengurt des Gebirges eingefchloflen zu fein, noch über die fchönften 
Theile der Halbinfel erfiredte. *) 

Der erfte Akt Aben⸗Humeya's war die Ernennung der Befehls⸗ 
haber des Heered. Seinen Oheim EI Zaguer ernannte er zum Ober, 
befehlöhaber feiner Streitinacht. Den Aben⸗Farax aber, der felber nad 
dem Diadem geftrebt hatte, brachte er fich ettdad vom Leibe, Indem er 
ihn damit beauftragte, fo viel ald moͤglich Schäte aus den chriftlichen 
Kirchen in den Alyujarras zufammen zu fchaffen. Zugleich ernannte 
er Beamte für die verfchiedenen Tahas oder Diftrifte, in welche das 
Zand eingetheilt worden war. Nachdem dieſe Anordnungen getroffen 
waren, verlegte ber neue Monarch — den die Spanier verächtlich den 
Meyezuelo (den Kleinen König) der Alpuiarrad nannten — feine Res 
fidenz in den Mittelpunkt feines Gebietes und wieberhofte dort bie 
Krönungsfeterlichfeiten. Auch machte er eine fchnelle Rundreiſe nach 
allen Hauptorten bed Gebirges und forderte bie Einwohner auf, zu 
ihrem alten ®lauben zurüdzufehren und dad verhaßte fpanifche Joch 
abzumerfen. Indem er ſich hierauf in der wildeften Gegend ber Alpu- 
jarra® niederließ, 309 er dafelbft feine Streitfräfte zufammen und ents 
warf den Feldzugsplan. Diefer entfprach ganz der Beichaffenheit des 
Terraind. Der Boden, zerriffen und abſchuͤſſig, durchfchnitten von 
mancher tiefen Schlucht und von gefährlichen Paͤſſen, bot ausgezeich- 
nete Gelegenheit, einen eindringenden Feind zu beunruhigen und ihn 
unrettbar in Defilé's zu verftriden, wo ein Baar der Gegend fundige 
Bergbewohner einem an Disciplin und Zahl weit überlegenen Feinde 
viel zu Schaffen machen fonnten. 

Während Aben-Humeya auf diefe Weife mit den Vorbereitungen 
zum Kampfe befchäftigt war, hatte dad Toͤdten ber jpanifchen Bevoͤl⸗ 
ferung in den Alpujarras fchon begonnen, und zwar befanden ſich 
mehr oder weniger Spanier in allen jenen maurifchen Städten und 
Gehöften, welche gleich gefprenkelten Flecken an den bunfeln Seitens 


*) „Tal era la antigua ceremonia con que eligian los reyes de la Anda- 
Iucia, i despues los de Granada.“ — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 40. 


Die Rebellion der Moriscos. 37 


wänden ber Sierra lagen oder unten an ihrem Buße fi) In den grünen 
Thaͤlern eingeniftet hatten. Hier wohnten fie an der Seite der Mos 
riscoo und waren wahrfcheinlich weniger mit den Arbeiten des Web⸗ 
ſtuhls, durch die fich feit langer Zeit die Einwohner dieſer Gegend 
außzeichneten, als vielmehr mit jener forgfältigen Landwirthſchaft bes 
fchäftigt, die fie ihren maurifchen Nachbarn vielleicht abgelernt hatten 
und wodurch fie jeden Blab mit Grün befleideten und bie Wildniß 
wie eine Roſe blühen macdhten*). Indem fie alfo unter Denen lebten, 
die mit ihnen die nämliche Religion befannten umb wenigftend geles 
gentlicy mit ihnen bie Liebesdienſte des gefellfchaftlichen Lebens, welche 
bisweilen zum Anfnüpfen engerer Bamilienbande führten, austauſch⸗ 
ten, lebten die Chriften der Alpujarras in einer blinden Sicherheit 
und dachten keineswegs daran, daß unter ihren Füßen eine Mine 
angelegt war. 

Doc faum war dad erſte Zeichen zum Aufruhr geblafen, ald 
ſich gleichlam wie durch Zauber die Scene umwandelte. Ieder Do» 
risco entlarote fich jest, kehrte ſich gegen die Ehriften und zeigte ſich 
in feiner wahren Geſtalt — als ihr gefchmorner, tödtlicher Feind. 

Eine derartige gleichzeitige Bewegung von fo großer Ausdeh⸗ 
nung läßt einen wohlverabrebeten Operationsplan vorausfeßen, und 
wir mögen daher wohl in das Staunen ber caftilifchen Schriftfteller 
mit einftimmen, daß ein folches, fo vielen Perſonen bekanntes Ge⸗ 
heimniß fo lange treu verfchwiegen bleiben fonnte, zumal da Dies 
jenigen, welche das größte Intereffe e8 zu entdeden**) haben mußten, 
mitten unter den Moriscos lebten und, wir fönnen hinzufügen, theil- 
weife Spione der Inquiſition mit einem feheinbar faft übernarürlichen 


9 „Que en la agricultura tienen 
Tal estadio, tal destreza, 
Que 6 proneoes de su hasada 
Hacen fecundas las piedras.*“ 
Culderon, Amar despues de la Muerte, Jornada II. 


* . „Tres años tuvo en ailoncio 
Esta traicion encubierta 
Tasto udmero de gemtes, 
Cosa, que admira y cleva.“ — hend. wie oben. 


* 


38 gweites Kapitel. 


Geruchsvermögen zum Ausfpüten der Keberanrüchigfeit, waren *). 
Es bemweift den ſtarken Haß des Morisco, daß er fo lange der bie 
Zunge löfenden gemüthlichen Unterhaltung widerſtehen Eonnte, fowie 
dem Mitleid, das in ähnlichen Fällen, um einen Freund vom Schid- 
fale feiner Genoften zu retten, häufig dem Herzen Luft macht. Allein 
bei diefen außerorbentlichen Leuten fand ſich kein ſolches Beifpiel des 
Leichtfinnd ober des Erbarmens. Als nun bie Stunde fchlug, wo die 
EHriften aus den drohenden Blicken und Geberden ihrer moßlemitifchen 
Nachbarn die Gefahr entdedten, waren fie in bemfelben Grade ers 
ftaunt,.wie der forglofe Wanderer, auf den, während er unbefünmert 
durch eine angenehme Gegend reift, plöglic aus feinem Berfted neben 
der Landſtraße der Räuber losſtuͤrzt. 

Der erfte Impuls ſcheint die Chriften meift in die Kirchen ge« 
trieben zu haben, weil fie da ficher zu fein hofften: war doch in jedem 
Dorfe — mochte es auch noch jo Hein fein — wenigftens Eine 
Kirche, wo die beiden Ragen ſich zu den gotteödienftlichen Gebraͤuchen 
des Chriftenthums zufammenfanden. In den heiligen Gebäuden und 
in der Gegenwart ihrer hochverehrten Paftoren, deren geiftliche Autos 
rität fich über alle Einwohner erftredte, glaubten fie Schug zu finden. 
Allein dad grimmige Thier des Waldes, das jept feine Freiheit wieder 
erlangt hatte, achtete wenig auf die Stimme feines frühern Wärters 
— wenigftend bloß, um ſich umzufehren und ihn zu zerreißen. 

Hier zufammengepfercht gleich einer Heerde erſchreckten Wildes, 
dem die Hunde auf der Spur find, fanden die eingefchüchterten Leute 
bald heraus, daß die Kirche Fein ficherer Platz fei und flüchteten ſich 
in den anftehenden Thurm, weil er fefter war und gegen Feinde befiere 
Bertheidigungsmittel enthielt. Die Scyaar ihrer Verfolger brady 
darauf in die Kirche ein, beraubte fie aldbald ihres Zierathes, ſtampfte 
die Grucifire und andere religiöfe Symbole unter ihre Füße, wälzte 
die Heiligenbilder im Kothe und entweihte die Altäre durch das 


— 





*) „Una eosa mui de notar califica los prineipios desta rebelion, que 
gente de mediana condicion mostrada & gaardar poco secret, nablar juntos, 
callasen tanto tiempo, i tantos hombres, en tierra donde hai Alcaldes de corte 
i Inquisidores, cuya profesion es descubrir delitos.* — Mendoza, Guerra 
de Granada, ©. 36, 


Die Mebellion der Noriecos. » 


Opfern von Schweinen ober durch eine andere, ihre Verachtung und 
ihren Haß ber chriftfichen Gottesverehrung anzelgende Handlung ). 

Hernach griffen die Moriscos die Thürme an, deren Eingang 
die Spanier fo ſtark ald möglich verbarricabirt hatten. Freilich konnten 
auch bier die Chriſten nur geringe Hoffnung, eine Belagerung aus⸗ 
zubalten, haben, denn, mit Ausnahme ber in ber Eile der Flucht auf 
gerafften Waffen, befaßen fie keine Bertheibigungsmittel. Leider 
waren diefe Thürme mehr oder weniger von Holz gebaut, an weldye® 
die Angreifer eilends Feuer legten und fo die bebauernswerthen Darin⸗ 
befindlichen zwangen, entweder fich zu ergeben, ober in den Flammen. 
unterzugehen. Manchmal wählten fie das letztere, und dann flarb bie 
feine Befagung von Männern, Frauen und Kindern zufammen auf 
gemeinfchaftlichem Scheiterhaufen. Häufiger jeboch fcheuten fie dieſen 
ſchrecklichen Tod und übergaben ftch ihren Yeinden auf Gnade und 
Ungnabe, worauf ihnen dann auch foldye Gnade erwieſen wurde, baß 
fie bereueten, daß fle nicht unter den brennenden Sparren geblieben 
waren... 

Die Männer wurden ſogleich von den rauen gefchieben, um 
wie das liebe Vieh unter Schlägen und Fluͤchen hinter Schloß und 
Riegel getrieben zu werden. Sein Tag verging, an welchem fie nicht, 
zur Berlängerung: ihrer Leiden je zu dreien oder vieren aus dem ab» 
fheulichen Gefaͤngniß hervorgezogen worden wären. Alsdann wurben 
fie mit auf den Rüden gebundenen Händen und entblößt in einem 
wäthenden Poͤbelhaufen hineingaworfen, der, aus beiden Geſchlechtern 
beftebend und mit Schwertern, Beilen und Knuͤppeln bewaffnet, feine 
Opfer bald zu Boden ſchlug und das blutige Werk vollbrachte. 

Um der launenhaften Grauſamkeit der Schlächter genugzuthun, 
mußte pie Topedart oft abwechieln. Fu Guecija, wo der Olivenbaum 
in Menge vorhanden war, gab es ein Auguftinerflofter, defien Mönche 
in Keſſeln fiedenden Deles ermordet wurbden**), Manchmal begleiteten 


9 Bieda, Cronica de Espana, S. 680. — „Robaron la iglesia, hicieron 
pedazos los retablos y imagines, destruyeron todas las cosas sagradas, y ne 
dexaron maldad ni sacralegio que no cometieron.* Marmol, Bebelion de 
Grenada, Br. I, ©. 373. 

) „Quemaron por voto un convento de EFiailes Angustinos, quo 08 





40 Sueites Kapitel. 


ben Tod des Opfers Umſtaͤnde einer teuflifchen Grauſamkeit, die nicht 
einmal durch etwas von unſern nordamerikaniſchen Wilden Berich- 
tete übertroffen worden if. In einen Orte, Namens Pitres be 
Ferreyra, wurde der Prieſter des Dorfes vermittelt eines Kloben au 
einen aus dem Thurme bervorfichenden Ballen hinaufgezogen und 
dann aus einer großen Höhe auf den Boten herabfallen gelaflen. 
Diefer Akt wurde mehrmals in der Gegenwart feiner alten Mutter 
wiederholt, die fchmerzuoll ihren fterbenden Sohn umarmte und ihn 
anflehte, „in Gott und bie gefegnete Jungfrau zu vertrauen, welche 
ibn durch diefe Marten in das ewige Leben einführen wollten.” 
Darauf wurbe ber zerfleifchte, an jeden Gliede gebrochene und vers 
renkte Körper ded armen Opfers den maurlichen Frauen, die ihn mit 
ihren Scheeren, Ziehnabeln und andern weiblichen @eräthichaften 
ſchnell vollends töbteten, übergeben *). 


In der That fcheinen während ber ganzen Verfolgung bie 
Frauen einen eben fo tollen Durft nad) Rache, wie die Männer, 
‚befeffen zu haben. Sogar die Kinder ermuthigte man, ihre Rolle in 
ben blutigen Drama zu fpielen, fo daß mancher erbarmendiwürbige 
Gefangene für die Pfeile der maurijchen Knaben als Zielfcheibe aus⸗ 
geftellt wurde. 


Die Wuth der Barbaren war hauptlächlich gegen die Briefter 
gerichtet, weil dieſe gegen bie den Moslem liebe Religion jo oft Ana⸗ 
tbemata gefchleubert und als ihre geiftlichen Borgefepten fie oft für 
Verſtoͤße gegen tie von ihnen verabfcheute Religion zur Rechenſchaft 
gezogen hatten. Zu Coadba wurbe ber Prieſter vor einem Beden 
glühender Kohlen ausgeftredt, bis feine mit Bed) und Del beftrichenen 
Fuͤße zu Alche verbrannt waren. Seine beiden Schweftern wurden 
gegwungen, ben Schmerzen be6 Bruders, die durch bie brutale Bes 


— — 


recogieron a la Torre echandoles por un horado de lo alto azeite hirviendo: 
sirviendose de la abundancia que Dion les did en aquella tierra, para ahogar 
sus Erailes.“ — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 60. 

9 Mermol, Rebelion de Granada, Ob. I, ©. 371. — Ferreras, Histoire 
d'Espagne, Bd IX, ©. 588. 


Die Rebellion der Moriscos. 4 


handlung, welche er die Geſchwiſter von feinen Qudlern aushalten 
fah, nody vermehrt wurden, beizumohnen *). 

Gewöhnlich wurde Feuer zur Tortur gebraucht, was möglicher- 
weiſe eine Wiedervergeltung für ähnliche, den Ungläubigen von ber 
Inquiſttion angethane Dualen fein follte. Mitunter fchienen bie 
Strafen fo zugeftugt zu fein, daß fie eine teuflifche Parodie auf bie 
®ebräuche der römifchstatholtfchen Religion bildeten. In der Stadt 
Filix mußte der Baflor vor dem Altar feinen Sig einnehmen, wähs 
rend feine beiden Safriftane zu beiden Seiten faßen. Die Glocke 
wurde geläutet, als ob die Leute zum Gottesdienſt zuſammenkommen 
ſollten. Jedem Safriftane gab man ein Berzeichniß mit den Namen 
ber Mitgfieber der chriftlichen Gemeinde, welche fie, um zu fehen, ob 
Niemand abweſend wäre, wie gewöhnlid vor dem Gottesdienſt, ab⸗ 
lefen mußten. Sowie jeder Morisco auf feinen Namen antwortete, 
ging er an dem Priefter vorbei und gab ihm einen Schlag mit der. 
Fauſt oder die Frauen ranften ihn beim Bart und Haupthaar, indem 
fie den Akt mit einem derben Schimpfiworte, das ihren töbtlichen Haß 
ausdrüdte, begleiteten. Nachdem auf biefe Weife jeder Moridco bie 
Gelegenheit gehabt hatte, feinen perfönlichen Groll an dem früheren 
Paftor auszulaſſen, trat der Scharfrichter mit einem Rafirmefler ber 
vor, ſchand das Geſicht des Geiſtlichen in der verabjcheuten Form 
eines Kreuzes und ging dann daran, Indem er ben Anfang bei den 
Fingern machte, feinem elenden Opfer bebädjtig jedes lied vom 
Körper loszutrennen **). 

Aber es ift unnöthig, den Lefer durch eine längere Beichreibung 
diefer grauenhaften Details zu empören. Wir haben ihm deren jchon 


*) „Y para darle mayor tormento traxeron alli dos hermanas doncellas 
que tenia, para que le viesen morir, y en su presencia las vituperaron y mal- 
trataron.* — Marmol, Rebelion de Granads, Dd. I, &. 316. 


*“) „Lieg6 un herege & él con una navaja, y lo persinö con ella, hen- 
diendole el rostro abaxo, y por trav6s; y luego le despedazd coyuntura por 
coyuntura, y miembro & miembro.“ — Gbend. ©. 348. 

Unter andern von ihnen erfundenen Marten, jagt Mendes, füllten fe den 
Pfarrer von Manena mit Bulver und ſprengten ihn in bie Luft. — Guerra de 
Granada, ©. 60, 





43 weites Kapitel. 


genug gegeben, nicht nur, um die Rachfucht des Moridco zu zeigen, 
fondern aud, um Belege zu dem Urtheil zu bieten, daß bloß eine 
lange graufame Behanblung und Uintervrädung den Morisco dazu 
vermögen konnten, feine Rache in fo fchredlicher Weife auszulafien”). 
Die Geſammtzahl der binnen einer Woche in diefen Maflacred umges 
fommenen Ehriften beläuft ſich — wenn man ten Angaben der cafli« 
liſchen Echriftfteller Glauben fchenfen darf — auf nicht weniger ale 
breitaufend**). Wenn man bie focialen Beziehungen in Betracht 
zieht, die bis zu einem gewiſſen Grade zwiſchen fo alten Nachbarn 
geherricht Haben mußten, fo follte man denfen, daß man in manchen 
Fällen mit den Duldern Mitleid empfunden, oder daß, um einen 
Freund oder Genoſſen vom allgemeinen Untergange zu retten, ſich ein 
fchüsender Arm. gezeigt hätte. Allein, das einzige annaͤherndſte Beis 
fpiel einer ſolchen Menſchlichkeit gab ein Morisco, indem er einen 
‚Spanier mit feinem Schwerte durchſtach, um ihn auf biefe Weile von 
einem ihn fonft erwartenden Iangfamen Tode zu retten ***). 


*) Unter allen fpanifchen Geſchichtſchreibern offenbart feiner einen fo unerfätt- 
lichen Appetit nach dieſen Schredficykeiten, wie Ferreras, der der Aufzählung ber 
von den Moriscos bei diefer Verfolgung verübten teuflifchen Graufamfeiten beinahe 
fanfzig Duartfeiten widmet und im Ganzen zu der chriſtlichen Maͤrtyrergeſchichte 
einen bedeutenden Beitrag liefert. Indeß bleibt es zweifelhaft, ob die Spanier völlig 
berechtigt find, für alle bei dieler Berfolgung Umgelommenen die Märtyrerfrone 
zu beanfpruben. Diejenigen allerdings verdienen fie, die ihr Leben hätten durch 
die Abfchwörung ihres Glaubens erfaufen können; allein, es liegt Fein Beweis 
vor, daß fi dieſe Gnadenbedingung auf Alle erſtreckte. Wir können überzeugt 
fein, daß den Handlungen der Moriscos noch etwas Anderes, als veligidfer 
Haß, zu Brunte lag, indem die Moslems als eine unterjocdhte Race glühenten 
Haß gegen ihre Broberer und Durf nach Rache für bie vieliältig erbuldeten Leiden 
empfanden. 


) „Murieron en pocos mas de quatro dias, con muertos exquisitas y no 
imaginados tormentos, mas de tres mil martires.“ — Vanderhammen, Don 
Juan de Austria, Fol. 70. 


"*) „Se adelantö un Moro, que solia ser grande amigo suyo, y hacien- 
dose en oontradiso con €l en el umibral de la puerta, la atravess una espada 
por el cuerpo, dieiemdole: Toma, amigo, que mas vals que te mate yo que 
— Marmol, Rebelion de Granada, ®b. IL, ©. 377. 


Die Rebellion der Moriscos. 43 


Bon ber ganzen chriftlichen Bevölferung kamen nur wenig 
Männer, die den Moslems in die Hände gefallen waren, mit dem 
Leben davon. Die Brauen blieben nicht immer verfcehont. Beſonders 
bie maurifchen Frauenzimmer, die chriftliche Männer geheirathet, das 
Ehriftentbum angenommen und ed nicht abfchwören wollten, wurden 
für ihr eigenes Geichlecht zu Gegenftänden der Rache, Leider ger 
währte nicht einmal die unjchuldige, hülflofe Kindheit vor der Ver⸗ 
folgungswuth Schub. Die Gefchichtfchreiber erwähnen die Namen 
verjchiedener Knaben von zwölf und dreisehn Jahren, welche bats 
bariſch gemorbet wurden, weil fie nicht die Religion, in ter fie 
auferzogen waren, mit derjenigen Mohameds vertaufchen wollten. 
Konnten fie wegen ihrer Jugend ihren Glauben auch noch nicht bes 
gründen, fo Batten fie wenigftens in der Schule auswendig gelernt, 
daß die Verleugnung des Glaubens eine große Sünde fei, und als 
fie nun wie Laͤmmer zur Schladhtbanf geführt wurden, follen ihre 
Diütter, welche die Regungen der Natur aus Gehorfam gegen ein 
höheres Gefeb zum Schweigen bradıten, fie angeſpornt haben, nicht 
vor der Probe zurüdzufchreden und nicht um ein Paar Jahre Leben 
ihre Seelen zu verhandeln*). Ein katholiſcher Gefchichtichreiber iſt 
nidht wenig ſtolz darauf, daß unter allen in biefen fürdhterlichen 
Megeleien Umgekommenen es nicht ein einziges Individuum irgend 
eines Alters oder Geſchlechts gab, das feine perfönliche Sicherheit 
durch das Aufgeben feiner religiofen Ueberzeugung zu erfaufen fich 
verſucht gefühlt hätte**). Im Gegentheil verwandten fie die ihnen 
geitattete kurze Brift, fi einander Muth einzufprechen und für bie 
Wahrheit fo ernftlich Zeugniß abzulegen, daß fie fi) gleichſam um 
die Märtyrerfeone zu bewerben fchienen. Freilich gab es zuges 
ftandenermaßen unter dieſen Märtyrern manche, deren biöheriges 
Leben eine nur fchwache Einfiht von tem Werthe der Religion, 


— — — — — 


®) Ferreras, Hist. d’Bepagne, Bd. IX, &. 617. 

) „Fue gran testimonio de nuestra f& i de compararse con la del tiempo 
de los Apostoles; qne en tanto nnmero de gente como muri6 a manos de 
. infieles ninguno huvo que quisiese renegar.* — Mendoza, Guerra de Gra- 
nada, ©. 61. 





44 Zerıs Rasur. — Te lin ne σ 


u wiche dr Bex Immer E ep CH Ser, 
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5 Im Min kur, tem Iecahc.urz Äxte sen Ercmukz teten 
Buy‘ oe rm er it, we tab I wine Id u 
Byı.sııs waren a va he, x ut wi wem Gm em 
von Ars Lımesa Samen Axt: amisciiee, mm er alle 
Immhrir; sehen. Bokız cr au Sm, 1a sad ar mi Bere, 
wie konn ne kumisieze wir tem Becken serie Er 
s 1 Briiagche zıicemer zu te dest Örzmumm vet 
inmen Ay abitlıken. Eo lu a x lirsar tie Sardacn 
von nit wer:zer 215 zweiiamnten wzt zur Fo dee Sa u 
Geiiclichen . Secine Reise tm rad Era zinz weuib Ber bee 
Ycidmemı ma Erxria. 

Eo arimmig Aben⸗Humcya auch war, beaũñũ cr tech neck eir:ıe 
Aunten mrmitliden Getkti6, welche bemwirfıen, taß er über tie greßs 
artigen E4littereien feıncd Beamten cmron wır. Er wur um te 
mehr auigebradt, als er nach Urirar eilte, um das chen einiger ber 
ferunteien Geiangenen in reiten, aber bei jeiner Anfunit iane, daß er, 
weit der Hann des Blutes vor ihm dageweſen, zu mät gefommen 
wer. Bald darauf ließ er einen Beamten vor fich laden, nicht in ber 
unyoliciihen Abſicht, ihm seine Grauiamfeiten vormbalten, tondern 
um ihn wegen ter aus den Kirchen geplünderten Echüge zur Rechen» 
ſchaft zus zichen; und weil er mit dem gegebenen Nachweis entweder 
wirtlih unzufrieden war, oder doch fo that, fehte er auf der Stelle 
den Aben⸗Farar von jenem Amte ab. Der wilde Führer fügte fi 
ohme zu murren. Er flieg hinab in den Rang der Gemeinen, um 


*, „Todos esturieron tan eonstantes en la f&, que si bien fueron combi- 
6ndus con grandes riquezas y bienes 4 que la dejasen, con ninguno se pudo 
neabar; aunque entre los martyrizados huvo muchas mugeres, ninos, y bom- 
bres que a havian vivido desoompuestamente.“ — Salazar de Mendoza, Mo- 
naryula de Espana. ©p. II, ©. 139. 

**) „Murleron este dia en Uxixar docientos y quarenta Christianos cleri- 
g0s y legos, y entre ellos seis canonigos de aquella iglesia, que ea colegial.“ 
— Marmol, Rebellion de Granada, Ob. I, ©. 297. 


Drittes Kapitel. — Die Rebellion der Moriscos 45 


nicht wieder auf der Scene zu ericheinen. Er war einer von jenen 
Unbheitlftiftern, welche der Strudel der Revolution an die Oberfläche 
treibt; nachdem fie dort eine Zelt lang geſchwommen, verſchwinden 
fie aus den Augen, und die Wogen ber Gefchichte fchließen fich über 
ihnen auf immer. 


Drittes Kapitel. 
Die Rebellion der Moriscos. 


Der paniſche Echredlen in Granada. — Truppenmufterung. — Monbejar zieht zu 
Felde. — Die gefährliche Baflage bei Tablate. — Der Ruͤckzug der Moriscos. 
Das Treffen bei Alfajarali: — Gefährliher Marſch. — Das Maflacre zu 
Jubiles. — Die befreiten Ehriften. 


1568, 1369. 


Da die Leute in Granada mit jedem Tage neue Nachrichten von 
den in den Alpujarras verübten Gräuelthaten erhielten, füllte ſich bie 
ganze Stadt mit Kummer und Echreden. Während man die Männer 
in Haufen auf den öffentlichen Plägen zufammenftehen fehen Fonnte, 
liefen die Srauen von Haus zu Haud, um die fehredliche Kunde, die 
durch Wiedererzählen kaum übertrieben werben fonnte, zu berichten. 
Man drängte fih in die Kirchen, wo der Erzbifchof und die Geift- 
lichen, um den Zorn ded Himmeld von Granada abzumenden, den 
ganzen Tag über beteten, Die Pläge, wo fonft Gefchäfte verrichtet 
wurden, fanden öde. Die Läden und Buden waren gefchloffen*). 
Weil man fidy des neulichen Einbruchs des Aben-Barar erinnerte, 


9 „Estavan las casas yermas i tiendas cerradas, suspenso el trado, mu- 
dadas las horas de oficios divinos i humanos; atentos los Religiosos i ocupa- 
dos en oraciones i plegarias, como se suele en tiempo i punto de grandes 
peligros.“ — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 54. 

Mendoza malt den Schreden von Granada mit der Feder eines Tacitus. 





46 Drittes Kapitel. 


griff die Beſorgniß um fi, daß die Bergbeiwohner mit einem zweiten 
Angriffe auf Die Hauptftabt umgingen und mit bein Beiftande ihrer 
Landöleute in dem Albaicin bald die Straßen mit dem Blute der 
Ehriften zu uͤberſchwemmen gebächten. Bon dieſen Befürchtungen 
veranlaßt fuchten Einige eine Zuflucht in der Seftung der Alhambra; 
Andere dagegen flohen auf das Land. Viele wachten die langen 
Nächte über, während die fich Niederlegenden bei dem geringften 
Geräufche aus ihrem Schlummer auffuhren, inden fie dad Kriegs» 
geichrei der Moslems zu hören und den Feind vor den Thoren 
glaubten. 


Hoch war die Beforgnig, welche die Moriscos empfanden, ges 
ringer, als bie der Ehriften, obfchon fie gegrünbeter war: — benn 
bie Moriscos waren der fchwächere Theil in der Stadt. Sie fannten 
die von den Ehriften gehegten Befürchtungen und wußten, baß bie 
Menfchen, fobald fie fih nur von ihrer Furcht befreien können, fich 
nicht eben lange wegen der anzuwendenden Mittel zu bedenken pflegen. 
Bei Tage wagten fie fi) nicht auf bie Straße, und des Nachts ver- 
rammelten fie, wie bei einer Belagerung, ihre Hausthüren*). Sie 
fahen jehr gut ein, daß eine einzige unfluge Handlung von ihrer 
Seite, oder: felbft der geringfügigite Zufall die Spanier über fie bringen 
und zu einer allgemeinen Schlächterei führen fonnte. Sie glichen dem 
Reifenden, der über feinem Haupte die bewegliche Lawine fteht, die 
der geringfte Stoß der Elemente oder feine eigenen unvorfichtigen Ber 
wegungen aus ihrer fehlüpftigen Grundlage losmachen und verderben» 
ftiftend auf fein Haupt herabbringen kann. Auf dieſe Weife waren 
die von zwei verfchiedenen Rasen abftaımmenden Einwohner einer und 
berielben Stadt gleichfam in zwei feindliche Heerlager getheilt, betrach« 
teten einander mit aufmerffamen, verbächtigen Bliden, und waren 
jeden Augenblid auf einen tödtlichen Conflict gefaßt. 


Bei diefem Stande der Dinge fuchten die Moriscos die Beſorg⸗ 
niffe der Spanier zu befchwichtigen, waren verſchwenderiſch mit ihren 
Ergebenheitö-Erflärungen und mit Berficherungen, daß fie mit ihren 


*) Circourt, Hist. des Arabes d’Espsgna, Bb. U, ©. 322. 


Die Rebellion ber Moriscos. AT 


Landöleuten in ben Alpujarrad weder ein Einverfländniß noch Sym⸗ 
pathie hätten. Um unter den Ehriften ein ftärfered Bertrauen zu ers 
werden, vertbeilte die Regierung freigeberifch Waffen unter fie, damit 
fie fo viel als möglich felbft für ihre Sicherheit Sorge tragen fonnten. 
Die Einwohner theilten fih in Compagnien ein. Schnell verwandelte 
fich der Bürger in einen Soldaten, und an einen jeden Mann, welchem 
Gefchäft oder welcher Profeffton er auch angehören mochte, an ben 
Arbeiter, den Kaufmann, den Rechtögelehrten, fam bie Reihe im 
Militärdienfte. Selbft wenn die Advocaten in die Gerichte gingen, 
waren fie mit ihren Waffen verfehen*), 


Bor Allem aber trug die Regierung zur Wiederbelebung des 
Öffentlichen Vertrauens bei, indem fie die Befagung in der Alhambra 
mit fünfhundert frifchen, regelmäßigen Truppen verftärfte. Als nun 
der Marquis von Monbejar fah, daß durch diefe verfchiedenen Maßs 
regeln in der Hauptfladt die Ruhe wieder hergeftellt war, befchäftigte 
er ſich ausſchließlich mit der in die Alpujarras vorzunehmenden Expe⸗ 
bition, wodurch er die Empörung im Keime erftiden und die ungläds» 
lichen Gefangenen befreien wollte, deren Gefchid ihren Freunden und 
Berwandten in Granada bie lebhafteften Beforgnifle erregte. Dem⸗ 
nad) richtete er an die großen Herren und Städte Andaluſiens bie 
Aufforderung, daß fie ihm unverzüglich zur Führung des Krieges ihre 
Eontingente zuftellen follten. In biefer Gegend herrſchte noch das 
Feudalprinzip, wonach die einzelnen Städte für ihre Beflgungen 
Kriegspienfte leiften und, wenn dazu aufgefordert, eine gewifle Anzahl 
Truppen ins Feld ftellen mußten. Sie hatten diefe die erften drei 
Monate hindurch auf ihre eigenen, und die nächften ſechs Monate zu 
getheilten Koften mit ber Regierung zu unterhalten**). In früheren 


— — — — — 


9 „En un punto se mudaron todos los oficios y tratos en soldadesca, 
tanto que los relatores, secretarios, letrados, procuradores de la Audiencia: 
entraban con espadas en los estrados, y non dexaban de parescer muy bien en 
aquella coyuntura.“ — Marmol, Rebelion de Granada, Dd. I, ©. 358, 

„Servian tres meses pagados por sus pueblos enteramente, i seis meses 
adelante pagavan los pueblos la mitad, i otra mitad el Rei. — Mendoza, 
Guerra de Granada, ®b. I, ©. 53. 





48 Drittes Kapitel. 


Tagen, wo kaum eine Jahreszeit verfloß, ohne daß es einen Strauß 
mit den Moslems gab, war dies Syſtem ganz am Platze. Allein, da 
nad) dem Falle von Granada eine lange Pauſe der Unthätigfeit eins 
getreten war, hatte der felten ind Feld gerufene Bürger alle weſent⸗ 
1ihen Erforverniffe des Soldaten eingebüßt. Seine gewöhnliche 
Dienftzeit war zu furz, um ihn die nöthige Uebung und Disci- 
plin beizubringen. Weit entfernt, einen Feldzug mit bem patriotis 
fchen oder ritterlichen Gefühl, weldyes dem Kriegerftande Würde vers 
deiht, zu beginnen, brachte er den Sölonergeift eined Kraͤmers mit, 
der bloß für jeinen eignen Gewinn beforgt und, fobald er fich durch 
cin glüdliched Treffen oder die Plünderung einer unglüdlichen Stadt 
bereichert hat, darauf bedacht ift, nach Haufe zurüdzufehren und ans 
dern eben fo Ungeübten und Subordinationdlofen, wie er felber war, 
Platz zu mahen*). 


Dbichon aber dieſe Bürgermiliz von einem taftifchen Geſichts⸗ 
punfte aus ſehr ınangelhaft war, waren ihre Leute doch gut mit 
Waffen und Eguipage verlorgt, und als ber bunte Truppenhaufe 
über die Bega zog, nahmen fich die hellen Uniforınen und blanfen, in 
der Sonne glänzenden Waffen nebft den ftolz fliegenden alten Stabts 
bannern, die über manches Schlachtfeld gegen die Ungläubigen ges 
zogen waren, recht gut aus *). 


Doch Nichts übertraf den Friegerifchen Anblid und Glanz ber 
Mitterfchaft des Landes, der Abdeligen und Bavaliere, die mit ihren 
Vaſallen und Haushaltötruppen bei der gegenwärtigen Gelegenheit 
mit eben fo großer Sreubigfeit ind Feld gerüdt waren, wie einft ihre 
Väter bewiefen hatten, wenn ber Ruf erfchallte, daß der Feind die 


_ — — 





Mendoza hat mit wenigen kraͤftigen Strichen ben rohen habgierigen 
Charakter der andaluſiſchen Soldaten in kuͤhnem Relief gezeichnet oder beſſer eins 
eegraben: — „Mal pagoda i por esto no bien disciplinada; mantenida del 
robo, i a trueco de alcanzar o conservar este mucha libertad, poca verguenza, 
i menos honra.“ — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 103. 


) „Toda gente lucida y bien arreada & punto de guerra, que cierto 
zepresentaban la pompa y nobleza de sus cindades.“ — Marmol, Rebelion de 
Granada, Bb. I, ©. 396, 


Die Beben der: Moriscos. RD 


nn überfchritien habe“). Sie fanden ber Miliz der Stäbe 
bedeutend an Zahl nach. Aber dies Nachſtehen an. Zahl wurde mehr 
denn aufgewogen durch bie Zrefflichfeit ihrer Disciplin, Durch ihre 
vollkommenen Bewegungen und durch das ritterliche Gefühl, weiches 
bewirkte, daß fle bloß nad Ruhm verlangten und. alle Söldnerge⸗ 
danken bei Seite fegten. Eine folche Geſinnung offenbarte Louis Peer 
de Caſtillego, der alte Regibor von Cordova. Als ihm nämlich ein 
unabhängiges Kommando nebſt dazu gehörigem Gehalte angeboten 
wurde, gab er fol; zur Antwort: „Ich brauche weder Rang, noch 
Zahlung. Ich, meine Söhne, meine Verwandten, mein ganzes Haus 
werden immer bereit gefunden werben, unferm Gott und unferm 
König zu dienen. - Das ift der Titel, fraft beffen wir unfere Erbgüter 
und unfer Adelöpatent befigen. ” **). 

Da Mondejar ſolche loyale und hochgeſinnte Kavaliere zur Stuͤhe 
hatte, konnte er nicht an dem Blüde feiner Waffen zweifeln. Indeß 
batte er ſchon eine Niederlage erlitten, denn er erhielt die Nachricht, 
daß feine Avantgarde, die zur Belegung eined in die Berge führenden 
ftarfen Paſſes ausgeſchickt worden, aus ihrer Stellung vertrieben 
wäre und Etwas, das einer Schlappe ähnelte, davon getragen hätte, 
Diefelbe würde noch entichiedener geweien fein, hätten fich nicht acht 
muthige Geiftliche — vier Franziskaner und vier von ber Gefellfchaft 
"eu — ins Mittel gelegt. Als dieſe die Truppen zurüchveichen 
„en, ſtürzten fie ſich ind dickſte Gefecht und muchten durch ihr Bei⸗ 
fpiel, daß die beſchaͤnten Soldaten einen kraͤftigeren Widerſtand 
leifteten. Der jetzige Krieg nahm die Geſtalt eines Religiondfrieges 


®) „Muchos capitanos fuertes, 
muchos lucidos soldados, 
ricos banderas tendidas, 
ysu sekandarte dasedo.* 
Hite, Gueorzas de Granada, DB. U, ©. 64. 

®*) Oiroourt, Hist. des Arabes d’Espagne, Bo. II, &. 326, 

Sevilla allein Rlellte zweitaufend Mann Truppen mit einem ˖der erlauchteften 
Rasaliere der Stadt als Befehlshaber. Sie lamen jedoch erſt in eier fpätern 
Heit des Krieges an. — Siche Zuniga, Annales de Serilla, Madrid 4677, 
Sol., ©. 538. 

Brescott, Geſch. Philippe ll. IV. j 4 


80 Drittes Aabitel. 


an: daher mancher tapfere Geiſtliche, bewaffnet mit Schwert und Krus- 
cifix, daran, ald am einem. Kreuzzuge, Theil nahm. 


Der Generals Kapitän beeilte fi mit feinen Rüftungen und, 
‚ohne weitere Berftärfungen abzuwarten, marfcirte er aus Granada 
‘am zweiten Sanuar 1569 an der Spige eines Fleinen Häufleins, das, 
Alles in Allem gerechnet, nicht über zweitaufend Mann Infanterie 
und vierhundert Mann Kavallerie zählte. Rafch fließen zu ihm bie 
Aufgebote ber benachbarten Städte Jaen, Loja, Alhama, Antequera 
und anterer Orte, fo daß ſich binnen wenigen Tagen fein kleines 
Heer verdoppelt hatte. Die Hauptftabt ließ er in den Händen feines 
Sohnes, des Grafen von Tenvilla: eines Mannes, der weniger Um- 
ficht, als fein Vater, einen finfterern, heftigerern Charafter und wenig 
Sympathie für die Mauren befaß. Auf feinen Befehl mußte bie 
Bauernfchaft ver Bega die Armee täglich mit zmanzigtaufend Pfund 
Brot verforgen*). Die frifch in der Stadt fationirten Truppen, 
fowie diejenigen, welche bloß dahin kamen, ald zu einem Rendezvous 
auf ihrem Wege in bie Sierra, wurden alle bei den Einwohnern des 
Albaicin, wo fie ſich häufig die gewöhnlichen militärlfchen Zuͤgelloſig⸗ 
feiten erlaubten, einquartiert. Die Moridcos befaßen noch viele Ueberrefte 
jener eiferfüchtigen Empfindfamfett, welche bie Morgenländer dazu 
treibt, ihre Weiber und Töchter den Blicken des Fremden zu entziehen. 
Es war jedoch vergeben®, daß ſie ihre Beſchwerden bei bein Gouver- 
neur in ber ehrfurchtsvollſten und flehendften Weife vorbradhten. 
Der hochmüthige Spanier antwortete ihnen bloß mit einem finftern 
Verweiſe, jo daß die Moriscos zu fpät bereuten, baß fie bie ihnen 
von Aben » Barar gebotene Gelegenheit zur Wiebererlangung ihrer 
Unabhängigfeit nicht benupt hatten **). 


9 „Repartiö los lugares de la vega en siete partidos, y mandodles, que 
cada uno tuviese cuidado de Ilevar dies mil panes amasados de & dos libras al 
campo el dia que le tocase de la semana.“ — Marmol, Rebelion de Granada, 
=. 1, ©. 464. 

) „Pas6 este negocio tan adelanıe, que muchos Moriscos afrentados y 
$astados se arrepintieron por no haber tomado las armas vw⸗⸗ Abenfarax 
los Uamaba.“ — Ebend. ©. 407. 





Die Rebellion der Roriscos. 51 


Bon Granada aus ſchlug der: Gateral» Kapitän den gerabften 
Weg längs des weſtlichen Bogens ber Sierra Nevada ein, das heißt 
längs jenes Gebirgeö, welches mit feinen froftigen Berggipfeln, bie 
in der Sonne wie ſilberne Ballifaden glänzen, die Hauptftadt im 
Süden nmyäunt und fie während des Sommers vor den verfengenden 
Binden Afrikas ſchuͤtzt. Bon Hier flieg er raſch hinab in das fchöne 
Thal Lecrin, das daliegt wie ein bunter Teppich, in den manche wild» 
wachſende Blume gewebt ift, und das ſich bis an den Rand der Alpu⸗ 
jarras erſtreckt. Jetzt indeß herrfchte hier die Erftarrung bes Winters, 
fo daß die fchönen Karben der Landfchaft ſelbſt in dieſer begünftigten, 
mit zahlreihen Quellen und eilenden Bächen getränften Gegend, 
verblichen waren und nur noch einen büftern Anſtrich barboten, 
der mehr zu den Scenen, welche die Spanier zu fehen im Begriff 
ſtanden, paßte. 

Nachdem Mondejar, um feine Truppen fich erholen zu laflen, 
eine Nacht in Padul gehalten hatte, drängte er nach Durcal vor⸗ 
wärts. Er erreichte diefen Ort gerade noch zeitig gemug, um feine 
Avantgarde von einer befchämenderen Niederlage zu retten, als fie 
ſchon erlitten hatte; denn der Feind, der fie auf allen Seiten hart bes 
drängte, war im Bells der Hauptivege nad) der Stadt. Derfelbe 
machte jedoch bei der Annäherung ber Hauptmacht der Spanier einen 
fchleunigen Rüdzug und poftirte fi in einer ftarfen Stellung am 
Paß von Tablate. Diefer Platz war geſchuͤtzt durch eine barranca 
oder Schlucht, die zwar nicht, was ihre Weite anbetraf, fchredlich 
war; allein ihre Felſenwaͤnde liefen fenfrecht hinab in eine Tiefe, die 
ben in den fürchterlichen Abgrund binunterblidenden Reifenten fchwin- 
bein machte. Da fich diefe Kluft acht Stunden weit in bie Xänge 
erſtreckte, fo diente fie wie ein von ber Hand ber Natur gegrabener 
Wal und gewährte dem fchönen Thal Schuß gegen die Uebergeiffe 
der wilden Gebirgsſtaͤnme. 

Ueber diefen Schlund war eine fchwache Brüde aus Holz ges 
baut, die ber alleinige Weg aus diefer Gegend nach dem Lande ber 
Alpujarrad war. Allein, bie Moriscos hatten fie jeht faft gänzlich 
zerftört, hatten die Dielen und Bohlen bderfelben abgetragen und ihre 
Hauptftügen abgerifien, fo daß nicht ein einzelner Menſch, geſchweige 

Ar 


benn ein ganzes Heer, über den wadeligen Bau mit Gichexheit zu 
gehen verfuchen konnte*). Wahrfcheinlich hatten fie bie Brite nicht 
völlig zerftört, weil fie fobald ald möglich die Verbindung mit ihren 
Lanböleuten im Thale wiederherſtellen wollten. 

Mittlerweile hatten bie Moslems eine dad Außerfie Ende der 
Brüde beherrfchende Stellung eingenommen, wo fie ruhig das Heran⸗ 
fommen ber Spanier abwarteten. Ihr Heer, das in den verfchiebenen 
Perioden bed Feldzugs bald an Stärfe wuchs, bald abnahm, war 
ein gemifchter Haufe, fchlecht disciplinirt und noch ſchlechter beivaffnet. 
Einige feiner Krieger hatten Feuerwaffen, Andere Armbrüfle; noch 
Andere befaßen bloß Scyleubern ober Wurfipieße oder felbft bloß 
fcharfgefpigte Stöde, Kurz, jeberlei Waffen, wenn auch noch fo roh, 
die fie vor ben fpanifchen mit der Vollſtreckung des Entwaffnungs⸗ 
gefehes beauftragten Beamten hatten verbergen fönnen, führten ſte. 
Doc waren fie eine Fühne, unabhängige Rage, eingefdgult in ein 
Leben von Gefahr und Entbehrung, und -wenn fie auch den Ehriften 
in anderer Beziehung nachſtanden, hatten fie doch ben einen offenbaren 
Bortheil voraus, daß fie mit der wilden Gebirgägegend, in ber fie 
von ihrer Kindheit an aufgebradyt worben, genau befannt waren. 

Sowie die Spanier fich der Schlucht näherten, wurden fie von 
dem auf ber gegenüberliegenden Seite aufgeftellten Feinde mit einem 
Hagel von Kugeln, Steinen und Pfeilen begrüßt. Doch richteten 
vie feindlichen Geſchoſſe, weil fie nicht gut gezielt waren, nur geringen 
Schaden an. Ald Dagegen bie Kolonnen der Ehriften den Rand ber 
berranca erreicht und ſich dort in Reihe und Glied aufgeſtellt hatten, 
eröffneten fie auf ihre Widerſacher ein viel wirfjameres Feuer. Als 
aber exrft bie ſchweren Geſchuͤtze, welche Mondejar bei fich führte, auf 
gepflanzt waren, richteten dieſe unter bem Beinde eine ſolche Vernich⸗ 
tung an, daß diefer für gut erachtete, die. Brüde aufzugeben und fi 
Hinter einen, ihn vor dem Feuer ſchuͤtzenden Hügel zu poſtiren. 

Jedermann überlegte jet, wie man wohl über die Schlucht bins 
aberfommen könnte, und mandher Bid richtete fich mit wahren Ent 


*, „Apenas podia por ella un hombre suelto; y auu este poco paso, le 
tenian deschrado y solopado por-los cimientos, de mauera que 8i cargase mac 
de una persone, fuose abaxo.“ — Maxınol Bebelion de Granada, ©. 409. _ 


° 


Die Rebeltten der Notiscos. 57 


ſehen auf die gebrechliche Bruͤde, die, indem fie gleich einem Spinn- 
gemebe bei jedem Luftzuge zittente, über den ſchrecklichen Abgrund 
hinüberführte. Keiner getraute fich, den gefahrvollen Weg zu wagen. 
Endlich erbot fih ein Franziskanermoͤnch, Ramens Ehriftoval de 
Molina, das Wagſtück zu unternehmen. Wiederum mar es ein Gelft- 
licher, der auf dem Wege der Gefahr Bahn brach. Nachdem er feinen 
Schild über ben Rüden gehangen und fein Gewand feſt um fich ges 
ſchlungen batte, nahm er in vie Linfe ein Krucifir, ſchwang mit ber 
Rechten das Schwert und ſetzte heldemmüthig feinen Fuß auf bie 
DBrörte*). Aller Augen waren jest auf ihn geheftet, als er, indem er 
den Ramen Jeſus anrief, zwar muthig, aber vorfidtig vorwaͤrts 
fchritt und ſich auf dem gebrechlichen Gerſiſte, das unter dem Gewichte 
feines Körpers erzitterte, in Stüdte zu fallen und ihn hinunter in ben 
Schlund zu fkürzen drohte, den Weg ausfuchte. Aber er ſollte nicht 
auf dieſe Weiſe fterben. Seine heite Ankunft am andern Ende ward 
begrüßt mit den Beifallerufe der Soldaten, bie, wegen Ihres Zau⸗ 
dernd beichämt, nun vorwärts drängten und feinen Schritten folgten. 

Der Erſte, welcher ſich heranwagte, wur eben fe glüdlich wie 
fein Borgänger. Der Zweite aber that einen falfchen Tritt oder wurde 
ſchwindelig, fchläpfte mit dem Buße aus, umd ftürzte Hals über Kopf 
hinab, wo er auf dem Grunde ber Schtucht zerfchmettert wurde. Run 
folgten die Soldaten einer nach den andern, und zwar erlitten fie 
weniger Unfälle, ald man wegen der gefährlichen Beichaffenheit des 
Weges hätte erwarten follen. Während der ganzen Zeit biieben fie 
vom Feinde unbeläftigt, weil berfelbe vieleicht durdy die unerwartete 
Kühnheit der Spanier eingeſchſtchtert wurde und vieleicht nicht inners 
halb der Tragweite des tödtlichen Feuers der Artillerie zu kommen 
Luft trug. Sobald als die Buͤchſenſchuͤtzen in genügenber Stärfe 
binübergelangt waren, ftellte fh Mondejar an ihre Spite und führte 


9 „Mas un bendiw fiayle de la orden del serafico padre Ban Franciseo, 
llamado fray Christoval de Mofina, eon un crucifixo &h la-matio izquierda, y 
la ospada desnuda en ia derechs, los habitos oogidos en la cinta, y una rodela 
ochada & las espaldas, inroeando el poderose nombre de Jesus, lieg6 al peli- 
groso paso, y- se metis determinadamente por cl. — Marmo], Rebellion de 
Granada, Bd. I, S. 410. 


3 Diiiies Rapiel. 


fie gegen die Moslems. Diele empfingen ihn mit einer lebhaften 
Salve, bie beinahe fein Untergang geweſen wäre: denn hätte nicht 
frin guter Küraß die Kugel einer Büdyie abgewandt, fo würde fein 
Feldzug glei im Anfange zu Ende gebradt werden fein. Das 
Scharmügel dauerte nur hurze Zeit, da die Moriscos, entweder ſchon 
entmuihigt durdy ten Erfolg der Angreifenden, ober zufolge des von 
ihrens Führer vorgezeichneten Oprrationsplanes, ihre Stellung auf 
gaben und fchleunig in das Gebirge aufbradyen. Wie ſchon bemerft, 
lag «8 in der Abficht Aben⸗Humeya's, feine Feinde in die Engpaſſe 
der Sierra zu verftriden, we, abgeiehen von dem Bortheile, weichen 
ihm die Kenntniß des Terrain's gewährte, nach feinem Dafürhalten 
die rauhe Bobenbeichaffenheit ſowohl die Kavallerie, wie Artillerie, 
von denen er weder die eine, nod bie andere beiaß, ausfchließen 
mußte*). 

Nachdem der fpanifche Feldherr feine vorherige Stellung wieder 
eingenommen hatte, arbeitete ex die Nacht hindurch an der Wiederher⸗ 
ftellung der Brüde, und feine Leute verwandten ſolchen Fleiß darauf, 
daß fie den naͤchſten Morgen fchon von der Reiterei und dem ſchweren 
Geſchuͤtz mit Sicherheit pajfirt werben fonnte. Unterbeffen erhielt er 
Nachricht, dag in der benachbarten Stadt Orgiba hundert und achtzig 
Epanier, die fich bei dem Ausbruch der Infurrection in den Kirch⸗ 
thurm geflüchtet hatten, dort noch aushielten und fehnfächtig auf die 
Hülfe ihrer Landsleute warteten. Deshalb drang er ohne Berzug 
vorwärts, marſchirte wieder durch das zu beiden Seiten von rauhen 


.—.- — — — 


Ebend. ©. 410 ff. — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 67 und 68. — 
Herrera, Historia General, ®b. I, ©. 736. 

Hita hat den fühnen Uebergang über die Brüde bei Tablate gefeiert in einer 
feiner Romanzen oder Balladen, womit er den zweiten Band feines Werks reichlich 
ausgeſpickt Hat, und die einen traurigen Begenfab zn ben Balladen bes vorhers 
gehenden Bandes bilden. Die legteren, welche dem volfsthümlidhen Minnegefange 
eines früheren Beitalters angehören, befügen all den Duft und Wohlgeruch, welder 
der einheimifchen wildwachſenden Blume jenes Bodens eigen if. Hingegen beüchen- 
die Ballaren des zweiten Bandes, welche wahrſcheinlich Hita's eigne Erzeugniſſe 
Find, aus ärmlihen Nachahmungen bes Antifen und liefern den Beleg, daß, wenn 
feine reiche uͤberfließenre Brofa ſich zur Poeſie erhebt, feine Borfie noch verwandier 
mit der Proſa IR. 


Die Rebellen; der Merlscos. 55, 


Besgen eingezäunte Thal, welches bei weiterem Vorrückin immer: 
fetter wurde und ihm dadurch zeigte, daß er. bereits in die Schluchten 
ver: Alpujarras gefommen war. Es war ein ſtuͤrmiſches Wetter. 
Wegen bed häufigen Regens und der von den Bergen niederkom⸗ 
menden Sturzbäce waren die Wege noch ſchlechter ald gewöhnlich. 
Ferner ‚hatten die Spanier viel von den feindlichen Streifzüglem. zu 
leiden, weldye die Höhen beſetzt hielten, von ‚oben riefige Feldblöcke 
berabrollten und Geſchoffe jeder Art auf die Häupter der Eindrin⸗ 
genden herabfchleuderten. Um ſich von biefer Beläftigung zu befreien, 
ſchickte Mondejar Abtheilungen Reiterei aus — wovon die eine von. 
feinem Sohne Don Antonio de Mendoza befehligt wurde —, Damit 
fie die Rüden ber Berge fäuberten und die Scharmügler vertrieben. 
Zugleich ſchickte er Pioniere vor, die den Boden ebenen und für bie 
Reiterei zugänglich machen ſollien. Sein Befehl wurde. herrlich voll⸗ 
zogen. Die mit den ‘Pferden wenig beiannien Bergbewohner, welche 
vor denfelben eben fo ſehr, wie die alten Mexikaner, erſchrocken zu fein 
fcheinen , fahen mit fo großem. Erfiaunen das leichtfüßige andalufifche 
Roß vie rauhen Seiten der Sierra hinaufflimmen und zwar auf: 
Steigen, welche der Jaͤger nicht gern betrat, daß fie, ohne den Angriff 
abzuwarten, fchleunig. den Boden räumt und auf die Hauptabtheis. 
(ung ihre® Heeres zurüdffielen. . 

Diefe Hauptabtheilung: ftand zu ganjaron, einem einige Meilen 
weiter gelegenen Orte, wo bie Moriscos eine fanfte, ben barunter 
liegenden Engpaß beberrichente Anhoͤhe fi) ausgeſucht hatten, um. 
aus Stein und Erde ein Bruſtwerk aufzuwerfen. Hinter bemfelben 
hatten ‚fie ſich verfchangt, fo daß fie entichloflen zu fein ſchienen, hie. 
vn Spaniern eine Schlacht zu liefern. 

Als die leßteren nahe ans feindliche Lager heranfamen, begann 
es dunkel zu werden, weshalb Mondejar, weil er nicht genug mit 
den Boben befannt war, den Angriff auf den nächften Morgen zu 
verfchieben beſchloß. Die Racht trat ein und machte ed flodfinfter. 
Doch erleuchteten wohl hundert Wachfeuer, die auf den Bergfpigen 
fladerten, die Atmofphäre und ftrahlten einen ſchwachen Widerſchein 
herab ins duͤſtere Thal. Die ganze Nacht über. hörten die Chriften 
die wilden Weiſen her mauriſchen mußkalifchen Inſtrumente, im bie 





Pr Daisten Autpttel, 


ſich gellende Ariegönnfe miſchten, fe daß fie. unter Waffen blichen und 
jeden Augenblick einen Angriff hefergien*), Allen ein nächtlicher 
Ungeiff ſtimmte nicht zu der gewoͤhnlichen Taltik ber Mawen. Auch 
lag es, jo ſchien es, nicht im ihren Plane, ben Spaniern an biefein 
Orte überhaupt eine Schlacht anzubieten. Hatten fie überhaupt dieſe 
Abſicht gehabt, fo Anberten fie wenigſtens dieſelbe. Denn beim Tages⸗ 
anbruch war zum großen Erſtaunen ber Spanier von den Morioros 
feine Spur mehr zu fehen; dieſelben hatten ihre Bofltion im Stiche 
gelaffen und füch, wie ihre Raubvoͤgel thaten, in bas Innere des Ge⸗ 
binged geflüchtet, 

Mondeiar war gerabe nicht barlber böfe, baß er nicht wit einen 
Izeffen zu einer Zeit aufgehalten worben war, wo jeder Augenblick 
foftbar fein mußte. Er marſchirte raſch auf Orgiba los, wo er glüͤck⸗ 
licherweiſe noch zeitig genug anfam, um die fa aufs Aeußerſte ger 
brachte Beſatzung zu befreien uns ben belagıınben Pöbelhaufen is die 
* Blndse zu fhlagen. 

Mit fchwerem Herzen und aus den Augen brechenden Thraͤnen 
famen die armen Eingeſchloſſenen herausGaus ihrer Veſte und ans 
armten.ihre Befreier, die fie vor einem fo ſchrecklichen Tode erreitet 
hatten. Die Furcht vor dem fie erwartenden graufamen Schickſale 
allein hatte ihre Herzen zu einem fo langen, fo heldenmuͤthigen Wiben- 
ſtande gefzäftigt. Aber, fe wärben vor ber Zeit dem Hanger erlegen 
fein, hätten fle nicht die kluge Vorſicht gebraucht gehabt, in pen Thurm 
mit ſich mehrere Moriscofinder zu nehen, deren Entern dieſeiben 
heimlich mit Speiſe verfaßen, welche einen freilich fehr bürftigen Un⸗ 
terhalt für bie Befagung abgab. Als mm bie Beingerten heramsd- 
famen und ſich zeigten, erzählten ihre abgemagerten Geflalten und 
ausgehungerten Geſichter eine Schmerzensgeſchichte, welche. die Steine 
inte rühren Böunen *"). 


. 9 „Retuvo-alli aquella anche « vista de los enerkigon, que tehiemdo acom- 
pado el pass con grandes fuegos por aqnellos cerzos, no hacian sino tocar sus 
atabalejos, dulzaynas, y xabecas, haciendo algazaras para atemorizar nuestrog 
Cristianos, que con grandisimo recato estuvieron todos con las armas en las 
manos.“ — Marmol, Rebellion de Oranzda, %. I, ©. 483. 

"m Gew. Bid. -—- Homım,. Histuris.:Günesall Wu. I, ©. 787. - 


Die Rebellioruden Noriscos. Sg 


Orgiba eignete ſich durch feine Ange zu einem bufekigten Platze, 
um nmöthigenfalid den Rüdzug des Heeres zu deden und die regel⸗ 
mäßig von Branaba zu fenbenden Proviant- und Munitionszufuhren 
zu Ichügen. Nachdem ber Gneral« Kapitän «ine Heine Befapung da⸗ 
ſelbſt zurüdgelaflen hatte, fuhr er ohne weitern Aufenthalt mit ber 
Berfolgung des Feindes fort. 

Aben⸗Humceya war nah der Poqueira, einer rauhen Gegend ber 
Alpujarras, retirirt. Hier hatte er füch mit einer Armee, die ſich auf 
mehr ald das Doppelte feiner früheren Macht belief, am aͤußerſten 
Ende eines gefährlichen Defilos, der Paß von Mfajarali genannt, 
aufgeftellt. In feinem Rüden lag bie Stabt Bubion, vie Sauptflabt 
des Diftriftes, in welche, weil fie für einen fichern Ort gehalten wurde, 
viele von ben reicheren Moridcos ihre Frauen und Schaͤtze gebracht 
hatten, 

Mondejar wurde jetzt burch feine Marſchroute mitten in die wils 
beften Gegenden ber Alpujarras geführt, wo bie Scenerie einen er⸗ 
habenen Anblick, ſehr verichieden von bem, was er auf ben niedrigeren: 
Flächen des Landes angetroffen hatte, darbot. Hier erhob fich ein Berg 
hinter dem andern, bis ihre bereiften, hoch über den Wolfen ſchwe⸗ 
benden Häupter in die Region des ewigen Schnees hinauffamen. “Die 
Scene war fo büfter, wie großartig. Anſtatt der weit ausgedehnten 
Solzungen, welche gewöhnlich die hohen Berge umgürteten und bie 
Nacktheit derfelben vor dem Auge verbargen, war hier Nichts weiter 
zu ſehen, als geboritene Felsmaſſen, fo ſchwarz, ale ob ein vullkani⸗ 
ſches Feuer fie verfehrt hätte, und die in einer Art wilder Confuſion 
über einander lagen, glei als ob eine erſchreckliche Convulſton der 
Ratur die Berge aus ihren Grundveſten geriffen und wieber in das 
urfprüngliche Chaos zurüdgeworfen hätte. Gleichwohl hatte ſich bie. 
Induſtrie der Moridcoe bemüht, bad wilde Ausſehen der Landichaft 
zu mildern, indem fie überall, wo ber felfige Boben es gefatteis, 
Terraffen ausgegraben und den Weinſtock und andere Pflanzen hinein 
geiept hatten, in fröhlich fchimmernden Truppe von einer abwech⸗ 


Bisda, Uronies de Espade, €. es. — Mendoza, Ouerra de Gannda, ©. 69 
und 70. — Ferreras, Hist. d’Espagne, Bi. X, ©. 17. ' 


58 Deittes Rayikel. 


felnben Kultur, die fich wie eine Guirlande um die knochige, fchwärz- 
lie Sierra herumwandten. 

Sm Thale hatte die Armee bisher noch in einer milden Tem⸗ 
peratur geaihmet; jetzt dagegen veränderte ſich das Klima bedeutend. 
Der von den eifigen Seitenwänden ver Berge herabfahrende Wind 
fand den Weg durch den Harnijch der Kavaliere, wie durch bie leichte 
Kleidimg der Soldaten, erftarrte ihre Glieder umd ging ihnen gleich⸗ 
fam durdy und durch. Wan fließ auf große Schwierigkeiten, bie 
Kanonen auf die ſteilen Höhen und längs ber Straßen und Bäfle zu 
ziehen, die zwar von dem leidytfüßigen Bergbewohner leicdyt übers’ 
fohritten wurden, aber den Bewegungen eines im fchweren Krieges 
aufzuge haherfchreitenden Heeres fehr hindertich waren. . 

Der Marſch ging in vollfoimmener Orbnung von Statten. Die 
Büchfenfhügen bildeten die Nachhut, die Kavallerie ritt zu beiden 
Seiten, während Abtheilungen von ber Infanterie, deren Hauptlörper 
das Centrum einnahm, nady Links und Rechte vorgeſchoben wurden, 
um auf den höher gelegenen Theilen längs ber Route ber Armee bie 
Bergbewohner vom Beläftigen abzuhalten. 

Den dreigehnten Januar fam Mondejar in das enge DeftlE von 
Alfajaralt, an defien anderem Ende die gemiichte Menge, weldye fich 
um die Standarte ded Aben⸗Humeya geſchaart hatte, bereits in 
Schlachtreihe aufgeftellt war. Ihr rechter Flügel ftügte fich auf die 
fteile Seitenwand der Sierra, der linfe war durch eine tiefe Schlucht 
gedeckt, und dieſe Poſition wurde noch verftärft durch einige Hinter⸗ 
halte, weldye die Befchaffenheit des Bodens ausnehmend begünftigte®). 
In der That ſcheinen Hinterhalt und Ueberfall die regelmäßige Stra» 
tegie des mauriſchen Kriegers geweſen zu fein; gelangen ihm biefe 
nicht, fo verlor er den Muth, wie der Loͤwe, ber ja auch, wenn fein 
erfter Sprung nach der Beute ein verfehlter war, ſelten einen zweiten 
verſuchen ſoll. 


A la mano dereeha cabiertos con un sierra, kavin emboscados qui- 
nientos arcabuceros i vallosteros, demäs destro Dira emboscada en lo hondo 
del barranoo ds mucho mayor uumefo de ‚gente.“ — Mendoza, Gmuerra de. 
Granada, ®p. I, ©. 71. 


Die Mebelkion ver Morldcos. 509: 


"Bon defer wilden Zaftif machte der Moridco» Anführer Ges 
brauch. Sobald als die Spanier hinlängfich in das Defil6 hineinges 
fommen waren, ließ er ihnen feine Zeit fi in Schlachtordnung aufs 
auftellen,, ſondern gab feinen Leuten dad Signal, und diefe ftürzten 
hervor aus Höhlen, Didichten und Schluchten, oder rollten an ben 
Bergwänden herab gleich ihren Winterfirömen, fielen über bie Ehriften 
ber in der Fronte, auf der Flanfe und im Rüden und griffen fie auf 
jeder Seite an.“) Bon diefem feurigen , plöglichen Angriffe erichredt, 
retiriete die Nachhut nach dem Centrum, während die Buͤchſenſchuͤtzen 
in ber Vorhut in noch größere Unorbnung geriethen. Einige Augen» 
biide ſchien ed, als wenn der Schredfen allgemein würde. Doch die 
Stimme bed Anführers übertönte den Tumuft, und durch feine fchnellen, 
verftändigen Maßregeln gelang es ihm zum Glück, die Ordnung wie⸗ 
der berzuftellen und das Vertrauen feiner Leute neu zu beleben. Er 
ichiekte einen Trupp Reiterei unter feinem Schwiegerfohne zur Unter» 
ftügung ber. Nachhut und einen anderen Trupp unter dem Sformmando 
feined Sohnes Antonio de Mendoza nad) der Fronte ab, Beide voll» 
zogen mutbig ihre Befehle. Mendoza, der durch Die Schnelligkeit, wo⸗ 
mit er nach der Fronte gallepirte, feinen Begleitern zuvorfam, warf 
fi in das didfte Gewühl und wurbe mit einem Steine von feinem 
Dferde herabgeworfen. Der Feind umringte ihn auf Ber Stelle; nur 
mit Mübe und Roth und bloß nach hartem Kampfe wurde er von fels 
nen 2euten befreit. Sein Freund Don Alonfo Bortocarrero, der Sprofle 
eined edlen anbalufifchen Haufes, defien Söhne in Kämpfen gegen bie 
Ungläubigen immer zuvorderft fämpften, wurde von zwei vergifteten 
Pfeilen verwundet ; denn die Mauren der Alpujarras tauchten ihre 
Waffen in ein tödtliches Gift, das fie aus einer im Gebirge wild 
wachſenden Pflanze deftillirten. **) 





®) „Ellos quando pensaron qne nuestra gente ira cansada acometieron 
por la frente, por el costado, i por la retaguardia, todo a na tismpo; de ma- 
nera que quasi una hora 36 peleö con ellos a todas pertes i a las espaldas, no 
sin igualdad i peligro.* — Gbend. wie oben. 

) Diefes Dift wırrde aus der in den Rlpujarras In Dlenge wachſenden Aconite 
oder Sturmäut (Solfewurz) gewonnen. Geine Wirtemg war fo bösartig, daß: 
wenn, wie uns der Geſchichtſchreiber verſichert, ein Tropfen fi mit dem aus einer 


60 Drittes Kapiiel. 


Jeht entſpann ſich ein grimmiger Kampf; denn den Morisco 
ſtachelte Haß und die Erinnerung an taufendfäͤltige Beleidigungen. 
Da er mit den Waffen zum Angriff ſchlecht verſorgt und mit Waffen 
der Abwehr gar nicht verſehen war, ſetzte er ſich der ſtaͤrkſten Hitze des 
feindlichen Feuers aus und fuchte bie Reiter aus ihren Sätten zu 
reißen , während die Steine und Pfeile, untermifcht mit eiwigen Flin⸗ 
tenfugeln, wie Regentropfen auf bie wohlgehärteten Rüfungen ber 
andaluſiſchen Ritter fielen. “Die legteren waren jetzt in volle Hibe ge- 
rathen, fprengten fühn hinein in das Dickicht der mauriſchen Menge, 
traten fie unter bie Pferbehufe und hieben fle links und rechts mit 
ibeen fcharfen Klingen nieder. Zu gleicher Jeit richteten die Buͤchſen⸗ 
fchügen ein wohlgesielted euer auf die Flanke der Moriscos, bie 
denn auch nach einem tapferen, einſtuͤndigen Kaınpfe, worin ſie überall 
zurüdgewiejen wurden, das mit ihren Tobten bedeckte Feld eben fo 
haftig räumten,, wie fie darauf erfchienen waren ‚und, indem fie im 
Gebirge verſchwanden, afle Berfolgung unmöglicd) machten. *) 

Bom Schlachtfelde marfchirte Mondejar ſchnurſtracks gegen Bu⸗ 
bion,, die Hauptfladt des Diſtricts, die jegt von den Moriscos völlig 
unvertheidigt gelaffen worden war, obgleich viele ihrer Weiber und 
Töchter darin waren. Was aber den Montejar am meiften freute, 
war die Befreiung von hundert und achtzig Ehriftenfrauen, die, außer 
fi) vor Freude und Danfbarfeit, herbeifanen, um bie Kniee ihrer 
Erlöfer zu umklammern. Sie konnten ihren Landsleuten, weldye fie 
von einem Geſchick, das ſchlimmer, als der Tod war, befreit hatten, 
manche Schredendgefchichte erzählen; dem es hieß, daß Anftalten 
getroffen worden waren, bie reizendften von ihnen in die Harems der 
wilden Berbereifürften, die mit den Moriscos ein Buͤndniß geichloflen 
hatten, zu fenden. Die fiegreichen Truppen fanden in der Stadt eine 
reiche Beute an Gold, Eilber und Juwelen, fowie an den jchönften 


Bunte flleßenten Btute mifchte, der Seiſt oder Hauch des Giftes im Blute aufs 
wärts ſtieg und fich ſo durch dem ganzen Körper verbreitete! Duittenfaft galt fir 
das befte Begengift. — Cbend. ©. 73 und 74. 

*, EObend. ©. 74-78. — Cnbrexa, Filipe Sagundo, ©. 5B&. — Marmol, 
Hebelion de Granada, Bw. I, ©. 416-448. — Herrera, Historia General, 
Br. 1, ©. 787. — Bieda, Cronica ds Espade, ©. 684. 


Die Rebellion der Moriscos. Mn 


Stoffen, befombers feibenen, wegen beren Berfertigung bie Einwohner 
des Landes berühmt waren. Da der fpanifche Beichlähaber fidy nicht 
gen mit unnöthigem Gepäd beladen wollte und auch keine Anftalt 
zum Kortfehaffen der umfangreicheren Artikel getroffen hatte, jo wurde 


‚der größere Theil davon, ganz dem gewöhnlichen Kriegezgerftörungd- 


geifte angemeflen,, ven Flammen übergeben.*) Gern hätten ſich bie 
Soldaten bie in. diefem Platze gefundenen mauriſchen rauen, weil ſie 
ſelbige als Kriegsbeute betrachteten, zugeeignet; allein zum großen 
Aerger ſeiner Leute legte ſic der Marquis ins Mittel und ſchuͤtzte 
dieſelben. 

Mondejar erfuhr jetzt, daß Aben⸗Humeya, nachdem er die Truͤm⸗ 
mer ſeines Heeres an ſich gezogen, den Weg nach Jubiles eingeſchlagen 
hatte. Das war ein Ort im wildeſten Landestheile mit einer ſehr ſtar⸗ 
ken Feſtung, wo er ſeinen Feinden den letzten Widerſtand zu leiſten 
gedachte. Mondejar trat den Marſch an, weil er feinen Sieg verfolgen 
und dem Feinde nicht bie Zeit fich zu erholen geben wollte. Noch war 
er nicht viele Stunden weit vorgerüdt, als er Pietres, die Hauptftadt 
des Diftriets Ferreiras, erreichte. Diefer Play hatte einige Wichtigkeit 
und befaß an den in großen mauriſchen Städten gewöhnlich, gefundes 
nen Bequemlichkeiten großen Reichthum, denn bie wohlhabenderen 
Einwohner machten in ihrer Liebe zu Eoflbaren Kleidern und in reichen 
Haußverzierungen ihren Brübern in Granada den Rang ftreitig. 

Den Siegen wurde hier bie Freude zu Theil, daß fie hundert 
und fünfzig Landomaͤrminnen aus der Gefangenfchaft, worin diefelben 
fi) immer, feitvem fie die Mafacrirung ihrer Sreunde und Verwand⸗ 
ten mit angefehen, befunden hatten, befreien fonnten. Der Plag wurbe 
der Blünderung preiögegeben, doch wollte der feinen Orundfägen treue 
Marquis, troß des Murrens und fogar ber Drohungen feiner Solda⸗ 
ten, nidgt erlauben, daß ınan ben bagebliebenen maurifchen Grauen ein 
Leides zufügte. Bei diefer Handlungsweiſe gehorchte er ben Vorſchrif⸗ 
ten ber geſunden Politik, ſowie der Menſchlichleit, bie ja zum Glüd 


*) „Mas la priesa de caminar en siguimiento de los enemigos, i la falta 
de bagages en que la cargar i gente con que asoguralla, fue causa de quemar 
la mayor parte, porque ellos no se aproveshasen. — Mendoss, Guserra de 
Granada, ©. 78. 


62 Drittes Kapitel. 


für die Menichheit nie von einander getrennt werben fünnen. Er 
wünjchte nicht den Krieg zum Aeußerften zu treiben, oder eine Race 
auszurotten, deren Erfindungsgeift und Berriebjamfeit für das Land 
eine fruchtbare Geldquelle abgaben. Deshalb wollte er noch ven Meg 
der Berföhnung offen laflen und ließ, während er Feuer und Schwert 
in das Territorium des Feindes trug, die Ausficht auf Gnade für Die⸗ 
jenigen, welche fi, unterwerfen und zu ihrer Unterthanenpflicht zurüdts 
fehren wollten, übrig. 

Die Heerroute ging durch eine wilde, verlaſſene Gegend, die 
wegen ihrer hohen Erhebung ſelbſt um Johannis kühl war, jetzt aber, 
im Monat Januar, das traurige Ausſehen einer Polarwinterlandſchaft 
hatte. Der Schnee, welcher auf den höchften Bergſpitzen nie ſchmolz, 
laſtete ſchwer auf ihren breiten Schultern und verfperrte, intem er an 
ihren Seiten binabflob,, den Spaniern ben Weg. Einen brauchbaren 
Durchgang zu finden, war mit nicht geringen Schwierigkeiten verfnüpft, 
zumal für den Train fchweren Beichüßes, das mit unglaublicher Mühe 
durch die vereinten Kräfte der Soldaten und Pferde fortgezogen werden 
mußte. Die in den fonnigen Gefilden Andalufiend geborenen und er 
zogenen Sbldaten hatten fid) nidyt gut vorgefehen für eine durchdrin⸗ 
gende Kälte, von der fie nie einen Begriff gehabt hatten. Biele erfros 
ren die Hände und Füße. Andere, erflarrt und erichöpft durch über: 
große Anftrengung , ftrolchten im Nachzuge und fielen in die Schnee⸗ 
wehen oder verſchwanden in den heimtüdiichen Schluchten und Spalten, 
die unter dem glänzenden Mantel des Eifes fi) vor dem Auge ver 
fledien. Den Moriscos erging es noch fchlimmer, namentlich ben 
Frauen und Kindern, bie, nachdem fie hinter dem tetirirenden Heere 
einhergegogen waren, um ber Berfolgung befto beſſer zu entgehen nach 
ben unzugänglicheren Theilen der Berge hinaufgeklettert waren, wo Ne 
Zuflucht in Höhlen fuchten und in großer Anzahl durch Hunger und 
Kälte unkamen. *) 

Mittlerweile war Aben⸗Humeya durch feine neulich erhaltenen 
Schlappen fo entmuthigt, daß er zu wenig Bertrauen in bie Stärfe 

*) „Los Moros tomaron lo alto de la sierra, y no pararon hasta meterse 


en la nieve, donde perecieron cantidad de mugeres y de cristura de frio." — 
Marmol, Rebelion de Granada, ®b. I, ©. 437. 


Die Retullion ver. Moriscos. 88 


: feiner. gegenwärtigen Pofltion fegte, um daſelbſt ben Sturm der Spa⸗ 


nier abzuwarten. Ex verließ daher den Blag, nahm feine Frauen umd 
&ffecten mit ſich und wandte fi in Eitmärfchen nach Baterna , feiner 


Hauptreſidenz, welche wegen ber unmittelbaren Rähe.der Sierra Re 


vada den Bortheil bot, dag er nöthigenfalld. dorthin in ihee wilden, 
geheimen Zufluchtöörter, wohin ihm Niemand außer Eingeborenen zu 
folgen Luft Haben würde, entfliehen konnte. Er lieb im Schloſſe zu 


Jubiles eine große Anzahl Moriscofrauen, ſowie dreihundert Männer, 


bie wegen Alterd oder Gebrechlichkeit ihn wahrſcheinlich in feinen 
Bewegungen aufgehalten haben wuͤrden, zurüd. 

Als daher ber fpanifche General nad) Jubiles kam, feßte ihm die 
in der Feſtung liegende ſchwache Garniſon keinen Widerſtand entgegen. 


NUebrigens enthielt die Feftung zur Befriedigung ber Habgier der Soldaten 


eine reiche Beute an Gold, Perlen und koſtbaren Steinen.*) Doch 
legten fie ihre Ungufriedenheit in Tühneren Ausbrüden, als gewöhnlich, 
an den Tag über die Protection, die ihr Befehlshaber den Morisco⸗ 


‚frauen, deren es in diefem Platze über zweitaufend gab, gewährte. 


Unter den Grauen fand man auch eine große Anzahl chriſtliche Gefan⸗ 
gene, die die wilden Leidenfchaften ihrer Landsleute durch ihre klaͤg⸗ 
lichen Schilderungen ber von ihnen mit angelehenen Schredendfeenen, 
des Abichlachtend ihrer Bäter, Gatten und Brüder und ber über fie 
felber behufö ihrer Bekehrung zum Islam ergangenen Berfolgungen, 
erregten. Sie flehten den General » Kapitän an, mit ihren Leiden ein 
Erbarmen zu haben und ihre Beleidigungen dadurch zu rächen, daß er 
alle männlichen und weiblichen im. Play gefundenen Mauren über 
die Klinge fpringen ließe. **) Wie fehr fie auch fonft gefaßt geweſen 
fein mögen, lieber das Märtyrertfum auf ſich zu nehmen, ald ihren 
Stauden abzufchmwören,, fo fümmerten fie fich doch offenbar wenig um 
bie edelfte Vorſchrift deſſelben: die Borfehrift, ihren Feinden zu. ver⸗ 
geben. In biefer Beziehung bewie® ſich Mondejar entſchieden als einen 


*%, „El Marques les di6 & saco todo el mueble, en que habis ricas cosas. 
de seda, oro, plata, y aljofar, de que cupo la mejor y mayor parte & los que 
habian ido delante.* — Gbend. ©. 44. 

”%, „No tomen, seBores, & vida hombre ni muger de aguestos hereges, que 
taw malos han sido, y tanto mal nos han hecho.“ — Gbend. ©. 440. 











1: Zeites Rayitel, 


Sefferen Ghrißen ; denn, währent cr mit Sührung iheer Gdpmerzend- 
geichichte zuhörte une Alles that, um fie in ügerr Trübial zu tröften,*) 
te woßlte cr doch nicht den ſeinen männlichen ober weiblichen Gefan⸗ 
gern zugefiandenen Schus aufgeben , noch fie ber Deutaliskt feiner 
Soldaten anbeimgeben. 

Die Nacht hindurch jorgie er für ihre Sichecheit, inbem er ihnen 
in der Kirche zu bleiben erlaubte. Da dieſe aber micht über taufenb 
RPerſonen faften konnte, fo wurben bie übrig gebliebenen, darunter alle 
Männer, auf einem offenen Plage in der Nähe ter Kirche umterges 
bracht. Die fpanifcdyen Truppen campirten nicht fchr weit von biefem 
Drke. 
* Während der Nacht verlieh ſich einer der Seldaten in das Quar⸗ 
tier der Gefangenen und wollte ſich einige Freiheiten mit einer mauris 
ichen Jungfrau Herausnehmen. Zufällig war ihr ald Frau verfleibeter 
Liebhaber, der zu ihrem Schute bei ihr geblieben war, an ihrer Seite. 
Sein mauriſches Blut geriet über die Beleidigung in Wallung, unb 
ar raͤchte ſich dadurch, daß er dem Spanier einen Dolchftich verfepte. 
Das Geſchrei des letzteren hatte bald feine Kameraden auf vie Beine 
gebracht. Sie fürzten auf den Platz und fielen über den jungen Mo⸗ 
rioco Ber, der jcht das dem widerſtandouufaͤhigen Verwundeten ents 
ziffene Schwert ſchwang und fo tapfer um ſich hieb, daß er noch ver 
ſchiedene Andere verwundete. Run ſchrie man, daß ficy unter den 
Gefangenen ald Frauenzinnmer verkleivete Maͤnner befänden. Mehr 
Soldaten ſtroͤmten ihren Kameraden zu Hülfe herbei und fielen wuͤthend 
über ihre hälflofen Opfer her. Des Tumult war allgemein. Auf der 
einen Seite fonnte man Geftöhn und Rufe um Gnade hören, auf ber 
andern rohe Fluͤche, auf welche tödtliche Streiche folgten, bie bewieſen, 
wie wenig die Onabenrufe auögerichtet hatten. Die Gerzen ber Sol⸗ 
daten waren härter, als der Stahl, womit fie fchlugen, benn fie gedach⸗ 
ten ber von den Moriscos ihren Landsleuten angethanen GOrauſam⸗ 
feiten. Indem fie nach Rechts und nach Links hieben, fchlugen fie ohne 
Unterſchled Männer und Brauen, bie beide gleich vertheidigungslos 


®) „Ei-Marguos se enterneei6 de ver aquellas pobres mugeres tan lasti- 
madas, y eonsolandolas lo mejor quo pudo,* ete. — Übend. wie oben. 


Die Rebellion der Moriscos. 65 


waren, nieder. In ihrer blinden Wuth verwundeten fte fich fogar unter 
einander, denn ed war nicht leicht, Freund von Feind zu unterfcheiden, 
wegen ber Dunfelbeit, in der, wie ber Chronifichreiber fagt, wenig 
Licht vorhanden war, audgenommen ſolches, welches von den Funken 
des aufftreichenden Stahled oder von den Bligen ber Feuergewehre 
fam.*) Umfonft fuchten die Offiziere ihre Leute von der Schlächterei 
zurüdzurufen. Denn dad heiße Blut ded Andaluſiers mar in voller 
Wallung, und eben fo leicht Hätte man die Exrplofion einer Mine, 
deren Lauffeuer ſchon angezündet iſt, aufhalten fönnen, als feiner 
Wuth Einhalt thun. Erft als das Licht des jungen Tages die Pfützen 
Blutes auf dem Pflafter und die auf einander gehäuften, daliegenden 
Zeichname der hülflofen Opfer zeigte, war fein Blutdurſt geſtillt. Eine 
große Anzahl Frauen und beinahe ale Männer kamen bei biefer 
Mepelei um. **) Den Gefangenen in der Kirche gelang e8, die Thüren 
zu befeftigen und auf dieſe Weile ihre Beinde, die mehrmals in das 
Gebäude einzubringen juchten, abzuhalten. Der Marquis von Mons 
dejar, der über bad von feinen Reuten begangene unmenjchliche Ver- 
brechen und über ihren flagranten Ungehorfam gegen feine Befehle 
empört war, leitete auf der Stelle eine Uinterfuchung wegen des Bor; 
gefallenen ein, und die Hinrichtung von drei Hauptichuldigen diente 
für den andalufifhen Soldaten zur heilfamen Warnung , daß ed ges 
wife Oränzen gab, über welche hinaus die Geduld des Befehlshabers 
auf die Probe zu ftellen gefährlich wäre. ***) 

Ehe Mondejar Jubiles verließ, entfandte er nad) Granada unter 
einer ftarfen Bedeckung die chriftlichen Gefangenen , die feit ihrer Be: 


*) „Hubo muchos saldados heridos, los mas que se herian unos & otros, 
entendiendo los que venian de fueru, que los que martillaban con las espadas 
eran Moros, porque solamente les alumbraba el centellear del acero, y el re- 
lampaguear de la polvora de los arcabuces en la tenebrosa escuridad de la 
noche.“ — Ebend. ©, 443. 

**) „De los Moriscos quasi ninguno qued6 vivo, de las Moriscas huvo 
muchas muertas, de los nuestros algunos heridos, que con la escuridad de la 
noche se hacian dano unos & otros.“ — Mendoza, Guerra de Granada, S. 77. 

«*) bene. w. o. — Bleda, Cronica deEspana, &. 685. — Herrera, His- 
toria General, Bd. I, ©. 737. — Marmol, Rebelion de Granada, Bd. I, 
©. 441. fi. — Cabrera, Filipe Segundo, ©. 558. 

Brescott, Geſch Philirr's II. IV. 5 


65 Tel Bummi. 


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gun. Teer Summer wirkte artedent, taber beaiitete tie srazmelle, 
tenraıbenrente Menge tie Rrozeinen wie einen Salıazuy nad tem 
Kletter „Unierer lieben Frauen der Eiegreihen“ im geamütrtiicgenien 


*, „Hahia enıre ellas muchas duckas nobles. apuestas v bermosss dom- 
cellas, eriadıs corsa mucho regalo. que ıban desaudas v descalzas. v tan mal- 
tratsdas del trabajo. dei captiverio v del camimo. que no solo quebraian los 
ecorsırnes 6 Ios que las comocian. mas aun & quien no las habia visto.* — 
Marm.‚|, Bebelion de Granada. Br. I, €. 548. 


Viertes Kapitel. Die Rebellion ter Moriscos. 67 


Theile der Stadt, wo mit großer Feierlichkeit Gottesdienft verrichtet 
und für ihre Befreiung aus ber Gefangenfchaft Danfgebete dargebracht 
wurden. Von der Kirche begaben fie fich nach der Alhambra und wur: 
den dafelbft von der Marquife von Mondejar, der Frau des Generals 
Kapitäns, die zur Erleichterung der Leiden ihres Looſes Alles aufbot, 
gnädig empfangen. Diejenigen, welche Sreunde und Berwanbdte in 
der Stadt hatten, fanden in ben Häufern derfelben ein Unterfommen, 
während die übrigen der Erzbifchof von Granada und die wohlthätigen 
Leute der Stadt, welche fie mit Kleidern und fonftigen Lebensbeduͤrf⸗ 
niſſen verſahen, freundlich willfommen bießen.*) Die Gefchichten, 
welche die Blüchtigen von ben ſchrecklichen Scenen, die fie in den Alpu⸗ 
jarras mit angeſehen, zu erzählen wußten, erweckten in den Spaniern 
gegen die Moridcos einen noch tiefern Huß: was für die Sicherheit 
ber Einwohner des Albaichn von einer übelen Vorbedeutung war. 


Diertes Kapitel. 


Die Rebellion der Moriscos. 


Die Lage des Aben-Humeya. — Das Schickſal ter maurifhen Befangenen. — Die 
Erftürmung von Guajaras. — Das Entweichen des Aben⸗Humeya. — Die 
Dverationen des Los Velez. — Die Kabale gegen Mondefar. — Die Zügel 
Iofigfeit der Soldaten. — Das Gemetzel in Granada. — Die Wieteranfahung 
der Infurrection. 


Ehe der Marquis von Mondejar Jubiles verließ, erhielt er einen 
Befuc von fiebenzehn, jenen Landestheil bemohnenden Moridcoß, 
welche famen , um ihre Unterwerfung anzuzeigen und fidy zugleich von 
aller Theilnahme an der Infurrection zu reinigen, fowie um ben Schuß 


*) „Y volviendo & las casas del Arzobispo, las que tenian parientes las 
llevaron & sus posadas, y las otras fueron hospedadas con caridad entre la 
buena gente, y de limosna so les compr6 de vestir y de calzar.* — Gbend. 
wie oben. 


5* 





68 Bieries Kapitel. 


des General⸗Kapitaͤns zu bitten. Seiner Politif gemäß erfüllte er ihr 
Geſuch augenblidlicdh und gab ihnen einen freien @eleitichein, nebfl 
dem Auitrage, daß fie ihren Landsleuten erzählen, was er gethan, und 
fie womöglich überreden jollten, zu ihrer Untertbanenpflict zurückzu⸗ 
kehren, weil das Tas einzige Mittel, ten über fie jonft ſchnell herein» 
brechenten Ruin abzumwenten, fei. Dieſer dem Gefühl der Spanier jo 
widerftrebente Aft ter Milde war eine neue Uriache des Aergers für 
feine Soldaten, weldye die ben Rebellen zugeftantenen günftigen Be⸗ 
dingungen für beinahe nichts Geringeres, ald einen Sieg über bie 
Spanier, anfahen.*) Doch wurten tie guten Folgen feiner Bolitif 
bald erfichtlich , ald der Marquis feinen Marſch wieder antrat; tenn, 
fowie feine Rachſicht mehr befannt wurte, untermarfen fid) eine Menge 
Moridcod und mehrere Pläge auf feiner Route, die alle um feine 
Gnade und um Schutz gegen feine Leute flehten. 

Untertefien gewahrte Aben:Humeya, der nebft feinen Frauen und 
Kriegern zu Paterna lag, mit Grauen, wie ichnell fein Gebirgsthron 
feinen Füßen entichlüpfte. Der Beift des Mißtrauens und ter Unzus 
friedenheit fehrte in fein Lager ein. Daflelbe ichied ſich in zwei Theile: 
in Solche, welche, da fie längeren Widerftand für unmöglidy hielten, 
fi gern augenblidlidy mit dem Feinde abgefunden hätten, und in 
Solche, tie zu einem kühneren Verfahren riethen. Aber die Wortführer 
der legtern Partei wurden, wenn wir den caftilifchen Schriftftellern 
Glauben fchenfen dürfen, weniger Durch patriotitche, als vielmehr per⸗ 
ſönliche Motive geleitet, indem fie meift Männer waren, weldhe wäh- 
end des Aufftandeg eine fo bervorragente Rolle geipielt hatten, daß 
fie nicht in die von den Evaniern zugeftandene Amneftie mit einge⸗ 
ſchloſſen zu werden hoffen fonnten. Hierher gehörten namentlich bie 
afrifanischen Abenteurer, die fi) vor allen Andern durch grimmige 
Berfolgung ter Ehriften hervorgethan hatten. Sie waren es, welche 
gegenwärtig die Entfchlüffe des maurifchen Fürften beflimmten, indem 
fie in jeinem Geiſte gegen einige feiner Anhänger, befonderd gegen den 


*) „Los soldados no podian llevar & paciencia ver que se tratase de me- 
dios con los rebeldes ; y quando otro dis se supo que los admitia, fue tan 
grande la tristeza en el campo, como si hubieran perdido la jornada.“ — Mar- 
mol, Rebelion de Granada, Bd. I, ©. 443. 


Die Mebellion der Moriscos. 69° j 


Bater einer feiner Frauen, einen Mann von großem Anfehen unter den 
Moridcos, Verdacht rege machten. Die Wörter Verdacht und Sterben 
hatten für Aben-Humeya fo ziemlich diefelbe Bedeutung. Er ließ ſei⸗ 
nen Verwandten vorladen und, als derfelbe ind Zimmer eintrat, vor 
feinen Augen niedermachen.“) Er würde noch einige andere aus ber 
Bamilie deffelben ermordet haben, hätten diefe fich nicht feinen Klauen 
entzogen; auf dieſe Weiſe zeigte er, mit wie gutem Recht feine Ab» 
flammung von jenen aſiatiſchen Despoten hergeleitet wurde, die fich 
fo wenig aus dem Leben ihrer Verwandten machten, wie aus bem 
ihnen in den Weg kommenden Ungeziefer. **) - 

Er ftand noch an der Epige einer zahlreichen Armee, die ſich im 
der That auf fechstaufend Dann belief. Die Zahl war aber auch ihre 
größte Stärfe; denn, ohne Disciplin und beinahe ohne Waffen, bes 
ftand fie aus fo rohem, fo wenig fich zufammenfügendem Material 
daß fie, wie er bereitd aus Erfahrung gelernt, niemals von der caflis 
lifhen Miliz den KRampfandrang aushalten Fonnte. in anderer 
Grund zur Entmuthigung ded maurifchen Fürften waren die Nachridys 
ten, bie ftündlich wegen des Abfalld feiner Unterthanen einliefen. Die 
von dem Sieger beiwiefene Milde richtete mehr aus, als deſſen Waffen: 
gleichiwie der Schnee, der fich bei der rauhen Luft ded Winters nur 
fefter an die Bergjeiten anfchloß, loögeht und wegfchmilzt bei der fanfs 
ten Berührung ded Lenzes. Trotzdem daß fich Aben-Humeya unlängft 
noch fo keck geberdet hatte, verlor der unglüdliche junge Mann jetzt 
alles Vertrauen in fein Glüd und in feine Anhänger. Indem er in 
der ärgften Berlegenheit war, wußte er nicht, wohin er fich wenden 
follte. Er befaß nur wenig von der Beftändigfeit und dem Muthe tes 
Patrioten, der fein Leben an eine große Suche gelebt bat. Daher griff 
er jest zu bemfelben Auswege, um beffentwillen er noch unlängft jeinen 
Schwiegervater mit dem Tode beftraft hatte, 


*) Ebend. ©. 443. 

**) Abderrahman, — oder, wie ihn Gayanzos fchreibt: Abu: erhaman — der 
Erſte, der Gründer ter Dynaftie, aus welcher ſich Aben-Humeya herleitete,, fuchte 
Zuflucht in Spanien vor einer blutigen Berfolgung , in ter jetes Mitglied feiner 
zahlreichen Bamilie durch den krummen Säbel oder die Bogenfehne umgekommen 
fein Toll. 


70 Biertes Kapitel, 


Er fandte an den Marauis von Mondejar eine Botfchaft, daß er 
fich übergeben und, wenn ihm Zeit gelaffen würde, fein Volk überreden 
wolle, ein Gleiches zu thun. Mittlerweile erfuchte er den ſpaniſchen 
Befehlshaber, in feinem Marfche anzuhalten,, damit bie Collifion mit 
feinen Truppen verhütet würde, Obgleich fit) Mondejar hierauf nicht 
einlaffen wollte, rücte er doc) langfamer vorwärts, während er mit 
dem Feinde Unterhandlungen einleitete. Er wurde bereitö der Rebellen» 
armee anfichtig, als er auf dad Erfuchen Aben- Humeya’d einwilligte, 
eine Nacht über in dem benachbarten Dorfe Iniza zu halten, damit 
man Zeit zu einer perfönlichen Zufammenfunft habe. Das machte 
nötbig, daß die Truppen, wovon einige ſchon bis in Flintenſchußweite 
nad) dem Feinde vorgerüdt waren, wieder zurädmarfchiren und eine 
Stellung hinter ihrer gegenwärtigen Poſition einnehmen mußten, 
Indem fie diefe Bewegung ausführten, famen fie beinahe in Contact 
mit einer Abtheilung des maurifchen Heeres, und da die Moridcos, 
nicht wiſſend, worum es fich eigentlich handelte, die Bewegung ale 
eine feindliche Demonftration anfahen, fandten fie über die Spanier 
einen Hagel von Pfeilen und anderen Geſchoſſen. Natuͤrlich waren 
die fpanifchen Soldaten herzlich gern bereit, mit einer Gewehrfalve zu 
erwibdern. Bald wurde dad Fechten allgemein. Abens Humeya ˖ las 
gerade einen ihm von einem Stabsoffiziere Mondejar’s überbrachten 
Brief, worin der Ort der Zufammenfunft feſtgeſetzt wurde, als er, 
durch das Feuern aufgeſchreckt, mit Entfegen feine Leute mit dem Feinde 
im heißen Kampfe begriffen fah. Er fegte voraus, daß er von ben 
Spaniern getäufcht worden fei, warf den Brief auf den Boden, ſchwang 
ſich in den Sattel und, ohne daß er feine Arınee, die über dad Schlacht⸗ 
feld nad) allen Richtungen floh, wieder zu vereinigen verfucht hätte, 
fhlug er die Straße nach der Sierra Nevada ein mit einen ©efolge 
von bloß fünf oder ſechs Dienern.“) Da er ein behendes Pferd ritt, 
hatte er ſchon bald Die Defilds des Gebirges erreicht. Indem er jedoch 


“) Y' como vi6 que los Christianos iban la sierra iba, y que los suyos 
hufan desvergonzadamente, entendiendo que todo lo que Don Alonso Venegas 
trataba era engano, echo las cartas en el auelo, y subiendo & gran priesa en 
un caballo, dexö su familia atras, y huyo tambien la vuelta de la sierra.* — 
Marmol, Rebelion de Granada, ®t. I, ©. 460. 


Die Rebellion der Moriecos. 74 


eifrig verfolgt wurde, hielt er es für ficherer, fich felber als feinem 
Rofle zu vertrauen, und ftieg ab, Damit feine Verfolger das Pferd‘ 
nicht benugen koͤnnten, fchnitt er ihm bie Sehnen durch und verſchwand 
dann in den dunkeln Pfaden der Sierra, wohin ihm zu folgen frucht⸗ 
los geweſen waͤre. 

Die Niederlage feiner Armee war vollſtaͤndig, ſo daß, haͤtte nicht 
der Marquis von Mondejar feine Leute zurückbeordert und dem Ab⸗ 
ſchlachten Einhalt gethan, die Sieger den Fluͤchtigen einen unberechen⸗ 
baren Verluſt zugefügt haben würden. Denn der Marquis wuͤnſchte 
bie Thür der Verſoͤhnung fo weit als möglich offen zu halten. Sein 
Berfahren, welches von feinen Leuten nicht verftanden wurde und nicht 
verftanden werben fonnte, wurbe von denſelben ald Verrätherei ges 
brandmarft. Einigen Troft für diefe Täufhung fanden fie in ber 
Plünderung von Paterna, der Refidenz des AbensHumeya, welche mit 
foftbaren, den Moriscos fo werthen Lurusfachen, bie für die Sieger 
eine willfommene Beute lieferten, reichlich werforgt war. *) 

Unter den maurifchen Gefangenen befand fi die Mutter Aben- 
Humeya's, zwei feiner Schweſtern und eine feiner Frauen, denen allen, 
wie gewöhnlich, Mondejar feinen Schuß verlieh. 

Doch war ber fpanifche Befehlshaber verlegen, was er mit ben 
Gefangenen anfangen follte. Hätte er feine Einwilligung‘ gegeben, 
fo würden feine Soldaten, wie wir fehen, die Frage einfach dadurch 
gelöft haben, daß fie fich diefelben ald Siegeöbeute zugeeignet hätten. 
Biele Leute in einer höheren Stellung, ald die Soldaten, hegten mit 
ihnen die gleiche Anficht von den Begenftande. Die Frage war wid) 
tig genug, um der Regierung vorgelegt zu werben. Philipp brachte fie 
vor den Staatörath und befragte, ba er fie für eine Gewiſſensſache, 
welche die Interefien der Religion in fich Schloß, anfah, die Königliche 
Audienz von Granada, über die Deza den Vorſitz führte, um ihre 
Meinung. Die enbliche Entfcheidung war fo, wie man jelbige von 
Tribunalen, an deren Spige Inquifitoren ftanden, erwarten mußte. 
Es wurde erklärt, daß die Moriscod durch ihren Aufftand verdient 


*) Ebend., ©. 458 ff. — Ferreras, Hist. d’Espagne, Br. X, S. 29—31. 
— Mendoza, Guerra de Granada, &. 80 und 81. — Cabrers, Filipe Segundo, 
&. 560 und 561. — Herrera, Historia General, Bd. I, ©, 737. 





12 Biertes Kapitel. 


hätten, in die Sflaverei verfauft au werben. Dad Merfwürbigfte dabei 
sift der für das Urtheil angeführte Präcedenzfall, daß diefelbe Entſchei⸗ 
dung ja ſchon auf dem Conzil von Toledo in der entlegenen Zeit der 
Weſtgothen gefällt worden wäre, wo erklärt wurde, daß gewifie rebel⸗ 
liſche Juden durch den Akt der Rebellion ihre Freiheit verwirft hätten.*) 
Den Morisco, hieß es, ſollte ed nicht beffer, al8 dem Juden, ergehen, 
weil er nicht nur, wie jener, ein Rebell und Ungläubiger, fondern ein 
Abtrünniger obendrein fei. Diefe Entfcheidung foll den Philipp fehr 
befriedigt haben, wiewohl er „mit der frommen Mäßigung, welche 
einen fo gerechten, bedachten Bürften auszeichnete, ***) bie Strenge des 
Spruchs in dem von ihm publicirten Pragmaticum in jo fern milderte, 
als er Knaben unter zehn und Mädchen unter elf Jahren von der 
Application deffelben ausnahm. Diefe letztern follten der Sorge von 
verantwortlichen Perſonen, die ihnen eine chriftliche Erziehung genies 
Ben zu laſſen hatten, anvertraut werben. Leider ift zu verinuthen, daß 
von den mit der Vollſtreckung des Geleped Beauftragten die guten 


Abfichten,, welche die Regierung bei diefer Beitimmung hegte, nicht 


fehr gewiflenhaft in's Werk gefeht wurden. ***) 

Wührend diefe Frage noch ſchwebte, fiel Jubiles den Siegern in 
bie Hände, und da Monbejar nicht dad Recht zu haben glaubte , feine 
weiblichen Gefangenen , von denen durdy dieſes Ereigniß über taufend 
in feinen Beſitz famen, in Freiheit zu ſetzen: fo übergab er fie drei ans 
geichenen Moridcod, denen er, wie man ſich erinnern wird, Geleits⸗ 
feine zugeftellt hatte." Sie durften die Frauen ihren Bamilien wiebers 
geben, unter der Bedingung, daß fi) diefelben, falls es die Regierung 
verlangte, alle wieder ftellten. Freilich hieß das großes Vertrauen in 
die Redlichkeit der Moriscos feben, ein Bertrauen, das die Kolge recht⸗ 
fertigte. Denn, als die Frauen zufolge tem Pragmaticum, von der 


*) Die angezugene Entſcheidung wurde wahrfceinlih im legten Conzil von 
Toleto gefaßt — im Jahre 690 der chrüitlichen Ara. — Siche Mariana, Hist. de 
Espana, Br. I, S. 452, 

“*) Ich ziehe die Worte Marmol's an: — „Con una moderacion piadosa, 
de que quiso usar como principe considerado y justo.“ — Rebelion de Gra- 
nada, Bd. 1, ©. 498. 


.**) Ebend. wie oben. 


— — — — 


Die Rebellion der Moriscos. 73 


Regierung beanſprucht wurden, wurden fie von ihren Bamilien audge- 
liefert — einige Frauen etwa audgenommen, die in ber Zwiſchenzeit 
verftorben waren. Der größere Theil von ihnen wurde öffentlich in 
Granada verfteigert. *) 

Der einzige bedeutende Platz, welcher jest noch gegen Mendeiar 
aushielt, war das in der Ebene von Salobrena, nad Velez Malaga 
zu, gelegene Lad Guajaras. Es war daß ein felfiger, fteiler Berg, auf 
defien Gipfel die Natur, ohne vieles Zuthun der Menſchenhand, eine 
‚Art rohe Beftung gebaut hatte. Ihn vertheidigte eine wilde Schaar 
Moriscos, die, indem fie von den Höhen aus die Ebenen durchftreiften 
und verheerende Einfälle machten, das ganze umtliegente Land in 
Schreden festen. Die Beſchwerden ber Einwohner bewogen den Mons 
deijar, am fünften Kebruar Urirar zu verlaffen. Mit feiner ganzen 
Armee, die neuerdings durch die Ankunft frijcher Truppen fehr vers 
Hlärft worten war, marfchirte er eilends auf Guajaͤras los. Er ftieß 
auf einen ftärferen Widerſtand, ald er erwartet hatte. Bei feinem 
erften Berfuche, den Platz wegzunehmen, wurde er mit einem fchweren 
Berlufte zurüdgefchlagen. Die maurifche Garniſon fandte von ihrem’ 
bochgelegenen Standpunfte auf die Hänpter der Spanier einen wahren 
Hagel von Geſchoſſen herab und wälzte, was noch fchlimmer war, 
große Felſenmaſſen hernieder, die, als fie durch die Reihen der Eaftilier 
fuhren, die Infanterie und Kavallerie zu Boden ftredten und in ihrer 
MWirfung dem Kanonenfeuer gleichfamen. Achthundert Spanier blie⸗ 
ben todt auf dem Plage, und manches edle Haus Andalufiens hatte 
um diefed unglüdlichen Tages willen Zrauer anzulegen. 

Mondejar, ärgerlich über diefe Schlappe — bie erfte non ihm 
erlittene Niederlage, — befchloß, den nächftfolgenden Tag den Angriff 
in eigener Perſon zu leiten. Er näherte fid) jest dem Feinde mit grö« 
Berer Vorficht, ald das erfte Mal, und brachte ohne große Einbuße 
glücklich feine Büchfenfchügen auf einen höher liegenden Plas, von mo 

*) Ebend., ©. 465 und 498. 

Mendoza jagt, fie ſeien alle überliefert worden: — „eiwas zuvor noch nie 
Dageweſenes, Sei es nun, daß es aus Furcht oter aus Gehorſam entiprang, oder 
fei cs, taß es eine Solche Menge rauen gab, Daß fie nicht viel beſſer, denn Hauss 
geräthe betrachtet wurden.’ — Querra de Granada, ©. 96. 


74 Biertes Kapitel. 


aus ihr Feuer die Schanzen des Feindes beherrfchte und demfelben 
einen fchredlichen Verluſt zufügte. Doch hatte fidy beim Untergang 
ber Sonne der Platz noch nicht übergeben. Indeß fah El Zamar, fein 
tapferer Vertheidiger, ein, daß feine Heine Garniſon, weil fie ohne 
Munition und beinahe ohne Waffen war, die Hoffnung eines längeren 
Widerſtandleiſtens aufgeben mußte. Während der Stille der Nacht 
räumte er daher den Platz, und die Moriscos, unter denen «8 fowohl 
Frauen ald Kinder gab, klommen mit der Yurchtlofigfeit der Gemſe 
feife den abichüffigen Berg hinab. Sie entfamen, ohne die Aufmerk⸗ 
famteit der Spanier zu erregen. Sie ließen in der Stadt nur Leute 
zuruͤck, bie wegen zu hohen Alter8 oder wegen Krankheit nicht ven ges 
fährlichen Abhang mit hinunterklimmen konnten. 

Als fi, am nächften Tage ber fpanifche Feldherr zur Erneuerung 
des Sturmes anfchiete, war er fehr erflaunt, daß der Keind — mit 
Ausnahme einiger elenden wiberftandsunfähigen Geſchoͤpfe — vers 
ſchwunden war. Ale fchlimmen Leidenfchaften Mondejar's waren 
durch die hartnädige Vertheidigung des Platzes und durch den erlitte⸗ 
nen Verluſt wach geworden. In feiner großen Wuth befahl er, daß 
die ohnmächtige Befagung über die Klinge fpringen follte. Wan be 
achtete feine Bitte um Gnade. Man nahm Feine Rüdficht auf Alter 
und Geſchlecht. Sämmtliche Moridco® wurden zufammengehauen in 
ber Gegenwart des ®enerald, der ſogar die zögernden Soldaten anges 
trieben haben foll, die Schlächterei vollig zu Ende zu führen. *) Diefee 
feinem früheren Benehmen fo entgegengefeßte Verfahren entiprang, wie 
Einige vermuthet haben, aus dem-Unmillen, daß ihm oft zu große 
Milde gegen die Moriscos vorgeworfen wurde. Dan hatte ihn fogar 
deßhalb bei der Krone angeklagt, und die gegenwärtigen Umftänbe 
gaben ihm die Mittel an bie Hand, die Anflage vollftändig zu wider⸗ 
legen. Trotzdem muß ber Gefchichtfchreiber bedauern, daß die Ehre 


) „Fue tanta la indignacion del Marques de Mondejar, que, sin perdonar 
4 ninguna edad ni sexo, mand6 pasar & cuchillo hombres y mugeres, quantos 
habia en el fuerte; y en su presencia los hacia matar 4 los alabarderos de su 
guardis , que no bastaban los ruegos de los caballeros y capitanes, ni las pia- 
dosas lagrimas de las que pedian la miserable vida.“ — Marmol, Rebelion de 
Granada, Bd. I, ©. 493. 


Die Rebellion der Moriscos. 75 


eines tapfern, edelmüthigen Führers auf diefe Weiſe beflecft murbe, 
währent bidher fein Charafter durch die gräulichen Handlungen, welche 
biefen Krieg fennzeichneten, nicht befubelt worten war. *) 

Aber felbft diefe Sraufamfeit wurde durch diejenige feines Sobs 
nes, des Grafen von Tendilla, noch übertroffen. El Zamar, ber 
tapfere Bertheidiger der Feflung , wanderte mit feinem Töchterchen in 
den Armen über bie fteilen Klippen des Gebirged. Bon Hunger und 
Anftrengung ermattet ward er zulegt von feinen Feinden eingeholt und 
als Gefangener nach Granada geſchickt, wo ihn: der grimmige Tens 
billa das Fleiſch mit glühenden Kneipzangen von ben Knochen reißen 
und feinen zerfleifchten, noch zuckenden Leichnam viertheilen ließ. Das 
Berbrechen EI Zamar's beftand darin, daß er zu tapfer für die Unabs 
haͤngigkeit feiner Nation gefochten hatte. 

Nachdem Mondejar die Mauern von Gusjarad gefchleift hatte, 
kehrte er mit feinen blutbefledten Xorbeeren nach feinem Hauptquartier 
Orgiba zurüd. Der Thurm und die Stadt waren vor feiner Ankunft 
gefallen. Auf allen Seiten hatten ſich feine Waffen fiegreich erwiefen. 
Aber Eins fehlte noch: — bie Gefangennahme Aben-Humeya’d, des 
„Eleinen Königs” der Alpujarras. So lange diefer noch am Leben 
war, konnte die jept erſtickte Infurrection jederzeit wieder angefacht 
werden. Es war befannt, daß er fi in die Wildnig der Eierra Nes 
vada geflüchter hatte, und er zog dufelbfl, wie der General; Kapitän ' 
fehrieb, mit nur ein paar Leuten von dem einen Felſen zum andern. **) 


— — — — — — 


Ebend. ©. 482 ff. — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 88 - 08. — 
Ferreras, Hist. d’Espagne, ®b. X, ©. 32-36. — Bleda, Cronica de Espaüa, 
S. 688 ff. — Herrera, Historia General, 8. I, ©. 738. — Cabrera, Filipe 
Segundo, S. 869. 

Sowohl für Geſchichtſchreiber, wie für EAnger ift der Sturm von Gusjarras 
ein Lieblingstbema gewefen. Unter ten legteren befintet ſich Hita, der nicht verfehlt 
Hat, einen Kranz von Berfen um das Grab mehr als eines von jenen Kavalieren zu 
winten, die in tem blutigen Kampfe fielen, und um deren Tod, wie er uns erzählt, 
„alle etien Damen von Sevilla Trauer anlegten.“ — Guerras de Granada, Dd. 
Ho, ©. 112—118. 

) „Que no habia osado parar en In Alpuxarra, y con solos cincuenta 
6 sesenta hombres, que le seguian, andaba huyendo de pena en pena.* — 
Marmol, Rebelion de Granada, Bd. I, ©. 464. 


16 Vieries Rapitel. 


Mondejar ſchickte zwei Abtheilungen Soldaten in bie Eierra, mit dem 
Befehle, ihn audzufpüren und ihn womöglich zu ergreifen. 

Der Befehlshaber ber einen von dieſen beiden Abtheilungen, 
Ramend Maldonado, entdedte, daß Aben⸗Humeya, nachdem er fich 
den Tag über in den: unzugänglichen Dertern des Gebirges verſteckt 
gehalten, fich ded Nachts heimlich mit einigen feiner Xeute nach einem 
Plage am Saume der Sierra, Ramend Mecina, zu begeben pflegte. 
Dort fand er ein Obdach bei feinem Berwandten Aben - Aboo, einem 
iener Moridcod, die nad) dem Siege bei Jubiles, von Mondejar ein 
freicd Geleite erhalten hatten, Als der fpaniihe Hauptmann dieſe 
Nachricht empfangen, und ſich nad) der Lage des Hauſes erkundigt 
batte, marjchirte er mit feiner Kleinen Schaar, die aus zmeihundert 
Mann beftand, darauf zu. Er näherte ſich mit der größten Vorſicht. 
"Indem er die Nacht über marſchirte, gelangte er völlig unbemerkt in 
die Nähe von Aben⸗Aboo's Wohnung. Da ihn die Dunfelheit bei 
feinem Borrüden verbarg, war er ſchon nur noch einen Flintenſchuß 
weit von dem Gebäude entfernt, als in diefem entjcheidenden Augens 
blicke alle feine Vorſichtsmaßtegeln durch die Unvorfichtigfeit eines feis 
ner Leute, deſſen Büchſe zufällig loßging, vereitelt wurden, Der 
Schuß, weldyer in der Stille der Nacht von den Bergen wieberhallte, 
erwedte die Einwohner des Hauſes, deren Schlaf demjenigen des ers 
matteten Seefahrers, deffen Schiff untergehen will, gli. Einer von 
ihnen, El Zaguer, der Onkel Aben⸗-Humeya's, (derfelbe, welcher ihm 
zu feiner Krone — der Dornenfrone — behüͤlflich gewejen war), 
wurde zuerſt munter, eilte an’d Fenſter, fprang aus einer bedeutenten 
Höhe hinab und fuchte dad Gebirge auf. 

Sein in einem andern Theile des Gebäudes fchlafender Neffe 
war nicht fo glüdlich. Als er an’8 Fenſter fam, fah er mit Entfegen, 
daß ber Boden vorn heraus von einer Abtheilung caftilifcher Truppen 
beiegt gehalten wurde. Indem er an ein anderes Fenſter fprang, 
machte er ganz die nämliche Entbedung ; feine Beinde umzingelten das 
ganze Haus. Ganz verdugt und in peinlicher Berlegenheit wußte er 
nicht, was er thun follte. Indem er fich auf diefe Weile in der Falle 
befand und unmöglich mit feinen Beinden unterhandeln fonnte, wußte 
er recht wohl, daß er von ihnen fo wenig Erbarmen erwarten fonnte, 


Die Rebellion der Moriscos. 17 


wie der Wolf, den die Jäger in feinem Lager erwiſcht haben. Unters 
deffen donnerten die Spanier an die Thür ded Gebäudes und bes 
gehrten Einlaß. Glücklicherweiſe war das Haus gut verſchloſſen. 
Da geriet, Aben-Humeya auf einen Einfall, den er auf der Stelle 
audführte. Er eilte die Treppe hinab, ftelite fich hinter die Thür und 
309g ſachte Die Riegel auf. Das hierdurch verurfachte Geräufch wurde 
übertäubt durch das Getöfe der Anftürmenden, die, als ſich die Thür 
öffnete, vorausſetzten, daß fie diefelbe aufgefprengt hätten. Sie ftröms 
ten ine Haus hinein und vertheilten fidy Über alle Theile deffelben, 
um den Flüchtigen aufzufuchen. Der hinter der Thür verborgene 
Aben-Humeya entging ihrer Aufmerkfamfeit. Als feine Feinde vers 
ſchwunden waren, fchlüpfte er hinaus in die Dunfelheit und fand 
— geborgen unter feinem treuen Mantel — glüdlic den Weg ins 
Gebirge. | 

Es war vergebens, daß die über das Entichlüpfen ihrer Beute 
wüthenden Spanier den Aben-Aboo über die Verſtecke feines Veiters 
und feined Onfeld EI Zaguer in der Sierra auseraminirten. Die 
peinlichften Martern vermochten nicht, feine Standhaftigfeit wankend 
zu machen. „Ihr könnt mid umbringen,” fagte der tapfere Moridco, 
„aber meine Breunde werben am Leben bleiben.“ Die Soldaten ließen 
ihn für todt liegen und kehrten nach dem Lager zurüd, wohin fie eine 
Menge feiner Freunde als Oefangene mitnahmen. Es gab jedoch 
unter ihnen nicht einen einzigen, der nicht früher ein freied Geleite 
erhalten gehabt hätte. Sie wurden daher alle von dem Marquis in 
Freiheit gelegt. Er bewies hierdurch eine gewiffenhafte Erfüllung 
feiner Zuficherungen, worin er leider, wie wir fpäter fehen werben, 
von feinen Soldaten nicht fehr nachgeahınt wurde. Der ald todt auf 
dem Plage gelaffene heldenmüthige Aben-Aboo farb indeſſen nicht, 
fondern blieb am Leben, ftellte fich bei einer neuen Infurrection an 
die Spige und rädhte fi hinlänglich an feinen Feinden *). 





*, Der caftiliiche Gefchichtfchreiber fann nicht umhin, dieſem tapfern Morisco 
— in freifih etwas derben Austrüden — feine Bewunterung zu zollen: — „Este 
barbaro,* wie er ihn nennt, „bijo de aspereza y frialdad indomable, y menos- 
preciador de la muerte.“ — (Marmol, Rebelion de Granada, Dd. I, S. 803.) 
— Die Gefhichte von dem Entfommen des Aben - Sumcya findet fih auch, und 


18 Biertes Kapitel. 


Mährend hier die Waffen des Marquis von Montejar alfo mit 
Glück fämpften, wüthete der Krieg noch grimmiger am öftlichen Ab⸗ 
hange der Alpuiarras, wo ein Friegeriiher Schlag Bergbewohner 
Almeria und die anliegenten Pläbe zu überfallen drohte und die Ein⸗ 
wohner fortwährend in Beforgnig erhielt. Die letztern wandten ſich 
an die Regierung in Granada und baten um wirffame Maßregeln 
zu ihrer Befreiung. Die Folge war, daß der Bräfident Deza den 
Marquis Los Velez, welcher von ‚der anftoßenden Provinz Murcia, 
ber Adelantado war, erfuchte, eine Truppenmadjt zu muftern und für 
die BVertheidigung der Gränze zu forgen. Diefer Schritt ſchien den 
Freunden Mondejar's eine Beleidigung des letztern zu fein, weil eis 
gentlich feine militärifche Gewalt fi über die von den Moriscos 
bedrohte Gegend erftredie. Die Sache war um fo ärgerlicher, ald das 
dein Commando vorgelegte Intividuum ein Rival war, zwifchen 
befien Haufe und dem des Mondejar eine alte Fehde herrſchte. Der 
König fanctionirte indeß die Anordnung, indem er vielleicht glaubte, 
dag Mondeiar Feine hinreichende Streitfraft befite, um bie ganze 
Gegend der Alpujarrad zu ſchützen. Mag dem aber fein, wie ihm 
wolle, fo brachte hierdurch Philivp zwei Befehlshaber von gleicher 
Autorität auf das Kriegätheater, Männer,- deren Charaktere und ges 
wöhnliche Handlungsweife einander fo entgegengefegt waren, daß ſich 
von ihnen wenig Harmonie erwarten ließ. 


Don Luis Bajardo, Marquis von 208 Velez, war ein abeliger 
Herr in etwas vorgerüdten Jahren, deren größeren Theil er mit 
aktivem Militärdienft ausgefüllt hatte. Er hatte die Kriegswiſſen⸗ 
fchaft unter dem großen Kaifer ftudirt und den Ruf eines prompten, 
entfchloffenen Soldaten fidy ennvorben. Er war fühn im Gefecht, ftolz, 
ja übermüthig in feinem Betragen, und befaß einen unbrugfamen 
Willen, den weder Freund noch Feind wanfend machen fonnten. 
Durch den ftrengen Lagertienft war die Rauhheit feines Welens nicht 
gemildert worden, und, wie fein Berfahren auf- der gegenwärtigen 
Erpedition zeigte, er war nicht mit den Humanitaͤtsrückſichten, bie 








zwar mit nur geringer Abweichung, im Gabrera (Filipe Segundo, ©. 573) und 
Ferreras (Hist. d’Espagne, Bd. X, S. 39 und 40). 


Die Rebellion der Moriscos. 79 


fo oft da8 Schwert Mondejar's von den Bertheibigungslofen und 
Schwachen ablenften, geplagt. Die Moriscos, welche feinen Eha- 
tafter burchichauten, verabfcheuten ihn: was fie durch ben ihm gege⸗ 
benen Spignanıen: „Der eifenktöpfige Teufel,” bewielen *). 

ALS der Marquis die Aufforderung Deza's erhielt, ſammelte er 
ohne Berzug feine Verwandten und feine zahlreichen Bafallen um fich 
her, und diefe zeigten durch die Freudigkeit, mit welcher fie kamen, 
wie gern fie der Aufforderung zu einem feindlichen Einfalle uͤber bie 
Gränze Folge leifteten. Seine eigene Bamitie war ein friegerifches 
Geſchlecht, das von ber Wiege an unter dem Getöfe der Waffen aufs 
gebracht worden war. Auf feiner gegenwärtigen Erpedition war er 
von drei Söhnen begleitet, wovon dem jüngften, einem breizehnjähs 
rigen Knaben, die folge Auszeichnung zu Theil wurbe, daß er feines 
Vaters Banner tragen durfte**). Durch die fchnellgelieferten Truppen 
aufgebote ftügte ſich Los Velez jegt auf eine flärfere Kriegsmacht, als 
Mondejar. An der Epipe dieſer tapfern, aber fchlecht disciplinirten 
Schlachtreihe zog er hinein in die düftern Schlünde des Gebirges, in 
der Abficht, den Feind auf der Stelle zu einer Schlacht zu nöthigen. 

Unfer Raum erlaubt und nicht, die ausführliche Befchreibung 
von einem Feldzuge zu geben, der in feinen allgemeinen Umriffen dem 
bereitö bejchricbenen auf ein Haar gleicht. Der Kampf war wirklich 
zu ungleich, al& daß er bei der Mehrzahl der Xefer ein großes Intereffe 
erwecken koͤnnte, während vom militärifchen Standpunfte aus bie 
Detaild, wegen der gänzlichen Ummviffenheit der Moriscos in ber 
Kriegskunft, von noch geringerer Bedeutung find. 


*, „Quaudo entendieron que peleaban contra el campo del Marques de 
los Velez, & quien los Moros de aquella tierra solian llamar Ibiliz Arraez el 
Hedid que quiere decir, diabelo cabezu de hierro, perdieron esperanza de 
vitoria.* — Marmol, Rebelion de Granada, ®Bb. I, ©. 451. 

Der aus Murcia gebürtige Hita, ter mit dem Los Velez zu Felde zog, gibt 
eine fleißig ansgearbeitete Beſchreibung diefes Fräftigen Fuͤhrers. Er preift ihn als 
einen ter tapferfien Befehlähaber von der Welt, der durch feine Thaten dem Gib, 
dem Bernardo tel Earpio oter jerem andern hochberühmten fpanifchen Helden den 
Hang ftreitig madte. — Guerras de Granada, ®d. II, ©. 68 ff. 

**) Circourt, Hist. des Arabes d’Espagne, ®b. II, S. 346, 


80 Viertes Kapitel. 


Das Geſchick des Feldzugs wurde durch drei Schlachten ent⸗ 
ſchieden, die nach einander bei Plätzen, die alle am öſtlichen Gebirgs⸗ 
zuge lagen, bei Huécija, Filix und Ohanez, vorfielen. Die blutigfte 
war diejenige bei Bilir. Die maurifche Armee zog eine große Menge 
Nachzügler in ihrem Schweife; von ihnen blieben ſechsſtauſend — 
darunter viele Frauen“) — tobt auf dem Schlachtfelde, außerdem 
ſollen die Spanier zweitaufend Kinder abgefchlachtet haben**), Einige 
ſuchten Zufludht in Höhlen und im Didicht, wurden aber bald aus 
ihren Verſtecken hervorgezogen und Ealtblütig von den Soldaten abger 
ſchlachtet. Andere flürzten fi, um dem Tode von Feindeshand zu 
entgehen, Hals über Kopf in die Abgründe und kamen auf diefe Weiſe 
elendiglih um; manchmal hielten die jo Umfommenden beim Herab⸗ 
ftürzen ihre Kinder in den Arınen. „Die von den Truppen verübten 
Grauſamkeiten,“ fagt Einer, der fih bei der Armee befand und bie 
Thaten derfelben aufzeichnete, „waren derartig, daß die Feder fich fie 
zu berichten fträubt”***), „Ich felber,” fügt er hinzu, „fah den mit 
Wunden bedeckten Leichnam einer maurifchen Frau auf dem Boden 
liegen und ihre ſechs todten Kinder rund um fie ber. Es war ihr 
gelungen, ein fiebentes, dad noch ein Säugling war, mit ihrem Körs 
per zu fchügen, denn obfchon die Lanzen ihre Kleider durchbohrt hatten, 
war das Kind doch wunderbar ohne jede Wunde erhalten.“ „Es Ham: 
merte fich,“ fährt er fort, „an den Bufen feiner todten Mutter an, 
von welchem es mit Blut vermifchte Mildy ſog. Ich trug es fort und 
vettete e8 4)". Zur Ehre ber menſchlichen Natur berichtet er andere 


*) „Mas mugeres que hombres,* fugt Mendoza, Guerra de Granada, ©. 83. 

) „En menos de dos horas fueron muertas mas de seis mil personas 
entre hombres y mugeres; y de ninos, desde uno hasta diez anos, habia mas 
de dos mil degollados.“ — Hita, Guerras de Granada, Bd. II, S. 126. 

Hoffentlich iſt das nur die Hebertreibung des Romanfchreibere. Mendoza er: 
wähnt feine Kinder und fept die Bahl der Sefallenen auf fiebenhundert herab. 
Allein, Hita war mit im Kampfe. 

) „La soldadesca que andaba suelta por el lugar cometi6 crueldades 
inauditas, y que la pluma se resiste & transcribir.“ — Gbend., ©. 125. 

t) „El nino arrastrando como pud6 se lleg6 & ella, y movido del deseo 
de mamar, se asi6 de los pechos de la madre, sacando leche mezclada con la 
sangre de las heridas.* — Ghbend., ©. 126. 


Die Mebellion der Moriscos. 81 


Ahnliche Faͤlle, wo bisweilen aus den ſteinharten Sie dieſer Pluͤn⸗ 
derer ein Funken menſchlichen Gefuͤhles ſprang. 

Das Schlachtfeld lieferte den Siegern reiche Beute. Sie zogen 
die Todten aus und pluͤnderten die Leichname der Frauen, an denen 
fie Halsbaͤnder, Armbänder, goldene und ſilbetne Schmudfachen, 
ſowie koͤſtliches Gefchmeide fanden, womit ſich die maurifchen Frauen⸗ 
zimmer zu ſchmücken beliebten. Mit Beute gefättigt, ergriffen bie 
Soldaten die erfte befte Gelegenheit, ihren Bahnen Lebewohl zu fagen 
und in die Heimath zurüdzufehren. Ihre PBläge waren bald wieber 
ausgefüllt, da die Entfaltung ihres Reichthums die Habgier ihrer 
Landsleute anfpornte, fich freudig um dad Banner eines Befehls: 
habers zu fchaaren, der fie ficherlich zu Sieg und Beute führen mußte. 
Doch vermochte diefer Befehlshaber mit al feiner Strenge Nichte 
gegen ben unter den Truppen herrſchenden Infuborbinationsgeift aus⸗ 
aurichten, denn als er einmal einen Soldaten wegen eines flarfen Uns 
gehorſams ftrafen wollte, wurde ihm. bebeutet, daß im Lager drei⸗ 
taufend Mann bereit wären, für ihren Kameraden einzuftehen und ihn 
vor Leid zu fchügen *). 

Zu ben wilden Exceſſen ber Soldaten gefellte fi) ein wunber- 
varer Refpect für die religiöfen Foͤrmlichkeiten, welche den Charafter 
des gegenwärtigen Krieges verfinnbilblichten. Ehe es zum Treffen 
ging, kniete die ganze Armee betend nieder und flehte feierlich den 
Schutz bed Himmels auf feine Kämpfer herab. Nach der Schlacht 
von Ohanez, wo die Bergbäche bergeftalt mit geronnenem Geblüte 
angefült waren, daß die Epanier mit Mühe ihren Durft Löfchen 
fonnten, ſchickten fle fich an, Maria's Reinigung feftlich zu begehen*"). 


9 „Advirtiendo al mismo tiempo que hay tres mil hombres paisanos 
suyos puestos sobre las armas, y decididos & perder la vida por salvarle.* — 
Ebend., ©. 132. 

**) Hita bat der wilden Flucht von Ohanez eine feiner feurigfien Romanzen 
gewidmet. Die erſte Stange wird den Ton berielben zeigen: 

„Las tremolentas banderas 
del grande Fajardo parten 
para las Nevadas Sierras, 
y van camino de Ohaner. 
Ay de Ohanez!“ 
Vrescott, Geld. Bhilipp’s II. IV. 6 


82 Biertes Kapitel, 


Man machte nad) der Kirche eine Prozeſſion, an deren Spige ſich ber 
Marquis von Los Belez mit feiner Ritterfchaft, alle in voller Rüftung 
und mit Wachöferzen in den Händen, befand. Dann folgten bie 
riftlichen aus der Gefangenfchaft befreiten rauen, die nad) dem 
Befehle des Generals mit blauweißen Kleidern, mit den ſich für die 
Jungfrau ſchickenden Farben, angethban waren”). Das Ende ber 
Prozeſſion bildeten ein Zug Möndye und andere Geiftliche, die am 
Kreuzzuge Antheil genommen hatten. Langſam marfcirte die Pro⸗ 
zeifton durdy die Reihen ber Soldaten, weldye fie bei ihrem Eintritte in 
bie Kirche mit Gemehrfalven falutirten. In der Kirche wurde das 
Te Deum gefungen, und alle Anwefenden warfen fidy in tiefer Ans 
betung vor dem Herrn ber Heerſchaaren nieber, der ihnen ihre Feinde 
in ihre Hand gegeben hatte. 

Bon diefer feierlichen Anbetung brachen die Soldaten ſchnur⸗ 
ſtracks zum Plündern auf, woran der ſeinem Rival, dem Marquis 
von Mondejar, unaͤhnliche Befehlshaber, gleich dem gemeinſten feiner 
Soldaten, einen herzlichen Antheil nahm. Weit entfernt, daß die 
mauriſchen Gefangenen, ſechszehnhundert an Zahl, den naͤmlichen 
Schutz, wie bei dem edelmüthigern Mondejar, gefunden haͤtten, wur⸗ 
den ſie vielmehr den zuͤgelloſen Soldaten preisgegeben. Unter ihnen 
befanden ſich viele ſchoͤne Jungfrauen, und vierzehn Tage lang herrſchte 
im Lager ein Faſching des wildeſten Getuͤmmels und Ausſchwei⸗ 
fens *). In dieſem ſonderbaren Gemiſch von religiöſem Gefühl und 
menſchheitempoͤrendem Verbrechen gewahren wir die charakteriſtiſchen 
Merkmale des Kreuzzuges. Nirgends ſehen wir, wie den übelſten 
Leidenſchaften unſerer Natur ſo der Zuͤgel ſchießen gelaſſen wird, als in 


*) „Todos los caballeros y capitanes en la procesion armados de todas 
sus armas, con velas de cera blancs en las manos, que se las habian enviado 
para aquel dia desde su casa, y todas las Christianas en medio vestidas de 
azul y blanco, que por ser colores aplicados & nuestra Senora, mando el Mar- 
ques que las vistiesen de aquella manera & su costa.“ — Marmol, Rebelion 
de Granada, ®b. I, ©. 469. 

*) „Tray&ndose muchas Moras hermosas, pues pasaron de trescientas las 
que se tomarou alli; y habiendolas tenido los soldados & su volundad mas 
de quince dias, al cabo de ellos mando el marquds que las llevasen & la 
iglesia.“ — Hita, Guerras de Granads, ®b. I, ©. 188, 


Die Rebellion der Moriscos, 83 


den Religionsftiegen, wo tede Partei fi im Kampfe gegen bie Yeinde 
Gottes zu befinden glaubt und die Heiligfeit der Sache über die 
fcheußlichften Bergehungen einen Schleier wirft, ber ihre Schreclich⸗ 
feit dem Auge des liebelthäters verhüllt. | 

Mährend die Moriscod ganz erflaunt waren über bie ihnen fo 
raſch hinter einander von dem eifenherzigen Marquis verfegten grims 
migen Streiche, führte fein Rival mit einem milden, liberalen Ver⸗ 
fahren feine Feinde noch viel erfolgreicher zum Gehorſam zurüd. Die 
elenden Wanderer, entmutbigt durdy ihre Niederlagen, erjchöpft von 
Anftrengung und Hunger und über dad Gebirge fehweifend ohne 
Kleidung zum Bebeden ihres Leibes und ohne eine Obdach bietende 
Heimath, kamen einer nad) dem andern um Gnade ein. Beinahe alle 
Städte und Dörfer in dem Mondejar zugemwiefenen Gebiete empfanden 
eine gleiche Niedergeichlagenheit, ſchickten in das fpanifche Quartier 
Deputationen, und unterwarfen fich und flehten um Schu. Während 
dieſe Deputationen gnädig aufgenommen wurden, forgte der General 
für die zufünftige Sicherheit feiner Eroberungen, indem er in bie 
Hauptorte Bejapungen legte und nach verfchiebenen Theilen Eleine 
Detachements, die wie eine Art bewaffnete Bolizei die Ordnung auf- 
recht erhalten follten, entfandte. Auf diefe Weife, fagt ein Zeitger 
noſſe, wurde im Lande die Ruhe dergeſtallt wieder hergeftellt,, daß 
Kleine Zruppenabtheilungen von zehn bis zwölf Mann von dein einen 
Ende befielben bis zum andern ungeftört gehen fonnten *). 

Zugleich ſchrieb Mondejar an den König, um ihn mit dem wirk⸗ 
lichen Sadywerhalt befannt zu machen. Er flehte feinen Herm an, 
mit den unterworfenen Leuten gnädig zu verfahren und es ihm auf 
diefe Weife zu ermöglichen, die Verficherungen, bie er hinfichtlicy ber 
mwohlmollenden Abfichten der Regierung gegeben, wahr zu machen **). 


) „Por manera que ya estaba la Alpuxarra tan llana, que diez y doce 
soldados iban de unos lugares en otros, sin hallar quien los enojase.* — 
Marmol, Rebelion de Granada, Bd. I, ©. 498. 

Mendoza betätigt vollfommen ten Bericht Marmol’s Hinfichtlich des ruhigen 
Zuftandes des Landes. — Guerra de Granada, ©. 96 und 97. 

M „Le suplicase de su parte los admitiese, habiendose misericordiosa- 
mente con los que no fuesen muy culpados, para que El pudiese cumplir ia 

s 





8A Biertes Kapitel. 


Ein zweites Schreiben richtete er an ben Marquis von Los Velez und 
lud diefen Herrn dringend ein, mit ihm biefer humanen Politif gemäß 
au cooperiren, ba biefelbe ven Intereffen des Landes am angemefjenften 
fei. Allein, fein Rival, der die Sache in einem ganz andern Kichte 
fah, fagte dem Marquis von Monbejar rund heraus, daß noch mehr 
als eine einzige Hauptſchlacht nöthig fein werde, um ben Muth der 
Moridcos zu brechen, und daß, weil ihre Anfichten hierin fo ver - 
fhieben wären, das Befte fein würbe, wein jeder Befehlshaber nach 
feinem eignen Ermeſſen verfuͤhre *). 

Leider fanden ſich noch Andere, obendrein Leute von Einfluß bei 
Hofe, welche dieſelbe finftere Anſchauungsweiſe, wie der Marquis 
von 208 Belez, hegten. Das waren Männer, bie unter dem Einfluffe 
religiöfer Bigotterie ftanden, Männer mit einem unverföhnlichen Haß 
gegen’ die Moriscos und mit einem frifehen Angedenfen der von den» 
felden verübten Gräuel. Noch gab es Andere, von einer gemeinern 
Art, die bloß an fich felber und an den Profit, ven fie aus der Fort 
fegung bes Kriegeö ziehen konnten, dachten. - 

Zu ber erftern Klaſſe gehörte der Praͤſident Deza, nebſt den Mit⸗ 
gliedern des Audienzgerichts und den Civilbehörden von Granada. 
Indem fie fortwährend mit hämifchen Augen auf das Verfahren bes 
General⸗Kapitaͤns blidten, hörten fie nicht auf dem Könige feine Po» 
Titif zu denunziren und feine unzeitgemäße Milde gegen einen verfchlas 
genen Menfchenichlag, der ſich diefelbe zu nuge machen würde, um 
fid) von den fetten Schlägen wieder zu erholen und neue Rebellions⸗ 
pläne zu bilden, zu verdbammen. Es fei unrecht, fagten fie, daß jolche 
Berbrechen, wie die verübten, Verbrechen ſowohl gegen die goͤtt⸗ 
liche, wie menſchliche Majeftät, ungeftraft bleiben follten **). 
Mondejar's Feinde blieben nicht ‘hierbei ftehen, fondern beſchuldigten 


palabra que tenia ya dada & los reducidos, entendiendo ser aquel camino el 
mas breve para acabar con ellos por la via de equidad.“* — Marmol, Rebelion 
de Granada, Bd. I, ©. 483. . 
”) „Que hiciese por su parte lo que pudiese, porque ansi baria € de la 
suya.* — Ebend., S. 470. 
**, „Dexar sin castigo exemplar & quien tantos crimenes habian cometido 
eontra la Hagestad divina y kumana.“ — Ebend., ©. 4. 


Die Rebellion der Mariscos 85 


ihn, daß er bie Schapfammer um ihre Gebühren, den fünften Theil 
ber im Kriege gegen die Ungläubigen gewonnenen Beute, betrogen 
babe. Endlich legten fie ihm zur Laft, daß er Mangel an Refpert ger 
gen bie Civilbehörden von Granada bewiefen, indem er biefen feinen 
Operationsplan mitzutheilen.unterlaflen babe. 

Da der Maxrquis von feinen Freunden bei Hofe über dieſe böse 
willigen Verſuche, ihm bei ber Regierung ‚feine Ehre abzufchneiden, 
benachrichtigt wurde, ſchickte er einen vertrauten Gefandten nach Mas 
drid, der dem Könige bie Umftände auseinander fepen und bie Ans 
Hagen feiner Feinde widerlegen follte. Die Anfchulbigung bes Gels 
berunterfchleifs fcheint auf Philipp feinen Eindrud gemacht zu haben, 
wiewohl diefer Kürft, wäre irgend. ein Grund zum Berbacht vorhanden 
geweien, jehr ſchnell Mißtrauen gehegt haben würde. Die Anſchuldi⸗ 
gung wegen Mangeld an Hochachtung gegen bie Eivilbehörden von 
Granada fügte fich vielleicht auf ſtaͤrkere Gründe. Die befte Recht 
fertigung bed Betragend Mondejar's hinfichtlich diefes Bunftes muß 
man in bem Charakter und Betragen feiner Begner fuchen. Gleich vom 
Anfange herein hatten ihn Deza und die Municipalität mit Eiferfucht 
angefehen und alles Mögliche gethan, feine Pläne zu durchkreuzen und 
feine Autorität zu befchränfen. Nur Zutrauen erzeugt, wieder Zur 
trauen. Wahrfcheinlich fonnte auch der frühzeitiges Befehlen gewöhnte 
Mondejar nicht viel Oppofition vertragen). Er gerieth in Zorn über 
die ihm von feinen befchränkten Rivalen in den Weg geworfenen Hins 
berniffe und Plackereien. Wir befigen nicht genug Einfiht in ben 
Etreit, um ein für allemal zu entfcheiden, wer Recht hatte; allen, in 
fo weit wir die Ankläger des Marquis, mit dem verjchmigten Inqui⸗ 
ſitor an der Spitze, kennen, werden wir nicht ſehr weit von der Wahr⸗ 
heit entfernt ſein, wenn wir es mit dem aufrichtigen, edelmuͤthigen 
Kriegsmanne halten, der, während ſeine Tadler gemuͤthlich in der 
Hauptſtadt lebten, während der Stürme des Winters und durch das 
ſchneebedeckte Gebirge den Feind befriegt und verfolgt, und in wenig 


") „El Marques,* fagt Mendoza, „hombre de estrecha i rigurosa disci- 
plina, criado al faror de su abuelo i padre en gran oficio, sin igual ni cuntra- 
dictor, impaciente de tomar compania, communicava sus Consejos consigo 
mismo.“ — Guerra do Gransda, ©; 103. 


86 Biertes Kapitel. 


mehr, ald einem Monate, mit feiner anderen Hüffe, ald den ungeorb⸗ 
neten Truppen ber Städte, einen gefährlichen Aufftand gedämpft und 
die Ruhe im Lande wiederhergeftellt hatte. 


Philipp war ganz verwirrt von den über die Lage der Dinge in 
Granada ihm gefandten widerfprechenden Berichten. Der Agent 
Mondefar’8 gab dem Stantörathe zu verftehen, daß ed gut fein müßte, 
wenn Seine Majeftät thäte, was fein Bater Karl der Yünfte unter 
ähnlichen Umftänden gethan haben würde, und fich felbft auf den 
Platz der Handlung begäbe, um ben eigentlichen Sachverhalt mit 
eignen Augen anzufehen. Aber diefer Rath war tem Minifter Espi⸗ 
nofa nicht willfommen. Diefer affectirte eine fo große Verachtung ber 
Morisco’s, daß er erklärte, ein folcher Schritt müßte ber Föniglichen 
Würde Abbruch thun. Es würde beffer von Seiner Majeftät gehan⸗ 
delt fein, wenn er Jemanden als feinen Stellvertreter fende, ihm bie 
Vollmacht gebe, den Krieg zu leiten und ihn aus einem fo unbeftritten 
hohen Range wähle, daß es feinen der beiden jeßt im Felde befind- 
lichen Befehlshaber verdrießen könne, wenn er über fie gefegt würde. 

Wie der ftaatöfluge Minifter ohne Zweifel vorhergefehen hatte, 
fagte ed dem Philipp viel beffer zu, nach diefem Plane zu handeln, 
als fi in eigner Perfon nach dem Kampfplate zu begeben; benn, 
wenngfeidy er vor feiner wenn auch nody fo großen Anftrengung im 
Kabinette zurüctichredte, befaß er doch, wie wir fahen, viel Phlegma, 
fobald er ſich förperlich anftrengen follte. Demzufolge billigte er den 
Plan, Jemanden als ben Repräfentanten bed Monarchen auf den 
Kriegefchauplag zu fchiden. Der zu biefem verantwortlichen Amte 
auderforene Mann war Philipp’s natürlicher Bruder, Don Juan von 
Oeſterreich *). 

Aus den Gerüchten, bie von den Vorgängen im Mabrider Ka⸗ 
binet von Zeit zu Zeit nach Granada gelangten, folgten die nachthei⸗ 
ligften Konfequenzen. Ramentlicy war dies hbinfichtlih der Truppen 
der Hall. Denn kaum hatten diefe erfahren, daß der Marquid von 


®) Mendoza, Guerra de Granada, ©. 115 f. — Marmol, Rebelion de 
Granada, Bd. I, ©. 511—813. — Miniana, Historia de Espana, S. 370. — 
Cabrera, Filipe Segundo, ©. 573 und 874. 


Die Rebellion der Noriecos. 87 


Mondejar vom Kommando abgeſetzt werden follte, ſchuͤttelten fie die 
geringe Mannszucht, die er ihnen biöher noch hatte auferfegen fünnen, 
vollends ab und überließen fich der Gewaltſamkeit und dem Raube, 
wozu fie fo gut aufgelegt waren, ba ja ber Praͤſident und die Behoͤr⸗ 
den von Granada ihnen- hierin Recht zu geben fchienen. Die naͤm⸗ 
lichen Patrouillen, welche Mondejar mit ber Aufrechthaltung bed 
Landfriedens beauftragt hatte, waren bie erften, die ihn brachen. Sie 
drangen in die Gehöfte und Häufer ein, bie fie ſchuͤtzen ſollten, plün- 
derten fie aus und begingen an den Hausbewohner die fcheußlichften 
Miffethaten. Die Befagungen in den. vorzüglichften Stäbten ahm⸗ 
ten ihrem Beifpiele nach und trieben fürmahr die Räubereien noch 
großartige. Sogar die Hauptſtadt fandte unter den Augen des 
Brafen von Tendilla felbft Abtheilungen Truppen aus, die mit er« 
darmungslofer Gewaltthat die grünen Pflanzungen in den Thälern 
niedertraten, bie Dörfer plünderten und bie Einwohner aus ihren 
Örennenden Wohnungen in die Sefangenfchaft fortfchleppten*). 

. Mit der tiefften Entrüftung fah der Marquis von Mondejar, 
wie das herrliche Gewebe feiner Politik, woran er fo emfig gearbeitet 
hatte, von den nämlichen Händen, bie es hätten ſchützen follen, fchnöbe 
zerriffen wurde. Niemand in der ganzen Provinz konnte fich jetzt 
heftiger als er, nad) der Ankunft eines Bevollmächtigten, ber die wire 
tifchen Soldaten wieder zu Zucht und Gehorfam brächte, fehnen; 
denn bie Aufrechterhaltung der Mannszucht beruhte auf einer nody 
größern Schwierigfeit, ald die Ueberwindung des Feindes. Während 
bie Sachen fich dergeftalt verhielten, paffirte in Granada ein Ereigniß, 
welches in feinem allgemeinen Verlaufe Einen an bie wilbeften Scenen 
der franzöfifchen Revolution zu erinnern vermag. 

Als die Unruhen anfingen, hatte der Präfivent eine Anzahl Mo⸗ 
risco's, die fi) auf nicht weniger al8 hundert und funfzig belaufen 
haben fol, verhaften und ind Gefängniß ber Kanzelei fegen laſſen. 
Gewiſſe verrätherifche Pläne, wegen beren man fie ſchon lange im 


®) Marmol, Rebelion de Granada, ®. I, S.8 ff. — Mendoza, Guerra 
de Granada, S. 97 und 128. — Miniana, Historia de Repaün, © S. 376. — 
Cabrera, Filipe Segundo, ©. 575 unv 576. . 


88 Vieries Kapitel, 


Berbachte gehabt hatte, follen zu dieſem gewalttgätigen Verfahren den 
ſchwachen Borwand geliefert Haben. Einige freilich waren Schulden 
halber gefangen gefeßt worden. Allein, die Mehrzahl von ihnen 
waren wohlhabende Dänner, bie bei ihren Landsleuten in fehr großem 
Anfchen ftanden. Während des ganzen Feldzugs batte.man fie im 
Kerker ſtecken laflen, fo. daß fie gewiflermaßen als Geifeln für das 
gute Betragen der Bewohner des Albaicin hafteten. 

Anfangs März kam ein Gerücht in Umlauf, daß die Bergbes 
wohner, geführt von AÄben- Humeya, defien Bater und Bruder ſich 
unter den Gefangenen befanden, fi) auf einen Nachtangriff auf die 
Stabt vorbereitet Hätten und daß fie unter dem Beiftande ber Bes 
wohner des Albaicin ihr Bernidytungäwerf mit dem Erflürmen des 
Kanzleigefaͤngniſſes und mit ber Befreiung ihrer Landsleute beginnen 
wollten. Da dieſe Erzählung leicht geglaubt wurde, verurfachte fie 
unter den Bürgern bie lebhafteften Beforgniffe und war für die uns 
glüdlihen Gefangenen von fchlimmer Borbedeutung. Den fieben- 
zehnten März Abends wurde dem Deza gemeldet, daß man auf den 
benachbarten Bergen Lichter, die ganz fo wie Signale audfahen, 
wahrgenommen habe, unb baß diefelben durch entſprechende Lichter im 
manchen maurifchen Häufern beantwortet worden feien. Ohne Zweifel, 
hieß es, würde ber Angriff noch in der nämlichen Nacht gefchehen. 
Der PBräfident fcheint feine Maßregeln zum Schuge der Stabt getroffen 
zu haben. Aber, als er diefe Rachricht erhielt, theilte er fie unver⸗ 
zuͤglich dem Alcayden des Gefängniffes mit und wies ihn an, für die 
Sicherheit feiner Gefangenen zu forgen. Der Alcayde fammelte eilende 
feine Freunde um fich und ließ an die Spanier, von benen fi) gerade 
damals eine große Anzahl im Gefängniffe befunden zu haben fcheint, 
Waffen vertheilen. Nach diefer Vorbereitung harrten fie alle gleiche 
fam in ftiler Erwartung irgend eines großen Ereigniflee. 

Endlich läutete einige Zeit vor Mitternacht die auf der Campana 
aufgeftellte Wache wüthend Sturm, wie man zu thun pflegte, wenn 
man Alarm machen wollte. Alle Spanier im ©efängniffe waren 
augenblidiich auf den Beinen und, nachdem der Alcayde ihnen die 
Thüren geöffnet hatte, zeigte er ihnen den Weg, damit fie ohne Weis 
teres über ihre in einem andern, Theile des Gebäudes fihenden Opfer 


Die Rebellion der. Meriscoe. 9 


herfielen. Viele von-biefen waren alt und ſchwach, die meiften harm⸗ 
Lofe Bürger, deren ruhige Lebensweiſe fie nicht an Streit und Schlacht 
gewöhnt hatte, Zubem hatten fie jebt gar feine Waffen, und fchienen 
eine fo wiberftandslofe Beute zu fein, wie die Schafe, in beren Heerde 
während der Abweſenheit des Schäfers die heißhungrigen Wölfe eins 
gebrochen find. Doch ließen fie fih nicht das Lehen nehmen, ohne 
den Verſuch zu machen, ed zu retten. Indem ihnen die Verzweiflung 
Stärfe lieh, ergriffen fie in ihren Zellen bie Stühle, Bänfe und an⸗ 
bered Zimmergeräthe, um fid) damit gegen ihre Angreifer zu vertheis 
higen. Einige wandten eine Kraft an, bie ihnen bloß Die Berzweiflung 
gegeben haben fonnte, indem es ihnen gelang, Steine aus den Mau⸗ 
ern ober Eiſenſtangen aus den Yenftern herauszureißen, wodurch fie 
nicht allein die Mittel erhielten fich zu vertheidigen, fondern auch 
unter ihren Angreifern Schaden anzurichten. Kurz, fie fochten wie 
Männer, die um ihr Leben kaͤmpfen. Indeß verloren Manche alle 
Hoffnung des Entkommens: daher fie einen Haufen Matten, Betien 
und andere brennbare Stoffe aufthürmten, biefelben vermittelft ihrer 
Fackeln ‚anzündeten und ſich in bie Flammen flürgten, indem fie auf 
biefe Weile das ganze Gebäude in euer fegen und bei dem allge 
meinen Brande zufammen mit ihren Mördern umfommen wollten”). 
Allein, die von ihnen angefachten Flammen wurben bald mit ihrem 
eignen Blute gelöfcht und ihre verftiimmelten Ueberrefte auf dem Scheis 
terhaufen, wo fie durdy die Feuerbrände geräuchert wurben, liegen 
gelaflen. 

Zwei Stunden lang hatte ſchon ber.fo ungleiche tödtliche Kampf 
zwifchen den beiden Parteien gewährt. Die Einen fließen, als ob fie 
auf dem Schlachtfelde kaͤmpften, ihr altes Kriegögeichrei: „Sant 
Jago“ aus, und bie Ankern riefen, wenn wie ben cafilifchen Nach⸗ 
sichten glauben dürfen, ven Propheten an, damit er ihnen. zu Hülfe 
fommen follte. Aber weder eine göttliche, noch menſchliche Macht 
intervenirte zu ihren Gunften, und trog bed wilden Aufrubrs, der 


2) „Otros, camo des esperados, juntando eslüras, tascos, y Otras eosas 
aacas, que pudiesen arder, se metien entre sus mesiias llames, y las avivaban, - 
para que, ardiendo Is carcel y la Audiencia, pereciesen todos los que. estaben 
dentro.* — Marmol, Rebelion de Granada, ®b. I, ©. 517. 


98 " Vieries Kapitel. 


geichaffen wurbe von Männern, bie im toͤdtlichen Kampfe begriffen 
waren, der entfprang aus dem Getoͤſe fchiwerer Streiche und fallender 
Geſchoſſe, der herruͤhrte von dem gellenden Gefchrei der Sieger und 
beim Sterbegeftöhn und: dem Todesfampfe ber Beflegten: drang body 


— wenn uns bie Gefchichtichreiber recht berichten — der Laͤrm nicht 


über die Mauern des Gefängnified hinaus, um draußen anzuzeigen, 
was drinnen vor fi ging. Ja, nicht einmal die im Hofe ftationirte 
Wache fol aus dem Schlafe geweckt worden fein *). 

Endlich gelangte einige Kunde von den Vorgängen in die Stadt, 
wo man fich erzählte, daß bie Moriscos gegen ihre Gefängnißmwärter 
unter Waffen ftänden und wahrſcheinlich binnen Kurzem die Herren 
bed Gefängnified fein würden. Diefed Gerücht war übergenug für 
das Volf, das, durch die Allarınglode aufgefchreft, in einem Zuftande 
der Aufregung war, der es zu jeder Gewaltthaͤtigkeit befähigte. Indem 
die Leute eilends ihre Waffen ergriffen, ftürzten, oder beffer flogen ſie, 
wie Geier, welche von Weiten das Aas wittern, nach ber Scene des 
Geſchlaͤchters. Da jet die Angreifer im Gefängniffe durch die Hins 
zufommenden verftärkt wurden, mwurben fie bald mit den Moriscos 
fertig, und als das Tageslicht am Morgen durch die vergitterten Fen⸗ 
fter brach, enthüllte e8 Die Tragödie in ihrem vollen Umfange. Bon 
den fämmtlichen Moriscos waren bloß zwei enttommen: ber Bater 
und ber Bruder Aben-Humeya’s, über die eine befondere Wache gefebt 
worden war. Die Spanier hatten fünf Tobte und fiebenzehn Verwun⸗ 
bete: ein Umſtand, der beweift, welchen Eräftigen Widerſtand die Mos⸗ 
lems geleiftet hatten, obſchon es ihnen an Waffen gebrady **). 

Das war bie Abfchlachtung im Kanzleigefängnifle von Granada, 
welche, wie ſchon angedeutet, nirgends ein paſſenderes Seitenftüd 
findet, als in ben noch in großartigerem Maßſtabe verübten Mord» 
thaten während ber franzöfiichen Revolution, den berüchtigten Sep» 
tembergräueln. Allein, bie Mebelthäter, welche bie leßtgenannten 


9 Ebend. wie oben. 

*®) „Los mataron 6 todos, sin dexar hombre & vida, sino fueron los dos 
que defendid la guardia que tenian.* — Gbend. wie oben. — Siehe auch Men- 
doza, Guerra de Granada, ©. 12%; und Herrera, Historia General, 3». I, 
©. 7. 


— u 


Die Rebellion der Moriscos. 91 


Abſcheulichkeiten begingen, waren die Werkzeuge einer blutduͤrſtigen 
action, welche von jedem Freunde der Dienfchlichkeit im Lande verabs 
heut wurde*). In Granada hingegen war e8 die Regierung felber, 
ober weninftend bie höchften Stellenträger der Regierung , bie für bie 
That verantwortlich waren. Denn, wer könnte daran zweifeln, daß 
ein Vorgang, befien Belingen von dem Zufammentreffen zu vieler 
Umftände abhing, ald daß es reiner Zufall gewefen fein fönnte, von 
den Lenkern der Staatdangelegenheiten, wenn nicht angeftiftet, fo doch 
begünftigt worben war ? 

Eine andere Erſcheinung, die bei dieſem Vorfalle nicht weniger 
auffällig iſt, ift die von den zeitgenoͤſſiſchen Schriftftellern bewiefene 
Apathie, obſchon fie im Mebrigen Männer find, die bei mehr als einer 
Gelegenheit gezeigt haben, wie bereitwillig fie ihre Sympathie mit ben 
Leiden ber Moriscos kundgeben. Nachdem und einer diefer Geſchicht⸗ 
fchreiber die Hägliche-Gefchichte erzählt Hat, macht er die trodene Be⸗ 
merfung, daß dad Ereigniß für den Alcayden des Gefängniffes eine 
prächtige Sache war, da fich derfelbe eine große Summe Geldes, wel⸗ 
ches bie reichen Moriscos bei ich hatten, in die Taſche ſteckte. Nach⸗ 
dem ein anderer Schriftftelfer bemerft hat, daß die Vermuthung eines 
von den Gefangenen beabfichtigten Aufftandes im höchſten Grabe abr 
furd fei, bricht er den Gegenftand mit den Worten ab, daß „die Mo⸗ 


, 86 ideint uns nicht, daß Herr Prescott, indem er diefen Bergleich wählte, 
einen glücklichen Griff gethan Hat. Denn, abgefehen von der factiichen Unrichtig« 
feit, daß die hinter den Tödtern (tueurs) der Septembertage Stehenden eine im 
ganzen Lande verabfcheute Faction gewefen feien, troßtem daß bie Partei des Bers 
ge6 und die Jakobiner faft überall in Frankreich ihre Zweigvereine hatten, und abs 
gefehen tavon, daß fehr viele von denen, die damals umfamen, arge Verbrechen an 
dem Bolfe, daß fich gegen fle wandte, verübt hatten: war das Tödten in den Sep⸗ 
tembertagen — was das tertium comparationis zerflört — auch nicht ein bloßes 
Morden. Die gefangenen Ariflofcaten wurden nicht glei den Moslems durch ans 
dere mit Waffen verfehene Gefangene überfallen, fondern über fle wurde ein wirk⸗ 
liches Boltsgericht gehalten, wobei Protocol geführt und Zeugen verhört wurden. 
Da eine gewiſſe Partei beliebt Hat, die Septemberfcenen fo ſchwarz als möglich zu 
färben, verweilen wir auf die gründliche, aktengemäße Darftellung jener Borfälle 
in Villaume, Histoire de la R&rolution Frangaise, Baris, 1850. 

Anmerkung bes leberfegers. 


9 Diecies Kopie. 


riscoo ein ſchwaͤchlicher, geiſtes zerrütteter Menichenfchlag waren, ber 
gerade-genug Wit beſaß, um ſich einen ſolchen Unfall,” — wie er 
die Schlaͤchterei ſcherzweiſe nennt — zuzuziehen.“) Die Mabriber 
Regierung erhielt von dem Blutgelbe ben größten Antheil. Denn, 
als die Frauen amd Familien ber Berblichenen dad in manchen Hallen 
ſehr große Erbe ihrer Güter beanſpruchten, wurden aus Gründen, bie 
uns nicht mamhaft gemacht find, ihre Anſprüche von den Alcaldes des 
Aupienzgerichtöhofes zu Granada verworfen und bie Güter zum Beſten 
der Krone eingezogen. ine foldye Entfcheibung, bemerkt ein Geſchicht⸗ 
fehreiber, fan zu der Bermuthung führen, daß die Gefangenen noch 
ſchaͤndlicherer Verbrechen, als ihnen gewöhnlich zurXaft gelegt werden, 
ſchuldig waren. **) Wahrfcheinlich wird der unparteiiſche Leſer zu einem 
fehr verfchiedenen Schluffe kommen; denn ba es gerabe bie reichen 
Bürger waren, die zu einem folchen Untergange auserſehen wurden, 
liegt der Schluß ganz nahe, daß ſich zu den Gefühlen der Furcht und 
bed Haſſes die ſchmutzigere Leidenfchaft der Habfucht gefellte, um bas 
Geſchlaͤchter in's Werk zu fepen. 

Mag dem aber fein, wie ihm wolle, fo ſchuf dieſe abfcheuliche 
That zwifchen ben Spaniern und den Moriscos einen unüberichreits 
baren Abgrund. Sie lehrte die legtern, daß fie nicht Länger auf ihren 
perfiden Seind bauen konnten, weil er, während er die eine Hand zum 
Zeichen der Verſoͤhnung aushielt, die andere in die Höhe hob, um fie 
zu Boden zu fchlagen. Der Ruf nad) Rache fchallte über das ganze 
Gebirge der Alpujarrad. Die Bergbeivohner griffen vom Neuen zu 
ben Waffen. Sie fchnitten die Maraudeurd ab, lauerten den von 
Mondejar über das Land vertheilten Patrouillen auf und bedrohten 


) „Havia en ellos culpados enplaticas i, demonstracionea, i todos en 
deseo ; gente flaca, liviene, inhabil pale todo, eine‘ puye dar ocasion a su des 
ventare.“ — Mendoza, Guerra de Gratada, ©. a? 

) „Las culpas de los quales debieron ser maygres de lo que aqui se 
escribe, porque despues pidiendo las mugeres y hijos de log muertos sus dotes 
y haciendas ante los alcaldes del crimen del aquella Audiencia, y saliendo 
el fiscal 6 la cansa, 56 formo proceso en forma; y por sentencias y reviste 
fueron condenados, y aplicados todos sus bienes al real figgo. “ — Marmol, 
Rebelion de Granada, ®», I, ©. 517. 


Die Nebeiten ter Moriscoe. 98 


ſogar die Militärpoften der Spanier. Bisweilen lieferten ſie den letz⸗ 
tern glüdliche Treffen im freien Selbe, und in dem einen Falle über- 
wanden und erfchlugen fie einen ftarfen Haufen Ehriften, als diefelben 
beutebeladen von einem feindlichen Einfalle heimzukehren im Begriff 
waren. Endlich forderten fie ben Aben- Humeya auf, zurüdzufehren 
und dad Kommando wieder zu übernehmen, indem fie bis auf ben 
letzten Mann b ihm auszuhalten verfprachen. Der Chef leiftete dem 
an ihn ergangenen Rufe Folge. Er verließ feinen Zufluchtöort in der 
Sierra Nevada, nahm fein Gebiet wieder in Beſitz und fammelte, in- 
demer auf feinen heimathlichen Bergen die blutrothe Fahne aufpflanzte, 
um fid) bald eine fchredlichere Schaar,, denn zuvor.) Er entfaltete 
jetzt fogar eine größere Pracht, al& vorher. Er umgab ſich mit einer 
Leibgarde von vierhunbert Büchſenſchützen "*), theilte fein Heer in Ba⸗ 
taillone und Compagnieen ein und fuchte in ihm etwas Aehnliches, 
wie die fpanifche Organifation und Taktik, einzuführen. ***) einen 
Bruder Abdallah entfandte er nach Konftantinopel, damit er feine Rage 
dem Eultan vorftellte und denfelben anflehte, mit den moslemitiſchen 
Brüdern auf der Halbinfel gemeinfame Sache zu machen. Kurz, bie 
Rebellion trat jegt fühner auf, als je zuvor während des vergangenen 
Feldzugs, fo dag die Ehriften in Andaluften und Granada mit ber 
größten Beforgniß auf die Ankunft eines Befehlshabers mit genügen 
der Madıtvollfommenheit harrten, der die Pläne der eiferfüchtigen Be⸗ 
fehl&haber in Uebereinfiimmung feste, die unordentlihen Soldaten 
zum Gehorſam zwänge und den Krieg ſchnell zu Ende brächte. 





*) „Levanto un estandarte bermejo, que mostrarva el lugar de la persons 
del Rei a manera de Guion.“ — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 118. 

er, „Para seguridad de su persona pagö arcabuceria de guardia, que fue 
creciendo hasta quatrocientos hombres.* — Ebend. wie oben. 

) „Sigui6 nuestra orden de guerra, repartid la gente por esquadras, 
junt6la en compaüias, nombro capitanes.“ — Ebendaſelbſt wie oben. 





a Bünftes Kapitel. 


- Sünftes Kapitel. 
Die Rebellion ber Moriscos. 


Die erfte Lebenszeit Don Juan's von Oeſterreich. — Er wird von Bhilipp ale Bru⸗ 
der anerkannt. — Eein Durfi nah Auszeihnung. — Seile Kreuzen im Mits 
teländifchen Meere. — Gr wird Generalsens Chef. — Die Erneuerung des 
Krieges. — Die Wohnfikveränderung der Moriscos. 


1569, 


Da Don Juan von Defterreich nicht allein in dein Kriege mit 
den Moridcos, fondern aud in einigen ber merfwürbigften Scenen 
bes übrigen Theild dieſes Geſchichtswerks einen wichtigen Plab ein- 
nehmen wird, fo wird es ſchicklich fein, die Lefer mit dem, was von 
feiner frühern Lebenszeit befannt iſt, zu behelligen. Doch liegt gerade 
über biefer Zeit ein geheimnißvoller Schleier, den bisher alled Bemühen 
ber Geſchichtsforſcher nicht vollig hat lüften können. 

Es iſt nicht unmwahrfcheinlidh, daß er im Jahre 1547 geboren 
wurde. *) Gewöhnlid) gibt man zu, daß ber vierundzwanzigfte Februar 
fein Geburtstag ift, aber ich werde nicht recht Hug, welchen Grund 
man hierzu hat. Wie man fich vielleicht erinnert, war das aud ber 
Geburtstag feines Vaters, Karls des Fünften. Seine Mutter, Bar- 
bara Blomberg, wohnte zu Regensburg in Deutfchland. Man bes 
fchreibt fte ald ein frhönes junges Mädchen, welches einige Jahre vor 
dem Tode der Kaiferin Ifabelle die Aufmerkſamkeit des Kaiſers auf 
fich Ienfte.*") Die fpanifchen Gefchichtfchreiber wollen fie aus einer 


°*) Diefes Datum, weldyes um zwei Jahre früher, als das von den Geſchicht⸗ 
fhreibern gewöhnlich angenommene, fällt, fcheint jetzt durch die Unterfuchungen 
bes Lafuente feftgeftellt zu fein. (Siehe die Historia General de Espana, Madrid, 
1854, Bd. XIU, ©. 437, Nota.) Abgefehen von andern Belegen, führt der Ge⸗ 
ſchichtſchreiber an, daß die Infchrift dee Medaille, welche zu Ehren bes von Don 
Juan im Jahre 1871 Tavon getragenen Sieges bei Lepante gefchlagen wurde, aus⸗ 
druͤcklich befagt, daß er vier und zwanzig Jahre alt tel. 

») Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 8. — Villafane, Vida 


Die Rebellion der Moriseos. 95 


abeligen Familie herleiten.*) Es müßte fürwahr hart hergehen, wenn 
der Spanier nicht für feinen Helden einen Stammbaum ausfindig 
machte. Aber verfehiebene Umflände führen und zu der Bermuthung, 
daß bie Mutter Don Juan's eine fehr niebrige Stellung eingenommen 
haben muß. 

Rad) ihrem Bekanntwerden mit Karln verheiratete fie fich mit 
einem Deutfchen, Namens Kegel, welchem der Kaifer ein Kommiffariat 
übertrug. **) So viel mir befannt ift, beftand die einzige Sorge, die 
Karl um feine frühere Maitreffe trug, darin, baß er ihr einen Tag 
vor feinem Tode eine jährliche Penſion von zweihundert Qulden aus⸗ 
feßte.***) Das war ficherlich Fein fürftliches Vermächtniß und läßt 
fchließen, daß die Perfon, welcher es vermacht wurde, in einer fehr 
niedrigen Stellung geweſen fein muß, weil fie es fonft nicht zu ihrem 
Wohlbefinden nöthig gehabt hätte. Zu dem naͤmlichen Schluffe führt 
und das Geheimniß, in weldyes die Geburt des Kindes eingehüllt 
wurde, ein Geheimniß, das einen arten Gegenfag zu der Bublizität 
bildet, die hinfichtlich der natürlichen Tochter des Kaiſers, Margaretha 
von Parma, deren Mutter fi) rühmen konnte, daß in ihren Adern das 
befte Blut der Niederlande flog, obwaltete. 

Drei Jahre bindurd) blieb der Knabe, der den Ramen Geronimo 
(Hieronymus) erhielt, unter dem Dache feiner Mutter. Darauf wurde 
er auf den Befehl Karl's in bie Hände eines Flamänders, eined ges 
wiflen Maffi, ver in der Eaiferlichen Bunde Mufifer war, gegeben. 


y Virtudes de Dona Magdalena de Ulloa, Salamanca, 1722, ©. 36. — Siehe 
auch Lafuente, Historia de Espana, ®b. XIII, ©. 432. 

Der letztgenannte Schriftfteller hat die Abftammung Juan's von Defterreich in 
ber Revista de Ambos Mundos (Nummer 3) in einem befonderen Rrtifel behandelt. 

2) Banterhammen fpielt auf die Zweifel, die hinfichilic des Manges ber 

Mutter feines Helden gehegt wurden, an, tröflet fid) aber damit, daß, wenn in 
diefem Punkte Etwas fehle, die folge Abfunft ihres Taiferlichen Liebhaber, wie Nies 
mand in Abrede ftellen könnte, das mehr als aufwiege. — Don Juan de Austria, 
Fol. 3, 

**) Lafuente, Hist. de Espana, Bd. XIU, ©. 423, Rote. 

ee) Gachard, Retraite et Mort de Charles-Quint, Bd. II, ©. 506. 

Der Kaiſer gab am Abend vor feinem Tode dem Luis Duirade in einer Pri⸗ 
Yatunterrebung fechshuntert Goldkronen zum Ankauf der oben erwähnten Penſion. 





9 Fünfles Rayitd. 


Diefer Mann verlegte feine Wohnung nach dem cafifiichen Dorfe 
Legancd unweit Madrid. Der Kontraft eriftirt no, worin Maf, 
nachdem er über ben Empfang von huntert Gulden quittirt hat, fi 
anheiſchig macht, gegen eine jährliche Zahlung von fünfzig Gulden 
das Kind fo forgfältig zu erziehen, ald wenn e& jein eigens wäre. ”) 
Das war fiher eine mäßige Penſion für Einen, ber eines Tages 
öffentlich als ter Sohn eines Kaiſers auftreten ſollte. Es zeigte, wie 
gern Karl ſchacherte, felbR wenn es auf Koften feines eigenen Kin⸗ 
88 war. 

Dem Knaben wurde Fein Unterricht gegeben, ben Unterricht etwa 
audgenommen , weldhen er dem Priefter des Kirchfpield entnehmen 
konnte. Doc) da dieſer Prieſter ſo wenig, wie Mafft, um das Geheim⸗ 
niß von der Geburt Geronimo’8 wußte, ſchenkte er ihm wahrſcheinlich 
nicht mehr Aufmerffamteit, als den übrigen Knaben des Dorfed. Auch 
fönnen wir nicht zweifeln, daß ein Knabe von feinem lebhaften Geifte 
lieber feine Zeit im Freien zubrachte, als daß er in der tube faß umb 
die ‘Predigten feined Lehrers mit anhörte. So wie er älter wurde, 
zeichnete er fi) vor feinen jungen Epielfameraden durch feinen Muth 
aus. Bei allen ihren Jagben im Freien machte er den Anführer und 
befundete feinen Hang zum Kriege, indem er in ben Baumgärten den 
Vögeln nachftellte und unter ihnen mit feiner Armbruft eine große Ber- 
nichtung anridytete.**) 

Diefe rauhe Lebensweiſe führte er vier Jahre. Hatte fie auch 
feinen andern Nutzen für den Knaben, fo kräftigte fie wenigftend feinen 
Körper für die ernften Proben ded Mannesalters. Der Kaifer hielt 
ed nun für zeitgemäß, ihn an einem Plage unterzubringen, wo er eine 
befiere Unterweifung, als in der Hütte eines Bauern erhalten fonnte. 
Deshalb ſtellte er ihn unter die Aufficht feines getreuen Majordom's 


*) Diefes intereflante Document fand man unter den telamentarifhen Bas 
pieren Karl's des Fuͤnften. Bine Abfchrift davon ift unter den Manuferipten des 
Kardinals Granvelle erhalten geblieben. — Papiers d’Etat, Bo. IV, S. 499 
bis 500. 

**) ‚‚Gastava buene parte del dia en tirar con una ballestilla a los paxa- 
ros.“ — Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 10. 


Die Rebellion der Moriscos. 97 


Luis Duirada, welcher das Kind zu Billagarcia bei Balladolid in feine 
Familie aumahm. In diefer Vormundswahl für feinen Sohn bewies 
Karl feine gewöhnliche Menſchenkenntniß. Quirada war durch feinen 
Glaubenseifer, feine Loyalität, fein zarted Ehrgefühl das wahrhaftige 
Mufter des caftiliichen Hidalgo in feiner beften Erfcheinung, während 
er zugleich alle ritterlichen Eigenfchaften befaß, bie ihn zum vollfom- 
menen Abbilde des antiten Ritterihums machten. Seine Frau, Doña 
Magdalena de Ulloa, die Schwefter ded Marquis von Mota, war 
eine Dame, noch mehr ausgezeichnet durch ihre Tugenden, als durch 
ihren Rang. Sie hatte natürlidy bei dem Heranbilßen bed Knaben 
in feiner frühen Jugend das Meifte zu thun, und ed war faft unmöge 
lich, daß unter ihrer Zucht ein mit einem gutmüthigen Weſen begabtes 
Kind verfehlen konnte, vie gebildeten Sitten und ben feinen Geſchmack, 
welche fpätet um den barſchen Soldatendyarafter Glanz verbreiteten, 
anzunehmen. 

So viel auch Quixada der Berfchiwiegenheit feiner Frau vertrauen 
mochte, hielt er doch im gegenwärtigen Falle nicht für gut, fie auf 
bie Probe zu ftellen und ihr dad Gehrimnig von der Abkunft Geros 
nimo’d mitzutheilen. Er fagte, es fei der Sohn eined vornehmen 
Mannes, welcher jein Freund fei, und gab den Wunfch zu erkennen, 
taß feine Frau den Knaben wie ihr eigenes Kind behandeln ınöge. 
Das war um fo leichter, ald Magdalena feine eigenen Kinder befaß. 
Die von ihrem Gemahl dem Kinde bewiefene Eorgfalt kann fie möge 
licherweife auf den Gedanten gebracht haben, daß er mit dem Knaben 
etwas näher verwandt fei, als er einzugeftehen wünichte, furz, daß er 
der Sproffe einer Intrigue Quirada's vor feiner Verheirathung fei. *) 
Allein ein Ereigniß, welches nicht lange nach der Aufnahme des Kin⸗ 
des in der Familie vorfiel, foll in ihr einen Verdacht hinfichtlich der 
Abftammung des Kindes rege gemacht haben, der ber Wahrheit näher 
fam. Ihr Haus in Billagarcia geriet) in Brand, und ba es in ber 
Nacht war, griffen die Flammen dergeftalt um fi, daß fle erft entdedt 
wurden, al& fie durch die Senfter ſchlugen. Indem ber Lärm auf ber 


*) „X puede ser liegase & sospechar,, si acaso tendria por padre & su 
espose.‘‘ — Villefane, Vida de Magdalena de Ulloa, ©. 38. 
Brescott, Geſch. Philipps U. IV. 7 











98 Fünftes Kapitel. 


Gaſſe die fchlafenden Hausbewohner wedte, ſprang Quirada aus dem 
Bett und eilte,, indem er zuerft an das anvertraute Pfand dachte, in 
das Zimmer Geronimo’d, ergriff das erichredte Kind und bradyte es 
in feinen Armen nach einem ficheren Plage. Alsdann fam er in das 
Haus zurüd, drang durch den Rauch und das Feuer bindurd und 
rettete auch glüdlicy feine Frau aus ihrer gefährlichen Lage. Weil er 
auf diefe Weife feine Liebe feiner Loyalität zum Opfer brachte, ift dieſe 
Handlung von einem caſtiliſchen Geſchichtſchreiber eine „ſeltene That, 
die bei Weitem jede heldenmüthige Berrichtung , deren fich das Alters 
thum rühmen ann, übertrifft,“ genannt worden.*) Es wirt und 
nicht mitgetheilt, ob Magdalenen died Verfahren Quixada's gleicher 
maßen gefiel. Indeß ift es ficher, daß das Intereffe, welches ihr Gatte 
an dem Kinde nahm, in ihrem Buſen feine Eiferjucht rege zu machen 
vermochte. Im Gegentheil fchien dadurch ihr eigenes Interefie an dem 
Knaben, teflen ungewöhnliche Schönheit und liebreiched Weſen bald 
ihre ganze Zärtlichfeit gewann, nur zu wachten. Sie nahm ſich feiner 
herzlich an und behandelte ihn ganz wie eine liebevolle Mutter, was 
ihr von dem Pflegeſohne mit warmer Gegenliebe zurüdvergolten ward. 
Ia, dieſer gedachte ihrer noch bis zu jeinem legten Tage mit kindlicher 
Liebe und Ehrfurcht. 

Im Jahre 1558, alſo ein Jahr, nachdem fih Karl der Fimfte 
nad Yufte zurüdgezogen hatte, wünfchte er entweder feinen Sohn zu 
feben, oder er gedachte, was eben jo wahrſcheinlich if, dem Duirada 
feine Lage angenehmer zu machen: daher er den Mafordom erfuchte, feine 





*) „‚„Accion singular y rara, y que dexa atras quantas la antiquidad cele- 
bra por peregrinas.°‘ — Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 31. 


Nach einem andern Biographen fließen dein Duirgta zwei Feuersbrünſte, tie 
eine in Billagarcia und die andere in Ballatolid, zu. In beiden Fällen brannte 
das Haus nieder, aber der gute Ritter rettete den Mündel, intem er ihn in feinen 
Armen forttrug. (Villafana, Vida de Magdalena Ulloa, ©. 44 und 53.) Dietes 
zweimalige Zufammentreffen der nämlichen Umflänte wideripricht zu jehr der Theorie 
tes Iufalle, als daß wir uns geneigt finten fünnten, ihm leicht Glauben zu fchens 
fen. Die Bemerfung Banterhammens bericht ſich auf das zweite Feuer, welches er 


allein erwähnt. Freilich ließe fie fich auf gleiche Weile auf beide Feuersbrünſte ans 
wenden. 


— — —— u 


Die Nebellion der Moriscos. 99 


Samilie nach dem. anliegenden Dorfe Cuacos zu bringen. Während 
feines dafigen Aufenthalts muß der junge Geronimo feine Mutter — 
denn fo nannte er die Dona Magdalena — ohne Zweifel manchmal 
begleitet haben, wenn fie einen Befuch im Klofter abftattete. In der 
That berichtet und fein Biograph, daß fein Anblid auf die Geſundhei⸗ 
des Kaiferd wie eine Panacea wirfte*). Indeſſen wird feiner in den 
Briefen von Yufte mit feiner Sylbe Erwähnung gethan, und wir Eönt 
nen, falls er wirklich das Ktofter beſuchte, ficher fein, daß Karl genug 
Selbſtbeherrſchung befaß, um nicht durch unvorfichtiges Andentaglegen 
feiner Zärtlichfeit feine Verwandtichaft zu dem Kinde zu verrathen. *%) 
Eine Erinnerung an ihn erhielt ſich noch lange im Gedaͤchtniſſe der 
Leute von Cuacos: die nämlich, daß ihn die Bauern, wenn er ihre 
DObitgärten beftahl, mit Steinen geworfen haben follen. Das war 
der erfte Kriegsunterricht des zukünftigen Helden von 2epanto. 

Man hat feinen Grund zu bezweifeln, daß der Knabe bei dem 
Leichenbegäangniffe des Kaiferd mit zugegen war. in Dabeigemes 
fener erzählt und, daß er ihn dafelbft tief in Trauer gekleidet an ber 
Eeite Quirada's, für deffen Bagen er von den Klofterbrüdern gehalten 
wurde, ftehen ſah*). Wir fönnen und leicht vorftellen, weldy’ einen 
tiefen Eindrud auf fein junges Gemüth das Schaufpiel dieſes feier, 
lichen und ergreifenden Todtenbegängnifled machte, einen Eindruck, 
der durch die dem Andenken ſeines Vaters ftetd gezollte Verehrung 
noch fich verftärfen mußte. WBielleicht leitete der Umftand, daß Gero⸗ 
nimo unter den Trauertragenden erfchien, zuerft auf die Vermuthung, 


— — — — 


®) Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 16. 


») Siguenza, der feine Nachricht von den Mönchen in Yuſte erhalten haben 
ſoll, erzählt uns in der That, daß, „man den Knaben von Zeit zu Zeit Bei dem 
Kaifer fah, weicher dafür forgte, daß er feine gewöhnliche Zurüdhaltung und wuͤrde⸗ 
volle Haltung bewahrte: jo daß Niemand fein Beheimniß vermuthen fonnte. Eins 
oter zweimal,” jeßt der Hieronymitenpater hinzu, „trat der Burſche in das Zimmer 
seines Vaters, der ficherlich fo mit ihm ſprach, wie. er mit jedem andern Knaben ges 
fprochen haben würde.“ — Historia de ia Orden de San Geronimo, Bd. II, 
©. 205. 

**) Relation d’un Religieux de Yuste, bei Gachard, Retraite et Mort de 
Charles-Quint, Bb. U, ©. 88. . 
‚ 7 % 





100 Fünftes Kapitel. 


daß er mit dem Kaifer verwandt fei. Wir finden, daß Duiraba in 
einem Briefe, den er bald nachher an Philipp richtete, von Gerüchten 
fpricht,, die über diefen Gegenftand in der Rachbarfchaft im Umlauf 
waren. *) 

Unter ben teflamentarifchen Papieren Karl’8 befand fidy eins, 
das mit dem Privatfiegel ded Kaiſers in ein Couvert eingefiegelt und 
an feinen Sohn Philipp oder im Todesfalle deflelben an feinen Enfel 
Carlos, oder an jeden andern Inhaber der Krone, gerichtet war. Es 
war datirt aus dem Jahre 1554, fiel alfo vor die Zeit, wo der Kaifer 
ſich nad) Yufte zurüdgezogen hatte. Es erkannte feine Beziehung zu 
einer beutfchen Jungfrau und die Geburt eined Sohnes, Namens 
©eronimo, an. Der Rame der Mutter ift nicht genannt. Er gab 
an, wo Erfundigung über das damals bei dem Violinfpieler in Les 
ganed lebende Kind eingezogen werben konnte. Er brüdte den Wunſch 
aus, daß der Knabe für den geiftlichen Stand erzogen werden und, 
wenn berfelbe alt genug fei, in ein Ordendflofter mit reformirten Res 
geln gehen follte. Indeſſen wollte Karl ven Neigungen bed Knaben 
feinen Zwang angethan wiflen, und wenn vieler bad weltliche Leben 
vorzöge, follte er ein angemefjened Landgut im Königreiche Neapel 
mit einem jährlichen Einfommen von dreißig bis vierzig taufend Du⸗ 
katen zugewielen erhalten. Wie aber auch immer Geronimo wählen 
möge, follte man ihm dody — fo bat der Kaifer — alle Ehre und Ach⸗ 
tung , bie ihm als feinem Sohne gebührte, zollen. Er jchloß feinen 
Brief mit der Bemerkung, daß, wenn er aud nahe liegenden Gründen 
dieſe Beftimmungen nicht mit in fein Teftament eingefügt hätte, er 
nicht8 Deftoweniger wünfchte, daß fie diefelbe Kraft haben ſollten, als 
wenn er es gethan hätte.**). Philipp fcheint fie gleich fo aufge⸗ 
nommen zu haben, wiewwohl er, weil er damals in Flandern war, den 


*) „Hallo tan püblico aquf lo que toca aquella persona que V. Miad sabe 
que estä & mi cargo que me ha espantado, y espäntame mucho mas las parti- 
cularidades que sobrello oyo.“ — Ebend., Bd. I, ©. 449. 

») Cine Abfchrift diefes intereflanten Documentes, die man in Granvelle's 
Sammlung in Befangon auffand, if neuerdings in der fhönen Ausgabe der 
Papiere tes Karbinals veröffentlicht worden. — Papiers d’Etat, Bd. IV, 
©. 408 ff. 


⸗ 


Die Rebellion der Moriscos. 101 


Beſchluß faßte, die oͤffentliche Anerkennung ſeines Bruders bis zu ſei⸗ 
ner Ruͤckkehr nach Spanien zu verſchieben. 

Mittlerweile waren bie Gerüchte über die Abkunft Geronimo's 
der Regentin Joanna zu Ohren gefommen. Aus einer ganz erflär- 
lichen Neugiet ließ fie ihren Sefretär an Quixade fchreiben, um her⸗ 
audzufinden, ob etwas Wahres daran fei. Der zuverläffige Hidalgo 
fuchte die Brage zu umgehen, indem er fagte, daß ihm vor einigen 
Jahren ein Freund einen Knaben zur Pflege anvertraut hätte, allein, 
da in dem Teftamente ded Kaiferd dad Kind gar nicht erwähnt würde, 
fo müßte man die Gefchichte von der Verwandtſchaft beider als eitles 
Geſchwätz behandeln.*) Soanna ftellte ſich mit diefer Antwort nicht 
zufrieden , denn für fie ſchien es ausgemacht zu fein, daß das Gerücht 
guten Grund hatte. Als bald darauf Quirada von zu Haufe ab» 
weſend war, nahm fie die Selegenheit wahr, um an feine Gattin 
Dora Magdalena zu fchreiben und fie zu bitten, daß fie den Knaben 
an einen Ort, wg fie ihn fehen könne, mitbringen möge. “Der hierzu 
gerählte Ort war ein Auto de fe, daß fo eben in Balladolid begangen 
werben follte. Obfchon Dona Magpalena ihre Bedenken hegte, fonnte 
fie doch nicht wohl ein Anfuchen, das, weil ed aus einer folchen Quelle 
fam, einem Befehle, tem fie zu gehorchen hatte, glich, verweigern. 
Es follte jcheinen, daß eine Ceremonie von einer fo herzbrechenden, 
fchredlichen Art, wie ein Auto de fe der legte Ort geivefen wäre, wo 
man ficy hätte der Munterfeit und Freude überlaffen wollen. Allein 
der damalige und noch viel fpätere Spanier betrachtete das ald das 
füßefte Opfer, welches dem Allmächtigen dargebracht werben Fönnte 
und er ging dorthin mit der nämlichen Sleichgültigfeit gegen die Leiden 
des Opfers und vielleicht auch mit berfelben Vergnügungsluſt, ald 
wenn er ſich zu einem Stiergefechte begeben hätte, 


Am genannten Tage nahmen Magbalena und ihr Pflegefohn 
einen Plag ein auf ber mit Teppichen belegten, für Perfonen von 


9 ‚Que pues su Mtad, en su testamento ni codecilo, no hazia memoria 
del, que era razon tenello por burla, y que no sabia que poder responder 
otra cosa, en püblico ni en secreto.‘‘ — Gachard, Retraite et Mort de Char- 
les-Quint, Bo. I, ©. 446. 





102 Künftes Kapitel. 


Rang beftimmten Platform, von wo aus man eine volle Ausftcht 
auf das Echaffot hatte, auf dem die Märtyrer um bed Gewiſſens 
willen leiden follten. Es war inmitten der bier verfammelten vor⸗ 
nehmen Welt, daß der Sohn Karls des Yünften feinen erften Unter: 
richt in der Schule der Verfolgung erhalten follte, daß er lernen follte 
fein Herz gegen das Mitleid mit menſchlichem Schmerz zu ftählen, daß 
er vor Allem lernen follte, ein wie ſchwarzes Verbrechen es wäre, wenn 
man Mitleid mit ben Ketzern hegte. Kür Jemanden, der noch ſo 
jung war und in einem Alter ftand, wo der Geift für Eindrüde ſehr 
empfänglich ift, war das eine furchtbare Lehre; die bittern Früchte 
davon wurden fehr bald in dem Kriege gegen die Moriscos erſichtlich. 

Sowie fich die Leute von Hofe dein von Dora Magdalena ein- 
genommenen Platze näherten, blich die Regentin ſtehen und jah fich 
nach dem Knaben um. Magdalena hatte ihren Mantel über ihn ges 
worfen, um ihn fo viel ald möglich vor den Augen ded Publikums zu 
verbergen. Sie nahın jegt den Mantel weg, und Joanna richtete auf 
das Kind einen fo langen ernften Blid, daß daſſelbe verſchämt die Aus 
gen niederſchlug. Doch ließ fie nicht ab, bis fie in feinen hellen blauen 
Augen, feiner breiten Stirne und in ben reichen gelben, dad Haupt 
umtingelnden Locken einige ber Merkmale der öfterreichiichen Linie ers 
fannte; glüdlicyerweife fehlte die Entftellüng der hervorfpringenden 
Lippe, die jenem Haufe nicht weniger dyarafteriftifch war. In ihrem 
Herzen regte fich gewaltig die Zärtlichfeit einer Schweſter, da fie ſich 
überzeugt fühlte, daß in feinen Ateın das nämliche Blut, wie in den 
ihrigen, flog. Sie bog fich nieder, fehlang ihre Arme um feinen Hals, 
füßte den Knaben und nannte ihn bei dem theuren Namen Bruder, *) 
Gern hätte fie ihn überredet, mit ihr zu kommen und neben ihr zu 
figen. Allein, der Knabe fchmiegte ſich an feine Pflegemutter an und 
wollte nicyt von ihr fort zu einer fremden Dame gehen. 

Diefer eigenthuͤmliche Auftritt erregte die Aufmerffamfeit ber in 
der Nähe befindlichen Zufchauer. Kaum murben die Blicke derfelben 


*) „La Princesa al punto arrebatada del amor, le abracs, y bes6, sin 
reparar en el lugar que estava, y el acto que exercia. Liamöle hermano y 
tratöle de alteza.‘* — Vanderhbammen, Don Juan de Austria, Fol. 23. 


Die Rebellion der Moriscos. 103 


vom Kinde durch das Ericheinen ber Gefangenen auf dem Schaffote, 
wo dieſe ihr Urtheil empfangen follten,, abgewandt. Rachdem baffelbe 
verfündet worden mar und die elenden Opfer zum Tode geführt 
wurden, drängte fich die Menge fo heftig um Magdalenen mit dem 
Knaben, daß die Wachen Mühe hatten, fie zurüdzuhalten, bis vie 
Regentin, die dad Unangenehme der Lage erblidte, einen aus ihrem 
Gefolge, den Grafen Oſorno, ihnen zu Hülfe ſchickte. Diefer adelige 
Herr bahnte fih durch die Menge den Weg und trug den Geronimo 
in feinen Armen in den föniglichen Wagen. *) 

Richt lange darauf wurde alled Geheimnißvolle entfernt durch 
bie öffentliche Anerfennung des Kindes ald des Sohnes des Kaiſers. 
Nachdem Philipp 1559 nach Epanien zurüdgefehrt war, jo war es 
eine feiner erften Verrichtungen, daß er eine Zufammentunft mit feis 
nem Bruder anorbnete. Der für dad Zuſammentreffen gewählte Ort 
war ein jehr großer Park unmeit von Valladolid in der Nähe ded 
Kloſters La Espina, ein Platz, den die caftifiichen Prinzen in der 
ältern Zeit oft um des Jagdvergnuͤgens willen aufluchten. 

An dem feitgefegten Tage legte Quirada foftbare Kleider an, bes 
ftieg das befte Pferd, welches er in feinen Ställen hatte und ritt an der 
Spige feiner Bafallen hinaus, tem Könige entgegg. An feiner Seite 
hatte er den Kleinen Geronimo, der einfach gefleidet war und auf einem 
gewöhnlichen Zelter ſaß. Sie hatten faum einige Meilen zuridges 
legt, als fie durch das Gehoͤlz den Echall von Huftritten hörten, was 
ihnen die Annäherung der Eöniglichen Reiterfchaar ankuͤndete. Qutrada 
machte Halt, ftieg ab und näherte ſich mit großer Ehrerbietung dem 
Geronimo. Er ließ fi) vor ihm auf ein Knie nieder und bat um bie 
Erlaubnis, feine Hand füflen zu dürfen. Zugleich erſuchte er feinen 


*) „Liego el caso a estado, que le huro de temar en bracos el Conde 
Osorno haste la carrosa de la Princesa, porque le gozassen todos.“ — Van- 
derhammen, Don Juan de Austria, Fol. 25. 

Diele Erzählung klingt freilich fonderkar, wenn man Lie abgemeſſenen Eitten 
tes caftilifchen Hofes und das zurüchaltende, geziemente Benehmen Joanna's 
bedenft. Doch ber Berfaffer , ter am Hofe geboren und erzogen mar, hatte, wie er 
und mittheilt, Zutritt zu den höchften müntfichen und fchriftlihen Informations: 
quellen. - 


104 Fünftes Kapitel. 


Mündel, abzufteigen und das Schladhtroß, welches er felber geritten 
batte, zu nehmen. ©eronimo war in peinlicher Berlegenheit uns 
würbe das Ganze für einen Scherz feined Bormunde gehalten haben, 
hätte der gefeßte, würbevolle Charakter des letztern eine ſolche Voraus⸗ 
ſetzung zugelafien. Nachdem er fi von feinem Erftaunen erholt hatte, 
fügte er fich den Wünfchen feined Vormunds, und eine Ahnung zu. 
fünftiger Größe mußte durch feine Seele bligen, wenn er, wie ung 
berichtet wird , ald.er wieder auffteigen wollte, fich zu Quirada wens 
dete und zu ihm mit ausbrudsvoller Würde fagte: „weil dem fo fei, 
möchte er ihm wohl den Steigbügel halten.’ *) 

Noch waren fie nicht weit geritten, als fie die königliche Partie 
anfichtig wurden. Quixada zeigte feinem Mündel den König und 
fügte Hinzu, daß Seine Majeftät ihm etwas Wichtiges mitzutheilen 
habe. Sie fliegen darauf ab und der Knabe näherte fi), gemäß den 
Vorfchriften feined Bormunds, dem Philipp, miete nieder und bat 
um bie Erlaubniß, Seiner Majeftät Hand füflen zu dürfen. “Der 
König hielt diefelbe guädig dar und blidte den Knaben forfchend an. 
Endlich brach er das EStillfehweigen, indem er fragte, „ob er wüßte, 
wer fein Bater ſei.“ Geronimo geriet durch das Unenvartete ber 
Frage außer Faſſung, zumal, da er in der That nicht wiſſen fonnte, 
ob die Gerüchte wegen feiner Geburt, wenn fie ihm jemals zu Ohren ge» 
kommen waren, fi auf Wahrheit gründeten: er fchlug alfo die Augen 
nieder und gab feine Antwort. Philipp war nicht von feiner Bere 
legenheit unangenehm berührt, Inden er ohne Zweifel zufrieden geftellt 
war, daß er in feinem intelligenten Antlitz und feiner edlen Miene 
leſen konnte, daß er feiner Abftamınung feine Unehre machen werde. 
Er flieg von feinem Pferd, umarmte den Geronimo und rief aus: 
„Bafle Muth, mein Kind; du ftammft von einem großen Manne ab. 
Der Kaifer Karl der Fünfte, welcher jept unter den Seligen wohnt, 
ift dein und mein Bater.”**) Indem er fid) alddann zu den herum⸗ 


*) „Vuelto ya en si de la suspension primera, alargö la mano, y monto 
en el caballo; y aun se dice que con airosa grandeza, anadid; Pues si eso es 
asi tened el estribo.“ — Villefane, Vida de Dona Magdalena de Ullao, &. 34. 

*) „Macte, inquit, animo puer, praenobilis viri filius estu; Carolus Quin- 


Die Rebellion der Moriscos. 105 


ftehenden adeligen Herten wandte, flellte er ihnen den Knaben als ben 
Sohn ihre& verftorbenen Herrfcherd und als feinen eignen Bruder vor. 
Die Höflinge, deren gattungsmaͤßiger, fchneller Inſtinct fie ftet8 die 
auffteigende Sonne anzubeten treibt, drängten al8bald herzu, um bem 
Geronimo ihren Gehorfam zu bezeigen. Der Auftritt fchloß damit, 
daß der König feinem Bruder ein Schwert umfchnallte und ihm um 
feinen Naden das glänzende Halsband des Goldnen Vließes warf. 

Die Kunde von diefem fonderbaren Vorfalle verbreitete fich bald 
in der ganzen Nachbarſchaft, denn der Geremonie hatten außer den 
eigentlichen Theilnehmern noch viele andere Zeugen beigevohnt. “Der 
König mit ſeinem Gefolge fand daher bei feiner Rüdfehr eine Menge 
Volks, das ſich länge des Weges fammelte, um von dem neuentbed- 
ten Sprofien des königlichen Hauſes einen Blick zu erhafchen. Die 
ſchoͤne Geſtalt des Juͤnglings bewirkte, daß der Böbelhaufe in lärmens 
des Beifallrufen ausbrach und, al& der fönigliche Zug durch die Stras 
Ben der alten Stabt Ballabolid ritt, mit lärmenden Vivats bie Luft 
erfchütterte. Philipp drückte feine Zufriedenheit mit ben Ereigniffen 
ded Tages aus, indem er erflärte, daß „er in feinem ganzen Xeben 
nie eine befiere Jagd gemacht und noch nie ihm fo liebes Wildpret mit 
nad) Haufe gebradht hätte.” *) 

Nachdem der König feinen Bruder öffentlich anerkannt hatte, bes 
fchloß er, ihn mit einer für feinen Stand paflenden Stellung zu vers 
forgen. Er wies ihm als Refidenz einen ber beiten Palaͤſte Madrids 
an. Er verfah ihn mit einer zahlreichen Dienerſchaar und machte, daß 
im Haufe beffelben ein fo großer Staat, wie in dem eines Prinzen 
von Geblüte, unterhalten wurde. Der Graf von Priego fungirte ale 
fein Hauptmajortomus ; Don Luis Carrillo, der ältefte Sohn jenes 
adeligen Herrn, wurde zum Hauptinann der Garde gemacht, und Don 
Luis de Cordova wurde Oberftallmeifter. Kurz, die Adeligen und 


tus Imperator , qui coelo degit, utriusque nostrüm pater est.“ — Strada, De 
Bello Belgico, 3». I, ©. 608. 

*) „Jamss habia tenido dia de caza mas gustoso, ni logrado presa que 
le hubiese dado tanto conteuto.“ — Villafane, Vida de Doña Magdalena de 
Ulloa, ©. 52. 

Diefe merkwürdige Gefchichte ter Anerkennung bes Bruters von Seiten Phi⸗ 


106 Fuͤnftes Kapitel. 


Kavaliere vom beiten Blute Caſtiliens verfhmähten nicht, Stellen im 
Dienfte des Bauernfnaben zu befegen. Mit einer oder zwei Aus⸗ 
nahmen genoß er alle den königlichen Infantes zugehörigen Privile⸗ 
gien. Er befaß nicht, gleich ihnen, Zimmer im Balafte, und wurde 
nicht mit „Hoheit“, was ihr befonderes Vorrecht war, fondern mit 
„Excellenz“ angeredet. Dieſer Unterfchied ward aber nicht immer 
ftreng beobachtet. *) 

Noch ein bedeutenderer Wechjel fand Statt mit feinem Ramen, 
der aus Geronimo jeht in Juan von Oecſterre ich vermanbelt 
wurde. Diefer vornehme Name deutete feine Abkunft von dem kaiſer⸗ 
lichen Haufe Habsburg an, auf welches fpäter feine Thaten einen 
größeren Glanz warfen, als der ftolzefte Yürftentitel zu thun vers 
mocht hätte, 

Nach der Erhebung feines Pfleglings blieb Luis Quirada in der 
nänlichen Stellung, wie zuvor. Er fuhr fort, fein Ayo oder Gou⸗ 
verneur zu fein und zog mit Dona Magdalena nad Madrid, wo er 
feine Wohnung im Haufe Don Juan’d nahm. Indem Duirada auf 
dieſe Weife in der engften perfönlidyen Beziehung zu ihm ftand, bes 
hauptete er feinen Einfluß über ihn ungefhwädht fort, bis er fels 
ber ftarb. 

Philipp wußte den Werth diefed treuen Hidalgo vollfommen zu 
fhäben, fo daß derſelbe das Glüd hatte, in eben fo hohem Grade und, 
wie es den Anichein hat, mit einer größeren Belohnung für jeine 
Dienfte, die Gunft des Eohned zu genießen, wie er früher diejenige 
des Vaters genofien hatte. Er war Oberftallmeifter bei Don Carlos, 
dem Kronerben; er verjah den wichtigen Brälidentenpoften im indis 
ſchen Rathe, und er befaß einige fette Pfründen im militäriichen Orden 
von Galatrava. In einem Briefe Duirada’d an ben König finden 
wir die Bemerfung, daß cr ſich bemüht habe, die Lücken in ber erften 


lipp's wird mit weniger Abweichung, ale gewöhnlich, von verichietenen Damaligen 
Schriftitellern erzählt. 

*) Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 27. — „Mandöle llamar 
Ecelencia ; pero sus renles costunbres le dieron adelante titnlo de Alteza i de 
senor entre los grandes i menores.* — Cabrera, Filipe Segundo, Bud V, 
Kap. 3. 


PU u 


Die Rebellion der Moriscos. 107 


Erziehung feines Zöglingd dadurch auszufüllen, daß er ihn auf eine 
Weiſe, bie fich befier für feine zufünftige Beſtimmung pafle, unters 
richtete. *%) Wir Fönnen nicht zweifeln, daß gemäß den Begriffen bes 
guten Ritterd von den für einen fotchen Unterricht wefentlichen Erfors 
derniffen, die ritterlichen Uebungen über die vom Kaifer anempfohlene 
Klofterzucht geftellt worben fein müflen. Wie das aber auch fein mag, 
fo beſchloß Philipp, feinem Bruder die befte Gelegenheit zu einer freien 
Ausbildung zu geben, indem er ihn auf die Univerfität Alcala fchidte. 
Diefe Univerfität, vor etwas über einem Jahrhundert won großen 
Ximenes gegründet, genoß nebft der älteren Anftalt in Salamanca den 
Ruf, daß fie auf der Halbinfel der berühmtefte Sig der Wiffenfchaft 
ſei. Don Juan hatte als Begleiter feine zwei Neffen, Don Carlos 
und Alerander Farneſe, den Sohn Margarethend von Parma, bei 
ih. Sie bildeten zufammen ein Triumvirat, von weldyem jedes Mit- 
glied auf den Seiten der Gefchichte einen großen Raum einnehmen 
jollte, und zwar Don Carlos wegen feiner Irrthümer und Mißgefchide, 
die beiden übrigen aber wegen ihrer militärifchen Thaten. Cie ſtanden 
alle drei beinahe in demfelben Alter. Zufolge einem damaligen Schrift 
fteller übertraf Don Juan die beiden andern durch die Anınuth ober 
vielmehr Schönheit, feines Leibes, ſowie durch das Bezaubernde feiner 
Sitten,“) während feine Seele jener edleren Eigenfchaften, welche bie 
höchfte Auszeichnung verfprechen,, voll war. ***) 

Die Biographen Don Juan's theilen und mit, daß berfelbe fei- 
nen Studien geziemend oblag. Aber die Studien, welche ihm am 
meiften zufagten, waren diejenigen, welche mit ber Kriegsfunft zu» 
ſammenhingen. In allen ritterlichen Fertigkeiten war er vollfonmen; 


*) „Tengo mucho cuidado que aprenda y se le ensenen las cosas necesa- 
rias, conforme ä su edad y & la calidad de su persona, que, segun la estre- 
cheza en que se cri6 y ha estado hasta que vino & mi poder, es bien menester 
con todo cuidado tener cuenta con &l.* — Gachard, Retraite et Mort de Char- 
les-Quint, Bp. L, ©. 450. 

») „Longè tamen anteibat Austriacus et corporis habitudine, et morum 
suavitate, Facies illinon modò pulchra, sed etiam venusta.“ — Strada, De 
Bello Belgico, Bd. I, ©. 609. 

) „Eminebat in adolescente comitas, industria, probitas, et, ut in novae 
potentiae hospite, verecundia.* — Ebent. am angeführten Orte. 








108 Fünftes Kapitel. 


er feufzte nur nach einem Felde, wo er biefelben entfalten fonnte. 
Die Kennmiß feiner eigentlichen Abftammung erfüllte feinen Geiſt 
mit einem edlen Ehrgeiz, fo daß er ſich danach fehnte, feinen An⸗ 
ipruch auf vornehme Herkunft durch irgend eine Helbenthat zu rechts 
fertigen. | 

Nach einem dreijährigen Studium verließ er 1564 die Univers 
fität. In das folgende Jahr fiel die berühmte Belagerung von Malta, 
wo die ganze Ehriftenheit ermartungsvoll auf den Ausgang des ver- 
zweifelten Kampfes ſah, den eine Hand voll Krieger auf ihrer eins " 
famen Inſel gegen die ganze Macht bed ottomanifchen Reiches kaͤmpf⸗ 
ten. In dem Herzen Don Juan's erwachte Sympathie für bie hrift« 
lichen Ritter: weßhalb er beſchloß, fein eigenes Geſchick mit zu ben 
ihrigen in die Wagfchale zu werfen und feine erften Xorbeeren unter 
ben Banner ded Kreuzed zu gewinnen. Cr fragte dabei feinen Bru- 
der nicht um Erlaubniß, weil er wußte, daß diefe ihm verweigert wer; 
den würde, Er entfernte fich heimlich vom Hofe und fchlug, von nur 
wenigen Dienern begleitet, den Weg nach Barcelona ein, von wo 
eine Streitinacdht den Belagerfen zu Hülfe abfegeln follte. Ueberall, 
wohin ihn fein Weg führte, wurde er mit dem, feinem Range zu- 
fommenden Refpecte eınpfangen, In Saragofla wohnte er bei dem 
Erzbischof, unter deſſen Dache er Krankheitshalber längere Zeit aufs 
gehalten wurde. Während er noch hier war, empfing er einen Brief 
vom Könige, der den Grund feiner Abreife erfahren hatte und ihm 
zurüdzufoınmen gebot, weil er zur Theilnahme an dem verzweifelten 
Kampfe noch zu jung fei. Don Juan achtete wenig auf den fönigs 
lichen Befehl. Er drang bis nach Barcelona, von wo zu feinem 
Aerger die Flotte fchon abgejegelt war. Er beſchloß daher, über das 
Gebirge zu reifen und in Marfeille ein Schiff zu befteigen. Der Vice⸗ 
fönig von Catalonien hatte den leidenſchaftlichen Jüngling nicht von 
feinem Vorhaben abzubringen vermocht, als eine andere Depeiche vom 
Hofe anlangte, worin Philipp in einem entfchiedeneren Tone, als 
vorher, den Befehl zurüdzufehren an feinen Bruder unter Androhung 
feiner geftrengen Ungnade wiederholte. Ein Brief von Quirada hatte 
ihn fchon gewarnt, daß er fiherlich in Ungnabe fallen werde, wenn 
er fortführe, mit den königlichen Befehlen zu fpielen. Da war feine 


Die Rebellion der Moriscos. 109 


andere Wahl, ald zu gehorchen. Daher kehrte ber in feinem ehrgei⸗ 
zigen Vorhaben geftörte Don Juan in die Hauptftabt zurüd. *) 

Diefed Abenteuer erregte im ganzen Lande großes Auffchen. 
Die jungen Adeligen und Kavaliere bei Hofe waren durch das Beis 
fpiel Don Juan's, daß ihnen ein Vorwurf ihrer eignen Bärenhäuterei 
zu fein fchien, in Flammen geſetzt worden, und fie hatten ihre Rüs 
ftungen angefchnallt, um ihn in den Krieg zu folgen.) Die ges 
meinen Leute, welche in Spanien fühne romantische Thaten befonders 
gern haben, waren entzüdt über ben abenteuerlichen Sinn des jungen 
Prinzen, der eines Tages unter den Helden feiner Nation einen Plat 
einzunehmen Hoffnung machte. Das war der Anfang der Bopulas 
rität Don Juan's bei feinen Landsleuten, die ihn mit der Zeit fa 
wie einen Gott verehrten. Philipp felbft, obſchon er für nöthig ger 
halten haben mag, feinem Bruder feine Infubordination zu verweifen, 
ſcheint innerlich fi) über den edlen Sinn, den diefelbe offenbarte, ges 
freut zu haben. Wenigftend zeigte die Gunft, welche er dem Gefehlt⸗ 
habenden zu beweifen fortfuhr, daß bie Fönigliche Ungnabe von feiner 
langen Dauer war, 

Die plögliche Veränderung in dem Stande Don Juan's Fönnte 
uns an eine Beengefchichte erinnern, worin fidy der arme Bauernfnabe 
plöglich durd, Verzauberung in einen großen Prinzen verwandelt fieht. 
Ein fo plöglicher Umfchrwung des Glücksrades möchte wohl einem 
weiferen Manne, ale ihm, die Sinne verwirrt haben. Auch war 
Philipp wohl auf die ganz natürliche Furcht gerathen, daß bie faule 
Hoftändelei, welcher fein Bruder jebt ausgefegt war, fein einfaches 
Weſen verderben und ihn von dem ehrenhaften Pfade ver Pflicht abs 
lenken könnte. Er muß deshalb fehr damit zufrieden geweſen fein, 
zu fehen, daß, weit entfernt hiervon, die Erhebung des Jünglinge 


®) Strada, De Bello Belgico, Dd. II, ©. 609 und 610. — Vanderhammen, 
Don Juan de Austria, Fol 34— 36. — Cabrera, Filipe Segundo, Bud VI, 
Kap. 24. 

”) „La fama de la partida de Don Juan sac6 del ocio a muchos caval- 
leros de la corte i reynos, que avergoncados de quedarse en El, le siguie- 
ron.“ — Cabrera, Filipe Segundo, am angeführten Orte. 

o 





110 Fünftes Kapitel. 


nur dazu gedient hatte, feinen Plänen ein weiteres Feld zu geben und 
feine Bruft mir höheren und ebleren Vorſatzen zu füllen. 

Dad behutiame Benehmen Don Juan’d in Bezug auf feinen 
Neffen Don Carlos, damals, als ihn diefer mit in feine wilden, un- 
ausführbaren Pläne ziehen wollte, befeftigte ihn noch mehr in ber 
föniglicdyen GOunſt. *) 

Im Frühlinge ded Jahres 1568 bot fich dem Philipp eine Ger 
legenheit dar, den Ehrgeiz feines Bruders zu befriedigen, indem er 
ihm ben Oberbefehl einer Flotte übertrug, die damals in dem Hafen 
von Garthagena gegen die Korſaren ber Berberei, welche neuerdings in 
dem jpanifchen Handel große Berheerungen angerichtet hatten, aus⸗ 
gerüftet wurde, Allein, obſchon ihn der König zu diefem Poſten er» 
nannte, war berfelbe doch vorfichtig genug, um dem Mangel feines 
Bruderd an Erfahrung dadurch abzuhelfen, daß er ald Zweiten im 
Kommando einen Offizier, in beffen Fähigfeiten er vollfommenes. Ber- 
trauen hegte, ſetzte. Diefer hieß Antonio de Zuniga y Requeſens, 
war Oberbefehlshaber von Et. Jacob und ft eine berühmte PBerfön: 
lichfeit,, die in dem weitern Verlauf unferer Erzählung dem Lefer noch 
oft vorgeführt werden wird. Requeſens, der bamald ben Gefandts 
fchaftspoften zu Rom ausfüllte, befaß die talentvolle Gewandtheit, 
die damals, wo oft derfelbe Mann von dem Kabinetdienfte zum Feld⸗ 
bienfte berufen wurde, fehr erforderlih war. Während Don Juan 
vor dem Publikum als der Oberbefehlshaber der Flotte erichien, laſtete 
die eigentliche Verantwortlichfeit für die Unternehmungen der Expedi⸗ 
tion auf dem Lieutenant deffelben. 

Den dritten Juni fegelte Don Juan an der Spige einer Flotte, 
wie feine fchönere je auf den Gewäflern bed Diittelländifchen Meeres 
gefahren war, aus bem Hafen hinaus. Das Schiff des Prinzen 
war eine herrliche, prächtig ausgeftattete Oaleere, ausgefchmückt mit 
einer Menge Gemälde, deren hauptiächlid aus der alten Gefchichte 
und Mythologie entnommene Gegenftände eine didaktische Tendenz 
hatten und dem jungen Befehlöhaber mandye nüßliche Lehre beibringen 
jollten. Die Moral eines jeden Gemäldes war in einer fernigen 


*) Siehe früher unfern zweiten Bant, Bud IV, Kar. 6. 


Die Rebellion der Moriscos. 111 


Marime, die auf Lateinifch Darunter fand, ausgebrüdt. Nach wel- 
her Richtung alſo Don Juan immerhin feine Augen richten mochte, 
mußte fein Blick ftetd auf eine beiehrende Predigt fallen, fo daß feine 
Galeere verglichen werden könnte mit einem Buche, das reichlich mit 
Bildern auögeftattet ift, damit felbige den Inhalt dem Gedaͤchtniffe 
des Leſers einprägen helfen. *) 


Die Kreuzfahrt diefer Flotte war vollkommen erfolgreich. Als 
Don Juan nach acht Monaten in den Hafen zurückkehrte, konnte er 
ſich ruͤhmen, daß er in verſchiedenen Treffen den Stolz ber Korſaren 
gebeugt und biejelben fo verftümmelt hatte, daß fie lange Zeit hin- 
durch ihre Ränbereien nicht fortfegen konnten, kurz, daß er im Mittels 
ländifchen Meere die Ehre ver Blagge feines Landes gerächt hatte. 

Seine Rüdfchr nach Madrid wurde mit den Ehrenbezeigungen 
eines Triumphes bewillfommnet. Die Höflinge und die Bürgerlichen, 
furz, die Leute aller Stände, wetteiferten mit einander, ihm ben füßen 
Weihrauch der Schmeichelei anzuzünden, wodurch fie feinen jugend- 
lichen Geift mit erhabenen Gebilden der Zufunft, die ihm auf dem 
Pfade des Ruhmes vorwärts winften, erfüllten. 


Als im Jahre 1568 der Aufftand der Moriscos ausbrach, rich- 
teten fich Die Blicke Aller natürlich auf Don Juan von Oeſterreich ale 
denjenigen Mann, der wahrfcheinlich zur Nieberwerfung der Inſur⸗ 
rection gefchieft werden würde. Aber Philipp hielt es für ficherer, das 
Kommando denjenigen anzuvertrauen, bie, wegen ihre® langen Aufent- 
halts in der Rähe, mit der Beichaffenheit des Landes und der Einwohner 
befier befannt waren, Als es indeß durch die Zmiftigfeiten der neben- 
buhlerifchen Befehlshaber nothiwendig wurde, Jemanden zu fenben der 
mit genüigender Vollmacht zur Niederhaltung dieſes fuctieufen Geiftes 
und zum Erzwingen einer größern Uebereinftimmung im Handeln be: 
Hleidet war, empfahl der Etaatörath den Don Juan ald Oberbefehle- 


*) Banderhammen hat von diefer füntglichen Galeere, und ten gemalten Ber: 
bildlichungen derielben, eine ins Einzelne gehente Beichreibung gegeben. Bon 
den unter den Gemälden Rehenten Denkiprüchen fchmedt derjenige, welcher „Dolum 
reprimere dolo* hieß, flarf nach dem politischen Monarchen. — Don Juan de 
Austria, Fol. 44 —48 


112 Fünftes Kapitel. 


baber. Der König, welcher vielleicht die Wahl im Grunde dem Staats⸗ 
tathe an die Hand gegeben hatte, billigte fie. 

Doc; hütete fich der „Fluge” Monarch, feinen Bruder mit einem 
fo unabhängigen Oberbefehle, wie dad Publifum vorausfegte, zu bes 
leiden. Im Oegentheil war die Autorität deflelben faft auf eben fo 
enge Grenzen, wie fie es im Mitteländifchen Meere geweſen war, 
beſchraͤnkt. Es wurde ein Kriegdrath ernannt, deflen Gutachten den 
Don Juan in jeder wichtigen Frage leiten follten. Im Balle einer 
Meinungsverfchiedenheit war die Frage der Entſcheidung des Könige 
anheimzuftellen. *). 

Die Hauptmitglieder diefed Koͤrpers, der eigentlich die höchfte 
Gewalt befaß, waren der Marquis von Mondejar, der feit diefer Zeit 
nicht wieder in eigner Perfon zu Felde gezogen zu fein fcheint; ber 
Herzog von Seffa, ber Enkel des großen Kapitäns Gonfalve de Cor⸗ 
dova, der feinem Vorfahren nicht viel an militärischem Talent nachges 
ftanden zu fein ſcheint; der Erzbifchof von Granada, ein Prälat mit 
einem fo ftarfen Maße Bigotterie, wie fein anderer fpanifcher Geift- 
licher je mehr befaß; Deza, der Audienzgerichtöpräftdent,, welcher bie 
Moriscos mit dem grimmigen Haffe eines Inquifitors haßte, und 
endlich de& Don Juan treuer Ayo, Quirada, der über ihn mehr Eins 
fluß, als irgend ein Anderer, ausübte und ber die erften Feldzüge 
jeined Zoͤglings, welche leider den Schluß feiner eignen bilden follten, 
in Augenfchein zu nehmen gefommen war. **) 

Schmerlid hätte man auf einen unglüdlicheren Gedanken ges 
rathen können, als auf die Errichtung einer fo ſchwerfälligen Mafdjis 
nerie, wie es diefer Rath war, weil berfelbe feinem innerften Weſen 
nad) der zum guten Erfolge ber militärifchen Operationen erforders 
lichen Schnelligfeit hinderlich fein mußte. Das Unheil wurde nur 


*) „Su comision fue sin limitacion ninguna; mas su libertad tan atada, 
‚que de cosa grande ni pequena podia disponer sin comunicacion i parecer 
de los consegeros, i mandado del Bei.“ — Mendoza, Guerra de Granada, 
©. 139. 

“.) hend. S. 130 ff. — Vanderhammen, DonJuan de Austria, Fol. 81.— 
Marmol, Bd. I, ©. 511 — 513. — Villefena, Vida de Donna Magdalena de 
Ulloa, &. 73. — Cabrera, Filipe Segundo, Bo. IX, Kap. 1. 


Die Rebellion der Moriscvs. 113 


noch größer, indem jeder ftreitige Punkt dem Könige zur Entfcheidung 
vorgelegt werben mußte. Weil das ein Fall war, welcher zufälligers 
weiſe fich oft ereignete, fand der junge Prinz bald, daß ihm von feinen 
Breunden eben fo viele Hindernifle, wie von feinen Feinden, in: ben 
Weg gelegt wurden ; und zwar hätten dieſe Hindernifie nur durch eine 
ungewoͤhnliche - Entichievenheit und Energie von feiner Seite übers 
wunbden werden fünnen. 

Den fechsten April 1569 nahm Don Juan von dem damals in 
Aranjuez befindlichen Könige Abſchied und eifte nach dem Süden. Die 
Einwohner von Granada warteten fehnfüchtig auf feine Ankunft: die 
Chriſten, weil fie hofften, daß er ber Unordnung in dem Heere abs 
helfen und den Krieg fchnell zu Ende bringen werde; die Moriscos 
aber, weil fie vorandfegten, daß er ihnen gegen bie Gemaltfamfeit ber 
Spanier Schu angedeihen laffen werde. In der Hauptftadt traf man 
Anftalten, um ihn glänzend zu empfangen. Philipp felber war es, 
der dad Feſtprogramm lieferte.) inige Meilen vor der Stadt em» 
pfing den Don Juan der Graf von Tendilla an der Spite einer klei⸗ 
nen Abtheilung Infanterie, deren Uniformen theils in dem caftilifchen, 
theils nach maurifchem Schnitte waren, fo daß fie im Ganzen 
einen eigenthümlichen,, malerifchen Anblick gewährten, indem Seide, 
Sammet und reiche Stickerei munter um bie eifernen Harnifche und 
polirten Waffen der Krieger flutheten.**) ALS der Prinz auf feinem 
Wege ein Stüd zurüdgelegt hatte, ftieß zu ihm ein langer Zug geiſt⸗ 
licher und bürgerlicher Beamter, auf welche die vornehmften Kavaliere 
und Bürger Granadas folgten. An ihrer Spihe befand fid) der Erz 
bifchof und ber Präfident, von denen ber letztere forgfältig feinen Rang 
wahrte, indem er zur rechten Hand bes Prälaten ging. Don Juan 
bewies ihnen beiden die größte Ehrfurcht. Sowie fie näher kamen, 
ftieg er vom Pferde, umarmte die beiden Geiftlichen und unterhielt fich, 


*) „Ya el Presidente tenia orden de su Magestad de la que se habia de 
toner en el recibimiento de su hermano.“ — Marmol, Rebelion de Granada, 
Bd. U. ©. 17. 

») „De manera que entre gala y guerra hacian hermosa y agradable 
vista.“ — CEbendaſelbſt wie oben. 

Vrescott, Geſch. Vhilipp's I. IV. 8 





114 Fuͤnftes Kapitel. 


indem er feinen Hut in ber Hand hielt, einige Zeit mit ihnen.*) Ws 
der Zug vorbeimarichirte, ftellte der Präfltent dem Bringen die an- 
geſehenſten Perſonen vor und diefer empfing fie mit einer ungezwun⸗ 
genen, huldreichen Höflichkeit, welche ihm bie Herzen aller derer, bie 
fich ihm näherten, gewann. “Darauf feste er feinen Weg fort, indem 
ihn auf beiden Seiten der Praͤſident und der Erzbifchof geleiteten. Die 
umliegenden Felder waren mit Zufchauern angefüllt und auf der Ebene 
von Beyro fand er zu feinem Empfange ein großes Truppencorps, das 
fih auf nicht weniger ald zehntaufend Mann belaufen haben fol, 
aufgeſtellt. Daſſelbe begrüßte ihn, als er herbei fan, mit wunder 
voll präcid ausgeführten Gewehrfalven. Als Don Juan über ‘ihre 
ſchoͤne Schlachtreihe dahinblidte und ihre volllommene Disciplin und 
Pünttlichfeit gewahrte, erglänzten feine Augen und der Solbatenflol; 
röthete feine Wangen. 

Kaum war er zum Stabtthore hinein, wurde er von einem 
Srauenfchwarme, ber ſich in einer bittenden Stellung um ihn her⸗ 
fdaarte, umgeben. Dieſe Frauen waren die Witwen, Mütter und 
Töchter der in den Maſſacres der Alpujarras fo elendiglich Umge⸗ 
fommenen. Sie waren in Trauer gekleidet, und zwar einige von 
ihren fo dürftig, daß man hieraus beutlich ihre Armuth erfehen fonnte. 
Indem fie auf ihre Kniee fielen, Ströme von Thränen vergoffen und 
ihre Worte faſt unter Schluchzen erftidten,, flehten fie um Gerechtig⸗ 
feit, — um Gerechtigfeit gegen die Mörder ihrer Angehörigen. Sie 
hätten, fagten fie, ihre Freunde unter den Streichen der Henker enden 
ſehen; allein, der Schmerz, welcher damals ihr Herz zerriß, wäre 
nicht fo groß geweſen, als der jeßt von ihnen empfundene, ba fie er» 
fahren hätten, daß bie gräulichen Handlungen dieſer Miffethäter unge» 
rochen bleiben jollten.*Y) Don Juan fuchte ihre Aufregung zu be 


*) „El qual lo recibi6 muy bien, y con el sombrero en el mano, y le tuvo 
un rato abrazado. Y apartandose 4 un lado, Uego el Arzobispo, y hizo lo 
mismo con &l:* — Eben. ©. 18. 

2) „Que no sintieron, tanto dolor con oir los crueles golpes de las 
armas con que los hereges los mataban & ellos y& sus hijos, hermanos 
y parientes, como el que sienten en ver que han de ser perdonados. — 
Marmol, Rebelion de Granada, ®bd. D, ©. 19. — Hieraus gewinnt es 


Die Rebellion der Moriscos. 1185 


fänftigen, indem er mit ihrem Mißgeſchick die innigſte Syınpathie aus⸗ 
drückte, auf eine Weiſe, welche Riemanden , ber fein Antlig ſah, an 
ber Wahrheit feiner Worte zweifeln ließ; und er verſprach, Alles aufs 
zwbieten, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu laflen. 

Eine lebhaftere Scene erwartete ihn, als die Prozeſſion durch 
die Straßen der alten Hauptfladt zog. Ueberall waren bie Häufer 
prächtig verziert mit goldgewirkten Teppichen. Die die Zugänge bes 
fest haltende Menge erfüllte die Luft mit loyalen Zurufen. Strahlende 
Augen blidten herab von den Balconen und Fenſtern, wo die ebelften 
Matronen und Iungfrauen von Granada in reichem Anzuge fi) zu 
fammengelchaart hatten, um das glänzende Feſt und den jungen Hels 
dem, welcher der Gegenſtand defielben war, zu ſehen.“) Auf dieſe 
Weile begab er fid) weiter, bis er das Königliche Audienggericht ers 
reichte, wo auf den Befehl des Königs zu feiner Wohnung prachtoolle 
Zimmer hergerichtet worden waren. **) 

Am folgenden Tage wartete bem Don Juan eine Deputation ber 
vornehmften Moriscos der Hauptftadt auf. Sie kamen, um gegen 
bie zahlreichen Befchäpigungen und Beleidigumgen, denen fie, fo oft 
fie ausgingen, ausgeſetzt geweſen waren, feinen Scyug anzuflehen. 
Ramentlich beflagten fie ſich über die bei ihnen einquartierten ſpani⸗ 
fen Truppen, und über die Weife, in welcher das Heiligthum ihrer 
Wohmungen durch die fcheußlichften Gewaltthätigfeiten verlegt worden 
war. Don Juan erwiderte in einem Tone, der wenig bem Bedauern 
glich, welches er den weiblichen Bittftellem am vorhergehenden Tage 
bezeigt hatte. Er fagte zu den Moriscos, daß, weil er zur Wiebers 
berftellung der Ordnung nad) Granada geſandt worden fei, diejenigen, 
welche ſich loyal erwiefen hätten, in allen ihren Rechten ſich geſchuͤtzt 


den Anfchein,, al6 ob diefe chriſtlichen rauen tie Rache mehr, ale ihre Freunde, 
liebten. 

*) „Y mas galas y regocijos, porque estaban la ventanas de las calles, 
por donde habia de pasar, entoldados de panos de oro y seda, y mucho nu- 
mero de damas y doncellas noblesen ellas, ricamente ataviadas, que habian 
acndido de toda la ciudad por verle.* — hend. wie oben. 

VEbendaſeibſt, S. 17— 19. — Vanderhammen, Don Juan de Austria, 
Fol. 83. — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 133. 

80 





116 Fünftes Kapitel. 


finden würden. Diejenigen dagegen, welche in ber legten Rebellion 
Antheil genommen hätten, würden mit ber fhärfften Strenge beftraft 
werden. *) Er erfuchte fie, ihre Beſchwerden ſchriftlich aufzuſetzen, 
gab ihnen aber die Warnung, ja Nichts nieberzufchreiben, was fie 
nicht beweiſen könnten, wenn fie fich nicht jehr großen Unannehmlich⸗ 
feiten ausſetzen wollten. Die unglüdlichen. Moriscos fahen, daß fie 
bloß eine foiche Gerechtigkeit, wie fie ein Feind austheilt, zu erwarten 
hätten. 

Schon bie erfte Sigung des Rathes zeigte, wie ungemigend für 
die Kriegsführung das eingerichtete Syſtem fei. In den fich entſpin⸗ 
nenden Debatten bemerfte Monbejar, daß ber Krieg nach feinem 
Dafürhalten eigentlich beendigt fei, und daß bie Moriscos größten, 
theils in einer fo günftigen Stimmung wären, baß, wenn man ihm 
die Sache zu thun überließe, er fie alle in ſehr Eurzer Frift zum Ge⸗ 
horfaın zurüdführen werde. Diefer Vorſchlag warb von dem ftolgen 
Präfibenten, der fie eine falfche Sippfchaft, auf deren Berfprechen man 
nicht trauen fönne, nannte, verächtlich behandelt. Der Krieg, fagte 
er, würde nie beendigt werden, fo lange als ed ben Moriscos der 
Hauptftadt frei ftünde, mit ihren Landsleuten im Gebirge in Verbin⸗ 
dung zu ftehen und biefelben im Geheimen über die Vorgänge im 
hriftlichen Lager zu benachrichtigen. Der erfte Schritt müßte fein, 
fie alle von Granada ind Innere zu ſchaffen, und ber zweite, in ten 
Alpujarras an den Mebelthätern, welche bie Blutbäder angerichtet 
hätten, ein ſolches Beiipiel zu flatuiren, daß dadurch der Schreden 
in die Herzen ber Ungläubigen geworfen und fie von fernerer Wiber- 
feplichfeit gegen die Regierung abgefchrect würden. Bei diefer Mei« 
nungsverſchiedenheit ergriffen die. Mitglieder , je nach ihrer Gemüthd« 
verfchiedenheit, verjchiedene Seiten. Der Generalsen- Chef und 
Quixade neigten fich beide auf die Seite der Meinung Mondejar's. 
Nach einer langwierigen Discuffion wurde e8 nöthig, die Trage dem 
König, der keineswegs heim Fällen feiner Urtheile fid) durdy Raſch⸗ 


9 „Juntamente con usar de equidad y clemencia con los que lo mere- 
cieren, los que no hubieren sido tales serän castigados con grandisimo rigor.* 
— Marmol,, Rebelion de Granada, Bd. I, ©. 21. 


Die Rebellion der Moriscos. 117 


heit auszeichnete, vorzulegen. Alles das erforderte viel Zeit, waͤh⸗ 


rend deren man die activen Operationen nicht wieder aufnehmen 


fonnte. *) 

Aber Don Juan ließ die Zeit nicht nutzlos verftreichen. Gr 
prüfte den Zuftand der Befeftigungen in Granada und der Umgegend; 
er fuchte die Armee auf einen beſſern Buß zu fegen und ben Inſubor⸗ 
binationsgeift, der unter manchen Theilen derfelben eingerifien war, 
zu erftiden; endlich verordnete er Truppenverftärfungen nicht nur aus 
Andalufien und den umliegenden Provinzen, fonbern auch aus Ca⸗ 
ſtilien. Diefer Aufruf hatte eine gute Wirfung ; namentlich ſchaarten 
bie großen adeligen Herren des Südens ihre Leute um fi und eilten 
mit ihnen nach Granada, um unter dieſem allgemein beliebten Feld⸗ 
bern das Schwert zu ziehen. **) 

Indefien führte der Auffchub die nachtheiligften Folgen herbei, 
weil er dem Yeinde Zeit gab, ſich von den Schlägen des vorhergehen⸗ 
den Feldzuges wieder zu erholen. Wie wir im vorigen Kapitel faben, 
war Aben⸗Humeya auf feinen Gebirgsthron zurüdgefehrt und befand 
ſich daſelbſt in größerer Stärfe, ald vorher. Sogar bie fogenannten 
„Moriscos des Friedens, * welche zu ihrer Unterthanentreue zurüds 
gefehrt waren, wurden durch die Beleidigungen ber fpanifchen Sols 
baten und durd) die Mißachtung, welche diefelben dem ficheren ©eleite 
bes Mondejar bewiefen, dergeſtalt aufgebracht, daß fie jebt in zahl⸗ 
reichen Schaaren in das Lager AbensHumeya’d famen, um ihm ihre 
Dienfte anzubieten und dad Verſprechen zu leiften, bid auf den legten 
Mann zu ihm zu ftehen. Andere Truppen bezog er aus Afrifa. Die 
moslemitiſchen Fürften, bei welchen er um Hülfe nachgeiucht hatte, 
ſchlugen ihm zwar das Geſuch, fich offen auf fein Unternehmen ein- 
zulafien, ab, erlaubten aber allen ihren Untertanen, die Luft dazu 
begten, fich zu feinen Standarten zu gefellen. Die Folge hiervon 


”), Ebend., S. 23 und 24. — Vanderhammen, Don Juan de Austria, 
Fol. 85. — Cabrera, Filipe Segundo, Yud IX, Kap. 1. — Herrera, Historia 
General, 32. I, S. 744 und 748. 

*®) Mendoza, Guerra de Granada, S. 141. — Vanderhammen, Don Juan 
de Austria, Fol. 85. — Marmol, Rebelion de Granada, ®b. H, &.27. — Ca- 
brera, Filipe Segundo, Bud IX, Kap. 1. 


118 Fünftes Kapitel. 


war, daß ein ftarfer Haufe Berbereis-DMauren über das Meer kamen 
und unter dem MoriscosFührer Dienfte nahmen. Sie waren ein 
grimmiger, unerfchrodener Menfchenfchlag, waren an ein wildes Aben- 
teurerleben gewöhnt und befaßen eine befiere Kenntniß der Kriegstaktik, 
als die fpanifchen Bergbewohner. 

Während Aben-Humeya durch die Rekruten verftärkt wurde, bes 
zog er jeßt auch aus feinem mehr erweiterten Gebiete größere Ein- 
fünfte.*) Obſchon er Pracht und Aufwand Tiebte, fo verſchwendete 
er feine Gelder doch nicht ganz mit der Beftreitung des größeren Staas 
tes, den er jet in feiner Lebensweife einführte. Er verausgabte ſte 
teichlidy zur Bezahlung jeiner freinden Truppen. Auch machte er 
ſich die im legten Feldzuge geivonnene Erfahrung und das Beifpiel 
feiner afrifanifchen Truppen zu Nuge, um unter feinen Morisco⸗ 
Kriegern ein befiered Syftem der Tatik einzuführen. Die von ihm 
eingehaltene Politik beitand darin, daß er, wie früher, Hauptichlachten 
vermied und ſich Hauptiächlicd auf den Guerillafrieg, der dem Genie 
des Bergbewohners angemeflener war, befchränfte. Er überfiel Fleine, 
durch das Land die Runde machende Abtheilungen Spanier und fchnitt 
die Zufuhren ab, wodurch er die Befagungen in ihren Berftärfungen 
fehr befchränfte. Er machte Einfälle in das Land der Ehriften, drang 
fogar bis auf die Vega vor und trug fühn den Krieg bis unter bie 
Mauern von Oranada. 


Allerdings dauerten feine Verheerungen in biefer Gegend nicht 
lange nad) der Anfınft Don Juan's, denn dieſer ergriff wirffame 
Mapregeln, um die Hauptftabt vor Infultirung zu ſchützen. Aber 
der Prinz war fehr aͤrgerlich über die rafche Ausdehnung des Morisco⸗ 
gebieted. Doch konnte er feine entfcheidenden Maßregeln, um biefer 
Ausdehnung Einhalt zu thun, ergreifen, fo lange als ſich der Rath 
noch nicht für einen beftimmten Operationsplan entfchieden hatte. Er 


*) Außer dem Zehnten aus dem Ertrage des Bodens foll die eine Quelle feiner 
Ginfünfte in dem conflscirten Bigenthume derjenigen Moriscos, die ſich feiner Herr» 
ſchaft zu fügen weigerten, beflanden haben. ine andere Quelle war der fünfte 
Theil der dem Feinde abgenommenen Beute. — Ebend., ©. 35. — Siehe and 
Mendoza, Guerra de Granada, ©. 120. 


Die Rebellion der Moriscos. 119 


wurde ferner gehemmt durch den Befehl des Königs, daß er nicht per⸗ 
föntich ind Feld rüden, fondern in Granada bleiben und ihn daſelbſt 
repräfentiren follte, indem er dort mit der Regulirung der Gefchäfte 
und der Sorge für die Sicherheit der Stadt genug zu thun finden 
würde. *) Philipp fcheint beforgt zu Haben, daß den Don Juan fein 
abenteuerlicher Geift zu irgend einem kecken Streiche hinreißen unt 
unnöthig fein Leben in Gefahr bringen möchte. Wie wir aus zahl- 
reichen Stellen feiner Briefe erfehen können, fcheint es ihm in der 
That mehr um die Sicherheit feines Brubderd, als um das Gelingen 
des Feldzuges zu thun geweſen zu fein. **) Auch mochte er es für beffer 
halten, den Krieg den Händen des alten Feldherrn, des Marquis 
206 Velez anzuvertrauen,, weil diefer ſich einer größeren Erfahrung 
rühmen konnte, ald Don Juan, und bein Könige eine hohe Meinung 
von feinem militärifchen Talente beigebracht hatte, 

Diieſer abelige Herr führte noch das Kommando über das äftlich 
von den Alpujarrad gelegene Land, worin feine eigenen großen 
Befisungen lagen. Wie wir ſahen, bejaß er ein hartherziged an, 
maßendes Weſen, welchem die Obergewalt des jungen Generals⸗en⸗ 
Chef fehr zuwider war. Nur felten geruhte er an ihn zu fchreiben, 
intem er es vorzog, feine Mittheilungen an den König direkt zu 
machen. ***). Der von feiner Herrichfucht verleitete Philipp drüdte bei 


*) „Y la vuestra, ya yo os dixe que la queria para cosas mayores, y qu6 
asi agora yo no os embinba 4 las de la guerra sino & esa ciudad 4 dar desde 
ella la orden en todo que conbiniese: Pues y por otras ocupaciones y cartas 
no lo podia hazer.* — Carta del Rey & Don Juan de Austria, 10 de Mayo, 
1569, Manuffr. 

=) Don Juan ſcheint über tie ibm vom König auferlegten Beichränfungen 
zornig geweſen zu fein. Das läßt fich wenigftens aus einem Tadel Philipp's ab: 
nehmen, wrnn berfelbe feinem Bruder fagt, daß „er zwar wegen der großen Liebe, 
welche er zu ihm begt, für dies Mal eine ſolche Eprache mit Nachſicht behandeln 
will, daß es aber nicht qut für Don Juan fein wird, fie zu wiederholen.“ — Carta 
del Rey 4 Don Juan, 20 de Mayo, 1569, Manuſkfr. 

”) Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 94. 

Marmol entwirft mit einem oder zwei kräftigen Pinfelftrihen (coups de pin- 
coau) von dem Marquis ein Bild. „No se podia determinar qual era en El 
mayor extremo, su esfuerzo, valentfa y discrecion , 6 la arrogancia y ambicion 


a | 


19 Funftes Kapitel. 


dieſem unregelmäßigen Berfahren ein Auge zu, weil er auf dieſe Weife 
an ber Leitung der Angelegenheiten einen birekteren Antheil nehmen 
konnte, als es fonft der Hal geweien wäre, Es war das fehr unfiug 
gehandelt und führte, wie wir fehen werben, Unheil herbei. 

Ohne dazu fommanbdirt zu fein, beichloß der Marquis den Feld⸗ 
zug damit zu eröffnen, daß er mit der ihm zu Gebote ftehenden Heinen 
Macht in die Alpujarras eindrang. Allein eine Abtheilung von vier- 
hundert Truppen , welche er ven Paß bei Ravaha zu befeßen beorbert 
batte, wurde vom Feinde abgeſchnitten; baher denn der folge Bührer 
wiberfirebend dem Befehle Don Juan's, von feinem Vorhaben abzu⸗ 
ſtehen, endlich gehorchte. Diefer Erfolg ermuthigte den Aben-Humeya, 
den Marquis in feinem neuen Hauptquartier zu Verja anzugreifen. 
Der Blan war gut durchdacht, wurde aber vor feiner Ausführung 
leider durdy einen Kriegögefangenen dem ſpaniſchen Befehlöhaber ver- 
rathen. Gr fchlug folglich fehl. Aben-Humeya drang bis in bie 
Mitte der Stadt vor, fand fich aber dajelbft von einem Hinterhalte um⸗ 
tingt, fo daß er nur mit Schwierigfeit und mit großem Verluſt feinen 
Rüdzug bewerkftelligen konnte. Allein, wenn die Spanier den Sieg 
behielten, fo Arnteten die Moriscos die Früchte defielben. Der von 
dem Moslems Kürften bewiefene Muth flößte feinen Randsleuten neues 
Leben ein, und diefer Nugen wog bie Bolgen der Niederlage hinläng- 
ih auf. Die reiche und ſtark bevölferte Gegend vom Rio de Alman⸗ 
zora griff zu den Waffen. Der Marquis von 206 Velez hielt e8 für 
angemefien, feine gegenwärtige Stellung aufzugeben und fein Haupt⸗ 
quartier nad) Adra, einem Seehafen ded Mitteländifchen Meeres, 
ber ihm den Empfang von Berftärfungen und Lebensmittelzufuhren 
erleichterte,, zu verlegen. *) 

Der Empörungsgeift verbreitete fich jegt raſch über die übrigen 
Theile der Alpujarras , befonderd aber läng® der Sierra von Bens 
tomiz, welche aus der Nachbarſchaft von Alhama nad Süden läuft, 


“ de honra, acompanada de aspereza de condicion.“ — Rebelion de Granada, 
Br. U, S. 9, 

9 Ebend., S. 73 ff. — Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 94. 
— Mendoza, Guerr« de Granada, ©. 175. — Miniana, Historia de Espana, 
©. 377. 


Die Rebellion der Moriscos. 121 


Die dafigen Bergbewohner , die biöher feinen Antheil an den Unruhen 
des Landes genommen hatten, reibten ſich unter das rothe Banner 
Aben⸗Humeya's und brachen in offene Rebellion aus. Die Ein- 
wohner von Velez und von ber bebdeutenderen Stadt Malaga waren 
hierüber entfegt und zitterten,, berm fie befürcdhteten, daß der Feind von 
den Bergen hernieder fommen und ihre Straßen mit Blut überfchwens 
men würde. Sie mufterten fchleunig die Miliz des Landes und trafen 
Bertheidigungsanftalten. 

Gluͤcklicherweiſe wurden fie bei diefer Rage der Sachen durch das 
Anfichtigwerben des Groß⸗Commandeurs Requefend erfreut. Diefer 
lief in den Hafen von Velez Malaga mit einem von Italien fommen- 
den Geſchwader ein; er hatte mehrere Bataillons ſpaniſche Veteranen 
am Bord und war von ber Regierung beordert worden, die Armee 
der Alpujarras zu verftärfen. Im ganzen fpanifchen Heere gab «8 
feine beffern Truppen, als bie jeinigen, die durch manchen rauhen 
Feldzug abgehärtet waren umd durchgängig die vollftändigfte Mann» 
zucht hielten. Requeſens war, wie man fid erinnern wird, der naͤm⸗ 
liche Offizier, der während ded Krieges im Mitteländifchen Meere 
al8 der Lieutenant oder Stellvertreter Don Juan’d von Defterreich 
fungirt hatte. Das Erfte was er that, war, baß er feinen jungen 
General um dad Kommando der Erpedition gegen bie Rebellen von 
Bentomiz bat. Diefelben hatten fich jegt in großer Stärfe auf dem 
hoben Tafellande von Frariliana, wo fie die natürlichen Bertheidis 
gungen des Bodens durch fünftliche Befeftigung verftärkt und jede Ans 
näherung dadurch faft unmöglich gemacht hatten, zufammengezogen. 
Das Gefuch des Großeommandeurs von St. Jacob ward ohne Wei⸗ 
teres bewilligt, und berfelbe führte nun ohne Verzug feine Bataillone 
mitten in die Sierra hinein. 

Wir haben feinen Platz, um auf Einzelnheiten einzugehen. Es 
genügt zu fagen, daß die Expebition eine der am beften geleiteten 
während des ganzen Krieges war. Der Feind machte einen verzweis 
felten Widerſtand, und, wären nicht die alten Bürger von Malaga 
noch zeitig genug angefommen, fo würde der Großcommandeur aus 
bem Felde gefchlagen worden fein. Die Morisco⸗Weiber fochten an 
der Seite ihrer Männer, und viele von ihnen ftürzten fi), als Alles 


122 Fünftes Rayikl. 


verloren war, Hals über Kopf*) in die Abgründe, um ben Spanien 
nicht in die Haͤnde zu fallen. **) Der Zeind harte einen Berluft von 
zweitaufend Todten und dreitauiend Gefangenen, und die Sieger 
Batten eine reiche Beute an Gold, Eilber, Juwelen und foftbaren 
Stoffen. Der Rebellionsgeift war in der Sierra von Bentomiz völlig 
erbrüdt. 

Doch war der Eieg nicht unblutig. Nicht minder als ſechshun⸗ 
dert Ehriften blieben auf der Wahlſtatt. Der Berluft traf am meiften 
bie aus Stalien gefommenen Truppen. In biefer tapfern Schaar war 
faft jeder Kapitän verwundet. ***) Die Life ber Verwundeten und 
Todten enthielt ferner den Namen manches durch Geburt, fowie durd) 
Tapferfeit ausgezeichneten Kavalierd. Zweitaufend Moriscos ent 
kamen glüdlidy in da6 Lager des Aben-Humeya. Sie famen ihm 
techt zu paſſen, benn biejer Ehef führte die Erſtürmung von Seron 
im Schilde. ****), 

Das war ein ftarf befeftigter Plag, der glei ber Horft des 


) So gut Tas Wörterbub Hilpert's if, entbält es doch nicht diefe erfte und 
eigentliche Beteutung von tem Worte hendlong, i. e. with the head foremost. 
Siche die großen englifchen und amerifanifchen Wörterbücher von Ogilvin, Wright, 
Johnſon, Webſter und Brag. So habe ih aud gefunden, daß tie meiſten deut⸗ 
ſchen Wörterbücher von tem Wort burden nicht bie Bedeutung „Ehorus, Refrain“, 
geben. — Anınerf. Des Ueberſetzers. 

) „Quando vieron el fuerte perdido, se despenaron por las peñas mas 
agrias, quiriendo mas morir hechas pedazos, que venir en poder de Christia- 
nos.“ — Marmol, Rebelion de Granada, Bd. II, ©. 89. 

“*) „Casi todos los capitanes.“ — Gbend. a.a.D. 

—9 Das wilde Treffen bei Fraxiliana wird im Ginzeinen befcyrieben von Men: 
doʒa (Guerra de Granada, ©. 165 — 169) und Marmol (Bebelion de Granada, 
Br. DI, S. 86— 90). Während des ganzen Krieges wurte fein Kampfplag fireis 
tiger gemacht, und beite Gefchichtichreiber legen Zeugniß ab von ter außerordent: 
lihen Tapferkeit ter Moriscoo, Lie der beften Zeiten Des arabiichen Reiches würdig 
geweſen wäre. Maͤhrend Philipp ten edlen, auf der Erpedition bewielenen Cifer 
feines Sroßcommanteurs preiſt, tadelt er ihn zugleich dafür, daß er die Flotte vers 
laſſen und fi auf die Unternehmung eingelaflen hat. „El comendador mayor 
tubo buen suceso como deseais, y como entiendo yo que lo merece su zelo y 
su intencion, mas salir su persona en tierra, teniendo en vuestra ausencia el 
cargo de la mas fué cosa digna de mucha reprehension.“ — Carta del Rey & 
Don Juan, 25 do Junio, 1569, Manuſkr. 


Die Rebellion der Moriscoe. 133 


Adlers auf dem Bipfel einer fteilen Klippe lag, welche auf ben Rio 
de Almanzora herabfchaute und deſſen fürchterliche Paͤfſe beberrichte. 
Es war deßhalb ein fehr wichtiger Poſten, umd ihn bielt damals eine 
fpaniiche Garnifon unter einem Offiziere, Namens Mirones, beiebt. 
Da Aben-Humeya es mit Sturm zu nehmen gedachte, fchidte er eine 
ſtarke Truppenabtheilung gegen taflelbe. Allein, die Moriscos be- 
faßen fein fchweres Geſchuͤtz und waren, wie ſich bald ergab, in ber 
Kunft des Belagernd wenig erfahren. Daher befchloß man, den gegen- 
wärtigen Operationsplan aufzugeben und den Platz durch das zwar 
langiamere, aber fichere Mittel der Blofirung zu unterwerfen. Dem- 
zufolge lagerten ſich fünftaufend Mann am 18. Juni vor die Stadt 
und fchnitten jede Verbindung mit Außen völlig ab. 


Es gelang der Garniſon, Don Juan von ihrem Zuftande In 
Kenntniß zu fegen, und diefer gab unverzüglich dem Alonfo de Car⸗ 
bajal den Befehl, ihr mit einer Truppenabtheilung und einer ftarfen 
Proviantlieferung zu Hülfe zu kommen. Nachdem berfelbe jedoch 
faum abmarſchirt war, erhielt Don Juan die Nachricht, daß der König 
den Marquis von Los Velez mit der Vertheidigung von Seron betraut 
hätte. Auf den Rath Duiraba’s fchickte er dem Earbajal daher einen 
Gegenbefehl und gebot ihm zurüd;ufehren. Diefer Offizier, der bes 
reits ganz in die Nähe des Plapes vorgedrungen war, gehorchte mit 
ſchwerem Herzen und überließ Seron feinem Schickſale. Trohddem, 
Daß ſich der Marquis von Los Velez eiferfichtig zeigte, weil fih Don 
Juan in die Angelegenheit gemifcht hatte, ging er doch bei der Ent⸗ 
fegung der belagerten Feſtung fo langiam zu Werke, daß die zum 
Aeußerften gebrachte Garniſon am elften Juli eine egrenhafte Kapitu⸗ 
lation abfchloß. Aber, kaum war der Platz libergeben, fo mordeten 
die Sieger mit Beifeitfegung der Kapitulationsbedingungen alle männ- 
lichen PBerfonen über zwölf Jahren faltblütig und machten die Frauen 
und Kinder zu Sklaven. Diele Unthat fol auf den geheimen Befehl 
Aben-Humeya’d verübt worden fein. Der Anführer der Moriscos 
konnte feine Treulofigfeit damit rechtfertigen, daß er bloß das ihm von 
den Spaniern gegebene Beifpiel nachgeahmt hatte. *) 


*) Marmol, Rebelion de Granada, ®b. I, ©. 108— 111. — Ferreras, 


124 Siufes Rurikl. 


Tie Einbupe von Seren veruriadte in tem Derre großes Be 
Erwägung, taß jene Einbuße wicht iowehl ter Zapferfeit ter Mos⸗ 
lems, als ven Achlern der ipaniichen Beichlähaber, ober vielmehr dem 
zur %ritung des Krieges eingerichteten elenden Eofteme zuzuichreiben 
war. Tod wurte das Frohloden ter Moriscos bedeutend herabge⸗ 
fimmt durch tie Nachrichten, weldye fie furz vor der Liebergabe von 
Erron hinſichtlich des ihren Landslenten in Granada zugeſtoßenen Un- 
heils erhalten hatten. 

Rad) vielem Zögern hatte Philipp ten Plan Deza's, wonach die 
Moriocos von der Hauptiiadt in das Innere ded Landes geichafft 
werden follten, janctionirt. Der zur Inöwerficgung ber Maßregel 
angefiehte Tag war der treiund zwanzigite Juni. Eine ftarfe Trumppen- 
abtheilung zuſammt den bedeutendſten Beichlöhabern wurde im Stilfen 
in der Hauptſtadt zufammengezogen, um ber Bollzichung des Planes 
Nachdrud zu geben. Imzwiichen liefen Gerüchte um, daß die Moris⸗ 
c08 in der Hauptftatt mit ihren Landsleuten in den Alpujarras eine 
geheime Verbindung unterhielten; daß fie die Bergbewohner mit 
Waffen und Geld verfähen, daß die jungen Männer Granada vers 
ließen, um die Reihen der Aufftändifchen zu verftärfen ; endlich, daß 
man eine Verſchwoͤrung gebildet habe, zu dem Zwede, einen Augriff 
auf die Hauptftadt zu machen, und daß fogar die Namen der Führer 
befannt ſeien. Es ift unmoͤglich, jept, wo eine fo geraume Zeit ſeit⸗ 
dem verfloffen ift, zu fagen, in wie weit diefe Beichuldigungen bes 
gründet waren. Allein der Lefer mag ſich daran erinnern, daß vor 
dem barbariichen Blutbade im Kanzleigefängnifte ähnliche Gerüchte in 
Umlauf gefebt worden waren. 

Den drei und ziwanzigften defielden Monats, alfo am Borabenbe 
von St. Johannis, wurde ein Edict publicirt, welches allen männ- 
lichen Moriscos in Granada, die in dem Alter von zehn bie ſechszig 
Jahren ſtanden, befahl, fich nach den Kirchen der Sprengel, zu benen 
fie gehörten, zu begeben, um da zu vernehmen, was aus ihnen wers 
Hist. d’Espagne, Bt.X, &. 83 und 84. — Cabrera, Filipe Segundo, Bud IX, 
Kap. 6. 


Die Rebellion der Moriscos. 125 


ben follte. Die Frauen hatten noch etwas länger in ber Stadt zu 
bleiben, damit fie über die koſtbarſten Effecten, welche nicht leicht zu 
tränsportiren waren, verfügen könnten. Das war nicht fehr ſchwer 
bei den niebern Preiſen, um bie fie in ihrer Roth fi) von ihrem Eigen⸗ 
thume trennen mußten. Ueber das Schickſal der Kinder werben wir 
nicht aufgellärt. Ohne Zweifel blieben dieſelben in den Händen der 
Regierung, damit fie im roͤmiſch⸗katholiſchen Glauben auferzogen 
würden. *) 

Nichts Tonnte die Conſternation der Moriscos bei der Bublics 
rung dieſes Decretes übertreffen, auf das fie, obfchon es fo fange 
ſchon gleihfam an einem Haben über ihren Häuptern gehangen hatte, 
völlig unvorbereitet warn. Wenn fie ſich bie in dem Kanzleigefäng- 
nifje verübten, graufamen Morbthaten ind Gebächtniß zurüdriefen, 
fonnte es nicht befremden , daß fie auf die Bermuthung geriethen, daß 
man Nicht weniger, als das Abfchlachten der ganzen maurifchen Be⸗ 
völferung,, jept im Sinne hätte. Es war vergebend, daß der Mars 
quid von Mondejar ihre Befürchtung zu befeitigen fuchte. Sie wurs 
den allerdings etwas beruhigt durch die eigenhändig vom Praͤſidenten 
Deza unterfchriebene Verſicherung, daß ihr Leben nicht in Gefahr fei. 
Allein, ihre Befürchtung in dieſer Hinficht wurde erft ganz geftillt, 
ald Don Juan fein fönigliches Wort gegeben hatte, daß man ihnen 
an ihrem Leibe feinen Schaden zufügen wolle, kurz, daß es die große. 
Aufgabe der Regierung fel, für ihre Sicherheit zu forgen. Alsdann 
unterwarfen fie ih, ohne den geringften Widerſtand zu verfuchen. 
Auch wäre ein Widerftand in der That faft unmöglich geweſen, weil 
es ihnen an Waffen und andern Bertheidigungsmitteln gebrach, und 
weil fie auf allen Eeiten von den wohlbewaffneten Soldaten Eafti- 
liend umgeben waren. Sie begaben ſich demnach in die ihnen ange 
wiejenen Kirchen, an deren Thüren die Nacht hindurch ftarfe Wachen 
aufgeftellt blieben. 


®) Mendoza, Guerra de Granada, ©. 146. — Marmol, Rebelion de Gra- 
nada, Bd. UI, ©. 100. — Bleda hat in diefem Theile feines Werfes (Cronica de 
Espana, S. 705) Nichts weiter gethan, als den Bericht Mentoza’s abgefchrieben, 
und zwar fo fehlerhaft, daß er fich bei dem Datum dieſes Breignifles um einen Monat 
verrechnet. 


126 Günftes Kapitel. 


Den nächften Morgen mußten die Moriscos berausmarfchiren 
und eine Prozeſſion, die ich nach dem großen Hofpitale im ber Bor 
fladt begab, bilden. Das war ein herrliche Gebäude, welches bie 
gute Königin Iſabella nicht lange nad) der Eroberung errichtet hatte. 
Hier hatten fie zu bleiben, bis man fie zufolge der verſchiedenen Plaähe 
igrer Beſtimmung in Divifionen eingerheilt hatte. Gr gewährte einen 
traurigen und feierlichen Anblid — diefer Haufe von Verbannten —, 
als er fih mit langfamem, unficherm Schritte, mit Striden zufammen- 
gebunden”) und von der wilden Soldabedca escordirt ober vielmehr. 
wie eine Berbrecherbande fortgetrieben, dahin bewegte. Sie waren 
jeßt Alle, Iung und Alt, Arm und Reich, leider auf die nämlidye 
Stufe gebracht ; die Geſtalten ber meiften nicht fowohl durch tie Laft 
der Jahre, als die der Sorgen gebüdt; ihre Hände lagen fromm ge⸗ 
faltet auf ihrer Bruft und ihre Wangen wurden bethränt, als fie zum 
legten Male auf ihre ſchoͤne Stadt, die füße Heimath ihrer Kindheit, 
die ſtolze Refidenz des alten Reiches, die ihnen wegen fo vieler zarten 
und glorreichen Erinnerungen theuer war, zurüdblidten. **) 

Der Marſch ging ohne Störung vor ſich, mit nur einer einzigen 
Ausnahme, die indeß beinahe die ſchlimmſten Folgen nach ſich gezogen 
hätte. Einer der Gefangenen — denn als folde fann man fie bes 
traten — ließ einige Worte fallen, weiche einen fpanifchen Alguazil 
beleidigten und bewirften, daß derfelbe ihn mit feinem Stabe ſchlug. 
Allein der geichlagene Jüngling hatte das feurige arabifche Blut in 
feinen Adern. Er ergriff raſch ein Stüd Ziegelftein und fchlug damit 
beinahe feinem Beleidiger da8 Ohr vom Kopfe. Die That Foftete 
ihm fein Leben. Die Spanier, welche ihrem verwundeten Kameraden 
zu Hülfe eilten, bieben ihn ſchnell zufanımen. 





*) „Puestos en la cuerda, con guarda de infanteria i cavalleria por una 
i otra parte.“ — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 147. 


*) „Fue un miserable espectaculo,“ fagt ein Augenzeuge, „ver tantos hom- 
bres de todas edades, las cabezas baxas, las manos cruzadas y los rostros’ 
bsüados de lagrimas, con semblante doloroso y triste, viendo que dexaban sus 
regaladas casas, sus familias su patria, y tanto bien eomo tenian, y aun no ea- 
bian eierto lo que se karia de sus cabezas.* — Marmol, Rebelion de Granada, 
Br. I, ©. 102. 


Die Rebellion der Moriscos. 1%7 


Jetzt fam das Geruͤcht in Umlauf, daß die Moriscos dem Don 
Juan, beffen Kleidung in der Farbe derjenigen des Alguazil gli, nach 
dem Leben getrachtet hätten. Das wedte die Leidenichaften der Sol⸗ 
daten. Sie ftrömten nad) dem Orte, wo die Gewaltthaͤtigkeit vorge 
fallen war, und fließen bie furchtbarften Berwünfchungen aus. Ihre 
Schwerter und Zangen, die in ein paar Augenbliden in ben Leibern 
ihrer erſchreckten Opfer fteden konnten, funtelten babei in ber Luft. 


Gtüdlicherweife entdedte das fcharfe Auge Don Juan's die Vers 
wirrung. Mit einer Leibgarde Büchfenfchügen war er in eigner ‘Ber 
jon da, um die Fortſchaffung der Moridcos zu überwachen. Er 
fprengte auf feinem Pferde in den Tumult hinein, zeigte ſich den 
Truppen und tief ihnen zu, daß ihm Riemand habe Etwas zu Leibe 
thun wollen. Er ermahnte fie, zu ihrer Pflicht zurüdzufehren und 
nicht ihm, ſowie fich ſelbſt, dadurch Schande zu machen, daß fie un- 
ſchuldige Leute, die zu ſchuͤtzen er feierlich fein Wort gegeben habe, zu 
befchäbigen fuchten. Darauf fehrten die Soldaten, beſchämt durch 
den Tadel ihres jungen Führers und befriedigt durch die an dem Bes 
leibiger genommene Race, in ihre Reihen zurüd. Die zitternden 
Moriscos erholten ſich nady und nach von ihrem Schreden, bie Pro⸗ 
zeffton trat ihren Marfch wieder an, und ohne weitere Unterbredyung 
erreichte man das Hofpital Iiabellen’s. *) 


Hier dauerte ed nicht lange, bis die föniglichen Contadores bie 
Berbannten gezählt hatten. Diefelben beliefen fich auf fünf und dreißig 
hundert. Die Zahl der Frauen, die bald nachfolgen follten, war viel 
höher. **) Die fämmtlihen Namen, Alter und Beichäftigungen der 
Männer wurden forgfältig einregiftrirt. 

Den folgenden Tag hatten die Moriscos auf den großen freien 
Plap vor dem Hofpitale aufzumarſchiren. Sie wurden daſelbſt in 
Eompagnien eingetheilt, und jede derjelben warb mit einer flarfen Be 
deckung verfehen, damit fie nad) ihren verfchiedenen Beftimmungsplägen 


Ebend., ©. 108. — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 147. Beide 
Geſchichtſchreiber waren bei dem Vorfall anweſend. 

", „Los que salieron por todos tres mil i qninientos, el numero de mu- 
geres mucho mayor.“ — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 147. 


128 Fünftes Kapitel. 


abgeführt würden. Diele Beftimmungspläge befchränften ſich feines- 
wegs auf Andaluſien, fondern reichten bi® nach Neucaftilien hinein. 
Wir fönnen und wohl verfichert halten, daß man bei dieſem Berfahren 
die Vorfchriften ber Menfchlichfeit in fo weit beachtete, Daß man Ber- 
wanbte nicht von einander trennte. Allein, die Gefchichtichreiber be 
lehren und nicht darüber, denn wahrfcheinlich hielten fie e8 ihrer Ge⸗ 
fchichtfchreibung umwuürdig, und mit derartigen Kleinigkeiten in Bezug 
auf das gefallene Volf zu behelligen. 

Es war am fünf und zwanzigften Juni 1569, als die Moridcos 
den Sreunden und Gefährten ihrer Jugend, von denen fie jegt auf 
immer fcheiden follten, ein fchmerzlicyes Lebewohl fagten und ihre 
fummervolle Pilgerfchaft antraten. Das junge Tageslicht dämınerte 
jo eben auf den rothen Thürmen der Alhambra, als die Schaaren ber 
Verbannten zu den Thoren ihrer geliebten Hauptſtadt, den Thoren 
des ihnen theuerften Drted8 auf Erden, heraustraten, unt ihre Ges 
fichter der neuen Heimath, der Heimath, die viele von ihnen nie bliden 
ſollten, zukehrten. Mit der fchändlichften Gleichgültigfeit hatte die 
Regierung es vernadhläfligt, für die gewöhnlichften Lebensbebürf- 
nifje der armen Wanderer Sorge zu tragen. Einige farben unterwegs 
rein Hungerd. Andere, und namentlich Solche, die von Kindheit 
an an eine forgfältige Pflege gewohnt waren, fanfen zufammen und 
ftarben vor Ermattung. Manche wurden von den Soldaten, deren 
Habgier bei dein Anblicke ihrer Hülflofigfeit wach wurde, ergriffen 
und in die Sflaverei verfauft. Noch andere wurden von ihren Ber 
deckungen faltblütig ermordet. *%) Auf diefe Weile famen fie in den 
angewiefenen Plägen in weit geringerer Anzahl, als fie beim Ver⸗ 
laſſen der Hauptftadt geweſen waren, an, und hatten nım bie übrige 
Lebenszeit inmitten einer Bevölferung zu ſchmachten, Lie fie mit bem 
Abſcheu, womit der gute Katholif des ſechszehnten Jahrhunderts die 
„Beinde Gottes“ anzufehen pflegte, betrachtete. **) 


— — — 





9 Muchos murieron por los caminos de trabajo, de cansancio, de pesar, 
de hambre; ‚a hierro, por mano de los mismos que los havian de guardar, 
robados, vendidos por cautivos.“ — Gbend., ©. 148. 

) „Los enemigos de Dios* — war ter freundliche Name, womit von nun 
an ſowohl die Moriscos, wie die Mauren, von ben Chriſten belegt wurden. 


Die Rebellion der Moriscos. 139 


Aber die aus diefer firengen Verfahrungsweiſe der Regierung 

herorgehenden Uebel beichränften ſich nicht auf die Moriscos allein. 
Diefe erfinderifchen Leute waren den Spaniern an landwirtbichaftlichen 

Kenntniffen und in den verfchiedenen Gewerben bergeftaft überlegen, 
dag fie ben wichtigſten Theil der Bevölkerung von Granada gebildet 
hatten. Die einzige Wiflenfchaft, worin fie von ihren Rivalen über 
troffen wurden, war diejenige, welche auf Koften aller übrigen ges 
deiht: — die Kriegskunſt. Da die Regierung das wohl einfah, 
nahm ſie einige von den beflen Handwerkern ber Hauptflabt von 
der Verbannung, welche ihre Landsleute traf, aus und ließ fie In 
Granada bleiben. Allein, fie waren nicht zahlreich genug, um das 
gewünfchte Refultat heroorzubringen : daher denn fchon bald das von 
den Moriscos bewohnt geweſene Stadtviertel den fchmerzlicken Ans 
blid einer Einoͤde gewährte, Raſch fielen die leichten, freundlichen 
Gebäude, weldye in ihren Formen die phantafiereiche Anmuth arabis 
fcher Baukunſt offenbarten, in Trümmer, Die Blumenbeete und Ans 
lagen, die von Wohlgeruͤchen geduftet und in ber vollen Ueppigfeit der 
füdlichen Vegetation geprangt hatten, wurben zu Wüfteneien ranfen- 
den Unfrautes, und die Höfe und öffentlichen Pläge, wo die von 
den Bergbäcdhen der Sierra Nevada genährten Weiher und ftrahlens 
den Fontänen eine erfriichende Kühle über die heiße Temperatur der 
drückendſten Sommermonate audgegoflen hatten, verwandelten ſich 
bald in traurige Düngerhaufen. 

Die aus der Fortfchaffung der Moriscos erwachſenden Uebels 
Hände machten fich in der Armee fchmerzlich fühlbar. Wie wir fahen, 
waren bie Truppen in ben mauriicdyen Häufern einquartiert werben. 
Bei den jegigen Hausbeſitzern, die größtentheild armfelige, verſchwen⸗ 
berifche Spekulanten waren, fanden fie eine ganz andere Koft, als 
früher bei den reichen, üppig lebenden Eigenthümern. Die Truppen hal» 
fen, in fo weit fich das thun Tieß, dadurch ab, daß fie Die Bürger plün- 
derten. Daraus entfprangen unaufhörliche Zwifte zwifchen dem Volfe 
und der Armee, und in der legtern griff raſch ein Infubordinationggeift 
um fi), der fie ihren Freunden fürchterlicher als ihren Feinden machte. *) 








*) Mendoza, Guerra de Granada, ©. 148 — 150. 
Brescott, Bei. Philipps il. IV. 9 








130 Fünftes Kapitel. 


Ein Augenzeuge diefer Wirren fchließt feine Erzählung von ber 
Fortfchaffung der Moriscos mit der Bemerkung, daß fle traurig mit 
anzufehen war für Jeden, der über die früher bewieſene Geſchaͤftsklug⸗ 
heit*) und ben frühen Wohlftand dieſes zum Unglüd beftimmten 
Stammes nachdachte, die prächtigen Paläfte ber Moriscos in ben 
Tagen ihres Ruhmes, ihre Gärten und Anlagen, die Pläge fo man⸗ 
cher freubigen Gelage und fröhlichen Feiertage, geſehen hatte und nun 
das Ganze mit dem Ruine, dem Alles verfallen war, verglich. **) 
„Es ſcheint,“ fchließt er, „als ob die Borfehung an dem Schidfate 
diefer jchönen Stadt hätte zeigen wollen, daß bie herrlichſten Sachen 
in biefer Welt am meiften dem Berfalle auegeſetzt iind.” ***) Dem 
Philoſophen der Gegenwart mag dieſes Schidfal eher die natürliche 
Folge des Syſtemes religiöfer Intoleranz zu fein fcheinen,, des Sy⸗ 
ſtems, melcyes diejenigen, die unter einer gütigen Herrichaft treue 
und Ioyale Unterthanen gewefen fein und durch ihre Induſtrie und 
Geſchicklichkeit die Hülfsmittel des Landes unendlich vermehrt haben 
wärben, in Feinde verwandelte. 


Wir geben das Wort policy nad) des Reverend John Boag’s Definition: 
In common usage, fagt er, ift policy bie art, prudence or wisdom of indivi- 
duals in the management of their private or social concerns. Siehe fein Im- 
perial Lexieon of the English Language, Edinburgh und London. 

”) „Quedò grandisima lastima 4 los que habiendo visto la prosperidad, 
la policfa, y el regalo de las casas, carmenes y guertas, donde los Moriscos 
tenian todas sus recreaciones y pasatiempos, y desde & pocos dias lo vieron 
todo asolado y destruido.“ — Marmol, Rebelion de Granada, Bb. II, ©. 104. 

“®, „Parecia bien estar sujeta aquella felisima cindad & tal destruccion, 
para que se entienda que las cosas mas esplendidas y floridas entre la gente 
estän mas aparejadas & los golpes de fortuna.“ — Marmol, wie oben, 


Die Rebellion der Moriscos. 131 


Sechstes Kapitel. 


Die Rebellion der Moriscos. 


Die Operationen des 208 Velez. — Die Berfchwörung gegen Abenshumeya. — 
Seine Ermordung. — Die Erwählung Aben⸗Aboo's. — Die kräftige Bes 
treibung des Krieges. — Die grimmigen Kämpfe in der Bega. — Der fürs 
miſche Muth Don Juan's. — Die Ueberraihung Guejar's. 


1569. 


Während die im vorhergehenden Kapitel erzählten Ereignifle vors 
fielen, lag der Marquis von Los Velez mit einer bebeutenden Macht 
in Adra, einem Hafen des Mitteländifchen Meered am Fuße ber 
Alpujarrad, den er hauptfächlic deshalb gewählt hatte, weil er 
glaubte, daß er dafelbft leichter ‘Proviantzufuhren für das Heer ein 
nehmen fönne. Hierin fand er fi) getäufcht. Roc) ehe der Monat 
Juni zu Ende war, hatte es bei den Truppen mit dem Proviant knapp 
berzugehen angefangen. Das Uebel wuchs mit jedem Tage. Seine 
Truppen ,*) die hauptſaͤchlich aus rohen andalufifchen Nefruten bes 
ftanden, befaßen völlig den unabhängigen und in der That widers 
ipenftigen Geift, welcher der unbisciplinirten Miliz eigenthümtich ift. 
Es gebrady den Soldaten nicht an Muth. Aber die nämlichen Leute, 
bie furchtlo8 den Gefahren des Feldzugs Trog geboten hatten, wur⸗ 
den jebt unter ben Qualen des Hungerd unzufrieden und befertirten 
in großer Anzahl von ihren Bahnen. 

Dem Mangel an Lebensmittelzufuhr lagen fehr verfchiedene Urs 
ſachen zu Grunde. Die vorzüglichfte Urfache ift wahrfcheinlich in der 
Sahrläfligfeit des Kriegsrathed, von dem manche Mitglieder auf den 
Marquis nicht gut zu fprechen und über feine Berlegenheiten nicht miß⸗ 
geftimmt waren, zu fuchen. 


*), Wir überfeßen levies einfach durch Truppen. Wigentlidh bedentet levy 
die Truppenaushebung. Hier aber, wie an vielen andern Stellen dieſes Werke, 
meint es die Truppen felber, die durch Truppenaufgebote zuſammengebracht worden 
find. — Anmerk. des Ueberſetzers. 

9* 


132 Schetrs Kapitel. 


Einige Fräftige Maßregeln mußten auf ber Stelle ergriffen wer⸗ 
ben, fonft mußte die Armıee — das war flar — völlig zuſammen⸗ 
fchmelzen. Auf die Verordnung des Königs erhielt Requeſens, ber 
mit einer Slotille bei dem Hafen Velez Malaga lag, den Befehl, das 
Lager mit Proviant zu verforgen. Zugleich bezog daſſelbe, wie vors 
“ ber Verſtaͤrkungen, hauptfächlich aus der andalufifchen Miliz. Einen 
noch bedeutenderen Zuwachs erhielt die Armee in den wohlbisciplis 
nirten Veteranen, die mit dem Großeommandeur aus Stalien ges 
fommen waren. Indem 208 Velez auf diefe Weife nicht nur verftärft, 
fondern auch auf acht Tage oder darüber mit Lebensmitteln verfehen 
war, brach er am fechs und zwanzigften Juli an der Spige von zwölfs 
taufend Mann auf und drang ımverzüglich in die Alpujarras ein. 
Der Kriegdrath hatte ihm aufgetragen, ſich zu Ugijar feftzufeßen, weil 
dafielbe ihn wegen feiner Rage im Mittelpunfte in ten Stand feßte, die 
Bewegungen Aben⸗Humeya's zu beobachten und, je nachdem es bie 
Umftände erheifchten, auf irgend einem beliebigen Bunfte zu wirken. 

Mit Schwierigkeit fchlug der Marquis ein Heer von fünf bie 
fechötaufend Mann, das aufgeftellt war, um ihm den Eintritt in® 
Gebirgsland ftreitig zu machen. Alsdann drängte er vorwärts und 
wurde auf den Hochebenen über Ugijar, das er bereit beſetzt hatte, 
den Aben-Humeya anftchtig,, der hier den Kern feiner Truppen aufges 
pflanzt hatte, um ihn zu empfangen. 

Man fann die beiden Führer‘, mas ihren Charakter, ihre Geftalt 
und ihre Ausrüftung anbelangt, ald feine übeln Repräfentanten der 
europäifchen und arabifchen NRitterfchaft betrachten. Der Marquis 
ftaf völlig in feiner fchrwarzen Rüftung, ritt auf einem fehmeren Streits 
roſſe, dad ebenfalls mit Rüftung bebedt war, und man fah ihn, als 
er Fühn feine Leute vorwärts führte und fich anſchickte, auf der Stelle 
fih in das bidfte Getümmel des Gefechtes zu flürzen, eine Lanze 
ſchwingen, bie furz und die war und mit einem Snüttel viel Aehn⸗ 
lichkeit hatte. *) Er war die wahre Verfinnbildlichung brutaler Macht. 


— — 





*) „Armado de unas armas nogras de la color del acero, y una celada 
en la cabeza llena de plumages, y una gruesa lanza en Ia mano mas recis que 
larga.“ — Marmol, Rebelion de Granada, ®b. II, ©. 133. 


Die Rebellion ver Moriseos. 133 


Aen⸗Humeya dagegen lenkte mit Anmut feinen ſchnellfuͤßigen ſchnee⸗ 
weißen Andalufier; um feine Schultern flatterte ein leichter, rother 
Moridcor Mantel; um dad Haupt war ber türfifche Turban gewun⸗ 
ben, *) und weit entfernt, bloße Kraft vorzuftellen, erinnerte er viel⸗ 
mehr an bie entgegengefehten Ideen der Gelenfigfeit und Hugen Ge⸗ 
wanbdtheit, welche die dhurakteriftifchen Züge der Kinder des Morgen» 
landes find. 

Während der Moridco-Fürk an feinen Reiben binritt, ermahnte 
er feine Leute, fich nicht vor dem Ramen 208 Belez zu fürchten, denn 
in der Stunde der Gefahr würbe Gott den Seinigen beiftehen, und 
in jedem Falle fei ed befier, als tapfere Männer auf dem Schlacht⸗ 
felde zu ſterben, denn mit Schande zu leben. **) Trop dieſer hoch 
berzigen Worte dachte AbensHumeya nicht im Entfernteſten daran, 
feinem Feinde im ehrlichen Kampfe zu begegnen. Das war ja dem 
Princip und ber gewöhnlichen Weiſe feiner Kriegsführung, die dem 
Guerillakampfe angehörte, entgegen; denn er pflegte häufig auszu⸗ 
fallen und zu überrafchen, wobei er fi) einen verwundbaren Punkt 
herausfuchte, um einen Schlag zu führen und ſich dann. eilends wie 
der in dad Gebirge zurüdzuzichen. 

Doc feine Anhänger benahmen fid) muthvoll, obfchon fie an - 
Zahl dem Beinde fehr nachflanden. Sie machten den Boben bes 
Schlachtfeldes tapfer ftreitig, bis eine Abtheilung andalufifcher Reis 
terei, dein Auge verborgen durdy eine Anhöhe, den Feind umging, 
unerwartet den Moriscos in den Rüden fiel und fie in Unordnung 
brachte. Zu gleicher Zeit drang der Marquis fräftig in der Fronte 
an, fo daß fie nachgaben und bald auf allen Seiten wichen. Als 
Aben-Humeya fah, daß der Tag verloren war, ließ er feinem feurigen 
Zelter tie Zügel fchießen , fprengte raſch vom Schlachtfelde und ließ, 


*) „Andaba Aben Umeya vistoso delante de todos en un caballo blanco 
con una aljuba de grana vestida, y un turbante Turguesco en la cabeza.“ — 
Ebend., S. 134. 

*”v) „No temiesen el vano nombre del Marques de los Velez, porque en 
los mayores trabajos acudia Dios & loa suyos; y quando les faltase, no les 
podria faltar una honrosa muerte con las armas en las manos, que les estaba 
mejor que vivir deshonrados.* — Ebend., ©. 1M. 


134 Sechstes Kapitel. 


obgleich man ihn heiß verfolgte, feine Feinde hinter fich zurüd. Nach⸗ 
dem ber Führer den Fuß ber Sierra Nevada erreicht hatte, ftieg er ab, 
zerjchnitt feinem eblen Roffe die Kniefehlenmusteln und tauchte in bie 
Tiefen ded Gebirges, das wieber, um ihn zu empfangen, feine freund» 
lichen Arme öffnete.) Doch fließen fchon nady Kurzem bafelbft feine 
Anhänger zu ihm, und fobald er eine genügende Stärke befaß, zeigte 
er fi) an ben öftlihen Rändern ber Sierra, fchoß von da wie ein 
Adler auf feine Beute, überfiel die darunter liegenden Ebenen , ftreifte 
durch das reiche Thal des Rio be Almanzora und trug Feuer und 
Schwert fogar bis an bie Gränze von Murcia. Hier nahm er Radye 
an 208 Belez, indem er deſſen Stadt Las Cuevas überfiel, feine Häufer 
in Brand ftedte, feine Landgüter verheerte und feine maurifchen Bas 
fallen zur Rebellion aufftachelte. **) 

Unterbefien blieb der Marquis, anitatt feinen Sieg zu verfolgen, 
unthätig innerhalb der Mauern von Calahorra liegen. Hierher hatte 
der Kriegsrath ihm Lagervorräthe für den Unterhalt feiner Armee bes 
forgen follen. Zu feinem großen Berdruß hatte man feine geſchickt, 
und ba feine eigenen Berfuche, ſich folche zu verfchaffen, nicht glüdten, 
befand er fi) bald in der nämlichen Lage, wie zu Abra. 

Die vom Hunger befallenen Truppen, die wenig Sold erhielten 
und noch weniger zu plündern hatten, wurden erft unzufrieden, dann 
wurben fie wiberfpenftig und zufegt befertirten fie in großer Menge. 
Es war vergebens, daß ber jähzornige alte Befehlshaber feine Wuth 
in Drohungen und Verwuͤnſchungen ausließ. Sein hochmüthiges 
Weſen hatte ihn bei feinen Soldaten fogar mehr verhaßt, als ges 
fürchtet gemadıt. Sie liefen jegt davon, nicht mehr heimlich und 
bei Nacht, fondern am hellen Tage, ganze Kompagnieen auf ein« 
mal, mit den Büchfen auf den Schultern und mit angebrannten 


*) „Y apeandose del caballo, le hizo desjarretar, y se embrend en las 
sierras. — Ebend., a. a. O. 

Hita feiert die Flucht des „KRönigfeins“ der Alpujarras In einer feiner Balla⸗ 
den. — Guerras de Granada, ®d. U, ©. 310. 

“*) Mendoza, Guerra de Granada, ©. 209. — Marmol, Rebelion de Gra- 
nada, Bd. II, ©. 150. — Hite, Guerras de Granada, 3b. H, ©. 233. 


Die Rebellion der Moriscos. 1385 


Zunten.*) Als Don Diego Bajardo, der Sohn ded Marquis, fie 
aufzuhalten juchte, jagte ihın Einer, der die Uebrigen an Kühnhelt 
übertraf, eine Kugel in den Leib. Schon bald war das herrliche 
Kriegöheer, womit der Marquis fo ftolz in die Alpujarrad hineinges 
zogen war, unter breitaufend Dann zufammengefchmolzgen. Unter 
den Treugebliebenen befanden fich bie italienifchen Beteranen, die ihren 
wohlverbienten Ruhm nicht dadurch befleden wollten, daß fie nieders 
traͤchtig ihren Anführer im Stiche ließen. 

Der Kriegsrath beſchwerte fich bitter beim König über die hoͤchſt 
verberbliche Unthätigkeit ded Marquis, der die errungenen Vortheile 
zu benupen unterließ. Los Velez bezahlte ärgerlich mit der gleichen 
Münze zuruͤck, indem er alle Schuld auf den Kriegsrath wälzte, weil 
derfeibe unterlafien habe, ihn mit den Mundvorräthen zu verjehen, 
die ihm das Verfolgen der errungenen Bortheile möglich gemacht haben 
wirden. Da Bhillpp mit Recht wegen ber mißlichen Lage der Um⸗ 
fände beforgt war, befahl er dem Marquis von Mondeiar, fi) nach 
Hofe zu begeben, damit er fidy mit ihm über ben Zuftand bed Landes 
benehmen koͤnne. Das war der vorgefchobene Beweggrund feiner Abbe⸗ 
rufung. Im Grunde aber fcheint es wahrfcheinlich, daß der König, 
weil er das Hinneigen diefes adeligen Herm zu einer friedlichen Bor 
litik gewahrte und feine perfönliche Feindfchaft mit Los Velez kannte, 
es für das Gerathenfte hielt, ihn völlig won jedem Antheile an ber 
Zeitung bed Krieges fern zu halten. Und das bewirkte er vollfommen, 
indem er ihn ins ehrenhafte Eril fandte, ihn erft zum Vicefönig von 
Balencia ernannte und fpäter ihn auf den wichtigen Voſten eines 
Bicefönigd von Neapel erhob. Bon biefer Zeit an ericheint der 
Name Mondejar nit wieder auf dem Schauplape des Morisco⸗ 
Krieges. **) 

Der Marquis empfing nicht den Lohn, zu dem ihn feine Vers 
bienfte berechtigten. Er fcheint einige der beiten Eigenfchaften eines 


— — 





” „I tan adelante pasd la desorden, que se juntaron quatrocientos arca- 
buceıos, i con las mechas en las serpentinas salieron a vista del campo.* — 
Mendoza, Guorra de Granada, ©. 198. 

*) Ghent., ©. 198 ff. — Marmol, Rebelion de Granada, ®b.II, &. 146, 


136 Schötrs Kapitel. 


guten Feldherrn bejeften zu haben. Wie fühn im Kampfe, fo vor⸗ 
fihtig war er im Rathe. Langfam und bebächtig entwarf er feine 
Pläne, doch führte er fie mit feltener Beharrlichfeit aud. Er war 
gut mit dem Lande, dem Schauplatze der Infurrection, bekannt und 
verftand ſich vollkommen auf den Charakter ber Bewohner befielben. 
Ja , wa feltener zu finden war, er beurtheilte nachfichtig die Exceſſe, 
zu denen die Moriscos durdy eine lange Reihe von Beleidigungen une 
Bedrüdfungen verleitet worten waren. Sein menfchliches Gefühl trug 
zufammen mit feinen politifchen Anſichten dazu bei, daß er zur Ueber⸗ 
windung des Feindes verföhnende Maßregeln für wirffamer hielt, ale 
bloße Furcht. Wir haben geſehen, wie treffend fich dieſe Anſicht er- 
wies. Wäre er von denen, welche mit ihm zufammen mit ber Leis 
tung der Gelchäfte befaßt waren, gehörig unterftügt worden, jo fünnen 
wir an dem. endlichen Gelingen feiner Pläne faum zweifeln. Aber, 
leider, waren die beiden hervorragendſten Männer bed Kriegsrathes, 
der Präfident Deza und der Marquis von Los Velez, beſchraͤnkte, 
unverfühnliche Glaubenseiferer, welche, weit davon entfernt mit den 
Moridcos Mitleid zu empfinden, vielmehr ben ganzen Volksſtamm 
ald „die Keinde Gottes“ betrachteten. Unglüdlicherweife fanden die 
Anfichten der letztern eine freundliche Statt bei der Regierung, unb 
Philipp , der mit Recht glaubte, daß der Marquis von Mondejar der 
Kräftigen Betreibung ber Yeindfeligfeiten nur im Wege ſtehen würbe, 
handelte deßhalb Tonfequent, wenn er ibm aus dem Lande fchidte. 
Doch, während er auf diefe Weife von der Leitung des Krieges ent» 
fernt wurde, fann man ed als eine entichiedene Anerkennung der Ber- 
dienſte Mondejar’d anfehen, wenn ihm die Krone ben wichtigſten 
Poſten, uͤber den ſie zu verfügen hatte, uͤbertrug. 

Ehe der Marquis abreiſte, verlegte Philipp den Hof nach Coͤr⸗ 
dova, um die Verbindung mit dem Kriegsſchauplatze zu erleichtern. 
Auch hoffte er, daß die Soldaten, wenn fie ihn fo nahe wüßten, ihre 
Unorönungen etwas mehr einftellen und mehr von loyalen und patrios 
tiichen Gefühlen befeelt fein würden. Er glaubte, taß er, indem er 
diefen Weg einfchlüge, das Beiſpiel feiner großen Vorfahren, Ferdi⸗ 
nands und Iſabellens, nachahmte; benn diele hatten ja auch während 
des Krieges mit Granada den Hof gewöhnlid, in eine der Hauptftädte 


Die Rebellion der Moriscos. 137 


des Südens verlegt. Indeſſen eradjtete er es nicht für nothwendig, 
fo wie jene, feine Armeen perfönlich anzuführen und die Anftrengungen 
des Feldzuges zu theilen. 

Den neunzehnten Oktober veroͤffentlichte Philipp ein Edikt, wel⸗ 
ches anzeigte, daß er den Krieg kraͤftig zu betreiben beabſichtigte. Daſ⸗ 
ſelbe verordnete, daß alle Moriscos, welchen bisher in Granada zu 
bleiben erlaubt worden war, jetzt daraus entfernt werden ſollten, damit 
ihnen feine Gonumunicationsmittel mit ihren Brüdern im Gebirge mehr 
übrig blieben. Berner machte es befannt, baß ber Krieg in Zukunft 
mit Feuer und Blut geführt, *) oder mit andern Worten, daß den Aufs 
ftändifchen fein Pardon mehr bewieſen werden ſollte. Das war das 
erfte Mal, wo fich die Regierung dieſes grimmigen Ausdrucks bediente. 
Um die Miliz der Städte wieder für den Felddienft zu gewinnen, follte 
der Sold derſelben dem der italienischen Freiwilligen gleichgemacht wer⸗ 
den, und um den Städten die Sache leichter zu madyen, wollte die 
Regierung ben größern Theil der Koften tragen. — Rod) che ber 
König diefe Verordnung herausgab, hatte er Rachricht von einem Er, 
eigniſſe erhalten, welches die Chriften und die Moslemd auf gleiche 
Weiſe überrafchte. Dies Ereigniß war der Tod Aben-Humeya’s, und 
zwar ein Tod, den er durch ben Arm eines feiner eigenen Leute gefun- 
den hatte. 

Nachdem der MoriscosFürft den Krieg an die Graͤnze von Mur- 
cia verlegt hatte, belagerte er zwei bis drei ftarfe Plaͤtze dieſer Gegend. 
Wie fich erwarten ließ, gelangen ihm diefe Verſuche nicht, weil er Fein 
Belagerungsgeichüg beſaß. Als er bier gefehlt hatte, führte er feine 
Truppen in die Alpujarras zurüd und jchlug fein Hauptquartier in 
dem alten maurifchen Palafte von Lanjaron, das am Abhange des 
Gebirges liegt und das herrliche Thal von Xecrin beherrſcht, auf. 
Hier erlaubte die unthätige Lage der Spanier dem jungen Monarchen 
zu bleiben und fich allen finnlicyen Freuden, womit die moßlemitifchen 
Bürften des Oftens ſich die Zeit in den Kriegöjwifchenräumen zu vers 
treiben beliebten, zu überlaflen. An Zahl der Frauen fonnte ſich fein 


*) „Que se publicase la guerra & fuego J & sangre.* Marmol, Rebelion 
de Granada, ®p. II, ©. 160. 


138 ESechstes Kapitel. 


Haren mit bem jedes morgenländiichen Satrapen meflen. Das 
befremdete die Moriscos, weil fie begreiflichenveife feit ihrer nos 
minellen Belehrung zum Chriſtenthume bie Vielweiberei aufge 
geben hatten, während es allerdings in den Augen der Moslems 
als ein guted Zeugniß von der Orthoborie ihres Fürſten ericheinen 
fonnte. 

Seitdem Aben-Humeya den Thron beftieg, hatte feine Beliebt- 
. heit beim Volke fortwährend abgenonımen. Seine fchöne Geftalt, die 
Höflichkeit feiner Sitten, fein ritterlier Sinn und feine Hingabe an 
bie Sache hatten ihm am Anfange leicht die Zuneigung feiner Unter: 
thanen gervonnen. Allein, die zu plöglicye Erhöhung wirkte unglüd- 
licherweife auf ihn, wie eine ſolche gewöhnlich auf Ichwache Geifter, 
auf Xeute ohne fefte Grundſaͤtze, ober Menſchen ohne erhabene Richt⸗ 
ichnur , zu wirken pflegt. “Der Beſitz der Macht machte ihn tyrannifch 
im Gebrauche derfelben.”) Seine willfürlichen Thaten fchufen ibm 
Feinde, die-nicht weniger gefährlich waren, weil fie die Feindſchaft 
nicht fehen ließen. Das Bewußtſein des begangenen Unrechts machte 
ibn mißtrauiſch. Er umgab fich mit einer Leibwache von vierhundert 
Mann, Außerdem legte er ſechszehn hundert in ben Platz, wo er 
refibirte ; die Hauptzugänge beffelben follen verbarrifadirt geweſen 
fein. **) Wen er im Verdacht hatte, behandelte er mit befonverer 
Freundlichkeit. Er zog ihn in feine Umgebung, überhäufte ihn mit 
Ounftbezeigungen und verfegte ihm, wenn er fich dadurch hatte in 
Sicherheit wiegen laſſen, den toͤdtlichen Streih.***) Während bes 
kurzen Zeitraums feiner Regierung follen, wie ung verfichert wird, nicht 


— — — — — 


*) „Vivis ya con estado de Rei, pero con arbitrio de tirano.“ — Men- 
doza, Guerra de Granada, ©. 20%, 

*) „Teniendo barreadas las calles del lugar de manera, que nadie pu- 
diese entrar en €l sin ser visto 6 sentido “ — Marmol, Rebelion de Granada, 
Bd. M, €. 163. 

*) Mendoza, Guerra de Granada, ©. 210. 

Diefes Tiberius-gleiche Bild entwirft von ihm zwar ein Feind, aber ein Mann, 
der in feinen freifiunigen Anfichten und feiner Charalterkeuntniß von feinem andern 
Geſchichtſchreiber feiner Zeit übertroffen wird. 


- 


Die Rebellion der Moriscos. 139 


meniger, als dreihundert und funfzig Berfonen feiner Eiferfucht oder 
Rache zum Opfer gefallen fein. *) 

Unter den Offizieren Aben⸗Humeya's befand fich einer, Namens 
Diego Alguazil, der eine fchöne Anvenvandte befaß, mit weldyer er 
auf vertrauterem Fuße gelebt haben fol, als ſich das für beide wegen 
ihrer nahen Berwandtfchaft ſchichte. Als derſelbe eined Tages uns 
Eugerweife von ihr mit Aben-Humeya in der feurigen Sprache eines 
Anbeterd redete, wurde dadurch die Neugier des Königs fo ſehr ent 
zündet, daß er fie zu fehen wuͤnſchte. Reben ihren perfönlicyen Reizen 
befaß die ſchoͤne Zahara viele Kenntniffe einer guten weiblichen Erzie⸗ 
bung (accomplishments), die fie noch anziehender machten. Sie hatte 
eine herrliche Stimme, welche fie zum Bezaubern auf der Laute bes 
gfeitete, und in ihrem Tanze zeigte fie alle fanften und wolüftigen 
Bewegungen der fchwarzäugigen Schönheiten Andalufiens. **) Als 
fie vos den König gebracht wurde, bot fie Alle auf, um ihm zu 
gefallen, denn, obichon fie ihren Verwandten gern gehabt zu haben 
f&heint, hatte die ehrgeizige Coquette doch Nichts dagegen einzuwenden, 
wenn fie einen königlichen Bewerber fefieln konnte. Das gelang ihr 
denn auch vollfommen. “Der verliebte Fürft gab dem Alguazil den 
Wunſch zu erfennen, daß ihm derſelbe den Beſitz feiner Geliebten abs 
treten möge. Allein, der Morisco liebte fie zu fehr, ald daß Dros 
hungen und Bitten der ftärfften Art ihn hätten zur Zufage vermögen 


*) „Los cuales pasaron de treseientos cincuenta, segun yo he sido infor- 
mado de rarios Morisco® que segnian sus banderas ; y de tal manera procedia 
el reyecillo, que vino & ser odiosisimo « los suyos por sus crueldades.“ — 
Hita, Guerras de Granada, ®b. II, ©. 303. 

*®) „Que no la hay mas hermosa 
en toda la Andalucia: 
blanca es y colorada 
como la rosa mas fina; 
Taüe, danza, canta & ostremo, 
que es un encanto el virla; 
es moza, bella y graziosa 
nadie vi6 tal en su vida.* — Ebend., Od. V, ©. 324. 

Der firengere Binfel Mendoza's verichmäht nicht, dem Bilde der Morisco⸗ 

Schönheit diefelben warmen Karben aufjzutragen. — Gmuerra de Granada, ©. 248. 


— 





— 


140 Sechotes Kapitel. 


können. Der fo zurückgewieſene unbedenkliche Aben⸗Humeya, ber 
bloß feine Leidenſchaft befragte, ließ nun die vielleicht nicht ſehr wider⸗ 
ſtrebende Zahara mit Gewalt ergreifen und in feinen Harem fchaffen. 
Durch diefe That machte ex fich Alguazil zum tödtlichen Feinde. 

Auch genoß er nicht lange die Gunſt feiner neuen Geliebten, ba 
dieſe, weil fie aus einem alten Gefchlechte in Granada *) herſtammte, 
mit dem Morisco-Monarhen ben Thron au theilen gehofft hatte. 
Allein, den Aben-Humeya trieb feine Leidenfchaft nicht bie zu einem 
foldyen Grade von Sefälligkeit ; weßhalb denn Zahara, empört, daß 
fie zu dem Rauge der Gemeinen des Seraglio herabgewürdigt wurde, 
bald bloß noch auf Rache brütete. Unter jo bewandten Umftänben 
fand fie ein Mittel, um mit ihrem Verwandten zu verfehren, und vere 
abrebete mit ihın einen Plan, um ihre mörberifche Abſicht ind Werk 
zu fepen. 

Das wichtigſte Korps in der MoriscosArmee waren die türfiichen 
Söldlinge. Aber fie waren ein fo wilder, wiberfpenftiger Menſchen⸗ 
flag, daß AbensHumeya für ihre Dienfle theuer zu bezahlen hatte, 
Eine ftarfe Abtheilung diefer Truppen lag an der Gränze von Orgiba 
unter dem Kommando Aben-Aboo’d, — eined nahen Anverwanbten 
des Morisco-Kürften,, deſſen Leben, wie man fich erinnern wird, er 
einft gerettet hatte, indem er fid, eher der Außerflen Tortur unterzog, 
als daß er das Verſteck defielben verrieth. An biefen Befehlshaber 
ſchickte Aben⸗Humeya einen Boten ab, mit dem Auftrage, daß bie 
Türken eine gewifle Expedition, bie ihnen ſowohl Etwas zu thun gab, 
als auch ihre Plünderungsfucht befriebigte,, unternehmen follten. 

Indem Zahara die Abreife des Boten ihrem Better mittheilte, 
ließ diefer ihm auflauern, ihn ermorden und feine Depeichen in Bes 
fchlag nehmen. Alsdann ließ er an den Aben-Aboo einen Brief, wors 
unter die Fönigliche Unterfchrift nachgeahint war, fchreiben. Diefe 
Fälfchung verrichtete fein Neffe, ein junger Mann, ver bamals bei 
bein AbenAboo tie Stelle des Sefretärd verſah und unlängft einen 
Abſcheu gegen feinen Herm gefaßt hatte. In dem Briefe ftand ges 


*) „Muger iguaimente hermosa i de linage.* — Mendors, Guerra de 
Granudu, G. 313, 


Die Rebellion der Moriscos. 141 


ſchrieben, daß die Infuborbination der Türken diefe ſtaatsgefährlich 
machte, daß fle auf bie eine oder andere Welle, und zwar bald, aus 
bem Wege zu Ichaffen ſeien. Zu diefem Zwecke würde Aben⸗Aboo bes 
orbert, mit ihnen nach Mecina an ber Graͤnze der Sierra Revada zu 
marſchiren, mo Diego Alguazil mit einem Trupp Soldaten zu ihm 
flogen würde, um ihm bei der Ausführung des Planes beizuſtehen. 
Die beſte Weile, hieß es im Briefe, fid) der Türken zu entledigen, 
fei, fie zu vergiften. 

Diefen Brief überbracdhte ein Courier, und gleidy darauf traf 
Alguazil mit hundert Soldaten ein, da ber ſchlaue Berfchwörer alds 
bald vor dem Aben⸗Aboo erfcheinen wollte, um ihm feine Zeit zum 
Nachdenken zu laſſen. 

Er fand den Befehlshaber in der größten Berwirrung und Bes 
troffenheit. Alguazil erflärte, daß er in Folge gewifler Inftructionen 
Fame, die er vom König erhalten habe und bie zu graufam wären, als 
daß er fie ausführen koͤnne. AbensAboo hatte eben fo wenig Luft, 
bie ihm zugetbeilte blutige That zu verrichten. Er ſetzte fein Miß⸗ 
trauen in bie Aechtheit des Briefes. Da nun gerade Huflein, ber 
Befehlshaber der Türken, vor dem Haufe vorbeiging, rief man ihn 
herein und zeigte ihm bie Depeiche. Der feurige Chef beftand darauf, 
Daß er diefelbe einigen Kameraden mittheilen müßte. Unter ben tür« 
kiſchen Anführern herrſchte die größte Entrüflung,, denn fie waren 
außer fich über diefen gemeinen Berrath des nämlichen Mannes, dem 
zu dienen fie gefommen waren und ihr Leben eingefeßt hatten. Sie 
forderten ſammt und ſonders nicht feine Abſetzung, fondern feinen 
Tod. Diego fah, daß er feinen Plan gut berechnet hatte. Er goß 
liſtig noch Del ind Feuer, indem er that, als ob er innig bie Ent⸗ 
räftung der Moslems theilte. Endlich fam man überein, daß man 
an dem Tyrannen den Tod voliftreden und feine Krone dem Aben- 
Aboo anbieten wolle. 

Diefer Führer fland in großem Rufe wegen feiner Verſtaͤndig⸗ 
feit und Klugheit. eine Leidenſchaften, bie hierin denen Aben⸗Hu⸗ 
meya's unähnlich waren, ftanden fogar unter der Herrichaft der Ver⸗ 
nunft. Weit davon entfernt, einem ungeregelten Ehrgeize zu fröhnen, 
hatte er nie das ihm bewiefene Vertrauen gemißbraudt. Allen, bie 


142 Sechstes Rapitel. 


gegenwärtige Verſuchung war für feine Tugend zu flarf, Bielleicht 
dachte er, daß, weil doch nun einmal der Thron leer werden follte, 
ber Abkoͤmmling der Omeya's einen beflern Anſpruch, als jeder An- 
dere, darauf hätte. Doc, weldye Sophifterei er fich immerhin vor⸗ 
machte, er war überzeugt, baß diejenigen, welche ihn die Krone vers 
ſprachen, die Macht befaßen, ihr Berfprechen wahr zu machen. Er 
gab feine Zuftimmung unter der Bedingung, daß binnen brei Monaten 
feine Erwählung durch den Dey von Algier, den Repräfentanten des 
türfifchen Sultans, beftätigt werden follte. 

Nachdem die Verſchwoͤrer ihre Pläne ins Reine gebracht hatten, 
verloren fie feine Zeit, biefelben auszuführen. Sie brachen nod zur 
nämlichen Stunde am Abend des dritten Oftobers nad) Lanjaron auf 
und nahmen vierhundert Mann Truppen, zur Hälfte aus Türfen und 
zur Hälfte aus Moriscos beftehend, mit fih. Um Mitternacht ges 
Iangten fie in ihrem Beftimmungsorte an. Man wußte zu gut, daß 
Diego Alguazil und die türfifchen Hauptleute das Vertrauen Aben⸗ 
Humeya’s befaßen, ald daß man ihrem Eintritte in die Stadt irgend 
welchen Widerftand entgegen geſetzt hätte. Auch widerfegte fich nicht 
die Wade ihrem Eintritte in feine Wohnung, trotzdem daß ſich der 
Morisco⸗Fuͤrſt fchon zur Ruhe begeben hatte. Als fie an fein Zimmer 
famen , fanden fie zwar die Thüren verfchlofien, hatten biefelben aber 
fchnell erbrochen. Weder eine Hand, noch eine Stimme erhob ſich zu 
feiner Bertheibigung. *) 

Der durch den Lärm aus dem Schlafe gewedte Aben⸗Humeya 
würde vom Lager aufgefprungen fein; aber bie treulofe Zahara bielt 
ihn fer umfchloffen, bis Diego Alguazil und einige andere Verfchwörer 
bereinftürzten und ihm vermittelft eines maurifchen Schleier die Hände 
zufammenfeflelten.**) Er war in ber That fo beftürzt, daß er faft 
gar feinen Widerftand zu machen verfuchte, 

Der türfifche Befehlshaber zeigte ihm hierauf den Brief. Aben- 
Humeya erkannte zwar die Handichrift feines Sefretärd an, erflärte 


*) „Ninguno huvo que tomasa las armas, ni bolviese de palabra por 
&.* — Mendoza, Guerra de Granada, ©. 217. 
+) „Ataronle las manos con un almaizor.“ — Ebend., ©. 2418. 


Die Rebellion der Moriscos. 143 


jedoch, taß er weder jemals einen folchen Brief dietirt, noch feine 
Unterfchrift Darunter gelegt hätte. Es wird und nicht gemeldet, in 
wie weit man dieſer Berficherung Glauben fchenfte. Doch waren die 
Berichwörer fchon zu weit gegangen, ald daß ihnen noch vergeben 
werden fonnie. Zurüdhweichen war gleichbedeutend mit Tod. Ents 
weder mußte Aben-Humeya oder ſie felbft geopfert werden. Es war 
vergebene , daß er jeine Unfchuld betheuerte und daß er fidh erbot, bie 
Sache der Enticheidung des Sultans, oder des Dey’s von Algier, 
oder irgend einer andern rompetenten Perſon zu überlafien. Man 
adhtete nur wenig auf feine Betheuerungen, denn die Berfchmorenen 
fchleppten ihn in ein anftoßendes Zimmer. Der unglüdlicye junge 
Mann ſah jetzt, daß feine Stunde gefommen war und daß ſich Nies 
mand von allen feinen Freunden und Dienern zur Abwendung feines 
Geſchicks ind Mittel legte. Bon diefem Augenblide an änderte er 
feinen Ton und legte ein feines Standes würdigered Benehmen an 
den Tag. „Wer mich,“ fagte er, „für einen Anhänger des Propheten 
hätt, ift im Irrthum. Wie ich gelebt, fo fterbe ich im chriftlichen 
Glauben. Ic, übernahm die Leitung der Rebellion, um das von den 
Spanien über mich und meine Familie gebrachte Unheil um fo beffer 
rächen zu können. Daſſelbe ift in vollen Maße gerädht worden und 
ich bin jet zu flerben bereit.“ „Auch,“ jagte er, indem er fich zu 
feinem beabiichtigten Nachfolger Aben-Aboo wandte, „beneide ich nicht 
dich. Richt lange wird ed währen, jo wirft du mir nachfolgen.“ Als⸗ 
dann legte er fich eigenhändig den Strid, momit er ermwürgt werben 
follte, um den Hals, ordnete feine Kleidung, bededte das Antlig mit 
feinem Mantel und überließ fi ohne Kampf feinen Henfern. *) 

Sein Leichnam ward in eine nahe Schleufe geworfen, mit fo 
wenig Refpect, als ob e& ein todter Hund geweſen wäre. Hier blieb 
derjelbe liegen, bi8 Don Juan von Defterreich, weil er vernahm, daß 
Aben-Humena als ein Ehrift geftorben fei, die Ueberreſte defielben 
nad) Guadir bringen und bort mit den Feierlichkeiten eines chriftlichen 
Begräbniffes in die Erde beftatten ließ. **) 





2) „El mismo se di6 la buelta como le hiciesen menos mal; concertö la 
ropa, cubriöse el rostro.* — Gbend., ©. 219. 
**) In den Berichten von der Ermordung Aben⸗Humeya's, ſowie von den 


144 Sechstes Kapitel, 


Es darf nicht befremden, daß Aben⸗Humeya zu einem fo elenden 
Ente kam. Die Gewiſſenlofigkeit, womit er Alle, die der Befriebi- 
gung feiner Leidenfchaften in ben eg traten, opferte, umringte ihn 
mit Feinden, die um fo gefährlicher waren in einem Klima , wo das 
Blur heiß ift und das Rachegefuͤhl fich Leicht in der Bruft entzündet. 
Im Anfange feiner Regierung batten ihm feine beftechenden Eigen⸗ 
fhaften eine Bopularität verfchafft, die indeß in ber Liebe des Volks 
feine fefte Wurzel faßte, und völlig abftarb, als die Schwächen feines 
Charakters durch bie Anforderungen feiner Lage völlig and Tageslicht 
gefördert wurden. Denn man fand heraus, daß er weder die nöthigen 
militärifchen Kenntniffe befaß, um ben Sieg in ber Echlacht ſicher zu 
ftellen, nody ſich der höhern fittlichen Bigenichaften, welche im Frieden 
Achıtumg und Gehorfam gebieten, rühmen fonnte. 

Ganz verfchieden hiervon war ber Charakter feines Nachfolgers 
Aden-Aboo. Anftatt die frivolen und ausſchweifenden Reigungen 
Aben-Humeya’d zu offenbaren, war jein Privatleben vorwurfofrei. 
Er war viel älter, ald fein Vorgänger und wenn er nicht denjelben 
feurigen Enthuſiasmus und ſtuͤrmiſchen Abenteurergeift, wie Aben⸗Hu⸗ 
meya befaß, bewies er ſowohl Borbedacht bei dem Bilden feiner Pläne, 
als auch einen feltenen Muth bei der Ausführung derfelben. Alle 
bauten auf feine Ebrlidyfeit, während der Anftand und Ernſt feines 
Benehmens zufammen mit den wefentlicheren Eigenichaften feines 
Eharafterd dazu beitrugen, dem Bolfe allgemeine Verehrung gegen 


fie herbeiführenden Umſtaͤnden, herrfeht weniger Abweichung, als gewöhnlich. Diele 
Umſtaͤnde tragen einen gewiflen orientalifchen Anftrih an fih, was fie eben nicht 
unwahrfcheinlicher macht, wenn man tie Zeit und das Land, wo fie vorfielen, in 
Betracht zieht. — Bon den verfchiedenen Autoritäten in Profa und Verſen fiebe 
Marmol, Rebelion de Granada, ®p. II, ©. 162 — 169; Mendoza, Guerra de 
Granada, S. 212 — 220; Rufo, la Austriada, Gefang 13 —14; Hita, Guerras 
de Granada, Bd. I, ©. 337 $.; Vanderbammen, Don Juan de Austria, 
Fol. 108 — 108. 

*) „Con la reputacion de valiente i hombre del campo, con la afabilidad, 
gravedad, autoridad de la presencia, fue bien quieto, respetado, obedecido, 
tenido como Rei generalmente de todos.“ — Mendoza, Guerra de Granada, 
©. 224. 


Die Mebellton der Moriscos. 445 


vorgeſchlagen warb, wurde der Glanz dieſer Eigenſchaften burch bie 
Veruͤbung einer boͤſen That, durch Zulaſſung ber Verſchwoͤrung gegen 
feinen Souveraͤn, zum erſten Mal verdunfelt. Aber wenn er ſich, wie 
me verfichert wird, wirklich durch das Komplott Alguazil's täufchen 
ließ, fonnte er bis zu einem gewiſſen Grade für füch die Nothwendig⸗ 
feit der Selbfterhaltung geltend machen, denn er konnte recht wohl 
glauben, daß, wenn er dem Aben⸗Humeya bei der Ausführung des 
mörberiichen Planes deſſelben in Bezug auf die Türken ſich beizuftchen 
weigerte, der Tyrann ihm nicht lange im Befige eines für ſich fo ge- 
fährlichen Geheimniſſes zu leben erlauben würde. Jedenfalls fcheint 
feine Theilnahme an der Regierung bei dem Bolte, das bed Despo⸗ 
tiömus, worunter ed gelebt hatte, müde war und die Thronbefteigung 
eined neuen Souveräns mit Enthuſiasmus begrüßte, keinen Abichen 
erwedt zu haben. Biele Pläge, welche bisher feinen Antheil an dem 
Unabhängigfeitöfampfe genommen hatten, erflärten fi} jebt zu Ans 
hängern bes Aben⸗Aboo, der fi bald als ein Herricher eined ausge⸗ 
dehnteren Gebietes erblidte, al& jemals zuvor fein Borgänger. 

Die Beftätigung feiner Wahl ließ von Algier nicht lange auf 
fi) warten. Aben⸗Aboo nahm nun den Föniglichen Namen Muley 
Addallah Mohamed, den er vor feinen bisherigen Ramen febte, an 
und unterzog fi den gewöhnlichen einfachen Krönungsformen ber 
Könige von Granada. Er trug bei diefer Gelegenheit ein Banner mit 
ber Auffchrift: „Mehr Eonnte ich nicht wünfchen ; weniger hätte mid) 
nicht zufriedengeftellt. "*) Man könnte aus einer derartigen Auffchrift 
ſchließen, daß ein höher ftrebender Sinn in feiner Bruft verfledt lag, 
als die Welt gewöhnlich bei ihm vorausgefept hatte. 

Der neue Souverän vergeubete nicht, wie fein Vorgänger, feine 
Zeit in weibifcher Unthätigfeit. Er befaßte fich mit unterjchieblichen 
bebeutenden Reformen, beionderd mit einer neuen Organifation bes 
Heeres und mit der Importirung einer großen Quantität Waffen und 


) „No pude desear mas, ni contentarme con menos.“ — Marmol, Re- 
belion de Granada, Bd. II, ©. 168. 

Siehe auch tie Darſtellung diefer Friegerifchen Ceremonie bei Mendoza, 
Guerra de Granada, ©. 222. 


Brescott, Geſch. Philipps II. IV. 10 


146 Sechstes Kapitel. 


Munitionsvorräthe aus ber Berberei. Er befchloß, feinen Leuten 
feine Zeit zur Unzufriedenheit zu laflen, fondern fie unverzüglich in 
aktivem Dienfte zu verwenden. Der erfte Zwed, ben er fi) vornahm, 
war die Wegnahme von Orgibo, einem bewaffneten Plage, welcher 
bie Marfchroute nad) Granada  beherrfchte und zwiſchen jener Haupts 
ſtadt und den enifernteren Theilen des Landes als Berbindungspunft 
biente. 

Aben⸗Aboo fepte Alles mit fo großer Schnelligkeit in Bereitichaft, 
daß er am ſechs und zwanzigften Oftober, alfo einige Wochen nach 
dem Tode Aben-Humeya’d, an der Spige einer gut gerüfteten Armee, 
die theild aus fremden Miethfoldaten, theild aus Eingebornen beftand 
und über zehntaufend Mann zählte, feine Expedition antrat. Weil 
er feinen Marſch befchleunigte, erfchien er ſchon bald vor Orgiba und 
belagerte ven Plag. Er betrieb feine Anftalten ſo fräftig, daß er in 
einigen Tagen zur Beitürmung der Feſtungswerke bereit war. Bier 
mal führte er feine Leute zum Sturme an. ber, obſchon es ihm das 
vierte Mal gelang, fich mit einer Heinen Truppenabtheilung auf bie 
MWälle zu werfen, begegnete er doch einem fo entichlofenen Wider⸗ 
ftand von Seiten der Barnifon und ihrem tapfern Befehldhaber Frans 
cisco de Molina, daß er mit Verluft ſich auf feine Schanzen zuruͤck⸗ 
werfen mußte. Indem der maurifche Anführer auf diefe Weiſe zurüd- 
gefchlagen war und des Belagerungsgeſchuͤtzes gänzlich ermangelte, 
hielt er für zweckdienlich, die Belagerung in eine Blofade zu ver⸗ 
wandeln. 

Die Zeit, welche das wegnahm, gab dem Don Juan von Defters 
reich Gelegenheit, unter dem Herzoge von Sefa eine ftarfe Macht zur 
Entfegung der Garniſon zu fchiden. Aben⸗Aboo, weicher den Feind 
auf feinem Marfche abzufchneiden wünfchte, wollte einen Gebirgspaß, 
ber ihm durch die Poſition Weberlegenheit gab, beſetzen. Deßhalb 
brach er unter dem Schleier der Nacht aus feinem Lager auf und fchlug 
ben Weg nad) Lanjaron ein. Hier traf er fo unerwartet auf die Avants 
garde der Chriften, daß diefelbe in ihrer Ueberraſchung wid), nad) 
einem beträchtlichen Verlufte auf den Hauptförper der Armee zuruͤckfiel 
und auch diefen in Verwirrung brachte. Gtlüdlicherweife wurde es 
dem Herzog von Sefa, obſchon derfelbe gerade an einem ftarfen Gicht 


Die Rebellion der Moriscos. 147 


anfalle litt, burch außergewöhnliche Anftrengungen noch möglich, feine 
Leute wieder zu fammeln und ihnen Muth einzuflößen, bamit fie den 
Feind zurüdichlugen und auf diefe Weife feine eigne Ehre und das 
Geſchick des Tages retteten. 

Sobald unterbeffen ber tapfere Molina und feine Soldaten ers 
fuhren, daß bie Belagerer ihre Werke verlafien hätten, fuchten fie aus 
der zeitweiligen Abwefenheit berfelben, deren Urfache fie erriethen, 
Augen zu ziehen, indem fie die Feſtung abtrugen, ihre Kanonen in die 
Erbe vergruben und eilends den Platz räumten. Als der Herzog von 
Seſa fah, daß der große Zweck feiner Erpebition, die Erhaltung der 
Garniſon, erreicht mar, und indem er fich nicht Hinlänglich ftarf hielt, 
um mit dem Anführer der Moridcos anzubinden, begann er augen 
blidlich feine Retirade nach Oranada. Hierbei wurde er von Aben⸗ 
Aboo nicht beläftigt,, denn biefer war zu froh darüber, daß er ohne 
Unterbrechung die Belagerung von Orgiba weiter verfolgen fonnte. 
Als er aber zu feinem Erflaunen diefen Blap vom Feinde geräumt 
ſah, rüdte er ohne Blutvergießen in denfelben mit fliegenden Bahnen 
als Eroberer ein. *) 

Diefe Erfolge im Anfange feiner Regierung bildeten eine gläns 
zende Vorbedeutung für die Zufunft. Der Ruhm Aben-Aboo’ ers 
fhol weit und breit durch dad Land, und bie Friegerifchen Landbe⸗ 
wohner drängten fi) von allen Seiten unter feine Standarte. Jetzt 
gelangte Nachricht an, daß verſchiedene Hauptpläße an ben öftlichen 
Säumen der Alpufarrad ihren Beitritt zu der Sache der Moriscos 
proflamirt hätten, und man hoffte, daß fi das Heuer der Empoͤ⸗ 
rung bald über die anftoßenden Provinzen Murcia und Valencia vers 
breiten würde. Es hatte in der That ſchon fo weit um ſich gegriffen, 
daß von dem ganzen, füblich von Granada gelegenen Morisco-Terri- 
torium die Umgegend von Malaga und bie Sierra von Ronda, auf 
dem äußerften Weften, die einzigen Theile waren, die noch bie Aus 
torität Caſtiliens anerkannten. **) 


®) Ferreras, Hist. d’Espagne, Bd. X, &. 111 — 118. — Marmol, Rebe- 
lion de Granada, ®b. II, ©. 169— 189. — Mendoza, Guerra de Granada, 
©. 225 f. — Miniana, Hist. d’Espana, ©. 378. 

**, „Desta manera quedaron le vantados todos los Moriscos del Reino, 


10* 








148 Sechstes Kapitel. 


Der Krieg nahm jetzt daffelbe romantifche Ausfehen an, wie in 
den Tagen der Eroberung Granadas. Man fonnte jetzt auf den höch⸗ 
fien ®ipfeln der Sierra Lärmfeuer fehen, die ihren unheilverkündenden 
Schein mandye Stunde weit um fi her ausftrahlten und bie fühnen 
Bergbewohner zum Einfalle in Yeindesland einluden. Dann kam 
das Sammeln der wilden Landesmiliz, die ſich auf bie niederen, jet 
im verblichenen Grün des Herbſtes baliegenden Flaͤchen herabergoffen, 
die Viehheerden*) hinmegfegten und fie im Triumph in ihren feften 
Dertern bargen. 

Einige Maraudeurs drangen in die Vega, bie fhöne Vega **), 
von ber jeder Zoll mit Menichenblut befruchtet war, und bie jet, wie 
in alten Zeiten, das Schlachtfeld der chriftfichen und moßlemitifchen 
Kavaliere wurde. Faft immer waren es die erftern, welche den Bortheil 
davontrugen. Das bewiefen die blutigen Trophäen, die Köpfe und 
Hände der Befiegten, welche man auf ben Zanzenfipigen trug, wenn 
mar unter dem Beifalldgefchrei des Poͤbels durch die Thore der Haupt- 
ſtadt angebonnert fam. ***) 


sino los de la Hoya de Malaga i Serrania de Ronda. — Mendoza, Guerra de 
Granada, ©. 241. 

*) Im Englifchen fleht herds and flocks. Beide Ausprüde überfegt man 
im Deutfchen durch Heerden. Doch herrfcht der Unterfchied zwiſchen beiten, daß 
man das Wort herd auf Kühe, Schweine, Ziegen, Wild und Schafe; das Wort 
Bock aber auf Schafe und kleinere Thiere anwendet. Flock, fagt Boag, a oom- 
pany or collection; applied to sheep and all other small animals. — Herd, 


fagt Richardſon in feinem großen English Dictionary, is applied to a number of | 


sheep or kine, guarded or kept; to a number of sheep or kine collected or 
congregated together for the purpose of being so guarded, generaliy to a num- 
ber of kine. Der Begriff it alfo weiter, als ihn Hilpert giebt. Anmerk. des 
Ueberſetzers. 

») Das ſpaniſche Wort Voga bedeutet Ebene, campagne fertile, campus, 
planities. Anmerf. des Ueberfeßers. 

**) „Llevando los escuderos las cabezas y las manos de los Moros en los 
hierros de las lanzas.“ — Marmol, Rebelion de Granada, ®Bb. II, ©. 189. 

In ben Kriegen mit den ſpaniſchen Arabern biltete das Feindeshaupt eine alte 
Nebeneinnahme des — gleichviel chriftlichen oder moslemitifchen — Siegers. Selbſt 


bis auf den Krieg von Granada herab wird feiner oft in den maurifchen Romanzen | 


Die Mebellion der Moriscos. 149 


Doch manchmal lag das Glüd in der entgegengefebten Wag⸗ 
fhale. Nachdem die Fühnen Ungläubigen die Bega gefäubert hatten, 
brachen fie wohl manchmal in die, Vorftabt ober ſelbſt in die eigent- 
liche Stadt (City) von Granada ein und erfüllten den Plag mit Ent⸗ 
fegen. Alsdann konnte man bie erfchredten Bürger bins und her 
rennen ſehen, während bie große Sturmglode ber Alhambra die Leute 
zufammenrief und bie rafch zu Pferde fleigende Ritterfchaft den alten 
Kriegaruf „St. Iago* brültte und fi auf die Eindringlinge warf, 
die ficher fein fonnten, daß fie nad) einem Furzen blutigen Strauße in 
Berwirrung über die Bega und weit über die Gränze getrieben wer⸗ 
ben würden. | 


Bei diefen ©elegenheiten fonnte man den Don Juan ftetö in ber 
Schlachtfronte erfpähen , gleich als ob er fich in feinem Elemente ges 
fühlt und um Gefahr geminnet hätte, wie ein Romanheld. In ber 
That fah fi Philipp zu wiederholten Malen genöthigt, feinen Bruber 
wegen unnöthiger Ausſetzung feines -Xebend, die, wie der König zu 
verftehen gab, fich durchaus nicht zu feinem Range ſchickte, zurechtzu⸗ 
weifen.*) Doch eben fo leicht wäre es gewefen, ein Kriegsroß zu 
zügeln,, wenn ihm ber Klang der Trompete ind Ohr fchmettert, ale 
den Muth des ftürmifchen jungen Anführers zu beugen, wenn feine 
Leute fich zum Angriff fertig machten. Wirklich waren es gerade diefe 
Gelegenheiten, die ihn mit ber größten Luft erfüllten, denn fie ges 
ftatteten ihm die einzigen flüchtigen Blide in jene Ruhmesbahn, nad) 
welcher fein Herz fo lange gefchmachtet hatte. Jede Truppenabtheis 
lung, die von Granada zu irgend einem Friegerifchen Abenteuer hinaus 
rüdte, war ein ®egenftand feined Neides, und wenn er bie blauen 
Berge anftarrte, bie wie eine unüberfchreitbare Schranfe rund um ihn 
her fidh erhoben: glich er dem Vogel, der, meil.er ſich nach der Frei⸗ 


als eines der ehrenhafteſten Siegeszeichen tes Schlachtfeldes gedacht. Siche unter 
andern die Ballade, welche beginnt: 
„A vista de los dos Reyes. “ 
") „Y que salir £ tales rebatos es des autoridad vuestra, siendo quien sois 


y teniendo el cargo que tenis.* — Carta de Filipe Segundo & Don Juan de 
Austrie, 30 de Setiembre, 1569, MRanuffr. 


150 Geste Kapitel. 


heit fehnt, mit feinem Gefieder an die vergoldeten Drahtftäbe feines 
Sefangenenhaufes jchlägt. 

Er fchrieb an den König in den ernftlichften Ausprüden, um ihn 
ben verlorenen Zuftand der Angelegenheiten aus einander zu fegen: 
wie die Spanier von Tag zu Tag Boden verloren, und wie die Arınee 
unter dem Marquis von Rod Velez ihre Energie in Trägheit vergeu⸗ 
dete oder fie zu unnügen Unternehmungen anwandte. Er flehte feinen 
Bruder an, daß er ihm nicht zwingen folle, länger auf dieſe Weife 
innerhalb der Mauern Granadas eingeiperet zu bleiben, fondern ihm 
erkauben möge, eben fo gut ein faktiſches, wie ein nominelled Kom⸗ 
mando zu führen, und den Krieg in eigener Berfon zu leiten. *) 

Die von Don Juan geltend gemachten Anfichten wurden warm 
von Requefend unterftügt. Diefer fchrieb an Philipp und denunzirte 
in fchonungslofen Auddrüden die Iinfähigfeit des Los Velez. 

Philipp fah ed nicht ungern, wenn er Befchwerden eingefchidt 
erhielt, felbft wenn fie gegen Solche, die er am meiften begünftigte, 
gerichtet waren. Er konnte nicht feine Augen verfchließen gegen bie 
Wahrheit der jetzt gegen den higigen alten Befehl&haber gerichteten 
Anflagen. Derfelbe hatte zwar lange Zeit fein Vertrauen genoflen, 
aber feine legten Beldzüge waren eine Reihe von Fehlern geweien. Er 
jah den fritifchen Zuftand der Dinge, nebft der Gefahr, daß die Re⸗ 
bellion, welche in Granada fa tief Wurzel gefaßt hatte, fi, wofern 
fie nicht fchleunig niebergeworfen würde, über die benachbarten Pros 
vinzen verbreiten möchte. Die Entfernung Mondejar’d vom Schaus 
plabe des Krieges hatte nicht die gute Wirkung, die Philipp erwartete, 
gehabt. 

Dennoch gab er nur mit Zögern den Wünfchen feines Bruders 
nad), jei es nun, daß er diefen für noch zu jung hielt, um hinreichende 
Fähigkeit zu einem unabhängigen Oberbefchle zu befigen, oder fei es, 
baß er, wie man aus feinen Briefen Schließen Fönnte, fich vor den Ge⸗ 
fahren fürchtete, in welche den Don Juan fein unbändiger Muth wahrs 


*) „Le suplico mire que ni & quien soy, ni & la dad que tengo, ni & otra 
cosa alguna Conviene encerrarme, cuando mas razon es que me muetre.* — 
Carte de Don Juan de Austria al Rey, 23 de Setiembre, 1569, Manuſtr. 


Die Rebellion der Noriscos. 151 


fcheinlich verfiriden möchte. Nachdem er feine Pläne gebildet Hatte, 
theilte er fie unverzüglich feinem Bruder mit. Der junge Krieger ſollte 
dem 208 Velez im Kommando der öftlichen Armee, die durch neue 
Truppen verſtaͤrkt werben follte, nachfolgen, während ber Herzog von 
Sefa ſich unter der Leitung Don Juan's in den Alpufarras in einer 
ſolchen Poſition aufzuftellen hatte, daß er bie Route nad) Oranada 
deckte. 
Alsdann ſchickte er eine Aufforderung an die angeſehenſten Staͤdte 
Anbalufiens und erfuchte fie, für den Krieg frifche Aushebungen zu 
veranftalten. Um dieſe Aushebungen zu fördern, wurde ben Truppen 
ein befierer Sold, als vorher verfprochen. Allein, dieſe Berfprechungen 
richteten bei ben Truppen nicht fo viel aus, als die Kunde, daß Don 
Juan von Oefterreich die Expedition lenken follte. Die Adeligen und 
Kavaliere drängten ſich zum Kriegsdienſte und brachten mit fich ihre: 
wohlbewaffneten Diener in fo großer Anzahl, daß es der König für 
nöthig hielt, eine zweite Ordonnanz zu publiciren und Jedem, der 
nicht befondere Erlaubniß dazu erhielt, zu unterfagen, Soldat zu 
werden. *) 

Jetzt war in Granada Alles auf den Beinen und in Aufregung. 
Die neuen Truppen zogen ein, und bie alten erhielten eine befiere 
Drganifation. In der That hatte fi Don Juan fchon eine Zeit lang 
damit beichäftigt, unter den in der Stabt einquartierten Truppen, bie 
aus den ſchon angeführten Gründen in einen Zuftand ber ſchrecklichſten 
SInfubordination gerathen waren, Reformen einzuführen. Ein ähn⸗ 
licher Injubordinationsgeift hatte die Offiziere angeftedt, und zwar in 
jo hohem Grabe, daß ed nothwendig fchien, von fünf und vierzig 
Hauptleuten nicht weniger, als fieben und dreißig, ihrer Stellen zu 
entheben. **) Solchergeftalt waren die Schwierigkeiten, unter welchen 
der junge Held feinen erften Feldzug zu beginnen hatte. 


) „Entendiose por Espana la fama de su ida sobre Galera, i moviöse la 
mobleza delle con tanto calor, que fue necesario dar al Rei & entender que 
no era con su voluntad ir Cavalleros sin licencia & servir en aquella empresa. 
— Mendoza, Guerra de Granada, ©. 2856. 

*", „Havian las desordenes pasado tan adelanto, que fue necesario para 
remediallas hacer demonstracion no vista ni lefda en los tiempos pasados, eu 


159 S.qoteo Kapitel. 


Gluͤcklicherweiſe befaß er im Gefolge der großen. abeligen Herren 
und Kavaliere ein Corps wohlbewaffteter und gut diseiplinirter Trups 
pen, bie von höhern Motiven, als bloßer Plünderungsjucht, geleitet 
wurben.*) Berner brachte er es durch feine Anftrengungen dahin, 
daß in vieler Hinficht unter den in Granada einquarkierten Truppen 
bie alte Disciplin wieder hergeftellt wurde. Aber ber Eifer, womit 
er fih dem Reformationswerfe widmete, batte feine Geſundheit bes 
nachtheiligt. Das z0g ihn von Philipp einen freundlichen Tadel zu, 
indem berielbe feinem Bruder fchrieb, daß er nicht auf dieſe Weiſe über 
feine Kräfte arbeiten, ſondern daran denfen ſollte, daß der König feine . 
Dienste nötbig habe, und indem er ihm fagte, er möge den Quixada 
baran erinnern, baß er forgfältiger über ihn wachen folle. „Und Gott 
mag geben,“ fchloß er, „daß deine Geſundheit bald wieber hergeftellt. 
iR." Die liebende Sorgfalt, welche der König befländig in jeinen 
Briefen für die Wohlfahrt feined Bruders offenbart, follte man von 
feinem phlegmatifchen Temperamente faum erwartet haben, zumal ba 
Philipp gewöhnlich mit dem Kundgeben feiner Gefühle ſich fo zurüd- 
haltend zeigte. 

Ehe Don Yuan zu feiner großen Expedition aufbrady, wollte er 
erft für die Sicherheit Granadas während feiner Abwefenheit dadurch 
forgen, daß er Buejar, dad von den Spaniern „dad Räuberneft* ge» 
nannt wurde, eroberte. Daffelbe war ein befeftigter Pla nahe bei 
der Graͤnze der Alpujarras umd in den Händen einer Eriegerifchen Gar⸗ 
nifon, bie häufig Ausfälle auf die umliegende Gegend machte, mit⸗ 
unter ihre Streifzüge bis auf die Bega von Granada trieb und in ber 
Hauptftadt einen pantjchen Schreden verurfachte. Don Juan theilte 
feine Macht in zwei Diviſionen ab, wovon er bie eine dem Herzog von 
Sefa übergab, während er die andere in eigener Perſon leiten wollte. 
Diefe Divifionen ſollten auf zwei verfchiedenen Routen vordringen, 


la guerra ; suspendar treinta i dos capitanes de quarenta i uno que havis, "con 
nombre de reformacion.* — Ebend., S. 287. 

*) „Tambien la gente embiada por los serlores, esco gida, igual, disci- 
plinada, movidos por obligacion de virtud i deseo de acreditar sus personas.* 
— Ebend., ©. 234, 


Die Rebellion der Moriocos. 53 


vor dem Page zuſammentreffen und benfelben von entgegengeſetzten 
Buntten aus gleichzeitig angreifen. . 

Weil der Herzog ben gerabeften Weg über dad Gebirge mars 
ſchirte, erreichte er Guejar zuerfi. Er war nicht wenig darüber ers 
ſtaunt, als er die Einwohner, die von den Rüftungen der Spanier 
Kunde erhalten Hatten, bereit8 mit ber Räumung der Stadt begriffen 
fand, während ſich die Garniſon in Schlachtreihe formirte, um den 
Rückzug zu decken. Nach einem kurzen Scharmütel mit der Arrieres 
Garde, wobei beide Theile einige Leben einbüßten, zogen die fieg- 
. reichen Spanier, ohne ihren Bortheil weiter zu verfolgen, in die 
Stadt ein und nahmen die vom Feinde aufgegebenen Feſtungswerke 
in Beſitz. 

Groß war einige Stunden fpäter bei feiner Ankunft vor Guejar 
die Ueberrafchung Don Juan's, als er die caftilifche Flagge von ben 
Stabtmauern wehen fah, und er fühlte fi) darüber empört, daß bie 
Lorbeeren, welche er für feine eigne Stirn beftimmt hatte, ihm ohne 
alle Eereinonie von einem andern entriffen waren. „Mit Augen, die 
wie feurige Kohlen funkelten,“ fagt der Geſchichtſchreiber,“) wandte 
er fi) zum Herzog von Sefa und verlangte eine Auseinanderfegung 
ber Sache. Aber, er fand bald, daß die Schuld, wenn es hierbei 
Schuld gab, Jemandem zur Laft fiele, den zu tadeln er, wie er fühlte, 
nicht Die Macht befaß. Das war Luid Duirada, der aus Sorge für 
die Sicherheit feines Anbefohlenen die Armee einen Umweg, weldyer 
fie alfo fpäter auf den Kampfplatz brachte, hatte führen laſſen. Allein, 
wiewohl Don Juan fein Wort des Tadels laut werden ließ, beob⸗ 
achtete er indefien ein Ärgerliches Stillſchweigen, und Fein Biffen 
Speife fam, wie bie Soldaten bemerften, über feine Lippen, bis er 
wieder nad) Granada zurüdgefoinmen war. **) 


Die beftändig von Duirada über ihn geführte Aufficht, welche, 
wie wir ſahen, vom Koͤnige noch ermuthigt wurde, gab den Truppen 


9 „Pusieronsele los ojos encendidos como brasa de puro corage.* — 
Marmol, Rebelion de Granada, ®t. II, ©. 224. 

**) Sin comer bocado en todo aquel dia se volvis & la ciudad de Qra- 
nada.*.— Ebend., ©. 228. 





154 | Seqetes Kapitel. 


viel zu ſprechen. Sie muß dem Don Juan, ba fie feinem Alter eben 
fo wenig, wie feinem ehrgeizigen Weſen ober feiner Stellung, ange 
meſſen war, nicht wenig Verlegenheit und Verdruß bereitet haben. 
Denn feine Stellung als OeneralsensChef machte ihn in den Augen 
ver Welt für die Maßregeln des Feldzugs verantwortlich. Gleich⸗ 
wohl befaß er in feiner abhängigen Lage weder die Macht, über den 
Dperationdplan zu enticheiden, noch die Befugniß, benfelben ind Werk 
zu ſetzen. Nicht viele Tage follten vergehen, bis der Tob feines freund 
lichen Beratherd ihn von ber eiferfüchtigen Auffiht, welche ihn fo 
ärgerte, befreien und ihm eine unbefchränfte Ruhmesbahn, wie fie 
feine ehrgeizigften Wuͤnſche nicht beffer verlangen konnten, eröffnen ſollte 


Wie der Lefer bemerkt haben wird, ift eine ber wichtigften und 
in diefem Buche am häufigften angezogenen Autoritäten Diego Hurs 
tabo de Mendoza. Er gehörte einem der berühmteften Häufer Caſti⸗ 
fiend an, einem Haufe, das eben fo fehr durch feinen Rang, wie 
durch die von feinen Mitgliedern in den verfchiedenen bürgerlichen und 
militärijchen Aemtern bewiefenen großen Sähigfeiten und die von 
ihnen erworbene feltene Bildung, hervorragte. Keine andere große 
Familie Spaniens hat für die Feder ſowohl des Geſchichtſchreibers 
wie des Saängers ein fo fruchtbares Thema geliefert. 

Unfer Mendoza war ber fünfte Sohn des Marquis von Monde: 
jar. Er wurde im Jahre 1503 zu Granada, wo fein Vater ten von 
feinen Vorfahren inne gehabten Poften eines General⸗Kapitaͤns der 
Provinz bekleidete, geboren. Schon in früher Jugend wurde er auf 
bie ehrwürdige Univerfität Salamanca geſchickt und machte nit Ehren 
den dort angeorbneten Studiencurfus durch. Während feines Dort⸗ 
fein fohrieb er feinen berühmten „Lazarillo de Tormes,“ denn obs 
fhon berfelbe anonym erfchienen ift, fcheint doch Fein guter Grund 
vorhanden zu fein, in Die Autorfchaft Mendoza’ ein Mißtrauen zu 
fegen. Diefes Erzeugniß bildet den Urfprung ber fogenannten Pica- 
resco-Romane, welche einen wichtigen Zweig der caftilifchen Literatur 
ausmachen und worin fonderbarerweife die Hand eined Ausländers 
(Le Sage) das befte Specium — den Gil Blas — 'geliefert hat. 


Die Rebellion der Moriscos. 1585 


Urfprüngli war Mendoza für den geiftlidhen Stand beſtimmt, 
und hierbei würde ihm ber große Sinfluß feiner Samilie offenbar ſehr 
zu Statten gefommen fein. Allein der junge Mann hatte, wie mar 
fchon aus feinem Romane abnehmen fönnte, für einen andern Stand 
Neigung, weßhalb er feinen Bater dazu bewog, ihn in die Armee 
eintreten und unter bem Banner Karl’ des Fünften Dienfte nehmen 
zu laffen. Mendoza verlor zu Felde nicht feine Liebe zu den Wiſſen⸗ 
fhaften. Die Paufen, welche zwifchen den einzelnen Feldzuͤgen ein« 
traten, benußte er baber, um feine Studien, namentlich dad Studium 
der alten Sprachen, auf ben vorzüglichften Univerfitäten Italiens fort- 
zufeßen. 

Es war unmöglih, daß ein Mann, fo merkwürdig begabt und 
durch feine Stellung in ber Geſellſchaft jo hervorragend, wie Mens 
doza, dem durchdringenten Blide Karl’ ded Yünften, ber in dem 
jungen Abeligen, abgefehen von feiner Gelehrſamkeit, ein entſchiedenes 
Talent für politifche Angelegenheiten entbedte, entgehen konnte. Im 
Jahre 1538 ernannte ihn ber Kaifer zum Geſandten in Benebig, einer 
Hauptſtadt, welcher die Unternehmungen der Aldi mit jebem Zage 
einen größeren Ruhm in ber Republik der Wiffenichaften gewannen. 
Hier befaß Mendoza die befte Gelegenheit, bie Errichtung einer Bib⸗ 
liothef,, ein von ihm lange gewünfchtes Werk, zu Stande zu bringen. 
Das war in jenen Tagen eine Arbeit von nicht geringer Schmwierigfeit, 
weit damals die Bücher und Manuſkripte aus obfeuren, oft entlegenen, 
Quellen und zu .einem für Euriofitäten (objects of virtü) gezahlten 
Preife, zufammengebracht werben mußten. Cine Gefälligkeit,, Die er 
durch die Befreiung eines vornehmen türkifchen Gefangenen dem Sul 
tan zu erweifen im Stande war, wurde ihm durch ein prächtige Ger 
fchenf griechiſcher Manuffripte, die fih in Mendoza’d Augen nicht 
mit Gold bezahlten ließen, vergolten. Aus diefer Sammlung war «6, 
daß der Welt die erfte Ausgabe vom Sofephus gegeben wurde. Wähs 
rend er in feinen Mußeftunden ungehemmt feinem Hange zu literaris 
ſchen Befchäftigungen folgte, erfüllte er die Pflichten feiner Gefanbt- 
ſchaft mit einer Faͤhigkeit, die vollfommen feine Ernennung zum Ges 
ſandtſchaftspoſten bei der verfchlagenen Republif rechtfertigte. Bei 
der Eröffnung des Trienter Konzild war er einer von dem Delegaten, 


156 Gehshrs Kapitel. 


bie den Kaifer daſelbſt zu vertreten hatten. Er nahm binfig an bem 
Discuſſionen des Conclave's Theil und machte die Anſichten feines 
Herrſchers mit einer fo großen Stärfe ber Beweisführung und feurigen 
Berestiamfeit geltend, daß er einem mächtigen Eindrud auf feine Zus 
hörerfchaft madyte. Die von ihm offenbarte Unabhängigfeit eignete ihn 
für die delicate Aufgabe, dem päpftlichen Hofe bie Einwendungen, welche 
Karl der Fünfte gegen bie Berfegung bed Konzils nach Bologna zm 
machen hatte, vorzulegen. Das that er mit einem Grade von Frei⸗ 
mütbigfeit,, wie fie die paͤpſtlichen Ohren nur wenig gewohnt waren, 
“und die, wenn fie ben hochfahrenden Sinn Paul's bes Dritten auch 
nicht zu beugen vermochte, body ihre Wirkung auf ben Nachfolger 
befielben ausübte. 

Aus irgend einem Grunde fcheint Mendoza nicht fo hoch in 
ber Gunft Philipp des Zweiten, als ber feines Vaters, geftanden zu 
haben. Bielleiht war er von Ratur zu ſtolz, um fidy zu der unbe⸗ 
bingten Unterwuͤrſigkeit, welche Philipp von allen ihm Nahefommen⸗ 
ben, von ben Höchkten bis zu ben Niedrigſten, verlangte, herabzu⸗ 
laſſen. Endlich zog im Jahre 1568 dem Mendoza ein Fehltritt die 
Ungnabe feines Herren zu; und bad mit Recht. Er ließ fi im Pa⸗ 
lafte in einen Zanf mit einem andern Höflinge «in, und ber ffanda- 
löfe Auftritt, den der 2efer in dem vorhergehenden Bande erzählt finden 
wird, fiel gerade vor, als der Prinz von Afturias, Don Carlos, im 
Sterben begriffen war. Die beiden Schuldigen wurden erft mit 
Gefängnis, fodann mit Berbannung aus Mabrid beftraft. Mendoza, 
der damals fünf und fechdzig Jahre zählte, zog ſich nady feinem Ges 
burtöorte Granada zurüd, Aber, er hatte fchon au lange die Hofluft 
eingeathmet, um mit dem Aufenthalte in der Provinz zufrieden fein zu 
fönnen. Er machte daher wiederholt Berfuche, das Mipfallen feines 
Souveraͤn's zu befänftigen und eine Milderung feiner Strafe zu er 
halten. Wie fich leicht denfen läßt, waren diefe Berfuche erfolglo®. 
Daher handelte der berühmte Berbannte weifer, als er ſich in fein 
Schidfal ergab und in der Geſellſchaft von Büchern, den beiten Freun⸗ 
den, beren Werth er in ben Stunden des Mißgeſchicks volllommen 
erprobte, Troft fuchte. Er widmete fich dem Studium bes Arabifchen, 
auf das er ganz natürlich durch feinen Aufenthalt in einer mit den 


Die Mebellien ter Neriscos. 457 


Monumenten ber arabiichen Kunft angefüllten Hauptſtadt gerieth. Er 
vertrieb ſich auch die Zeit mit Verſemachen, und feine Arbeiten trugen 
zufammen mit denen von Bodcan und Garcilaſſo de la Bega dazu bei, 
die vollendeteren Formen italienischer Verskunſt, welche eine wichtige 
Epoche in ber nationalen Literatur bildeten, auf caftilifchen Boden zu 
verpflanzen. 

Aber, das große Werk, dem er ſich gewidmet hatte, war die Ge⸗ 
fchichte des Aufſtandes der Moridcos, von dem man, weil er während 
feines Aufenthaltes in Granada ſich ereignete, fagen fann, daß er 
unter feinen Augen vorfiel. Dazu beiaß er vor andern Geſchicht⸗ 
fchreibern offenbare Bortheile, denn er war ein naher Better bes Ge⸗ 
neralsKapitäns und perfönlich mit Lenkern der Staatsangelegenheiten 
befannt. Das Refultat feiner Bemühungen war ein Werk, das, obs 
ſchon es nicht fehr umfangreich iſt, doch einen unfchägbaren Werth 
bat. Es ift weniger eine Gefchichte der Begebenheiten, als ein Com⸗ 
mentar zu einer folchen Geſchichte. Der Verfaffer fucht die Urfachen 
biefer Begebenheiten auf. Er führt den Leſer in das Gabinet 
von Madrid ein, macht ihn mit ben Intriguen ber verfchiedenen 
Factionen am Hofe wie im Lager befannt, legt die Polttif der Re 
gierung und bie Pläne der Feldzüge bar: kurz, ermöglicht es dem 
Leſer, in dad Innere einzubringen und die geheime Arbeit ber fo ſorg⸗ 
faͤltig den vulgaͤren Augen verdeckten Maſchinerie zu ſehen. 

Der Werth, welchen das Werk durch den Zutritt ſeines Ver⸗ 
faſſers zu dieſen verborgenen Informationsquellen erlangte, wird noch 
geſteigert durch den darin wehenden unabhängigen Geil. In einem 
Lande, wo nur Wenige für ſich ſelber zu denken wagten, dachte Men⸗ 
doza ſowohl frei, als druͤckte er auch freimüthig feine Gedanken aus. 
Einen Beleg bierzu liefert ber beißente Ton feiner Kritif der Regie 
rungsmaßregeln und bie Offenberzigfeit, welche er bisweilen an ben 
Tag zu legen wagt, wenn er bad ben Moriscos zugefügte Unrecht 
erwähnt. Wir dürfen es wohl glauben, daß dieſe Unabhängigfeit 
des Hiftoriferd der Verwaltung nicht fehr gefiel. Das mag ber 
Grund fein, warum das Buch erft nach der Regierung Philipp's 
des Zweiten und viele Jahre nach bed Verfaflers Tode veröffentlicht 
wurde. 








158 Gehört Kayikl. 


Die künftlerifche Ausführung bed Werkes gehört zu den merk- 
würbigften Eigenthämlichfeiten deſſelben. Anftatt des flüchtigen und 
geſchwaͤigen Styles des caſtiliſchen Geſchichtsſchreibers, ift jebe Seite 
von dem Geiſte der alten Kfaffifer eingegeben. Wirklich glaubt man 
gewöhnlich, daß Mendoza feinen Styl abfidhtlid nach demjenigen 
bes Salluft gemodelt habe; aber, ich flimme mit meinem Freunde, 
Herm Tidnor, überein, ber in einer, ben Mendoza behandelnden 
Haren Kritik in feinem Werke über die fpanifche Literatur die Meis 
nung ausdruͤckt, daß der caſtiliſche Geſchichtsſchreiber feinen Styl 
ganz eben fo fehr an Tacitus, als an Saluft, gebildet habe. Im 
der That find einige der berühmteften Stellen Mendoza's augen⸗ 
fcheinlihe Nachahmungen des erfteren Geichichtöichreibers; an ihn 
erinnert er und beftändig durch die eigenthuͤmliche Gedrängtheit und 
Energie feiner Diction,, durdy feine Fähigkeit, ein Porträt mit einem 
einzigen Vinfelftriche zu malen und durch feine freie Kritifirung ber 
Hauptperfonen des Dramad, und. das Alles in einer Sprache, bie 
jener praftiichen Weisheit, welche bei Mendoza dad Refultat einer 
großen Belanntichaft mit den öffentlichen Angelegenheiten war, vol 
if. Wir erfennen aber auch die den von ihm gewählten Styl treffen» 
den Mängel an, als da find: Härte und Zwang, nebft einer häufigen 
Anwendung von Gilipfen, fo daß dadurch der Rationalität der Sprache 
Gewalt angetban wird, vor Allem aber die Dunfelheit, welche aus 
dem Bemühen furz zu fein entfpringt. Mendoza fchadet ferner feinem 
Buche durch unzeitiges Entfalten feiner Gelehrfamfeit, welchem zwar 
der Alterthumsforfcher durch die Finger fehen mag, das aber wie 
eine ungehörige Epilode fommt und den Faden der Erzählung zer 
reißt. Aber das Werk iſt, trop aller feiner Mängel, ein merkwuͤr⸗ 
diges Produkt für feine Zeit, und indem es inmitten der roman⸗ 
tifhen Literatur Spaniens ericheint, betrachten wir es mit dem 
naͤmlichen Erftaunen, welches der Reifende empfinten würde, wenn 
er einen Faffifchen dorifchen Tempel inmitten der phantafliichen Bau⸗ 
ten Chinas oder Hindoftans träfe. 

Bald, nachdem Mendoza feine Geſchichte vollendet hatte, er⸗ 
hielt er die Erlaubniß, Matrid zu befuchen, nicht um dort zu wohnen, 
fondern um einige perfönliche Geſchaͤfte abzumachen. Kaum hatte 


— 
® 


Die Rebellion der Moriscoe. 159 


er die Hauptflabt erreicht, fo befiel ihn eine tödtliche Krankheit, welche 
ihn im April 1575 im drei und fiebenzigften Jahre feines Alters hin- 
wegraffte. Kurz vor feinem Tode ſchenkte er jeine reihe Sammlung 
von Büchern und Manuffripten feinem harten Herm, der fie dem 
Wunſche des Gebers gemäß in dem Escorial aufftellte, wo fie nod) 
jest einen interefianten Theil von jener Bibliothek, von welcher fo viel 
geiprochen worden, aber fo wenig der Welt befannt ift, bilden. 


Die ausführlichfte Nachricht von dem Leben Mendoza's, die mir 
befannt ift, wird der Feder des Inigo Lopez de Avila zugefchrieben 
und flieht vorn in der valencifchen Ausgabe des 1776 veröffentlichten 
„Guerra de Granada.“ Doch feine Landsleute find ftet& bereit ges 
weien, dad Gebächtniß eines Mannes zu ehren, der fich durch die 
glänzenden Erfolge, welche er ald Staatsmann, Diplomat, Romans 
ſchriftſteller, Dichter und Gefchichtfchreiber davontrug, wegen ber 
Bielfeitigfeit feines Genie's einen Namen gemacht hat, der feinem 
zweiten in der fpanifchen Literatur nachfteht. 


Siebentes Kapitel, 


Die Rebellion der Moridcoß. 


Don Yuan zieht zu Felde. — Die Einfchließung von Balera. — Hrftige Ans 
griffe. — Die Müftungen für einen lebten Angriff. — Die Ervloflon ter 
Mienen. — Die Verzweiflung ter Moriscos. — Braufames Blutbad. — 
Die Zerfiörung von Galera. 


1570. 


Don Juan machte ohne Zeitverluft feine Anordnungen für die 
Erpebdition fertig. Sowie die Truppen Granada erreichten, wurden 
fie meiftentbeild zu ber Armee unter Los Velez geichidt, nach den 
öftlichen Alpujarras , wo diefer Befehlshaber mit der Belagerung von 


4160 Gichenics Kapitel. 


Galera befihäftigt war, aber wenig Ausſicht hatte, es einzunehmen. 
Er ſollte jedoch binnen Kurzem von Don Juan abgeloͤſt werben. 

Da Philipp nidyt im Stande geweſen war, feine Obren gegen 
die Borfielungen feines Bruders, fowie im Dienſte mehr erfahrener 
Dffiziere zu verfchließen, war er endlich mit Wiberfireben zur licher» 
zeugung gelangt, daß Los Belez für dad Kommando untauglidy war. 
Doc hegte er eine Borliebe für ven Beteranen und wollte ihm gern 
fo weit al® möglich den Verdruß, von feinem jungen Rival verbrängt 
zu werden, erfparen. In feinen Briefen legte der König feinem Brus 
der wiederholt and Herz, den Marquis mit der höchften Ehrerbietung - 
zu behandeln und feine zu feinem Nachtheile ausgeiprengten Gerüchte 
zu unterflügen. In einem mit Inftructionen für den Feldzug aus⸗ 
gefüllten Schreiben, datirt vom ſechs und zwanzigften November, gebot 
der König dem Don Juan, ſich bei allen Gelegenheiten von den Rath» 
ſchlaͤgen des Quixada und Requefens leiten zu lafien. Dem Mars 
quis follte er den größten Reipect bezeigen und ihm zu verfiehen geben, 
baß er ſich von feinen Anfichten regieren laſſen wolle. „Aber follte, “ 
fagte Philipp, „feine Meinung jemal® mit derjenigen der beiden 
andern Berather thatfächlich in Widerſpruch gerathen, fo ſollſt du dich 
von ber ihrigen leiten laſſen.“) 

Auf Quirada und Requeiens hatte fih Don Juan wirklich 
immer zu verlaffen und burfte niemals fein eignes Urtheil den ihrigen 
entgegenfegen. Er follte feine Bewegungen vorſichtig machen und 
anftatt des unbänbigen Sinnes eined Knaben bie Umficht eines milis 
täriich erfahrenen Mannes zeigen. „Auf biefe Weile," ſchloß der 
königliche Berather, „wirft du dir nicht allein die Bunft deines Sous 
veräns ſichern, fonbern auch in der Welt einen Ramen machen.” **) 


*) „Y porgue podris ser que ordenase al marques de los Velez que que 
dase Con vos y 08 aconsejase, convendr& en este caso que vos le mostreis muy 
buena cara y le trateis muy bien y le deis & entender que tomais su parecer, 
mas que en efecto tomeis el de los que de dicho cuando fuesen diferentes del 
suyo.“ — Carta del Rey & Don Juan de Austria, 26 de Noriembre 1569. 
Manuſkr. 


*”*) „Y que os goberneis como si hubiesedes visto mucha guerra y hall&- 
doos en ella, que os digo gue comigo y con todos ganeis harta mas repu- 


Die Rebellion der Mortscos. 46i 


Es iR offenbar, daß Philipp In dem Charakter Don Juan's Züge ent- 
deckt hatte, welche ihn bezweifeln ließen, ob berfelbe denn wirklich zu 
der hohen Stellung, in welcher er fih nun befand, hinreichend befähigt 
wäre. Bielleicht mag man denken, daß die zögernde, furchtiame Pos 
Kit Philipp's den Erfolgen bei militärifchen Operationen weniger, 
als der feinem Bruder eigenthümliche tühne Unternehmungsgeift, gün« 
fig wer. Mag dem aber fein, wie ihm wolle, fo befaß Don Juan, 
troß aller wiederholten Berficherungen bed Gegentheils ein zu hitziges 
Temperament, als daß diefe Erinahnungen feined Mugen Rathgebers 
leicht bei ihm hätten wirken können. 

Das Militärfommando in Granada wurde von dem Prinzen in 
die Hände bed Herzogs von Eefa gegeben, der, fobald er eine hinrei⸗ 
chende Macht geſammelt hätte, in den weftlichen Diftrikt der Alpujar⸗ 
ras marſchiren und daſelbſt eine Diverfion zu Gunften Don Juan's 
maden foüte. Ein Corps von viertaufend Mann follte in Granada 
bleiben. Nachdem der Generalsen- Chef auf biefe Weiſe feine Anords 
nungen zum Schuge der Hauptftadt getroffen hatte, trat er den neun 
und zwanzigften December mit nur drei taufend Mann Infanterie und 
vier hundert Mann Kavallerie feine Erpebition an. Zuſammen mit 
diefen Truppen ging ein zahlreiche® Corps Freiwillige, die Blüthe ber 
andalufifchen Ritterfchaft, die gefommen war, um unter dem Banner 
bes jungen Führers Ruhm zu gewinnen. 

Er ſchlug die Route durch Guadir ein und erreichte am dritten 
Tage die alte Stadt Baza, die merkwürdig war wegen der Belagerung, 
welche fie unter feinen fiegreichen Vorfahren Ferdinand und Iſabella 
ausgehalten hatte. Dafeldft ftieß zu ihm Requefens, der außer einer 
Truppenverftärfung einen Train ſchweren Geſchuͤtzes und große Pros 
viantoorräthe mit fi brachte. Die Kanonen wurden unter einer ſtar⸗ 
fen Bedeckung nach Galera vorgeichidt. Doch erhielt Don Juan, als 
er Baza verließ, die ftaunenswerthe Nachricht, daß der Marquis von 
Los Velez fchon die Belagerung aufgegeben und feine ganze Madıt in 
bie benachbarte Stadt Guescar wegge;ogen hätte. 


— — — — — 


tacion en gobernaros desta manera, que no haciendo alguna mocedad que & 
todos nos costare caro.* Ebend., Manufke. 
Prebeott, Geſch. Philirp's li, IV. 11 


13 Gichentes Kapitel. 


In der Thet, faum war dem alten mürrifchen Chef das Gerücht 
zu Ohren gefemmen, daß Don Juan herbeieilie, um ben Krieg zu übers 
schmen, fo ſchwor er in feiner Wuth, daß er, wofern die Nachricht ſich 
betätigte, die Belagerung verlaflen und fein Kommando abgeben wellte. 
Indeſſen hielten ibn Diejenigen, welche ihn am beften fannten,, eimer 
foldyen Berrudiheit nicht fähig. Er hielt jedoch fein Wert. Als er 
naͤmlich erfuhr, daß Don Juan unterwegs fei, bad) er fein Lager ab 
und zog fich, wie bereitö gemeldet, nach Guedcar zurüd. Durch dieſes 
Benehmen legte er die benachbarte Gegend den Einfällen der Moriscos 
von Granada offen, während er audy keine Sorge trug, für die Sidger- 
beit der Sendungen, Die von Zeit zu Zeit mit Lebensmitteln beladen 
für die Belagerungsarmee famen, Maßregeln zu treffen. 

Dieſes außergewöhnliche Betragen verurfachte bei feinen Trup- 
pen feine Unzufriedenheit. Denn da biefe fchon lange des zwar feuri« 
gen, aber blödfinnigen Weſens ihres Generals überbrüfig waren, 
fahen fie e8 mit Vergnügen fommen, daß fie ſich zu ben Bahnen eine 
fo beliebten Chefs, wie es Juan von Deferreich war, zu gefellen hatten. 
Sell Don Yuan vergaß die über das unfinnige Brtragen ded Mar- 
quis gefühlte Entrüflung, weil er innerlich fehr zufrieden war, daß er 
auf diefe Weife von den Berlegenheiten, weldye die büntelhaften An- 
jprüche feines Rivals ihm während des Feldzugs unfehlbar hätten bes 
reiten müflen, befreit wurde. Don Juan founte jetzt mit guter Art 
und ohne ſich ſelbſt etwas zu vergeben, dem Veteranen alle von Phis 
lipp fo eifrig verlangten Zugeftändniffe machen. In diefer freundlichen 
Stimmung marfdirte der Prinz weiter vor und beabfichtigte, die um 
beilvollen KRonfequenzen, bie, weil der Marquis feinen Poren verlafs 
fen, erwachſen könnten, abzuwenden, 

ALS er in die Nähe von Guescar fam, fah er den alten abeligen 
Herrn mit feinen Reuten auf fich zugeritten fommen. Er fauı mit einer 
fteifen und majeftätifchen Haltung, wie Jemand, der feine Zugeftänd» 
niſſe oder Entichuldigungen zu machen hat. Als er ſich dem Prinzen 
näherte, bewies er, ohne vom Pferde abzufteigen , feinen Gehorſam, 
indem er bie ihm gnädig von dem letztern dargehaltene Hand küßte. 
„Edler Marquis,“ fagte Don Juan, „Ihre großen Thaten haben über 
Ihren Ramen Ruhm audgeftrahlt. Ich Ichäge mich glüdlih, daß ich 


Die Mebellion der Moriscos. 163 


bie Gelegenheit habe, Ihre perföntiche Bekanniſchaft zu machen. Kürch- 
en Sie nit, daß Ihre Autorität durch die meinige im Geringfien 
verkürzt werden wirb. Die unter meinem Kommando fiehenden Sol⸗ 
daten werben Ihnen fo unbebingt, wie mir ſelbſt gehorchen. Sch bitte 
Sie, mich als einen Sohn zu betradjten, ber voller Ehrfurcht für Ihre 
Tapferkeit und Erfahrung iſt und der beabfichtigt, bei jeder Gelegenheit 
Ach an Ihre Rathfchläge zu feiner Stuͤtze zu halten. **) 

Der höfliche, refpectvolle Ton ded Prinzen foheint auf die eiferne 
Ratur des Marquis feine Wirkung gehabt zu haben, denn er erwiberte: 
„Es iR fein Spanier am Reben, der ftärfer als ich wünfchte, mit dem 
audgezeichneten Bruder meined Souveraͤns perfönlic, befannt zu wer⸗ 
den oder der wahrſcheinlich einen größeren Nutzen davon haben würbe, 
wenn er unter feinem Banner diente. Aber ich fage mit meiner ge- 
wöhnlichen Offenherzigfeit, daß ich mich in mein eignes Haus zurüds 
zuziehen wünfche, denn es würde fich bei meinem hoben Alter nicht für 
mich paffen, einen untergeorbneten Poſten zu befleiden. "**) Alsdann 
begleitete er den Don Juan in die Stadt zurüd ind gab ihm, als fie 
fo ded Wegs dahin ritten, einigen Auffchluß über die Belagerung und 
die Stärfe des Platzes. Als fie das für den GeneralsensChef beftimmte 
Hauptquartier erreichten, nahın Los Belez von bein Prinzen Abſchied, 
fammefte feine Ritter und Bafallen un ſich und ritt ohne weitere Ges 
remonie unter der Escorto einer Kompagnie Reiterei fort nach feiner 
Stadt Belez Blanco, die nicht gar weit entfernt inmitten einer wilden 
Scenerie nach der Gränze von Murcia zu lag. Hier lebte er nun im 
Gebirge in einer Zurüdgezogenheit, bie ehrenhafter geweſen wäre, hätte 
er fie nicht mit einem fo offenbaren Pflichtvergehen erfauft. ***) 


”) „I que seais obedecido de toda mi gente, haciendolo yo asimismo 
como hijo vuestro, acatando vuestro valor i canas, i amparandome en todas 
deasiones de vuestros consejos.“ — Mendoza, Guerra de Granada, S. 260. 

“*) „Pues no convione a mi edad anciana haver de ser cabo de esquadra. * 
— Gbend., a. a. O. 

) Der Marquis von Los Velez wurte fräter nach Madrid beſchieden, wo er 
im Etsaterathe lange einen wichtigen Blag einzunehmen fortfuhr, ohne daß iryends 
wie tie föniglihe Gunſt gegen ihn vermintert ſchien. 

Wegen der vorhergihenden Seiten ziehe man zu Rathe: Marmol, Rebelion de 

11* 


164 Siebentes Kapitel. 


Die ganze Geſchichte iR im hohen Grade charatterifkiidy, nicht als 
kein in Bezug auf den Mann, fontern auch in Bezug auf die Zeit, im 
welcher er lebte. Wäre in unfern Tagen ein fo willfürliched, Tühnes 
Benehmen vorgefallen,, hätte den Sicyvergehenden nicht der hoͤchſte 
Rang vor Strafe ſchühen koͤnnen. Doc damals ſcheint man feine 
Unterfuchung wegen bed Betragens bed Marquis einzuleiten verfucht 
zu haben. Dieß ift um fo merhwürdiger, wenn man erwägt, daß feine 
Handlungsweile große Mißachtung gegen einen Herricher enthielt, ber 
wenig geneigt war, einen ihm bewiefenen Mangel an Ehrerbietung mit 
Milde zu behandeln. Die bei der gegenwärtigen Gelegenheit von ihm 
gezeigte Milde ift vielleicht dadurch zu erflären, nicht daß Philipp für 
ben Ruf feined Guͤnſtlings zärtlich beforgt war, fonbern daß er einſah, 
daß bie eitere Betreibung der Angelegenheit bloß dazu dienen würde, 
feinem eignen ausnehmenden Irrthume größere Publicität zu geben; 
denn Philipp hatte ja den Los Velez im Kommando erhalten, obgleich 
das Betragen befielben und die Warnungen Anderer ſchon lange für 
ihn hätten ein Beweis der Unfähigfeit fein follen. 

Nachdem der Marquis abgereift war, trat Don Juan unverzügr 
lic} feinen Marſch wieder an, mit einer Armee, die fih auf zwölftaus 
fend Mann Infanterie und achthundert Mann Kavallerie belief, den 
glänzenden Zug der Ritter, die, wie wir fahen, im Kriege ihr Glüd zu 
machen gefommen waren, gar nicht mitgegechnet. Ein Marſch von 
einigen Stunden brachte die Truppen vor Galera, wo Don Juan for 
gleich den Boden zu recognosciren anfing. Hierbei wurde er unters 
fügt von Quixada, Requefend und dem größern Theile der Kavallerie. 
Nachdem er mit diefer Arbeit zu Ende war, traf er feine Anftalten zur 
Einfhließung des Plages. 

Die Stadt Galera lag in einer höchft malerifchen Gegend. Diele 
Gegend war indeſſen gewiß nicht wegen ihrer romantiſchen Schönheit 
oder gar aus Bequemlichfeitögründen,, fondern wegen bed Schutzes, 
ben fie gegen einen Feind gewährte, gewählt worden, eine Erwägung, 


Granada, Bp.1I, €. 229 — 232, Mendoza, Guerra de Granada, ©. 257—260 ; 


Herrera, Historia General, ®b. I, &. 777, 778; Bleda, Cronica, S. 733 
und 734, 


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Die Rebellion der Noriscos. 165 


bie in einem fo wilden und kriegeriſchen Gebifgölande, wie worin Ga⸗ 


lera fland, von der größten Wichtigkeit war. Die eigenthlimliche Ges 


ftalt der von der Stadt bedeckten Anhöhe mit dem converen (gewölbten) 
Gipfel ſtellte man ſich als einer mit ihrem Kiele zu oberft liegenden 
Galeere ähnlich vor. Bon dieſer Aehnlichkeit hatte die Stadt ihren 
Ramen erhalten. *) 

Den Gipfel kroͤnte ein Schloß, welches in dem Style feiner Ar⸗ 
hiteftur offenbare Epuren des Alterthums an fich trug. Es war ges 
fhüst durch eine Mauer, von der ein großer Theil fich in einem fo 
verfallenen Zuftande befand, daß fle wenig beſſer, als ein lofe zuſam⸗ 
inengelegter Steinhaufen war. Ein paar Schritte von der Feftung 
fand ein Ravelin. Aber, weder hatte dieſes Außenwerf, nod) das 
Schoß felber, ein anderes Stüd Artillerie, als zwei dem 206 Velez 
während ber neulichen Belagerung des Platzes abgenommene Falco» 
nets, die man jebt auf dem Hauptgebäude aufgepflanzt hatte, aufzu- 
weifen. Selbft dieſe waren fo unverftändig aufgeftellt, daß fie einem 
Feinde wenig Störung verurfachten. 

Die Häufer der Einwohner lagen laͤngs der übrigen Theile des 
Gipfels und liefen einen jähen Abhang auf der nordweſtlichen Seite 


des Berges auf eine weite Ebene — Eras, oder „Gärten“ genannt — 


herab. Diefe Ebene durchſchnitt ein fehr tiefer Fluß, der, da er bie 
Baſis der Stadt auf der nördlichen Seite befpülte, eine Art Wafler- 
graben bildete und fie nach diefer Richtung hin dedte. Auf der Eeite 
nach den Gärten zu vertheidigte die Stadt ein Graben mit einer jetzt 


*) Das in dem Namen liegende Wortſpiel hatte zu viel Reiz, als daß ihm die 
tamaligen Balladendichter hätten widerfiehen koͤnnen. Siehe befontere tie Romanze 
in Hita’6 zweitem Bande, die, was gerade noch kein großes Lob ausfpricht, eine feis 
ner beften it und fich folgendermaßen anfängt: 

„Mastredages marineros 

de Huescar y otro lugar 

han armado una Galera 

que no la hay tal en la mar. 

No tiene velas, ni remos, 

y.navegar, y hace mal.“ 
Und fo gehts weiter duch mehr Stanzen hindurd, als der Lefer zu fehen Luſt Haben 
wird. — Guertas de Granada, Bd. II, S. 469. 


166 Sicebentes Aapitel 


etwas verfallenen Mauer. Den merfwürdigfien Anblick in dieſer Ge⸗ 
gend gewährte eine Kirche mit ihrem Glockengebaͤude ober Thurme, der 
jest in eine Feſtung umgewandelt worben war. Sn diefer Feftung 
Batte,man in Ermangelung der Kanonen Schießfcharten gemacht und 
fie mit Büchtenfchügen gefällt: wodurch ein Außenwerk von bedeuten 
der Etärfe, daß die Zugänge der Statt beherrfchte, entftand. 

Auf zwei Seiten lief der Helfen, worauf Galera ftand, faft fenf- 
echt nieder, bildete Die Wände einer auf ber gegenüberliegenten Seite 
von fleilen Bergen eingezäunten Schlucht und flellte auf dieſe Weiſe 
zum Schuge ber Stadt eine Art natürlichen Feſtungsgraben in einem 
riefenartigen Maßſtabe vor. Die Häufer erhoben fich übereinander auf 
einer Reihe von Terrafien, die fo fteif waren, daß in vielen Yällen das 
Dad) des einen Gebäudes den unterfien Theil des über ihn ſtehenden 
nicht erreichte. Die auf der nämlichen Terrafle ftehenden Häufer,, bie 
alſo in gleicher Linie fanden, konnten als eben fo viele Yeftungen ans 
gefchen werden. Ihre Mauern, die nach maurifcher Sitte nur ſpaͤrlich 
mit ©itterfenftern verfehen waren, enthielten Schießfcharten, welche 
den drinnen Zielenten ed ermöglichten, die Straßen, an welche die 
Häufer fließen, zu befchießen. Diefe Straßen waren ferner burdy quer 
über fie errichtete und bloß funfzig Schritte von einander liegende Bars 
rifaden geihügt.*) Auf diefe Weile ftachelte der ganze Plas von Bes 
feftigungen oder ſchien vielmehr felbft eine einzige große Beftung zu 
fein, welche die Ratur zufammen mit der Kunft uneinnehmbar zu mas 
chen gefucht hatte. 

Er war für eine Belagerung gut verproviantirt , wenigftens mit 
Getreide, wovon ed in den Magazinen auf zwei Jahre genug gab. 
Wafſer lieferte ver benachbarte Bing, zu dem man ſich einen Weg ges 
bahnt hatte durd) einen unterirdifchen Bang, weldyen man im Felfen 
ausgehöhlt hatte. Diefe Lebensbeduͤrfniſſe ftanden alfo den Moriscos 
zur Verfügung. Aber ihnen gebrach eö im Außerften Grade an Etwas, 

*, „Las tenian los Moros barresdas de cineuenta en cincuenta pasos, y 
hechos muchos traveses de una parte y de otro en las puertas y paredes de las 
casas, para herir & su salvo & log que faesen pasando.* — Marmol, Rebelion 
de Granada, ®t.1I, ©. 234. Die kefte unt bei weiten genaucfle Topographle von 
Galera gibt une tiefer Autor. 


Die Achenion der Moriecon. 4600 


das in Ihrer vage faum weniger wichtig war, nämlich am Feuerwaffen 
und Munition. Außer den beiden oben erwähnten Falconets ( Feld» 
fangen) befaßen fie feine Artillerie, und fie waren fo dürftig mit 
Slinten verfehen, daß fe fich hauptfächlich auf Pfeile, Steine und ans 
dere derartige Geſchoſſe, welche die Rüfttammern ihrer Borfahren aus⸗ 
gefüllt hatten, verlaſſen mußten. Hierher laffen ſich noch Schwerter 
und andere Waffen, die im Handgemenge gebraudht werben, rechnen. 
Defenſivwaffen befaßen fie beinahe zar nicht. Allein, fie waren von 
einem beidenmüthigen Geiſte befeelt, der mehr werth if, ald Bruſthar⸗ 
niſch oder Helm, und entſchloſſen bis auf den lebten Mann, eher zu 
flerben, als ſich zu ergeben. 

Die ſtreitbaren Männer des Platzes beliefen fich auf breitaufend, 
ganz abgefehen von vierhundert Miethötruppen, bie vorzüglich Türken 
und Abententer von der Berbereifühle waren. ferner war die Stadt 
mit etwa viertaufend Frauen und Kindern belaftet, obfchon biefe, we⸗ 
nigften® in fo weit die Frauen in Betracht kommen, in einen Platze, 
wo es nicht an Nahrımg gebricht, nicht eine Laſt genannt werben folle 
ten; denn fie bewielen ganz biefelbe Beftändigfeit und Verachtung ber 
®efahren, wie die Männer, denen fie nicht allein bei der Pflege der 
Kranken und Verwundeten, fondern auch durch die ihnen in der Schlacht 
geleifteren trefflichen Dienfte von Nutzen waren. Die Befchichte diefer 
Belagerung berichtet verfchiebene Beifpiele von biefen Morisco » Hels 
Dinnen, deren wilde Tapferkeit mit den bravſten Thaten des anderen 
Geſchlechts wetteiferte. Es darf nicht befremden, daß ein an ſich ſchon 
fo flarfer Platz, wo bie rauen von einem eben fo tapferen Muthe, 
wie die Männer , befeelt waren, allen Anftrengungen eines Feindes 
von der Art des Los Velez Trop bot, wiewohl biefer wenigſtens von 
vornherein eine an Zahl wenigftens eben fo Harfe Armee, wie ſich jeht 
unter dem Kommando bed Juan von Vefterreich davor niederließ, zur 


Stüge Srüge hatte. *) 


®) em, ©. 233 f. — Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 113, 
113. — Hite, Guerras de Granade, ®d. IL, ©. 377. fi. 

Hita theilt und mit, daß er bei ter Belagerung von Galera nicht mit anweſend 
war, aber das Tagebuch eines murcianiſchen Offiziere, Namens Tornds Peres de 
Hevia, welcher während der Belagerung diente, befaß. Hita ſpricht von ihm als 


168 Eichentes Kapitel: 


Nachdem der ſpaniſche General den Boben beflchtigt hatte, Sich 
er brei Batterien errichten, bie zu gleicher Zeit auf verfchiedene Stadt 
teile wirken follten. Die erſte und größte diefer Batterien befand aus 
zehn Stüden fchweren Gefchüges und wurde auf einer Anhöhe oͤſtlich 
von der Schludyt aufgemorfen. Obſchon fie etwas weiter entfernt war, 
als wuͤnſchenswerth fchien, lag ſie doch hoch genug, fo daß die Kanos 
nen das Schloß und bie hoͤchſten Staditheile beherrfchen konnten. 

Die zweite Batterie, beftehend aus ſechs ſchweren Kanonen, wurde 
die Schlucht weiter hinunter, fühlich, kaum über Hebenzig Schritte von 
dem fenfrechten Borfprunge bed Felſens, errichtet. Die legte Batterie, 
bie bloß aus drei Kanonen feichteren Kalibers beftand, wurbe in ben 
Gärten aufgeführt und fo angebracht, daß fie auf den Thurm, welcher, 
wie bereitö bemerft, ber Kirche hinzugefügt war, fpielen fonnte. 

Die Gefammtzahl der ben Belagerern gehörenden Artillerieſtücke 
überftieg nicht zwanzig. Aber man erwartete flündlid die Anfunft dreis 
zehn frifcher von Cartagena. Das Hauptarmeekorps lagerte hinter 
einer öftlichen Anhöhe, welche die Xeute vollig vor dem Feuer der Bes 
fagerten ſchuͤzte. Das italienische Veteranenforps, die Blüthe der Ars 
mee, war unter dem Befehle eined tapfern Offizier, Ramens Pedro 
Padilla, in den Gärten aufgeftelt. Auf biefe Weile war die Ein- 
ſchließung Galera's complett. 

Der erſte Angriff war auf den Thurm in den Gaͤrten gerichtet, 
denn von dort aus unterhielt die mauriſche Garniſon auf die Spanier, 
wenn fie mit der Conſtruction der Batterie beichäftigt waren ober in 
diefer Gegend einen Laufgraben aufwarfen, ein beläftigendes Heuer. 
Kaum waren die Kanonen auigepflanzt, fo eröffneten fie ihr Feuer, 
und zwar mit fo großem Effect, daß fie fchnell in dem fchwachen Mauer« 
werf der Feſtung eine Deffnung machten. Padilla, dem der Sturm 
übertragen wurde, führte tapfer feine Leute nach der Breiche vor, wo - 
er von den Bertheidigern mit einem Muthe, der bem feinigen gleichlam, 


einem wegen feiner militärtichen Renntnifle allbefannten Manne. Gr fagt, daß er 
fih unbetingt nach Hevia's Tagebuche, welches er wegen feiner gewiſſenhaften Wahrs 
haftigkeit lobt, gerichtet habe. Dem Urtheile einiger Kritiker zu Folge wäre ber 
murcianifche Offizier, wofern er tiefes Lob vertient, höher, als Hita felber, anzu⸗ 
ſchlagen. 


Die Acbellivn ver Noriecos. 469 


empfangen wurde. Ein heftiger Kampf entbrannte. Derfelbe wear nicht 
von langer Dauer, denn die vorderſten Angreifer wurben bald von ans 
bern verſtaͤrkt, bis fie Durch ihre Zahl die Heine Garnifon Üiberwältige 
ten; wer von biefer Dem Schwerte entging , flüchtete ſich in bie an bie 
Kirche ſtoßenden Bertheidigungswerfe der Stabt. 

Aufgeblafen über den bei ber Hinwegnahme des Thurmes, in bem 
er ein ſtarkes Korps Büchfenichüsen legte, leicht errungenen Sieg, ber 
ſchloß Don Juan jept einen regelmäßigen Sturm auf die Stadt, und 
zwar ebenfall® wieder von den ®ärten aus, weil biefe den beften Ans 
griffspunft darboten, zu unternehmen. Die Ausführung der Sadıe 
übertrug er, wie vorher, dem Juan de Pabilla und feinem italieniſchen 
Regimente. Die Kanonen wurden dann gegen ben Wall und die ans 
liegenden Gebäude gerichtet. Don Juan trieb die Belagerung fräftig 
vorwärts. Er feuerte die Soldaten durch fein eigenes Beifpiel an, in» 
dem er auf feinen Schultern Reifigbündel für die Errichtung von 
Zaufgräben trug und, mit einem Worte, bie Arbeiten eines gemeinen 
Soldaten verrichtete. *) 

Mit dem vier und zwanzigſten Januar waren in die alte Mauer 
benugbare Breſchen geichoffen worden. Als dad verabredete Signal 
gegeben wurde, rüdte Padilla mit feinen Veteranen rafch zum Angriff 
vorwärts. Sie fanden wenig Widerftand am Graben und der Mauer, 
die, ſchon nicht fürchterlich wegen ihrer Höhe, den Angreifern mehr 
fache Deffnungen darbot. Auf eben fo geringen Widerftand ftießen fie 
bei der Barnifon. Als fle aber noch nicht gar weit in bie Stabt vors 
gedrungen waren, nahmen die Dinge auf einmal eine andere Geftalt 
an. Ihrem Borrüden wurde Einhalt gethan von einer der ſchon er⸗ 
wähnten, quer über die Straße gehenden Barrifaben, hinter welcher 
beroor ein Korps Musketiere gutgezielte Salven in bie Reihen der 
Ehriften ſchickte. Zu gleicher Zeit famen aus den Schießfcharten ber 
Häufernauern unaufbörliche Schauer von Flintenkugeln, Pfeilen, 
Steinen und andern Geſchoſſen, welche die bloßgeftellten Glieder der 





9 „Para que los soldados se animasen al trabajo, iba delante de todos & 
pie, y trafs su haz acuestas como cada uno, hasta ponerlo en la trinchea.* — 
’Marmol, ‚Rebelion de Granada, ®». II, &. 237. 


170 Sichentes Repktel. 


Spanier hinwegrifſen und bald die Straßen mit den Körpern ber Bes 
töbteten und Berwamdeien bebedten. Es war vergebens, baß bie Stürs- 
menden ſich der Haͤuſer bemärhtigten und die eine Verfchanzung nach 
der andern wegnahmen. Jedes Haus war eine Feftung für fih, und 
jede folgende Barrifade gab, weil die Bobenerhebung immer fleiler 
wurbe, ihren Vertheidigern größern Vortheil, {indem fie dieſelben böher 
über den Feind erhob. Auf diefe Weiſe belagert von der Fronte, ber 
Flanke und dem Rüden, wurden bie Soldaten durch den von ihren 
unfichtbaren Feinde über fie gefchictten erbarmungslofen Sturme voll 
ſtaͤndig gebiendet und verblüfft. Indem fie in ihrer Verwirrung fidh 
aufammenbrängten, boten fie ihrem Feinde eine leichte Zielfcheibe; der⸗ 
felbe fchoß auf le aufs Geradewohl, weil er wußte, daß ein jedes Ge⸗ 
ſchoß feine Todesbotſchaft ausrichten ınußte. Die Belagerten ſchienen 
abfichtlich ihre Feinde in die Falle geledt zu haben, indem fie fie ohne 
Widerſtand in tie Stadt hereinfommen ließen, bis fie, auf allen Sei⸗ 
ten eingefchloffen, geichlahtet wurden, wie das Vieh im Schlacht⸗ 
hauſe. 

Als das Gefecht eine Stunde gedauert hatte, und Padilla ſah, 
daß die Beſten und Tapferſten um ihn fielen und er durch eine Wunde 
ſelber beinahe fampfunfähig geworben war, ertheilte er den Befehl zum 
Rüdzuge, und diefem Befehle ward mit foldyer Hurtigfeit Folge gelei- 
ftei, Daß die Spanier von ihren verwundeten Kameraden eine große 
Menge in den Straßen liegen ließen und die Bitten derjelben, daß mar 
fie nicht der Gnade ihrer Beine preiögeben folle, nicht beachteten. An 
Offizieren und Männern von Rang fam bei dem Eturme eine größere 
Menge, als gewöhnlich, um, denn ihre reichen Waffen machten fie im 
Schwarme der Angreifenden zu einer in die Augen fallenden Zielfcheibe. 
Unter andern fiel ein vornehmer Krieger, Namens Juan de Pacheco. 
&r war Ritter des Ordens von Et. Jakob. Er war bei der Armee nur 
ein paar Minuten vor dem Angriffe eingetroffen, indem er fo eben 
uͤber's Meer aus Afrika fam. Er erfuchte auf der Stelle den Padilla, 
ver fein Vetter war, um die Erlaubnig, den Ruhm dieſes Tages theis 
len zu bürfen. In der Hige des Kampfes hatte ihn fein tapferer Ders 
wanbter aus dem Belicht verloren. Seine Infignien, die verfündeten, 
daß er ein Kämpfer des Kreuzes war, machten ihn für die Moslems 


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Die Mebeliton der Neriocos. 11 


zu einem beſonderen Gegenſtande des Abſcheu's, und bald war er un⸗ 
ter einer Menge Wunden erlegen. ) 

Das Unglüd des Tages, fo ärgerlich e8 auch war, gab doch dem 
jungen General⸗en⸗Chef feine üble Lehre. Denn er fah jebt die Rothe 
wenbigfeit ein, daß er, che er ben gleichen Verſuch auf den Platz magte, 
fich erft forgfältiger vorbereiten müßte. Er erfaunte ben Werth des 
Rathes feined Bruders, daf er die Artillerie nicht ſparen und Häufig 
Minen anwenden müßte, che er dem Feindenahe auf den Leib rüdte. **) 
Er beſchloß, in dem fenfrechten Borfprunge des Felſens eine Diine in 
öflicher Richtung, Die unter das Schloß und die benachbarten Haͤuſer 
auf dem Berggipfel laufen follte, anzulegen. Hierzu verwandte er den 
Francesco de Molina, den tapfern Bertheidiger von Orgiba, welchem 
bei diefer Arbeit ein geſchickter venetianifcher Offizier beiftand. Der 
and leichtem, fprödem Sandftein beftehende Felſen leiftete fogar gerin⸗ 
geren Wiberftand, ald man erwartet hatte. Binnen Kurzem war ber 
Bang festig; man legte in ihn fünf und vierzig Faͤſſer Bulver hinein. 
Unterdeffen fuhren die Batterien mit großer Lebhaftigkeit auf die ver⸗ 
fchiedenen Stadtviertel und das Schloß zu fpielen for. Bald war in 
dem lebtern eine Brefche geöffnet und viele Häujer auf dem Gipfel bes 
Felſens über den Haufen geworfen. Am fieben und zwanzigfien Januar 
war Alles für den Sturm fertig. 

Don Juan hegte die Abficht, den Platz von entgegengeſetzten Sel- 
ten anzugreifen. Padilla, deſſen Wunde noch offen war, follte, wie 
früher, die Stadt von ben Bärten aus angreifen. “Der Hauptzwed 
dieſes Mansvers beftand barin, daß zu Bunften des Hauptangriffs, 
der auf der andern Seite bed Felſens zu machen war, eine Diverſton 
geſchaffen werben jollte. Man hoffte, daß auf diefer Seite das Sprin⸗ 
gen der Mine einen gangbaren Weg nach dem Schlofle bahnen würde. 
Dad Kommando auf dieſer Seite erhielt ein tapferer Offizier, Ramens 


*), Ebend., S. 236—238. — Hevis in Hita, Guerras de Granada, Bd. I, 
©. 386 und 387. — Vanderhaxumen, Don Juan de Austria, Fol. 113. — Fer- 
reras, Histoire d’Espagne, ®d X, ©, 140, 

”*) „Convendrä por no aventerar mas gente buena, que se haga todo lo 
que sea posible con las minas y artilleria, 4ntes de venir & las manos.“ — 
Carta dei Bey 4 Don Juan de Austria, 6 de Febrero, 1570. Manuifr. 


172 Siebentes Kapitel. 


Antonio Moreno. Don Juan nahm an der ESpitze von viertauſend 
Mann eine Poſition ein, die ihn in den Stand ſehte, den Operations⸗ 
ſchauplatz zu uͤberblicken. 

Den ſieben und zwanzigſten um ſieben Uhr morgens gab das 
Abfeuern einer Kanone das Signal, worauf Padilla mit ſeinen Vete⸗ 
ranen zum Angriff vorrüdte. Er bewirkte feinen Eintritt in die Stadt 
jest fogar mit nody geringerem Wiberftande, als früher, denn die Ka⸗ 
nonade von den Gärten hatte die von den Moslems bei der Mauer 
beſetzten Häufer meiſtens niedergefchoflen. Aber, fowie die Angreifer 
weiter vordrangen, waren fie bald wieder, wie vorher, in den langen 
und engen Gaſſen verftridt. Der hinter den quer über die Straßen 
aufgeworfenen Rebouten verſchanzte Feind ſchickte feine moͤrderiſchen 
Salven unaufhoͤrlich in die gedraͤngten Reihen ber Spanier, die, wie 
im frühern Yale, mit tödtlichen Geſchoſſen jeder Art von Seiten der 
Innehaber der Häufer überwältigt wurden. Aber, die Erfahrung hatte 
fie hierauf vorbereitet ; daher hatten fie fid) mit tragbaren Schugdächern 
verfehen, um dahinter vor dem Sturme Zuflucht zu fuchen. Wenn je 
doch die Beunruhigung unerträglich wurde, ftürmten fie wohl auch 
manchmal bie Wohnungen, und e8 gab einen blutigen Kampf, der da⸗ 
mit endete, daß die Infaflen der Häufer über die Klinge fpringen muß⸗ 
ten. Ebenſo wurde jede Barrifabe, ſowie tie Spanier vorrüdten, die 
Schaubühne eines verzweifelten Kampfes , bei welchem die Musfete 
bei Seite geworfen wurbe, da Mann gegen Mann mit Schwert und 
Dolch focht. Jetzt erhob fih das wilde Kriegsgeſchrei der Kämpfenden, 
indem die eine Partei ben St. Jago, die andere aber ten Mahomed 
anrief und alfo bewies, daß es immer noch derfelbe Krieg zwifchen 
Kreuz und Halbmond war, der über achthundert Jahre auf der Hald- 
infel gedauert hatte. *) 

Das Gefchrei der Kämpfer, das Getlirr der Waffen, das Knallen 
des Flintenfeuers aus den anliegenden Haͤuſern, der Klang der fallen⸗ 


9 „Unos llaman 4 Mahoma 
otros dicen Santiago, 
otros gritan cierra Espana, 
muera ot bando renegado.* 
Romanze in Hita, Guerras de Granada, DOd. II. 


Die Rebellion der Moriecos. 473 


den Geſchoſſe erfüllte die Luft mit eimem übernatürlicken*) Gedrohn, 
weldyes in den engen Straßen wieberballte und ſich in zahllofen Echn’a 
verlängerte, fo daß fich bie einften® fo friedliche Stadt in ein Pandaͤ⸗ 
monium verwandelte. Doch waren die Spanier, obgleich fie fich lange 
fam durch jedes Hinderniß Bahn brachen, noch weit von dem Tafel 
Lande des Gipfels entfernt, wo fie mit ihren Landöleuten non bein an⸗ 
dern Stabitheile zufammenzutreffen hofften. Im diefer Krifie erklang 
ein Donner, der jeden andern Lärm vieles wilden Getuͤmmels über» 
tönte und auf einige Augenblide ben Kampf unterbrach. 

Das war das Springen der Mine, welche Don Juan jebt, als 
er Padilla bei feinem Sturme gut vorgerüdt ſah, hatte abfeuern laſſen. 
Die fchredliche Erplofion geſchah in einem Augenblide; fie machte 
Galera bis in fein Innerſtes erbeben,, riß ben über dem Minengange 
befindlichen Theil des Belfens in Trümmer, ftürzte die Häufer auf dem 
Belfengipfel um und begrub über fechöhundert Moriscos unter ben 
Ruinen. Als fi der Rauch und der Staub ber fallenden Häuſer ver 
zog und die Spanier von unten bie elenden Ueberlebenden jo gut forts 
friecyen ſahen, als es ihnen ihre verftümmelten Gliedmaßen geftattes 
ten: erhoben fie ein wildes Triumphgeſchrei. Inbefien hatte die Mine 
nicht die Hälfte des Schabend angerichtet, den man erwartet hatte; 
denn wegen einer Berrechnung in ber Richtung derjelben war fie etwas 
rechts von dem Schloſſe gegangen, fo daß dieſes, ſowie das Ranelin 
unbeichäbigt geblieben waren. In dem erftern jedoch hatte die Artillerie 
eine fchmale Brefche geöffnet und durch die zerfplitterten Seiten bes 
Felſens felber hatte fi, was noch wichtiger war, ein Weg gebildet, 
der ziwar mit dem gefallenen Schutte beftreut war, aber doch für den 
flürmenben Theil einen benugbaren Gang in bie Stadt abgeben 
fonnte. 

Als die Soldaten den Riß fahen, forderten fie laut, daß man fie 
zum Angriffe führen follte. Außer der Begier, an den Rebellen, bie 
ihnen fo lange Trog geboten hatten, Rache zu nehmen, trieb fie bie 
Plünderungsfucht an; denn Galera war wegen feiner großen Feſtigkeit 


— — — — — 


») Im Originale ſteht: unearthly, unirdiſch, wie dieſes Wort die großen in 
England und Amerifa gefihriebenen Wörterbücher erliären. — di. 





178 Slebentes Rapiki. 


zu einem Auſbewahrungoplatz für die Juwelen, reichen Stoffe und anı- 
been wertboollen Artikel der Leute im der Umgegend gewählt worben. 
Che vie Offiziere den Angriff machten, wollten fie gern erſt Die Breſche 
msterfuchen und den Schutt binwegrämmen laflen, bamit die Truppen 
leichter Yinauffteigen fonnten. Allein, das dauerte ben wilden, ſchlecht 
bisciplinirten Truppen viel zu lange. Ohne auf die Befehle oder Vor⸗ 
ſtelungen ihrer Fuchrer zu achten, verließen fie einer nady tem andern 
ihre Reigen und fihrzten — indem fie das alte nationale Kriegsgeſchrei 
„San Jago,“ „Cierra Espaüa,“ („St. Ialob“ und „Schließ Lich zu- 
fammen, Epanien”) riefen, toll vonwärts, fprangen mit Leichtigkeit 
über die in ihren Pfade liegenden Ruinen und ftellten fi) auf dem 
Gipfel auf. Die auf diefe Weife im Stiche gelafienen Offiziere folgten 
ſchnell nach und befchloffen, den Enthuſiasmus der Soldaten fich zu 
Nutze zu machen. 

Gluͤcklicherweiſe hatten ſich die durch die Erplofion erſchreckten 
Moriscos in die Stadt geflüchtet und alſo eine Stellung, welche den 
Spaniern große Schwierigkeiten hätte bereiten koͤnnen, unvertheibigt 
gelaſſen. Doch kaum war der Ruf erfchollen, daß ber Keind die An- 
höhe erfiommen hatte, erholten fie fi von ihrem Schreden umd eilten 
zuräd, um ihre Bertheibigungäwerfe zu bemannen. Als daher die An⸗ 
greifenden in Reihe und Glied aufgetellt waren und eine Angriffsco⸗ 
lonne formirt hatten, empfing fie das gut gezielte Feuer der Feldſchlan⸗ 
gen und vie Flintenfalven vom Ravelin, fo daß fie auf eine furze Zeit 
am Borrüden aufgehalten wurden. Aber fpäter fammelten fie ſich 
wieder, drangen tapfer durch ben Feuerhagel hindurch und befanden 
ſich bald gegenüber ber Brefche, die von ihrer Artillerie im Schloffe ges 
macht worden war. Die Oeffnung, faum fo weit, daß zwei Wann 
neben einander durchgehen fonnten, wurbe von Männern, bie fo ftarf 
unb unerfchroden, wie die Angreifer, waren, vertheibigt. Es entipann 
ſich ein verzweifelten Kampf, in weldyem die Belagerten tapfer den Bos 
den behaupteten, wenngleich es einem caftilifchen Faͤhndrich gelang, 
fi einen Weg in den Platz zu erzwingen und fogar feine Standarte 
auf die Mauern*) zu pflanzen. Die Etandarte wurde aber hurtig von 


9 Im Eagliſchen ſteht battlements. Das Wort battlement, welches nach den 
Einen von battle hergeleitet und nad} den Andern nur eine andere Form für bAtiment 


Die Rebellion der Moriäzos. 173 


han Feinde abgerifien, während der von Wunden durchbohrte Kavalier 
Hals über Kopf auf den felfigen Boden binabgeflürst ward, noch fer 
bend die Stanbarte fet in Ber Kauft baltend. 

Mitsterweile unterhielten die Bertheidiger des Ravelin ein moͤr⸗ 
deriſches (plungimg) *) Musketenfener auf die Angreifer, während zu⸗ 
gleich auf die Häupter der legtern Steine, Pfeile, Wurſſpieße fo dicht 
wie Regentropfen fielen, auf die Harniſche der Kavaliere rafielten umd 
den ſchlecht verwahrten Körpern der Soldaten manche Wunde zufügten. 
Die Moriscoweiber nahmen tapfer an dem Gefechte Anthell; fie zeig. 
ten biefelbe Steichgültigkeit gegen Gefahr, wie ihre Männer und Bobs. 
ber, und wälzten ſchwerwichtige Maffen herab auf bie Reihen der Bes 
kagerer. Diefe Weiber hatten eine gewiffe mifitärtiche Organiſation, 
denn fie waren in Kompagnieen eingetheilt. Manchmal nahmen fie 
ſogar an dem Kampfe, wo Mann gegen Mann focht, Antheil und 
ſchwangen ihre Schwerter und entfalteten einen bes ſtaͤrkeren Geſchlechts 
würbigen Heldenmuth. Eine diefer Amazonen, deren Rame in ber Be⸗ 
logerung beruͤhmt wurde, fah man ihren Gegner tödten und feine Ruͤ⸗ 
ftung als Siegeöbeute forttragen. Ehe fie ihre tößtliche Wunde erhielt, 
tollen mebrere Spanier durch ihre Hand gefallen fein. **) 

Während alfo bie Beingerten, die innerhalb ihrer Bertheidigungo⸗ 
werke ſicher waren, verhältuigmäßig wenig litten, wurbe die Angriffe 
eolenne in Unordnung gebracht. Viele Führer berfelben wurden ges 


int, bedentet eigentlich die Zinne. Johnſon erflärt es: A wall raised round the 

top of a building, with embrasares, or insterstices, to look through, to aunoy 

an enemy. ©. Johnſon's großes Wörterbuch, Todd's Ausgabe, London, 1827. — 
A. d. U. 

*) Dieß Wort konnte nicht woͤrtlich gegeben werden. Johnſon ſagt: „Auf 
welche Handlung tiefes Wort immerhin bezogen werden mag, drückt es gewoͤhnlich 
entweder Gewaltſamkeit und Plöglichkeit im Subject, oder Roth im Object aus.” 
©. Johnson, English Dictionary, Todd. London, 1837. 

) Nach Hevia nicht weniger, als achtzehn. Diefe Zahl muthet jedoch ber 
Leichtgläubigfeit ver Leſer etwas zu viel au, wenn uns auch Hita für die Genauigkeit 
des Verfaſſers Bürgfchaft leiftet. — „Esta brava mora se llamaba la Zarzamodo- 
nia ers corpulenta, recia de miembros, y alcanzaba grandfisima fuerza ; 86 
averiguö que en este dia mat ella sola por su mano & diez y ocho soldados, 
no de los peores del campo.“ — Hita, Guerras de Granada, Bt. II, S. 393. 


IR Gibmtes Ruyikl. 


köbbet oder versunbet. er Aeihen wenden tun das unaufhörfidhe 
Fener aus tem Ravcdtin unk Schloſſe vrıbämmt, une wenngleich fie 
ihren tayicın Much bewahrtte, nahm ihre Exärle doch fpnrli ab. Don 
Yuan, der von feiner echabentu Peittion ans das Gelb überwacht hatte, 
fh, wie netfuuenbig es fei, feinen Tripven jechs Kompagniın von 
der Referer , denen bald noch zwei andere Rompagnien folgten, zur 
Unterfiügung zu Ichiefen. Durch Diete Unterfiügung wurbe es ihnen 
möglich, Stand zu halten. 

Unterbefien war das italienische Regiment unter Padilla weit im 
bie Stadt vorgedrungen. Fiber fie batıım ich den Weg Zoll für Zell 
ertänpien müflen, und er war ihnen theuer zu fichen gefommen. Es 
gab, hie es, feinen Offizier, der nicht verwundet geweien wäre. Bier 
Kapitän waren gefallen. Padilla, der noch nicht von feiner frühern 
Bunde geneien war, hatte jegt eine neue, noch ſchlimmere, erhalten. 
Dbichen feine Leute einen feden Muth bewieſen, waren fie doch fo hart 
mitgenommen worben , daß es Har war, baß fie ſich nie durch die in 
ihrem Wege liegenden Hinderniſſe hindurch fechten und fi, mit ihren 
Kameraden auf der Anhöhe vereinigen fonnten. Während ſich Padilla 
wenig an feine eigenen Wunden fehrte, jah er mit Kümmerniß das 
Blut feiner tapfern Leute doch auf tiefe Weife vergebens fließen. Da- 
ber gab er, wenn auch ungern, Befehl zum Rüdzuge. Diele Kom⸗ 
manbe war das Signal zu einem frifchen Hagel von Geſchoſſen von 
Seiten des Feindes. Aber, die Veteranen von Reapel, die, fowie ein 
Kamerad fiel, ihre Reiben wieder ſchloſſen, vollzogen ihren Rüdzug 
auf die nämliche faltblätige, geordnete Weife, wie fie vorgerüdt waren, 
und, wenngleidy erbärmlidy zugerichtet,, gelangten fie wieder zu ihrer 
Pofition in ven Laufgräben. 

Da nun die fiegreihen Moslems von dem Kampfe in biefer Ges 
gend frei geworben waren, eilten fie ihren Landsleuten im Schlofſe zu 
Hülfe, wo fie dazu dienten , die von den Angreifern empfangene Ver⸗ 
ftärfung aufzuwiegen. Sie fielen auf der Stelle den Ehriften in den 
Nüden, waͤhrend die Reihen der letztern in der Fronte von den freilich 
tölpelhaft bedienten Kanonen ber feindlichen Batterie beunruhigt und 
ihre Flanken durch den aus dem Ravelin herausfahrenden Musfetens 
ſchauer arg befhädigt wurden. Auf dieſe Weiſe auf allen Seiten 


Die Rebellion der Moriecos. 177 


umringt, waren fie in der That in einer gefährlichen Rage. Mehrere 
Kapitäne waren getöbtet. Alle Offiziere waren entweder tobt ober 
verwundet, und ber. enge Raum, um befien Befit fie fämpften, war 
mit den Körpern der Todten angehäuft. Doc war ihnen der Mus 


noch nicht geſunken, und der Strom ber Schlacht tobte nach einer drei⸗ 


flündigen Dauer noch immer in ohnmächtiger Wuth um die Feſtung. 
Noch immer bemühten fie fi) mit der Energie der Berzweiflung, die 
Mauern des Ravelin's zu erfleigen unb fidy durch die enge Brefche im 
Schloſſe den Weg zu erzwingen. Allein, e8 gelang den Belagerten, bie 
Deffnung mit ſchweren Stein und Baubolzmafien, welche der abneh⸗ 
menden Kraft der Angreifer trotzten, zu verfchließen. 

Nachdem eine neue Stunde verflofien war, ſah Don Juan, ber 
den Strom des Gefechtes von feinem Standpunkte aus beobachtete; 
ein, daß den Kampf verlängern bloß einen größern Ruin über feine 
Zeute bringen hieße. Demnach gab er Befehl zum Rüdzuge. Aber die 
Soldaten, die fo ſtuͤrmiſch, trotz des Verbots ihrer Offiziere, zum Ans 
griff geflürzt waren, zeigten jebt ben früheren Infuborbinationsgeift, 
als fie vom Angriffe abſtehen follten. Sie glichen dem Bullenbeißer, 
ber, weil er durch die im Kampfe erhaltenen Wunden raſend geworben 
if, trotz des Scheltens feines Herrn feinen Gegner nicht loslaſſen will. 
Indem Don Juan fah, daß feine Befehle alfo unbeachtet blieben, bes 
fchloß er, fidy in Begleitung ſeines Stabes perfönlicdy nach dem Kampf» 
plate zu begeben und durch feine Anmeienheit den Gehorſam zu er» 
zwingen. Als er aber an Ort und Stelle fam, traf feinen Kuͤraß eine 
Musketenkugel, die, obfchon fie von dem wohlgehärteten Metall abs 
ſprang, doch mit genug Kraft geflogen Fam, um ihn zu Boden zu 
fireden. Der aufmerffame, nicht weit entfernte Ouiraba fprang 
ihm zu Hülfe; allein, es erwies fi, daß er Feine Verlegung erhalten 
babe. Indeß z0g ihm fein Betragen von feinem Bormunde eine freund⸗ 
liche Zurechtweiſung zu, indem ihn berfelbe an bie Rathichläge des 
Königs erinnerte und ihn bat, ſich zu entfernen und nicht das Leben 
bed Generaldsen-Chef, das fo koſtbar fei, den Wechjelfällen eines ges 
meinen Soldaten auszufeßen, 

Die Erzählung diefed Vorfall verbreitete fih mit der gewoͤhnli⸗ 


chen Uebertreibung bald unter den Truppen, die nad) ber Entfernung 
Dreseott, Sei. Phllipp’s II. IV. 12 





178 Siebentes Kapitel. 


bes Prinzen feinem Befehle langſam und duͤſter Folge leiſteten. Alſo 
blieb zum zweiten Male das Schlachtfeld im Beſitz der Moslems, und 
noch immer wehte dad Banner des Haldmondes triumphirend von den 
Zinnen Galera's herab. *) 

Die Spanier hatten einen ſchweren Verluſt erlitten. Nach ihren 
eignen Berichten, die gewiß nicht für übertrieben werben angefchen 
werben, belief fich derfelbe auf nicht weniger, als vierbundert Tote 
und fünfhundert Verwundete. Der hinter feinen Vertheidigungswer⸗ 
fen gefchüpte Feind muß eine verhäftnigmäßig leichte Einbuße gehabt 
haben. Der Berluft traf die fpaniichen Ritter fehr hart, denn ihre 
reich ausfehende Kleidung Ienfte natürlich die Aufmerffamfeit der wohl⸗ 
eimgehbten Morisco-Schügen auf fih. Auf der Todtenlifte ſtehen die 
Kamen mandyes edlen Haufes von Andaluften wie von Eaftilien. 

Diefed zweite Unglüd feiner Waffen Argerte den Don Juan im 
Innerſten feiner Seele. Die Augen feiner Landsleute waren auf ihn 
gerichtet, und er wußte recht gut, weichen fanguinifchen Hoffnungen 
binfichtlich feines Feldzuges fie fi) hingegeben hatten, und daß fie ihn 
für das Gluͤck deſſelben verantwortlicdy halten würben. Sein Herz war 
vol Trauer über den Berluft feiner tapfern Waffengefährten. Doch 
ließ er feine unmännlichen Klagen laut werben, aber er zeigte feine 
Gefühle auf eine andere Welfe, die feinem Herzen wenig zur Ehre ges 
reichte. Indem er ſich zu feinen Offizieren wandte, rief er aus: „Die 
Ungläubigen follen für das Ehriftenblut, welches fie heute vergoffen 
haben, theuer büßen. Der nächfte Sturm wird und Galera in bie 
Hände liefern ; dann ſoll jede lebendige Seele innerhalb feiner Mauern 


— Männer, Frauen und Kinder — über die Klinge fpringen. Nicht 


ein einziges Wefen foll gefchont bleiben. Die Häufer follen der Erbe 
gleich gemacht, und der Grund, worauf fle ftanden,, mit Salz beftreut 
werden. ass) Dieſe unmenſchliche Sprache nahm man allgemein 


> Siehe die Beſchreibung dieſes zweiten Sturmes in: Mendoza, Guerra de 
Granada, S. 264 und 269; — Marmol, Rebelion de Granada, ®b. II, S. 240 
—343; — Vanderhammen, Don Juan de Austria Fol. 113 und 114; — 
Hevia bei Hita, Guerras de Granada, ®d. I, &. 389 ff.; — Cabrera, Filipe 
Segundo, &. 629 und 630. 

“), „Yo bundird & Galera, y la asolare, y sembrar6 toda de sal; y por el 
riguroso filo dela espada pasardn chicos y grandes, quantos estän dentro, por 





Die Rebellion der Roriscos. 179 


mit Beifallsbezeugungen auf. Wie bie Folge zeigt, blieb fle keine leere 
Drohung. 

Das Refultat feiner Operationen zeigte dem Don Juan bie Klug⸗ 
beit des Rathſchlags feined Bruders, ber ihm anempfahl, feine Batie⸗ 
rien und Minen nüßlich zu verwenden, che er dem Feinde auf den Leib 
rüdte. Im einem etwas nad) dieſer Riederlage gefchriebenen Briefe des 
rührte Phllipp den niebrigen Stand ber Discipfin im Lager und em 
mahnte feinen Bruder, ver Moralität der Soldaten eine größere Auf⸗ 
merkfamfeit zu fchenfen. Beſonders follte er Profanation und andere 
Berftöße gegen die Religion verhüten, damit er fi) dadurch ber Gnade 
des Allmächtigen verfichere.*) Don Juan hatte dem Philipp ange 
bentet, daß es in manchen Faͤllen zur Ermuthigung feiner Leute noth⸗ 
wendig fein möchte, fie pertönlich ‚zum Angriffe zu führen. Aber ver 
König tabelte tiefen Muth eined fahrenden Ritters als des Oberbefehl6» 
babers nicht würbig und fchärfte feinem Bruder ein, daß fein Platz in 
der Arrieregarde fei, daß er dort von Rupen fein fönne, wenn er den 
Eifer der Saumfeligen beliebte, und daß ferner diejenigen, melche hur⸗ 
tig ind Gefecht gingen, nicht nöthig hätten, durch feine Anweſenheit 
ermuthigt zu werben. **) 

Don Juan traf unverzüglich Vorbereitungen für einen dritten und 
legten Sturm. Er ließ im Felſen zwei neue Minen zu beiden Seiten 
der frühern und von ihr ohngefaͤhr breißig Schritte weit entfernt, anlegen. 
Während dad vor fi) ging, befahl er, daß bie ganze Artillerie ohne 
Unterbrechung auf die Stadt und das Schloß fpielen follte. Zur naͤm⸗ 


castigo de su pertinacia, y en venganza de la sangre que han derramado.* — 
Marmol, Rebelion de Granada, ®». II, ©. 244. 

) „No puedo yo dejar de encargaros que le tengais muy grande de que 
dl no sea deservido en ese campo, ni haya las maldades y desördenes que 
decis, que siendo tales no pueden hacer casa buena, y as lo procurad, y que 
no haya juramentos niotras ofensas de Dios, que con esto nos ayudark y 
todo se hars bien.“ — Carta delRey AD. Juan de Austria, 6 de Febrero, 1570, 
Manuifript. 

D „Yconesagente, segun lo que decis, mas importar6 estar destras del- 
los deteniendolos y castigändolos que no delante, pues para los que lo estän y 
hacen lo que deben no es menester.* — ben. 


12* 





180 Siebenses Kapitel. 


lichen Zeit wurbe-fein Geſchuͤtz ⸗ Train durch die Ankunft von vierzehn 
neuen Stüden jchweren Kaliberd von Cartagena verftärft. 

Die Belagerten betrieben mit nicht geringerem Eifer die Vorbe⸗ 
reitungen für bie Bertheidigung. Die rauen und Kinder arbeiteten 
angeftrengt zufammen mit den Männern an der Ausbeſſerung ber in 
ben Werfen gemachten Beichädigungen. Die Breichen wurden mit 
ſchweren Steinen und Bauſtaͤmmen geſchloſſen. Die alten Barrifaden 
wurden verftärft und neue über die Straße aufgeworfen. Die Magar 
zine wurben mit neuen Stein» und Pfellvorräthen angefüllt. “Die 
lange Uebung hatte das erftere Gefchoß in den Händen ber Moriscos 
zu einer fürdhterlicheren Waffe, als fie ed gewöhnlich ift, gemacht. Sie 
beſaßen Wafler im Ueberfluß und waren, wie wir gefehen haben, auf 
eine längere Belagerung verproviantirt, als biefe allem Anfcheine nad 
zu bauern verſprach. Aber, in einem Punkte, und zwar einem Punkte 
von der höchften Bedeutung, litten fie in hohem Grabe Abbruch. Sie 
batten beinahe ihr ganzes Pulver verbraucht. Sie fuchten von Aben- 
Aboo Munitionsvorräthe, fowie eine Verflärfung an Mannichaft zu 
erhalten. Allein, ber MoriscosFürft hatte gerade vollauf damit zu thun, 
baß er im Weſten gegen den Herzog von Sefa Stand hielt. Sein Ge⸗ 
neral El Habaqui, welcher die öftliche Armee befehligte, ermuthigte bie 
Leute von Galera, daß fie ftandhaft bleiben möchten, und gab die Ber 
ficherung, daß er binnen Kurzem ihnen zu Hülfe fommen werde. Aber 
für die Belagerten war bie Zeit foftbar. *). 

Die türkifchen Hülfstruppen unter ber Garnifon zweifelten fehr 
daran, daß man ſich behaupten könne mit feiner befiem Munition, 
ald Steinen und Pfeilen gegen bie gut bediente Artillerie der Spanier. 


9 Es iſt fonderbar, daß uns fein Gefchichtichreiber ten Namen bes in Galera 
fommandirenden maurifchen Befehlshabers mittheilt. ine damalige Romanze nennt 
ihn Abenhozmin. 

„Marinero que la rige 
Sarracino es natural, 
eriado acä en nuestra Espana 
por su mal y nuestro mal: 
Abenhozmin ha por nombre, 
y es hombre de gran candal.* 
Hita, Guerras de Granada, ®b. I, S. 470. 


Die Rebellion der Moriscos. 181 


Daher fchlugen ihre Führer in einem Kriegsrathe vor, daß die Trup- 
pen außfallen und fid, mit bem Schwerte den Weg durch die Linien 
der Belagerer bahnen follten, während die Frauen und Kinder durch ben 
nach dem Fluſſe führenden unterixbifchen Gang, deſſen Eriftenz den Chri⸗ 
ften unbefannt geweſen fein ſoll, hinauskommen könnten. Die türfis 
ſchen Soldaten, welche bloß Abenteurer waren, befaßen feine Lokalan⸗ 
haͤnglichkeit und fein patriotifched Gefühl, das fle an den Grund und 
Boden gefeflelt hätte. Als aber ihr Borfchlag den Einwohnern vorges 
legt wurde, behandelten ihn alle, die Weiber fowohl, wie die Männer, 
mit Berachtung und bewielen ihre Entfchloffenheit, daß ſie hie Stabt 
bi8 auf den letzten Mann vertheidigen und eher unter ihren Ruinen 
umfommen, als fid) ergeben wollten. 

Weil die Belagerten noch die Hoffnumg auf Hülfe aufrecht erhielt, 
thaten fie alle Mögliche, um den Tag bed Sturmes fern zu halten. 
Freilich verfuchten fle nicht, Gegenminen anzulegen, denn, hätten fle 
auch hierzu die nöthige Kenntniß befeflen, hatten fle doch weder Werks 
zeuge, noch Pulver. Aber fie hatten Ausfälle gegen die Minirenden 
gemacht, und wenn fie audy ſtets mit Verluft zurüdgefchlagen wurden, 
beftrebten fie fich doch, das Lager der Belagernden in fortwährendem 
Alarınzuftande zu halten. 

Am fechöten Februar meldeten bie Ingenieurd, welche mit ben 
Minen beauftragt waren, baß die Arbeit fertig fel. Fuͤr den nächften 
Morgen wurde der Sturm angelagt. Der Tagesbefehl ſchrieb vor, daß 
um ſechs Uhr Morgens eine allgemeine Kanonade auf die Stadt eroͤff⸗ 
net werden follte. Sie follte eine Stunde anhalten, dann follten bie 
Minen fpringen. Hernady follte die Artillerie nochmals eine Stunde 
fpielen, worauf das Signal für den Angriff gegeben werden follte. 
Das Signal beftand darin, daß eine jede Batterie eine Kanone abs 
feuerte und darauf alle zu gleicher Zeit feuerten. Der Tageöbefehl ges 
bot den Truppen, daß fie den Männern, Weibern und Kindern feis 
nen Pardon geben follten. 

Den fiebenten Februar, den leßten Tag bed Carnevals, flanden 
die Belagerer beim früheften Tagesichimmer unter Waffen. Ihr jun« 
ger Befehlshaber lenkte durch die Pracht feiner Geftalt und feiner Aus⸗ 
rüftung jedes Auge auf fih. Er war vom Scheitel bis zur Zche ges 


182 Siebentes Kapitel. 


waffnet und trug eine Ruͤſtung aus polirtem Stahl, die reich mit Gold 
Audgelegt war. Seinen von glänzenden Federn beicyatteten Helm zierte 
ein Medaillon mit dem Bildniffe der Jungfrau.) Er hielt in ber 
Hand ven Befehldhaberftab, und als er Die Reiben durchritt, um einige 
Worte der Ermuthigung zu den Soldaten zu fprechen, erinnerten fein 
vollflommenes Reiten, feine fürftliche Haltung und die Höflichkeit ſei⸗ 
ner Sitten die Beteranen an die glüdlicheren Tage feines Vaters, des 
Kaiſers. Die Kavaliere, welche ihn umgaben, weiteiferten mit ihrem 
Chef durch die Pracht ihrer Rüftungen, und der murcianifche Geſchicht⸗ 
fhreiber, welcher an jemeın Tage anweſend war, verweilt mit Wohl 
gefallen bei dem fchönen Aufzuge der zum legten Sturme gegen Galera 
verfammelten füdlichen Ritterfchaft. **) 

Bon ſechs bis fieben Uhr wurde von dem ganzen Batterienkreife 
aus auf die zum Opfer auderforne Stadt eine wüthende Kanonade 
unterhalten. Dann fam der Befehl, die Deinen abzufeuern. Da ver 
ftummte auf einmal der betäubende Donner des ſchweren Geichüges zu 
tobesähnlicher Stille, während jeder Soldat In den Laufgräben mit 
neroöfer Spannung auf die Erplofton wartete. Endlich erfolgte fie. 
Sie ftürzte Häufer um, fchüttelte ein Stuͤck vom Schloffe nieder, riß 
bie Brefche in dem fenfrechten Vorſprunge bed Felſens weiter umb 
fchleuderte die Trümmer mit der Gewalt eines Vulkans umber. Indeß 
ging bloß eine Mine los. Die andere, weldye bald darauf nachfolgte, 
richtete zwar nicht fo viel Schaden an, feßte aber die Garniſon, bie 
das abermalige Losgehen einer britten befürchtete, in fo große Betrof⸗ 
fenheit, daß die Soldaten ihre Werke im Stiche ließen und in der Stadt 
Zuflucht fuchten. 

ALS fi der Rauch und Staub verzogen hatte, wurde ein Offizier 
mit einigen Soldaten ausgefchidt, um bie Brefche zu recognosciren. 
Diefe kehrten bald mit der Nachricht zurüd, daß die Garniſon geflohen 


*) „Relumbrante y fortisimo morrion adornado de un penacho bello y 
elegante, sentado sobre una rica medalla de la imagen de nuestra Senora de 
la Concepcion.“ — Hevia, bei Hita, Guerras de Granada, Bd. II, ©. 429, 

æ) „Igualmentese arreö lo mejor que pudo toda la caballerfa, y era cosa 
digna de ver la elegancia y hermosura de un ejercito tan lucido y gallardo.* — 
Ebend., a. a. O. 


Die Rebellion der Moriscos. 183 


fei und die Werke völlig unvertheidigt gelaflen habe. Als die Truppen 
das vernahmen, riefen fie mit würhendem Geſchrei, baß fie auf ber 
Stelle zum Sturme geführt werden wollten. Es war vergebens, baß 
die Offiziere dagegen ſprachen und ihren Einwendungen in manchen 
Faͤllen durch Hiebe mit der flachen Saͤbelllinge Nachdruck gaben. Das 
Blut der Soldaten kochte, und wie ein ungezügelter Pöbelhaufe ſpran⸗ 
gen fie aus ihren Laufgräben in wilder Unorbnung, wie früher, heraus, 
riſſen ihre Offiziere mit füch fort, erflommen fchnell den gefährlichen 
Berg und befegten die Höhen ohne Widerſtand von Seiten des Feindes. 
Nachdem fie über die den Boden bedeckenden Trümmer binweggeftärmt 
waren, machten fie fi fchleunig zu Herren ter im Stiche gelaflenen 
Feſtung und ihrer Außenwerfe, indem fie die Luft mit Siegeögefchrei 
erfüllten. 

ALS die Geflüchteten den Feind die von ihnen verlafiene Bofltion 
beſetzen ſahen, erkannten fie ihren Serthum. Es waren feine Minen 
mehr zu befürchten, In der Abficht, ihren Irrthum wieder gut zu ma⸗ 
hen, fürmten fie wie Ein Mann zurüd (they rushed back, ae by a 
common impulse), um den Spaniern den Beſitz des Bodens fireitig 
zu machen. Es war zu fpät. Die Kanonen ihrer eignen Batterie was 
zen gegen fie gerichtet. Die hinter dem Ravelin fiehenden Büchſen⸗ 
ſchuͤtzen regneten auf ihre Häupter Gefchofle hernieber, die fürdhterlicher, 
als Steine und Bfeile, waren. Doch die Moriscos obſchon fie bei⸗ 
nahe ihr ganzes Pulver verbraucht hatten, fonnten noch mit Schwert 
und Dolch Krieg machen, weßhalb fie kühn heranfamen und ſich mit 
ihrem Feinde in ein Handgemenge einließen. Das war ein töbtlidyer 
Streit, der, wie jeder nahe, perfönliche Kampf, die grimmigften Leiden⸗ 
fchaften der Kämpfer wach rief. Kein Pardon warb gegeben, feiner 
verlangt. Den Spanier befeelte das Siegeövertraum, ben Morisco 
die Energie der Berzweiflung. Beide fochten wie Männer, die wuß⸗ 
ten, daß von dem Ausgange dieſes Kampfes das Geſchick Galera's 
abhing. Wiederum überfchallten die Kriegärufe der beiden Religionen 
das Getöfe der Schlacht, inden ber eine Theil feinen militäriichen 
Apoftel, der andere den Mahomed anriefe Das war dad nämlide 
Kriegögefchrei, welches mehr, als acht Jahrhunderte hindurch, im ums 
glüdlihen Spanien durch Berg und Thal erfhallt war. Dießmal 


- 





184 GSiebentes Kapitel. 


waren es feine Schlußnoten,, da es bald fchon mit dem Erile ober ber 
Berbannung der überwundenen Ration erfterben follte. 

Der Kampf wurde endlich entfchieden durch das Erfcheinen eines 
frifigen Truppenkorps unter Padilla auf dem Schlachtfelde. Dieſer 
Befehlshaber hatte die Stadt von berfelben Richtung aus, wie früher, 
angegriffen, und überall war er auf denſelben Widerſtandsgeiſt getrof⸗ 
fen. Allein, die Mittel eines fiegreichen Widerſtandes waren ver 
ſchwunden. Biele Häufer an den Straßen waren durch das Feuer der 
Artillerie in Trümmer verwandelt worben ; diejenigen aber, welche noch 
fanden, waren von Männerg , die feine beifern Waffen, als Steine 
und Pfeile beſaßen, vertheidigt. Sie wurben meiſtens — eines nad 
dem andern — von ben Spaniern erflürmt und in Brand geftedt, und 
bie darinnen befindlichen Vertheidiger famen durch dad Schwert ober 
die Flammen um. 

Richt befier erging es den Vertheidigern der Barrifaden. Arg bes 
läftigt durch die Gewehrſalven der Chriften,, unter welchen ihre eignen 
schen Gefchoffe verhältnißmäßig geringen Schaden thaten, wurden fie 
von der einen Pofltion nach der andern vertrieben. Sowie die eine 
Reboute nad) der andern weggenommen wurbe, erhoben die Sieger ein 
Triumpbgeichrei, welches ihren Landsleuten auf dem Gipfel angenehm 
in die Ohren fchallte, und als Padilla mit feinen Veteranen auf ben 
Kampfplatz hereindrang, war hierdurch das Geſchick des Tage ent» 
ſchieden. 

Es gab noch eine Abtheilung Tuͤrken, die, weil ihre Munition 
nicht verſchoſſen war, noch einen verzweifelten Kampf mit einem Korps 
ſpaniſcher Infanterie, wobei die letzteren ſelbſt bis an den Rand des 
Abgrundes getrieben wurden, unterhielten. Allein, beim Erſcheinen 
ihrer Freunde unter Padilla faßten die Spanier neuen Muth. Die ſo⸗ 
wohl durch die Ueberlegenheit ver Zahl wie die der Waffen uͤberwaͤl⸗ 
tigten Türken und Moriscos wichen jegt auf allen Punkten. Einige 
Hächteten die langen Alleen hinab, die von dem Gipfel des Felſens 
binuntergingen. Sie wurben von den Spaniern heiß verfolgt. Andere 
warfen ſich in bie Häufer und bereiteten fich auf die lepte Vertheidigung 
vor. Die Spanier Fletterten mit Händen und Füßen längs ber Terafs 
fen bin und ließen fich von einer Fläche auf die andere vermittelft der 


Die Rebellion der Moriscos. 185 


Hierzu gebrauchten maurifchen Leitern hinab. Nachdem fie in die hoͤl⸗ 
zernen Dächer der Wohnungen Deffnungen gehauen hatten, fchoffen fie 
durch biefelben auf die im Haufe Befinplicdhen. Die vertheidigungslo- 
fen Moriscos, welche durch die fchonungslofen Gewehrſalven heraus, 
getrieben wurben, fuchten Zuflucht auf der Straße. Aber bie grimmis 
gen Jäger warteten bort fihon auf ihr bedauernswerthes Wildpret, um 
es ohne Erbarmen niederzufchießen: — Männer, Frauen, Kinder — 
Riemand blieb verfchont. Doch fielen fie nicht ungerochen ; denn man 
fonnte auf dem blutigen Pflaſter den Leichnam manches Spanierd am 
der Seite feines moslemitiſchen Feindes hingeftredt liegen fehen. 


Verſchiedene Fälle find uns berichtet, die den verzweifelten Muth 
zeigen, zu dem die Frauen fomohl, wie die Männer in ihrer Außerften 
Noth getrieben wurden. Ein Morisco- Mädchen, deſſen Vater beim 
erften Sturme in den Gärten umgefommen war, fol ihre Wohnung 
in Brand geftedt, ihre beiden Kleinen Brüderchen mit ber einen 
Hand fortgefchleppt, mit der andern Hand den Säbel geſchwungen 
und fo fi auf den Feind, von dem fie aldbald in Stüde gehauen 
wurde, geftürzt haben, Ein anderer Fall wird von einem Manne ers 
zählt, der fein Weib und feine beiden Töchter tödtete, herausftürzte 
und dabei ausrief: „Es ift Nichts mehr zu verlieren; laßt und zus 
fammen fterben!" Co fagend, warf er fich wie toll in den dichteften 
Haufen der Beinde.*) Einige fielen durch ihre eigenen Waffen, Ans 
dere durch die ihrer Freunde, weil fie ihren Tod eher von Jedermann, 
nur nicht durch die Hand der Spanier finden wollten. 


Etwa zweitaufend Moriscos waren nicht weit vom Thore, wo 
ein ſtarkes caftiliihes Infanterieforpd den Weg verfperrt hatte, auf 
einem öffentlichen Plage zufammengebrängt. Gern hätten die von Ans 
firengung und Blutverluft erfchöpften, munitions⸗ und waffenlofen 
Fluͤchtigen, die hoͤchſtens fehr abgenupte oder für den Dienft untaug⸗ 
liche Waffen befaßen,, mit ihren in fchwarzen Schaaren fie jetzt eng 
umfchließenden Berfolgern irgend welche Bedingungen gemacht. Aber, 





— — 


Dieſe Anekdoten liefert Hevia in Hita, Guerras de Granada, Be. II, 
©. 449 481. 


186 EGiebenies Kapitel. 


ber fi) dem Hunde migegenfehende Hirkeh*) konnte cher mit feinen 
Fägern oder den grimmigen Hunden, die ihm ſchon auf ben Hüften 
figen, fid) abfinden. Auf ihre Bitten fam als Antwert eine Gewehr, 
falve nach der andern, bis fein einziger Mann mehr am Leben war. 

Ueber vierbundert Frauen und Kinder hatten ſich außerhalb ber 
Mauern zufammengeichaart, und die Soldaten, bie wußten, wie viel 
eine folche Beute werth war, hätten gern ihr Leben verfchont. Das 
bemerkte Don Juan. Kaum hatte er bei den Soldaten Symptome 
ber Milde wahrgenommen, fo tabelte fie der unmenfchliche Führer we⸗ 
gen ihrer Saumfeligfeit und erinnerte fie finfter an den Tagesbefehl. 
Er ſchickte fogar von feiner Garde Hellebardirer und die Kavaliere aus 
feiner Umgebung, daß fie den Soldaten bei der Verrichtung der blutis 
gen Arbeit helfen follten. Unterbeflen faß er als ruhiger Zufchauer auf 
feinem Pferde fo unbeweglich, wie eine Marmorftatue, und war, wie 
diefe, fo unempfindlich bei dem Tobeögefchrei feiner Opfer und ihren 
berzbrechenden Bitten um Gnade. **) 

Während dieß außerhalb der Stabt geichah, war die Todesarbeit 
innerhalb berfelben nicht weniger rührig. Jeder freie oder umſchloſſene 
Pla, welcher den Blüchtigen eine Zeit lang Zufludyt gewährt hatte, 
war mit ben Körpern der Getödteten angehäuft. Das Blut floß in 
ben Rinnfteinen wie dad Wafler nach einem flarfen Regengufle. 
Manche Wohnungen wurden von den Siegern und mandje von ben 
Hausgenofien, die ſich lieber rafend in die Flammen flürzten, al8 daß 
fie den Spaniern in die Hände fielen, in Brand geftedt. Der wach⸗ 
jende Echatten des Abends — denn der Kampf hatte beinahe neun 
Stunden gedauert ***) — verſchwand vor ber Helligkeit bed Brandes, 


*) The stag at bay. — To stand at bay ift ein Jagdausdruck und wird von 
einem dem Hunde ſich entgegenſetzenden Hiriche gelagt. S. Ehbers engliſches Woͤr⸗ 
terbuch, welches trotzdem, daß es 1793 (zu Leipzig bei 3. &. 3. Breitkopf) bereits 
erfchien, noch fehr vielen Werth bat. 

*) „Los quales mataron mas de quatrocientas mugeres y niNos... . 7 
ansi hizo mater muchos en su presencia & los alabarderos de zu guardia. — 
Marmol, Rebelion de Granada, ®». I, ©. 248. 

 r, „Dur6 el combate, despues de entrado el lugar, desde las ocho de la 
manana hasta las cinco de la tarde.* — Hevia in Hita, Guerras de Granada, 
Bd. Ho, ©. 448, 


Die Rebellion der Moriscos. 187 


ber viele Stunden weit feinen unglüdverkündenden Schein über da® 
Bam bin warf und dadurch weit und breit den Kal Galera's ver⸗ 
kuͤndete. 

Endlich ließ ſich Don Juan ſo weit von ſeinem urſprünglichen 
Vorſatze abbringen, daß er erlaubte, daß die Frauen und die Kinder 
unter zwölf Jahren geſchont würden. Das that er nicht aus ſchmerz⸗ 
licher Reue, fondern aus Rachgiebigkeit gegen das Murren feiner 
Leute, bie, weil ihnen ihre gewohnte Beute weggeichnappt wurde, *) 
ihre Unzufriedenheit auf eine Weife, die aller Beachtung werth war, 
an den Tag legten. Gegen funfzehnhundert Frauen und Kinder follen 
in ‚Folge defien dem allgeineinen Geſchick ihrer Landsleute entgangen 
fein.**) Alle Uebrigen, die Soldaten und Bürger, die Türfen, Afri⸗ 
faner und Moriscos, wurden erbarmungslos niedergemegelt. Wenn 
wir den Spaniern felbft glauben dürfen, Fam nicht ein einziger Mann 
. mit dem Leben davon! Selbſt in jenem blutigen Zeitalter würde es 
nicht leicht fein, zu biefem im Großen und ohne Unterfchied angerich- 
teten Blutbade ein Seitenftüd aufzufinden. 

Doc, um und bed Ausbruds des caftilifcdyen Sprichworts zu 
bedienen: „Wenn Afrika Urfache zu weinen hatte, hatte Spanien ges 
ringen Grund, fi zu freuen.”***) Während des ganzen Krieges 
wurde fein Sieg fo theuer erfauft, wie die Wegnahme von Galera. 
Der Berluft traf die Offiziere und Vornehmen eben fo ftarf, wie bie 
Gemeinen. Wir fahen, mit wie großem Eifer fie fi) um die Stanbarte 


9 „Y no parsran hasta acabarlas ü todas, si las quejas de los soldados, 
& quien se quitaba el premio de la vitoria, no lemovieran ; mas esto fue quando 
se entendio que la villa estaba ya por nosotros, y no quiso que se perdonase & 
varon quo pasase de doce anos.“ — Marmol, Bebelion de Granada, Bd. N, 
©. 248. 

”) „Se cautiveron haste otras mil y quinientas personas de mugeres y 
ninos, porque & hombre ninguno se tom6 con vida, habiendo muerto todos sin 
quedar uno en este dia, y en los asaltas paaados.* — Hevia bei Hita, Guerras 
de Granada, Br. II, ©. 448, 

Während Marmol zugibt, daß kein Mann verſchont wurde, Ichlägt er bie Zahl 
ber geretteten Frauen und Kinter dreimal fo hoch an, wie wir fie im Terte gegeben 
haben. . 
*®), „Si Africa llora, Espaüa no rie.“ 











188 Siebentes Kapitel. 


Don Juan's von Defterreich gefchaart hatten. Mit dem nämlichen 
Eifer fuchten fie fich unter den Augen ihres jungen Führers auszu⸗ 
zeichnen. Man konnte ficher fein, daß man die fpanifche Ritterfchaft 
auf dem Boften der Gefahr fand. Freilich büßten fie hart für dieſen 
Vorrang, und manches edle Haus Spaniens vergoß bittere Thränen, 
als die Rachricht von der Einnahme Galera’d anlangte. *) 

Don Juan, fagt der Gefchichtfchreiber, war bei dem Gedanken an 
den bittern Verluft, den er durch den hartnädigen Widerftand der Ketzer 
erlitten hatte, **) fo aufgebracht, daß er befchloß, auf der Stelle feine 
Drohung auszuführen und die Stadt zu zerftören, fo baß nit ein 
Stein auf dem andern bleiben ſollte. Demgemäß wurbe jeded Haus 
niedergebrannt oder dein Boden gleichgemacht, der dann als ein vers 
fluchter Ort, auf welchen Niemand mehr bauen follte, mit Salz befäet 
wurde. Zu diefem Effekt erichien bald darauf ein fönigfiched Defret. 
Daher denn bad Dorf mit zerftreut liegenden Häufern, welches, ohne ° 
durch eine Mauer gefchüßt zu fein, noch um die Baſis des Berges fich 
anfammelt, ***) jegt noch Alles ift, was ben Reifenden an die einft 
blühende und ſtark befeftigte Stadt Galera zu erinnern vermag. 

Bei dem Zerftören des Plate wurde Don Juan durch ein 
wüthendes Braupelns und Regenmetter, welches den naͤchſten Tag nad 
ber Einnahme eintrat, aufgehalten. Das war in diefer Jahreszeit 
nichts Ungewoͤhnliches. Wäre es etwas früher gefommen, fo würben 
ohne Zweifel die Bergfiröme das Lager der Belagernden abgebrochen 
und fie zur Suspendirung der Operationen gezwungen haben. Daß 


”) Eiche die Beichreibung tes legten Sturmes, die von ben verfchiedenen 
Shhriftftelleen mit ziemlicher Abweihung in den Ginzelnheiten gegeben wird, in 
Marmol, Rebelion de Grahada, Bv. II, S.244—249; — Mendoza, Guerra de 
Granada, ©. 266—268; — Vanderhammen, Don Juan de Austria, ®b. 114 
und 415; — Hevia in Hita, Guerras de Granada, Br. I, ©. 429 ff.; — 
Cabrera, Filipe Segundo, ©. 630 ‘und 631; — Bleda, Cronica, &. 734; — 
Ferreras, Hist. d’Espagne, Bd. X, ©. 143—144. 

*“) „Tanto le crecia la ira, pensando en el dano que aquellos hereges 
habian hecho.*“ — Marmol, Rebelion de Granada, Br. II, ©. 248. 

**+) Toclusterift eigentlich: fi in Büfcheln anhäufen, traubenartig wachſen. 
„To grow in clusters, to gather or unite in a bunch or bunches.* S. Bong, 
Imperial Lexicon of the English Language. 


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— — ui -n RI a | 4 En m" ww 7 — 1) 


Die Rebellion der Moriscos. 189 


das Unwetter fo lange auf fi) warten ließ, warb von ben Spaniern 
als ein fpezielled Eingreifen des Himmels angefehen. 

Die den Siegern in die Hände fallende Beute war groß; denn 
die Bewohner der Umgegend hatten Galera wegen feiner großen Feſtig⸗ 
feit zum fichern Aufbemahrungsorte ihrer Habfeligfeiten, namentlich 
ber foftbareren Schäpe an Gold, Perlen, Juwelen und koͤſtlichen Stofs 
fen, auserwählt. Außer diefen Schägen war eine große Quantität 
Weizen, Gerfte und anderes ®etreide, daß der Armee gerade zu Stats 
ten kam, in den Magazinen aufgefpeichert. 

Sobald Don Juan Herr von Galera war, fandte er feinem Bru⸗ 
der die Siegesnachricht. Der König verrichtete gerade feine Andacht 
am Schreine Unferer Lieben Frauen von Guadelupe. Die Botfchaft 
wurde vom Hofe mit Jubel, von Philipp jedoch mit jener unempfind« 
lichen Haltung, womit er gewöhnlich die Nachrichten des Sieges ober 
bed Unglüds feiner Waffen empfing, aufgenommen. Er wollte fein 
öffentliches Freudenfeſt irgend einer Art erlauben. Die einzige Weiſe, 
in der er feine Befriedigung fund gab, beftand darin, daß er Gott und 
ber Heiligen Jungfrau — „welchen,“ wie der Gefchichtichreiber fagt, 
„nach feiner Meinung die Sache, weil bei ihr mehr Ruhm aus dem 
Frieden, ald aus blutigem Siege zu erlangen fei, beſonders anheimges 
ftellt werden müßte,“ — feinen Danf darbrachte.“) Wenn er wirklich 
fo menfchliche und vernünftige Anfichten hegte, ift e8 nur zu verwuns 
dern, daß er diefelben nicht feinem Bruder mittheilte und auf biefe 
Weiſe Das gräuliche Blutbad feiner MoriscosBafallen zu Galera vers 
hinderte. 

Mit wie empoͤrenden Gefühlen wir aber auch dieſes Blutbad an» 
fehn mögen, fcheint e& doch auf dem Namen Don Juan's bei feis 
nen Landsleuten feinen Flecken Hinterlaflen zu haben. Wenn wir auf 
diefen Feldzug einen Rüdblid werfen, können wir und nie zu oft ind 
Gedaͤchtniß zurüdtufen, daß derſelbe weniger als ein Krieg mit rebelli- 
ſchen Bafallen, denn als ein Krieg gegen die Feinde bed Glaubens 


*) „Solo dar gracias & Dios y & la gloriosa virgen Maria, encomendan- 
doles el Catholico Rey aquel negocio, por ser de calidad, que deseaba mas 
gloria de Ja concordia 3 paz, que de la vitoria sangrienta.“ — Marmol, Re- 
belion de Granada, ®b. I, ©. 249. 


190 Siebentes Kapitel. 


angefehen wurde. Er war das letzte Glied in der langen Kette von 
Feinpfeligfeiten, welche der Spanier fo viele Jahrhunderte hindurch 
für die Wiedereroberung feined Bodens von den Ungläubigen betrieben 
hatte. Sept, wo die Trompete bed Kreugfahrers nicht mehr ihre Töne 
in fremde Länder fohmetterte, fondern wo fle nur noch in den Bergen 
von Branada gehört wurde, waren bie Sympathieen der Ehriftenheit 
noch eben fo auf fpanifcher Seite. Die Moriscos galten überall als 
Ungläubige und Glaubensabtrünnige, und es gab wenige dhriftliche 
Nationen, deren damalige Gefegbücher ven Unglauben und die Abtrüns 
nigfeit nicht mit dem Tode beftraft hätten. Es mar nicht fchlimmer 
für fie, durch das Schwert, als durch den Scheiterhaufen ausgerottet 
zu werben. Weit entfernt, daß das Blutbad der Moriscos ben Na⸗ 
men ihres Siegers befledt Hätte, verlich dafielbe feiner That, vie viels 
leicht gar noch zu feiner Berühmtheit beitrug, einen bünftern Glanz. 
Indem feine Landsleute nur an die von ihm überwundenen außeror- 
dentlichen Schtwierigfeiten dachten, fahen fie mit Stolz ihn eine glaͤn⸗ 
zende Laufbahn betreten, die feinen Namen den großen alten Helden 
feiner Nation anreihen mußte. In Rom pries man ihn ald den Kim» 
pen ber Chriftenheit und beſchloß, ihm den Oberbefehldhaberftab in 
jener fürchterlichen Ligue, die der Papft jegt gerade gegen das ottomas 
nifche Reid organilirte, zu übertragen. *) 





*) „Cela faict, par sa renommee qui voloitparlemonde, tantdechrestiens - 
que des infidelles, il fut faict general de la saincte ligue.* — Brantöme, 
Oeuvres, ®b. I, ©. 326. 


Drud von Otto Wigend in Leipzig. 


Geſchichte 
Philipp's des Sweiten. 


Von 


William Prestott. 


— — — — — 


Deutſch 


Dr. Johannes Scherr. 


— — — 


Fünfter Theil. 





Verlag von Otto Wigand. 
1859, 


Adtes Kapitel. 


Die Rebellion der Moriscos. 


Die Niederlage zu Seron. — Der Tod Quixada's. — Die ſchnellen Siege Den 
Juan's. — Die Moriscos unterwerfen fih. — Das Schickſal EI Habaqui's. — 
Der Trog Aben⸗Aboo's. — Die Erneuerung des Krieges. — Die Vertreibung 
der Mauren. — Die Rüdfehr Don Juan's nah Madrid. — Die Ermordung 
Aben⸗Aboo's. — Das Geſchick der Moriscos. 


1570, 1571. 


Don Juan wurde durch den Zuftand ber Straßen, welche das 
Unwetter für fchwere Wägen und Artillerie unfahrbar gemacht hatte, 
bei Galera einige Tage aufgehalten. Als das Wetter befier geworben 
war, trat er feinen Marſch an und rüdte fübwärtd auf Baza zu. Ins 
dem er diefe alte Stadt, den Schauplag eine? der größten Triumphe 
der guten Königin Iſabella der Katholifchen, paffirte, machte er zu Ca⸗ 
niled Halt. Hier ließ er den Hauptkoͤrper feiner Armee zurüd, nahm 
eine Abtheilung von drei taufend Mann Infanterie und zwei hundert 
Mann Reiterei mit fich und drang rafch vorwärts, um Seron, welches 
er zunächft angreifen wollte, zu recognosciren. 

Seron war eine ziemlich fefte Stadt. Sie lag am Abhange ber 
Sierra und ward von einem mit einer Morisco⸗Garniſon befegten 
Schloffe vertheidigt. Bei feiner Annäherung räumten die meiften 
Einwohner und viele von den Soldaten den Platz und fuchten im Ger 
birge Zufludt. Don Juan theilte feine Macht in zwei Divifionen, 
von denen er bie eine unter Quixada, bie andere unter Requeſens 
ftellte. Er felbft nahm mit einigen Kavalieren und einem Fleinen Korps 

Preécott, Sei. Philipps ll. V. 1 


2 Achtes Kapitel. 


Buͤchſenſchutzen auf einer benachbarten Anhöhe, von welcher man das 
ganze Territorium überfchauen fonnte, feine Stellung ein. 

Die beiden Kapitäne hatten den Befehl, daß fie die Umgegend 
recognodciren und zu dem Zwede auf entgegengeiegten Seiten um bie 


Stadt rüden follten. Als Quixada mit feiner Colonne vorwärts 


drang, trieb er die flüchtigen Moriscos vor ſich her, bis fie in ben 
Schlupfwinkeln des Gebirge verfchwanden. Mittlerweile hatten bie 
Signalfeuer, die einige Stunden hindurch auf den höchſten Gipfeln 
der Sierra geflammt hatten, weit und breit durch das Land die Kunde 
verbreitet, daß der Feind ankam. Die ganze Gegend ftand unter Waf- 
fen. Auch dauerte ed nicht lange, fo fam der Landſturm, der ſechs⸗ 
taufend Dann aufzumwelfen hatte, unter dem maurifhen Kührer EI 
Habaqui, welcher in diefer Gegend befehligte, aus den Engpäften des 
Gebirges hervorgebrochen und fiel wüthend die erftaunten Spanier in 
ber Fronte und auf der Slanfe an. Zu ben Angreifern gefellten fid 
bald die Klüchtigen von Seron, fo daß die Ehriften, unfähig diefer an- 
gehäuften Macht Widerftand zu leiften, vor bein Feinde — allerbinge 
langfam und in guter Ordnung — zurüdwidhen. 

Unterbefien war eine Abtheilung fpanifcher Infanterie unter dem 
Befehle von Zope be Figueroa, dem maestro del campo, in die Stadt, 
wo fie emfig mit der Plünderung der verlaffenen Häufer befchäftigt 
war, eingedrungen. Das war ein Zweig des Kriegshandwerks, wel⸗ 
chen bie rohen Truppen Anbaluftend gut verftanden. Während fie auf 
diefe Weiſe befchäftigt waren, flürmten die vor Rache brennenden Mo- 
riscos in die Straßen der Stadt Nerein und warfen ſich, indem fie ihr 
fürchterliches Kriegögeichrei ausftießen, voller Wuth auf die Marau- 
beurd. Die Spanier, über welche das unerwartet fam und die nod) 
dazu mit Beute befchwert waren, festen nur geringen Widerftand ent 
gegen. Sie wurden von einem panifchen Schreden ergriffen und flohen 


nad) allen Seiten bin. Schon bald mifchten fie fidy unter ihre retiri« ' 


renden Kameraden unter Quixada und verbreiteten überall ihr eigene® 
Entfegen unter den übrigen, bis die Verwirrung allgemein wurde. Es 
war vergebens, daß Quixada, Yigueroa und die übrigen Kapitäne bie 
Ordnung wieder herzuftellen fuchten. Die entfegten Soldaten fahen 
und hörten Nichts, als den Feind. 





Die Rebellion ver Moriscos. 3° 


In biefer entfcheidenben Wendung der Dinge rief Don Juan, der von 
feiner hochgelegenen Poſition aus ben drohenden Ruin aufmerkfam beob» 
achtet hatte, die Eleine, tapfere Schaar feiner Leute um ſich und warf ſich 
auf der Stelle inmitten ded Getümmels. „Was foll das bebeuten, 
Spanier?“ rief er aus. „Bor wen flieht ihr denn?. Wo bleibt die 
Ehre Spaniens? Habt ihr nicht Juan von Defterreich, euren Befehls⸗ 
haber, bei euch? Wenn ihr einmal retiriren wollt, thut es wenigftens 
wie tapfere Männer, mit bem Geficht dem Feinde zugewandt.” *) Es 
war umfonft. Seine Bitten, feine Drohungen, fogar die von ihm mit 
ber flachen Säbelllinge ausgetheilten Hiebe waren nicht im Stande, 
unter den feigen Truppen ein ſchamaͤhnliches Gefühl zu ermeden. Die 
Bemühungen feiner Kapitäne waren gleichermaßen fruchtlos, doch ſetz⸗ 
ten biefe dabei mit einer Mandyen von ihnen theuer zu ftehen kommen⸗ 
den Unvorfichtigfeit ihr Leben aus. Yigueroa wurde durch eine Bein» 
wunbe bienftunfähig gemadht. Don Duirada traf eine Flintenkugel 
in bie linke Schulter und warf ihn vom Pferde. Don Juan, ber in 
ber Nähe war, fprang ihm zu Hülfe und übergab ihn einigen Reitern, 
mit dem Befehl, ihn fogleich nad) Caniles zu bringen. Während ber 
junge Befehlöhaber dieß that, wäre er beinahe ſelbſt verwundet wor⸗ 
den, denn eine Kugel traf ihn an den Helm, von dem fie jedoch, ohne 
Don Juan eine Wunde zuzufügen, abprallte. **) Eine halbe Stunde 
weit, wo der Feind die Verfolgung ausfegte, wurbe er von den Fluͤch⸗ 
tigen, bie fich nicht wieder zu fammeln fuchten, mit fortgerifien. Sechs⸗ 
hundert tobte Spanier blieben auf dem Felde. Eine große Anzahl 
warf fi in bie Häufer, entſchloſſen, fich daſelbſt wader zu wehren. 
Allein ſchon bald war fie von den Moriscos umringt, die Hänfer wur⸗ 
den geftürmt oder in Brand geftedt, und die Darinbefindlichen kamen 
bis auf den legten Dann um. **") 


*) „Qu& es esto, Espanoles? de qu& huis? dönde estk la honra de Espana? 
No teneis delante & Don Juan de Austria, vuestro capitan? de que temeis? Re- 
tiraos con orden como hombres de guerra con el rostro al enemigo." — Mar- 
mol, Rebelion de Granada, ®b. IH, ©. 257. 

*) „Acudiendo & todas las necesidades con peligro de su persona, por- 
que le dieron un escopetazo en la cabeza sobre una celada fuerte que lleraba, 
que 4 no ser tan buena, le matäran.* — Ebend., ©. 258. 

) Carta deD. Juan de Austria al Rey, 19 deFebrere, 1570, Manuffr. 


4 achies Kavitel. 


In einem vom neunzehnten Februar datirten Briefe, der alſo zwei 
Tage nach dieſem unrühmlichen Treffen gefchrieben war, ftattete Don 
Yuan dem Könige darüber Bericht ab, indem er erklärte, daß die Mem- 
menhbaftigfeit der Truppen über Alles, was ihm je vorgefommen, ging 
und daß erin der That nicht daran würde haben glauben fönnen, hätte 
er fie nicht mit angeſehen. Er fest hinzu: „Sie haben jo wenig Luft 
am Kriege, daß feine Anftrengung von meiner Seite, nidyt einınal bie 
Furcht vor den Galeeren und dem Galgen, fie vom Defertiren abzu⸗ 
halten vermag. Wollte der Himmel, id) Eönnte glauben, daß ſte hierzu 
nicht Durch die Furcht vor dem Feinde, fondern aus dem Verlangen, 
zu ihren Familien zurüdzufehren, getrieben wurden. *) Er befchrieb, 
wie es fich ereignete, daß Quixada verwundet wurde, und erzählte, baß 
ıh die Wunbärzte fechömal hätten ſchneiden müflen, ehe fie herausfin⸗ 
ben fonnten, wo die Kugel, die durch bie Schulter gegangen war, ſaß, 
und baß fie bis jetzt, trog aller Bemühungen nicht im Stande geweſen 
wären, fie herauszuzichen. „Jetzt empfinde ich tief,“ fagt er, „wie 
viel ich feiner militärifchen Erfahrung, feiner Bemühung und Sorgfalt 
- zu verdanfen gehabt habe, und wie wichtig für den Dienft Eurer Ma⸗ 
jeftät feine Erhaltung iſt. Ich verhoffe zu Bott, daß ihm berfelbe ges 
ftatten möge, feine Geſundheit, die ſich jebt in einem kritifchen Stadium 
befindet, wieberzuerlangen. ***) 

In der Antwort auf diefen Brief fagte der König, daß er wohl 
wiſſe, welchen großen Berluft fowohl er, wie fein Bruder, durch ben 
Tod Duirada’d erleiden würden. „Du wirft mir beftänbig,” fagte 
er, „von dem Zuftande feines Befindens Nachricht geben. Es ift als 
lerdings unnöthig, daß ich dir einfchärfe, daß du ihn forgfältig abwarten 


— Marmol, Rebelion de Granada, Bd. I, &. 253 ff. — Mendoza, Guerra de 
Granada, ©. 273. — Villafana, Vida de Magdalena de Ulloa. — Vander- 
hamnren, Don Juan de Austria, Folio 116 und 117. 

*) „Conforme & esto entender& V. M. la poca costancia y aficion que tie- 
nen & la guerra, estos que la dejan al mejor tiempo sin poderles reprimir ge- 
leras, ni horca ni cuantas diligencias se hacen. Y plega & Dios que el amor 
de los hijos y parientes sea la causa y no miedo de los enemigos.“ — Carta 
de D. Juan de Austria al Rey, 19 de Febrero, 1570, Manuftr. 

) CEbendaſelbſt. 


Die Rebellion der Moriscos 5 


mußt.” Philipp ließ ſich Die Gelegenheit nicht entfehlüpfen, ohne dem 
Don Juan einen leichten Verweis zu geben, weil er das ihm von Gas 
lera aus gemachte Berfprechen,, daß er fich nicht wieber fo leichtfinnig 
der Gefahr ausfegen wolle, fo leicht genommen habe, „Wenn ich das 
ran denfe, daß du beinahe bei Seron nicht davon kamſt, kann ich den 
Schmerz, den ich empfunden, weil du ein ſolches Wagniß begehft, gar 
nicht in Worten wiedergeben. Im Kriege follte ſich Jedermann an bie 
Pflichten feines Standes halten und der General nicht die Rolle des 
Soldaten, noch der Soldat diejenige des Generals fpielen wollen. “*) 
Die Meinung fcheint allgemein gehegt worden zu fein, daß Don 
Juan lieber, ald das ſich für feinen Rang ſchickte, feine perfönlicye 
Tapferkeit fehen ließ, farz, daß er mehr die Eigenfchaften eines fahren» 
den Ritter, als die eines großen Befehlshabers zeigte. **) 
Unterbeffen wurde die Wunde Quixada's, die gleich vom Anfange 
beunruhigende Symptome gezeigt hatte, dermaßen fchlimmer, daß fie 
alte Geſchicklichkeit der Chirurgen nuglo8 machte. Seine Leiden was 
ten groß, und er wurde mit jeder Stunde fchlimmer. Roc) ehe eine 
Woche verfloflen war, wurde es Far, baß feine Tage gezahlt waren, 
Der gute Ritter empfing dieſe Nachricht gefaßt, denn er fürchtete 
fich nicht vor dem Tode. Freilich war er nicht fo glüdlich, daß er in 
biefer feierlichen Stunde Diejenige, auf deren eheliche Liebe und Zärts 
lichkeit er fo viele Jahre gebaut, bei fi) hatte. ***) Aber dad Welen, 


2) „Que cada uno ha de hacer su oficio y no el general de soldado, ni el 
soldado el de general.“ — Carta delBey a D. Juan de Austria, 24 deFebrero, 
1870. Mamuffr. _ 

v*) Sinen Beweis hiervon liefert die Freimütbigfeit feines Freundes Ruy Go⸗ 
mes de Silva. „La primera,* fcyeeibt er an Don Yuan, „que por cuanto V. Ex 
estä reputado de atrevido y de hombre que quiere mas ganar erédito de sol- 
dado quo de general, que mude este estilo y se deje gobernar.* (Carta de 
4 de Marso, 1570, Manuftr.) Es gereicht dem Don Juan zur Ehre, daß er in 
feiner Antwort dem Ruy Gomez herzlich für feine Crmahnung dankt und den Cre 
mahner bittet, ihn, fobald er es für nöthig Hält, ohne Weiteres zu verweiſen, weit 
jegt, wo fein Bormund nicht mehr lebt, fi Niemand anders dieſe Freiheit heraus⸗ 
nehmen darf. — Carta de D. Juan de Austria 6 Ray Gomes de Silva, Manuffr. 

Nach Villafane brach Dona Magdalena, fobatd fie hörte, daß ihr Gate 
krank fei, von Madrid auf und reifle mit einer fo großen Geſchwindigkeit, daß fe 


6 Achtes Kapitel. 


welches er nach feiner Battin am meiften lichte, Don Juan von Oeſter⸗ 
reich, ſaß an feinem Bette, wartete ihn mit der zärtlichen Sorgfalt 
eines Sohnes und leiftete ihm die freundlichen Dienfte, welche oft bie 
Bitterkeit des Todes verfüßen. Der Sterbende behielt feine Gelfted- 
fähigfeiten bis zum legten Augenblide und dictirte, wenngleich er zum 
Unterzeicynen feines Namens zu ſchwach war, einen Brief an den Koͤ⸗ 
nig, worin er in Anbetracht feiner langen Dienfte um eine Gunftbe- 
zeigung für feine Witwe bat. Hierauf beichäftigte er fich nur noch 
mit der Vorbereitung für das Jenſeits und verfchteb ‘den vier und zwan⸗ 
zigften Kebruar 1570 fanft in den Armen feines Pflegefohne. 
Duirada wurde ald Soldat beftattet. Sein Begräbnig wurde 
mit der feinem Stande geziemenden Bracht begangen. Die ganze Ar⸗ 
mee mit umgefehrten Waffen und im Staube gefchleppten Fahnen 
folgte, als feine Ueberreite in feierlichen Zuge nach der Hieronymiten- 
firche zu Caniles gefchafft wurden, „und wir können fromm vertrauen, * 
fagt der Gefchichtfchreiber, „daß mit dem füßen, auf den Altären St. 
Hieronymi verbrannten Weihrauch die Seele des Don Luis auf zum 
Himmel ftieg; denn er verbrachte umd verlor zulebt fein Leben, indem 
er als wackerer Krieger die Schlachten ded Glaubens fchlug.“ *) 
Dulrada war von frengen Sitten und unerbittlic im Einſchaͤr⸗ 
fen der Disciplin.**) Er befaß eine loyale Denkungsart, eine fleden« 


gerade noch anfam, als er den Geiſt aufgab. Auch Hita fpricht von ihrer Anwe⸗ 
fenheit an feinem Kranfenbette. Allein, da bloß fieben Tage zwiſchen der Verwun⸗ 
dung des Mittere und feinem Tode liegen, fommt es uns ſchwer an, zu glauben, daß 
diefe Zeit binreichte für den die Botfchaft überbringenden Kourier und fpäter für bie 
entweder zu Pferde oder in einer Sänfte reilende Dame, um einen Zwiſchenraum 
von mehr als vier hundert und funfzig (englifchen) Meilen auf äußerk ſchlechten 
Landſtraßen, deren Weg durch die wilden Päfle der Sierra ging, zurüdzulegen. 

*) „Creemos piadosamente que el alma de D. Luis subiria al eielo con el 
oloroao incionso que se quemö6 en los altares de 8. Geronimo, pbrque siempre 
habia empleado la vida en pelear contra enemigos de nuestra santa fe, y por 
ultimo muri6 batallando con ellos como soldado valeroso.* — Hifa, Guerras 
de Granada, Br, H, ©. 487. 

*) A martinet in enforcing diseipline: Martinet war der General, der 
im ———— Heer zuerſt ſtrenge Kriegszucht einführte. Daher die engliſche Res 

Anmerkung des Ueberſetzers 


Die Rebellion ber Moriscos. 7 


(oje Redlichkeit und fo viele edelmüthige, sitterliche Eigenfchaften, daß 
er feinen Kameraden Ehrfurcht gebot. Sein Tod wurde allgemein bes 
dauert. Philipp bemerkt einige Tage nad) dem Todesfalle in einem 
Schreiben an Don Juan: „Ich hätte nicht geglaubt, daß ein Brief 
von dir mir fo viel Schmerz verurfachen konnte, wie beine Mittheilung 
von dem Tode bed Quixada. ch begreife die ganze Groͤße meines und 
deined Verlufted und kann mich nicht wundern, daß du ihn fo tief em⸗ 
pfindeſt. Man kann feiner unmöglicdy ohne Kummer erwaͤhnen. Doch 
dürfen wir uns mit dem Gedanken tröften, daß ein Mann, der fo 
febte und Rarb, wie er, ſicher dieſe Welt mit einer beflern vertaufcht 
haben muß. “*) 

Quixada's Gebeine wurben im folgenden Jahre nad) feinem Land» 
fige zu Billagarcia geichafft, wo feine umtröftliche Witwe noch ferner 
zu wohnen fortfuhr. Gleich nach ihres Gemahls Tode jchrieb Don 
Juan vom Feldlager aus an Dora Magdalena ein inniged Eondolenzs 
Schreiben, welches ihm ganz aus der Seele fam: „Luis farb, wie ihm 
geziemte, fechtend für den Ruhm und das Heil feines Sohnes und bes 
deckt mit unfterblichen Ehren. Alles, was ich bin, was ich noch fein 
werde, verdanfe ich ihm, der mich bildete oder vielmehr mich eines ed⸗ 
leren Standes gemäß erzog. **) Tcheure befümmerte, verwitwete Muts 
ter! Ic bin Ihnen nur noch allein übrig und Ihnen gehöre ich mit 
autem Grunde an, weil meinetwegen Luis flarb, meinetiwegen über. 
Sie diefer Schmerz gefommen if. Mäpigen Sie Ihren Bram mit 
rer gewohnten Weisheit. Könnte ich doch bei Ihnen fein und Ihre 
Thraͤnen trodnen oder die meinigen bamit vereinen! Leben Sie wohl, 
theuerfte, geehrtefte Mutter, und beten Sie zu Bott, daß er Ihren Sohn 
bald aus biejen Kriegen an Ihren Bufen zurüdjenden möge, **) 


*) Carta del Rey &D. Juan de Austria, 3 de Marzo, 1570, Manuifr. 

**) Das Bnglifche beißt: By whom I was formed or rather begottenin 
a nobler birth — mwörtlib: „oter vielmehr gezeugt zu einer edleren Geburt.“ 
Wir konnten daher bloß den Sinn geben. Anmerkung des Ueberſetzers. 

=) Den Brief hat Stirling aus einem in der Mabdriter Rationalbibliothef vors 
bantenen Manuffript überfegt. Es führt den Titel: „Joannis Austriaci vita, 
auctore Antonio Ossorio. @iche das Klofierleben Karl’s des Wünften, Amſter⸗ 
damer Ausgabe, ©. 286. 


⸗ 


8 Achtes Kapitel. 


Dora Magdalena überlebte ihren Gemahl viele Jahre und ver- 
brachte ihre Zeit mit Wohlthun und Andachtsuͤbungen. Don Juan 
bewies ihr immer bie naͤmliche kindliche Pietät, wie in dem oben ans 
geführten Briefe. Niemals verließ er dad Land oder fehrte dahin zu⸗ 
rüd, ohne zuerft feiner. Mutter — wie er fie ftetö zu nennen pflegte — 
feinen Refpect zu beweifen. Mit mütterlichem Stolze verfolgte fie auf⸗ 
merkſam feine glänzende Laufbahn, und als dieſe durch einen frühzeiti⸗ 
gen Tod befchloffen wurde, war auf immer des fette Band, welches 
fie an dieſes Leben noch feſſelte, zerriffen.-" Wick Ichte fie beinahe noch 
bis and Ende des Jahrhunderts: fie ſtarb in Jaͤhre 1598 und hinter⸗ 
ließ wegen ihrer Güte und Srömmigfeit einen Ruf, der faft dem einer 
Heiligen gleichfam. 

Nachdem Don Juan dem Andenken feines Bormamdes die letzte 
Ehre erwieſen hatte, fammelte er feine ganze Macht und rüdte damit 
ſogleich gegen Seron. Aber der Feind, der den Zufammenftoß mit einer 
fo furchtbaren Macht fcheute, hatte fchen: vor der Annäherung ber 
Spanier den Plap aufgegeben. Bald tarauf befand ber ſpaniſche 
Oberbefehlſshaber in der Rähe ein Treffen mit EI Habaqui und fchlug 
ihn. Alsdann marfchirte er gegen Tijola, eine auf einer feilen Klippe 
gelegene Stabt, wo fi} eine entfchloffene Garniſon gegen einen Feind 
leicht hätte haften können. Allein die Moriscos machten fih die Dun- 
felheit der Nacht zu Rune, fchlichen fich- aus dem Plate hinaus und 
entfamen ohne Einbuße glüdlic durch die Linien der Belagerer. *) 
Auf den Fall Tijola's folgte ver Kal Purchena’s. Binnen Kurzem 
hatte der fiegreiche General den ganzen Rio de Almanzera unterworfen, 
durchſchritt ſodann bie fühöftlihen Saäume der Alpujarras und fchlug 
den zweiten Dai zu Pabules, ungefähr zwei Stunden von Anbdarar, 
fein Hauptquartier auf. 

Diefe raſchen Siege lafien ich nicht einfach dadurch erflären, daß 


Tijola iſt jedem Liebhaber der caftiliichen Romanliteratur befannt, weil es 
der Schauplatz der befler für den Roman, als für die Gefchichte, paffenten Erzaͤh⸗ 
fang von dem Nauren Tuzani und feines unglücklichen Liebchens, ter ſchoͤnen 
Maiche, iR. Diefe Erzählung bildet eine fchr angenehme Epifode in Hita's zwei⸗ 
tem Bande (©. 523—540) und ift mit Pathos und Delicateſſe von Circourt, Hist. 
des Arabes d’Espagne, 3b. IU, ©. 345 ff., überfegt worden, 





Die Rebellion der Moriscoe. 9 


Don Yuan feinem Feinde an Stärke und militaͤriſcher Wiſſenſchaft 
überlegen war. Philipp hatte der Einladung des Papftes, der Ligue 
gegen die Türfen beizutreten, ein gümftiged Ohr geliehen, denn er fühlte 
ſich geichmeichelt, weil das Oberfommando feinem Bruder Iuan von 
Defterreich angeboten worben war. Aber, ehe er fich in einen neuen. 
Krieg einließ, mußte es ihm höchft wünfchenswerth erfcheinen, daß er 
von dem Kriege mit ben Moriscos befreit wurbe. Er hatte bie Hart 
nädigfeit dieſes Menſchenſchlags bereits. hinlänglich kennen gelernt, 
um überzeugt zu fein, daß dad Zuftandebringen feines Vorhabens vers 
mittelft Gewalt ihm etwas zu lange dauern mußte. Ihm blieb daher 
nur noch die Alternative, die verföhntiche Politik, welche dem Marquis 
von Mondejar jo fehr verbadht worden war, einzufchlagen. Zu dieſem 
Zwecke wurden. an den Don Juan beztigliche Inftructionen abgefchidt, 
und biefer, ber des Krieges im eignen Lande herzlich fatt war und fich 
nad) einem größeren Thatenfelde fehnte, ging bereitwillig auf die Ans 
fichten feined Bruders ein. Schnell eröffnete man Unterhandfungen 
mit EI Habaqui, dem mauriichen Chef, welchem für ſich und feine 
Bandeleute folche Bedingungen angeboten wurden, baß er wenlgftend 
nicht darüber im Zweifel bleiben fonnte, auf welcher Seite er feinen- 
Bortheil zu fuchen hatte. Als einen vorläufigen Schritt follte er den 
Plägen in dem Rio be Almanzora feine Uinterftübung entziehen: fo 
daß man mit dem Kriege, wenn er auf bie engeren Gränzen der Alpu⸗ 
jarra® beichränft war, leidjter fertig werden konnte. Dieſer Theil ſei⸗ 
ner Zufage war treu erfüllt worden; daher denn, wie wir ſahen, bie 
aufftändifche Gegend auf ber öftlichen Graͤnze der Alpujarrad mit wes 
nig Lebensverkuft für die Spanier unterjocht worben war. 

Hierauf ließ Don Juan eine königliche Proklamation folgen, mit 
dem Berfpredyen, daß Allen, welche binnen zwanzig Tagen eine Unter- 
würfigfeitöerflärung einreichen würben, eine volllommene Ainneftie bes 
züglich des Bergangenen ertheilt werben. follte. Man geftattete ihnen, 
bie Befchwerben, die fie zum Ergreifen ver Waffen bewogen hätten, 
aufzufegen, und verficherte fie der Abftellung der Uebelftände. Alle, bie 
nicht auf diefen Gnadenakt eingehen würden, follten, mit Ausnahme 
ber Frauen und der Kinder unter vierzehn Jahren, ohne Erbarmen über 
die Klinge fpringen müſſen. 


10 Achtes Kapitel. 


Es wird und nicht mitgetheilt, was flir eine Wirkung diefe Bro- 
lamation hatte. Wahrfcheinlich entiprach fie nicht der gehegten Er» 
wartung. Mochten die Moridcos immerhin noch fo fehr in Roth fein, 
trauten fe doch den Verſprechungen der Spanier nicht, Wenigftens 
finden wir, daß Don Juan, der jest. eine Berftärfung von zweitaufend 
Mann erhalten hatte, feine Armee in Abtheilungen eintheilt und Dies 
fen den Befehl gibt, das Land zu fäubern und mit den Einwohnern 
auf eine Weiſe zu verfahren, die fie fich zu unterwerfen zwingen müßte. 
Diejenigen von ben elenden Bauern, welche in unzugänglichen Dertern 
eine Zuflucht gefucht hatten, wurden bombarbirt und ju Hunderten 
gemegelt. Einige, bie ſich mit ihren Familien in bie zahlreich in diefer 
Gegend vorhandenen Höhlen verborgen hatten, wurden von ihren Ver⸗ 
folgern herausgehegt,, oder duch am Kingange ihrer Verſtecke ange⸗ 
brannted Reifighol; mit Rauch erftidt. Ueberall vermüftete man das 
Land, fo daß es feinem Ichenden Weſen Unterhalt gewähren fonnte. 
Das waren die verföhnlichen Maßregeln, welche die Regierung zur 
Unterwerfung der Rebellen gebrauchte. *) 

Unterbefien war ber Herzog von Seſa am nördlichen Saume. ber 
Alpujarras mit einer Armee non zehntaufend Mann Infanterie und 
zweitaufenn Mann Kavallerie ind Feld gerückt. Zum Gegner hatte er 
den Aben-Aboo, ber ein dem feinigen an numerifcher Stärfe nicht nach» 
ſtehendes Heer befaß. Beide Befehlshaber befolgten die nämliche Po⸗ 
lit: fie vermieden Hauptfchlachten und befchräntten fich auf die ver 
änberliche Taktik des Guerillas Krieges, auf Scharmügel und Ueber 
rafchungen, während jeder von beiden vwerfuchte, feinen Gegner in Roth 
zu bringen, indem er ihm die Zufuhren abfchnitt und die Gegend mit 
Teuer und Schwert verheerte. Der Morisco»Führer hatte dabei den 
Bortheil voraus, daß feine Leute mit biefem ungeregelten Gebirgs⸗ 
fampfe vertraut waren und die verzwidten Gegenden des Landes befier 
fannten. Aber, dieß wurde mehr ald aufgemogen durch die Ueberlegen- 
heit der Spanier an militaäͤriſcher Organifation und durch ihren Beſttz 


*) Marmol, Rebelion de Granada, ®. I, S. 20320, 340—346. — 
Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 119 ff. — Ferreras, Histoire 
dEspague, Bd. X, ©. 170 ff. 


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Die Rebellion der Moriscos. 11 


von Kavallerie, Artillerie und Musfeten, woran die Moridcos im 
Außerfien Grade Mangel litten. Obfchon alfo die Chriften feine große 
Schlacht gemannen, obſchon fie arg beläftigt wurden, obſchon die 
Streifzügler des Beindes ihnen häufig die Lebensmittelzufuhr abſchnit⸗ 
ten: rüdten fie nichtsdeſtoweniger unaufhaltiam vorwärts, trieben die 
Moriscos vor fi) her und verficherten fich der Permanenz ihrer Er⸗ 
oberungen, indem fie läng6 bes verheerten Territoriums in ihrem 
Rüden eine Linie wohlgarnifonirter Forts errichteten. Um Anfang Mai 
hatte der Herzog von Seja die Graͤnze des Mittelländifchen Meeres 
erreicht und vereinigte bald nachher feine durch Deiertion fehr abge- 
ſchwaͤchte Macht zu Pabules mit derjenigen Don Juan's von Oeſter⸗ 
reich. *) 

Unterdefien waren die Berhandfungen mit EI Habaqui wieder 
aufgenommen worden, der mit dem Wiffen, wo nicht mit der ausdrück⸗ 
lien Sanction Aben⸗Aboo's, nach einem Plape, Namens Yondon 
de Anbarar, der von dem Hauptquartiere des fpanifchen Oberbefehls⸗ 
habers nicht weit entfernt lag, gefommen war. Ihn begleiteten meh⸗ 
rere vornehme Moriscos, die an den Discuffionen Antheil nahmen. 
Als den dreizehnten Mai die Abgeorpneten aus dem caſtiliſchen Lager 
bei ihnen eingetroffen waren, eröffnete man die Konferenz. Es zeigte. 
fi) ſchon bald, daß die Korderungen der Moriscos ganz unzuläßlich 
waren. Sie beftanden nicht mur auf einer allgemeinen Amneftie, ſon⸗ 
bem verlangten auch, daß der Stand der Dinge wieder hergeitellt wer⸗ 
ben follte, wie er vor den Edicten Philipp’s des Zweiten, welche die 
Rebellion hervorgerufen hatten, beichaffen geweien war. Man gaben 
mauriſchen Eommiflären zu verfichen, daß fie bloß auf der Baſis eines 


*) Mendoza, Guerra de Granada, ©. 271 ff. — Marmol, Rebelion de 
Granada, Bo. I, ©. 289— 289, 303— 315, 321 ff. 

Sn einem Briefe ohne Datum, der fich unter einer Menge Korreſpondenzen bes 
findet, die aus der Sammlung im Holland⸗Hauſe zu erhalten ich das Gluͤck Hatte, 
hebt der Herzog von Gefa hervor, daf das Aushungern ein viel wirffameres Mittel 
zur Bezwingung des Feindes fei, ale das Schwert. „Esta guerra parece que no 
puede acabarse por medio mas cierto que el de la hambre que necesitarä & los 
enemigos 4 rendirse 6 perecer, y esta los acabar& primero que el espada.* — 
Manufkript. 





12 Achies Kapitel. 


uͤberwundenen Volkes zu unterhandeln hätten. Man rieth ihnen, eine 
Denkſchrift aufzufegen, worin fie Forderungen, bie fi vernünftiger 
weiſe gewähren ließen, vorbrädhten, umb bot ihnen die Dienfte Juan’6 
de Soto, des Sefretärd Don Juan’s, der ihnen bei der Abfaffung des 
Dorumentes behuͤlflich fein follte, an. Man ertheilte ihnen ferner ben 
Rath, daß fie ihren Heren Aben⸗Aboo auffuchen und ſich von ihm bie 
Bollmadıt zur Abſchließung eines definitiven Vertrages geben. laſſen 
follten. 

Aben⸗Aboo hatte immer feit feiner Erhebung auf ben ſtuͤrmiſchen 
Alpujarrasthron feinen Poſten mit einem feiner Sache würbigen 
Muthe behauptet. Als er aber die eine Stadt nad) ber andern von 
feinem Fleinen Reiche abſchwinden, fein Volk geichlachtet oder in bie 
Sklaverei gerifien, feine Ländereien, bis bie fchönften Theile fich in 
eine Wildniß verwandelt hatten, verbrannt und verheert fah; ald er 
vor allen Dingen bemerkte, daß feine Sache in der Bruſt der moslemi⸗ 
tiichen Fuͤrſten, auf deren Unterftägung er vorzüglich) gerechnet hatte, 
feine Sympathie erwedte: gewann er immer mehr die Ueberzeugung, 
bag ber Kampf mit der fpanifchen Monarchie hoffnungslos war. 
Seine Offiziere und in der That felbft die große Mafle des Volles 
waren zu ber nämlichen Ueberzeugung gelangt, fo daß einzig und allein 
der nachhaltige Haß gegen die Spanier und dad Mißtrauen gegen ihre 
Aufrichtigfeit die Moriscos an der Stredung der Waffen und ber An⸗ 
nahme der ihnen entgegengehaltenen Gnadenverheißungen verhindert 
hatten. Der unbeilvolle Ausgang bes neulichen Feldzugs gegen ben 
Herzog von Seſa trug noch mehr zur Entmuthigung des Morisco⸗ 
führer bei: daher EI Habaqui und feine Begleiter von ihrem Herm 
mit der Bollmacht zurüdfehrten, die Bedingungen einer Abfindung mit 
den Spaniern aufzuftellen. 

Den neunzebnten Mai kamen die beiberfeitigen Kommifjäre wies 
ber zu Fondon de Andarar zufammen. Eine von Juan de Soto ent 
worfene Denkfchrift wurde dem Don Juan, deſſen Hauptquartier, wie 
wir fahen, fich in der unmittelbaren Nähe befand, vorgelegt. Bon dies 
ſem Aftenftücde ift feine Abfchrift erhalten, wenigftens iſt feine vers 
öffentlicht worben. Aus ber gnädigen Antwort, welche ber Prinz gab, 
laͤßtſſich ſchließen, daß diefelbe für bie Sieger nichts Anftößiges enthielt. 


Die Rebellion der Moriscos. 13 


Binnen nicht gar langer Zeit hatten ſich Die Deputirten über die 
Bedingungen einer Abfindung, ober befier Unterwerfung, geeinigt. 
Man febte feft, daß der maurifche Feldherr fich in das chriftliche Lager 
begeben, bort vor den Oberbefehlöhaber fommen, bemüthig um Bers 
zeihung flehen und fir feine Ration die Untermwürfigfeitserklärung thun 
folle ; dagegen follte fir biefen Aft der Erniebrigung eine allgemeine 
Anmeftie feinen Landsleuten, bie zwar nicht länger die Alpujarras bes 
wohnen burften, aber überall, wohin fie auch geichafft werben würden, 
von ber Regierung geſchüͤtzt werden follten, zugeftanden werden. Bes 
bentenbere Zugeftändniffe vwourden dem Aben-Aboo und El Habaqui 
gemacht. Der leptermähnte Führer erhielt, wie und der Weichichtichrei- 
ber berichtet, Alles, worum er für feinen Herm, fowie für ſich und 
feine Freunde bat.*) Derartige kluge Zugefänbnifie ſeitens der Spa- 
nier hatten ohne Zweifel die Wirfung, daß fih den Moriscoführern 
bie Augen öffneten, wie thöricht es fei, unter dem jebigen verzweifelten 
Umftänden ven Krieg in die Länge zu ziehen. 

Noch den nämlichen Abend, an welchem die Uebereinkunft abge: 
ſchloſſen worden war, begab ſich El Habaqui zu feiner Zuſammenkunft 
mit dem fpanifchen Befehlshaber. Er war bloß von einem einzigen 
mauriſchen Deputirten begleitet. Die übrigen lehnten es ab, Zeugen 
von der Erniedrigung ihrer Ration zu fein. Indeß begleitete ihn ein 
Korps von dreihundert Büchienfchügen. ALS feine Fleine Kompagnie 
die chriftlichen Linien überfchritt, wurde fie von vier Regimentern caſti⸗ 
liſcher Infanterie umtingt und vor Don Juan von Defterreich eöcortirt, 
der mit feinen Offizieren, von denen ihn feine fürſtliche Haltung leicht . 
unterichieb, vor feinem Zelte ſtand. 

Als Habaqui vom Pferde flieg und fi) vor dem Prinzen nieber- 
warf, rief er: „Barmherzigkeit! Wir fleben Eure Hoheit im Namen 
Seiner Majeftät an, und Barmherzigkeit wieberfahren zu laflen und 
und unfere Fehltritte, von denen wir eingeftehen, daß fie groß geweſen 
find, zu vergeben!"**) Nachdem er aldbann feinen Säbel entblößt 








99 „Con estas cosas y otras particulares que El Habaqui pidi6 para Aben 
Aboo, y para los amigos, y para sf mismo, que todas se le concedieron.* — 
Marmol, Rebelion de Granada, ®t. D, ©. 360. 

*®) „Misericordia, Sebor, misericordia nos conceda vuestra Alteza en 


14 Achtes Kapitel. 


hatte, überreichte er ihn bem Don Juan, indem er fagte, daß er im | 
Ramen Aben⸗Aboo's und der Rebellenhäuptlinge, in deren Auftrage ! 
zu handeln er bevollmächtigt fe, Seiner Majeftät feine Waffen übers | 
gebe. Zugleich nahın der Sekretär Juan be Soto das ihm von EI 
Habaqui gegebene maurifche Banner, weldyed er auf der Lanzenfpige l 
getragen hatte, und warf es auf die Erbe dem Prinzen zu Füßen. Der | 
ganze Auftritt bildete ein lebhafted Gemälde, wo ber ftolze Sieger, der 
umringt von Siegeötrophäen daſtand, auf ben Repräfentanten des 
überroundenen Volks, ber in ſtlaviſcher Untenwürfigfeit zu feinen Fü⸗ 
sen kroch, herabblidte. Don Juan, die hervorragende Geftalt des Ge⸗ 
maͤldes, erinnerte durch feine ftattliche, mit wahrhaft föniglicher Freund⸗ 
lichkeit gemilderte Haltung die alten Soldaten an den Kaifer, feinen 
Vater, fo daß fie riefen: „Das ift der wahrhaftige Sohn Karl's des 
Fünften!” 

Indem er fich verneigte, bob er den MoriscosChef gnäbig vom 
Boben auf, gab ihm dad Schwert zurüd und gebot ihm, baffelbe von 
nun an im Dienfte des Königs zu gebrauchen. Die Geremonie ſchloſ⸗ 
fen Trompetenftöße und Musfetenfalven, glei) ald ob man einen gros 
en Sieg gefeiert hätte. 

El Habaqui blieb, nachdem feine Leute ſchon fort waren, noch 
eine Zeit lang im Lager zurüd. Man begegnete ihm mit aller Aufs 
merkfamfeit,, die vornehmften Offiziere bewirtheten und ſchmeichelten 
ihn, und der Biſchof von Guadir unterhielt ihn fogar mit einem Ban- 
quet. Jedoch erhielt er, wie wir geiehen haben, noch etwas Subftan- 
tielleres, ald Komplimente. Unter diefen Umftänden ging es natürlich 
zu, daß er für die Moridcos zu einem Gegenftande ber Eiferfucht und 
des Verdachtes wurbe. Schon bald flüfterte man ſich in die Ohren, 
daß EI Habaqui bei feinen Unterhandlungen mit den Ehriften mehr 
an feine eigenen Bortheile, als an diejenigen feiner Landsleute gebadht 
hätte. *) 





nombre de su Magestad, y perdon de nuestras calpas, que conocemos haber 
sido graves.“ — Ebend., ©. 361. 

*) Den ausfuͤhrlichſten Bericht dieſer Borgänge findet man in Marmol, Br 
belion de Granada, Bd. IH, ©. 385362. 


Die Rebellion der Moristos. 15 


In der That hatten die Moridcos geringen Grund, ſich über dad 
Refultat eines Vertrages zu freuen, der fie in der nämlichen verlorenen 
und erniebrigten Rage ließ, in der fie fih vor dem Ausbruche der Re 
bellion befunden hatten. Ja, in einem wichtigen Punkte ließ fie der 
Bertrag fogar in einer fchlimmern Lage, infofern fie nämlich insfünf- 
tig von der Heimath ihrer Väter verbannt werben follten. Doc, fo 
graufam und im höchſten Grade bedauernswerth auch die Lage der 
Moridcos war, fchimpften nichtöbeftoweniger die fpanifchen Mönche, 
wie Don Juan feinem Bruder flagt, öffentlich von der Kanzel auf die 
Freundlichkeit und Barmherzigkeit des Königs,*) und dieß thaten fie 
obendrein, wie er binzufepte, unter Umftänden, wo fie es eher hätten 
als ihre Pflicht anfehen follen, fich für die armen Efenden, die meiſtens 
aus Unwiffenheit gefehlt hatten, zu verwenden. **) Derjenige Geift 
liche, über welchen er ſich am meiften befchwert, ift ber Präflbent Deza, 
ein Mann, den die Moriscos bergeftalt verabfcheuten, daß er ein 
Hauptanlaß zu ihrer Empörung geweſen war. Don Juan bittet den 
König, für die Interefien Granada's zu forgen und dem Deza ein Bis⸗ 
thum oder eine andere Würde, die ihn von der Schaubühne feiner jetzi⸗ 
gen Arbeiten abberuft, zu verleihen. ***) 

Unter den mit den Bertragsbeftimmungen Unzufriedenen befand 
fich, wie fich bald zeigte, Aben-Aboo felber. Im Anfange that er, als 
ob er den Bertrag fanctionirte, und verſprach, alled Mögliche zu thun, 
um feine VBollziehung durchzuſetzen. Doch bald erfaltete er, ſchob alle 
Schuld auf EI Habaqui und erklärte, daß diefer Offizier feine Befug⸗ 
niſſe überfchritten, ihm über feine Verhandlungen falfchen Bericht ab» 


*), „Predicando en los pälpitos publicamente contra la benignidad y cle- 
mencia que V. M. ha mandado usar con esta gente.* — Carta de D. Juan de 
Austria al Rey, 7 de Junio, 1570, Manuffr. 

%) „Que los religiosos que habrian de interceder con V.M. por estos mi- 
serables, que cierto la mayor parte ha pecado con ignorancia, hagan su esfuerzo 
en reprender la clemencia.“ — Ebend. 

Wie Bleda uns erzählt, „vergaß der weiſe König bie ausgezeichneten 
Dienfle Deza's nicht. LXeßterer wurde einer der reichſten Kardinaͤle und verbrachte 
feine übrigen Tage in Rom, mo er ſich einen koͤſtlichen Palaſt erbaute.” (Cronica 
de Espaüa,, ©. 753). Leider fand diefer glüdliche Wechſel erſt eiwas fuäter ſtatt, 
zu fpät, um für die Moriscos von Nutzen zu fein. 


16 Abies Kapitel. 


geftattet und die Interefien der Nation feinem Ehrgeize geopfert hätte. *) 
Die diefem Chef fo freigebig von den Spaniern geichenften Aufmert- 
famfeiten, feine frühe Korrefpondenz mit ihnen und die ihm durch ben 
Bertrag gemachten reichlichen Zugeſtaͤndniſſe lieferten für eine derartige 
Anklage plaufible Gründe. 

Zufolge den ſpaniſchen Darftellungen aber erhielt Aben-Aboo um 
diefe Zeit aus der Berberei eine Verftärfung von zweihunbert Solda⸗ 
ten, nebft der Zuftcherung, daß er bald aus Afrika eine nachbrüdlichere 
Unterftügung empfangen follte. Das, heißt es, änderte feine Anfichten. 
Auch ift es nicht unmögli, daß, als bie Stunde herannahte, der 
Morisco⸗Chef es ſchwieriger fand, als er anfangs geglaubt hatte, fei- 
nem föniglichen Stande zu entfagen und in den gemeinen Rang ber 
caſtiliſchen Bafallen, der erniedrigten Kafte ber maurifchen Bafallen, 
deren Zuftand fich nicht viel über denjenigen ber Leibeigenen erhob, 
herabzufteigen. " 

Wie dem aber auch fein mag, fühlte fi) das fpaniiche Lager 
durch die über Dad Schwanten Aben⸗Aboo's einlaufenden Berichte fehr 
beunruhigt. Es hieß fogar, daß er, weit davon entfernt, die Ausfüh- 
rung des Vertrages einzufchärfen,, fein Volk insgeheim zu fernerem 
Widerftande anfeuerte. Kein Menid war über diefes Betragen mehr 
entrüftet, ald El Habaqui, der jegt ein fo getreuer Unterthan, wie Phi⸗ 
lipp in feinen Beligungen feinen beſſern aufzuweifen hatte, geworden 
war. Zu biefer Oefinnung gegen AbensAboo geiellte ſich bei ihm nicht 
wenig gefränkte perfönliche Eitelkeit, und er erbot fich, wenn Don Juan 
ihn an bie Spige eined Detachements fielen wollte, felber zu geben, 
dein MoriscosFürften in feinem Hauptquartiere die Spige zu bieten 
und ihn gefangen ind Lager zu bringen. Obſchon Don Juan ein voll- 
ſtaͤndiges Bertrauen in die Treue El Habaqui's fepte,**) hielt er 


*) „Que ei Habaqui habia mirado mal por el bien comun, contentandose 





. con lo que solamente Don Juan de Austria le habia querido conceder, y pro- 


curando el bien y provecho para si y para sus deudos.“ — Marmol, Rebelion 
de Granada, ®b. II, ©. 390. 

*) „En lo que & esto toca, no tengo mas prendas que la palabra del Ha- 
baquf, el cual me podria enganar; pero certiico & V.M. que en su manara de 
proceder ma paresce hombre que tracta verdad, y tal fama tiene.“ — Carta de 
D. Juan de Austria al Rey, 21.de Mayo, 1570, Manuſtr. 


Die Rebellion der Moriscos. 17 


nichtödeftoweniger für befier, ihm Geld anftatt Reute zu geben. Daber 
bänbdigte er ihm achthundert Golddukaten ein, damit er unter feinen 
Landsleuten die nöthigen Truppen refrutiren könnte, 

Auf diefe Weile audgeftattet, brach EI Habaqui nady dem Haupt- 
quartiere Aben⸗Aboo's, der alten Refidenz in Mecina de Bombaron, 
auf. Als am zweiten Tage ber MoridcosKapitän auf einen Trupp 
feiner Zandöleute, die fi) unthätig am Wege herumtrieben, ftieß, gab 
er ſich ein Anfehen und fragte fie, warum fie nicht, wie Andere, gin⸗ 
gen und fich den ſpaniſchen Behörden unterwürfen. Sie verfegten, daß 
fie auf die Befehle ihres Herrn warteten. Hierauf entgegnete EI 
Habaqui: „Alle find verpflichtet, fich zuumterwerfen, und wenn Aben» 
Aboo feinerfeitd Unbereitwilligfeit zeigt, ed zu thun, werbe ich ihn uns 
verzüglich verhaften und an dem Schweife meines Pferdes ins chrift- 
liche Lager fchleppen.“*) Diefe unbejonnene Prahlerei foftete dem 
Renommiſten das Leben. 

Einer aus dem Trupp begab ſich augenblidlich nach Mecina und 
berichtete die gehörten Worte dem Üben» Aboo, Der Morisco » Fürft 
war außer fich vor Freude bei der Ausficht, daß er feinen Feind in feine 
Gewalt befommen konnte, unb fandte auf der Stelle eine Abtheilung 
von einhundert und fünfzig türfifchen Reitern aus, damit fie den Miſſe⸗ 
thäter ergriffen und ihn denfelben nach Mecina brächten. Sie fanden 
den EI Habaqui zu Burchal, wo feine Samilie wohnte. Die Nacht 
war ſchon angebrochen, als der Häuptling Nachricht von dem Heran⸗ 
fommen der Türfen erhielt; unter dem Schuge der Finfterniß entfam 
er glüdlich ind benachbarte Gebirge. Den nächften Morgen folgten 
ihm die Soldaten hart auf den Ferſen, und es dauerte nicht lange, fo 
fahen fie einen Menſchen auf den Felſen herumichleichen, deſſen weißer 
Mantel und rother Turban bewielen, daß er der Gegenftand ihrer 
Verfolgung war. Er warb unverzüglich in Gewahrfam genommen 
und nach Mecina gefchafft. Sein Urtel war fchon gefällt. Aben-Aboo 
bielt ihn feine Verrätherei vor und ließ ihn in ein anſtoßendes Zimmer 


) „Que quando Aben Aboo de su voluntad no lo hiciese, le llevaria El 
atado & la cola de su caballo.“ — Marmol, Rebelion de Granada, Bd. LI, 


©. 392. 
Brescott, Geſch. Bhilipp'sll. V. 2 








18 Achtes Kapitel. 


bringen, wo er gleich darauf erbroffelt wurde. Sein Leichnam, dem bie 
Ehre ded Begräbniffes verweigert wurde, warb zuerft in eine Binfens 
matte gemwidelt und dann ſchimpflich in eine Schleufe geworfen. Das 
Schickſal des unglüdlichen Mannes aber wurde über einen Monat ges 
heim gehalten. *) 

Sein Ausbleiben erregte natürlic) nad) einiger Zeit im ſpaniſchen 
Lager Verdacht. Ein dem Aben-Aboo befannter Offizier fchrieb an ihn 
um Aufſchluß bezüglich des EI Habaqui und erhielt von dem verſchla⸗ 
genen Fürften bie Antwort, daß EI Habaqui wegen feiner verrätheri> 
ſchen Aufführung arretirt und in Gewahrſam gebradyt worden fei, daß 
aber feine Familie und Freunde nicht beforgt zu fein brauchten, da ihm 
nichts Leides paffirt wäre. Aben-Aboo gab ferner den Winf, daß es 
gut fein würde, wenn man zu ihm einen vertrauten Mann fchidte, da⸗ 
mit er mit demfelben die einzelnen Punkte ded Vertrages in Orbnung 
bringen könne, — gleich als wenn diefe nicht ſchon längft feftgeftellt ge⸗ 
wefen wären. Nach einigem weiteren Berzuge beichloß Don Juan, 
einen Agenten abzufenden, der die eigentlichen Abfichten ber Moriscos 
in Bezug auf die Ehriften ausforfchen und wo möglich in das um das 
Schidfal EI Habaqui's hängende Geheimniß eindringen follte. 

Der hierzu erfehene „Befandte war Hernan Balle de Palaciss, 
ein Kavalier mit einem muthigen Herzen, das jedoch durch eine Vor⸗ 
ficht gemäßigt ward, die ihn fir Das jepige delifate und gefährliche 
Geſchaͤft fehr eignete. Er reifte auf feine Miffton am breizehnten Juli 
ab. Unterwegs begegnete er einem Moridco, ber ein Verwandter 
bed legten Monarchen Aben-Humeya und folglich fein Freund von 
Aben-Aboo war. Da er den ganzen Hergang ber Ermordung EI 
Habaqui's Fannte, theilte er dem Palacios Alled genau mit. Er fügte 
hinzu, daß der Morisco:Fürft, weit davon entfernt mit dem neulichen 
Bertrage zufriedengeftellt zu fein, vielmehr Alles aufbiete, um die Boll- 
ziehung deffelben zu verhindern. Derjelbe könnte, fagte der Denunciant, 
binnen furzer Frift eine Macht von fünf bis fech® taufend Mann , die 


”) „Lo hizo ahogar secretamente, y mand6 echar el cuerpo en un mu- 
ladar envuelto en un zarzo de canas, donde estuvo mas de treinta dias sin 
saberse de su muerte.“ — Ebend., ©. 393. 


Die Rebellion der Moriscos. 19 


affe wohlbewaffnet und auf ein Bierteljahr verproviantirt wären, 
muftern; auch thäte er alles Mögliche, um weitere Verſtaͤrkungen von 
Algier zu erhalten. 

Nachdem der Geſandte mit diefen Einzelnheiten befannt gemacht 
worden war, trat er feine Reife wieder an. Cr gebrauchte indeß die 
Borficht, ſich erft von Aben-Aboo ein freies Geleit, das ihm auf ber 
Stelle überfandt wurde, zu verfchaffen. Als er Mecina erreichte, fand 
er den Plag mit fünfhundert Büchfenfchügen befept; doch ließ man 
ihn auf den Befehl des Königs frei pafliren. Ehe er vor „ven Fleinen 
König der Alpujarras,“ wie Aben-Aboo gleich feinem Vorgänger im 
gewöhnlichen Sprachgebrauche genannt wurte, gelaffen warb, warb 
Palacios erft genau durchfucht und alle Waffen, die er bei fich führte, 
ihm weggenommen. 

Er fand den AbensAboo auf einem Divan audgeftredt, indem 
ihn drei oder vier maurifche Mädchen mit nationalen Oefängen und 
Tänzen unterhielten. Er ftand nicht auf und änderte nicht einmal feine 
Lage bei dem Hereinfommen bed Gefandten, fondern gab ihm Audienz 
mit dem ftolgen Gebahren eines unabhängigen Fuͤrſten. 

Palacios fand nicht für gut, das Schickſal EL Habaqui's zu bes 
rühren. Nachdem er ein Langes und Breite über die freigebigen Ver, 
fprechungen, bie zu machen er von Don Juan bevollmädhtigt war, ger 
fprochen hatte, drüdte er die Hoffnung aus, daß Aben-Aboo doch den 
Bertrag ausführen und nicht den Krieg, ber die gänzliche Vernichtung 
feines Vaterlandes herbeifuͤhren müfle, vom Neuen anfachen werde. 
Der Chef hörte ſtillſchweigend zu. Erft, als er einige von feinen vor⸗ 
nehmften Kapitänen um ſich gerufen hatte, geruhte er zu erwiebern. 
Er fagte alddann, daß Gott und die ganze Welt wüßten, wie er nicht 
auf eignen Wunſch, fondern durch den Willen ded Volkes auf den Thron 
gelangt fei. „Sch werde,“ fagte er, „von meinen Unterthanen Nies 
manden, ber ſich fieber unterwerfen will, daran zu hindern ſuchen. 
Aber, jagen Sie Ihrem Herrn, * ſetzte er hinzu, „daß ich, fo lange ich 
noch ein Hemd auf dem Leibe trage, ihrem Beifpiele nicht folgen werde. 
Sollte fein anderer Menfch mehr in den Alpujarras audharren, würde 
ich eher als Mufelmann leben und fterben, als alle Gunftbezeugungen, 
mit denen mid, König Philipp überhäufen fann, befigen. Zu feiner 

2* 





20 Achtes Rapitel. 


Zeit und auf keine Weife werde ich mich je in feine Gewalt begeben. "*) 
Diefe feurige Erklärung ſchloß er mit den Worten, daß er fid, wenn 
ihn die Noth dazu triebe, in einer Höhle begraben werbe, die er auf 
ſechs künftige Sahre mit Xebensmitteln verforgt habe, und ed müßte 
eigen zugehen, wenn er während biefer Zeit nicht die Mittel fände, in 
die Berberei hinüberzufommen. Der fühne Ton biefer Bemerkungen 
mußte ein« für allemal den Schluß der Audienz herbeiführen. Palacios 
durfte ungehindert zurüdfehren und feinem Befehlshaber das Scheitern 
der Miſſion berichten. 

Der Krieg, welchen glüdlid zu Ende gebracht zu haben Don 
Juan fic) ſchon gefchmeichelt hatte, brach jeßt gleich einem gebämpften, 
aber nicht gelöfchtem euer mit verdoppelter Wuth aus. Der heraus⸗ 
fordernde Ton ließ fi) am lauteften im Gebirge von Ronda, einer wils 
den Sierra an den weftlichen Säumen ber Alpujarrad, hören. Diefe 
Sierra war bewohnt von einem feden, ungezähmten Menfchenichlage, 
der furchtbarer ald die Gebirgsbewohner irgend eined anderen Diftricts 
von Granada, war. Aben-Aboo wandte alle Mögliche an, um in 
biefer Gegend die Flamme der Empörung zu ſchuͤren und ſandte feinen 
Bruder EI Galipe dahin, damit er dort ben Oberbefehl übernähme. 

Die jegt in volle Thätigfeit gefegte**) ſpaniſche Regierung machte 
mehr, denn je zuvor, Fräftige Anftrengungen, den Geift der Rebellion 
zu zermalmen. Don Juan hatte Guadir zu befegen und ſollte von dort 
aus das Land in nördlicher Richtung faubern. Eine zweite Armee follte 
unter dem Großcommandeur Requefend von Granada audrüden, vom 
Norden her in bie Alpujarrad eindringen, eine andere Route, als ber 
Herzog von Sefa im vorigen Feldzuge einfchlagen und den Ausrottungs⸗ 
frieg in das Innere des Gebirges tragen. Endlich wurde der Herzog 


*) „Que quando no quedase otro sino El en la Alpuxarra con sola la ca- 
misa que tenia vestida, estimaba mas vivir y morir Moro, que todas quantas 
mercedes el Rey Filipe le podia hacer; y que fuese cierto, que en ningun tiempo, 
ni por ninguna manera, se pondris en su poder.“ — Marmol, Rebelion de 
Granada, Bd. U, ©. 410. 

) Bır haben aroused durch „in Thätigfeit gefeßt“ wiedergegeben, nach Boag’s 
Erklärung: aroused, excited into action, put in motion. Siehe befien 
Imperial Lexicon, Edinburgh und London, 4%, 2 Bde. — Siche auch Ogilvie's 
Imperial Dictionary, London, 1850. Anmerkung des Ueberfegers. 


Die Rebellion ver Moriscoe. | 21 


von Arcos, der würdige Abfömmling des großen Marquis von Cadiz, 
(deffen Name im erſten granadifchen Kriege jo berühmt war und deffen 
große Güter der Herzog von Arcos geerbt hatte,) mit den Operationen 
gegen die Rebellen in der Serrania de Ronda beauftragt. 

Der Öroßrommandeur vollzog feinen Auftrag auf die nämliche 
unbarmberzige Weile, in ber er ihm gegeben worden war. In ben er 
ften Tagen des Septembers verließer Oranaba und zog mit fünftaufend 
Mann zu Felde. Er ftürmte augenblidlicy in das Innere des Landes 
vor. Alle Uebel des Krieges in ihrer fchredlichften Geftalt waren in 
feinem Gefolge. Laͤngs feines ganzen Zuges fchien es, als ob eine 
Feuersbrunſt über das Land dahin gefahren fei. Die Wohnungen 
wurden geplündert und niedergebrannt. Die Maulbeers und Dliven- 
baine wurden umgehauen,, die Weinftöde bei ten Wurzeln herausge⸗ 
riffen und bie reifenden Ernten in den Staub getreten. Die Gegend 
verwandelte fi in eine Wüftenel. Hin und wieber leifteten Kleine 
Korps Moridcos verzweifelten Widerſtand. Meiftens jedoch wurben 
fie obdachs⸗ und nahrungslos wie widerſtandloſes Vieh vor dem Heere 
bergetrieben und genöthigt, in den Tiefen der Berge und in den Höhs 
Ien, woran biefe Gegend des Landes rei war, Zuflucht zu fuchen. 
Ihre Verfolger feßten die Hebiagd mit der grimmigen Luft fort, womit 
der Jäger bie Spur des wilden Thieres bie zum Lager deſſelben im 
Walde verfolgt. Defterd waren ein» bis zweihundert in der nämlichen 
Höhle durcheinander gedrängt. Es war nicht leicht, inmitten ber Fel⸗ 
fen-und des Dickichtes, welche ten Eingang verbedten, dad Verſteck 
aufzufinden. Wurde e8 aber gefunden, war es feine ſchwere Sache, 
bie Darinnenbefinblichen zu vernichten. Das grüne Gebuͤſch lieferte _ 
das Material für ein dampfendes Feuer, fo daß alle Höhlenbemohner 
dur) den Rauch erftidt wurden, ober, wenn fie berausrannten, ber 
Gnade ihrer Verfolger anheimfieln. inige wurben auf der Stelle 
niebergemadht ; Andere fandte man auf den Galgen ober die Öaleeren; 
während die meiften das beinahe nicht minder fürchterliche Loos traf, 
baß fie den Soldaten zur Beute überlafien und in die Sklaverei vers 
fauft wurden. ®) 


*) Das find die Worte Marmol's, den man nicht im Verdacht haben wird, daß 
er die Braufamfeiten feiner Landsleute übertrieben babe. Scheint er fie doch gar 


22 Achtes Kapitel. 


Unweit von Berchul kam Aben-Aboo in einer von biefen Höhlen, 
wo er ſich mit einem feiner Weiber und zwei Töchtern verftedt hatte, 
beinahe nicht mit dem Leben davon. Die Frauenzimmer, nebft unge 
fähr fiebenzig andern Berfonen, erftidten. Dem MoriscosChef gelang 
es, durch eine Deffnung am andern Ende, welche feinen Feinden uns 
befannt war, hinauszukommen. *) 

Laͤngs des zu Grunde gerichteten Landes wurden in nahen Ent 
fernungen von einander Fleine Forts errichtet. In ben verfchiedenen 
Landestheilen wurden nicht weniger, ald vier und achtzig ſolche Thürme 
errichtet; neun und zwanzig waren in ben Alpujarrad und im Thale 
Lecrin allein zu fehen.**) Da ftanden fie und frönten jede Klippe und 
Anhöhe in der Sierra, finfter über die abfcheuliche Wüftenei dahin⸗ 
blickend, ald traurige Denkmäler der Eroberung. So befchaffen war bie 
firenge Bolitif der Sieger. Innerhalb diefes Belfengürteld, der ja fo 
lange von den eiſenfeſten Soldaten Eaftiliend befebt gehalten wurbe, 
war es der Rebellion unmöglich, fi an einem Punkte wieder zu einer 
Macht auszubilden (to gather to a head). ***) 

Die Monate September und Oftober gingen mit diefen Opera- 
tionen auf. Inzwifchen hatte der Herzog von Arcos feine andalufifchen 
Rekruten, die fi) mit taufend von feinen Bafallen auf viertaufend 
Mann beliefen, gemuftert. Er nahm feinen Sohn, einen erft dreizehn. 
jährigen Knaben, mit fi. Hierbei folgte er, fagt der Gefchichtfchreiber, 
bem alten Brauche des tapfern Hauſes Ponce de Leon. ****) Um bie 


‚nicht für Grauſamkeiten anzufehen. „Unos enviaba el Comendador mayor & las 


, galeras, otros hacia justicia de ellos, y los mas consentia que los vendiesen los 


soldados para que fuesen aprovechados.“ — Rebelion de Granada, Bp. II, 
©. 436. 

*) Ebend., S. 433, 

*) Circourt enthäft eine genaue Aufzählung der Feſtungen ber verſchiedenen 
Zandestheile. — Histoire des Arabes d’Espagne, Bd. III, ©. 135 und 136. 

) Head fiebt hier in der Bedeutung Macht: infinence, force, strength, 
pitch, power, armed force, wie Boag es erllärt. — Der alte Johannes übers 
gibt in feinem Wörterbuche die Medensart to gather a head, bie ein wenig verfchies 
den iſt, duch: Kräfte fammeln, Macht befommen und mächtig werten. 

Anmerkung deö Ucherfehers. 


+) „Lievando cerca de sf a su hijo, moso quasi de treoe anos Don Luis 





Die Rebellion der Moriscos. 3. 


Mitte September trat er feine Expedition in die Sierra Vermeja oder 
die Rothe Sierra an. Das war ein in der fpanifchen Geſchichte merk 
würdiger Ort, weil daſelbſt zu den Zeiten von Ferdinand und Iſabelle 
Alonſo de Aguilar geichlagen wurde und den Tod fand: ein Ereigniß, 
welches dem fchönen Minnegelange ded Sütend zu mancher klagenden 
Romanze den Stoff lieferte. Die Gemahlin des Herzogs von Arcos 
ftammte von Alonfo de Aguilar ab, wie er felber der Enfel des guten 
Grafen von UÜrefia war, der mehr Glück, als fein Freund, hatte und 
das Unheil jened Tages überlebte, Die Marfchroute der Armee führte 
unmittelbar über das Schlachtfeld. Als die Soldaten über die hochlie⸗ 
gende Ebene von Calaluz marfchirten, erblidten fie überall um fich her 
die Spuren des Gefechts. Der Boden war noch mit rofligen Fragmen⸗ 
ten von Rüftungen, Stüden von zerbrochenen Degenflingen und mit 
Speeripigen bedeckt. Noch rührenderes Zeugniß legten die Gebeine von 
Menſchen und Bferben ab, welche in diefer vereinſamten Gegend ber 
Reif von fiebenzig Wintern gebleicht hatte. Die Spanier waren mit 
der Rofalität gut befannt, ba fie die Sagen und Traditionen des Lans 
des von Kindheit auf damit vertraut gemacht hatten. Hier war ber 
Drt, wo die Avantgarde unter ihrem tapferen Anführer in der Dunkel⸗ 
heit ver Nacht Halt gemacht hatte. Dort ftanden die ſchwachen Ueber⸗ 
tefte von den feindlichen Berfchanzungen, welche die Zeit faft mit Staub 
ausgefüllt Hatte, und ta warfen auch die Yelfen noch ihre dunfeln 
Schatten über die Ebene, gerade wie an dem Tage, wo an ihrem Fuße 
der tapfere Alonfo de Aguilar im Kampfe mit dem berühmten Beri de 
Den Eftepar fiel. Die ganze Scene trat den Spaniern friſch vor die 
Seele. Als fie die unbegrabenen Ueberbleibfel um ſich her liegen fahen, 
ftrömten — fagt der beredte Gefchichtfchreiber, weicher biefen Zwifchen- 
‚fall berichtet — die Thränen ihre eifernen Wangen herab, liöpelten fie 
ein Soldatengebet für die Ruhe der edlen Todten. Aber, indem auf 
diefe heiligeren Gefühle bald grimmigere folgten, forderten fie kaut, daß 
fie gegen den Feind geführt fein wollten. *) 


Ponce de Leon, cosa usada en otra edad en aquella Casa de los Ponces de 
Leon, criarse los muchachos peleando con los Moros, i temer a sus padres por 
maestros.* — Mendoza, Gmuerra de Granada, ©. 318. 

*) Die berühmte Befchreibung dieſes Vorfalls von Mendoza ſiehe in feinem 


— a... 


3 Achtes Kapitel. 


Der Herzog von Arcos, weldyer fih bie Kehler des Alonſo de 
Aguilar zur Warnung dienen ließ, hatte feine Anorbnungen mit großer 
Umfidyt getroffen. Bald wurde er die Moriscoo, die volle breitaufend 
Mann ftarf waren, anfichtig. Obfchon fie aber eine gute Stellung eins 
nahmen, leifteten fie defienungeachtet einen Widerſtand, der ihres alten 
Rufes und des herausfordernden Tones, den fie beim Eröffnen bes 
Feldzuges fo fühn angeftimmt hatten, nicht jehr windig war. Aller- 
dings zeigten fie anfangs Herzhaftigfeit und fügten den Ehriften einigen 
Berluft zu; aber, die häufigen Niederlagen ihrer Landsleute fchienen 
ihnen den Muth benommen zu haben, fo daß fie bald in Unordnung 
geriethen und nach allen Seiten bin in die unzugänglicheren Stridye 
der Sierra flohen. Die Flüchtigen, welche fich nicht wieder zu fammeln 
fuchten, wurden von den Spaniern unausgeſetzt verfolgt, und der fieg- 
reiche General traf ſolche wirkſame Maßregeln, daß fie ſich nie wieder 
in einiger Stärke zufammenfanden. Die Empörung der Sierra Bers 
meja war zu Enbe.*) 

Freilich ließe fich Tagen, daß die Rebellion innerhalb der Grängen 
Granada's überall erbrüdt war. Die herzbafteren unter den Infurs 
genten hielten noch in den Höhlen und ſchwer zugänglichen Plaͤtzen der 
Alpujarras aus, indem fie bürftig ihr Xeben frifteten, bis fie von Ab⸗ 
theilungen Spaniern, deren Verfolgungseifer die Regierung durch dad 
Berfprehen von zwanzig Dufaten für jeden Morisco «Kopf belebt 
hatte, niebergehegt wurden. Yaft Alle empfanden das Unthunliche 
bes längeren Widerftanded. Einige entlamen glüdlich in die Berberei. 
Die Uebrigen, muthlos und durch den Rahrungsmangel in dem wüſte 
gelegten Lande zum Aeußerſten getrieben, nahmen zufegt willig bie 
ihnen angebotene Amneftie an und reichten ihre Unterwerfung ein. 


Guerra de Granada, ©. 301 und 302. Der caftilifche Sefchichtichreiber, der wahr 
ſcheinlich die urfprüngliche Idee dazu vom Taritus (Annales, lib. I, cap. 31) borgte, 
bat die Scene mit vollendeter Kunſt, die ihn vom Range eines Nachahmers zu dem 
eines Mivals erhebt, geſchildert. Bon der unglüdlichen Erpedition des Alenſo te 
Aguilar im Jahre 1501 kann ber Leſer eine umfändlihe Befchreibung in der Ges 
ſchichte Ferdinands und Iſabellens, Theil II, Kap. 7, finden. 

*) Mendoza, Guerra de Granada, &. 208—314. — Marmol, Rebelion de 
Granada, ®d. UI, ©. 425—431 


Die Rebellion der Moriscos. 3 


Den acht und zwanzigften October erhielt Don Juan Nachricht 
von dem legten Edicte Philipp's, weldyes verordnete, daß alle Moris⸗ 
c08 innerhalb bed Koͤnigreichs von Granada fofort in das Innere des 
Landes verfegt werden follten. Niemand wurde von biefer Beſtimmung 
auögenommen, nicht einmal die Moriscos de la Paz, wie diejenigen, 
welche getreu verweigert hatten, ſich an ber Rebellion zu betheiligen, 
bießen.*) Die Anordnungen zu biefem wichtigen und ſchweren Schritte 
geichahen mit ausgezeichneter Klugheit und wurden unter der allgemel- 
nen Reitung Don Juan's von Defterreih, des Großcommandeurs 
Requeſens und der Herzöge von Seſa und Arcos prompt und energifch 
vollzogen. 

Kraft der Beftimmungen des Edicts waren die Laͤndereien und 
Häufer der Berbannten zum Beften der Krone einzuziehen. Aber ihre 
wandelbare Habe (their personal effects), ihre Viehheerden **) und 
ihr Getreide, follten, wenn fle es wünfchten, von ber Regierung gegen 
einen feftgefebten Werth angenommen werben. Yür ihr perlönliches 
Wohlbefinden und ihre perföntiche Sicherheit ſollte alle mögliche Sorg⸗ 
falt getragen werben, und es war verboten, bei ihrer Bortfchaffung bie 
Eltern von den Kindern, die Männer von ihren Weibern zu trennen, 
fur; die Samilienmitglieder auseinander zu reißen: — „ein Alt der 


*) Eircourt eitirt eine merhwürdige Stelle aus den Ordenanzas de Granada, 
die von dem gewifienhaften Berfahren der Regierung gegen die Moriscos einen deut: 
lichen Beleg liefert. Sie bildet die Einleitung des Geſetzes vom 24. Februar 1571. 
„Die Moriscos, welche fidy nicht an der Empörung betheiligt haben, follten nicht 
beflraft werten. Wir möchten ihnen nicht gern ſchaden; aber, fe fünnen insfünftig 
nicht ihre Ländereien bebauen, und tann würde es eine entlofe Aufgabe fein, wollte 
man den Unfchultigen von tem Schuldigen zu trennen fuchen. Wir werden fie 
ficherlih entihädigen. Indeſſen müflen ihre Landgüter, wie die der rebelliichen 
Moriscoo, konflscirt werben.“ — Hist. des Arabes d’Espagnes, Bd. III, ©. 148. 

**) Wir haben hier wieder die beiden fononymen Ausdrücke: their locks, their 
herds, deren Unterfchied wir oben angaben. Wir feßen hier in Bezug auf das Wort 
Hock noch hinzu, daß in ihm ter Sinn liegt, daß fi die von ihm begriffenen Thiere 
von felbft zufammenfchaaren, daher es nicht bloß, wie in den meiften Wörterbüdern 
angegeben ift, von Schafen und Heineren Thieren des Landwirthſchaft, fondern auch 
von Fiſchen gebraucht wird: 3. B. a lock of whales, eine Schaar Wallfiſche. Bon 
Hübnern fagt man gewöhnlich a flight. Anmerfung tes Ueberſetzers. 


26 Achtes Kapitel. 


Milde, ben fie,” ſagt ein menfchlicher Gefchichtichreiber, „wenig ver- 
dienten; aber Eeine Majeftät wollte fie gern zufriedenftellen. “*) 

Das Land war in Diftricte getheilt, und die Einwohner follten, 
unter der Bedeckung einer ſtarken &scorte, nach ihren bezüglichen Be- 
fimmungeplägen gebracht werden. Diele fcheinen die folgenden ge« 
weien zu fein: das Gebiet von La Mandha, die nördliche Gränze An⸗ 
daluſiens, die beiden Caſtilien, Eſtremadura und felbft die entfernte 
Provinz Galicia. Man fah fi vor, daß feine Niederlaffung an der 
Gränze von Murcia und Balencia gegründet wurde, weil bort eine 
große Menge Moriscos auf den Gütern ber großen adeligen Herren, 
welche auf iede Einmiſchung in bie Angelegenheiten ihrer Bafallen 
aͤußerſt eiferfüchtig waren, verhaͤlmißmaßig ruhig lebte. 

Für die Kortfchaffung der Moriscos in ganz Oranada war Aller⸗ 
heiligen, ber erſte November, feſtgeſetzt. An dieſem Tage wurden fie in 
den Haupffirchen ihrer Diftricte verfammelt und hatten, nachdem ihnen 
ihre bezüglichen Diviftonen angewiefen worden waren, den Marſch an⸗ 
zutreten. Der Großcommandeur hatte die Bäfle der Alpujarras mit 
flarfen Truppenabtheilungen beſetzt. Die verfchiedenen Emigrantens 
colonnen ftanden unter angefehenen, erprobten Männern. Die ganze 
Bewegung ging mit ausgezeichneter Ordnung vor ih. Widerſtand 
wurde nur an einem oder zwei Plägen verfucht, wo ja außerdem, wie. 
ein caftilifcher Befchichtfchreiber andeutet, die Schuld an der Brutalität 
der Soldaten lag.**) Doch fielen bei der gegenwärtigen Bortichaffung 
ber Moridco8 weniger Afte der Gewaltthätigkeit und Räuberei, ale 
bei ber früheren Fortſchaffung von Granada vor. Wenigſtens dürfte 
man aus dem Etillfchweigen der Gefchichtfchreiber fo fchließen, obwohl 


— — — — — — * 


*) „Que las casas fuesen y estuviesen juntas; porque aunque lo merecian 
poco, quiso su Magestad que se les diese este contento.“ — Marmol, Rebelion 
de Granada, Bd. II, ©. 439. 

"Y), „Saqnearon los soldados las casas del lugar, ytomaron todas las mu- 
geres por esclavas y cosa que di6 harta sospecha de que la desorden habia ne- 
eido de su cudicia.* — Ebend., S. 144. 

Die befiern Gefühle des alten Soldaten flegten hin unb wieder — mas ihm in 
Anbetracht jener Zeit zu feinem geringen Lobe gereicht, — über feine nationalen 
Antipathieen. 


Die Rebellion der Moriecos 97 


allerdings ein folder Schluß nicht ganz zuverläfftg wäre, da bie mels 
ſten Gefchichtfchreiber an den Leiden der Moriscos zu geringen Antheil ' 
nehmen, als daß fie diefelben immer erwähnt haben müßten. Wie 
dem auch fein mag, kann man nicht zweifeln, daß trog aller getroffenen 
Mapregeln, den Erilirten unnöthiges Leiden zu erfparen, das einfache 
Factum, daß fie aus ihrer Heimath vertrieben wurden, auf einen unbes 
rechenbaren Grad des Jammers hindeutet. Denn, was fonnte für fie 
fchredlicher fein, ald auf diefe Weile von ihren angenehmen Behauſun⸗ 
gen, den Scenen ihrer Kindheit, wo jeder Berg, jebed Thal, jeder Fluß 
gleichſam vertraute Freunde und ein Theil ihrer Exiſtenz waren, hin⸗ 
fortgerifien zu werden und unfanft hineingeworfen in ein fremdes Land, 
wo die Menichen fich von ihnen durch den Glauben, die Sprache und 
die Inflitutionen unterichieden und nur das Gefühl tödtlichen Haſſes 
mit ihnen gemein hatten? Daß aber die Fortſchaffung einer ganzen 
Nation ſich fo ruhig vollziehen konnte, liefert den Beweis, wie gründ⸗ 
lich die Kraft und ber Muth der Moriscos durch ihre Niederlagen ges 
brochen geweſen fein muß. *) 

Da ber Krieg alfo beendigt war, glaubte Juan von Defterreich 
feinen Grund zu haben, warum er feinen Aufenthalt in der ‘Provinz 
verlängern follte. Schon feit einiger Zeit hatte er für feine Rüdfehr 
die Zuftimmung des Könige zu erhalten gefucht. Sein zwifchen den 
Gebirgsſchranken der Alpujarras eingefchlofiener Ehrgeiz war ed mübe, 
auf dem ihm jetzt obfeur erfcheinenven Thatenfelde länger eine Rolle zu 


9 Hinſichtlich der Entfernung und Zerfireuung ter Moriscos fiehe Marmol, 
Bebelion de Granada, B». II, ©. 4837 —444. — Ferreras, Histoire d’Espagne, 
®p. X, ©. 227 und 228. — Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 126. 

Es darf uns wohl befremden, wenn ein fo wichtiges Greigniß, wie die Korts 
fhaffung der Moriscos, von Lem Schreiber einer allgemeinen Beichichte, wenn übers 
haupt, nur beiläufig erwähnt worden il. Noch befremdender aber iſt es, daß ein 
Schriftſteller von tem Werthe des Mendoza, deſſen Darflellung es weſentlich anges 
börte und der auf die Erpedition in die Serrania de Ronda dreißig Seiten oder 
brüßer verwenden konnte, völlig mit Stillſchweigen übergangen worden it. Aber, 
jene Expetition war die Erzählung des Ruhmes Spaniens. Der caftiliiche Hiſto⸗ 
rifer verachtete die Nation ter Ungläubigen zu tief, ale daß er einen Betanfen an 
ihre Ungfüdsfälle, wofern tiefe nicht etwa ihm die Tapferkeit feiner Landsleute dars 
zuftellen erlaubten, verſchwenden follte. 


8 Achtes Kapitel. 


fpielen und verlangte, fich auf einer fühneren Schaubühne vor ber 
Welt zeigen zu können. Auch firebte er nach einem unabhängigeren 
Kommando. Er fchrieb wiederholt Briefe an die föniglidhen Minifter, 
namentlich an den Kardinal Espinoſa und Ruy Gomez de Silva, das 
mit fie ihren Einfluß für ihn geltend machten. „Ich möchte gern,“ 
fchrieb er an den lestern, ‚‚wenn ed mir geftattet würbe, Seiner Maje⸗ 
tät in einer wichtigen Sache dienen. Möchte er doch begreifen, daß 
ich nicht mehr ein Knabe bin. Ich kann, Gott fei Danf, ohne den 
Beiftand der Flügel Anderer zu fliegen anfangen, und «8 iſt meiner 
Anficht nad, hohe Zeit, daß ich aus ven Widelbändern herauskomme.“ *) 
In einem andern Briefe fpricht er ben Wunfdy aus, daß er an einem 
Plage fein möchte, der fich für den Bruder eines Monarchen, wie Phi⸗ 
lipp, und den Sohn eines Baters, wie Karl’ des Fünften, befler 
ſchickte.“) Bei mehrfachen Gelegenheiten erwähnt er den Oberbefehl 
gegen die Türfen ald das große Ziel feined Ehrgeizes. 

Er hatte feit Anfang Sommer, alfo fehon ein paar Monate vor 
dem eigentlichen Abſchluſſe des Feldzuges, unaufhörlid darum ange⸗ 
balten, feine gegenwärtige Stelle niederlegen zu dürfen; was eine Uns 
beftändigfeit des Charakters zu beweilen fcheinen fann, wovon er ſpaͤ⸗ 
ter in feinem 2eben ein mertmürdiges Beifpiel gab. Endlich erhielt 
er zu feiner großen Freude die Fönigliche Bewilligung zur Niederlegung 
des Kommando’ und zur Rüdfehr nad) Hofe. 

Den elften Rovember begab ſich Don Juan nach Granada. Hier 
war er bi8 zum Ende ded Monats damit beichäftigt, die nöthigen 
Vorbereitungen zu feiner Abreife zu treffen. Der größere Theil ber 
Armee wurde ausbezahlt und entlafien. ine genügende Truppen- 

zahl behielt man zur Beſetzung der Feſtungen zurüd ober gebraudhte fie, 
um Detachements zu bilden, die das Land fäuberten und die ſich nody 


*) „Querria tambien que all& se entendiese que ya no soy mochacho, y 
que puedo, 4 Dios gracias, comenzar en alguna manera 4 volarsinalas ajenas, 
y sospecho ques ya tiempo de salir de paüales.“ — Carta de D. Juan de 
Austria & Ruy Gomez de Silva, 16 de Mayo, 1570, Ranuilr. 

) „No teniendo el lugar y auctoridad que ha de tener hijo de tal padre, 
y hermano de tal hermano.“ — Carta de D. Juan de Austria 4 Buy Gomes 
de Silva, 4 de Junio, 1570, Manuffr. 





“ Die Rebellion der Moriscos. 29 


auf den Bergen haltenden Moridcos nieberhesten. Weil Requeiend an 
ter Expedition gegen die Ottomannen Antheil nehmen follte, legte man 
das Oberfommando in die Hände ded tapfern Herzogs von Arcos. 
Nachdem Don Juan feine Vorbereitungen beendet hatte, verließ er den 
neun und zwanzigften Rovember Oranada und reifte nach Madrid ab, 
wo der populäre Feldherr von den Bürgern wie ein aus einem fiegreis 
chen Feldzuͤge zurüdgefehrter Eroberer enthufiaftifch begrüßt wurde. 
Bon Philipp und feiner neuvermählten Braut Anna von Defterreicdy 
wurde er nicht minder freundlich empfangen. Auch gab der König 
fhon binnen Kurzem einen fubftantiellen Beweis feiner Zufriedenheit 
mit feinem Bruder, indem er ihn den von den Alliirten angebotenen 
Feldherrnſtab als Generaliffimo im Kriege gegen die Türken übergab. 
Noch gab es einen MoriscosInfurgenten, der fich zu unterwerfen 
weigerte und bisher jeden Verſuch, ihn gefangen zu nehmen, vereitelt 
hatte, obwohl feine Gefangennahme wichtiger, als die eines jeden ans 
dern Moriscos, war. Das war AbensAboo, der ‚Heine König‘‘ der 
Alpujarrad. Seine Macht von fünftaufend Mann war beinahe auf 
vierhundert herabgefchmolzen. Aber, die ihm übergebliebenen Leute 
waren ihm ergeben und fchienen tarauf gefaßt, lieber das Aeußerfte zu 
erdulden, al8 fich zu ergeben. Gleich jeinen übrigen Landsleuten fuchte 
der Moridco-Chef Zuflucht in Gebirgshöhlen in fo aus dem Wege lies 
genden, unzugänglichen Gegenven, daß bisher jeder Verfuch, zu ent« 
teten, wohin er fich zurüdigezogen hatte, vergeblidy unternommen wor: 
den war. ImMärz 1571 zeigte fich eine Gelegenheit, diefe Entdeckung 
zu machen. 
Granada war damals der Schauplag faft täglicher Hinrichtungen. 
Sobald man der bedanuernswerthen Infurgenten habhaft geworden 
war, führte man fie vor den Richterftuhl Deza’s, wo fie auf der Stelle 
von dem unerbittlichen Präfidenten zu den Oaleeren oder zum Galgen 
verurtheilt wurden, oder wo fie dad noch fchredlichere Schickſal traf, 
daß fie mit glühenden Zangen in Stüde gerifien wurden. Unter den 
zum Tode verurtheilten Gefangenen befand ſich ein gewiſſer Zatahari, 
ber das Glüd hatte, daß feine Strafe durch die Verwendung eines 
Goldſchmieds, eines in Granada fehr angefehenen Mannes, einen Aufs 
{hub erlitt. Aus Dankbarkeit für diefen Dienft, oder vielleicht ale 


30 Achtes Kapitel, ® 


ben Preis dafür, machte Zatahari feinem Wohlihäter in Bezug auf 
AbensAboo einige wichtige Enthüllungen. Er verrieth den Ort, wo 
fid) derfelbe verſteckt aufhielt, und die Zahl feiner Truppen, mit dem 
Zufügen, daß die beiden Männer, auf welche ſich Aben-Aboo am mei- 
ften verließ, fein Sefretär Abou⸗Amer und ein mauriſcher Kapitän, 
Namens El Senir, wären. Mit dem erftern von diefen Männern 
war Barrebo, ber im Laufe feines Geichäfts oft in die Alpujarras 
Reifen zu unternehmen Gelegenheit hatte, perfönlich befannt. Er bes 
fhloß, mit dem Sekretär eine Korrefpondenz zu eröffnen und ihn wo⸗ 
möglich zum fpanifchen Intereffe überzuziehen. Zatahari willigte uns 
ter der Bedingung, baß er dafür begnabigt würde, darein, den Brief zu 
überbringen. Der Präfident, welcher ven Plan billigte, bewilligte mit 
Freuden dem Zatahari die Begnadigung, und er ertheilte feine Autos 
rifation, daß ınan dein AbousAmer, falls er dem Barredo an bie Hand 
ginge, die freigebigften Berfprechungen machen follte. 

Zum Unglüd für Zatahari, oder vielmehr, wie fich herausftellte, 
zum Glück für ihn, wurde er unterwegs von EI Senir angehalten. 
Diefer nahm ihm den Brief ab und brachte denfelben dein AbousAmer. 
Der getreue Sekretär fühlte fi) durch den Beſtechungsverſuch aufs 
Scimpflichfte beleidigt. Er würde den Boten bem Tode überliefert 
haben, hätte ihm nicht EI Senir vorgeftellt, daß der arme Kerl bie 
Borfchaft bloß, um fein Leben zu retten, übernommen habe. 

Unter vier Augen verficherte der maurifche Kapitän bem Boten, 
daß Barredo hätte um eine Zufammenfunft mit ihm felber nadyjuchen 
follen, indem er bereit fei, fi) mit den Chriften in Unterhbandlungen 
einzulafien. In ber That hegte EI Senir einen Groll gegen feinen 
Her, und hatte fchon feinen Dienft zu verlaffen und in die Berberei 
zu entkommen gefucht. 

Demgemäß wurde ein Zufammenfunftsort in den Alpujarras, 
wohin ſich Barredo indgeheim begab, verabredet. EI Senir erhielt 
die unter des Sefretärd eigner Hanb gegebene Zuficherung, daß er, 
falls er ven Aben-Aboo todt oder lebendig nad) Granada brädhte, einen 
Pardon für fich felber und für feine Freunde, ſowie eine jährliche 
Penfion von hunderttaufend Maravedis erhalten follte. 

Die Zufammentunft ließ fich nicht fo heimlich abmachen, baß 


Die Rebellion der Moriscos. 3 


nicht ein Wink davon dem Aben-Aboo zu Ohren gekommen wäre. 
Diefer beichloß, ſich allſogleich in das Hauptquartier des EI Senir zu 
verfügen und felber zu unterfuchen, was Wahres daran fei. EI Senir 
hielt ſich in einer benachbarten Höhle verftedt. AbensAboo nahm feis 
nen getreuen Sekretär und einen fleinen Trupp Soldaten mit fich. Als 
er zur Höhle Fam, ließ er feine Begleiter draußen warten, und ging, 
nachdem er zwei Mann am Eingange aufgeftellt hatte, mit weniger 
Klugheit, denn gewöhnlich, allein hinein in das Innere. 

Er fand dajelb den EI Senir von mehreren Freunden und Bettern 
umgeben. Aben⸗Aboo beichuldigteihn in einem fehr entfchiedenen Tone, 
daß er eine geheime Korreſpondenz mit dem Feinde unterhielt und vers 
langte den Zwed feiner legten Zufammenfunft mit dem Barredo zu 
wifien. Senir ſuchte die Beichuldigung nicht in Abrede zu ſtellen, ers 
Härte aber feine Beweggründe damit, daß er bloß durch den Wunſch, 
feinem Heren zu dienen, dazu vermocht worden jei. Er wäre, fagte 
er, dabei jo glüdlich geweien, daß er vom Präfidenten die Verficherung 
erhalten habe, daß der Moridco, wenn er feine Waffen nieberlegen 
wollte, eine Amneſtie für das Vergangene und eine reichliche Verſor⸗ 
gung für die Zufunft erhalten follte. 

Aben-Aboo hörte diefe Erflärung mit einer fpöttifchen Miene an, 
fehrte fi, alddann, indem er das Wort „Verrath“ murmelte, um und 
Schritt dem Eingange der Höhle, wo er feine Soldaten gelaffen, wahrs 
fcheinlich mit der Abficht, feinen treulofen Offizier verhaften zu laflen, 
zu. Er batte aber den Soldaten, fcheint es, feinen Wink von ber 
feindlichen Abficht, warum er dein EI Senir den Beſuch abftattete, ger 
geben; weshalb fie, vorausfegend, daß es fich um eine gewöhnliche 
Angelegenheit handelte, fortgegangen waren, um Freunde in der Nähe 
zu befuchen. EI Senir begriff, daß feine Zeit verloren gehen durfte. 
Auf ein von ihm gegebenes Zeichen griffen feine Begleiter die am Eins 
gange flehenden Poften an und tödteten einen davon auf der Stelle, 
während der andere entfam. Hierauf fielen fie alle über den unglüd» 
lichen Aben-Aboo her. Er wehrte fich verzweifelt. Obſchon er aber 
grimmig kämpfte, Fonnte fein Widerftand, weil feine Gegner zu zahl 
reich waren, nicht lange dauern. Der Kampf fchloß bald damit, daß 
ber feige Senir feinen Herrn von hinten überfiel und ihm mit dem 


3 Achtes Kapitel. 


Kolbenende feiner Muskete an den Hinterkopf einen Schlag verlegte, 
der ihn zu Boden warf, wo man ihn ſchnell durd, eine Menge Wun⸗ 
den vollends umbracdhte. *) 

Der Leichnam wurde aus der Höhle hinausgeworfen. Als bie 
Leute Aben⸗Aboo's von dem Schickſale ihres Herrn hörten, zerftreuten 
fie fich nad) allen Richtungen hin. Der treue Sefretär fiel bald darauf 
in die Hände der Spanier, die ihm mit der von ihnen gewöhnlich in 
biefem Kriege bewieſenen Menſchlichkeit die Eingeweide herausreißen 
und den Körper viertheilen ließen. **) 

Den Körper Aben⸗Aboo's brachte man in die Rähe von Granada, 
wo man Anftalten traf, um dem todten Chef einen öffentlichen Einzug 
in die Stadt, ald wenn er noch am Leben geweſen wäre, zu bereiten. 
Der Leichnam wurde mit den Beinen auseinander auf ein Maultbier 
gefeßt, während ihn ein hölzerner Rahmen, welchen die weiten Kleider 
verbedten, im Sattel aufrecht erhielt. Auf der einen Seite des Körs 
pers ritt Barredo, auf der andern EI Senir, welcher letztere den Säbel 
und bie Hakenbüͤchſe feines ermordeten Herrn führte. Hierauf folgten 
die Anverwandten und’ Freunde des Moriöco » Fürften, alle mit ben 
Waffen an der Seite, Ein Regiment caftiliiche Infanterie und ein 
Trupp Reiterei fchloß den Zug. Sowie die Prozeflion die Jacatins 
Straße entlang defilirte, begrüßten fie Musfetenfalven, begleitet von 
Kanonendonner aus den alten Thürmen ber Alhambra, indeß die Bes 
völferung Granada's mit haftiger aber fchweigfamer Neugier aus ben 
Häufern heraus eilte, um das fonderbare, gefpenftiiche Schaufpiel ans 
zugaffen. 

Auf diefe Weife erreichte die Gefellfchaft ven großen freien Plag 
Bivarambla, wo der Präfident, der Herzog von Arcos und die vors 


*) Marmol, Rebelion de Granada, Bd. II, S. 449—454. — Mendoza, 
Guerra de Granada, &. 324—327. — Bleda, Cronica de Espana, ©. 752. — 
Herrera, Historia General, Bd. 1, ©. 781. — Vanderhammen, Don Juan de 
Austria, Fol. 123. 

*") Who caused him to be drawn and quartered. — Das Wort to draw iſt 
jegt nicht mehr mit Bezug auf Menfchen in diefer Bedeutung gebräudlich, weil die 
Geſetze humaner geworten find. Doc fagt man no: to draw a fowl, aus Ges 
flügel das Eingeweide herausnehmen. Anmerk. des Ueberf. 


Die Rebellion der Moriscoe. 33 


nehmften Kavaliere und Magiſtratsperſonen der Stadt verfarmmelt wa⸗ 
ren. Als man in ihre Nähe kam, fileg EI Senir ab und überlieferte 
dem Deza auf den Knieen die Waffen’ Aben⸗Aboo's. Der Praͤſtdent 
empfing ihn gnädig und beftätigte die ihm gegebenen Verficherungen 
ber föniglichen Gunſt. Hierauf machte man die elende Geremonie 
einer öffentlihen Hinrichtung duch. Wan fchlug dem todten Manne 
dad Haupt ab. Sein Rumpf ward den Knaben der Stadt übergeben, 
die ihn, nachdem fie ihn unter Berfpottungen und Flüchen durch die 
Straßen geſchleppt hatten, in die Flammen warfen. Das war eine 
der Untenweifungen, wodurch die Spanier fchon in früher Jugend dem 
Geifte ihrer Kinder gegen bie Moriocos einen unvertilgbaren Haß ein» 
flößten. 

Das Haupt Aben⸗Aboo's wurde in einen Käfig eingefchloffen 
und über das auf die Alpujarras hinausgehende Thor geftelt. Mit 
dem Antlig feinen heimathlichen, von ihm fo heiß geliebten Bergen zus 
gewandt, welche die Zeugen feiner furzen, unbeilvollen Regierung ge» 
weien waren, blieb es bafelbf gar mandyes Jahr. Niemand wagte 
es fortzunehmen, um fich nicht die Etrafe zuzuziehen, die eine Auf- 
ichrift des Käfige gegen den Frevler verfündete: „Das ift der Kopf 
des Vertäthers Aben⸗Aboo. Ihn herunterzunehmen ift bei Todes 
itrafe verboten.‘ *) 

Das war das traurige Ende Aben⸗Aboo's, des allerlegten Sprofs 
fen des auf ter Halbinfel herrfchenden föniglihen Stammes ber 
Dmeyaden. Hätte er zu ben frieblichen, blühenden Zeiten der arabi⸗ 
ſchen Herrihaft in Spanien gelebt, hätte er vielleicht da8 Scepter mit 
eben fo viel Ruhm, wie die Beften feined Haufes, geführt. Obſchon 
das Blut der Mauren in feinen Adern floß, Icheint er doch von einigen 
der größten Schwächen bed maurifchen Charakters frei geweſen zu fein. 
Er war mäßig in feinen Genüffen und bildete in diefer Beziehung 
einen Gegenſatz zu der groben Sinnlichfeit feines Vorgängers. Er bes 
faß eine erhabene Denktungsart, war bei feinem Urtheil falt und um⸗ 


) „Esta es la cabeza del traidor de Abenab6. Nadie la quite so pena de 
moerte.* — Mendoza, Guerra de Granada, S. 329. — Marmol, Rebelion de 
Granada, ®b. II, ©. 455 und 4856. — Bloda, Cronica de Espana, ©. 752. — 
Minians, Historia de Espaha, ©. 383., 

Prescott, Geſch. Bpitipp's 1. V. 3 


34 Achtes Kapitel. 


fichtig und, wenn er ſich audy nicht der feurigen Charakterſtärke, die 
einigen Yürften ſeines Haufes eigenthümlich war, rühmen fonnte, bes 
faß er doch eine Willenskraft, die fich weder burdy Leiden, noch burd) 
Gefahren einfhüchtern ließ. Hiervon gab er einen ausgezeichneten 
Beweis, ald die unmenfchlichften Peinigungen, wie der Lefer fich erins 
nern wird, aus ihm nicht dad Geheimniß, wo ſich feine Freunde aufs 
hielten, herauspreffen fonnten.*) Wie bereit angedeutet, waren 
feine Eigenfchaften fo befhaffen, daß fie ihn für eine Zeit des Wohl⸗ 
ftanded und Friedens eigneten. Leider fiel feine Regierung in fchlimme 
Zeiten, wo fein Land ſchon zu Grunde gegangen zu feinen Fuͤßen lag; 
wo daß durch lange Knechtſchaft gedemüthigte Bolf durch die unlängft 
erlittenen Kriegsniederlagen gebrochen war; furz, wo ed nicht dem weis 
feften und friegerifchften feiner Vorgänger möglich geweſen fein würde, 
die Mauren gegen die überlegene Macht der fpanifchen Monardjie, die 
fi) auf Dem Gipfelpunfte ihrer Macht befand, zu ftegreichem Wider: 
ftande zu beleben. 

- Die caftilifchen Schriftfteller haben feinem Andenfen einen tiefen 
Flecken anzubeften gefucht, indem fie ihn befchuldigten, daß er den Ei 
Habaqui ermordet und den von ihm fanctionirten Bertrag auszuführen 
fih geweigert habe. Allein, wir dürfen, wenn wir dad Betragen 
Aben⸗Aboo's beurtheilen, nicht vergefien, von welcher Ration er her⸗ 
ftammte und wie die Inftitutionen dieſes Volkes beichaffen waren. Er 
war ein Deöpot, und zwar ein morgenländifcher Deöpot. Die Lage, 
in der er fich befand — und noch dazu fehr gegen feinen Wunſch ſich 
befand, war derartig, daß er unbefchränfte Macht über das Leben und 
Vermögen feines Volkes beſaß. Sein Wort war das Gefeh deſſelben. 
Er fällte das Urtheil und vollzog e8 au. Den El Habaqui erklärte 
er für einen Verräther; indem er ihn zu dem Strange verurtbeilte, bes 
legte er ihn nur mit der Strafe, weldye jeden Verräther traf. 

Was den Vertrag anbelangte, fo fagte er, daß er verrathen wors 
den fei, indem er anführte, daß er nicht biefe Vertragsbeftimmungen 
gewollt hätte. Wenn wir nun erwägen, daß das Aftenftüd in ber 
ſpaniſchen Sprache abgefaßt war, daß ein Spanier ed aufgefegt hatte, 


—— — — — — 


*) Die Erzählung dieſes Vorfalls ſteht oben im vierten Kapitel dieſes Buche. 





Die-Rebeltion der Noriscos. 35 


endlich, daß der den Bertrag unterzeichnende mauriſche Hauptagent von 
ben Spaniern gewonnen war, wie die maßlofen Gunftbezeigungen, 
mit denen er überfchüttet wurde, allaubautlich beweiien: fo fann man 
ſchwerlich daran zweifeln, daß Aben⸗Aboo feine guten Gründe hatte, 
wenn er eine foldye Beriicherung machte. Bon der Stunde feiner 
Throndefteigung an fcheint er ſich dem großen Werke der Befreiung 
jeined Volks gewidmet zu haben. Er konnte fchwerlich zu einem Bers 
trage feine Zuftimmung geben, welcher diefes Volk in einer noch ſchlim⸗ 
mern Lage ließ, als ed vor ber Rebellion geweien war. Aus Allem, 
was wir von ihm wiflen, dürfen wir mit mehr Grunde den Schluß 
ziehen, daß er ed aufrichtig meinte, wenn er zu dem fpanifchen Ges 
tandten Palacios, der, um die Ausführung des Vertrags zu befchleus 
nigen und ihn an bie föniglichen Onadenzuficherungen zu erinnern, 
gefommen war, fagte: „ſein Bolt möge thun, wie es bemfelben bes 
liebte, was aber ihn felber anbeträfe, fo wolle er lieber als Mufelmann 
leben und fterben, denn alle Qunftbezeigungen befigen, mit denen ihn 
der König von Spanien überhäufen könne.‘ Seine Handlungen ent⸗ 
ſprachen feinen Worten; denn obichon er in einer verzweifelten Lage 
fi) befand, fuhr er doch noch immer fort, der fpanifchen Regierung 
Trotz zu bieten, bis er endlich durdy den Arm eined Verrätherd umge⸗ 
bracht wurde, 

Der Tod Aben⸗Aboo's zerriß das lebte Band, welches die noch 
übrigen Moriscos zufammenbielt. Binnen einigen Jahren hatten das 
Schwert, der Hunger und ber Galgen die Geächteten, die ſich noch in 
den ſchwer zugänglichen Dertern des Gebirges verftedt hielten, audges 
rottet. Ihren Blag nahmen nad) und nad) Ehriften ein, die durch bie 
vortheilhaften Bebingungen, weldye die Regierung den Koloniften bot, 
dahin gezogen wurden. Doch dauerte es lange, che das verwüftete, 
von der Hungerönoth heimgefuchte Gebiet die angeftrengte Arbeit der 
Koloniften entiprechend zu belohnen vermochte. Diefelben waren mit 
dem Lande unbekannt und ed gebrach ihnen ganz und gar an der nöthis 
gen lantwirthfchaftlichen Kennmiß, um die unfruchtbaren Stellen am 
beften zu verwerthen. So abenteuerlich gefinnt ber Spanier auch war 
und fo unbefümmert um Gefahr und Schwierigkeit er dem Gewinn 
nachjagte, war ihm nichtsdeſtoweniger die niedrige ‘Bladerei, die zur 

3% 


36 BA Rapitel. 


Beſtellung ded Bodens erheifcht wurde, zumiber: daher denn manches 
Thal und manche Bergwand, bie unter den Moriscos im vollen 
Schmucke der Bebauung geprangt hatte, jegt im ihre unfprüngliche Un⸗ 
fruchtbarfeit zurüdfiel. 

Die Berbannten brachten in die Provinzen, wohin fie geſchickt 
wurden, ihre: überlegene Gefchädtichkeit und Induftrie mit fih. Ob⸗ 
fchon fie zerfireut und weit von einander gertennt warm; fonnte man 
doch ficher darauf rechnen, daß fid) die Anweſenheit von Moriscos 
kundgab durdy tie ſorgfältigere umd fleißigere Bebamung des Bodens, 
gleichwie ſich der verborgene Lauf bed Bergſtromes durch das herr⸗ 
lichere Grün der Wieſe verraͤth. Mit ihrer landwirthſchaftlichen Ge⸗ 
ſchichlichkeit vereinigten fie eine genaue Bekanntſchaft mit vielerlei 
Handwerken, die den Spaniern unbekannt waren: beſonders mit ſol⸗ 
hen, welche Gewandtheit und Feinheit der Ausführung erforderten 
Die natürliche Folge dieſer Ueberlegenheit war, daß die Producie ihrer 
Thätigkeit in größerer Menge und um einen bißligeren Preis, als die⸗ 
jenigen ihrer Nachbarn geliefert werden fonnten. Deffenungeadhtet 
fam dieſe Induftrie unter den ungünftigften Ummftänden, weiche eine 
jehr graufame Geſetzgebung über fie verhängen fonnte, zu Stande. 
Es wäre ſchwer, auf den Seiten ber Geſchichte ein flagrantered Bei⸗ 
Ipiel der Unterbrüdung eines unterworfenen Volkes zu finden, als uns 
durch die Geſetze diefer Periode in.Bezug auf die Moriscos geliefert 
wird. Das gehäffige Gefeg vom Jahre 1566, weiches die Empörung 
herbeigeführt hatte, wurde in voße Kraft geſetzt. Durch baflelbe wur⸗ 
den bie NRationalgefänge und Rationaltänze, die eigenthümlichen Bä⸗ 
ber der Moriscos, die Feſte und Ceremonien, welche fie von ihren Bors 
fahren geerbt hatten, unter Androhung ſchwerer Strafen unterfagt. 
Durdy eine andere, vom 6. Oftober 1572 datirte Verordnung, die noch 
genufamer und abfurder war, wurbe es ihnen verboten, dad Arabiſche 
zu fprechen oder zu fchreiben, und zwar bei Strafe vom breißig Tagen 
Gefängnig in Eifen beim erften Zuwiderhandeln, bei doppelter: Ge⸗ 
fängnißftrafe für das zweite Vergehen und bei hundert -Hieben und 
vierjähriger Galeerenhaft für das dritte Vergehen. Nach einer an⸗ 
bern, in bem nänlidyen Edikte enthaltenen gräßlichen Beſtimmung war 
Sedermann, ber ein in ber arabifchen Sprache geichriebeues oder ges 


Die Rebellion der Moriscos. 37 


dructes-Werf las oder auch nur in feinem Befig hatte, mit hundert 
Streichen und vier Fahren Galeeren zu beftrafen. Alte in jener Sprache 
abgefaßten Verträge oder öffentlichen Urfunden follten ungültig fein 
und die Fontrahirenden Parteien zu zweihundert Hieben und fechsjäh- 
tiger Ruberarbeit verurtbeift werden. *) 

Aber der härtefte Theil diefer fürdhterlichen Orbdonnanz bezog ſich 
auf den Wohufig der Moriscos. Niemand durfte feinen Aufenthalts⸗ 
ort verändern ober die ihm angewieſenen Kirchipiele oder Diftrifte ohne 
tie Erlaubniß ter regelmäßigen Obrigfeiten verlaffen. Wer dawider 
handelte und außerhalb diefer Gränzen betroffen wurde, war mit hundert 
Hieben und vierjähriger Haft auf den Galeeren zu beftrafen. Wer 
innerhalb zehn Stunden von Granada gefunden wurde, war, wenn er 
in einen Alter von zehn bis fiebenzehn Jahren ftand, zu lebenslaͤng⸗ 
ticher Zwangsarbeit ald Galeerenfklave, und, wenn er über fiebenzehn 
Jahre zählte, zum Tode zu verurtheilen.**) Sobald ein Morisco 
aus feinen Graͤnzen entfchlüpfte, hatte man auf. ihn, wie auf einen 
Verbrecher, zu fahnten.***) Sogar von feiner Familie verlangte mar, 


9 Nueva Recopilacion, Bud VII, Titel TI, Abfchnitt 19. 

ve“, „Si estos tales que se huvieren huydo, y ausentado fueren hallados 
en el dicho Reyno de Granada, 6 dentro de diez leguas cercanas & el, caygan 
€ incurran en pena de muerte, que ses en sus personas executada.“ — Ebend. 
mie oben. 

») Der englifche Ausorud ift: The hue and cry was to be raised, as for 
the pursuit of o criminal. — Unfer Wort „Stedbrief” wird im Engliſchen durch 
hue and cry wietergegeben. Ganz wörtlich überfegt würde die Stelle lauten: „So 
war Halloh und Geichrei zu erheben, wie bei ter Verfolgung eines Verbrechers.“ — 
In law, fagt Ögilvie, a hue and cry is the pursuit of a felon or offender, with 
loud outeries or clamour to give an alarm. This procedure is taken by a per- 
son robbed or otherwise injured,, to pursue or get possession of the culpritis 
person. — Hue is a contracted word, Norm. hue, Fr. huer or hucher, 
Dan. hui, or more probably it is from the same root as hoot. — Gine noch ge: 
nauere Erflärung des Wortes hue gibt George William Lemon in feiner English 
Etymology (%ondon, 1783, 49), wenn er fagt: „Hue and cry, oder huing-cry, 
hue and hack. — Elel. Way. 73, fagt: Guᷣo, macto, tötten, indem huing-cry 
urfprünglich das Mordgefchrei, weldees man erhob, um das Land zur Berfolgung 
eines Verbrechers auf die Beine zu bringen, bedeutete. — Sobald irgend eine Bes 
raubung vorgefallen ift, fagt Minſhew, ift der Konflabler der nächken Stadt ‚vers 





38 Achtes Kapitel. 


daß fie der Obrigfeit feine Abwefenbeit anzeigte. Im Falle die Fa⸗ 
milienglieder dieß unterließen, follten fie, felbft wenn, wie das Geieg 
fagt, e8 feine Frau oder feine Kinder waren, der Brügelftrafe und ein- 
monatlichem Gefängniß auf der gemeinen Galeere verfallen fein. *) 

Doch finden wir, daß ungeachtet diefer unmenfchlichen Berfügun- 
gen die Moriscos hin und wieder in die Provinz Balencia entweichen, 
wo eing große Menge ihrer Landsleute als Leibeigne auf den Landgüs 
tern der großen adeligen Herren lebten, unter deren maͤchtigem Schutze 
fie einen Grad des Wohlbefindens, wo nicht der Unabhängigfeit, ber 
ihren Landsleuten in andern Landestheilen unbefannt war, genofien. 
Einige wenige gelangten auch glüdlih nad) der Küfte und entfamen 
über das Meer in die Berberei. Gerade die Strenge ded Geſetzes ver- 
hinderte bis zu einem gewiflen Grabe bie Vollſtreckung deffelben. Wirk⸗ 
(ich hielt ed Philivp in mehreren Fällen, wo er glaubte, daß die Edicte 
die maurifchen Bafallen zu hart bedrüdten, für angemefien, die Strafe 
zu mildern ober felbft völlig zu erlaffen. Indeß fcheint dieſes fanfte 
Verfahren feinen caftilifchen Unterthanen nicht fehr nach Wunfche gr- 
weſen zu fein. **) 

Doch bob ſich fonderbarer Weife unter diefem eifernen Syſteme 
ber Muth der Moridco8, welcher durch die langen Leiden des Rebel: 
liondfrieges niedergeworfen worden war, allmälig wieder, ſowie fie in 
ihrer neuen Heimath einen Schirm fanden und ihren früheren, ruhig 
gewerbthätigen Gewohnheiten wieder nachhängen konnten. Wenngleidy 


pflichtet, den Verbrecher zu verfolgen und, wenn er ihn nicht findet, dem naͤchſten 
Konftabler Anzeige zu machen, und Alle, die davon hören, müflen aufs Berfolgen 
ausgehen, felbft nad der See zu. Die Schotten nennen das Huesium, was ge: 
fhieht, indem man ein Horn Hlaft und einen Ausruf (an outery) macht. Wenn dieß 
geichehen und ter Räuber ſich nicht dem Railiff (Bogte) des Könige ftellt, darf man 
ihn, wo man ihn fintet, ungeftraft erfchlagen oder am nächften Baume auffnüpfen. 
— Oder Hue — oder, wie man c6 gewöhnlich fchreibt, hew, — If zufolge dem 
Junius von xew, xealo, scindo, rumpo, den Lebensfahen zerichneiden oder zer⸗ 
reißen, hergeleitet. Doch fcheint Die erftere Ableitung den Vorzug zu verbienen. 
Anmerfung tes Ueberfegers. 

*) Ebend. a. a. O. PER 

**) Beifpiele hiervon führt Circourt, Hist. des Arabes d’Espagne, Band IH, 
©. 150 und 151, an. 


Die Rebellion ver Moriscos. 39 


ihrer gewohnten Ergögungen, ihrer Feſte, Gefänge und Tänze beraubt; 
wenngleich von dem Gebrauch ihrer Sprache geichieden, welche fie fchon 
in der Wiege geftammelt, in welcher ihre nationalen Ueberlieferungen 
ausgeprägt waren und an bie fich ihre theuerften Erinnerungen knuͤpf⸗ 
ten: bieß es doch von ihnen, daß fie gut gelaunt und fogar audgelaf- 
fen fröhlidy waren. Sie lebten bis zu einen hohen Alter, und e& gab 
unter ihnen Beifpiele von einem langen Leben, von dem gleiche Bei- 
fpiele unter den Spaniern zu finden nicht leicht war. Das maurifche 
Geſchlecht fcheint, gleich dem jüdifchen, unter der Verfolgung gediehen 
zu fein. *) 

Man würde froh fein, fänden ſich authentiſche Angaben der Zahl 
ber wirklichen Bevölferung zur Zeit ihrer Austreibung aus Granada. 
Allein, ich bin auf feine geftoßen. Die Moriscos müflen durch den 
Infurrectiondfrieg und die durch denfelben über das Land gebrachten 
zahllofen Leiden arg verdünnt worben fein. in einzige von den 
Geſchichtſchreibern ermähntes Faktum beweift, daß die Anzahl der Eri- 
lirten fehr beträchtlich gemwefen fein muß.. Der Heine in Granada mit 
feiner lieblihen Bega und dem Thal Locrin zurüdgelaffene Ueberreſt 
fol allein über fechötaufend geliefert haben.**) In den Pläpen, nach 
welchen fie transportirt worden waren, fuhren fie fi) ineinem fo hohen 
Grade zu vermehren fort, daß die Cortes von Eaftilien am Ende des 
Jahrhunderts den König petitionirten, daß er feine Volfszählung ers 
(auben möge, damit diefelbe den Morisco nicht das erſchreckende Ge⸗ 
heimniß ihrer Zunahme an Zahl offenbarte. ***) ine folche Petition 
zeigt fo ftarf, wie er fich in Worten ausdrüden läßt, den Schreden, 
welchen die Spanier immer noch vor dieſem verfolgten Volke em» 
pfanden. 


*), Ebend., ©. 163. 

Herr von Eircourt Bat aus einigen authentifchen, nicht fehr zugänglichen Quel⸗ 
len viele intereffante Auffchlüfle mit Bezug auf diefen Theil feines Gegenſtandes 
gefammelt. 

**) Ferreras, Hist. d’Espagne, Bd. X, ©. 227. 

**s) „Ilsrepr&senterent que ce recensement allait lenr révéler le secret de 
leur nombre effrayant; qu’ils fourmillaient.“ — Circourt, Hist. des Arabes 
d’Espagne, Bb. III, ©. 164. 


40 naqtes Kapitel. 


Gleichwohl waren die Moriscos in Heinen, iſolirten Maſſen, dic 
volkändig von Spanien umringt waren, über dad Land zeriireut. 
Sie waren in das Innere verpflanzt, wo fie, entfernt von der Küſte, 
nicht die Mittel befaßen, mit ihren afrifanifchen Brüdern zu verfehren. 
Sie beſaßen feine Waffen irgend einer Art und waren, weil fie auf 
ihre bezüglichen Diftrifte angewieſen waren, nicht fähig, übereinftim- 
mend zu handeln. Es follte ſcheinen, daß von einem fo fituirten Bolfe 
wenig zu befürchten geweſen wäre. Aber das fchwächfte Individuum, 
weiches fühlt, daß das ihm angethane Unrecht zu groß if, als daß es 
verziehen werben fönnte, fann für die Perſon, welche ihm dad Unrecht 
angethan hat, leicht zu einem Gegenftande ber Befürchtung werden. 

Das Verfahren der Regierung gegen die Moridcos war ein ofs 
fenbarer Mißgriff. Es war eben fo unpolitifch wie barbariſch. Bloß 
der blindefte Fanatismus fonnte die Spanier daran verhindern, dieß 
einzuſehen. Die Abficht der Regierung war geweſen, die legte Spur 
von Rationalität in dem überwundenen Bolfe zu zerftören. Die Mos 
riscos wurden gezwungen, ihre alten Bräuche, ihre Hefte, Religion und 
Epradye, Alles, was ihnen eine abgeſonderte Eriftenz ald Ration gab, 
zu zeritören. Doch dad diente bloß dazu, um insgeheim dad Ratio: 
nalgefühl zu ftärfen. Sie follten auf immer von der Bergangenheit 
aeichieden werden. Aber, die Regierung beging den Irrthum, daß fie 
ihnen feine Zukunft eröffnete. Sie müßte, nachdem fie die nationale 
Unabhängigkeit derfelben zerftört hatte, ihnen die Bürgerrechte angebo- 
ten und fie mit dem übrigen Gemeinweſen auf gleiche Stufe gehoben 
haben. Das war die PBolitif, weldye das alte Rom hinfidytlicy Der 
überwundenen Rationen befolgte, und das ift die Politik unſeres eig⸗ 
nen Landes in Hinficht auf die zahllofen Emigranten geweien, die fi) 
von fo vielen fernen Rändern nach unfern Küften gebrängt haben. Die 
Moriscos dagegen wurden unter der Politif Spaniens verurtheilt, als 
Fremde im Lande, als Feinde inmitten der Bevölkerung, unter bie fie 
geworfen worden waren, zu leben. Die Erfahrung hatte biefelben 
Klugheit und Verſtellung gelehrt, weshalb fie in allen Aeußerlichfeiten 
fich den Forderungen des Geſetzes anpaßten. Aber insgeheim hingen 
fie noch eben fo fehr an ıhren nationalen Inſtitutionen, wie ihre Vor⸗ 
führen zur Zeit, wo die Kaliphen von Coͤrdova über die halbe Halb» 


Die Rebellion der Moriscos. 41 


inſel geherrſcht hatten. Nur ſelten erwiſchte die Inquiſition aus ihrer 
Mitte einen Abtrunnigen, der die Schrecken eines Auto de fe mit zu 
vermehren hatte. Wenn man fir) jedod, die Schnelligfeit ins Ge⸗ 


daͤchtniß zurüdtuft, mit welcher bei der letzten Rebellion die ganze Be⸗ 


völferung wieder in ihren alten Olauben zurüdgefallen war, wird man 
ſchwerlich daran zweifeln, daß fie im Herzen fortwährend Mahomeda⸗ 
ner geblieben fein müflen. 

Auf diefe Weife wurde die die beiden Volksſtaͤmme trennenbe 
Kluft mit jedem Tage weiter. Die Moriscos haften die Spanier 
wegen bes ihnen von Dielen zugefügten Unrechts. Die Spanier haßten 
die Moriscos um fo mehr, weil fie felber ihnen diefed Unrecht ange 
tban hatten. Ihr Haß wurde noch erbitterter wegen ber Eiferlucht, 
tie aus der glüdlicdyen Concurrenz ihrer Rivale in den verichiedenen 
Iutuftriegweigen entiprang: — ein Umftand, der in ber oben er⸗ 


“ wähnten Petition der Corte zu zahlreichen Beichwerden Anlaß 


gibt.*) Zu der Gehäffigfeit gefellte fich mit der Zeit Yurcht, weil die 
Moriscos an Reichthum und Menſchenzahl zunahmen. Sodann ift 
man gewöhntid, nicht allgubedenflich in feiner Berfahrungöwelfe gegen 
Leute, die man fowohl haßt, wie fürchtet. 

Indem dieſe fchlimmen Leidenſchaften in der Bruft der Spanier 
nagten, wurden fie allmälig auf die Vollendung und den Abſchluß 
der langen Berfolgungsfette durch den lebten, der Regierung, 
des bloͤdſinnigen Philipp's des Dritten vorbehaltnen Akt, die 
Vertreibung der Moriscos von der Halbinfel, vorbereitet: — auf 
einen Aft, welcher Spanien bed gewerbthätigften und finnreichften 
Theiled feiner Bevölkerung beraubte und als eine der Haupturfachen 
des in ber Folgezeit eintretenden Berfalled der Monarchie betrachtet 


werden muß. 


Ein minder berühmter Schriftfteller, als Mentoza, ift Luis del 
Marmol Carbajal; doch ift er wichtiger, al® jener, für Jeden, der ſich 


*, Qu’ils accaperaient tous les metiers, tont le commerce.“ — (Gbend., 


a. a. O. 





43 Achtes Kapitel. 


mit der Gefchichte der Morisco⸗Rebellion befannt machen will. Außer 
den furzen Bemerkungen, bie er über fich felbft in feinen Werfen macht, 
iR von ihm wenig befannt. Er war zu Granada geboren, aber wir 
fennen nicht das Jahr feiner Geburt. Er ſtammte aus einer guten’ 
Familie und widmete jich dem Kriegerftande. Er war noch ganz jung, 
als er, wie er und erzählt, mit bei der berühmten Belagerung von 
Tunis zugegen war. Er blieb zwei und zwanzig Jahre im Faiferlidyen 
Dienfte. Sieben Jahre lang war er in Gefangenfchaft und folgte 
dem fiegreichen Banner Mohammeds, des Scherifd von Marocco, auf 
defien Weldzügen im weftlichen Afrifa. Seine mannigfachen Gefchide 
und fein langes Berweilen in verfchiedenen Theilen des afrifaniichen 
Kontinents, befonders in ber Berberei und Aegypten, veriahen ihn mit 
reichlichen Auffchlüffen hinfichtlich der Gegenftände feiner hiſtoriſchen 
Forſchungen, und, weil er das Arabifche fannte, machte er fich mit den- 
jenigen Factis, weldye aus den in jener Sprache gefchriebenen Büchern 
aufzufinden waren, befannt. Die Krüchte feines Studiums und feiner 
Beobachtung gab er der Welt in feiner „Descripcion General de 
Africa,“ einem Werfe in brei Foliobänden, deſſen erfter Theil 1573 
zu Granada erfhien. Die übrigen Theile wurden erft am Schluffe 
bes Jahrhunderts herausgegeben. 

Das Buch brachte feinem Berfaffer einen großen Ruf ein; er 

wutde fehr gepriefen wegen der Treue und des Fleißes, womit er feine 
Unterſuchungen auf einem wiflenfchaftlichen Felde, auf welches einzus 
bringen die europäifchen Gelehrten bisher felten gewagt, angeftellt 
hatte. 

Im Jahre 1600 erfchien zu Malaga fein zweites Werk, vie 
„Historia del Rebelion y Castigo de los Moriscos del Reyno de 
Granada,“ in einem $oliobande. Zu der Abfaffung diefer Geſchichte 
eignete fich der Verfaffer in hohem Grade, nicht nur wegen feiner vers 
trauten Bekanntfchaft mit Alleın, was auf den Charakter und die Lage 
ber Moriscos Bezug hatte, fondern auch wegen der von ihm im Ins 
furrectiondfriege gefpielten perfönlichen Role. Er verfah das Amt 
eined Commiffärs in der föniglichen Armee und diente ih diefer Eigens 
haft vom Anfange bis zum Ende des Krieges. An der warmen 
Schilderung feines Erzählens und an ber ind Einzelne gehenden Ge 


Die Rebellion ter Moriscos. 43 


nauigkeit werden wir gewahr, daß wir den Bericht Jemandes leſen, 
der die von ihm beſchriebenen Auftritte ſelbſt geſehen hat. In der That 
läßt ihn das Intereſſe, welches er als ein Mithandelnder natürlicher⸗ 
weife an den Kriegsoperationen nimmt, fo fehr ind @inzelne eingehen, daß 
Leute, welche nicht ein gleiched Intereffe an den Einzeinheiten des 
Kampfes nehmen, diefe Genauigfeit al8 etwas Häßliched anſehen kön⸗ 
nen. Wenn aber fein Styl Etwad von der herumfpringenden, abs 
ichmeifenden Weife ber alten caftitiichen Gefchichtichreiber an ſich trägt, 
befigt derfelbe auf der andern Seite eine gewifle Eleganz in ber Aus» 
führung, welche ihn der Mufterhaftigfeit eines klaſſiſchen Schriftftellers 
viel näher bringt. Weit davon entfernt, daß man Marmol die Dun- 
felheit ded Mendoza vorwerfen fönnte, ift er vielmehr außerordentlich 
deutlich. Mit großer Gewandtheit des Ausdruds nimmt feine Sprache 
das für den Gegenftand gerade paflende Gepräge an, indem fie bis⸗ 
weilen zur Beredtfamfeit aufflammt und hin und wieder fi) zum 
Pathos erweicht, wozu der mehmüthige Charafter feiner Gefchichte ihm 
nur zu viele Gelegenheit darbot. Obfchon er feinem Lande und Glau⸗ 
ben zugethan war, zeigte er doch nur wenige Spuren”) der glühenden 
Intoleranz, welche feiner Nation überhaupt, befonders aber dem mit 
ten Moslems in Zufammenftoß gerathenden Theile derfelben eigen- 
thümlich war. Wirklich entdeden wir in verfchiedenen Stellen feines 
Werkes Spuren jener chriftlichen Liebe, die man in Gaftilien fehr felten 
traf und die leider auch in dem Zeitalter, wo er lebte, die am gering- 
ften geichägte Tugend war. 

Zufolge dem weiten, von Marmol aboptirten Plane enthält feine 
Gefchichte der Rebellion eine vorangefchidte Nachricht über die Er⸗ 
oberung von Granada und die graufame Politif der Sieger, welche 
tie Empörung herbeiführte. Die auf diefe Weife volltändig gewor- 
dene Darftellung füllte in den Annalen des Landes eine fehr wichtige 
Lüde aus. Doc trog Marmol’d Bedeutung in biefer Hinficht und 
troß dem anerfannten Verdienſte feines Werkes als literarifchen Er⸗ 
zeugnifles war bie Bleichgültigfeit der Spanier gegen die Geſchichte 
ihrer Nation fo groß, daß erſt am Ende des legten Jahrhunderte — 


e) Gigentlih: Strahler, Ehimmer, gleams. Arm. d. Ueberſ. 


AA Achtes Rapitel. 


im Sabre 1797 — eine zweite Auflage von dem Buche erfcheinen 
fkennte. Es erfihten in zwei Octavbaͤnden im Drud und Berlage von 
Sanıha in Madrid; diefe Ausgabe haben wir beim Schreiben dieſer 
Seiten gebraucht. 

Die umfaſſendſte und bei weitem am beſten geſchriebene Geſchichte 

der ſpaniſchen Mauren, mit welcher ich bekannt bin, ruͤhrt vom Grafen 
Albert de Eircourt her: — bie „Histoire des Arabes d’Espagne.“ 
Indem der Berfafier mit dem Anfange anfängt, eröffnet er feine Dar: 
ftelung mit der Eroberung der Halbinfel durd, die Moslemd. Er 
malt in lebhaften Karben das prächtige Reich der fpanifchen Kaliphen. 
Er verweilt mit hinreichender Genauigkeit bei jenen unendlichen Feh⸗ 
den, welche, weil fie aus ber Nacens und Stammedverfchiedenheit ent» 
fprangen , jeden Verſuch zu einer dauernden Eonfolidirung unter einer 
einzigen Regierung vereitelten. Alsdann folgt der berühmte Krieg von 
Granada, nebit der Eroberung bes Landes durch die „fatholifchen Kö⸗ 
nige.“ Das Werk fchließt mit der traurigen Erzählung bes folgenden 
Schickſals der eroberten Stämme bis zu ihrer endlichen Vertreibung 
von der Halbinfel. Die reißend ſchnell mechfelnden, von Meifterhand 
gezeichneten Scenen dieſes höchſt malerischen Drama's treten alfo in 
regelmäßiger Aufeinanderfolge vor dad Auge des Leſers. 

Bei der Ausführung feiner langen Geſchichte befchränft ſich ber 
Berfafter keineswegs auf ein trodenes Aufzählen ber Greignifle, fons 
bern erforicht forgfältig die Uriachen diefer Ereigniſſe. Er prüft mit 
Genauigfeit jeden Zoll des auf feinem Pfade liegenden ftreitigen Bos 
dend. Er bereichert feine Darftellung mit langen Unterfuchungen über 
den Zuftand der Künfte und die von den fpanifchen Arabern gemachten 
Fortſchritte in Wiffenichaft und Literatur: fo daß er und eine vollkom⸗ 
mene Anficht von jener eigenthümlichen Eivilifation gibt, welche To 
fonderbar die charakteriftifchen Elemente der europäifchen und orientas 
lifchen Eultur zufammenmifchte. 

Wenn man denfen fann, daß Herr von Circourt, indem er ſeinen 
Unterſuchungen nachhaͤngt, bisweilen feine Genauigkeit zu weit treibt,“) 


— — — — —— 


9 Das Engliſche heißt: „If, in pursuing his speeulations, M. de Circourt 
may be sometimes thought to refine too much, was wir durch: die Genauig⸗ 


Der Tutkenkrieg. 45. 


laßt ſich doch nicht laͤugnen, daß dieſelben ſich durch ihre Auftichtigkeit 
und ihren philoſophiſchen Geiſt auszeichnen. Selbſt wenn wir von 
feinen Schlüffen abweichen, müflen wir zugeftehen, daß felbige die Re» 
fultate eined forgfältigen Studiums find und von einem wmablrängig 
benfenden Seifte zeugen. Ich bebaure, daß er in einem wichtigen 
Punkte — in der Regierungspolitif Ferdinands und Ifabellens — 
fi) bewogen gefühlt bat, von den in meiner Geſchichte diefer beiden 
Sowveräne auögebrüdten Meinungen abzuweichen. Es ift möglich, 
daß bie Vorliebe, welche jeder Schriftfteller, mag. er nun Geſchiches⸗ 
oder Romanichreiber fein, für feinen Helden, fobald das Betragen deſ⸗ 
jelben Anlaß dazu gibt, ganz natürlich eınpfindet, mich manchmal von 
der firengen Linie der Unparteilichkeit bei meinem Abichäten bes. Cha⸗ 
rafterd und der Handlungsmotive abgelenkt hat. Indeß fehe ich kei⸗ 
nen Grund, warum ich die Schlüffe, zu denen ich nad) einem forgfäl« 
tigen Stubium des Gegenſtandes gelangt war, ändern follte. Gleich⸗ 
wohl kann ich nicht läugnen, daß bie Arbeiten des franzöftichen 
Geſchichtsſchreibers mehrere dunkle Stellen in der Verwaltung Ferdi⸗ 
nande und Sfabellens aufgehellt haben: wofür ihm Diejenigen, welche 
fpanifche Gefchichte treiben, Dank fchuldig find. 


— — — — — 


Ueuntes Kapitel. 
Der Türkenkrieg. 


Die Ligue gegen die Türken. — Die Kriegsrüſtungen. — Don Juan als Generals 
en⸗Chef. — Sein Empfang in Neapel. — Seine Abreife von Meſſina. 


1570 — 1571. 


Während Philipp mit der MoridcosEmpörung befchäftigt/ war, 
lenkte eine andere Gegend, woher Spanten, ſowie ber ganzen übrigen 
Chriſtenheit ein fich zufammenziehendes Gewitter Gefahr drehte, feine 


feit zu weit treiben, gegeben haben, nach Ogilvie's Erklärung: „To refine. 8. To 
affect nicety. Siehe tefln Imperial Lexicon. Anm. d. Meberf 





56 Neuntrs Kapitel. 


Ausfmerffamfeit auf fih. Im Sahre 1566 hatte Solyman ber Praͤch⸗ 
tige feine fange, glüdliche Regierung befchloffen. Sein Sohn und 
Nachfolger Selim der Zweite befaß nur wenige Eigenfchaften feines 
großen Baterd. Indem er im Serail aufgebracht worben-war, zeigte 
er die Früchte diefer Erziehung in feiner trägen Xebensart und in dem 
häufigen Sichhingeben an die ungezügeltften finnlichen Genüſſe. Mit 
diefem weibiſchen Hange erbte er die Eroberungsfucht, die nicht allein 
jeinem Bater, fondern der ganzen friegerifchen Dynaftie, woraus er 
ftammte, eigen war. Nicht ald ob er, gleich jenen, feine Armeen im 
Felde felber angeführt hätte. Nein, diefelben wurden von tapfern Bes 
fehl&habern geführt, welche die Kriegsfunft unter Solyman gelernt 
hatten. Bor Allem hatte Selim das Glück, zu feinem Großvezier einen 
Minifter zu beitgen, deſſen unermübdete Thätigkeit und merkwürdige 
Befähigung für die Stantögefchäfte ihn in den Stand jeßte, die ganze 
Regierungslaft auf feine Schultern zu nehmen. Es war fowohl vor⸗ 
theilhaft für den Staat, als auch für-den Sultan, dag Mahomed die 
Kunft verftand, dad Vertrauen feined Herrn zu gewinnen und ed uns 
erſchuͤttert während ber ganzen Regierung beflelben zu behalten. 

Der Blan, welcher die Gedanfen Selimd am meiften beichäftigte, 
war bie Eroberung von Enpern. Dieſe Infel, welche die Natur mit 
ihren Gaben fo freigebig bedacht hatte, gehörte Venedig. Weil fie aber 
am Außerften Ende des Mittelländifchen Meeres lag, fchien ſie gewiſ⸗ 
jerımaßen die Wege in die Dardanellen zu beherrfchen, während ihre 
Küftenlinie bequeme Häfen barbot, aus denen zur Kriegszeit Schwaͤrme 
von Kreuzfahrern heroorbrechen und den türkifchen Handel plündern 
fonnten. 

Nachdem Selim einmal die Erwerbung Cyperns bejchloffen Hatte, 
wußte er auch bald einen Vorwand, unter dem er ed von Venedig ald 
einen Theil des ottomanifchen Reiches forderte, ausfindig zu machen. 
Obſchon die Republik lieber faft jede Conceſſton gemacht, als einen 
Bruch mit der koloſſalen Macht, unter deren Schatten fie lag, berbeis 
geführt hätte, wollte fie doch nicht aus ihrem GolonialsDiademe den 
teichften Juwelen ohne vorherigen Kampf hergeben. Die Pforte ers 
Klärte ihr daher ben Krieg und machte große Anftalten zur Ausrüftung 
einer Kriegöflotte gegen Enpern. Venedig zeigte feinerfeitö feine ges 





Der Türfentrieg. 47 


wöhnliche Schnelligfeit, indem es ſich zum Widerſtande fertig machte. 
Es firengte feine Hülfsqyellen aufd Aeußerſte an. Es richtete in fur 
zer Friſt eine mächtige Slotte her und ergriff Maßregeln, um die Fe⸗ 
ftungöwerfe von Eypern in gehörigen Vertheidigungszuftand zu feben. 
Aber Venedig fonnte ſich nicht mehr einer ſolchen Flotte rühmen, wie 
in früheren Tagen, wo ed dad ftolze Genua erniedrigt und ald unbes 
firittene Herrin das Mittelländifhe Meer befahren hatte. Yerner was 
ren während des langen Friedens die Vertheidigungsanftalten feiner 
Kolonien in Verfall gerathen, Im feiner großen Roth wandte es ſich 
an die chriftlichen Mächte Europa's und bat fie, daß fie mit ihm gegen 
den Feind der Ehriftenheit gemeinjame Eache machen möchten. 

Glücklicherweiſe faß in diefer entfcheidenden Zeit auf dem Stuhle 
St. Peters Pius der Fünfte, einer von jenen Paͤpſten, welche durch 
. die Bebürfnifle der Zeit hervorgerufen worden zu fein fcheinen, um bie 
ſchon unter den Angriffen Luthers erzitternden Pfeifer des Katholicis⸗ 
mus aufrecht zu erhalten. Wenngleich er beinahe fiebenzig Jahre 
zählte, glühte doc) das Feuer der Jugend noch in feinen Adern. Er 
befaß die volle ſtürmiſche Beredtſamkeit, die, hätte er in den Tagen 
Peters des Eremiten gelebt, ihn, wie jenen Enthufiaften, in den Stand 
gelegt haben würde, die Nationen Europa’d zu einem Kreuzzuge gegen 
die Ungläubigen aufzuftacheln. Aber die Zeit der Kreuzzüge war vor⸗ 
über, und eine Aufforderung des Baticand befaß nicht mehr die Madıt, 
bie Seelen ber Menfchen wie eine Stimme vom Himmel anzuſpornen. 
Die großen Potentaten Europa’d waren zu eifrig mit ihren eigennüßis 
gen Plänen beichäftigt, als daß fie fi von denjelben durch die Furcht 
vor einer fo entfernten Gefahr, wie es die von Often drohende war, 
hätten abmendig machen laſſen. Noch weniger bejaß die verlorene Lage 
Venedigs die Macht, fie zu bewegen; fo daß biefe ftolge Republif jegt in 
der Stunde der Noch empfinden mußte, wie vollftändig ihre treulofe 
und gewiffenlofe Politik ihr die Sympathien ihrer Nachbarn entfrems 
bet hatte. | 

Indeß gab ed einen Monarchen, der dem Aufrufe Benedigs nicht 
das Ohr verfchloß, und zwar war es derjenige, der für die Sache Be 
nedigs wichtiger, ald jeder andere, vielleicht ald alle zufammengenoms 
men, war. Im Jahre 1570 wurde Luigi Torred , der Sekretär ber 


48 Meuntes Kapitel. 


apoftotifchen Kammer, von Pius dem Fünften nady Spanien gefchidt, 
damit er Die Sache der Republik befünvortete. Er fand den König zu 
Ecija auf der Route von Cordova, wo er einige Zelt hindurch in einer 
Sitzung der Cortes den Borfig. geführt hatte, Indem der Legat von 
Philipp gnädig empfangen wurde, überreichte er ihm den Brief von 
Seiner Heiligfeit und forderte den Monarchen in den ernfteften und 
berebteften Worten auf, Venedig Unterflügung zu gewähren und mit 
demfelben eine Ligue gegen die Ungläubigen einzugehen. Philipp 
nabın feinen Anftand, im gegenwärtigen Yalle feinen Beiftand zu vers 
ſprechen; allein, er hegte begreiftichermeife Bedenken, ob es wohl vor- 
theilhaft fein möchte, wenn er ſich durch ein Bündniß mit einer Macht, 
in deren Aufrichtigfeit er wenig Zutrauen feste, baͤnde. Er verichob 
feine Enticheidung  bi6 zu feiner Ankunft in Sevilla. Der Legat bes 
gleitete ihn, als er am erfien Mai ſeinen feierlichen Einzug in die große - 
fommerzielle Hauptfladt des Südens hielt. Er ftattete dafelbft feinen 
erften Befuch ab und wurde von den getreuen Unterthanen mit ſtuͤrmi⸗ 
fchem Jubel empfangen. Die Treue gegen ihre Monarchen war ſtets 
ein vorwiegender Zug der Spanier; feinem von ihren Monarchen be> 
wiefen fte aber vdiefelbe in größerem Maße, als Philipp dem Zweiten. 
Auch war ficherlich Feiner derfelben in feinem Wefen mehr durch und 
durch ſpaniſch oder liebte Spanien mehr, als Philipp. 

Nachdem der König geſchworen hatte, daß er die Privilegien ber 
Stadt refpectiten wolle, hulvigten ihm die Autoritäten. Darauf ritt 
er unter einem prächtigen, von den vornehmften Magiftratöperfonen 
getragenen Baldachine durch die Straßen, befuchte die Kirchen und 
Kloͤſter, hörte dad Te Deum und verrichtete im Dome feine Andacht. 
In feinem Gefolge befand fi ein ftattlicher Zug von Adeligen und 
Kavalieren, während fi) in den Straßen ber volfreichen Stadt Men» 
fchenmengen, bie über die Anweſenheit ihres Herrſchers entzädt waren, 
btämgten. Bon dieſer getreuen E&corte wurde Philipp nach dem Plage 
feiner Reſidenz, dem königlichen Alcazar von Sevilla, begleitet. Hier 
verlängerte er feinen Aufenthalt auf vierzehn Tage, indem erbie Schaus 
ſpiele und Fefte, welche zu feiner Unterhaltung veranftaltet worden was 
ten, in Augenfchein nahm. Bei feiner Abreife empfing er in einer 
Donation von ſechsmal hundert taufend Dufaten einen noch ſubſtan⸗ 


Der Tuͤrkenkrieg. 49 


tieferen Beweis der Liebe ber Bürger. Diefes großartige Geſchenk 
war zum Theil zur Veftreitung der Koften bei der herannahenden Bers 
mählung Philipps mit feiner vierten Gattin, Anna von Defterreich, 
der Tochter feines Vetters, des Kaiſers Marimilians, beftiimmt. Die 
Ichöne junge Braut hatte den Hof ihres Vaterd verlaffen und war 
fhon unterwegs nach Madrid, wo ihre Hochzeit gefeiert werden, und 
wo fie die Stelle der anmuthigen ISfabella, deren Tod vor nicht ganz 
zwei Sahren die Nation in Trauer verfegt hatte, einnehmen jollte. *) 

Während Philipp fich zu Sevilla aufbielt, legte er die Angelegen- 
heit wegen der Ligue feinen Miniftern vor. Einige von ihnen, darun- 
ter Eöpinofa, der Präfident des caftilifchen Rathes, hegten große Be: 
denken, ob es eine weile Politik ji, Epanien durch einen Vertrag an 
die venetianifche Nepublif zu binden. Philipp jedoch faßte troß allen 
Miptrauend gegen jene Macht die Sache von einem weiteren Stand» 
punfte auf. Abgeſehen von feiner Bereinmilligfeit, fich vor der Welt 
als der große Vertheidiger des Glaubens zu zeinen, ſah er ein, daß 
ihm eine folche Allianz die befte Gelegenheit bot, die Seemacht der 
Türfei zu verrüppeln und auf diefe Weiſe für die Sicherheit feiner 
eignen Golonialbefigungen im Mittelländiſchen Meere zu forgen. Nach 
vielem Erwägen entlich er ten Legaten mit der Zuficherung, daß er, 
ungeachtet der Unruhen, die ihn ſowohl in den Niederlanden, ale 
auch in Granada beträngten, Venedig unverzüglid Hülfe leiften 
und nach) Rom Gommiffäre mit der Vollmacht, mit den Bevoll⸗ 
mächtigten des Papſtes und der Republik einen Allianzvertrag gegen 
die ottomaniiche Pforte abzufchließen, fenden wolle. Dem päpftlichen 
Gefandten gab er einen Brief gleichen Inhalts, von Philipp an Eeine 
Heiligkeit gerichtet, mit. oo. 





*) Ferreras, Hist. d’Espagne, Br. X, ©. 239 und 240. — Cabrera, Fi- 
lipe Segundo, ©. 641. — Zuniga, Anales de Sevilla, S. 536—838. 

Die Gefchichtichreiber ſchildern die Pracht tes königlichen Empfangs in dieſer 
Stadt in glühenten Karben. Sevilla, bereichert Durch Ten intifchen Hantel, nahm 
unter den großen fommerziellen Hauptftädten im fechszehnten Jahrhundert einen 
hervorragenden Plaß ein; daher es gewöhnlich hieß: 

„Quien no ha visto Sevilla, (Mer Sevilla nicht betreten, 
No ha visto ä maravilla.“ Kann von feinem Wunter reden.) 
Brescott, Geſch. Philipp's I. V. 4 








50 Reunks Kapitel. 


Den folgenden Sommer ſtach auf den Befehl des Königs der für 
nigliche Admiral, der berühmte Johannes Andreas Doria, der mit 
einer ftarken Flottille bei Sicilien vor Anfer lag, hinaus in die Ser. 
Er wurbe bald durch einige Galeeren verftärft, welche Seine Heiligkeit 
unter bem Kommando ded Marco Antonio Bolonna, des Repräfen- 
tanten eines der älteften und berühmteften Häuſer Roms, lieferte. Den 
legten Auguft ftieß die verbundene Flotte bei Bandia zu den Benetias 
nern, worauf man unverzüglich den Operationsplan entwarf. Schon 
nad) Kurzem traf die erftaunliche Nachricht ein, daß Nicofla, bie Haupts 
ftabt von Eypern, von den Türken weggenommen und geplündert, und 
daß dabei alle möglichen Graufamfeiten, welche immer bie Kriege, wo 
die nationale Feindſchaft durch religiöfen Haß verbittert wird, auszeich⸗ 
nen, verübt worden wären. Jetzt mußte der Plan geändert werden. 
Unter den Befehlshabern entftand ein Streit, was für ein Verfahren 
man einhalten müßte. Keiner von ihnen befaß genug Autorität, um 
die übrigen zu nöthigen, feiner Anficht beizutreten. Der Streit endigte 
mit einem Bruce. Die Erpedition wurde aufgegeben und bie vers 
fchiedenen Befehlshaber Eehrten, ohne für ihre Sache einen Streich ges 
than zu haben, wieder heim. Das war ein fchlechted Omen für ben 
Sieg der Ligue, *) 

Doch der unerfchrodene Papft ließ ſich nicht dadurch entmuthigen. 
Im Gegentheil ſuchte er den Herzen der Alliirten ſeinen eigenen Hel⸗ 
denmuth einzufloͤßen, indem er ihnen, wenn ſie nur ſich ſelber treu ſein 
wollten, die hoffnungsreichſten Zuſicherungen gab. Philipp hatte dieſe 
Ermuthigung nicht noͤthig. Wenn er einmal einen Entſchluß gefaßt 
hatte, waren ſeine Gedanken nicht leicht von ihrem Ziele abzulenken. 
Dagegen bewies Venedig bald, daß der Katholiſche König mit gutem 
Grunde in die Treue befielben Mißtrauen ſetzte. Erſchrocken über den 
Berluft von Nicofia fchickte e8 mit feiner gewöhnlichen Unbeftändigfeit 
einen geheimen Agenten nad) Konftantinopel ab, um zu fehen, ob man 
fi) noch nicht mit dem Sultan abfinden könnte. Indeß konnte tie 
Verhandlung nicht jo geheim vor ſich gehen, daß nicht Nachricht davon 


*) Herrera, Historia General, Bo. I, S. 798 ff. — Cabrers, Filipe Se- 
gundo, Bud, VI, Rap. 17. — Sagredo, Monarcas Othomanos, ©. 277, 


Der Türkenfrirg. 51 


dem Papfte Pius dem Fumften zu Ohren gelangt wäre. Diefer ſchickte 
auf der Stelle einen Gefandten an die Republif ab, um diefem Schritte 
entgegenzuwirfen und die Benetianer zu überreden, daß fie befler ihren 
chriſtlichen Alliirten, als den Türken, den Feinden ihres Landes und 
ihrer Religion, vertrauten. Der für diefe Sendung gewählte Mann 
war Colonna, der fi) ganz ebenfo durch feine Gewandtheit, wie durch 
feine Tapferkeit auszeichnete. Er verrichtete feine Sache gut. Er fiellte 
in fräftigen Worten der Regierung vor, daß das von ihm befürmortete 
Verfahren das einzige fei, welches nicht minder vom Intereſſe, als von 
ber Ehre erheifcht würde: fo daß man ihm endlich beiftimmte und den 
Agenten von Konftantinopel zuruͤckrief. Man muß allerdings einge 
ftehen, daß die Beweisgründe Colonna's fehr durch die kalte Aufnahme 
des venetianiichen Gefandten zu Konftantinopel gefräftigt wurden, 
weil man bald gewahren fonnie, baß die Eroberung der Hauptftadt 
keineswegs dazu beitrug, den Sultan feine Anfprüche auf Cypern auf⸗ 
geben zu laflen. *) 

Die Gefandten der drei Mächte famen gegen bad Ende des Jah⸗ 
res 1570 in Rom zujammen, um ben Bertrag der Ligue in Orbnung 
zu bringen. Spanien war durch die Kardinäle Oranvelle und Pacheco, 
fowie durd) den Geſandten Juan de Zufiga, bie damald alle drei in 
Rom refidirten, vertreten. Man wird gern glauben, daß die Intereffen 
Spaniens unter der Zeitung eined fo geichidten Taktikers, wie Gran⸗ 
velle, nicht einbüßen fonnten. 

Wenngleich aber die Parteien in eine, gemeinſame Sache verfloch⸗ 
tenwaren, fand fi) doch viel Schwierigkeit, ihre auseinander gehenden 
Ansprüche zu verföhnen. Die Deputirten Venedigs fahen die Ligue 
in dem gewöhnlichen Lichte der vernetianifchen Politik als ausfchlieglich 
zum Vortheile Benebigs beitimmt an; mit andern Worten, fie betrach⸗ 
teten ald ben Zweck derfelben den Schug Eyperns gegen die Türken. 
Die fpanifchen Gefandten hatten eine weitere Auffafiung; fie fagten, 
daß dieſer Krieg ein Krieg der Ehriften gegen die Uingläubigen , gegen 
bie Mauren eben fo gut, wie gegen bie Türken fei. Nach biefer poli« 


*) Cabrera, Filipe Segundo, ©. 667. — Sagredo, Monarcas Othomanos, 
©. 377. 
4* 


523 Narstes re 


tiſchen Anndr ren ter Sade wur ter air lite Ani so temieiben 
Ecduge iv.rer Rzier:en am ter Räte Arrtrs. wie Remetiz für Getem 
verlangte, Present. 

Eint aztere Ursıte ter Ritiibeemtioeirz !2z tar, tor 
eine jete Karıc ten Trrberehlährber ter Erpetirien aut ihrer bezüa- 
liben Rar:n aerwäflı winen weite. Iulese wurte ter Verrama 
Spanit ;szoensmten, als terienizen Rate, weite ten srösten Theil 
ter Kerien zu macen bate. 

Mon fam ũberein, Ban ter Bertraa ren permanzıer Dauer fein 
umt eben te aut aeaı tie Mauren von Tunis, Irreis unt Maier, 
ald gesen tie Türten aerictet sein volle: das tie kentrabirenden Var⸗ 
teien smweibuntert Haleern, bundert Trmererts unt Acinere Schiffe, 
funi: iatauient Mann Auroinger urd viertauiend nmrkunter Mann 
Reiterei nebrt daru aeberiger Artillerie une Mimirien zu liefern batten: 
tag längitens bi3 zum eriten Arril eincẽ jeden felsenten Jabres von 
ten Altürten eine gleiche Macht für Ereetirienen nadı ter Levante in 
Bereitihaft zu Falten war: Daß in einem jeden Sabre, we es feine ge⸗ 
meintame Grpetiten gab unt ennweder Eranien oder tie Rerublif für 
ih allein mir ten Unaläubisen fi in Krieg einlaren wellte, Die übri⸗ 
gen Berbünteten daru fünrzig Galceren ftelien tellten; Das, wenn der 
Feind in das (Hebier einer ter Drei Mächte einbräche, Die übrigen ihrem 
Alliirten zu Hülre zu fommen gebunten waren: Tas drei Sechstel der 
Kriegsfoiten von tem Ratbeliihen Könige, zwei Sechstel von ter Res 
publif unt tag letzte Sechstel von tem Heiligen Stuble getragen wer: 
ten iclhte; daß tie Nenetianer Eeiner Heiliafeit wolf Galeeren feiben 
jollten, die er auf eigne Koften zu bemannen und auszurüſten hatte 
als den Beitrag, ten er zur Kriegsflotte liefern mußte; tag jede Macht 
einen ®eneralsKapitän ernennen jollte: daß die vereinten Stimmen ter 
trei Kommanbdeure den Kriegsplan enticheiten fellten; daß tie Aug; 
führung dieſes Planes tem General⸗Kapitän der Ligue anzuvertrauen 
und diefe hohe Stelle tem Don Juan von Oeſterreich zu geben ſei; 
endlich, daß feine der Parteien Frieden machen oder einen Waffenitill- 
ftand mit dem Feinte eingehen follte ohne das Wiſſen und die Zu- 
ftimmung der andern. *) 


— — 


N, Eine lateiniſche Abſchrift Des Bertrages, datirt vom 25. Maı 1571 exiſtirt 


Der Türkenfrieg. . 53 


Das waren die Hauptbeftimmungen bed berühmten Bertrages 
der Heiligen Ligue. Gleich der erfte Artifel erklärt den Vertrag als 
von emwiger Dauer, Doc) möchte ed und fchwer anfommen, zu glaus 
ben, daß die verjchlagenen und Elugen Stantömänner, welche die Ans 
gelegenheiten Spaniend und der Republik leiteten, einen Augenblid 
lang an die ewige Dauer eined Vertrages, welcher den kontrahirenden 
Parteien jo läftige Verpflichtungen auferlegte, glauben fonnten, In 
der That hielt die Ligue nicht zwei Jahre zuſammen. Doc hielt fie 
lange genug, um ein großes Rejultat zu Stande zu bringen, und 
nimmt daher in der Öefchichte jener Zeit einen wichtigen Pla ein. 

Wenngleidy ein Entwurf ded Vertrages gegen dad Ente des vor- 
bergehenden Jahres fertig gemacht worden war, wurde er deffenunge- 
achtet erft 1571 ratificirt.*) Der :Bapft ließ ihn den vier und zwan⸗ 
zigiten Mai im vollen Konſiſtorium laut vorleſen. Alsdann legte er 
die Hand auf Die Bruft und ſchwor feierlich, daß er ihn halten wollte. 
Die Geſandten Spaniend und Venedigs ſchwuren zu gleichem Zwecke 
un Namen ihrer Negierungen, indem fie ihre Hände auf ein Meßbuch, 
unter welchen ein neues Teſtament lag, legten. Nachdem am folgens 
den Tage Meſſe gelejen worden war, wurte ber Vertrag in der St. 
Peterskirche öffentlich verkündet. **) 

Die Nachricht von der Allianz der drei Mächte erregte in ber 
ganzen Chriftenheit großes Aufſehen. Den Sultan indeß, weit Das 
von entfernt ihn zu entmuthigen, fpornte fie bloß zu größeren Anſtren⸗ 
gungen und Rüftungen an. Indem er fi die Hülföquellen feines 
ausgedehnten Reichs zu nuge machte, brachte er bald theild au feinen 
eigenen Xändergebieten,, theild aus denen der moßlemitifchen Mächte 
am Meittelländiichen Meere, welche die Oberhoheit der Pforte aner- 
fannten, eine mächtige Slotte zufammen.. Die Armada wurde unter 


— — 


in der Bibliothek der Geſchichte zu Madrid. Señor Roſell hat dieſelbe dem Anhange 
feines Werkes! Historia del Combate Naval de Lepanto, Madrid, 1853, S. 180 
-—189, einverleibt. " 

*) Eine Abjchrift Des erſten Abzugs des Vertrags, wie er 1570 gemacht worden 
war, flieht in ten Documentos Ineditos (Be. III, ©. 337 ff.). Das Driginal bes 
findet fich in ter Bibliochef des Herzogs von Oſſuna. 

”*) Rosell, Combate Naval de Lepanto, &. 56. 





54 Aes Rei 


ten Iberfeicht von Sclims Srager, tem Raicha Rali, geſtellt, 
einem Maunt, ter viele Bewri’c teiner wenihi:den, eteimütbigen Ge- 
unnungen — welche Gism’datten unter ton Iürfen amt vieleicht un⸗ 
ser alen Ratienen itltener, ald reiner rbetider Muık, zu ũnden ind 
— sryehen batte. 

Ter enicmannıide Armiral tegelte tmüb;eirig im Krubjahr 1571 
aus tem Geltenen Sera beraus unt richtete feinen Laut nach Candia. 
Hier kiicb er, Eis zu ibm eine Harfe a’geriide Matt unter tem furcht⸗ 
karen Roriaren Uluch Ali, ter ein calabriiker Renegat mar unt ſich 
rom nietristen Zıante sum Reiten eined Ter’d ron Tunis emporges 
ichwungen batte, trat. Tie verkuntenen Ketten tegelten irübe in ter 
ur Schim̃abri geeigneten Zeit nach dem atriatiichen Meere, wo Riali, 
nadktem er gelantet und das ter Rmuti:f gehörige Territorium ver: 
wiüttet hatte, den Uluch mit ieiner Alcttille weiter in ten Golf hinauf» 
ichidte. Wahrend ver Algerier tieien Veiebl vollzog, fam er jo nahe 
an Benctig heran, taß er ten Einmebnern dieſer Hauptitatt einen fo 
grogen Schrecken einjagte, wie fie ihn nicht empfunden batten feit jener 
Zeit, wo vor zwei Jahrbunterten tie Kanonen ter Genueier über ihren 
MWaffern erflungen waren. Aber ed lag nit im Plane des Dey's, 
ih auf ein 10 ichredliched Unternehmen, wie ein Angriff auf Benetig 
ſein muße, einzulaften: daher jegelte er ſchon balt wieter Davon und 
fchloß ſich dem Oberbefehlshaber bei Corfu an, wo beite auf Nachrich⸗ 
ten von der dhrifilichen Flotte warteten. *) 

Noch ehe der Vertrag unterzeichnet war, hatte ter unermüdlidhe 
Pius feinen Neffen, ten Kardinal Aleftantrino, an bie verfchiedenen 
Höfe geihicdt, um den finfenten Muth der Alliirten neu zu beben und 
andere Kürften der Ehriftenheit zum Beitritte zur Ligue zu bewegen. 
Der Legat erfhien, begleitet von einem ftattlichen Gefolge Geiftlicher, 
um Mitte Mai in Madrid. Philipp gab ihn einen Empfang, wel⸗ 
cher vollftändig feine Ergebenheit gegen den Heiligen Stuhl befundete. 
Des Königs Bruder Don Juan und der Lieblingdminifter Ruy Gome; 
de Silva nebft mehreren vornehinen Adeligen machten aldbald dem 





*) Paruta, Guerra di Cipro, ©. 120 f. — Herrera, Hist. General, Bb. I, 
©. 14 und 13. 


Der Türkenfrieg. 55 


Kardinale, der feine Refidenz in der Vorftadt in dem von Brüdern feis 
ned eignen Ordens bemohnten Dominifanerflofter Atocha aufgeichlas 
gen hatte, die Aufwartung. Den nächften Morgen hielt der päpft- 
tiche Geſandte in großem Staate feinen Einzug in die Hauptftatt. Er 
ritt auf einem reich mit ſchoͤnen Schabraden verzierten Maulthiere, dem 
Gefchenfe, dad er von der Stadt erhalten. Während Johann von 
Defterreicy zu feiner Rechten ritt, eScortirte ihn ein prächtiger Aufzug 
von Prälaten und Standeöherren, bie mit einander an Glanz der Eos 
ſtüme zu wetteifern ichienen. Unterwegs traf die fönigliche Bavalcade 
zu ihm. Als der Legat dem Monarchen feinen Gehorſam bezeigte, bes 
hielt er den Kopf unbededt, und Philipp erwies ihm eine gleiche Hoͤf⸗ 
licdyfeit, indem er, während er einige Bemerkungen an den Mann ber 
Kirche richtete, den Hut in der Hand hielt. *) Philipp mifchte ſich ſo⸗ 
dann in die Prozeſſion und ritt zwilchen dem Legaten zu feiner Rechten 
und feinem Bruder auf ber Linfen. Den legtern fah man von Zeit zu 
Zeit an der Eonverfation Theil nehmen, was, wie der Gefchichtfchrei- 
ber fagt, etwas auffiel, da es durchaus gegen die eingeführte Etiquette 
des Außerft achtſamen caftilifchen Hofes verftieß. **) 

Die Feierlichkeiten fchloffen mit Gotteöbienft in der Kirche Santa 
Maria, wo der Legat, nachdem er eine Predigt gehalten, allen Anweſenden 
vollen Ablaß von den Qualen des Fegefeuerd für zweihundert Jahre 
ertheilte. ***) ine in weltlicher Hinitcht werthvollere Gabe war das 
dem König gemachte Gefchenf der Cruzada, der Excusada und andere 
Conceffionen geiftlicher Einfünfte, welche der römiiche Stuhl an die 
Bertheidiger des Glaubens fo gut zu vergeben verfteht. Diele Con» 
ceffionen famen gerade recht, um die durch die Foftipieligen Kriegs⸗ 
rüftungen arg geleerten föniglichen Koffer zu verforgen. 

Unterbeffen betrieben die Venetianer ihre Rüftungen mit der ges 


*) Cabrera, Filipe Segundo, Bud X, Ray. 22. — Ferreras, Hist. d’Espagne, 
Br. X, S. 247 und 248. — Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 152. 

*) „No poco se maravillaron los curiosos, viendole, 6 por casualidad 6 
bien de intento, terciar llanamente en la conversacion, contra las etiquetas 
hasta entonces observadas.“ — Rosell, Combate Naval de Lepanto, ©. 59, 

"**) „Y concede dozientos anos de perdon & los presentes.“ — Vander- 
hammen, Don Juan de Austria Fol. 152. 


56 Neuntes Kapitel. 


wohnten Hurtigfeit, ja, mit mehr Hurtigfeit, als Gründlichfeit. Sie 
lieferten flinf die auf fie foınmende Anzahl Schiffe, doch waren fie 
ſchändlich nachläſſig in der Weile, diefelben zu equipiren. Den Befehl 
über die Flotte erhielt Sebaſtian Beniero, ein Adeliger, der im Dienfte 
jeincd Vaterlandes grau geworden war. Zanne, welcher die Flotte ver 
gangenen Sommer befehligt hatte, wurde unter der Anklage feiner Un⸗ 
fähigfeit, die er beionderd tadurd, bewielen, daß er den Feind zu einer 
Schlacht zu nöthigen vernadhläjfigt hätte, abgeſetzt. Sein Prozeß 
dauerte zwei Jahre lang, ohne daß dem UAngeflagten die Gelegenheit 
gejtattet worten wäre, gu feiner Selbftrechtfertigung zu erfcheinen. 
Endlich kam das Prozeſſiren zu Ende durch ten Tod des Angeklagten, 
der füh zu Tode gegrämt haben joll. Wenn tem jo wäre, würde cd 
nicht in der Geichichte der Nepublif der vereinzelte Fall eines jolchen 
Schidjald ſein. Der neue Admiral jegelte vor Johannis mit feiner 
Slotte, oder weniaftend mit dem ichon fertigen Theile der Flotte, nach 
dem zum Sammelplas der Aliirten beitimmten Hafen Meſſina ab. 
Zu ihm geiellte fich hier bald Colonna, ter päpitliche Befehlshaber, 
mit der von Seiner Heiligfeit gelieferten Eleinen Slottille. Die beiden 
Blotten lagen nun neben einander in dem geräumigen Hafen vor Anfer, 
indem tie auf Die Anfunft der übrigen Berbündeten und Ton Juan's 
von Oeſterreich warteten. 

Die Kriegsrüſtungen Ichritten jegt in Spanien eifrig vorwärte. 
Rüftungen in cinem jo gropen Mapftabe hatte man jeit dein noch in 
Philipps erjte Regierungszeit hereinfallenden Kriege mit Paul dem 
Vierten und Heinrich dem Dritten nicht geichen. Sowohl alle großen 
Häfen auf der Halbinfel, ſowie in dein Königreite Neapel, in Sicilien 
und auf den baleariichen Inſeln, kurz in jedem Theile des Reiche, 
wimmelten von Handıverfern, die emſig mit ter Ausftattung der zu 
Philipps Beitrage zur Kriegsmacht beſtimmten Flotte befchäftigt wa⸗ 
ten. Laut den Bertragöbeftimmungen hutte er die Hälfte der Erpeti- 
tiondfoften zu tragen, Bei feinen Schifferüftungen ſparte er weder 
Koften, noh Mühe. Während des Verlaufs ded Sommers wurden 
neunzig fönigliche Salceren und über fiebenzig minterhaltige Schiffe 
in Bereitfchaft gebracht. Man baute und equipirte fie in der joliten 
Weiſe, welche den von Spanien beanspruchten Vorrang in der Schiffs⸗ 


Der Tuͤrlenkrieg. | 57 


architektur rechtfertigte und zu der fahrläffigen Arbeit ver Venetianer 
einen ftarfen Gegenſatz bildete. *) 

Zu gleicher Zeit wurben auf allen Theilen der Halbinfel fleißig 
Truppenausdhebungen angeordnet. . Selbft ein Korps von treitaufend 
beutichen Micthötruppen wurde in Sold genommen, Aus ben alten 
Garniſonen in ber Xombardei und dem SKönigreiche Neapel wurden 
Truppen bezogen. Da jegt die Moridco-Infurrection glüdlich gedämpft 
war, fonnten die in ihr verwandten Kräfte, Darunter das tapfere near 
politanifche Bataillon nebft feinem Befehlshaber Padilla, mit in. dem 
Zürfenfriege gebraucht werden. 

Dody fann man faum fagen, daB die Regierung außergemöhn- 
liche Mittel nöthig batte, um im gegenwärtigen Salle die Reihen aus⸗ 
zufüllen; denn nur felten war ein Krieg bei der Nation fo beliebt ge⸗ 
weien. Wirflich gingen die Epanier auf ihn mit einer Hurtigfeit ein, 
dag man hätte ſchließen koͤnnen, ihr Here habe denfelben auf eigne 
Hand, nicht aber ald ein Allirter, unternommen. Es war in Wahr- 
heit ein Krieg, welcher ſich ganz vorzüglidy an die ſchwache Seite der 
Gaftilier wandte, die von der Wiege an mit dem Klange des Schlacht⸗ 


— —— — —nN 


*) „De las mejores que jamas se han visto,“ — „von den beſten Galeeren, 
die man je nelehen hat,” — ſagt Don Juan in einem Briefe von Meſſina an Don 
Garcia te Toledo. — Documentos Ineditos, VB. III, ©. 15 

Den erfteren Theil tes Dritten Bandes ter Documentos Ineditos füllt die 
Korrefpondenz zwifchen Johann von Defterreih mit Garcia te Toledv aus, worin 
der erftere fich Unterricht und Rath hinfichtluch ter beften Weile der Kriegführung 
erbittet. Don Garcia de Toledo, vierter Marquis von Billafranca, war ein Mann 
aus vornehmer Familie und von viel Berftand und Erfahrung. Er hatte einige der 
höchften Poſten in ver Regierung ausgefüllt und war, wie fich Der Leſer noch erinnern 
wire, Vicefönig von Eicilien, damals ald Malta von den Türken belagert wurde. 
Die Kälte, welche er bei Dieter Gelegenheit gegen tie Belagerten zu beweilen Ichien, 
ercegte allgemeine Entrüfung, und ich erlaubte mir, auf eine Autorität Hin, von ber 
ich nicht fagte, daß ic fie für Die beite hielt, zu berichten, daß er in Folge deſſen in 
Ungnate fiel und tie übrigen Jahre feines Lebens in Vergeſſenheit verleben turfte. 
(Eiche das Ente unteres dritten Bantes.) Cine Einſicht in Documente, welche 
ich damals nicht geliehen hatte, ftellt dies als einen Irrthum heraus. Die fleißige 
Korreipontenz, welche ſowohl Philipp der Zweite, als auch Don Juan mis ihm uns 
terhielt, liefert unläugbare Beweile von dem Vertrauen, welches er fortwährend bei 
Hefe genvß, und von ter hohen Adytung, wilde man feiner Meinung zollte, 


58 Neuntes Karitel. 


rufed gegen die Ungläubigen befreundet waren. Die ganze von den 
Bundeögenofien aufgebotene Zahl Infanterie belief fidy auf neun umd 
zwanzig taufend. Hiervon ſchickte Spanien allein über neunzehn taus 
fend wohlaudgerüftete Truppen, einfchließlicd) zahlreicher Freiwilligen, 
von denen viele den edelften Häufern der Halbinfel angehörten. *) 

Nachdem Don Juan die legte Snftruction von feinem Bruder er⸗ 
halten hatte, reifte er am fechsten Suni von Madrid nach den Süden 
ab. Außer feiner eignen Dienerfchaft, **) die ein.zahlreiches Gefolge 
bildete, geleiteten ihn eine glänzende Edyaar Herren und Kavaliere, 
bie gern mit ihm die Triumphe des Kreuzes theilen wollten. Indem 
es ihn verlangte, den Einſchiffungsplatz zu erreichen, trieb er haftiger 
vorwärts, als es bie übrigen Kavaliere liebten. Doch gab es ungeach⸗ 
tet der Schnelligfeit des Reiſens in den Städten, durdy welche cr fam, 
Gegenſtaͤnde, die feine Aufmerffamfeit beanſpruchten und Aufenthalt 
verurfachten. Seine Reife glich der Rundreiſe eines Könige. Die 
Sclöffer der großen Herren öffneten ſich mit fürftlicher Gaftfreund- 
haft, um ihn und fein Gefolge aufzunehmen. In den vornehmlidy- 
ſten Städten, wie Saragoſſa und Barcelona, unterhielten ihn die Vices 
fönige mit aller Pracht und Börmlichkeit, ald ob er der König jelber 
geweien wäre, Er verweilte einige Tage in der fleißigen Hauptitabt 
Gataloniend, denn er fand daſelbſt in den Arfenalen und Schiffshol⸗ 
men, die jetzt in voller Arbeit begriffen waren, Vieles, was feine Aufs 
merffamfeit feſſelte. Sobann unternahm er eine furze Wallfahrt nad) 
der benachbarten Einſiedelei Unferer Lieben Frauen von Montferrat, 
wo er feine Andacht verrichtete und ſich mit den heiligen Bätern, die er 
immer tief verehrt und fchon früher in ihrer romantifchen Einſamkeit 
befucht hat, unterhielt. 


*) Wie gewöhnlich weichen die Autoritäten hinfichtlich ber genauen Zahl ver 
Schiffe, wie der Truppen von einander ab. Sc halte mich an die Angabe Roſell's, 
welcher fich vorfichtig zwifchen den beiden Extremen in der Mitte Hält. 

(Wir bemerken zu diefer Anmerfung Prescott's, daß er Furz vorher unter dem 
Bertragsbeflimmungen der Ligue eine höhere Zabl angegeben hat. — Der Ueberf.) 

**) Besides his own establishment. — Establishment hat öfter6 dieſen Sinn, 
ten Barclay in feinem Universal English Dictionary umſchreibt durch: A settled 
forın of regalation, or management of a government or family. 

Anmerfung des ucherſehers. 


Der Türtenfrieg. | 59 


Zu Barcelona fchiffte er fid, ein und fegelte mit einer Flottille 
von mehr, denn dreißig Galeeren, ab: — einer Madıt, die ftarf genug 
war, um ihn vor den moßlemitifchen Korfaren des Mittelländifchen 
Meeres zu fchügen. Am fünf und zwanzigften Juni erreichte'er Genua. 
Der Doge und Senat famen zu feinem Empfange heraus und wielen 
ihm während feines Aufenthaltes den Palaſt Andreas Doria’® an. 
Hier empfing er von den verfchiedenen Fürſten Italiens Gefanbtichafs 
ten und Beglückwünſchungsſchreiben. Bon dem Priefterfürften war er 
fchon in einem eigenhändigen, in den wohlwollendften Ausprüden abs 
geraßten Schreiben begrüßt worden. Don Iuan trug Sorge, auf alle 
diefe Anfprachen und Zufchriften zu erwiedern. Beſonders machte er 
Seine Heiligfeit mit dem ganzen Syfteme feiner Operationen befannt. 
Unterwegs hatte er von feinem Bruder einen Brief empfangen, der ihm 
ein volftändiged Berzeichniß der paflenden Titel, womit ein jeder Kor: 
reſpondent von ihm anzureden war, lieferte. Diefe Lifte befchränfte 
fich keineswegs auf gefrönte Häupter, fondern begriff Adelige und Ka⸗ 
valiere eines jeden Grades in ſich.“) In keinem Lande ift das gefährs 
liche Gefepbuch der Etiquette mehr, als in Spanien, ftudirt worden; 
fein Spanier aber war mehr darin bewandert, als Philipp. 

Indem Don Yuan feinen Weg zu Wafler fortfegte, lief er im 
Monat Auguft in der fehönen Bai von Neapel vor Anker. In diefer 
Stadt waren zu feinem Empfange großartigere Anordnungen, als er 
auf feiner Reife anderwärt® gefunden, getroffen worden. Granvelle, 
welcher unlängft auf den Polten des Vicefönigs erhoben worden war, 
fam, um den föniglichen Gaft zu bewillkommnen, ihm an der Epige 
eined langen, glänzenden Zuges entgegen. Die länge der Straßen 
ftehenden Häufer waren mit reichgeſchmückten Teppichen behangen und 
prächtig mit Blumen befränzt. Die Senfter und Altane prangten voll 
der Schönheit und Modewelt diefer vergnügungsfüchtigen Hauptftadt, 
umd manches ſchwarze Auge erbligte, als ed auf die ſchoͤne Geſtalt und 
Miene des jugendlichen Helden blickte, der im Alter von vier und zwan⸗ 
zig Iahren nad) Italien gefommen war, um den Oberbefehlshaberftab 


*) Vanderhammen bat ſich die Mühe genommen, diefen Föflichen Katalog abs 
zufchreiben. — Don Juan de Austria, Fol. 156 ff. 


60 Neuntee Kapitel. 


zu uͤbernehmen und den Kreuzzug gegen die Moslems zu leiten. Seine 
prachwolle Kleidung aus weißem Sammet und goldgewirktem Tuch 
machten feinen anmuthigen Leib noch ſchoͤner. Ein rother Shawl flat: 
terte loſe ihm uͤber die Bruſt, und ſein ſchneeweißer Federbuſch, der 
von ſeiner Kopfbedeckung herabwallte, miſchte ſich mit den gelben Locken, 
welche dicht auf ſeine Schultern fielen. Das war ein Bild, welches die 
italieniſche Jungfrau voll Behagen betrachtete. Es war allerdings nicht 
das Bild des in volle Kriegsruͤſtung geſteckten Kriegers. Aber, ſeinem 
allgemeinen Ausſehen nach durfte man ten jungen Prinzen ber Be: 
Ichuldigung des Weibifchen entheben wegen feiner wahrhaft ritterlichen 
Haltung und ded aus feinen Elaren blauen Augen ftrahlenden uner; 
fchrodenen Muthes. In feinen Zügen fchien fich Das Lieblichſte, was 
in den Zügen feines GefchlechtS enthalten war, zu vereinen. Gluͤckli⸗ 
cherweiſe war er der Entftellung ber diden burgundijchen Lippe ent- 
gangen, obſchon man vielleicht an ihm dieſe entichuldigt hätte, weil fie 
feine Anſprüche auf die Abkunft vom kaiſerlichen Haufe Habsburg bes 
gründen fonnte, *) 

Don Juan hatte feinen Plag mit Kriegsrüftungen emfiger be 
fchäftigt gefunden, ald Neapel. In der Bai anferte eine jegelfertige 
Flotte unter dem Komınando bed Don Alvaro Bazan, des erften Mar: 
quis von Vera Cruz, eined adeligen Herrn, der ſich durch mehrere 
tapfere Heldenthaten im Mittelländiichen Meere auögezeichnet hatte 
und raſch den Grund zu einem Ruhme legte, welcher eined Tages 
denjenigen eines jeten andern Admirals Caſtiliens verdunfeln ſollte. 


Don Juan, durd witrige Winde zurückgehalten, verweilte in 
Neapel zehn Tage. Wenngleich es ihn nad Meffina verlangte, ver 
ftrich ihm doch die Zeit ſchnell inmitten der Fefte und glänzenden Schau: 
fpiele, für melde feine freundlichen Saftgeber zu feiner Unterhaltung 
geforgt hatten. Er ging freudig auf die raufchenden Luftbarfeiten ein, 
denn er war in den feinen, ritterlichen Uebungen feiner Zeit wohl er: 
fahren. Nur Wenige tanzten, ritten, fochten beſſer, als er, oder ichlugen 


*) Ebend., Fol. 189 ff. — Ferreras, Hist. d’Espagne, Br. X, S. 251. — 
Herrera, Historia General, 3. Il, S. 18. 


Dex Türfenkrieg. 6% 


mutiger und geichieter Ball, *) ober trugen hänfiger die Turnierpreife 
davon. Er bewies in der That eben fo viel Ehrgeiz im fcherzhaften 
Kampfipiele, als im erniten Kriege des Schlachtfeldes. Wir dürfen 
wohl glauben, daB Don Juan mit feiner feinen Ausbildung und feie 
nen perjönlichen Reizen wenig Urſache hatte, fid, über Kälte Seitens 
der italienischen Damen zu beflagen. Boch fcheint er eben fo fehr der 
Günftling der Männer geweſen zu fein. Befonderd betrachteten ihn bie 
jungen Kavaliere ald das eigentliche Vorbild des Rittertyume und bils 
deien ſich eifrig nach ihm als ihrem Muſter. Sein die Schläfe dicht 
umfräufelndes Haar ſtrich cr gewöhnlich hinter, Damit er feine fehöne 
Stirn um Io beffer bervortreten laflen fonnte. Das ftand feiner Ges 
fihtsbiltung wohl an. Schon bafd wurde es bei den Stußern bed 
Hofes Mode, jo daB felbft diejenigen, für deren Geſichtsbildung es 
nicht paßte, nidhtödefloweniger torgfältig ihr Haar auf die nämliche 
Art trugen. 

Während feines Aufenthalts in Neapel war er anweſend bei einer 
Feierlichkeit, welche intereifanter und bezeichnender Natur war. Es 
war dieß bei Gelegenheit der Ueberreihhung einer von Pius tem Fünfe 
ten für den Heiligen Krieg gelandten Standarte. Die Cereinonie ging 
in der Kirche des Franzisfanerflofterd von Santa Chiara vor ſich. 
Granvelle fungirte dabei als Prieſter. Der Karbinats®icefönig hielt 
in feiner hobenpriefterlichen Kleidung Meſſe ab. _ Alsdann ward das 
Te Deum gefungen, worauf Don Juan mit langſamem, abgemeffes 
nem Echritte ſich dem Altar näherte, in einer gefälligen Manier vor 
dem Prälaten niederfniete und von dieſem zuerft im Namen Eeiner 
Heiligkeit den Oberbefehlshaberſtab und ſodann die geweihte Standarte 
eingehändigt erhielt. “Diefelbe war aus binmelblauem Damascus. 
Am oberen Theile ded Banners war ein Eruzifir eingeftidt, während 
unten fi) das Wappen der Kirche befand mit dein fpanifchen 2Bappen 
auf der Rechten und dein venctianijchen auf der Linfen, die durch eine 
Kette, woran dad Wappen Juan's von Oefterreich hing, vereint waren. 


*) Der Name für dieſes Ballfpiel ift tennis; ihn erflärt Boag folgender: 
maßen: „Ein Spiel, bei weldyem ein Ball mit von Darmfaiten geitrichten Schlag: 
negen (Raqueten) fortwährent getrieben oder in Bewegung gehalten wird.“ 

Anmerkung des Ueberfegere. 








62 Neuntes Kapitel. 


Der Prälat fchloß die Ceremonie, indem er ben Segen bes Himmeld 
auf feinen Streiter herabflehte und bat, daß es demfelben geftattet fein 
möge, dad Banner des Kreuzes fiegreidy über feine Feinde zu ſchwin⸗ 
gen. Hierauf brady der Chor des Klofterd in einen Siegeslärm 
aus und das Bolf rief von allen Plaͤtzen bed weiten Gebäubes: 
„Amen!”*) 

Es war eine eindringliche Scene, weldye den Zufchauern reichli« 
hen Stoff zum Nachdenken bot. Denn, was fonnte eindringlicher fein, 
als der Gegenſatz, gebildet von ben beiden Perfönlichfeiten: — ber 
Eine im Morgen des Lebens, mit hoffnungftrahlendem Auge und ed» 
lem Ehrgeize in die Zufunft blidend, und darauf vorbereitet, die Bahn 
bed Ruhmes unter fo glänzenden Aufpicien, wie je einem Sterblichen 
zu Theil wurden, zu betreten; ber Andere dagegen, dem Abend des Le- 
bens zurüdend, eher in die Vergangenheit, als in die Zukunft blidend, 
mit bleihem, bedächtigem Ausfehen, wie Jemand, der nady manchem 
muͤhſamen Tage und mandyer fchlaflofen Nacht die ſtolze Höhe, wos 
nach es feinem Begleiter verlangte, erflommen — und fie öde gefunden 
hatte! 

Als der Wind günftiger geworden war, verabfchiedete ſich Don 
Juan von der fröhlichen Hauptftadt des Südens und fchiffte fich nach 
Meifina ein, welches er den fünf und zwanzigiten Auguft erreichte. Er 
landete unter einem foloffalen Triumphbogen, der mit reichen Silber- 
platten befegt **) und in welchem merfwürbige ſinnbildliche Basreliefs 
ausgeichnigt und fchmeichelhafte Auffchriften in lateinifchen, den Klaſ⸗ 
fitern Staliend entnommenen Berfen enthalten waren. ***) Noch uns 
ter zwei andern, ähnlich reid und mit Fleiß hergeftellten Bögen kam 
er durch, als er unter Slodengeläute, den Jubelrufen der Menge, dem 





— — 22 nn — 


*) „Luego su Alteza, el Coro, y Pueblo dixeron con musica, vores, y 
alegria; Amen.“ — Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 159. 

**) Embossed, welcdes ſchwer ins Deutiche zu überfepen iſt. Nach Webſſter's 
Dictionary of the English Language ift die zweite Bebeutung von to emboss: 
„to cover as with bosses, to cover with protuberances.“ Unfer „belegen,“ „be- 
ſchlagen“ kommt der Bedeutung alfo am nächften. Anm. des Meberf. 

, Giche die genaue Beſchreibung diefer Bögen und ihre mannigfaltigen In⸗ 
fhriften in Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 160—162. 


Der Türtenkrieg. 63 


Wehen von Shawls und Tafchentüchern und andern lebhaften, die öf- 
fentlidye Freude befundenden Demonftrationen, weldye einen weniger 
ehrgeizigen Soldaten, ald Don Juan von Oefterreich, trunfen machen 
fonnten, in die Stadt ritt. Die Feftlichkeiten fchlofien des Abends mit 
einer allgemeinen Ilumination der Stadt und mit einem Schaufpiel 
von Feuerwerfen, die ihr Licht weit und breit über den fchönen Hafen 
und die darauf ſchwimmenden zahllofen Schiffe warfen. 

Fuͤrwahr, weder bei Tage noch bei Nacht konnte etwas fehöner 
jein, als der Anblid, welchen der Hafen von Meffina gewährte. Je⸗ 
ben Tag lief eine friiche Berftärfung an Slottillen, an einzelnen Galee⸗ 
ren oder an Brigantinen unter einem fühnen Abenteurer, um bie 
Schiffszahl der Armada zu verftärfen, in den Hafen ein. Nach damar 
liger Mode waren viele von diefen Fahrzeugen, namentlich die Galee⸗ 
ren, koſtbar geichnigt und vergoldet und gewährten mit ihren bunten 
Wimpeln und den die Wappen ihrer bezüglichen Staaten zeigenden 
Flaggen, wenn fie über dad Wafler dahinbligten, ein prächtiges Schaus 
fpiel. Kein Fahrzeug übertraf an Pracht der Verzierung den Real, 
was der Name der Galeere des Oberbefehlöhaberd war. Derfelbe bes 
taß eine bedeutende Größe und war in Barcelona, welches wegen feis 
ner Schiffsbaufunft weltberühmt war, gebaut worden. Das Hinters 
theil des Schiffes war verfchwenderifch mit der Gefchichte entnomme⸗ 
nen Symbolen und Denkſprüchen ausgeziert. Das Innere war mit 
einem fo hohen Luxus ausgeftattet, daß ed cher für Vergnügen, als 
für die rauhen Kriegödienfte beftimmt fchien. ‘Doch befaß die Galeere 
merfwürdige Stärfe und Geſchwindigkeit, d. b. fie befaß bie beiden 
wefentlichften Eigenfchaften, die bei der Herftellung eines Schiffes zu 
erzielen find. Hiervon legte fie bei ihrem Kampfe mit den Türfen viel 
fache Proben ab. *) 

Die Gejammtzahl der großen und Eleinen Schiffe der Armada bes 
tief fi) auf etwas über dreihundert. Wolle Zweibrittel davon waren 
„Lönigliche Galeeren.“ Venedig allein flellte hierzu, außer ſechs Ga⸗ 
leazzas, hundert und fee. Die Galeazzas waren von einem unges 
heuren Umfange und, wie es fcheinen will, von einer plumpen Con⸗ 


*) Rosell, Combate Naval de Lepanto, ©. 84. 





64 Neuntes Kapitel. 


ſtruction; jede von ihnen enthielt über vierzig Kanonen. Die Spanier 
zählten etwa zwanzig Galeeren weniger, als ihre venetianiſchen Vers 
bimdeten; aber fie übertrafen dielelben bei IWVeitem an Zahl ihrer Fre 
gatten, Brigantinen und Schiffen geringerer Größe. Noch mehr rühm-« 
ten fie fich einer größeren Tieberlegenheit bei der Eauipirung ihrer See- 
macht, In der That, man fand die venetianifche Flottilfe fo forglos 
bemannt, daß Don Juan, um die nöthige Equipirung fertig zu ma⸗ 
chen, einige taufend Mann von den Schiffen der übrigen italieniichen 
Maͤchte herüber beorderte. Dieſes Verfahren enthielt einen fo directen 
Tadel der Nachläifigfeit der Venetianer, daß es den Admiral Veniero 
ſehr ärgerte. Allein, er beſaß in der gegenwärtigen Tage weder bie 
Macht, Widerftand zu leiften, noch, fich zu rächen. *) 

Die Zahl der am Bord der Flotte befindlichen Perſonen, der Eol- 
baten und Eeeleute, ward auf achtzigtaufend abgeichägt. Die mehr 
durch Ruder, als Segel getriebenen Galeeren erforterten beim Fahren 
eine größere Menge Hände. Wie wir ſchon fahen, ging die Zahl ter 
Soldaten nicht über neun und zwanzig taufend; hiervon ftellte Spanien 
über neunzchn taufend. Es waren gut ausgerüftete Truppen, die mei- 
ftend mit Dem Kriege vertraut waren, und ihre Offiziere Männer, von 
deren viele im Dienfte fchon einen großen Ruf erlangt hatten. Beim 
Durchiehen der Muiterrolle der in diefe Erpedition verflochtenen Kavas 
liere könnte man zur Anftcht gelangen, daß Spanien niemald vorher 
eine Flotte ausgefandt hatte, in der man die Namen fo vieler feiner 
durch Rang und friegerifche Thaten berühmten Eöhne finden konnte. 
Wenn man dafjelbe von Venedig fagen kann, muß man bedenfen, daß 
der gegenwärtige Krieg fich um die Blüthe und vielleicht Togar um bie 
Eriftenz der Republif handelte. Die Spanier befeelte der wahre Geift der 
Kreuzzüge, da, anftatt fölpnerifcher Beweggründe, der ‘Preis, wofür 


*) Don Juan fpricht in ter Korrefpondenz mit feinem Freunde Don Garcia 
de Toleto fehr ärgerlich von terNtachläffigkeit, welche die Benetianer beim Equipiren 
ihrer Schiffe bewiefen hatten. In einem Briefe, datiert; Meifina, ten 30. Auguſt. 
fagt er: „Pöneme cierta congoja ver que el ınundo me obliga & hacer alguna 
cosa de momento, contando las galeras por nimero y no por cualidad.“ — 
Documentos Ineditos, Bd. III, S. 18. 


— — — — nn — 


Der Tuͤrkenkrieg. 65 


bie Soldaten fochten, Ruhm in biefer, und das Paradies In der zu⸗ 
fünftigen Welt war. 

Weil Sebaftian Beniero für die Befigungen der Republik im Adria⸗ 
tifchen Meere zitterte, wäre er gern ohne weitern Verzug in die See hin» 
außgefahren und hätte den Feind aufgeſucht. Allein Don Juan weigerte 
fid) mit einer Klugheit, die man ihm gar nicht hätte zutrauen follen, von 
der Stelle zu rüden, ehe alle feine Verflärfungen eingetroffen waren. 
Er fannte die Hülfdquellen des ottomanifchen Reichs und fonıte nicht 
zweifeln, baß fie in gegenwärtigen Kalle auf das Aeußerſte würden 
angeftrengt werben, um eine fürdhterliche Seemacht berzuftellen: daher 
befchloß er, fich nicht unnöthigerweife der Möglichkeit einer Niederlage 
auszufetzen, inden er vernacdhläfftgte, fich zum Kampfe mit allen ihm 
zu Gebote ſtehenden Mitteln vorzubereiten. Das war ein weiſer Be 
fehluß, der die vollftändige Billigung feines Bruders gefunden bas 
ben muß. 

Während er auf biefe Weife zu Meſſina zurüdgehalten wurbe, 
fangte dafelbft ein paͤpſtlicher Nuntius, der Bifchof Odescalco von 
Penn an. Er mar ber Ueberbringer verfchiedener geiſtlicher Gunſtbe⸗ 
zeigungen.des Papftes; doc war ohne Zweifel der wirkliche Zweck ſei⸗ 
ner Sendung, die Bewegungen Juan’d von Defterreich zu befchleunigen. 
Der Nuntius verfündete ein Jubiläum, an welchem jeder Mann in der 
Armada, vom Oberbefehlshaber abwärts, nachdem er drei Tage ges 
faftet hatte, beichtete und zum Abendmahle ging. Alsdann verfündete 
der Prälat im Namen Seiner Heiligkeit Allen bie volle Erlaffung ihrer 
Sünden und ertheilte ihnen bie nämlicye Indulgenz, welche die Be⸗ 
freier des Heiligen Grabe erhalten hatten. Dem Don Yuan theilte 
der Bapft gewifle Offenbarungen und zwei erfreuliche Brophezeihungen 
des heiligen Iſidors mit, von weldyen Seine Heiligkeit erflärte, daß fie 
fich unzweifelhaft auf den Prinzen bezögen. Ferner wird gemeldet, ba 
fich der Papft auch noch an weltlichere Erwägungen richtete, indem er 
dem jungen Befehlshaber den Wink gab, daß der Sieg nicht verfehlen 
fönnte, ihm ben Weg zur Erwerbung eined unabhängigen Fürften- 
thums zu eröffnen. *) Mochte nun diefer Wink in der Seele Don Juan’s 

*) Rosell, Combate Naval de Lepanto, ©. 82. 


Die Harfte und bei weiten am beſten ausgearbeitete Darftellung der Schlacht 
Brescott, Geſch. Philipp'e I. V. 5 


66 Neuntes Kapitel. 


einen fo fchmeichelhaften Gedanken erft rege machen, oder mochte ber 
Bapft wiſſen, daß derielbe fchon in ihn vorhanden war: fo viel ift ge 
wiß, daß dieſer Gedanke der Geift wurde, welcher von biefer Zeit an 
die Einbildungsfraft des ftrebfamen Anführers fortwährend verfolgte 
und ihm auf dem Pfade gefahrvollen Ehrgeizes nady feinem traurigen 
Ende zu winfte. 

Da jegt Alles fertig war, ward die Ordre ertheilt, die Anfer zu 
lichte: fo daß den fechszehnten September die prächtige Kriegöflotte, 
der feit der Zeit des römifchen Reichs feine wieder auf diefen Gemwäl- 
fern gleichgefommen war, hinaus in die See fuhr. Der mit feiner 
Amtsfleidung angethane päpftliche Runtius fand auf einer hervor: 
ragenden Stelle auf dem Hafendamm, und ſowie jedes Schiff bei ihm 
vorbeifuhr, gab er ihm feinen apoftoliichen Segen. Ohne alsdann jeine 
Ruͤckkehr einen Augenblid länger zu verfchieben, eilte er nady Rom zu- 
rüd, um feinem Herrn die erfreulichen Nachrichten mitzutheilen.*) 


von Lepanto findet ch in tem Memoire von Don Bayetan Rofell, welches 1833 
von der Königlichen Akademie der Gefchichte zu Madrid den Preis erhielt. Es if 
eine Schilterung, weiche die Spanier wegen der genauen @inzelnheiten, die fie von der 
von ihren heidenmüthigen Vorfahren an jenem denkwürdigen Tage bewiefenen Tapfer: 
feit enthält, mit Stolz lefen fünnen. Der Berfafler greift die von ihm beichriebene 
Scene friſch an. Wenn feine Sprache zumeilen das Feuer nationaler Barieilichkeit zu ver: 
rathen fheinen mag, muß man doch zugeftchen, daß er die beflen Informationequellen 
duecbforfcht und dem Leſer das Refultat wahrheitsgemäß vorzulegen gefucht bat. 

”, Torres y Aguilera, Chronica de Guerra que ha acontescido en Italia 
y partes de Levante y Berberia desde 1570 en 1574 (Caragoga, 1579), Fol. 54. 
— Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 165 ff. — Cabrera, Filipe 
Segundo, Bud IX, Kap. 23. 


Der Tuͤrlkenkrieg. 67 


Zehntes Kapitel. 
Der Türfenfrieg. 


Der Operationdplan. — Die Kunde vom Feinde. — Die Vorbereitungen zum 
Kampf. — Die Schlacht bei Lepanto. — Die verwirrte Flucht der rürfifchen 
Armada. 


1571, 


Als die Flotte der Verbündeten längs der calabrifchen Küfte hin⸗ 
fegelte, hatte fie fo jehr mit den aufgeregten Meereöwellen und widrigen 
Winden zu fämpfen, daß fie nur langfam vorwärts fam. Nicht lange 
vor feiner Abfahrt Hatte Don Iuan ein kleines Geſchwader unter einem 
fpanifchen Kapitän, Namens Gil de Andrada, ausgeſchickt, damit es 
den Feind ausfundfchaften follte. Bei feiner Rüdfehr traf vieler Be⸗ 
fehlohaber die hriftliche Flotte und berichtete, daß die Türfen mit einer 
mächtigen Kriegsflotte im Adriatifchen Meere wären und daſelbſt auf 
dem venetianifchen Gebiete fchredliche Vermüftungen angerichtet hätten. 
Don Juan fleuerte nun nach Eorfu zu, doch erreichte er daſſelbe erſt 
am ſechs und zwanzigften September. Er hatte bald vollſtaͤndige Ges 
(egenheit, an den rauchenden Gehöften und verwüfteten Fluren längs 
ber Küfte die Spur des Yeinded zu gewahren. Die Inielbewwohner 
hießen die Alliirten freudig willfommen und verfahen fie mit allen Bes 
bürfniffen, welche fie brauchten. Hier erfuhr Don Juan, daß man die 
ottomanifche Ylotte im Golf von Lepanto fegeln geiehen hatte, wo fie 
liegen blieb, als ob fie auf die Ankunft der Ehriften wartete. 

Jetzt trug der junge Oberbefehlöhaber fein Bedenken mehr, was 
für ein Verfahren er einfchlagen follte. Aber er hieft für gut, che er 
fi entichiede, feine vornehmlichften Kapitäne zu einem Kriegerathe zus 
fammenzurufen. In der That verlangte der Allianzvertrag, daß er mit 
den übrigen Befehlshabern ſich berathen follte, ehe er in wichtigen Sa⸗ 
hen einen enticheidenden Schritt thäte, und dies war ihm von dem 
Könige, der immer den Ungeftüm ſeines Bruders befürdıtete eifrig eins 
geprägt worden. 

Die Meinungen des Rathes waren getheilt. Einige, welche die 
5 * 


68 Zehntes Kapitel. 


Tapferfeit ver Türken auf dem Meere perfönlich erfahren hatten, ſchie⸗ 
nen vor dem Zufammentreffen mit einer fo furchtbaren Kriegsmacht 
zurüdzufchreden und hätten lieber die Operationen der Slotte auf bie 
Belagerung eines den Moslems angehörigen Platzes beſchraͤnkt. Selbft 
Doria, ber fein ganzes Leben hindurch gegen die Ungläubigen gefochten 
hatte, hielt ed nicht für rathfam, den Feind in feiner gegenwärtigen 
Vofition, wo er von freundlichen Küften umgeben war und von bort 
leicht Unterftügung erhalten fönnte, anzugreifen. Es fei befier, hob er 
hervor, einen Plag in der Nähe, wie Ravarino, anzugreifen, was bie 
Wirkung haben könnte, den Beind aus dem Golf herauszuloden und 
ihn dadurch zu zwingen, an einer für die Verbündeten vortheilhafteren 
Stelle eine Schlacht zu liefern. 

Allein die Majorität des Rathes faßte die Sache ganz anders 
auf. Ihr fehlen e8, daß der Zweck der Erpedition die Zerftörung ber 
ottomanifchen Flotte wäre und daß ſich hierzu eine befiere Gelegenheit, 
al® die gegenwärtige, nicht bieten könnte, weil ber im Golfe einge 
fchloffene Feind, wenn er geſchlagen würde, feinen Ausweg zum Ent 
rinnen finden würde. Das war glüdlicherweife nicht nur die Meinung 
der Majorität, fondern auch der meiften Männer, deren Urtheil Die 
größte Achtung verdiente. Unter diefen befanden fich der tapfere Marquis 
von Santa Cruz, der Großcommandeur Requefens, der immer noch in ber 
Umgebung Don Juan's blieb und eine Galeere hinter ihm befebligte, 
&ardona, der General des flcilifchen Geſchwaders, Barbarigo, der ve- 
netianifche Provveditore, welcher an Autorität dem Oberbefehlähaber 
feiner Nation am nächſten kam, der Römer Eolonna und Alerander 
Barnefe, der junge Prinz von Parma, Don Juan's Neffe, der bei dies 
fer denfwürdigen Gelegenheit gekommen war, um feinen erften Unters 
richt in ber Kriegskunſt, worin er ſpaͤter unerreicht baftehen follte, zu 
empfangen. 

Mit nicht geringer Genugthuung ſah fich der Oberbefehlshaber 
in feinem Urtheile fo gut unterftügt, daß er befchloß, ohne umnöthigen 
Berzug ben Türfen in ber von ihnen gewählten Stellung eine Schlacht 
zu liefern. Indeſſen wuͤnſchte er ſich erft mit einem Theile feiner Flotte 
zu verbinden, die, durch Winde von der Richtung abgebracht (baffied) 
und ohne Ruder noch immer zurüd war. Denn die Galeere befaß bei 


— —— — — DE] —— — — 


— — — we- | — 


Dar Türkenfrieg. 69 


den zahlreichen Rubern, die zu ihren Segeln binzufamen, gewiſſer⸗ 
maßen bie Eigenichaften des heutigen Dampfers, der Wind und Wels 
len fo wader trotzt. Weil Don Juan auch wünfchte, che es zur 
Schlacht fäme, erft eine Reyue abzuhalten, beichloß er, hinuͤber nach 
Comenizza, einem geräumigen, wohlgefchüsten Hafen an ber gegen« 
überliegenden albanifchen Küfte, zu fahren. 

Das that er den dreizgehnten September. Hier wurden die Fahr⸗ 
zeuge für unmittelbaren Kampf in Bereitichaft gebracht. Sie paſſirten 
vor dem Oberbefehlähaber in Revue und machten ihre verfchiedenen 
Evolutionen dur, während die Artilleriſten und Wusfetiere augges 
zeichnete Uebung bewiejen. Don Juan fah dem herannahenden Kampfe 
mit wachfendem Bertrauen entgegen. Indeß ereignete fich um dieſe 
Zeit ein Borfall, der von den fchlimmften Folgen hätte begleitet fein 
Tonnen. 

Ein römifcher Offizier, Namens Tortona, welcher zum Vollftän- 
digmachen ber venetianifchen Onleeren mit herüber verfeßt worden war, 
gerieth mit einigen von feiner Schiffsmannſchaft in Streit. Das fam 
dem venetianischen General⸗Kapitaͤn Veniero zu Ohren. ‘Der Greis, 
welcher von Hauſe aus ein jähzorniges Temperament befaß und noch 
immer die Beleidigung, welche er durch die Sinführung ber Alliirten 
auf feine Schiffe erlitten zu haben glaubte, jchmerzlich empfand, ließ 
den Schuldigen augenblidlich feftnehmen. Tortona widerjegte fich eine 
Zeit lang der Ausführung dieled Befehls. Als er aber zulegt ergriffen 
worden war, fällte der rachfüchtige Veniero über ihn dad Urtheil, dap 
er fammt einigen Genoſſen am Nod aufgefnüpft werben follte. Dieſes 
übermüthige Verfahren verurfachte bei Don Juan die tiefſte Entrüftung, 
zumal da er ed ald eine auf ihn gemünzte Beleidigung anſah. In den 
erſten Augenbliden feines Zornes ſprach er davon, daß er es dem ver 
netianifchen Admiral mit einer gleichen Strafe wiedervergelten wollte. 
Doc vermochten glüdlicherweife die Vorftelungen Colonna's — ber, 
ald der päpfliche Befehlshaber, eigentlich die meifte Urfache fich zu ber 
fchweren hatte — und die Bitten anderer Freunde, den Argerlihen Chef 
vom Begehen einer Gewaltthätigfeit abzuhalten. Indeſſen beftand er 
darauf, daß der venetianifche Admiral nie wieder feinen Sig im Kriegs» 
rathe einnehmen, fondern durch den ihm im Kommando zunächitfiehen- 


= 





70 Zehmtes Kapitel. 


den Provocditore Barbarigo, einen Mann, der glüdlidyerweife feinen 
Zorn befter, als fein Borgefehter, im Zaume halten fonnte, erfebt wer 
den follte. Auf diefe Weiſe ging die Wolfe, weldye auf einen Augen 
blick umter den Alliirten die Harmonie zu unterbredgen und über bad 
Unternehmen Berderben zu bringen drohte, vorüber. *) 

Den dritten Oftober fuhr Don Juan, ohne länger auf die aus⸗ 
bleibenden Schiffe zu warten, wieder in dad Meer hinaus und ſteuerte 
auf den Golf von Lepanto zu. Als die Klotte das joniihe Meer hinab» 
eilte, kam fie an manchem in der alten Sefchichte berühmten Orte ver 
über. Keiner fönnte, denken wir, jegt wohl ein jo großes Interefle er⸗ 
regt haben, als Actium, auf teffen Bewäflern die größte Seeſchlacht 
des Alterthums gefchlagen worden war. Doch dachten die Serfahrer 
wahricheinlich nicht viel an die Bergangenheit, weil fie mit dem ihnen 
zu Lepanto bevorfiehenden Kampfe beichäftigt waren. Den fünften 
Dftober hüllte ein dichter Nebel die Armada ein und verhinderte fie, 
irgend einen Gegenſtand zu fchen. Glücklicherweiſe erlitten die Schiffe 
feinen Schaden, fontern legten fi), nachdem fie vor Ithafa, der altem 
Heimath des Ulyfies, vorbeigefommen waren, an der öftlidyen Küfte 
von Gephalonia ficher vor Anker. Zwei Tage lang wurden fie am 
Weiterfchiffen durch ihrem Laufe entgegengefehte Winde (head- 
winds) **) verhindert. Aber den fiebenten Oftober flach ber über bie 
Zurüdhaltung ungeduldige Don Juan wieder hinaus in die Ser, 
wenngleich Wind und Wetter nody ungünftig waren. 

Während er bei Eephalonia lag, erhielt er Nachricht, daß Fama⸗ 
gofta, die zweite Stadt Cyperns, in die Hände des Feindes gefallen 
war, und zwar unter Umftänden unerreichter Treulofigfeit und Grau⸗ 
famfeit. Nach einer Bertheidigung, welche den Belagerern Hekatom⸗ 
ben Opfer foftete, durfte der Blag eine ehrenhafte Kapitulation machen. 


* Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 64. — Vanderhammen, Don Juan 
de Austria, Fol. 173. — Paruta, Guerra de Cipro, ©. 149. — Relacion de la 
Batalla Naval que entre Christianos y Turcos hubo el ano 1571, Manuſtt. — 
Otra Relacion, Documentos Ineditos, Bd. IH, S. 368. 

*) Das Wort Head-wind fehlt in den meiften Lexicis. Boag erflärt es: 
„A wind that blows in a direction opposite to the ship’s course.“ Gs ift alfo 
ein Ausdruck der Seeſprache. Anm. des Ueberſ. 


Der Türkenkrieg. 71 


Der moslemitiſche Befehlshaber Muſtapha, der naͤmliche grimmige 
Chef, welcher die Belagerung Malta's geleitet hatte, verlangte in ſei⸗ 
nem Hauptquartiere mit den vornehmlichſten venetianiſchen Kapitaͤnen 
eine Zuſammenkunft. Nach einer kurzen, hitzigen Konferenz ließ er ſie 
alle hinrichten. Drei wurden enthauptet. Den übrigen, einen Adeli⸗ 
gen, Namens Bragadino, welcher den Oberbefehl gefuͤhrt hatte, ließ 
er lebendig auf dem Marke der Stadt ſchinden. Alsdann wurde die 
Haut des bejammernswerthen Opfers ausgeſtopft, und indem dieſe 
geſpenſtiſche Trophaͤe am Rod feiner Galeere baumelte, ſegelte das 
brutale Ungeheuer nach Konſtantinopel zurüd, um ſich von Selim den 
den Lohn für feine Dienfte zu holen.*) Diefe Dienfte waren groß. 
Der Fall von Bamagofta machte den Fall von Eypern, weldyes auf 
diefe Weile dauerhaft dem ottomanifchen Reiche einverleibt blieb, 
gewiß. *) 

Die Nachricht von dieſen ſchaͤndlichen Vorgaͤngen erfüllte die 
Bruſt eines jeden Venetianers mit einem unauslöfchlichen Rachedurſte. 
Die Verbündeten flimmten von Herzen in dad Verlangen nad) Radıe 
ein, fo daß Alle an Bord der Armada ungebuldig der Stunde harrten, 
die fie mit den Feinden des Glaubens handgemein machen follte. Es 
war Sonntags zwei Etunden vor Tagesanbruch, an dem denhvürdigen . 
fiebenten Oftober, als die Klotte die Anker lichtete. Der Wind hatte 
fidy zwar etwas gelegt, war aber immer noch wibrig, fo daß die Gas 
leeren ihr WVeiterfommen weit mehr ihren Rudern, als ihren Segeln 
verdankten. Beim Aufgang der Sonne hatten fie Curzolari, einen 
Haufen großer Helfen oder felfiger Infelchen, welche auf der Nordfeite 
ven Eingang in den Golf von Lepanto vertheidigen, vor fich liegen. 
Die Flotte bewegte fich mit Fleiß vorwärts, während fich jedes Auge 
anftrengte, den erften Blid von ber feindlichen Flotte zu erhafchen. 
Endlich rief Die auf dem Fockmars des Real aufgeftellte Wache: „Ein 


*) Paruta, Guerra de Cipro, ©. 143 und 144. — „Despues hizo que lo 
degollassen vivo, y lleno el pellejo de paja lo hizo colgar de la entena de una 
galeota, y desta manera lo llevo por toda la ribera de la Suria.“ — Torres y 
Aguilera, Chronica, Fol. 45. 

”*) Ebend., Kol. 45 und 4A. — Paruta, Guerra. de Cipro, ©. 180-144 
— Sagredo, Monarcas Othomanos, ©. 383— 2389. 


12 8 us Kepite. 


Fahrzeug!“ und erflärte bald darauf, daß man bie ganze ottomaniſqhe 
Flotte ſehen köͤnne. Einige andere, welche das Takelwerk hinaufkletier⸗ 
ten, beſtaͤtigten dieſe Nachricht, und einige Augenblicke ſpäter fkandie 
Andreas Doria, welcher auf der Rechten befehligte, die nämliche Rady 
richt. Nicht länger waltete Zweifel ob. Nachdem daher Don Jusa 
fein Wimpel hatte auf der Spige des Beſanmaſtes entfalten laſſen, 
ließ er die große, vom Papfte geſchenkte Standarte aufmachen und ald 
Schlachtfignal eine Kanone abfeuern. Als der Schuß länge ber tel 
gen Küfte binlief, fehallte ex freudig den Verbündeten in die Ohren, 
die, indem fie ihre Augen auf das geweihte Banner richteten, bie Salt 
mit Freudengeſchrei erfüllten. *) 

Die vornehmften Kapitäne kamen jet an Bord bed Real, um 
vom Oberbefehlöhaber die legten Befehle zu empfangen. Sogar ieh 
noch, zu dieſer fpäten Stunde; gab ed Einige, die ihren Zweifel fund» 
zugeben mwagten, ob ed wohl angemeffen jei, fidy mit dem Feinde in 
einer Bofitton, wo er einen entſchiedenen Vortheil befaß, in einen 
Kampf einzulaffen. Aber Don Iuan fchnitt alle Discuffion ab. 
„Meine Herren,” fagte er, „dad ift die Zeit zum Kampf und nic 


zum Rath.“ Alsdann fuhr er in feinen Verfügungen zum Ans 


griff fort. 

Er hatte bereits einem jeden Galeerenbefehlshaber fchriftliche Iw 
fiructionen über die Weife gegeben, in welcher man, falls man mit 
dem Feinde zufammenträfe, die Schladhtlinie zu bilden hatte. In biete 
Ordnung wurde jegt die Armada gebracht. Sie hatte in ber Sromir 
drei (englifche) Meilen Ausdehnung. Weithin auf der Rechten wurde 
ein Gefchwaber von vier und fechzig Galeeren von dem genueſiſchen 
Adıniral Andreas Doria, deffen Rame für den Mufelmann ſchrecklid 
war, befehligt. Das Centrum oder fogenannte Battle, dag aus tra 
und ſechszig Galeeren beftand, führte Don Juan von Defterreich, da 
jich auf der einen Seite auf den General-Rapitän des Papftes, Ca 
(onna, und auf der andern auf den venetianifchen General-KRapitin 
Veniero ftügte. Unmittelbar im Rüden von ihm war die Galeere dee 


*, Torresy Aguilera, Chronica, Fol. 65. — Documentos In&disos, Br. II. 
©. 241. — Rosell, Historia del Combate Naval, &. 93 und 94. 


Der Tücentcieg 73 


Großcommandeurs Requelend, welcher immer med; in ber Umgebung 


feines früheren Schülers blieb; obwohl ein ſich unterwegs entſpinnen⸗ 
der Zwilt, ber glüdlicherweife jegt vergeffen war, zeigte, daß ber 
junge Oberbefehlöhaber von feinem Lehrer der Kriegöfunft völlig uns 
abhängig war. 

Den linken Hlügel befehligte der venetianifche Edle Barbarigo, 
deſſen Schiffe ſich länge der ätoliichen Küfte ausdehnten, und es 
näberte ſich derfelben fo weit, als er bei feiner Unfenntniß der Gegend 
wagen durfte, damit er ed dem Feinde unmöglidy machte, ihn zu um⸗ 
gehen. Die Rejerve endlich, die aus fünf und dreißig Galeeren bes 
fland, war nebft ben nöthigen Injtruetionen dein tapferen Marquis 
von Santa Cruz übergeben. Die Heinere Seemadht, von ber jegt ein 
Theil angefommen war, fiheint am Kampfe, ber alfo den Galeeren 
überlaffen blieb, nur geringen Antheil genommen zu haben. 

Ein jeder Befehlshaber follte mit - feiner Galeere fo viel Raum 
einnehmen, daß er mit ihr bequem mandpriren konnte; body follte die- 
fer Raum nicht weit genug fein, um dem Feinde den Durchbruch durch 
die Linie zu geitatten. in jeder war angewieſen, fi) einen Gegner 
berauszufucdhen, ihm auf der Stelle nahe zu rüden und fo bald als 
möglidy das feindliche Schiff zu enten. Die Schnäbel der Galeeren 
wurden mehr für ein Hinberniß, als für eine Hülfe beim Kampfe er 
Hört. Sie waren jelten ftark genug, um dem Anftoße eines Gegners 
zu widerfichen und waren fehr den Bedienen und Abfeuern ber Kanos 
nen im Wege. Don Juan ließ den Schnabel feined Fahrzeugs ab- 
hauen. Diefem Beifpiele folgte man in ber ganzen Flotte, was, wie 
ed heißt, fehr gute Bolgen hatte. — Es dürfte eigen fcheinen, daß 
dieſe Entdedung erſt gemacht wurbe,. ald die Schlacht beginnen 
follte. *) 

Nachdem die Offiziere ihre legten Snftructionen empfangen hat⸗ 
ten, kehrten fie auf ihre reipectiven Schiffe zurüd. Don Juan aber 
beftieg eine leichte Fregatte und fuhr raſch durch ven zu feiner Rechten 


*%, Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 53. — Herrera, Historia Gonoral, 
Bd. U, ©. 30. — Relacion de la Batalla Naval, Danuffr. — Bosell, Historia 
del Combate Naval, S. 95, 99, 100. 


12 8 ntes Kewitet. 


Fahrzeug!“ und erflärte bald darauf, daß man bie ganze ottomaniſche 
Flotte ſehen fönne. Einige andere, welche das Talelwerk hinaufkletter⸗ 
ten, beflätigten diefe Nachricht, und einige Augenblide jpäter fanbte 
Andreas Doria, welcher auf der Rechten befehligte, die nämliche Nach⸗ 
richt. Richt länger waltete Zweifel ob. Nachdem daher Don Juan 
fein Wimpel hatte auf der Spise des Befanmaftes entfalten laſſen, 
ließ er die große, vom Papfte geichenkte Standarte aufmachen und ale 
Schlachtſignal eine Kanone abfeuern. Als der Schuß längs der felſi⸗ 
gen Küfte hinlief, fehallte er freudig den Verbündeten in die Obren, 
die, indem fie ihre Augen auf bad geweihte Banner richteten, die Luft 
mit Freudengeſchrei erfüllten. *) 

Die vornehmften Kapitäne famen jegt an Bord bed Real, um 
vom Oberbefehlöhaber die legten Befehle zu empfangen. Sogar jest 
no), zu diejer fpäten Stunde; gab es Einige, die ihren Zweifel funds 
zugeben wagten, ob ed wohl angemeflen fei, fich mit dein Yeinde in 
einer Vofttion, wo er einen entfchiebenen Bortbeil befaß, in einen 
Kampf einzulafien. Aber Don Juan fchnitt alle Discuffion ab, 
„Meine Herren,“ fagte er, „das ift die Zeit zum Kampf und nidyt 
zum Rath.” Alsdann fuhr er in feinen Verfügungen zum Ans 
griff fort. 

Er hatte bereits .einem jeden Galeerenbefehtöhaber fhriftliche Ins 
fiructionen über die Weife gegeben, in welcher man, fall® man mit 
dem Feinde zufammenträfe, die Schlachtlinie zu bilden hatte. In bieje 
Ordnung wurde jept die Armada gebracht. Sie hatte in ber Fronte 
drei (englifche) Meilen Ausdehnung. Weithin auf der Rechten wurbe 
ein Geſchwader von vier und fechzig Galeeren von dem genueftfchen 
Admiral Andreas Doria, deſſen Rame für den Diufelmann jchrediid) 
war, befehligt. Das Gentrum oder fogenannte Battle, bad aus drei 
und ſechszig Galeeren beftand, führte Don Juan von Deflerreich, der 
ſich auf der einen Seite auf den ©eneralsFapitän des Papſtes, Eos 
lonna, und auf der andern auf ben venetianifchen General⸗Kapitaͤn 
Beniero ftüste. Unmittelbar im Rüden von ihm war die Galeere des 


*) Torresy Aguilera, Chronica, Fol. 65. — Docurmentos Ineditos, Br. III, 
©. 241. — Bosell, Historia &el Comabate Naral, ©. 93 und 94. 


Der Tuͤckenlries 73 


Großcommandeurs Nequeſens, welcher immer noch in ber Umgebung 
feines früheren Schülers blieb; obwohl ein ſich unterwegs entfpinnen- 
der Zwilt, ber glüdlicherweile jetzt vergeflen war, zeigte, daß ber 
junge Oberbefehlöhaber von feinem Lehrer der Kriegskunſt völlig un- 
abhängig war. 

Den linken Flügel befehligte der venetianifche Edle Barbarigo, 
defien Schiffe ſich längs der ätolifchen Küfte ausdehnten, und ex 
näherte fich derjelben fo weit, als er bei feiner Unfenntniß der Gegend 
wagen durfte, damit er ed dem Feinde unmoͤglich machte, ihn zu ums 
gehen. Die Rejerve endlich, die aus fünf und dreißig Galeeren bes 
ftand, war nebft den nöthigen Inftruetionen dem tapferen Marquis 
von Santa Eruz übergeben, Die Eeinere Seemacht, von ber jegt ein 
heil angelommen war, fiheint am Kampfe, der alfo den Baleeren 
überlaffen blieb, nur geringen Antheil genommen zu haben. 

Ein jeder Befehlshaber follte mit feiner Galeere fo viel Raum 
einnehmen, daß er mit ihr bequem mandvriten konnte; doch follte die» 
fer Raum nicht weit genug fein, um bem Beinde den Durchbruch durch 
bie Linie zu geftatten. in jeder war angemiefen, ſich einen Gegner 
berauszufudhen, ihm auf der Stelle nahe zu rüden und fo bald als 
möglid) da feindliche Schiff zu entern., Die Schnäbel der Galeeren 
wurben mehr für ein Hinderniß, ala für eine Hülfe beim Kampfe er- 
Härt. Sie waren felten far genug, um dem Anftoße eines Gegners 
zu widerftehen und waren fehr dem Bedienen und Abfeuern der Kano⸗ 
nen im Wege. Don Juan ließ den Schnabel feine Fahrzeugs ab- 
hauen. Diefem Beifpiele folgte man in der ganzen Ylotte, was, wie 
es heißt, ſehr gute Folgen hatte. — Es dürfte eigen fcheinen, daß 
diefe Entdedung erſt gemacht wurbe,. ald die Schladht beginnen 
follte. *) 

Nachdem die Offiziere ihre legten Inftructionen empfangen hat- 
ten, kehrten fie auf ihre refpectiven Schiffe zurüd. Don Juan aber 
beftieg eine leichte Bregatte und fuhr rafch durch den zu feiner Rechten 


*) Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 53. — Herrera, Historia General, 
Br. U, ©. 30. — Relacion de ia Batalla Naval, Manuffr. — Bosell, Historia 
del Combate Naval, &. 95, 99, 100. 


74 Zehnes Kapitel. 


fiegenden Theil der Armada, während er dem Requeſens gebet, das⸗ 
telbe mit Bezug auf die Schiffe zur Linken zu thun. Seine Abſicht 
dabei war, um zu ſehen, wie die Leute geſtimmt waren, und um durch 
einige ermuthigende Worte ihnen mehr Herz zu madyen. Die Benetia- 
ner erinnerte er an ihre alten Beleidigungen. Die Stunde der Radhe, 
ſagte er zu ihnen, fei gefommen. Zu ben Spaniern und den übrigen 
Berbündeten iprady er: „Ihr feid gefommen, die Schlacht des Kreuzes 
zu fchlagen, zu fiegen oder zu ſterben. DRögt ihr aber fiegen oder fler- 
ben: thut heute eure Pflicht und erwerbt euch dadurch eine ruhmreiche 
Unſterblichfeit.“ Sie nahmen feine Worte mit einem Sturme der Bes 
geifterung auf, der dem Beichlöhaber zu Herzen ging und ihn übers 
zeugte, daß er fidy in diefer Prüfungsſtunde auf feine Leute verlaffen 
fonnte. Bei der Rückkehr nad) feinem Schiffe ſah er den Beniero auf 
dem halben Verdeck (quarter-deck) ftehen, und Beide grüßten cinan- 
der fo freundlich, als ob fein Zenwürfniß zwiichen ihnen vorgemwaltet 
hätte. Diefe beiden tapferen Männer opferten gern in diefer feierlichen 
Stunde allen perfönlichen ®roll der gemeinfamen Hingabe an die große 
Sadye, für welche fie wirften. *) 

Die ottomanifche Klotte kam langfam und mit Schwierigfeit heran. 
Denn ganz eigen brehte fi) der Wind, der biöher den Ehriften enige- 
gengeweht und einige Zeit fid) gelegt hatte, plößlich nad) der andern 
Richtung und blied ind Angefiht des Feindes.»*) Somie ferner der 
Tag vorrüdte, warf die Sonne, welche den Verbündeten in die Augen 
geſchienen hatte, ihre Strahlen den Moslems ind Gefiht. Beide Um- 
flände waren für bie Ehriften von einer guten Vorbedeutung, und der 
erftere wurbe für nichts Geringeres, ald einen directen Eingriff des 
Himmeld angefehen. Indem auf diefe Weife die türfiiche Armada 


%) Torres y Aguilera, Chronica, Fol 67 ff. — Relacion de la Batalla Na- 
val, Ranuffe. — Otras Relaciones, Documentos Ineditos, Bd. IH, ©. 342 
und 262. 

**) Die meiden Autoritäten erwähnen diefe günflige Drehung des Windes. 
Unter antern fiehe: Belacion de la Butalla Naral, Manuffr. — Relacion eserita 
por Miguel Serria, confesor de Don Juan, Documentos Ineditos, Bd. XI, 
©. 368. — Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 75. — Das Zeugniß kommt von 
Zeuten, bie mit in der Schlacht waren. 


Der Türfentrieg. 5 


ihren Weg daherpflügte, zeigte fie fich, als man fie befier fehen konnte, 
ftärfer, als die Alliirten vorausgeſetzt hatten. Sie beftand beinahe aus 
zweihundert und funfzig Föniglichen Galeeren, die meiftend zur größten 
Klaſſe gehörten, nebft einer Zahl Fleinerer Fahrzeuge im Hintergrunde, 
weiche, wie diejenigen der Alllirten, faft nicht ind Treffen gefommen 
zu fein fheinen. Die am Bord befindlichen Leute jeder Gattung wur⸗ 
den auf nicht geringer, als hundert und zwanzig taufend angefchlagen. *) 
Wie bei den Türfen gewöhnlich, dehnten fich Die Galeeren in der Ge⸗ 
ftalt eines regelmäßigen Halbmondes aus und bebedten einen weiteren 
Klächenraum, als die von ihnen an Zahl etwas übertroffenen verbuͤn⸗ 
deten Flotten. Sowie fie näher beranfamen, bildeten fle in der That 
eine herrliche Schlachtorbnung mit ihren vergoldeten, flimmerndfarbis 
gen oberen Schiffsvorbertheilen, indeß die Morgenſonne auf die polirs 
ten Damascenerfäbel und die prächtigen Sumwelenfeberbüfche (aigrettes 
of jewels) **), die auf den Turbanen der ottomaniſchen Fuͤhrer funkel⸗ 
ten, glaͤnzte. 

In dem Centrum der ausgedehnten Linie, gerade dem von dem 
General⸗Kapitaͤn der Ligue eingenommenen Standpunkte gegenüber, 
befand ſich die ungeheure Galeere von Ali Paſcha. Die Rechte der 
Armada kommandirte Mahomed Sirocco, Vicekoͤnig von Aegypten, 
ein ſowohl umſichtiger, als muthiger Führer, die Linke Uluch Ali, Dey 
von Algier, der ſchreckliche Korſar des Mittellaͤndiſchen Meeres. Ali 
Paſcha war auf die nämliche Schwierigkeit, wie Don Juan, gerathen, 
indem mehrere feiner Offiziere geltend gemacht hatten, daß es nicht 
Flug gehandelt fei, ſich mit ber fürdhterlichen Kriegsmacht der Alliirten 
in Kampf einzulaffen. Aber Ali war, wie fein Rival, jung und chr- 





*) Bei den in verfchietenen Schriftftellern und fogar offiziellen Dokumenten 
zu findenden widerfprechenden Angaben der Zahl der Schiffe und Truppen in ber tür: 
fifchen Armada habe ich mid an die in Señor Roſell's Memoria ſtehende Berech⸗ 
nung, welche nach einer forgfältigen Bergleihung der verfchiedenen Autoritäten 
aufgeftellt worden ift, gehalten. — Historia del Combate Naval, ©. 44. 

*) Da ic) in feinem der in Deutichland erfchienenen Lerifa, welche mir zu Be: 
bote ſtanden, das Wort aigret oder aigrette in diefer Beteutung gefunden habe, fo 
verweiſe ich auf Webfler, Dictionary of the English languagne, wo dieſe Bedeu⸗ 
tung die dritte tes Wortes bildet. Anm. des Ueberſ. 


76 Zehutes Kapitel, 


geizig. Sein Herr. hatte ibn ausgelandt, daß er mit dem Feinde 
kaͤmpfen follte; daher konnten keine Einwürfe, nicht einmal die bed 
von ihm ſehr hochgeachteten Mahomeb Sirocco, ihn von feinem Ziele 
ablenken. 

Er war ferner benachrichtigt worden, daß die verbundene Flotte 
von viel geringerer Staͤrke ſei, als ſich ſpaͤter herausſtellte. In dieſem 
Irrthume beſtärkte ihn das erſte Erſcheinen der Chriſten; denn der von 
Barbarigo kommandirte Außerfte Theil ihres linken Fluͤgels, der ſich 
hinter die ätoliſche Kuͤſte erſtreckte, konnte nicht geſehen werden. Als 
Ali naͤher kam und die ganze Ausdehnung der chriſtlichen Linien ſah, 
ſoll ihm der Muth gefallen fein (it is said his countenance fell). 
Wenn dem fo ift, ließ er doch fein Jota von feinem Entſchluſſe nach. 
Er ſprach vom Refultate der Schladht zu feiner Umgebung mit ber 
nämlichen Zuverficht, wie vorher. Er trieb feine Ruderer an, jeben 
Muskel anzuftrengen. Die Seele Ali's befaß eine größere Humanität, 
ald man gewöhnlid, bei feiner Nation antraf. Alle, oder doch beinahe 
alle feine Galeerenſtlaven waren chriftliche Gefangene; er ſprach daher 
zu ihnen auf folgende furze und energifche Art: „Wenn eure Landes 
leute den heutigen Tag gewinnen, möge eudy Allah den Segen bavon 
geben; doch, wenn ich ihn gewinne, ſollt ihr ficherlich euere Freiheit 
haben. Wenn ihr fühlt, daß ich burch euch profltire, profitirt denn 
auch durch mich.” *) 

ALS der türkifche Admiral näher kam, machte er eine Beränderung 
in feiner Schlachtordnung, indem er feine Flügel weiter vom Centrum 
trennte und fich auf biefe Weife der Aufftellung ber Arten anbes 
quemte. he er innerhalb Kanonenichußtragweite gefommen war, 
feuerte er zum Zeichen ber Herausforderung für feinen Feind eine Ka 
none ab. Sie wurde mit einer andern von ber Galeere Juan's von 
Defterreic, beantwortet. Auf eine zweite von Ali abgefeuerte Kanone 





— um 


*) „Si hoy es vuostro dia, Dios os lo dé; pero estad ciertos que si gano 
la jornade, os daré lidertad: por lo tanto haced lo que debeis & las obras quo 
de mi habeis reeebido. — Bosell, Historia del Combate Naval, ©. 101. 

Wegen ter legten Seiten ſiehe: Paruta, Guerrs di Cipro, ©. 1850—151; — 
Sagredo, Monarcas Oihomanos, ©. 292; — Torres y Aguilera, Chromioa, 
Fol. 66--66; — Relacion de la Batalla Naval, Ranuffr. 


Der Türfenfrieg. 77 


wurde eben fo hurtig von dem chriſtlichen Befehlshaber erwidert. Die 
Entfernung zwiſchen den beiden Blotten verminderte ſich jeßt reißend 
ſchnell. In dieſem feierlichen Momente herrſchte ein tobesähnliches 
Stillſchweigen in der ganzen Kriegöflotte ber Alliirten. Man fchien 
den Athem an fich zu halten, gleich al8 ob man von ber Erwartung 
einer großen Rataftrophe völlig abforbirt wäre. Es war ein prächtiger 
Tag. Ein leichtes Lüftchen, das noch immer ven Türfen ungünftig 
war, fpielte auf den durch die entgegengefehten Winde etwas beuns 
ruhigten Gewäffern. Es war ziemlid) Mittag, und ald die Sonne, 
die am wolfenlofen Himmel emporftieg, den Zenith erreichte, fehlen fie 
ſtille zu ftehen, als 0b fie herabblicken wollte auf bie fehöne Scene, wo 
bie Menge über daa Waſſer fahrender Galeeren eher ein Feiertage» 
Ihaufpiel, als die Vorbereitung für einen töbtlihen Kampf dar⸗ 
boten. 

Die Illuſion wurde bald zerftört durch das wilde, durchdringende 
Geſchrei (yells), welches von der türfifchen Armada in bie Luft em⸗ 
porfiieg. Es war dad Kriegögefchrei, ınit dem die Moslems ges 
wöhnlich in die Schlacht gingen. Ganz verfchieden hiervon fah ed am 
Bord der chriftlichen Baleeren aus. Dort fonnte man Don Juan vom 
Scheitel bis zur Zehe bewaffnet auf dem Vordertheile des Real ftehen 
und fehnfüchtig auf den Kampf warten fehen. An biefem Allen erficht- 
lichen Orte fniete er nieder, erhob feine Augen gen Himmel und flehete 
demüthig, daß der Allmächtige heute feinem Wolfe beiftehen möge. 
Seinem Beifpiele folgte die ganze Flotte. Sie alle, Offiziere und Ge⸗ 
meine, warfen fich auf bie Knie nieder, richteten ihre Augen auf das 
vom Real wehende gemweihte Banner und verrichteten daſſelbe Bitigebet, 
wie ihr Oberbefehlshaber. Alsdann ertheilten ihnen die ‘Priefter, von 
denen ed einige auf jedem Schiffe gab, bie Abfolution, und die ganze 
Mannfcaft-fühlte ſich, als ſte fich wieder auf die Beine richtete, neu 
geftärkt, weil fie die Ueberzeugung hegte, daß der Herr der Heerſchaa⸗ 
ren auf ihrer Seite fämpfen würbe.*) 


— —— 





Dieſes Faktum wird von den meiſten Geſchichtſchreibern der Schlacht ange⸗ 
führt. Der von mir fo oft angezogene Verfaſſer des Manuſkripis ſagt ferner, daß 
der Wechfel des Windes Statt fand, während die Flotte auf dieſe Weife den Alle 


78 gehntes Kapitel. 


Als die vorderften Schiffe der Türken innerhalb Kanonenſchuß⸗ 
weite gefommen waren, eröffneten fie auf die Ehriften ihr Yeuer. 
Schon bald ging das Feuern durch die ganze türfilche Linie und wurde, 
fo wie es näher fam, unaufhörlich fortgefegt. Don Juan ertheilte den 
Befehl, daß die Trompeten und Atabal*) das Signal zum Kampfe 
geben ſollten: worauf das gleichzeitige Abfchießen aller derjenigen Ka⸗ 
nonen in der verbündeten Flotte, welche weit genug fchoflen, um ven 
Feind zu erreichen, folgte. Der fpanifche Befehlshaber hatte die Gar 
leazzas, jene riefigen Kriegöfchiffe, von denen wir fhon Einiges be 
richteten, eine halbe Meile vor die Klotte voraus bugſtren laffen, Damit 
fie dem Vorrüden der Türken den Weg veriperrten. Als die legteren 
vor fie hinfamen, entluden die ungeheuren Öaleeren ihre Batterien nach 
Links und Rechts und ihr fchwered Geſchütz brachte eine erftaunliche 
Wirfung hervor. Ali Paſcha ertheilte feinen Galeeren den Befehl, 
ihre Linie zu öffnen und, ohne ſich mit diefen ihm unbefannten Unges 
heuern der Tiefe auf einen Kampf einzulaffen, auf beiden Seiten um fie 
berumzufahren. Sogar jet noch richteten ihre ſchweren Geſchuͤtze beiman- 
chen von den naͤchſten Fahrzeugen beträchtlichen Schaden an und brady 
ten in bes Paſcha's Schlachtlinie einige Verwirrung. Indeß waren 
fie nur fchwerfällige Bahrzeuge **) und fcheinen, nachdem fie ihren 
Zwed erfüllt hatten, feinen weitern Antheil am Kampfe genommen zu 
haben. 

Die Schlacht nahın ihren Anfang auf dem linfen Flügel der Als 
fürten, den Mahomed Sirocco zu umgehen fuchte. Barbarigo, ber 


— — — — — — 


mädhtigen um Hülfe anflehte. „Y em este medio, que en la oracion se pedia ä 
Dios la victoria, estaba el mar alterado de que nuestra armada recibia gran 
dano y antes que ge acabase la dicha oracion el mar estuvo tan quieto y s08e- 
gado que jamas se a visto, y fue fuerca 4 la armada enemiga amainar y venir 
al remo.“ 

%) Atabal iſt fpanifch und bezeichnet eine Art Baufe oder Trommel. 

Anın. des Ueberf. 

**) Craft bezeichnet eigentlich ein Yahrzeug, Das beim Be: und Entladen eines 
Schiffes gebraucht wird, und ift hier in einem allgemeinen Sinne auf tie Galeazzas 
angewandt. In Webfler’s English Dictionary ift diefe Bedeutung des Wortes die 
vierte: „All sorts of vessels employed in loading or unloading ships, as lighters, 
hoys, barges, scows etc.“ Anm. des Ueberf. 


Der Türkenfrieg. . 79 


venetianifche Admiral, welcher auf biefer Seite befehligte, hatte das 
geahnt. Um ed zu verhindern, hielt er fich, wie wir fahen, mit feinen 
Fahrzeugen fo weit recht, ald er ed wagen konnte. Der mit ber Tiefe 
befier befannte Sirocco ſah ein, daß für ihn, um vorbei zu fommen, 
noch genug Raum vorhanden fei, und umging, indem er mit ber gan- 
zen Schnelligkeit, welche die Ruder ihm verleihen konnten, berbeiflog, 
glüdlidy den Feind. Der auf diefe Weife zwifchen zwei Feuer gebrachte 
Außerfie Theil des chriftlichen Linken Flügelo kämpfte mit fchredlichem 
Nachtheile. Nicht weniger, als acht Galeeren fanken, und verichiebene 
andere wurden vom Feinde genommen. Der tapfere Barbarigo flürzte 
fi) in die Hige des Gefecht, ohne ſich feiner Rüftung zu bedienen, 
und wurde von einem Pfeile ind Auge getroffen. Unwillig, das Feld 
des Ruhmes einem Andern zu überlaflen,, ließ er fich nach feiner Ka⸗ 
jütte tragen. Seitens ber Venetianer dauerte der Kampf mit unabs 
läffiger Wuth fort. Sie fämpften wie Männer, welche fühlten, daß 
fie für fich ſelber kämpften, und waren nicht nurvon Ruhmeöverlangen, 
fondern auch von Rachedurſt bejeelt. *) 

Weit drüben auf der chriftlihen Rechten fuchte Uluch Ali, der 
Dey von Algier, ein ähnlihed Manöver auszuführen, wie Sirocco 
"glüdlich auf der Linken zu Stande gebradht hatte. Indem er fidy feine 
lieberlegenheit der Zahl zu Nutze machte, verfuchte er den rechten Fluͤ⸗ 
gel der Verbündeten zuumgehen. Auf diefer Seite war ed, wo Andreas 
Doria befehligte. Selbiger hatte diefe Bewegung bed Feinde voraus» 
gefehen, und es gelang ihm, fie zu vereiteln. Die beiden vollendetiten 
Seeleute des Mittelläntifchen Meeres legten hierbei ‘Proben ihrer Ge⸗ 
thidlichfeit ab. In der That dehnte Doria, um das Umgehen unmög- 
lich zu machen, feine Linie nady der Rechten hin jo weit aus, daß ihn 


— — — — — — 


») Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 71. — Paruta, Guerra di Cipro, 
©. 156. — Cabrera, Filipe Segundo, ©. 688. — Relacion de la Batalla Naval, ' 
PManuffr. — Otra Relacion, Documentos Ineditos, Bd. XI, S. 368. 

Die unfchägbare Sammlung der Documentos Ineditos enthält aus zeitgenöfft: 
chen Federn mehrere Befchreibungen ter Schlacht von Lepanto. Eine davon iſt aus 
dem Manuskript von Fray Miguel Servia, tem beim Treffen mit anwelenden Beichts 
vater Johann's von Oefterreih. Die verfchiedenen Darflellungen weichen weniger 
von einander ab, als das in folchen Fällen gewöhnlich iſt. 


2) Behmies Kapitel. 


Den Yuan daran erinnern mußte, daß cr dad Erntnum zu ürhr wm 
Miößt lieh. Seine Anordnungen waren für ihn ſelber imtetrrn mab 
theilig, als feine eigene Linie dadurch geſchwächt wurde wmR jeimm 
Angreifer einige verwundbare Punkte darbot. Tas Areramge INsh 
Ali's Hatte dieſe Punkie ſchon bald entvedt; daher er wie ter Rieı 
der Vögel, welcher auf feine Beute herabichießt, über einige von ihm 
Begleitern durch eine beträchtliche Entfernung getrennte Saleeren ker 
flel und, während er ein Paar davon in den Grund bohrte, tie grefe 
Capitana von Malta im Triumph als Prife davon führte. *). 

Indeß auf diefe Weife der Kampf auf der Rechten und Linfen fe 
nachtheilig für die Alliirten anfing, fochten fie im Centrum wenige 
mit zwelfelhaftem Süd. Don Juan rüdte mit feiner Diviſion tapfer 
vor. Aber das Ziel, welches er im Auge hatte, war der Kampf mä 
Ali Pafcha, der feines Schwertes würdigfte Feind. Dem türkiſchen 
Befehlshaber gelüftete e8 nicht weniger nach dem nämlichen KRampfe. 
Die Maleeren Beider waren feicht erfennbar, nicht nur wegen ihre 
Stellung, fondern auch wegen ihrer hervorragenden Größe und reiche 
ren Nerzierung. Berner führte die eine das heilige Banner der Ligue, 
bie andere die große ottomanifche Standarte. Die leptere ftand, gleid 
der alten Standarte der Kaliphen, in einem heiligen Anfehen. Sk 
war mit Eprüchen aus dem Koran, die mit goldenen Buchftaben zier 
(ih darauf gefept waren, geſchmuͤckt und hatte den Namen „Allab’ 
nicht weniger, al® acht und zwanzig taufend neun hundert Mal aui 
ſich fielen. Sie war das Banner des Sultans, war feit ber Grim 
dung der kaiſerlichen Dynaftie vom Vater immer auf den Sohn 
Abergenangen, und man fah fle bloß im Felde, wenn der Großken 
oder feln Stellvertreter in Perſon anweſend war. ®*) 


*) 'Yurroa y Aguilera, Fol 72. — Relacion de la Batalla Naval, Manuflı. 
Dre letzterwaähnte Manuffeipt if eine von ben vielen, welche uns von Leuten. 


De mit tm Kampfe waren, binterlaffen worden find. Der Berfafler dieſer Dark: 


lung ſcheint le am Bord einer ter Galeeren, während man bei Betala fag, in ber 
Moche des Treffens ſelbſt gefchrieben zu haben. Die Greigniffe find auf eine ein 
farbe, ungetierte Weiſe erzählt, welche bei dem Leſer Zutrauen erweckt. Das ww: 
ſprängliche Manuffript, dem meine Abſchrift entnommen if, befintet ſich in ter 
Nibtisiheh der Mniverfität Leyden. 

) Bine ausführliche, aus einem Manuffripte Luis del Marmel’s entlehnte Br: 


Der Türtenfrieg. 81 


Die beiden Ehefs trieben ihre Ruderer zur größtmöglichen Schnel⸗ 
tigfeit an. Bald fchoffen die beiden Galeeren, bie durch bie ſchaͤumen⸗ 
den Wogen wie von einem heftigen Orfane getrieben wurden, vor bie 
übrige Linie hervor und gaben fich zulegt einen ſolchen Stoß, daß jeder 
Balken erfrachte und die beiden Fahrzeuge bis ins Imerſte ihrer Kiele 
erbebten. In der That war der Anlauf, ben fie nahmen, fo gewaltig, 
Daß die Galeere des Paſcha's, die von ihnen beiden hei Weiten die 
größere und höhere war, fo weit auf ihren Gegner hinaufflog, daß ihr 
Vordertheil die vierte Ruderbank erreichte. Sobald die Schiffe wieder 
auseinander waren und bie auf dem Ded Stehenten ſich vom Stoße 
erholt hatten, fing bie Arbeit des Totes an. Die Hauptftärfe Don 
Juan's beftand in etwa dreihundert fpanifchen Büchfenfchügen , die 
aus dem beften Kerne der Infanterie ausgewählt waren. Ali dagegen 
war mit einer gleichen Anzahl Ianiticharen verfehen. Hinter ihm 
folgte ein kleineres Bahrzeug, worauf noch zweihundert mehr als Res 
ferveforps ftationirt waren. Werner hatte er hundert Bogenfchügen am 
Bord. Denn bei den Türken war der Bogen noch eben fo fehr im Ge⸗ 
brauch, wie bei den übrigen Moslems. 

Der Paſcha eröffnete auf der Stelle auf feinen Feind ein ſchreck⸗ 
liches Kanonen» und Musfetenfeuer. Daflelbe wurde ihm mit gleichem 
Eifer und viel mehr Wirkung wieder zurüdgegeben ; denn man bemerkte, 
Daß die Türken über die Köpfe ihrer Gegner fchofien. Die moslemis 
tische Galeere war nicht mit den Abwehrmitteln, welche die Seiten ber 
ſpaniſchen Fahrzeuge fchüpten, verfehen, weshalb die auf dem hochge⸗ 
legenen Schiffövorbertheile angehäuften Truppen für die Kugeln ihres 
Feindes eine leichte Zielicheibe waren. Aber, wenngleich bei jedem Ab» 
feuern eine große Menge von ihnen fiel, wurden fie doch ſchon bald 
wieder von den Rejervetruppen vollzählidy gemacht. Sie waren daher 
im Stande, ein unaufhörliches Feuer, welches die Stärfe der Spanier 
erfchöpfte, zu unterhalten. Da nun fowohl die Ehriften, wie die Mus 
felmänner mit unbezähmbarem Muthe kämpften, fchien es zweifelhaft 
zu fein, auf weldye Eeite ſich der Sieg neigen würde. 


ſchreibung der ottomanifchen Standarte fieht in ter Coleccion de Documentos 
Ingditos, Dd. II, ©. 2370 ff. 
VPredcott, Sei. Bhilipp's I. V. 6 


82 Iehuies Kapitel. 


Die Sache wurde noch verwickelter dadurch, bag andere Barteien 
fich in den Kampf miſchten. Sowohl Ali, als auch Don Juan wurs 
dar von einigen ber tapferfien Hapitäne ihrer Flotten unterkügt. In 
der unmittelbaren Rähe des ſpaniſchen Befehlähnbers befand fich, wir 
wir ſahen, Colonna und der Veteran Beniero, welch’ Iepterer in einen 
Alter von ſechs und fiebenzig Jahren Thaten verrichtete, die der in Mo» 
manzen verherrlichten Palabine würdig waren. Auf diefe Weile ſam⸗ 
melte fid, ein kleines Geſchwader von Kämpfern um bie Hauptführer, 
die ſich mitunter von mehreren Feinden auf einmal angegriffen jaben. 
Doch verloren die Chefs einander nicht aus dem Auge, fondern ſchlu⸗ 
gen die geringeren Yeinde von fidh weg, fo gut als fie fomnten, und 
hefteten fi fobann, indem feiner den andern fahren lafſen wollte, wit 
töbtlichem Griffe an den Gegner an. *) 

Auf diefe Weiſe tobte der Kampf länge ber ganzen Ausdehnung 
des Eingangs in den Golf von Lepanto. Die fich die auf dem Waſſer 
hinwälzenden Dampfmaflen entzogen vollftändig dem Blide, was in 
einigermaßen beträchtlicher Gerne vor. id) ging, ausgenommen wenn 
eine frifchere Luft den Rauch auf einen Augenblid auseinander jagte 
oder die Flammen bed fchweren Geſchuͤtzes einen vorübergehenden 
Schein auf die bunfele Schladhtatmofphäre warfen, Hätte das Auge 
des Zufchauerd durch die Rauchwolfe, welche die Kämpfenben einhüllte, 
dringen und die ganze Scene mit einem Blicke überfehen können, fo 
würde es die Kämpfenden in Feine Abtheilungen zerfplittert, getrennt 
und unabhängig von den übrigen mit einander kaͤmpfend, und fogar 
ganz unbewußt, wad in den übrigen Theilen geſchah, erblidt haben, 
Der Kampf zeigte nicht viel von den großen Combinationen und ges 
ſchickten Manövers, die man von einem großen Seetreffen erwartet. 
Er war vielmehr eine Zufammenfegung von Fleinen Treffen, ähnlich 
ben Treffen auf dem Lande. Die mit einander in Kampf verftridten 
Galeeren enthielten eime gleichlinige Kampfbahn, worauf der Solbat 
und Galeereniflave Mann gegen Mann focht. Der Ausgang bes 
Treffens aber ward gewoͤhnlich durd, das Entern ber feindlichen Ga⸗ 

*) Documentos Ineditos, ®b. III, ©. 265; Br. XI, ©. 368. — Torres 


y Aguilera, Chroniea, Fol. 70. — Paruta, Gaerra di Cipro, ©. 1856 und 187. 
— Relacion de la Batalla Naval, Manuffr. 


Der Tuͤrkenkrieg. 83 


leere entfchieden. Wie meiftentheild beim Hanbgemenge gab «6 bier 
einen enormen Verluſt an Menfchenleben. Die Berbede waren mit 
Leichnamen beladen, indem Chriften und Moslems gemijcht durchein⸗ 
ander in den Armen des Todes lagen. Es werben Fälle nambaft ger 
macht, in denen ein jeder am Bord befindliche Mann getöbtet ober ver, 
wundet war.*) Es war das ein graufenhafter Anblid, wo das Biut 
in Bächen an den Seiten der Schiffe binunterfloß und bie Gewaͤſſer 
des Golfes Meilen weit in der Runde färbte. 

Es ſchien, als ob ein Orkan über die See dahin gebrauft und fie 
mit den Trünmern der herrlichen Kriegöfletten, die noch einen Augen» 
blick vorher ftolz an ihrem Bufen gefahren waren, bebedt hätte. Diefe 
Flotten hatten jegt wenig aufzumeifen, was Einen an ihre neuliche 
prächtige Schlachtreihe erinnern konnte: denn ihre Rümpfe waren zer 
ſchlagen, ihre Maſte und Spieren verfchwunden oder durch Gefchofle 
zerfplittert, ihre Segel in Heben geriffen und wild im Winde flatternt, 
während Taufende von verwundeten und erfaufenden Leuten fi an 
die herumfluthenden Stüde anflammerten und jammernd um Hülfe 
riefen. Solcyergeftalt war der wilde Aufruhr, der auf die fabbatähn- 
liche Stille, weldye noch vor zwei Stunden über dieſer ſchönen Einöbe 
gewaltet hatte, gefolgt war. 

Der von Barbarigo befehligte linfe Flügel ber Verbuͤndeten war, 
wie wir fahen, im Anfange des Treffens arg von den Türken bedrängt 
worden. Den Barbarigo felber hatte man töbtlich verwundet. Seine 
Linie war umgangen worden. Über den Benetianern lich die Ber 
zweiflung Muth. Durch unglaubliche Anftrengungen gelang es ihnen, 
ihre Feinde fortzufchlagen. Sie wurden ihrerfeits die Angreifer. Man 
erblidte den Kapuziner im bichteften Gefecht, wie er das Kruzifir in ber 
Luft ſchwenkte und die Enterer zum Angriff führte. **) Die chriftlichen 


*) Herrera erwähnt eine Galeere: „La Piemontesa de Saboya de- 
gollada en ella toda la gente de cabo y remo y despedazado con once heridas 
D. Francisco de Saboya.* Wine antere, „La Florencia,* fagt Rofell, „perdi6 
todos los soldados, chusma, galeotes z caballeros de San Esteban que en ella 
habia, excepto su capitan Tomäs de Medicis y diez y seis hombres mas, 
aunque todos heridos y estropeados.“ — Historia del Combate Naval, ©. 113. 

*) „Tomo una Alabarda o Pertesana, y ligando en ella el Sancto Cru- 
cifixo, verdadera pendon, se puso delante de todos assi Gera como estara, 

* 


84 Zehutes Kapitel. 


Galerrenſklaven bradyen in einigen Hallen ihre Kefieln und verbanden 
fich mit ihren Landsleuten gegen ihre Herren. Glüdlidyerweile wurde 
das Echiff des moslemitiichen Admiral Mahomed Sirocco zum Sin- 
fen gebracht, und obfchen er felber aus dem Waſſer ſich rettete, geichab 
das doch nur, damit er durch das Schwert jeined Ueberwinders Giovanni 
Gontarini umkam. Der Benetianer Eonnte in feinem Herzen für den 
Türfen fein Mitleid fühlen. 

Der Fall des Befehlshabers verſetzte feinen Leuten den legten 
Schlag. Ohne weitern Berfuch, ten Kampf zu verlängern, flohen ne 
vor den raͤchenden Edywertern der Benetinner. Wer dem Lande aın 
naͤchſten war, fuchte zu entrinnen, indem er die Fahrzeuge an die Küfte 
trieb, wo fie als Prifen fir die Chriften im Stiche gelafien wurben. 
Doc kamen viele der Flüchtigen, ehe fie das Land erreichen konnten, 
elend in den Wogen um. Der venetianiiche Admiral Barbarigo, wels 
cher immer noch im Todesfampfe Ichmachtete, hörte die Nachricht von 
der Niederlage des Feindes und hauchte das Leben aus, indem er einige 
Worte ded Danfed, daß ihm der Himmel diefe Stunde zu erleben ers 
laubte, ftammelte. *) 

Unterdefien hatte der Kampf im Centrum zwilchen den beiden 
Oberbefehlöhabern, zwiſchen Don Juan und Ali Paſcha fortgebauert. 
Bon ihren Galeeren bligte ein unaufhörliches Artillerie» und Muske⸗ 
tenfeuer, weldyes fie einhüllte wie „da6 Flammenkleid eined Märtyrerd.“ 
Beide Theile fochten mit gleichem Muthe, obſchon nicht mit gleichem 
Gluͤck. Zweimal hatten die Spanier ihren Feind geentert, und beide 
Male waren fie mit Berluft zurüdgefchlagen worden. Doch würte 
ihnen ihre Ueberlegenbeit im Gebrauche der Feuerwaffen einen entſchie⸗ 
denen Bortheil über ihre Gegner gegeben haben, wenn der von ihnen 
denfelben zugefügte Verluft nicht alfobald durch frifche Berftärfungen 
wieder erjeßt worden wäre. Ein paar Male wurde der Kampf zwifchen 


y fue el primero que intro en la Galera Turquesca, hariendo con su Ababarda 
cosas que ponian admiracion.“ — Torres y Aguilera, Chronica, Fol 75. 

*, „Vivi6 hasta que sabiendo que la vitoria era granada dijo: que daba 
gracias & Dios que lo hubiese guardado tanto que viese vencida la batalla y 
roto aquel comun enemigo que tanto deseö ver destruido.“ — Herrera, Rela- 
cion de la Guerra de Cipro, Documentos Ineditos, Bd. XXI, ©. 360. 


Der Türkenkrieg. 85 


den beiden Chefs dadurch, daß fich Andere in den Strauß einmifchten, 
unterbrochen. Indeß kehrten fie ſchon bald wieder zu einander zurüd, 
gleich als ob fie nicht gewillt geweien wären, ihre Kraft an einen ges 
ringeren Feind zu verfchwenden. Während des ganzen Kampfes ſetz⸗ 
ten fich die beiden Oberbefehlshaber in eben fo hohem Grabe, wie jeder 
gemeine Soldat, der Gefahr aus. Bei einem folchen Kampfe würde 
ſelbft Philipp haben zugeftehen müflen, daß es für feinen Bruder 
fchwer wäre, mit Ehre einen fihern Ort zu finden. Don Juan erhielt 
eine Wunde am Fuße. Sie war jedoch leicht: weshalb er fie ſich erft 
verbinden ließ, als die Schlacht vorüber war. 

Nachdem er nochmals feine Leute gemuftert hatte, bliefen die 
Trompeten zum dritten Male zum Angriffe. Derſelbe war jegt ers 
folgreicher, al8 früher. Die Spanier ftürzten ſich fühn in die türfifche 
Galeere hinein. Dafelbft begegneten ihnen die Janitfcharen mit dem 
nämlichen Muthe, wie vorher. Ali Paicha führte fie an. Unglüd- 
lichermweife traf ihn in diefem Augenblide eine Musketenkugel in den 
Kopf, fo daß er befinnungslos auf die Laufplanfen*) ftürzte. Seine 
Leute fämpften würdig ihred alten Ruhmes. Aber ihnen fehlte die 
gewohnte Stimme des Befehlshabers. Nach einem kurzen, aber nutz⸗ 
Isıen Kampfe gegen das feurige Anftürmen der Spanier wurden fie 
überwältigt und firedten die Waffen. Die Verdecke waren mit den 
Körpern der Todten und Sterbenden beladen. Unter ihnen wühlte 
man den türfifchen Oberbefehlöhaber, der ſchwer, aber vieleicht nicht 
tödtlich verwundet war, heraus. Kinige caftiliiche Soldaten, die ihn 
erfannten, griffen ihn auf und würden ihn auf der Stelle umgebracht 
haben. Über der widerftandsunfähige Chef, der fich etwas von den 
erften Folgen feiner Wunde erholt hatte, befaß genug Beifteögegen- 
wart, um fle von ihrem Vorhaben abzubringen, indem er ihnen ben 
Play anteutete, wo er fein Geld und feine Juwelen liegen batte. Die 


*) Gang-way bezeichnet auf Schiffen den Weg hinein oder hinaus, oder auch 
ten Weg von einem Theile des Schiffes zum andern. Ferner beveutet es die von 
Blanfen gebildete Platform, tie horizontal länge des oberen Theiles einer Schiffes 
feite von dem halben Deck nad) dem BVorderkaftelle geht. Die Iegtere Bebeutung bat 
es hier. Vergl. Webſter's English Dictionary, Epringfield, 1848, in zwei Quart⸗ 
baͤnden. Anm. des Ueberſ. 


86 Zehntes Kapitel. 


Soldaten beeilten fi, fich diefe Enthuͤllung zu Nutze zu machen, che 
der Schag in die Hände ihrer Kameraden fiel. 

Nicht jo glüdlich war Ali: mit einem andern Soldaten, ber bald 
darauf auf ihn zufam, indem er den Degen ſchwang und fich anſchickte, 
denfelben dem daliegenden Befehlöhaber in den Leib zu hauen. Ver⸗ 
gebens fuchte dee Ieptere den Wütherich von feiner Abficht abzubringen. 
Dieler war ein Verbrecher, einer von den Galeerenfflaven, welche Don 
Inan von den Rudern hatte losketten und mit Waffen verfehen kaflen. 
Derfelbe konnte nicht glauben, daß irgend ein Schag fo viel werth fei, 
wie dad Haupt ded Vaſcha's. Ohne längeres Zögern gab er ihm 
einen Hieb, daß der Kopf von den Schultern flog. Hierauf fehrte er 
auf feine Galeere zurück und legte die blutige Trophäe vor den Don 
Juan bin. Allein, er hatte fich hinsichtlich der Belohnung verrechnet. 
Erin Befehlshaber betrachtete das Haupt halb voll Mitleid, halb voll 
Schrecken. Vielleicht dachte er an das edelmuͤthige Verfahren Ali's 
in Bezug auf die chriftlichen Gefangenen und fühlte, daß derfelbe ein 
beſſeres Geſchick verdient hatte. Er fragte falt, „wozu ihm ein folches 
Geſchenk nüsen koͤnnte?“ und ließ eö dann ind Meer werfen. Indeß 
fol man feinem Befehle keineswegs Folge geleiftet, fondern dad Haupt 
auf eine Pike geftet und am Borb der weggenonmmenen Galeere aufs 
gerichtet Haben. Zu gleicher Zeit wurde das Banner ded Halbmonds 
niedergerifien, während das an der Stelle deffelben aufgepflanzte Bans 
ner bed Kreuzes die Niederlage des Paſcha's verfündete. *) 


*) Relacion de la Batalla Naval, Manuſtt. — Herrera, Historia General, 
93. N, ©. 33. — Paruta, Guerra di Cipro, ©. 187 und 188. — Documentos 
Ineditos, BEd. III, ©. 2344. 


Torres y Aguilera erzählt uns eine etwas auffällige Anefvote in Bezug auf bie 
große Standarte ter Ligue auf dem Real. Das Bild von Jeſus Ehriftus, womit fie 
geziert war, wurde während ter Schlacht weter von einer Kugel, nody von einem 
Pfeile getroffen, troghem das jetes antere Barmer an einer Menge Stellen durch⸗ 
löchert war. Indeß fuhren zwei Pfeile auf beide Seiten des Krucifires, und alsbald 
lief ein zur Galeere gehöriger Affe ten Maft hinauf, zerrte die Geichofle mit dem 
Bühnen heraus und warf fie über Bord! (Chronica, Fol. 75.) Wenn man bes 
denkt, wie viele Geiſtliche fi am Bord der Flotte befanten, ift es fonterbar, daß 
bei diefex Gelegenheit nicht mehr Wunder vorflelen. 


Der Tinftnkeleg. 87 


Das Erbliden der geweihten Yahne wurde von den Ehriften mit 
dem Geichrei „Victoria !”, welches das Getoͤſe der Schlacht Hoch übers 
tönte, begrüßt.) Die Nachricht vom Tode Ali's lief bald von Munbe 
zu Munde; fie erfüllte die Verbündeten. mit frifchem Muthe, fchalite 
aber den Moslems in die Ohren wie eine Todtenglode. Die Zuver⸗ 
ficht der Türken war dahin. Ihr euer ließ nah. Ihre Anſtrengun⸗ 
gen wurden immer ſchwaͤcher. Bon der Küfte waren fie zu weit ent« 
fernt, um dort, gleidy ihren Kameraden auf der Rechten, ein Afyl zu 
fuchen. Ihnen blieb nichts weiter übrig, als den Kampf zu verläns 
gear oder fi) zu ergeben. Die Meiften zogen das fegtere vor. Diele 
Schiffe wurden durch Entern genommen, anbere von ben fiegreichen 
Ehriften verſenkt. Ehe nody vier Stunden um waren, fonnte man 
das Bentrum der Moslems, wie ihren rechten Hügel, für vernichtet 
erflären. 

Doc dauerte das Fechten noch auf der Rechten der Berbünteten, 
wo, wie man ſich entfinnen wird, der algerifche Chef Uluch Ali fich 
Ben Fehler Doria's —, den diefer beging, als er durch zu weited Aus⸗ 
dehnen feiner Linie diefelbe fchwächte, — zu nutze gemacht hatte. In⸗ 
dem fie Uluch Ali auf der verwundbarſten Stelle angriff, war er, wie 
wir fahen, fo glüͤcklich, mehrere Schiffe zu nehmen oder zu zerflören, 
amd er würde feinem Feinde noch einen ſchwereren Verluft zugefügt has 
ben, wäre dem Doria nicht zu rechter Zeit der Marquis von Santa 
Cruz zu Hülfe gefommen. Dieler tapfere Offizier, welcher die Referve 
befehligte, hatte bereitö dem Don Juan einen großen Dienſt erwieſen, 
ald der Real während feines Kampfes mit Ali Paſcha von mehreren 
tärfifchen Balgeren zu gleicher Zeit angegriffen worden war. Dem 


*) Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 72 ff. — Relacion de la Batalla 
Naval, Manuffr. — Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 182. — Do- 
cumentos Indditos, Bd. IH, ©. 267 ff. — Paruta, Guerra di Cipro, &. 160. — 
Cabrera, Filipe Segundo, Buch IX, Kap. 25 ımd 26. 

„D6 el estandarte b&rbaro abatido 
la Graz del Redentor füe enarbolada 
con un triunf solene y grande gloria, 
cantando abiertamente la vitorta. “ 
Erecilla, La Aratıcane, Theil II, Belang a. 


8 Zehntes Kapitel. 


in diefer Lage der Dinge erichien ber Marquis von Santa Eruz, ſchlug 
die Angreifer in die Flucht und fegte den Oberbefehlöhaber in ben 
Stand, feinen Kampf mit dem Pafcha wieder aufzunehmen. 

Kaum hatte Santa Cruz erfahren, daß fi) Doria in einer fritis 
fchen Lage befand, fo eilte er, nody von Earbona, dem „General“ des 
ſiciliſchen Geſchwaders verftärft, ihm zu Hülfe. Indem fie mitten in 
das. melde hineinftürzten, fielen die beiden Befehlshaber wie ein Don⸗ 
nerichlag auf die algeriichen Baleeren. Der auf diefe Weife auf allem 
Seiten umringte Uluch Ali mußte feine Priſen fahren laffen und durch 
die Flucht für feine Sicherheit forgen. Er hieb die malteſiſche Capi- 
tana, welche er mit einem Taue an feinen Stern befeftigt hatte, los 
und überließ fie den Wellen: dreihundert Leichname, die man auf ihr 
fand, legten von dem verzweifelten Charafter ihrer Bertheidigung Zeuge 
niß ad. Als Uluc Ali von der Niederlage des Centrums und dem 
Tode Ali Paſcha's Nachricht erhielt, fah er ein, daß das Einzige, was 
er noch thun könnte, wäre, daß er ſich von ber unheilvollen Schladht« 
bühne fo bald und fo gut, als möglich, and dem Staube machte und 
von feinen Schiffen jo viele, ald er könnte, rettete. Denn, in der türs 
fiichen Flotte gab e8 feine Schiffe, die die feinigen übertrafen, oder mit 
befier disckplinirten Leuten bemannt waren. Seine Leute waren ja 
bie berüchtigten Korfaren des Mittellaͤndiſchen Meeres, die ſich auf ben 
Gewäflern teffelben von Kindheit an gewiegt hatten. 

Nachdem der Aigerier die Signale zum Rüdzuge ausgeftedt Hatte, 
ſah man ihn bald darauf an der Spipe feiner $lottille mit allen Ses 
geln, welche ihm die Schlacht übrig gelaſſen hatte, nach Norden feuern, 
indem er.mit der Öefammtfraft feiner Ruderer durch die Tiefe vorwärts 
drang. Doria und Santa Eruz folgten ihm ſchnell auf ber Spurnad). *) 


*) Doris and Santa Cruz followed quickly in his wake. — — Wake ofa 
ship ift nad) Webſter's Erklärung die Spur, welche ein Schiff hinter fich zurüclaͤßt, 
und die gebiltet wird durch das Zufainmenfchlagen tes Waſſers, welches von allen 
Eeiten herbeiſchießt, um das Loch voll zu machen, welches durch das Durchfahren 
des Schiffs gemacht worden war. „To be in the wake of a ship,“ ſagt Webſter, 
„is to be in her track or in a line with her keel.“ in ben meiften, in Deutfch- 
land erfchienenen englifch s teutfchen Wörterbüchern wird man vergebens nach tiefer 
Bedeutung bes Wortes wake fuchen. Anm. des Ueberſ. 


Der Turkenkrieg. W 


Aber ihn trugen bie Fittiche des Windes, fo daß er bald feine Verfolger 
weit hinter fich zurüdließ. Nachdem Don Juan mit feinen eignen 
Angreifern fertig geworden war, fam er dem Doria zu Hülfe und ge 
fellte fich jegt zu den Verfolgern des Vicekönigs. in felfiged Vor⸗ 
gebirge, *) das weit in dad Meer hinauslief, kam dem Flüchtigen in 
die Duere, weshalb feine Feinde hofften, ihn hier abzufchneiden. Einige 
wenige Schiffe von ihm ftrandeten auf den Felfen. Doch die übrigen 
— beinahe vierzig an Zahl — die kühner in die See hinaudfteuerten, 
fuhren glüdlid um das Vorgebirge herum. Indem file alddann ihre 
Flucht befchleunigten, verfchwanden fie allmälig vom Horizont, und 
ihre weißen Segel, daß legte fihtbare Ding von ihnen, zeigten, gleich 
Voͤgeln des PBolarkreifes, den Weg nad) der Heimath, in der fie gebos 
ren waren, an. Die Verbündeten erklärten das fchlechtere Segeln ihrer 
Schiffe im gegenwärtigen Falle durch den Umftand, daß ihre Ruberer, 
denen man während des Kampfes Waffen zu führen erlaubt hatte, 
durch Wunden verftiimmelt waren. 

Die Schlacht hatte über vier Stunden gedauert. Der Horizont, 
welcher den ganzen Tag hindurch faft wolkenlos geweſen war, fing jet 
an, ſich zu überziehen und offenbarte die Zeichen eines herannahenden 
Sturmes. Ehe aber Don Juan für ſich und feine Prijen einen Zu⸗ 
fluchtsort fuchte, recognoscirte er den Schauplag der Schlacht. Er 
fand einige Schiffe für längeren Dienft zu fehr befchädigt. Diefe, die 
meiftend dem Beinde zugehört hatten, ließ er verbrennen, nachdem er 
die Sachen von Werth, die fie am Bord hatten, gerettet hatte. Er 
wählte den benachbarten Hafen von Petala als den ficherften und zus 
gänglichften Zufluchtsort für Die Nacht. Ehe er dafelbft anfam, fing 
der Donner zu rollen**) an und Sinfterniß fagerte fich auf das Waffer. 
Doc) machte die Binfterniß die flammenden Wrade, welche theils Feuer⸗ 
ftröme, theils Funkenregen einporiandten und wie Bulfane der Tiefe 
ausſahen, nur noch erfichtlicher. 


*) In verfchiedenen großen engliichsteutichen Wörterbüchern fehlt von head- 
land tie Bedeutung „DVorgebirge, Kap.“ Anm. tes Ueberf. 

*) Bir überfegen to mutter durch „rollen“, nad Pope: „Thick lightnings 
flash, the muttering thunder rolls.* Gigentlich bezeichnet dieſes Wort das 
Gemurmel tes Donners, Anm. des Uebel. 


J Glftes Kapitel. — Der Türfenfrieg. 


iftes Sapitel. 
Der Türfenfrieg. 


Die Einbußen der fampfenten Theile. — Die Gveimäthigleit Den Iuau’e. — Der 
Enthuſiasmuo in der ganzen Ghriftenheit. — Die Refultate der Schlacht. — Dir 
Operationen in der Levante. — Die Eroberung von Tunis. — Die Zurkd: 
eroberung teffelben durch die Türfen. > 


1571 — 1574. 


Jetzt wurden dem jungen Oberbefehlöhaber wegen des an biejem 
Tage erfochtenen Sieged von feinen Waffengefährten fange und laute 
Beglüdwünfchungen dargebracht. Indem bie Offiziere und Gemeinen 
einander ihre mannichfaltigen Thaten erzählten, verflofien die Stumten 
wohlgemuth. Doch mifchte fich Kummer in ihre Freude, als fie Nach⸗ 
richt erhielten von der Einbuße der Freunde, welche diefen Sieg mit 
ihrem Blute erfauft hatten. 

Es war in der That eine blutige Schlacht, die in diefer Hinſicht 
jedes Seetreffen der neueren Zeit übertraf. Bei Weitem am fchwerften 
traf der Verluft die Türken. In der Angabe der Zahlen herricht die 
gewöhnliche Abweihhung; aber man kann mit Sicherheit den Verluft 
berjelben auf beinahe fünf und zwanzig taufend Todte und fünf taufend 
Gefangene anfchlagen. Was den Siegern bie meifte Freude machte, 
war die Befreiung von zwölftaufend chriftlichen Gefangenen, welche 
am Bord der moßlemitifchen Galeeren and Ruder geichiniedet waren 
und jest herbeifamen, indem ihnen, als fieihre Befreier fegneten, Freu⸗ 
denthränen die verftörten Wangen herabftrönten. *) 

Der Berluft der Verbündeten war verhäftnißmäßig gering: — 


*, Die Autoritäten widerfprechen ſich hinſichtlich des Verluſtes der Moslems 
fo fehr, daß terfelbe faſt gänzlich auf Hypotheſe beruht. Der Berfafler des Leytener 
MRanufkripts trennt fih von diefem Gegenſtande mit der Bemerfung: „La gente 
muerta de Turcos no se ha podido saber por que'la que se hecho en la mar 
fuera de los degollados fueron infinitos.“ Wie in meinen andern Angaben babe 
ih mich an Senor Rosell, Historia del Combate Naval (&. 118) gehalten. 


Des Türtentrieg, 9 


er war unter acht taufene.*) Daß er um fo viel geringer, als derje⸗ 
nige ihrer Beinde war, muß man zum Theil ihrer Ueberlegenheit im 
Gebrauche der Feuerwaffen zufchreiben, theils aber auch ihrem aus⸗ 
fchließlichen Gebrauche derfelben, anftatt der Anwendung der Bogen 
und Pfeile, der Waffen, auf welche, obſchon fie weniger wirkfam war 
ren, doch die Türfen, gleich den übrigen Moslems, in hohen Maße 
ſich verlaſſen zu haben fcheinen. Endlich waren die Türken der beflegte 
Theil und erhielten im Erleiden eines fchmereren Verluſtes das faſt 
unabänberliche 2006 der Befiegten. 

Was ihre Armada anbelangt, konnte man fie beinahe für vernich⸗ 
tet anfehen. Bon beinahe zwei hundert und funfzig Galeeren, die in 
die Schlacht gebracht wurden, entfamen nicht mehr, als vierzig. Ein 
hundert und dreißig wurden weggenemmen und unter bie Sieger ver 
theilt. Die übrigen, die verfenft oder verbrannt wurden, wurden von 
den Bellen verfchlungen. Dagegen follen die Verbündeten nicht mehr, 
als funfzehn Galeeren, eingebüßt haben, wenngleich ohne Zweifel eine 
viel größere Anzahl derfelben dienſtuntauglich gemacht worden war. 
Diefe ungleiche Ginbuße enthält einen guten Beweis, daß bie Türfen 
im Baue der Schiffe, fowie in der zum Fahren erforderlichen Geſchick⸗ 
fichfeit zurüdftanden. Gin großer Betrag an Beute, in der Geſtalt 
von Gold, Juwelen und Brofat, fand ſich am Bord mehrerer Prifen 
vor. Die Baleere des Oberbefehlshabers fol allein hundert und fleben- 
zig taufend Goldzechinen enthalten haben: — eine große Summe, vie 
aber nicht groß genug geweſen zu fein fcheint, um fein Leben zu er- 
faufen. **) 

Man kann die Berlufte der Kämpfenden nicht unpartetifch dar- 
fielen, wenn man nidyt eben jo gut die Qualität, wie bie Quantität 
der Todten in Betracht zieht. Die Zahl vornehmer Leute, die ſowohl 
auf chriftlicher, wie auf moolemitiſcher Seite an der Expedition Theil 


9 Roſell ſchlaͤgt den Sefammtverluft der Verbündeten auf nicht geringer, als 
fieben taufend ſechs hundert an; von ihnen waren ein taufend Römer, zwei taufeno 
Spanier und die übrigen Benetianer. — Ebend., ©. 113. 

Ebend., wie oben. — Torres y Aguilera, Chronica, Pol. 74 ff. — Do- 
cumentos Ineditos, Bd. H, ©. 246249; Be. XI, ©. 370. — Sagredo, Mo- 
narcas Othomanos, ©. 2985 und 296. — Belacion de ia Batalla Naval, Mau. 


93 dViftes Kapitel. 


nahmen, war fehr groß. Die Todtenlifte bewies, daß fie auf ihrer 
Ruhmesjagd wenig an ihre perſönliche Sicherheit dachten. Bei den 
Benetianern fiel in der Schlacht derjenige Offizier, welcher der naͤchſte 
im Range nach dem Oberbefehlshaber war, bei den Türfen der Ober- 
befehtshaber der Kriegöflotte und ber Befehlshaber ihres rechten Flü⸗ 
geld. Mancher hochgeborene Kavalier befchloß bei Xepanto eine lange 
Laufbahn ehrenvoller Dienfte. Mehr, denn einer, batirte dagegen 
von diefem Tage den Anfang feiner Laufbahn. Hierher gehört Aleran- 
der Farnefe, der Prinz von Parma, Obſchon er bloß ein paar Jahre 
jünger, ald fein Onkel Johann von Defterreich war, machten diefe wer 
nigen Jahre doch eine ungeheure Verſchiedenheit in ihrer beiderfeitigen 
Stellung aus: denn, währent der eine die Oberbefehlöhnberftelle ver- 
fah, war der andere nur ein Privatabenteurer. Doch ſelbſt in dieſer 
Stellung gelang e8 ihm, durch feine Thaten großen Ruhm zu erlangen. 
Die Galeere, worauf er fuhr, lag mit ihrem Rod dem Node einer tuͤr⸗ 
fiichen ©aleere, mit welcher fie im heißen Kampfe begriffen war, ger 
genüber. Inmitten des Gefechts forang Farnefe an den Bord bes 
Seindes, hieb mit feinem guten Haudegen Alle, die fich ihm entgegen⸗ 
festen, nieder und eröffnete eine Gaſſe, in welche fich feine Kameraden 
einer nach dem andern ftürzten, fo daß fie nady einem kurzen, aber 
mörberifchen Kampfe fo glüdli waren, das Bahrzeug wegzunehmen. 
Da die Baleere Farneſe's hinten gerade an diejenige Don Juan's fließ, 
fonnte der legtere bie That feines Reifen fehen, und fie erfüllte ihn mit 
einer Bewunderung, bie er nicht zu verbergen fuchte. Die von bem 
jungen Krieger bei diefer Gelegenheit gezeigte Unerfchrodenheit gab ein 
‚gutes Augurium feines fpäteren Charafters ab, wo er feinem Onfel 
im Kommando nadfolgte und ihn an militäriichem Ruhme übers 
traf. *) 

In diefem Treffen war noch ein anderer Jüngling gegenwärtig, 
der, wenngleich damals noch niedrig und unbekannt, doch beftimmt 


*) Relacion de la Batalla Naval, Manuffr. 

Don Juan erwähnt diefe That feines tapfern Verwandten in dem erften von 
ihm nach der Schlacht an Philipp gefchriebenen Briefe. Der Brief, datirt: Petala, 
den 10. October, if veröffentlicht in Aparici, Documentos In&ditos relativos & la 
Batalla de Lepanto, S. 26. 


Der Turlenkrieg. 93 


war, eines Tages Lorbeeren einer reineren und beneidenswertheren 
Gattung, als die auf dem Schlachtfelde geärnteten, zu gewinnen. Das 
- war Gervanted, der in einem Alter von vier und zwanzig Jahren ale 
gemeiner Soldat am Bord der Flotte diente. Das Fieber hatte ihn 
bettfägerig. gemacht, body beftand ex am Morgen ber Schlacht troß ber 
Vorftellungen feines Kapitänd darauf, daß er nicht nur die Waffen 
führen, ſondern auch auf den Poſten der Gefahr geftellt fein wollte. 
Er that dort feine Pflicht fehr gut, was zwei Wunden auf der Bruft 
und eine an. der Hand, die ihn ded Gebrauchs derfelben beraubte, bes 
wielen. - Glüdlicyerweife war es bie linfe Hand. Die rechte blieb 
ihm nod übrig, fo daß er jene unfterblichen Erzeugnifle ſchreiben 
konnte, die als Bücher eines jeden Haushalts nicht allein in feinem 
eignen Lande, ſondern in jedem Theile der eivilifirten Welt befannt 
werben follten. *) 


Ein grimmiges Donnermetter tobte vier und zwanzig Stunden 
lang nach der Schlacht, während bie Klotte im Hafen von Betala ficher 
vor Anker lag. Sie blieb dafelbft noch drei Tage länger. Don Yuan 
benugte den Aufenthalt, um bie verfchiedenen Galeeren zu befuchen 
und fi mit ihrem Zuftande befannt zu machen. Er erfundigte ſich 
nad) dem Betragen der Soldaten und war nieht fparfam mit feinen 
Lobſprũchen gegen diejenigen, welche fie verdienten. Gegen die Krans 
ken und Verwundeten bewies er die größte Sympathie, fuchte ihre Lei⸗ 
den zu lindern und lieferte ihnen Alles, was feine Galeere zu ihrer 
Erleichterung beitragen fonnte. Es darf uns alfo nicht wundern, 
wenn fein edelmüthiges, theilnehmendes Weſen ihm bie Herzen ſeiner 
Soldaten gewann. **) 


*) Navarete, Vida de Cervantes, Madrid, 1819, &. 19. 

Indem Ceryantes in bem Borworte zu dem zeiten Theile des Don Quijote 
Lepanto berührt, ruft er enthufiaftifch aus, trog aller feiner Wunden möchte er nıcht 
ten Ruhm, daß er in jener Schlacht mit anwefend war, eingebüßt haben. „Quisiera 
antes haberme hallado en aquella faccion prodigiosa, que sano ahora de mis 
heridas, sin haberme hallado en ella.* 


uUnter antern Schriftſtellern erwähnt diefes mentchliche Betragen Don Juan's 
der Berfafler der Relacion de la Batalla Naval, deſſen Sprache beweift, daß das 
Manuftript an Ort und Sielle gefchrieben wurde: „Ei queda visitando los heri- 


DA te Kapitel. 


Aber, die BVeweiſe biefer Freundlichteit befipränttten fich nicht auf 
feine eigen Leute. Unter den Befangenen befanden ſich zwei Söhne 
Ali's, des tütfifchen Oberbefehlshabers. “Der eine war fiebenzehn, ver 
andere blos dreizehn Jahre alt. So frähzeitig Hatte fie ihr Water in 
einen Stand, der vor allen ambern in der Türkei den Weg zu Ehre 
und Auszeichnung eröffnete, eistweihen wollen. Sie waren nicht am 
Bord feiner Galeere, und als fie von feinem Tode benachrichtigt wur⸗ 
den, waren fie untroͤſtlich. Zu dieſein Schmerze gefellte fich jegt noch, 
daß fie nun zur Sklaverei verurtheilt waren. 

Als die Zünglinge dem Don Yuan vorgeführt warden, warfen 
fie fih auf dem Borb feined Schiffes wor ihm nieder. Allein, ex hob 
fie auf, umarmte fie herzlich und fagte, was er fonnte, um fie in ihrer 
Trübfal zu tröften. Gr ließ Me mit der Ihrem Range gebührenden 
Hochachtung behandeln. Sein Sefretär, Juan de Soto, räumte 
ihnen fein Quartier ein. Sie erhielten bie reichfte Kleidung, Die man 
unter der Beute finden konnte. Auf ihren Tiſch wurden die nämlichen 
Delikateſſen, wie auf den bed Oherbefehls habers, aufgetragen, und 
feine Kaͤmmerer bewieſen ihnen den naͤmlichen Reſpekt, wie ihn ſelber. 
Seine Guͤte blieb nicht bei dieſen Handlungen ritterlicher Hoͤflichkeit 
ſtehen. Er erhielt von ihrer Schweſter Fatima einen Brief, der eine 
rührende Anſprache an Don Juan's Menſchlichleit enthielt und um bie 
Greigebung ihrer verwaiften Brüber bat. Er hatte einen Kourier nach 
Konftantinopel-gelandt und ihre Freunde verfichert, daß Die gefangenen 
Sünglinge perfönlic, ficher wären: „was“, ſetzt Die Dame hinzu, „von 
unferm ganzen Hofe als ein Beweis graßer Höflichfeit — gran gen- 
tileza — angejehen wird, und ed gibt hier Niemanden, welcher nicht 
die Güte und den Edelmuth Eurer Hoheit bewundert.“ Sie unter 
ftügte ihre Bitte mit einem reichen Geſchenle, um deſſenwillen fie ſich 
anmuthig entichuldigte, daß es bloß ihre Gefühle ausdruͤcken follte, 
aber weit unter dem Werihe, ven Don Yuan verdiente, fei. *) 


dos y procurando su remedio haziendoles merced y dandoles todo lo que aviase 
menester.* — Manuffr. 

9 „Lo qual toda esta eorte turo & gran gentilera, y no hazen sino alabar 
la virtad y grandesa de vuestra Altese, * - 

Der Brief Fatima's findet fd) in Torres y Aguilera, Chroniea, Fol. 93. 


Der Tintenfring. *8 


Bei ver Theilung der Beute waren hie jungen Beinzen dem Papfte 
zugrfheilt worden. Es gelang aber dem Don Juan, Ihre Befreiung 
ya erwirben. Umglüdlicherweife ftarb der ältere zu Reapel, wie .e6 
beißt, aus Schnfudt. Den jüngeren fandte man mit drei Bedienten, 
die er vorzüglich gern hatte, nach Haufe. Bon Juan lehnte ab, das 
Geſchenk Batima’s zu beiyalten, und gab es ihrem Bruder. Im einem 
Briefe. an die türkifche Prinzeffin bemerkte er, daß er dies nicht gethau 
babe, weil er ihr ſchönes Geichenk unterfchägte, fondern, weil ed im» 
mer die Sitte feiner, königlichen Borfahren geweien fei, ihre Gunſibe⸗ 
zeigungen an diejenigen, weiche fie brauchten, umſonſt au machen und 
Nichts dafür als Belohnumg zu empfangen. *) 

Denſelben Edelmuth bewies er in feinem Benehmen gegen Veniero. 
Wir haben die freundliche Demonſtration geſehen, die er, als die 
Schlacht anfing, dem auͤrgerlichen Venetianer machte. Jetzt wuͤnſchte 
er ihn am Bord ſeiner Galeere zu ſehen. Sowie derſelbe ſich näherte, 
trat ihm Don Juan entgegen und gruͤßte ihn herzlich. Er ſprach den 
Wunſch aus, daß fle das Vorgefallene in Vergeſſenheit begraben woll⸗ 
ten, fagte dem Beteranen Komplimente wegen ber in ber Schlarht.be- 
wieſenen Sapferfeit und begrüßte ihn mit dem zärtlichen Namen „Bar 
tee.“ Der alte Sotbat, welcher nicht auf einen jo freundlichen Em⸗ 
pfang gefaßt war, brach in Thränen aus, und ed gab Riemanden, 
fagt der die Anekdote mittheilende Gefchichtichreiber, der den Auftritt 
mit trodnen Augen mit anjehen Tonnte. **) 


Der Geſchichtſchreiber fügt ein Verzeichniß der von der türfifhen Prinzeffin dem 
Don Juan gefandten Artifel bei. Unter antern Gegenſtänden zählt er auf: Zobel: 
pelze, Brokat und verfchiedene reiche Stoffe, Porzellan, Teppiche und Tapetenarbeit, 
Waffen, die zierlih mit Gold und Silber ausgelegt waren, und Damascenerflingen, 
geſchmuͤckt mit Rubinen und aͤchten Türkifen. 

”) „El presente que me embio dexe de reacibir, y le huvo el mismo Ma- 
hamst Bey, no por, no preciarle como cosa venida de su mano, zino por que 
la grandeza de mis antecessores no acostumbra rescibir dones do los necessi- 
tados de favor, sino darlos y hazerles gracias.“ — Ghbend., Fol. 94. 

““, Nach Binigen übersedeten einige Freunde den Don Juan dazu, dem venetiar 
niſchen Admirale auf diefe Weile entgegenzufommen. (Siehe Torres y Aguilera, 
Chronica, Fol. 75; Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 133.) &o 





8 Eeftes Kapitel. 


Bährend man zu Petala war, wurde ein Kriegsrath, der über 
die nächften Operationen der Flotte enticheiden jollte, berufen. Einige 
waren bafür, daß man auf den geführten Schlag einen unmittelbaren 
Angriff auf Konftantinopel machen follte. Andere meinten, daß man 
wegen Mangel an Lebensmitteln und des befchädigten Zuftandes ber 
Flotte eine folche Erpedition zu unternehmen nicht im Stande fei. 
Sie empfahlen an, daß bie Armada auseinander gehen und daß bie 
verſchiedenen Geſchwader, woraus fte beftand, ihre reipectiven Winters 
quartiere beziehen follten, um fich im nächften Frühiahre zur Wieder⸗ 
aufnahme der Operationen zufammenzufinden. Noch Andere, woruns 
ter Don Juan fi) befand, meinten, daß man vor dem Audeinanders 
ſchicken ber Flotte eine ihrer Stärte angemefiene Unternehmung machen 
jolle. Demgemaͤß befchloß man, Santa Maura, einen auf der Infel 
Leucabia liegenden, ftarf befeftigten Play, welcher den nörblichen Ein» 
gang in den Golf von Lepanto beherrfchte, zu belagern. 

Nachdem die Flotte am 11. Dftober die Anker gelichtet hatte, 
langte fie ben nächftn Tag bei Santa Maura an. Rad) einer forgfälti- 
gen Recognoschrung ded Bodens ſah man ein, daß die Belagerung 
mit größerer Schwierigfeit, ald man vorausgeſetzt hatte, verknüpft jein 
würde. Es wurde nochmals ein Kriegsrath berufen, und man be 
ſchloß, daß man, weil die Jahreszeit fchon weit vorgerüdt fei, bie 
‚Operationen fuspendiren, in die Winterquartiere zurüdgeben und im 
‚folgenden Frühling, um den Feldzug unter günftigeren Aufpicien zu 
eröffnen, wieder ſich verfammeln wolle. 


viel ift gewiß, daß er die Erinnerung an das Vorgefaflene nicht aus feinem Gedaͤcht⸗ 
niffe verwifchen fonnte, wie aus mehreren Briefen von ihm beroorgeht, in welchen 
er von der Schwierigkeit foricht, welche er in tem naͤchſten Feldzuge finden würde, 
"wenn er mit einem fo reizbaren Menfchen zufammenhandeln follte. In Yolge defien 
fand ſich die venetianifche Regierung — wenn auch ungern, bewogen, den Beniero 
in einem andern Dienfle zu verwenden. Freilich fcheint fein Benehmen, welches 
Don Yuan und die Alliirten fo geärgert hatte, bei feinen Landsleuten Beifall ges 
funden zu haben, denn diefe betrachteten es als einen Beweis feiner zartfühlenden 
Sorge für die Nationalchre. Binige Jahre nachher machte man die dem Veteranen 
erwieſene Geringſchaͤtzung vollkommen wieder gut, inden man ihn zur hoͤchſten 
Würde in der Mepublif erhob. Gr war der dritte Doge feiner Yamilie, wurde 1876 
gewaͤhlt und blleb im Amte bis zu feinem Tode. , 


Der Tuͤrkenkrieg. Y 


Der naͤchfte Schritt war die Thellung ber dem Feinde abgenom⸗ 
menen Beute; man theilte fie fo, daß alle Parteien zufriedengeflellt 
waren. Die Hälfte der Galeeren und geringeren Schiffe, der Artillerie 
und fleinen Gewehre, fo wie der Gefangenen, wurde für ben katholi⸗ 
ſchen König bei Seite gelegt. Die andere Hälfte theilten der Papſe 
und die Republif in dem durdy den Bundesvertrag feſtgeſetzten Ber 
bältmifie.*) Zunaͤchſt begab fi) Don Juan noch Korfu, wo er brei 
Tage biieb und einige nothwendige Reparaturen mit feinen Schiffen 
vornahm. Alsdann fagte er den Verbündeten Lebemohl und fleuerte 
auf Meſſma los, das er nady einer ftünnifchen Fahrt den ein und brei- 
Bigften des Monat erreichte. 


Man kann fih die Freude vorftellen, womit ihn die Einwohner 
diefer Stadt begrüßten. Er hatte fle vor ein wenig über ſechs Wochen 
verlaffen und war jest im Triumph zurüdgelehrt, nachdem er die denk⸗ 
würbigfte Seefchlacht der neueren Zeit gewonnen hatte. Die ganze 
Bevölferung, geführt von ben obrigfeitlichen Perſonen, eilte zur Kuͤſte 
herab, um das prächtige Schaufpiel mit anzuichen. Als die tapfere 
Kriegsflotte in den Hafen hereinftürmte, zeigte fie durch manche 
Schramme die Refultate des neulichen Kampfes. Aber die geweihte 
Standarte flatterte noch ftolz auf der Maftipipe des Real, und hinter» 
brein kam die lange Reihe eroberter Galeeren in viel fchlechterem Zus 
ftande als diejenigen ber Sieger und die Bahnen fchimpflid im Wafler 
bintennad, fchleppent. Als Don Iuan an ber Spige feiner Truppen 
landete, vourbe er mitTufchen empfangen, während von den die Stabt 
beherrfchenven Feſtungen Artilleriefaloen donnerten. Er warb unter 
einen prächtigen Baldachin aufgenommen und von einem großen Hau- 
fen Bürger und Soldaten geleitet. Die fi in den Zug mifchende 
Geiftlichkeit ftimmte das Te Deum an, und fo zog man In die Doms 





*) Die am Borde der türkifhen Schiffe vorgefundene Beute wurde den rs 
beutern derfelben überlafien. Es war deren gmug vorhanden, um manchen bürftis 
gen Abenteurer reich zu machen. „Assi por la vietoria havida como porque 
muchos venian tan ricos y prosperados que no havia hombro que se preciasse 
de gastar moneda de plata sino Zequies, ni curasse de regatear en nada que 
comprasse.“ — Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 79. 

Prescott, Geſch. Bhilipp’s N. V. 7 


98 Elftes Kapitel. 


firhe, wo Alle gemeinihaftlich dein Allmädtigen dankten, weil er 
ihnen einen fo ruhmreichen Sieg gegeben hatte. *) 

Don Juan erhielt eine Toftbare Wohnung im Schloſſe. Man 
feierte Ihm mit einem prächtigen Banfett — denn fchon damals dien⸗ 
ten die Bankette zum Ausprude der öffentlichen Dankbarfeit — und 
er erhielt von der Stadt einen noch Iubftantielleren Lohn in dem Ge⸗ 
ſchenke von breißigtaufend Dufaten. Endlich hatte ein gefchichter Künft- 
ler eine bronzene Statue anzufertigen zur ewigen Erinnerung an ben 
Sieger von Lepanto. Don Juan nahın das Gelb an, aber bloß, um 
ed zur Erleichterung der franfen und verwundeten Soldaten zu ver 
wenten. Mit dein nämlichen Edelmuthe Hatte er befohlen, daß fein 
ganzer Antheil an. ber auf tuͤrkiſchen Schiffen weggenommenen Beute, 
einfchließlich einer großen Menge Golted und reicher Brofate, die man 
auf der Onleere Ali Paſcha's gefunden hatte, unter Die Erbeuter ver 
theilt werben jollte, **) 

Die Nachricht von dem Siege bei Lepanto erregte eine tiefe Sen⸗ 
fation in der ganzen Chriftenheit; denn man hatte allgemein bie Meis 
nung gehegt, daß die Türfen zur See unbefieglid) wären. Befonders 
bezeigten die Verbündeten ihre Freude durch fo außerordentliche Des 
monftrationen, daß man daraus abnehmen fonnte, wie groß biöher 
ihre Sucht geweien war. In Venedig, von dem man fagen Eonnte, 


9 Wegen ber vorhergehenden Seiten ſiehe: Vanderhammen, Don Juan de 
Austria, Fol. 186; — Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 79; — Cabrera, Fi- 
lipo Segundo, &. 696; — Herrera, Historia General, ®b. II, ©. 37; — Fer- 
reras, Hist. d’Espagne, Bd. X, ©. 261. 

**) ine alte Romanze feierte Diele Hreigebigfeit Don Juan's auf folgende 
Meile: 

„Y ansi seda como de oro 
Ninguna cosa ha querido 
Don Juan, como liberal, 
Por mostrar do ha descondido, 
Sino que entre los soldados 
Fusse toda repartido 
En premio de sus trabajos 
Pues lo habian merecido.“ 
Duran, Romancero General, Mabrid, 1851, ®p. II, ©. 183. 


Der Türkenfrieg. 99 


daß ed durch das Refultat der Schlacht eine neue Erlaubniß) zu eriſti⸗ 
ren erhielt, verlammelten fich ber Doge, die Senatoren und dad Volt 
auf dem großen St. Marroplape und beglückwuͤnſchten einander wegen 
bed Triumphes ihrer Waffen. Durch ein öffentliches Dekret wurbe 
verordnet, daß der ſiebente Oftober auf ewige Zeiten als ein Rationals 
fefttag gefeiert werben Sollte. 

Die Freude in Reapel war wohl faum geringer. Hier hatte das 
Bolt jo oft feine Küften durch ottomaniiche Kreuzer verwuͤſten ſehen. 
Als daher der neapolitanifche Admiral Santa Cruz mit feinem Ges 
fchwaber in den Hafen zurüdfehrte, wurde er mit Afflamationen be⸗ 
willfommnet, wie ein von feinem Feldzuge zurüdfehrender Sieger. 

Aber felbft diefe Ehrenbezeigungen kamen nicht denen gleich, 
welche m Rom dem Colonna, dem General⸗Kapitaͤne der paͤpſtlichen 
Flotte erwiefen wurden. Als er in Staatöprogeiften einherfam, mit 
den dem Feinde genommenen Trophäen voran und mit einem Haufen 
trauernder Öefangener hinterher, erinnerte dies Schaufpiel an die Pracht 
des alten römiichen Triumphes. Pius der Fünfte hatte fchon vorher 
angefündigt, daß der Sieg der Chriften ihm vom Himmel geoffenbart 
worden ſei. Als aber die Nachricht von dem wirklichen Refultate ihn 
erreichte, ging das fo weit über die Enwartungen bed alten Papftes, 
daß ihn feine Gefühle übermannten und er in einen Strom Thränen 
ausbrady, indem er audrief: „Es war ein Menſch von Gott gefandt, 
und der hieß Johannes.“ **) 

Wir dürfen wohl glauben, daß ber Jubel, womit die freudige 
Botſchaft in Spanien begrüßt wurde, nicht hinter dem Jubel in andern 
Ländern der Ehriftenheit zurüdfiand. Während Don Juan bei Ber 
tala lag, ſchickte er den Lope Figueroa mit Depefchen, nebft der großen 
ottomanifchen Standarte, als der ruhmreichften in der Schlacht ges 
wonnenen Trophäe, an den König ab.***) Bald darauf fchidte er 

*) Lease, welches nicht allein Pacht⸗ und Mietvertrag heißt, ſondern figärs 
lid von jeder durch Grlaubniß oder Zugeflänpniß gegebenen Sache gefagt wird. 
„Any tenure by grant or permission,“ fagt Webfter. Anm. d. Ueberf. 

*) Lores, Vida de Pio Quinto, Kap. XXIV, $. II. — Torres y Aguilera, 
Chronica, Fol. 80. — Rosell, Historia del Combate Naval, ©. 124 und 128. 

. *) In einem Briefe an feinen Bruder, Tatirt aus tem G6corial vom folgen⸗ 


» 
7* 





100 | Eiftes Kapitel. 


einen Kourier mit weiteren Briefen. Es fügte ſich fo, daß fowohl ber 
eine wie der andere, erft einige Wochen an feinem Beftimmungsorte 
ankam, nachdem bie Nachricht zu Philipp ſchon aus einer andern Duelle 
gelangt war. Das gefchah durch den venetianifchen Gefandien, wel⸗ 
cher den legten DOftober von feiner Regierung Depeſchen mit einem 
vollftändigen Schlachtberichte erhalten hatte. Er eilte damit in den 
Balaft und fand den König in feiner Privatfapelle, wo derſelbe am 
Vorabende von Allerheiligen ber Vefper beiwohnte. Dan kann nicht 
bezweifeln, daß die Neuigkeit fein Herz mit Freude erfüllte; doch ſoll 
er, anftatt Etwas in feinem Benehmen zu verrathen, in feiner Andacht 
ohne den geringften Mienenwechſel fortgefahren fein, bis die Kirche 
aus war. Dann ließ er bad Te Deum fingen. *) Alte Anwefenden 
fimmten mit überfließendem Herzen in ben allgemeinen Danf ein, den 
man dem Herm ber Heerfchaaren für einen jo großen Triumph bed 
Kreuzed darbradhte. **) 


den November, fpricht Philipp von ter Wonne, bie er gefühlt, ale er aus den Haͤn⸗ 
ten des Figneroa dieje Trophäe erhalten hat. (Siehe den Brief bei Rosell, Hist. 
del Combate Naral, Apend. Nr. 15.) Die Standarte wurde im Gscorial ver⸗ 
wahrt, wo fie im Jahre 41671 verbraunte. — Docamentos Ineditos, Br. HI, 
&. 2856. 

*) „Y S. M. no se alterö ni demudä ni hizo sentimiento alguno, y se 
estuvo con el semblante y serenidad que antes estaba, con el qual semblante 
estuvo hasta que se acabaron de cantar las vfsperas.“ — Memorias de Fray 
Juan de Sarı Gerdnimo, Documentos Ineditos, Vd. III, ©. 238. 


“*) Der dritte Band der Documentos Ineditos enthält einen langen Auszug 
aus einem Manuftripte im Böcorial, welches von einem Hieronymitenmoͤnch her⸗ 
rührt. Hierin fagt der Berfafler, daß Philipp, während er die Besperandacht im 
Balaftklofter des Escorial verrichtete, Durch einen von Don Juan kommenden Rourier 
bie Nachricht vom Siege erhielt. Diefer Darftellung ift Cabrera, (Filipe Segundo, 
S. 696) und die hauptſaͤchlichſten caſtiliſchen Schriftfteller gefolgt. Die Ungenauigs 
feit derfelben aber wird Hinlänglidy widerlegt durch zwei damals an Don Juan ger 
richtete Briefe, deren einen ber Fönigliche Eekretaͤr Alzamora und deren andern 
Philipp felber fchrieb. Zufolge ihrer Mitiheilung war e6 der venetinnifche Gefandte, 
welder die erſte Nachricht Überbrachte, und der Platz, wo er fie überbrachte, war die 
Brivartopelie des Palaſtes zu Madrid, während Philipp am Abende vor Allerkeilis 
gen ber Veſper beiwohnte. Go if beachtenswerth, Daß der Brief des Seckretaͤrs 
feine Andentung enthält von. der Rondalance, womit Philipp bie Neuigfeit gehoͤrt 


Der Türkenkrieg. 101 


Jenen Abend gab es eine große Ilumination in Madrid. Den 
naͤchſten Tag lad der päpftliche Legat Meſſe in Gegenwart des Koͤ⸗ 
nigs, der ſpaͤter an einer feierlichen Prozeſſton nach ber St. Marien⸗ 
fire Theil nahm, mo ſich beim allgemeinen Danfgebeie Bolt und Hof 
vereinte. 

In einem Briefe an Don Juan, datirt aus dem Escorial vom 
neun und zwanzigften Revember, fchreibt Philipp aus voller Seele in 
der Sprache der Dankbarkeit und brüberlider Liebb: — „Ich kann 
dir Die Freude nicht ausdrüden, die ich empfunden habe, als ich außs 
führtiche Rachricht über dein Benehmen in der Schlacht erhielt, über 
die von dir perſoͤnlich bewieſene Tapferkeit und über die. Achtſamkeit, 
womit du Andern angemefiene Befehle ertheilteſt: — was Alles uns 
zweifelhaft eine Haupturſache des Sieges geweien if. Dir habe ich 
alſo naͤchſt Gott den Sieg zu verbanten und erfenne bied hiermit an, 
und ich ſchaͤtze mich glüdlich, daß es für Semanden, ber mir fo nahe 
ſteht und fo theuer if, anfbehalten war, dieſes große Werk, weiches 
dir in den Augen Gottes und der ganzen Welt fo viel Ruhm erworben 
bat, zu vollbringen. **) 

Die Gefühle des Königs wurden vollſtaͤndig von feinen Unter 
thanen getheilt. Der durch den großen Sieg im ganzen Lande ermedie 
Enthuſiasmus war ohne Gränzen. „Es gibt“, ſchreibt ein koͤniglicher 
Seftetär an Don Juan, „feinen Menfchen, der nicht die Hand des 
Herrn darin erblidte, obfchon e8 mehr wie ein Traum, ald wie Wirk» 
lichkeit erſcheint, weil es jedes Seetreffen, von welchem man je zuvot 


gehört, fo weit übertrifft."*") Die beften Bildhauer und Maler 


haben fol. Die Originale diefer interefanten Deveſchen erificen nach in der 
Mapdriter Rationalbibliothel. Senor Rofell hat von ihnen Abfchrift für fein Mes 
moire (Anhang, Nummer 13 und 15) genommen. Man madt in der Geſchichte 
geringe Fortſchritte, wenn man noch nicht herausgefunden hat, daß es leichter if, 
einen Irrthum zu wiederholen, als ihn zu corrigiren. 

*) „Y ansi & vos (despues de Dios) se ha de dar el parabien y las gracias 
della, eomo yo os las doy, y & mi de que por mano de persona qus tanto me 


‚  toos eomo la vuestra, y 4 quien yo tanto quiero, se haye heche un tan gran 


negocio, y granade vos tanta honra y gloria con Dios y con todo el mundo.“ 
—— Rosell, Historia del Combate Naval, Apenbix, Ar. 15. 
**) Carta del seoretario Alzamora 4 Don Juan de Austria, Madrid, den 


102 Miftes Kapitel. 


mußten dad Andenken des glorreichen Ereignifled vererwigen. Unter 
ihnen befand ſich Zitian, der zur Zeit Karls des Fünften zwei Jahre 
in Spanien zugebracht hatte, und jeßt, wo er über neunzig Jahre zählte, 
da® große Gemaͤlde: „Der Sieg ber Ligue”, welches noch heutzutage 
an der Wand im Musdo zu Mabrid hängt, fertig machte.*) Der 
erbabene Gegenftand bildete für die caſtiliſche Mufe eine fruchtbare 
Duelle der Begeifterung. Unter den Hefatomben von Heldengebichten 
und Iyrifchen Gefängen verewigen das Heldengebicht Ercilla's **) und 
der ſchwungreiche Canciom ded Fernando de Herrera das Andenken 
des Sieges bei Lepanto in Formen, die dauerhafter, ald Leinwand und 
Marmor, und fo unvergänglidh, wie die Sprache felbft, find. 

Während auf Diele Weile Alle bereit waren, dem Talente und 
der Tapferkeit, wodurch die größte Schlacht bamaliger Zeit gewonnen 
worden war, zu buldigen, war man, als ınan fühler wurde und bie 
Ereignifle forgfältiger beurtheilen fonnte, geneigt, zu fragen, wo denn 
bie Srüchte Dieied großen Sieged wären. Hätte Don Juan's Bater, 
Karl der Fünfte, bieß ed, einen folchen Sieg davon getragen, würde 
er nicht dergeftalt das Feld verlaflen, fondern dem Feinde, ehe fich der: 
felbe von dem Schlage erholen konnte, einen frifchen verfegt haben. 
Viele fprachen die Ueberzeugung aus, daß der junge Generalilfimo 
getadewegs mit ſeiner Flotte haͤtte gegen Konſtantinopel ſegeln 
muͤſſen. 

Es iſt allerdings anſcheinender Grund vorhanden, warum man 
des Don Juan Verhalten nach der Schlacht tadeln kann. Aber, man 
muß bedenken, um ſich das Benehmen Don Juan's zu erklaͤren, daß 
ſeine Lage von derjenigen ſeines kaiſerlichen Vaters ganz verſchieden 
war. Er beſaß nicht, wie der letztere, eine abſolute Gewalt über feine 


11. November 418571, bei Rosell, Historis del Combate Naval, Apendix. 
Nummer 13. | 
*) Siche Ford, Spaniſches Handbuch, Bd. 1I, S. 897. 

) Erecilla hat der glänzenden Cpifode der Schlacht bei Lepanto den vier und 
wwanzigften Canto der Arancana gewidmet. Wenn auch GCrecilla nicht, wie Gerr 
vantes, in der Schlacht mit anweſend war, verleiht doch feine Befannıfchaft mit den 
vorzuͤglichſten handelnden Berionen feinem Cpos, außer dem poetifchen Werthe des⸗ 
felben, einen beträchtlichen Wert als geſchichtlichem Teſtimonium. 


TR 


Der Taͤrkenkrieg. 103 


Armee. Die großen Führer der Verbündeten ftanden einander im 
Range beinahe gleich, fo baß ein jeder von ihnen das Recht beam- 
fpruchte, über alle wichtigen Maßregeln zu Rathe gezogen zu werben. 
Unter den drei Befehlshabern, fowie unter den von ihnen befehligten 
Truppen: herrfchte die größte Eiferfucht. Zwar waren fie Alle im Haffe 
gegen die Türken eind. Allein, Alle wurden mehr oder minder durch 
die Intereflen ihrer refpeftiven Staaten beflimmt, wenn über den Ort, 
wo die Türfen angegriffen werben follten,. zu enticheiden war. Jede 
dem Feinde entriffene Ruthe Territorium in der Levante konnte bloß 
das Gebiet Venedigé vergrößern, während die Eroberungen in den 
weftlichen Theilen des Mittelländifchen Meeres die Herrichaft Caſti⸗ 
liend verftärfen mußte. Diefe Eiferfüchtelei zwiichen den Spaniern 
und Benetinnern war, wie wir fahen, fo groß, daß fie im Anfange faft 
den Ruin ber Erpedition herbeigeführt hätte. 


Diejenigen, welche Don Juan tadelten, daß er feine Waffen nicht 
gegen Konftantinopel gefehrt hatte, fcheinen von den Hülfdquellen ber 
Pforte bloß einen fehr unvollfommenen Begriff gehabt zu haben, wie 
ſich nody im Verlaufe des nämlichen Jahres herausftellte. Bon bem 
Herzoge von Alba eriftirt ein merkwuͤrdiger Brief, der einen Monat 
nach der Schlacht bei Lepanto geichrieben wurde und worin der Herzog 
über das befte einzuhaltende Verfahren handelt, um die vollen Früchte 
des Sieges zu Arnten. Er drüdt darin die Meinung aus, daß eine 
Unternehmung gegen Konftantinopel oder fogar gegen jeden andern 
Theil des türfifchen Gebietes bloß fcheitern müſſe, wofern der Angriff 
nicht durch eine allgemeine Koalition der großen Mächte der Ehriften- 
heit unterftügt würde: — fo umfangreich waren die Hülfdquellen des 
großen Reiches.“) Nun konnte man in militärischen Angelegenheiten 
feinen beffern Richter, ald den Alba, finden. Wenn dem aber fo war: 
wie unzureichend waren da bie bein Don Juan zur Erreichung dieſes 
Zieles zu Gebote ftehenden Mittel, indem die Verbündeten, wie fich in 


— — —— 


Der von Brüſſel (17. Nov. 1871) datirte Brief it an Inan de Zusiga, 
den caſtiliſchen Geſandten am roͤmiſchen Hofe, gerichtet. Eine Abſchrift aus einem 
Manuftript des fechszchnten Jahrhunderts, das ſich in der Bibliothek des Herzogs 
von Ofluna Lefindet, Recht in den Doeumentos Ineditos, Bd. III, &. 202-303. 





104 Ciftes Rapikel. 


ver Helge herausſtellte, bloß mit einem Saarfeil*) zufammen gehalten 
wurden, und die Ylotte im neulichen Kampfe fo beichädigt war, daß 
viele Schiffe Faum noch fabrhar waren ! 

Hierzu kann man noch rechnen, daß Don Juan wußte, daß es 
der Wunfch feines Bruders fei, dad fpanifche Geſchwader folle nach 
Sicilien zurüdfehren und dort den Winter zubringen.**) Hätte er 
daher bei dem Feldzuge verbarrt, hätte er es auf feine eigne Berant- 
wortlichkeit hin thun müflen. Er hatte einen volftändigeren Sieg ge 
wonnen, als ber fanguinifteite Spanier zu erwarten Grund gehabt 
hatte. Den Kampf verlängern hieß gewiß gewiflermaßen das Geſchick 
berausfordern, den bereitd gewonnenen Ruhm aufs Spiel fegen und 
fih das Risko zuziehen, den Feldzug mit traurigen Cypreſſenzweigen, 
anftatt mit der Xorbeerfiegerfrone zu enden, Kann man ſich wohl dar- 
über wundern, daß felbft ein abenteuerlicher Geiſt, wie der feinige, als 
er die Wahrfcheinlichkeit ded Erfolgs gegen ſich ſah, vor einem fo gro⸗ 
Ben Wagniſſe zurüdichredte ? 

Es wäre ein großer Irrtum, wollte man von der Schladht von 
Lepanto jagen, daß fie einen feeren Sieg lieferte, ber.den ihn davon 
Tragenden feinen Gewinn brachte. Zwar nahm fie den Türfen nicht 
einen Zoll Territorium weg. Selbft den ſchweren Verluſt an Schiffen 
und Soldaten, ben fie erlitten hatten, machten fie im folgenden Jahre 
wieder gut. Aber, der Verluft an Reputation, an biefer feſten Burg 
bed Erobererd, war inermeßlih. Die lange, glüdliche Laufbahn der 
ottomanifchen Zürften, beſonders bie des legten, Solyman’s bes Praͤch⸗ 
tigen, hatte den Glauben erzeugt, daß bie Türfen unbefteglid, wären. 
Es gab nicht eine Nation in der Ehriftenheit, die nicht bei dem Gedan⸗ 
fen an einen Krieg mit den Türfen zitterte. Der Zauber war jet 
gelöit. Wenngleich die Hülfdquellen der Türfei gräuzenlod waren, 
verlor fie doch das Selbftvertrauen in eben dem Grade, in welchem 


*) Rope of sand, „Geil von Sand” ſteht im Engliihen. Dieter Ausdrud 
if ſprüchwoͤrtlich unt bezeichnet ein ſchwaches Band. Webſter erflärt ihn: Feeble 
union or tie, a band easily broken. Anmerkung des Ucberiepers. 

**) „Yahavreis entendido la örden que se os ha dado de que iaverneis en 
Mecina, y las causas della.“ — Carta del Rey & su hermano, bei Rofell, Hi- 
storia del Combate Naval, Apendir, Mr. 18. 


Der Türtenfrieg. 105 


Venedig es gewann. Als die feindlichen Flotten dad naͤchſte Jahr 
nach der Schlacht bei Lepanto zuſammenttafen, verweigerten die Tuͤr⸗ 
ten, obſchon fie an numeriſcher Staͤrke überlegen waren, den Kampf. 
Die nächften fiebenzig Iahre hindurch nach dem Ende des jehigen 
Krieged gaben die Türken ihre Verſuche, fich zu Herren von irgend 
welchen fo verlodend um fie beruinliegenden reichen Befigungen ber 
Republik zu ‚machen, auf. Als das erfte Mal bie beiden Rationen 
wieder in Streit geriethen,. fügte fich Venedig nicht auf Verbündete, 
fondern rüdte für fi) allein zu Felde und machte den Kampfplag mit 
einer Unerichrodenbeit ftreitig, welche es auf gleiche Stufe mit ber vier 
figen Macht, die den - Angriff gemacht hatte, ſtellte. Diefe Macht Hatte 
bereitö ihren Berfall angetreten: weßhalb diejenigen, welche die Ger 
ſchichte des ottomantichen. Reiched aufs Sorgfältigfte ſtudirt haben, 
den Verfall veffelben von der Schlacht bei Lepanto datiren. *) 


Die Verbündeten follten frühzeitig im Yrühiahr bes folgenden 
Jahres 1572 mit ihren verfchiedenen Kontingenten in Bereitfchaft fein. 
Doch waren fie es erft fpät im Sommer. Eine Urfache des Verzugs 
lag in der Enticheidung,, auf welcher Stelle man das türfiiche Reich 
angreifen follte. Die Venetianer, die offenbar ihre Intereffen babei 
im Auge hatten, wollten den Krieg in der Levante fortgefegt wiflen. 
Dagegen wollte ihn Philipp aus ähnlichen Gründen nach dem weſt⸗ 
lichen Theile des Mittelländiichen Meeres verlegt und eine Erpebition 
gegen die Mächte der Berberei unternommen haben. Endlich wollte 
Pius der Fünfte, angetrieben von jenem feurigen Enthuflasmus, wel⸗ 
cher ihn jedes im Wege Tiegende Hinderniß überſehen oder überfprin- 
gen fieß, gegen Konftantinopel marfchiren und feine ſiegreichen Fahnen 
in das Heilige Land tragen. Bei Männern, die von militärifchen 





) Siehe: Rosell, Historia del Combate Naval, ©. 157; — Lafuente, 
Historia de Espana, Madrid, 1850, Br. II, ©. 588. — Manke, welcher bie Ge⸗ 
fhichte des ottomaniſchen Meiches zu feinem befonderen Studium gemacht hat, ber 
merkt: „Die Türfen verloren nad der Schlacht von Levanio all ihr früheres Ber: 
trauen. Gie Hatten dem Don Juan von Oeſterreich feinen ihm gewachienen Feld⸗ 
herrn entgegenuflellen. Der Tag von Levanto brach die ottomaniiche Ueberlegenbeit 
jufammen.“ — Ottoman and Spanish Empires (englifche Ueberſetzung). S. 23. 


106 Ciftes Kapitel. 


Operationen mehr, ald der Papft verſtanden, erregten biefe träumeri« 
chen Bhantaften Lächeln, vielleicht auch Spott. *) 

Pius verfuchte wiederum, feinen eignen Muth den Monarchen 
der Chriftenheit einzuflößen. Allein, er mahnte fie vergebens, der 
Ligue beizutreten. Alle ſchlugen es ab, der eine aus bielem, der 
andere aus jenen Grunde. Es ift möglich, daß fie weniger Furcht 
vor den Türken, als vor der wachſenden Macht des Königs von 
Spanien hatten. Aber die großen Pläne Pius des Fünften wurden 
beendigt durch feinen Tod, der ven erften Mai 1572 erfolgte. Er war 
der eigentliche Urheber der Ligue. Sie beichäftigte feine Gedanfen bis 
zur fpäteften Stunde feiner Eriſtenz. Seine legte Handlung beſtand 
darin, daß er zu ihrem Gebrauche eine beträchtliche Geldſumme, die in 
feinen Koffern lag, beftimmte.**) Mit Recht fann er ber einzige der 
Verbündeten genannt werben, der bloß für das, was er für die Ins 
terefien des Glaubens hielt, thätig war. Das zeigte fi) ſchon bald. 

Die Angelegenheiten Philipps des Zweiten befanden fich damals 
in einer fritifchen Lage. Er befürchtete fehr, daß Semand von der fran⸗ 
zöftfchen Faction auf den Stuhl des heiligen Petrus erhoben werden 
würde. Er hatte gute Urfache, der Politik Frankreichs hinfichtlich 
der Riederlande zu mißtrauen. Er wollte, ehe er hinfichtlich dieſer 
Punfte etwas mehr beruhigt wäre, die Eoftbare Klotte, die als fein 
Eontingent zu liefern er ſich verbindlich gemacht hatte, nicht ſtellen. 
Es war umfonft, daß die Verbündeten den Don Juan aufforderten, 
ihnen mit der fpanifchen Flotte zu helfen. Diefer hatte von feinem 
Bruder den Befehl, Meffina nicht zu verlaflen, und er fträubte ſich 
vergebens gegen dieſe Borfchrift, die ihm auf diefe Weife zu frübzeitig 
bie. betretene Rubmesbahn zu verfchließen drohte und ihn den ärger- 
lichften Beichuldigungen ausſetzte. Erft am fechöten Juli erlaubte 
ihn der König, einen Theil jeined Kontingentes, beftehend aus nur 


— — 





*, „Su Santidad ha de querer que se gane Constaatinopia y la Cass 
Santa, y que tendr& muchos que le querr6n adular con facilit£rselo, y que no 
faltar6n entre estos algunos que hacen profesion de soldados y que como un 
Bestitud no pueden entender ostas cosas.“ — Carta de Duque de Alba, in den 
Documentos Ineditos, ®p. III, &. 300. 

*®) Ranke, History of the Popes, englifche Ueberfepung, Br. I, B. 384. 


Der Türfenfrieg. 107 


zwei und zwanzig @aleeren und fünftaufenn Mann Truppen, den Vers 
bünbdeten zu Hülfe zu fenden. 

Einige Gefchichtfchreiber erflären das Betragen Philipps nicht 
ſowohl aus den Berlegenheiten feiner Lage, als vielmehr aus der Un» 
geneigtheit, feinem Bruder die Gelegenheit zu geben, daß er feiner 
Stimme frifche Lorbeeren hinzufügte und mögfichermeife ein unabhängie 
ges Fürftenthum, wie das ihm von Pius dem Fünften in Ausfict 
geftellte, für fich erwarb. Diele Meinung fcheint einigermaßen durch 
den Umftand, ber wenigftens Eiferfucht wegen der Beftrebungen ſeines 
Bruders vorausſetzt, beftätigt zu werben, daß Philipp in den Depe⸗ 
fchen, die er nach Italien fchidte, feine Geſandten dahin inftruirte, daß 
fie, während fie dem Don Juan allen gebührenden Reſpekt bezeigten, 
fich hüten follten, ihn beim Sprechen oder Schreiben nicht mit dem Ti⸗ 
tel Hoheit, fondern mit Ercellenz anzureden ; indem er hinzu 
fügte, daß fie nicht davon fprechen ſollten, daß er ihnen diefen Wink 
gegeben habe.*) ine ähnlidye Mittbeilung ließ er den Geſandten in 
Frankreich, Deutfchland und England mahen. Das war mır ein 
ichiwacher Baden, um dem Fluge des jungen, nach den Wolfen auf- 
ichwebenvden Adlerd Einhalt zu thun; doch bewies er, daß ber Herr 
jeinen Adler nicht zu hoch fchweben laflen wollte, 

Glüdlicherweife wurde Philipp in Bezug auf die Papftwahl, 
durch die Erwählung ded Kardinals Buoncampagno auf den vacanten 
Thron, von feiner Furcht befreit. Dieſer Geiftliche, welcher den Ras 
men Gregorius ber Dreizgehnte annahm, war dein Könige perfönlich 
befannt, weil er in feinen früheren Lebzeiten etliche Jahre am caftifis 
chen Hofe zugebracht hatte. Er war diefem Hofe gut gewogen und 
beſaß im vollen Maße den Eifer feines Borgängere für die Kortfüb- 
rung des Krieged gegen die Iingläubigen. Er fandte unverzüglid) 
jeine „euerbreven*,**) wie Don Juan fi) ausdrüdte, um ihn zu 


*) Lafuente, Historia de Espana, ®b. XIII, ©. 830. 

**) „Breves de fuego.* — Wir haben, weil es fih um ein paͤpſtliches Schrei⸗ 
ben hantelt, ebenfalls Breve geiept. Den Unterfchieb der paͤpſilichen Schreiben 
gibt Webfter folgendermaßen an: „Gin apostolical brief (apoRotifches Breve) iR 
ein an einen Fuͤrſten oder eine fonfige Obrigkeit gerichtetes Schreiben mit Bezug 
anf öffentliche Angelegenheiten. Gin brief unterſcheidet ih von einer Bulle (bull) 








108 Gilies Kapitel. 


newer Thätigkeit für die Sache aufzufcheuchen. Ebenfo erfuhr Philipp 
zu feiner Befriedigung, daB in Sranfreich die Guiſen, pie treuen Bars 
teigänger Spaniens, die Leitung der Angelegenheiten in den Händen 
hatten. As nun Philipp von feinen Befürdytungen wegen biefer 
beiden Punkte gebeilt worden war, willigte er in die Abfahrt feines 
Bruders mit dem übrigen Theile des Geſchwaders ein. Diefer Theil 
belief ſich auf fünf und funfzig Galeeren und dreißig kleinere Fahr⸗ 
zeuge. Als aber der Brinz am neunten Auguft Korfu erreichte, fand 
er die des langen Wartens üben Verbündeten unter dem Oberbefehle 
Colonna's ſchon zum Auffuchen der ottomaniſchen Flotte abgefahren. 

Die Pforte batte eine fo außerordentliche Schnelligkeit angewandt, 
daß fie binnen einem halben Jahre hundert und zwanzig Galeeren ge: 
baut und equipirt hatte, die zuſammen mit den bereitd vorhandenen 
eine furchtbare Flotte ausmachten.) Es liefert dies einen merkwuͤr⸗ 
digen Beweis von ihren Hülfsmitteln,, läßt und aber an die große 
Verſchiedenheit zwiſchen einer tuͤrliſchen Galeere des ſechszehnten Jahr: 
hunderts und einem heutigen Kriegsſchiffe denken. Den Oberbefehl 
der Kriegöflotte hatte der algeriſche Häuptling Uluch Ali erhalten, ber 
jo geichicht die wenigen Schiffe, welche in der Schlacht von Zepanto 
davon famen, zu reiten gewußt hatte. Er ſtand verbientermaßen 
hod) im Zutrauen des Sultans und beiaß die oberfte Leitung der See: 
angelegenheiten. 

Die beiden Zlotten begegneten ſich an der weſilichen Küfte von 
Morta. Obſchon aber ber algerintfche Befehlshaber den Ehriften an Zahl 
und Stärke der Schiffe überlegen war, lehnte er gleichwohl pie Schlacht 
ab, und zeigte hierbei die naͤmliche Gewandtheit, einer Schlacht aus» 
zuwrichen, wie er fruͤher bewieſen, als er aus einer Schlacht entkam. 


dadurch, taf er fürger abgefaßt, auf Papier gefchrieben, mit rothem Wachs geflegelt 
iſt und auf dem Siegel ten Fiſcher oder ten Petrus in einem Kahne zeigt. Cine 
Bulle it weitläufiger, auf Bergament geſchrieben und mit Blei oder grünem Wachs 
geflegelt.“ Anm. des Ueberſ. 

°, „E sie vedute, che quando gli fu data la gran rotta, in sei mesi ri- 
fabricocenso venti galere, oltre quelle che si trovavano in easere, cosa che 
essendo ptevetuda e scritta da me fu giudicata piuttosto imposeible che cre- 
äuta.“ — Relarione di Marcantino Barbaro, 1573, Alberi-, Belazione Venete, 
®». II, &. 306, 





Der Türtenfrieg. 109 


Ende Auguft kehrten die Verbuͤndeten nach Korfu zuräd, wo fie 
durch den übrigen Theil des fpaniichen Schiffsgeſchwaders verfiärkt 
wurden. Die verbündete Flotte wuch® dadurch auf zwei hundert und 
fieben und vierzig Schiffe, von denen ziemlich zwei Drittel Galeeren 
waren, an. Ihre Macht war dem Feinde etwas überlegen. Nach⸗ 
dem Don Juan auf dieſe Weiſe verflärft worden war, entfaltete. er ald 
Generaliſſimo der Ligue das heilige Banner, lichtete die Anfer und 
fteuerte mit feiner ganzen Blotte fürwärts. Nach Kurzem erfihien ex 
in der Nähe der Häfen Modon ımd Ravarino, wo bie beiden Diviſio⸗ 
nen ber türfiichen Flotte vor Anker lagen. Er hätte fie gern getrennt 
angegriffen, doch fonnte ei es mit allen feinen Anftrengungen nicht 
verhindern, daß fie fidy in dem Hafen Modon vereinigten. Den fleben- 
ten Oftober wagte ſich Uluch Ali aus dem Hafen heraus und ſchien 
ſich auf eine Schlacht einlaflen zu wollen: weßhalb Don Juan ſich 
ſchon freute, daß er wiederum, wie an jenem benfwärbigen Tage, feine 
Waffen mit Sieg gekrönt jehen würde. Wenn aber ber türfiiche Bes 
fehlshaber damals, als er ben Berbündeten an Zahl überlegen war,. 
fich nicht mit ihnen hatte fohlagen wollen, jo war e8 nicht wahrfchein« 
lich, daß er jegt, wo er an Zahl nachftand, fich werde fchlagen wollm. 
Nach einigen Manövern, die zu feinem Refultate führten, fuchte er 
Zufludt unter dem Schloffe von Modon umd retirirte wieder in den 
Hafen. Hierhin wollte ihm Don Juan folgen, um ihn zu einer 
Schlacht zu zwingen. Allein, die übrigen Führer der Berbümpeten 
riethen ihm davon ab, denn fie erachteten, daß die Ausfichten auf Er⸗ 
folg bei einem fo ftarf befefligten Platze keineswegs jo bedeutend wären, 
daß man fich einer folchen Gefahr ausſetzte. 

Bergebend verlängerten bie Verbündeten in der Hoffnung, ben 
Feind zu einem Treffen zu verloden, ihren Aufenthalt in der Nähe. 
. Die Shifffahrtözeit verftrih, ohne daß Ausficht auf ein beſſeres Re 
fultat vorhanden gewefen wäre. Unterdeſſen mangelte ed an Proviant 
und das ftürmifche Herbftwetter nahte heran, weßhalb Don Juan über 
die Rathfchläge der Alliirten, die ihm furchtſam ſchienen, und über die 
Kontrolle, die fle über ihn üben durften, entrüftet war, fo daß er bes 
fchloß, da es für eine neue Unternehmung zu fpät fei, aufzubrechen 
und bie fernere Thätigfeit auf den nächften Frühling, wo, wie erhoffte, 


110 fies Kapitel. 


ber Feldzug eher, als dieſes Jahr anfangen würde, zu verfchieben. 
Als demnach die Berbündeten die Infel Baro fpät im October erreicht 
hatten, trennten fie fih von einander und zogen fich in ihre bezüglichen 
Winterquartiere zurüd. Don Iuan ging wieder mit ber fpanijchen 
Flotte nach Sicilien. *) | 
Der Bapft und der König von Spanien, die dur die Refultate 
ned Feldzugs keineswegs entmuthigt waren, beichloffen, im Fruͤhjahr 
ſehr bald die Operationen auf einem furchtbareren Fuße, als früher, 
aufzunehmen. Allein fie wurden von biefer Abſicht durch die erftaun- 
kiche Nachricht, daß Benedig mit der Pforte einen Separatvertrag eins 
gegangen wäre, abgebradht. Der Vertrag, der durdy die Bermittelung 
bed venetianiichen Gefandten negoctirt worden. fein foll, wurde den 
fiebenten März 1571 vollſtrect. Wenn man da8 bezügliche Verhaͤlt⸗ 
niß der ‘Barteien in Betracht zieht, erfcheinen bie Vertragsbeſtimmun⸗ 
gen einigermaßen außergewöhnlich. Nach ben beiden Hauptartifeln 
machte ſich die Republik anheifchig, auf drei Jahre dem Sultan bie 
‚jährliche Summe von bunderttaufend Dufaten zu zahlen und die Infel 
Eypern, die urſpruͤnglich zum Kriege den Anlaß gegeben hatte, abzu⸗ 
treten. Dan hätte denken follen, daß nicht die Ehriften, fondern bie 
Türken die Schlacht bei Lepanto geivonnen gehabt hätten. **) 
Da Benedig ein Handelsftant war, hatte ed ohne Zweifel mehr 
im Srieden, als im erfolgreichften Kriege zu gewinnen. Bon diefem 
Standpunkte aus bürfte mit einem fo furchtbaren Keinde felbit ein fol- 
cher Vertrag politifch gewefen fein. Aber die Interefien einer Nation 
können eben ſo wenig, wie bie eines Individuums, auf die Dauer von 
der Ehre getrennt werben. Zudem, was fonnte unehrenhafter für 
einen Staat fein, als ſich insgeheim für ſich allein mit dem Feinde ab» 
zufinden und die Verbündeten, die fi) auf fein Erfuchen und zu feiner 
Vertheidigung in Krieg eingelaffen hatten, im Stiche zu laffen? Ein 


— — 





*) Wegen der vorhergehenden ‚Seiten ſiehe: Torres y Aguilera, Chronica, 
Fol. 87—89; — Cabrera, Filipe Segundo, Buch X, Kap. $; — Vanderham- 
men, Don Juan de Austria, Fol. 159 ff. ; — Paruta, Guerra di Cipro, &. 206 ff.; 
— Sagredo, Monarcas Othomanos, &. 301 unt 302. 

) Es if dieß die Bemerkung Boltaire's: „Il semblait que les Turques cus- 
sent gagne la bataille de Lepante.* — Essais sur les Moeurs, Kap. 169. 





— — 


Der Türlenkrieg. 111 


ſolches Betragen war in der That zu ſehr in Harmonie mit der Ver⸗ 
gangenheit der Republik und rechtfertigte den Ruf der Treuloſigkeit, 
welcher die europaͤiſchen Nationen ſo zaghaft gemacht hatte, der Ligue 
beizutreten. *) 

Philipp nahm die Nachricht Davon mit feiner gewohnten Faflung 
auf. „Wenn Venedig“, fagte er, „durch ein folches Verfahren für 


feine Intereflen zu forgen glaubt, fo fann ic, in Wahrheit jagen, daß 


ich durch meine Handlungsweife ſowohl für fein Interefle, ald auch 
für dasjenige der Ehriftenheit zu forgen gelucht habe." Indeß ſprach 
er fpäter, ald er mit dem venetianifchen Gefandten zufammen war, 
mehr von der Leber weg. Der PBapft machte feinem Unmwillen im Kon⸗ 
fiftorium Luft, indem er dafelbft das Benehmen Venedigs in den bit- 
terften umd verächtlichften Ausdrücken tadelte. Als die Republif einen 
befondern Geſandten fchidte, der den Zorn des Papſtes befänftigen 
und die Republik mit den Berlegenheiten ihrer Lage entfchuldigen follte, 
weigerte ſich der Papſt, ihn vorzulaflen. Als Don Juan bie erfte 
Nachricht von dem Abfall Venedigs erhielt, wollte er nicht daran 
glauben. Als er ihm durch eine direkte Mittheilung der venetianifchen 
Regierung gemeldet wurde, beftand feine Antwort darin, daß er voller 
Entrüftung die große Standarte der Ligue von feiner Galeere herab» 
reißen und dafür das Banner Caſtiliens aufhiften ließ. **) 

Soldyergeftalt war dad Ende der heiligen Ligue, auf weldye Kon⸗ 
ftantinopel zu befiegen und Baldftina wieder zu erobern Pius der Fuͤnfte 
fo ficher gezählt hatte. Philipp konnte jegt den Krieg in die Gegend 
verlegen, bie er vorgezogen hatte. Deßhalb befchloß er, eine Erpedi⸗ 
tion nad) der Küfte der Berberei zu fenden, 

Der zu einem Angriff auderfehene Platz war die blühende Stadt 
Zunis, die Heimath manches Korfaren, der auf den Handel des Mit⸗ 
telländifchen Meeres Jagd machte. Es war im denkwuͤrdigen Feld⸗ 
juge von 1535 von Karl dem Bünften genommen, aber feitdem von 


— |— an m 


*) Der Vertrag flieht in Dumont, Corps Diplomatique, Bd. V, Theil I, 
©. 218 und 219. 


**) Rosell, Historia del Combate Naval, &. 149. — Cabrera, Filipe Se- 
gundo, ©. 747. — Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 95. 





112 iftes Kapitel. 


ben Moslems zurüderobert worden. Die Spanier behaupteten ſich 
jeboch noch im Beflge der Rarfen Feſtung der Boletta, welche die Zus 
gänge von Tunis uͤberſchaute. 

In den letzten Septembertagen 1574 verließ Don Juan an ber 
Spige einer Klotte von ungefähr hundert Galeeren und beinahe eben 
fo vielen kleinern Bahrzeugen die Küften Siciliens. Die Zahl feiner 
Truppen belief fi auf nicht weniger, al® zwanzig taufend.*) “Die 
Sefchichte des Feldzuges iſt kurz. Die meiften Einwohner von Tunis 
flohen aus der Stadt. Die Wenigen, welche dablieben, beeilten ſich 
nicht, dadurch, daß fie den Spaniern Widerſtand leifteten, den Krieg 
über ihre eignen Häupter zu bringen. Ohne daß Don Juan nur einen 
einzigen Schuß abgefeuert hatte, zog er an der Spitze feiner Bataillone 
durch die zu feinem Eimpfange geöffneten Ihore der Stabt ein. Ihn 
erwartete eine reiche Beute: — beinahe funfzig Stüde Artillerie nebſt 
Munition und Mititärvorräthen, große Duantitäten Getreide, Baum- 
wolle und wollene Tuche, reiche Seidenftoffe und Brofate, nebft vers 
ſchiedenen andern Arten köftlicher Kaufmannswaaren. Die Truppen 
brachten über eine Woche mit der Plünderung ded Plaged zu. **) 
Kurz, fie fanden Alles, nur feinen Ruhm, weil da, wo man feine 
Hinbernifle zu überwinden hatte, wenig Ruhm zu gewinnen war. 

Don Juan ertheilte den Befehl, daß man die Einwohner nicht an 
ihrem Leibe beichädigen ſollte. Er verbot, irgend welche zu Sklaven 
zu machen. Durdy eine Proklamation verficherte er Alle feines Schutzes 
und lud fie ein, in ihre Wohnungen zurüdzufehren. Sein Betragen 
war aber in einer Hinficht merkwuͤrdig. Philipp hatte, weil er ber 
jährlichen Ausgaben, die ihm die Unterhaltung des Schloſſes der Go⸗ 
letta koftete, überdrüfflg war, ihm anempfohlen, wo nicht pofitiv ges 
boten, den Platz der Feftungswerfe zu enifleiden und auf gleiche 
Weiſe die Kortififationen von Tunis zu zerftören. **) Anftatt diefe 


*) Vanderbammen, Don Juan de Austria, Fol. 172. 

**) Cabrera, Filipe Segundo, S. 765. — Vanderhammen, Don Juan de 
Austria, Fol. 174 und 175. — Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 103 f. — 
Der zulept erwähnte Autor, welcher mit bei der Binnahme von Tunis anweſend war, 
entwirft ein ſchreckliches Bild von der Habgier der Soldaten. 

.) Gewöhnlich nennen es die caſtiliſchen Schriftlellee den unbedingten 


Der Türtenfrieg. 113 


Inftruetionen zu beachten, ließ Don Juan, gleich nachdem er ſich im 
Befige der Hauptftadt ſah, Goletta vollfiändig reftauriren und zu glei- 
cher Zeit in der Stadt eine ſtarke Feftung errichten. Diefe Arbeit über: 
trug er einem italienifhen Ingenieur, Ramend Gerbilloni, einem Mals 
teferritter , und ließ ihm adyttaufend Soldaten zurüd, bamit er fie bei 
der Errichtung der Forts verwendete und als Garnifon zur Vertheidi⸗ 
gung beflelben gebrauchte. 

Den Don Juan fol zu biefer Handlung fein Sekretär Juan de 
Soto bewogen haben, ein Mann von vielen Fähigkeiten, ber aber ein 
intriganted Weſen befaß und in feinem Herrn jene ehrgeizigen Ent- 
würfe, zu welchen ihn, wie wir fahen, Pius der Fünfte ermuthigt 
hatte, nährte. Kein paflenderer Ort fchien fidy zu einem SHerrfcherfige 
darzubieten, ald Tunis, — eine blühende Hauptſtadt, um die ein 
volkreiches und fruchtbares Gebiet lag. Philipp war fchon vor dem 
von De Soto audgeübten ungelunden Einflufie gewarnt worden. Das 
ber fuchte er ihn jept aus der Nähe ſeines Bruders zu entfernen, in⸗ 
dem er ihm eine hohe Stelle in der Armee gab und einen Andern zur 
Erſetzung feiner Stelle ſchickte. Diefer neue Sekretär war Juan de Es⸗ 
covedo. Allein, man fand bald heraus, daß der von Escovedo über 
den jungen Prinzen erlangte Einfluß fowohl größer, wie auch unbeil- 
voller, als derjenige feined Borgängerd, war. Die Wirren aber, 


Befehl Philipps. Cabrera, eine der beften Autoritäten, erzählt ums: „Mandis 
el Rey Catolico a Don Juan de Austria enplear su armada en la conquista de 
Tunez, i que le desmantelase, i la Goleta.* Bald nachher aber bemerft er: 
„Olvidando el buen acuerdo del Rey, por consejo de lisongeros determino 
de conservar la ciudad.“ (Filipe Segundo, ©. 763 und 764.) Aus diefer ge: 
meflenen Sprache läßt fich fchließen, daß der König feinem Bruder feine beflimmte 
Anficht mitgetheilt Hatte, daß aber diefelbe keinen jo unbedingten Befehl enthielt, daß 
Don Juan in der Sache nicht nach feinem eignen Urtheile hätte verfahren können. 
Die letztere Auffaſſung wird noch wahrfcheinlicher durch das Faktum, daß im naͤch⸗ 
len Fruͤhjahr zwifchen dem Könige und feinem Bruder eine Koͤrreſpondenz Ratt- 
fand, worin der erftere, nachdem er bie Gründe für und gegen die Gntmantelung 
der Feſtung Tunis angeführt hat, damit fchließt, daß er die Entſcheidung der Frage 
Don Juan felber überläßt. „Representadas todas estas dificultades, manda re- 
mitir 8. M. al Senor Don Juan que El tome la resolucion que mas convenga.“ 
— Documentos Ineditos, Bd. IH, ©. 139. 
Prescott, Geſch. Bhilixp's il. V. 8 











114 Ciftes Kapitel. 


welche aus biefer neuen Freundſchaft entfprangen, follten, wie wir 
fpäter fehen werden, einige der dunfelften Seiten in der Geſchichte da⸗ 
maliger Zeit bilden. 

Nachdem der fpantfche Oberbefehlähaber für die Sicherheit feiner 
neuen Erwerbung geforgt und ferner bie freiwillige Unterwerfung ber 
benachbarten Stadt Biferta erlangt hatte, fehrte er mit feiner Flotte 
nad) Sieilien zurüd. Er landete zu Palermo unter bem Donner ber 
Kanonen, den Freubenrufen der Menge und den gewöhnlichen Feſtlich⸗ 
feiten, welche bie Rüdfchr eines fiegreichen Oberbefehlshabers ankün⸗ 
digen. Indeß war feines Bleibens in Sicilien nicht lange. Rad) 
dem er feine Flotte entlaffen hatte, begab er ſich nad) Neapel, wo er 
um die Mitte September landete. Er wollte den Winter in dieſer 
Haupiſtadt verbringen, wo das entzüdende Klima und bie Schönheit 
der Frauen, wie ein zeitgenoͤſſiſcher Gefchichtfchreiber fagt, ihm Reize 
boten, die naturgemäß feinem Alter zufagten. *) Seine Borliebe für 
Reapel wurde von den Einwohnern ihm reichlich vergolten, — befon- 
derö von dem lieblicheren Theile verfelben , deſſen Lächeln ber hochge⸗ 
ſchaͤtzte Lohn des Kriegerd war. Hatten fein glänzendes Aeußere und 
die Anmuth feiner Gefellfchaft jchon ihre Bewunderung erregt, als er 
zuerft unter ihnen erfchien als bloßer Abenteurer auf der Bahn ber 
Ehre: um wie viel mehr mußte nun biefe Bewunderung gewachſen 
fein, wo er mit der feine Stirne umftrablenden Ruhmesfrone **) als 
fiegreicher Vertheidiger der Ehriftenheit zurüdfam. 

Luftig verftrihen dem Don Juan die Tage in der Hauptfladt 
Süditaliens. Aber, wir würden ihm Unrecht thun, wollten wir vors 
ausfegen, daß er alle feine Stunden mit eitlen Tändeleien binbradhte. 
Im Gegentheil hatte er einen Theil des Tages zum Studiren beftimmt. 
Ein anderer Theil war den Gefchäftsfacyen gewidmet. Wenn er aus⸗ 


*”) „Porque la gentilera de la tierra i de las damas en su conversacion 
agtadaba a su gallarda edad.“ — Cabrera, Filipe Segundo, ©. 755. — Siehe 
auch Vanderhammen, Don Juan de Austria, Fol. 176. 

*) Halo of glory. — Halo bezeichnet ven Ring um Sonne und Mond, der 
auch corona und crown heißt. Wir haben daher halo, das nicht gut durch Ring 
zu geben war, durch „Krone“ überlebt. Eiche Ogilvie, The Imperial Dictionary, 
Artifel Halo. Anm. des Ueber. 


Der Türfenfrieg. 115 


ging, fuchte er die Gefellichaft ausgezeichneter Gelehrten oder berühm- 
ter Staatöleute. Bei feinem Umgange mit diefen Männern war bie 
von ihm an den Tag gelegte Würde durch Höflichfeit gemildert, waͤh⸗ 
rend feine Gefpräche jene hochfliegenden Beftrebungen offenbarten, 
welche bewieſen, daß fich feine Gedanken auf eine größere Höhe, als er 
bereitö erreicht hatte, richteten. Fuͤr jeden Beobachter war es Har, 
daß ber Ehrgeiz die bewegende Triebfeber feiner Handlungen war und 
baß er biefer jede Keidenfchaft, felbft die Vergnügungsfucht, gaͤnzlich 
unterordnete. 

Inmitten der Luſtharkeiten Neapels befchäftigten fich feine Ge⸗ 
danken damit, wie er fidy am beften fein afritanifches Reich verfichern 
könnte. Er fchiekte feinen Sefretär Escovedo an den Bapft ab und 
ließ denfelben um feine Verwendung bei Philipp bitten. Da Gregor 
dem Don Juan auf gleiche Weile, wie fein Vorgänger geneigt war, 
gewährte er freundlich die Bitte. Er jchidte, feinen Runtio an ben cas 
ftilifchen Hof, mit dem Auftrage, alled Mögliche zu thun, um das 
Geſuch des jungen Chef zu fördern und dem Könige die Verficherung 
zu geben, daß dem Haupte der Kirche Nichts willflommener fein könne, 
als zu fehen, daß ein Mann, welcher der Chriftenheit fo ausgezeichnete 
Dienfte geleiftet hätte, eine fo würbige Belohnung empfinge. Philipp 
nahm die Mittheilung in der gnädigften Weife auf. Er fagte, er wäre 
dankbar für das Intereſſe, welches der Papft an dem Geſchicke Don 
Juan's zu nehmen geruhte, und ficher würde Nichts feinem eignen 
Herzen angenehmer jein, ald wenn er im Stande fei, feinen Bruber 
nach Verdienſt zu belohnen. Es würde jedoch verfrüht fein, wollte 
man jest Etwas in der Sache thun. Er habe bie Nachricht empfan- 
gen, daß der Sultan große Rüftungen mache, um Tunis wieder zu ers 
obern. Ehe man es baher verfchenkte, müßte man doch wohl erft zus 
fehen, wem es gehörte. *) 

Die Nachricht Philipps war richtig. Kaum hatte Selim von 
dem Schickſale der Hauptftadt der Berberei gehört, fo machte er wun⸗ 
derbare Anftrengungen, um dieSpanier aus ihren Eroberungen wieder 


%) Ferreras, Hist. d’Espagne, ®b. X, ©. 286. — Vanderhammen, Don 
Juan de Austria, Fol. 178. 
g⸗ 


116 lftes Kapıtel. 


zu vertreiben. Er fammelte eine mächtige Kriegöflotte und ftellte fie 
unter den Befehl Uluch Ali's. Diefer Chef hatte als der Gebieter von 
Algier ein befonderes Intereffe, jede chriſtliche Macht daran zu verhin⸗ 
dern, daß fie ihren Buß in die Nähe feiner eignen Beſitzungen ſetzte. 
Den Befehl der Landmacht erhielt Sinan Paſcha, der Schwiegerfohn 
Selim’s. 

Anfang Juli fam die ottomaniſche Flotte bei der Berberaifüfe an. 
Tunis feste den Waffen der Moslems fo geringen Widerſtand emge⸗ 
gen, wie vorher den Waffen der Ehriften. Diefe Stadt war von dem 
einen Herrn fo oft auf den andern übergegangen, daß ſich die Ein- 
wohner beinahe gar nicht darum fümmerten, wem fie angehörten. 
Doch fanden bie Türfen mehr Schwierigkeit, dad Schloß der Goletta 
und das von dem tapfern Ingenieur Eerbelloni errichtete Kort, weldyes 
zwar noch nicht vollendet, aber doch ſchon weit vorgerüdt war, zu un⸗ 
terwerfen. Erſt in der Mitte September, nady einen unglaublichen 
Verluſte an Menfchenleben ſeitens der Angreifer, und nad) der Ber- 
nichtung von beinahe der ganzen ſpaniſchen Beſatzung ergaben fidy die 
beiden Yeftungen. *) 

Sobald der türfifche Beſehlshaber in ihrem Beſitz war, that er, 
was Philipp vergebens von feinem Bruder gewünfcht hatte. Er machte 
bie Seftung der Goletta dem Boden gleich. — Auf diefe Weile endigte 
der Feldzug, wodurd Spanien ſich, außer den unlängft gemachten Er- 
oberungen, des ftarfen Schlofled, welches feit der Zeit Karld des Yünf- 
ten jeben Angriff der Moslems su Schanden gemacht hatte, bes 
raubt fah. 

Man dürfte die ganz natürlicye Frage aufwerfen: Wo war denn 
Don Juan von Deflerreich dieſe ganze Zeit? Er war weder müßig ge 
weien, noch hatte er gleichgültig dem Berlufte des Platzes, welchen er 
mit fo großer Tapferkeit für Spanien gewonnen, zugefehen. Aber, ale 
er die erfle Nachricht von der Anweſenheit einer türfifchen Ylotte vor 


*) Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 116 ff. — Relacion particplar de 
Don Juan Sanogera, Ranuffr. 

Banderhammen fegt den Berluft der Mosiems auf dreißig taufend Todte an. 
“ (Don Juan de Austria, Fol. 189.) Dan fann aber, wenn die Ungläubigen in 
Betracht fommen, der caſtiliſchen Arithmetik nicht fehr trauen. 


Der Türfenfrieg. 117 


Tunis vernahm, befand er ſich anf einer Miffion zu Genua, oder beſſer 
in deſſen Nähe. Diefe Republif nämlich wurbe damals fo heftig durch 
innere Spaltungen zerrifien, daß fie am Rande eined Bürgerkrieges 
ftand. Das Unheil drohte fogar noch weiter um ſich greifen zu wollen, 
weiß die benachbarten Mächte, beionderd Sranfreid und Savoyen, fich 
anichieften, in dem Streite Bartei zu ergreifen, in der Hoffnung, in 
dieſem Staate ihre eigne Autorität aufzupflanzen. Zulegt mußte Phi⸗ 
lipp, welcher von feinem Bater den einigerinaßen unbeftimmten Titel 
„Protektor von Genua” geerbt hatte, fich bei dem Streite ind Mittel 
legen. Deshalb wurde Don Juan geichidt, um mehr in der Nähe die 
eiferlüchtigen Faktionen ins Auge zu faflen. Erſt, nachdem dieſer in 
nere Zwiſt einige Monate hindurd) gedauert hatte, gelang es dein ſpa⸗ 
niſchen Monarchen, bie feindlichen Parteien zu nerföhnen und auf dieſe 
MWeife die Republif vor den Schrednifien eines Bürgerfrieges zu bes 
mahren. ‘Philipp erntete gute Fruͤchte für fein gemäßigtes Verfahren, 
weil er durch baffelbe feine eigne Autorität im Rathe der Republif be 
hauptete und einen Verbündeten an ſich feflelte, defien Marine in 
Kriegszeiten feine Seemacht bedeutend veritärfte. *) 

Während Don Juan auf diefer figlichen Miffton zurüdgehalten 
wurde, that er fein Möglichftes für Tunis, indem er die Bicekönige 
von Sicilien und Neapel antrieb, den belagerten Befagungen unver: 
züglich Unterftügung zu fenden.**) Aber biefe Beamten fcheinen einen 
größeren Antheil an den Zwiftigfeiten Genua’s, als an den Schidjale 
der afrifanifchen Kolonien genommen zu haben. ©ranvelle, weldyer 
über Reapel gebot, follte fogar auf den zunehmenden Ruhm Juan’d 
von Oefterreich fo eiferfüchtig fein, daß er es nicht ungern fah, wenn 
die hochfliegenden Prätenfionen defjelben ein wenig gebemüthigt wurden. 
Die gefandten Berftärfungen waren dem Bedürfniß durchaus nicht ents 
Iprechend. *"*) 


*) ine kurze, aber fehr Flare Darftellung ter Wirren Genua’s findet man in 
San Miguel, Hist. de Filipe Segundo, Bd. N, Kar. 36. Die Sorgfalt, womit 
diefer verſtaͤndige Schriftfteller den Lefer mit den auf Spanien mehr oder minder dis 
reft einwirfenden zeitgenöfftfhen Ereigniſſen anterer Länder befannt zu machen 
ſucht, bildet ein charakteriftifches Verdienſt feiner Geſchichte. 
**, Torres y Aguilera, Chronica, Fol. 113. 
+) Wie uns Cabrera (Filipe Segundo, ©. 79%) und fein gewöhnlicher Nach⸗ 


118 Ciftes Kapitel. 


Sobald der des Verzugs überbrüffige Don Juan ſich von den 
Wirren Genua's losmachen konnte, fegelte er nach Reapel und feßte 
von da ſchleunig nach Sicilien über. Hier that er Alles, um eine 
Kriegsflotte zufammenzubringen, deren Oberbefehl er, trog bed Abs 
tathen® feiner Freunde, in eigner Perfon übernehmen wollte. Allein, 
nicht bloß die Menfchen, fondern auch die Natur war ihm entgegen. 
Ein Sturm zerftreute feine Flotte, und als er fie wieder zufammen 
hatte und unter günftigen Umftänden in die See geftochen war, trieben 
ihn widrige Winde von feiner Richtung ab, fo daß er Zuflucht im 
benachbarten Hafen Trepani fuchen mußte. Bier wurde er zurückge⸗ 
balten, bis ihn die Nachricht vom Falle von Tunis erreichte. Sie 
Ihrillte ihm unangenehm ind Ohr, denn fie fündigte ihm an, daß alle 
feine herrlichen Träume von einem afrifanifchen Reiche verſchwunden 
waren, wie das Luftgebilde einer morgenländiichen Erzählung. Alles, 
was ihm nody davon übrig blieb, war das Bewußtiein, daß er durch 
den Plan eines unabhängigen Fürſtenthums und durdy dad Nichtfchlei« 
fen der Feſtung der Goletta, deren unnüge Bertheidigung fo vielen 
tapferen Landsleuten von ihm das Leben gefoflet hatte, feinen Bruder 
beleidigt hatte. 


Obſchon aber den Don Juan diefe Nachricht Ärgerte, war feine 
Gemüthsart doch viel zu elaftiich, ald daß er in Schwermuth verfunfen 
wäre. Er war ein fahrender Ritter in jedem Sinne des Wortes. So 
innig, wie je zuvor, Flammerte er fich immer noch an die Hoffnung 
feft, daß er fich eines Tages mit feinem guten Schwerte eine unab⸗ 
haͤngige Herrichaft herausfchneiden werde. Der erfte Schritt, dadhte 
er, müßte in ber Ausföhnung mit feinem Bruder beftehen. Cr be 
ſchloß daher, obfchon er nicht dahin befchieden worden war, auf der 


beter Banderhammen (Don Juan de Austria, Fol. 184) berichtet, war der Haupt: 
grund der Rälte Granvelle'6 gegen Don Juan Neid wegen des Ruhmes, melden der 
Held von Levanto durch feine Eroberungen beides in der Liebe, wie im Kriege, ers 
worben hatte. „La causa principal era el poco gusto que tenia de acudir & 
Don Juan, in vidioso de sus favores de Marte i Venus.“ Wenn man den Stand 
tes Kardinals bedenkt, duͤrfte er nicht Recht gehabt haben, das Gluͤck Jemandes auf 
einem vieler beiden Gebiete zu beneiden. 


Zwölftes Kapitel. — Die innern Angelegenheiten Spaniens. 119 


Stelle an ben caftilifchen Hof zurüdzufehren:: denn er fah ein, daß ber 
wahre Weg nach Auszeichnung nach diefer Richtung führte. 


Zwölftes Kapitel. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens, 


Die innere Berwaltung Epaniens — Die abfolute Macht der Krone. — Die ki: 
niglihen Räthe. — Alba und Ruy Some. — Espinofa. — Die perfönlichen 
Gewohnheiten Philippe. — Der Hof und der Adel. — Die Cortes. — Die 
Barden Caſtiliens. 


Seitdem Philipp den Thron feiner Vorfahren beftiegen hatte, 
war jetzt eine Zeit von funfzehn Jahren, die lang genug war, um die 
Politik feiner Regierung an den Tag zu legen, verfloffen. Dieſer Zeits 
raum war. in der That länger, ald die ganze Regierungszeit einiger 
feiner Vorgänger. Im vorhergehenden Theile dieſes Werfes ift der 
Leſer hauptfächlic mit den äußeren Beziehungen Spaniens und mit 
Kriegdangelegenheiten befchäftigt worden. E8 ift jeßt Zeit, zu pau⸗ 
firen, und, ehe wir und von Neuem in die ftürmifchen Scenen der Ries 
derlande ſtüͤrzen, die innere Verwaltung des Landes, fowie den Cha⸗ 
rafter und die Volitif bes über daſſelbe herrichenden Monarchen, zu 
betrachten. 

Die wichtigfte Epoche in der caftiliichen Gefchichte, feit der gro- 
gen farazenifchen Invafton im achten Jahrhunderte, ift die Regierung . 
von Ferdinand und Iſabella, wo auf die Anarchie bie, Herrſchaft des 
Geſetzes folgte und aus den chaotijchen Elementen jenes fchöne Ges 
baͤude der Ordnung und fonftitutionellen Sreiheit, welches für die 
Ration eine neue Aera zu bilden verſprach, hervorging. Bei ber Ber- 
theidigung ihrer Rechte mußte Ifabella, der man diefe Revolution vors 
züglich beizumefien hat, ſich auf die Unterftügung des Volks verlafien. 
Natürlich mußte fie die Dienfte deffelben durch die Zurüdgabe der 
Volksrechte, befonderd aber derjenigen Rechte, weldye der habgierige 


120 Hwölftes Kapitel. 


Adel von Volke an fidy geriffen hatte, belohnen. In der That war 
es die offenbare Polltif der Krone, ben Hochmuth ber Ariftofratie zu 
bemüthigen und die anmaßenden Anfprüche derfelben in den Staub zu 
ziehen. Hierbei wurde fie von den Gemeinen fo wader unterftügt, baß 
der Blan vollfommen gelang. Durch die Niederhaltung der priviles 
girten Klaſſen und die Erhöhung des Volkes wurden die verjchiedenen 
Stände ftrenger innerhalb in Eonftitutionellen Gränzen gehalten: ſo 
daß fich der Staat damals mehr, ald in irgend einer vorhergehenden 
Periode feiner Gefchichte, einer gut balaneirten beichränften Monarchie 
näherte. 

Leider follte auf diefe glücliche Revolution eine zweite, fehr un« 
heifoolle, folgen. Karl der Fünfte, der feinem Großvater Ferdinand 
nadyfolgte, war feiner Geburt nad) ein Ausländer — und blieb ein 
Ausländer fein ganzes Leben hindurch. Er war den Gefühlen und 
Gewohnheiten der Spanier fremd, hegte wenig Ehrfurcht vor ihren 
Inſtitutionen und befaß eben jo wenig Liebe für bie Nation. Faſt un⸗ 
unterbrochen blieb er im Auslande, beichäftigte fich mit ausländijchen 
Unternehmungen, und das einzige Volk, weldyed er wirflich liebte, war 
das Volk der Niederländer, das Bolt feines Geburtslandes. Die 
Spanier bezahlten ihm dieſe Gleichgültigkeit im vollen Maße zurüd. 
Sie fahen ein, daß auf fie die Glorie des kaiſerlichen Namens feinen 
Glanz ſtrahlte. Indem fie alfo ihm von Herzen fremd waren, ließen 
fie ſich, als er ihre Rechte verlepte, leicht zur Empörung hinreißen. 
Die Infurreftion ging fehl, und der Schlag, welcher die Aufſtaͤndiſchen 
auf der Ebene von Billalar niederwarf, beraubte fie auf immer ber wes 
nigen Freiheiten, die fie bisher hatten behalten dürfen. Sie wurden 
von allem Antheil an ver Regierung audgefchloffen und von nun an 
bloß in die Cortes berufen, damit fie bein Erbprinzen ber Huldigungs⸗ 
eid leiſteten oder ihrem Herrn Hülfdmittel bewilligten. Allerdings 
durften fie dem Throne ihre Beſchwerden vorlegen; allein, fte befaßen 
nit die Madıt, Abftellungen von Uebelftänden zu erzwingen, denn 
Karl befolgte die fchlaue Despotenpolitit, daß er ihre Petitionen erft 
annehmen wollte, nachdem fie ihm die Gelder bewilligt hatten. 

Dem Abel, welcher bei dem Kampfe zur feinem Herm geftanden 
hatte, erging es nicht befler. - Er fand zu fpät heraus, wie kurzſichtig 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 121 


feine Bolttit geweſen, ald er fen Vertrauen auf Fuͤrſten geſetzt hatte. 
Snsfünftig konnte er fein nothwendiger Theil der Legislatur genannt 
werden. Denn, dba er auf feinem Rechte beharrte, daß er vom Bei⸗ 
tragen zu den Staatdlaften ausgenommen wäre, konnte er am Steuer⸗ 
bewilligen nicht theiimehmen; weil leßtered aber beinahe der einzige 
Grund, warım die Cortes zufammenfamen, war, fo war die Anwefen⸗ 
heit des Adels nicht länger erheiſcht. Anftatt der Befugnifie, die den 
Adeligen von Ferdinand und Iſabella unangetaftet gelaflen worden 
waren, wurden fie jetzt mit hochklingenden, leeren Titeln oder mit Aem⸗ 
tern in der Umgebung des Monarchen amüfirt. Auf dieſe Weiſe fans 
fen fie grabmeife zu einem unwefentlichen, aber fchimmernden Hofge- 
pränge herab. Mittlerweile maßte ſich die Regierung Caſtiliens die 
Befugniß an, ſowohl die Geſetze zu machen, ald aud) die VBollziehung 
berfelben durchzuführen, und wurde dadurch ihren weientlichiten Sei» 
ten nach beinahe eben fo abfolut, wie die Regierung ber Türfei. 

Dergeftalt war der riefige Despotismus , welcher bei dem Tode 
Karls auf die Hände Philipps ded Zweiten überging. Der Sohn 
hatte viele Eigenschaften mit dem Bater gemein. Aber unter ihnen 
befand ſich nicht der raftlofe, nach fremder Eroberung trachtende Ehr⸗ 
geiz, welcher unaufhörlich den Kaifer anflachelte. Auch trieb ihn nicht, 
wie feinen Bater, die Ruhmfucht zu feiegerifchen Thaten. Er hatte 
ein zu träges Temperament, um fich leicht auf große Unternehmungen 
einzulaffen. Er war vieler Anftrengung fähig, doch mußte biefelbe 
mit einer figenden Rebensweife verbunden fein. Ste gehörte aljo mehr 
dem Kabinet, als dem Zeldlager, an. Sein Trachten war von Haule 
aus frieblicher Natur, und er hatte bis zu der Periode, bei welcher wir 
jest ſtehen, keine andern Kriege unternommen, als foldye, in welche er 
burdy den Aufftand feiner Bafallen in den Riederlanden und in Gra⸗ 
nada gezogen, ober weiche ihm durch Umftänbe, über welche er keine 
Macht befaß, anfgezwungen worden waren. Hierher gehörte der 
Krieg mit dem Papfte und der franzöftfchen Monarchie im Anfange 
feiner Regierung. 

Während es aber dem Philipp weniger, ald Karln, nad) fremden 
Eroberungen gelüftete, hielt er ganz eben fo feſt an den Beflbungen 
und der Macht, welche durch Erbfchaft auf ihn gekommen waren. Auch 


1223 Zwölftes Kapitel. 


war ed nicht wahrfcheinlich, daß unter feiner Regierung bie königliche 
Prärogative eine Berringerung erleiden, oder daß ed bem Abel ober 
den Gemeinen erlaubt werben würde, einige Borrechte, die fie unter 
feinen Vorgängern verloren hatten, wieber zu erlangen. Sie zollten 
ihm nicht allein Verehrung, fagt der venetianifche Geſandte Eontarini, 
fondern refpeftirten feine Gefeße wie etwas Heiliges und Unverlep- 
iched.*) Es war das Bolf der Niederlande, welches gegen ihn aufs 
ftand. Gerade aus ähnlichen Grimden war das Umgekehrte mit Karl 
der Fall geweſen. Seine flamänbifchen Landsleute blieben ihm getreu 
bis zulegt, und ed waren feine caftilifchen Unterthanen, bie gegen ihn 
zur Rebellion getrieben wurden. 

Wenngleich Philipp an der einmal befefienen Macht feftbielt, bes 
faß er gleichwohl nicht das innere Bewußtfein feiner Stärfe, welches 
feinen Bater gleichfam ohne alle andere Beihülfe in den Stand feßte, 
fo lange unter der Laft der Herrfchaft auszuhalten. Die gewohnte 
Vorfichtigfeit feined Sohnes machte denfelben vor bedeutungsvollen 
Schritten bange, fobald er nicht vorher die Meinung Anderer darüber 
vernommen hatte. Doch war er nicht Willens, wie feine Borgängerin, 
die gute Königin Iſabella, die Mitwirfung der Cortes anzurufen und 
auf diefe Weife in einem Regierungsarme, weldyer fo lange ſchon an 
‚der Gicht gelitten hatte, dad Bewußtſein der Stärfe wach zu madhen. 
Ein derartiger Ausweg war mit zu viel Gefahr verfnüpft. Er fand 
einen Erfag dafür in den verfchiedenen Räthen, deren von ber Krone 
ernannten Mitglieder, bie zu jeder beliebigen Zeit von ihm wieder ab» 
gefegt werben konnten, die Prärogative zu unterflügen verpflichtet 
waren. 

Unter Ferdinand und Iſabella waren diefe Räthe vollftändig res 
organifirt worden. Um ber erweiterten Ausbehnung bed Reiches zu 
genügen, war ihre Zahl unter Karl dem Fünften vergrößert worden. 
Unter Philipp ward fie noch mehr vermehrt. **) Unter ihm gab es 


*) „Questa opinione, che di lui si ha, rende le sue leggi piü sacrosancte 
et inviolabili. — Relazione di Contarini, Ranufft. 

*) Bin Manuffript mit dem Titel: „Origen de los Consejos, * welches weder 
ein Datum, noch den Namen des Verfaflere trägt und in der Bibliothek von Gir 


— — 


— — — X 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 133 


nicht weniger, als elf Räthe, worunter beſonders die des Krieges, der 
Binanzen, der Juftiz und des Staates erwähnt werben fönnen.*) Bon 
biefen verſchiedenen Körpern ftand vorzüglich ber Staatsrath, welcher 
mit den wichtigften Interefien der Monarchie betraut war, in ſehr 
hohem Anfeben. Die Zahl feiner Mitglieder war verfchieden. Zu 
der Zeit, bei welcher ich jest ſtehe, belief fie ‚fi auf fechszchn. **) 
Aber vie Hauptgefchäfte wurden von weniger, al& der Hälfte dieſer 
Zahl beforgt. Der Staatsrath beftand fowohl aus Geiftlichen, wie 
aus Laien. Unter den letztern befanden ſich auögezeichnete Juriften. 
Eine Mifchung weltlicher und geiflicher Elemente fonnte man wirflich 
in den meiften Räthen finden. ***) Philipp ahmte hierin die Politik 
Kerdinands und Iſabellens nach, die auf diefe Weife den Stolz der 
großen adeligen Herren zu bemüthigen und ſich mit einer getreuen 
Streiterfchaft, deren Dienfte zur Aufrechterhaltung der Prärogative 
von feinem geringen Vortheil waren, zu verfehen die Abficht gehabt 
hatten. 

Unter den Mitgliedern des Staatsraths kann man vorzüglich 
zwei, wegen der hervorragenden Stellung, welche fie darin einnahmen, 
hervorheben. Das waren ber Herzog von Alba und Ruy Gomez be 
Silva, Fürft von Eboli. Mit dem erfteren ift der Leſer gut bekannt. 
Seine großen Talente, feine ausgedehnte Erfahrung jowohl im bürger- 
lien, wie im militäriichen Leben, fein eiferner Wille und die Furcht⸗ 
lofigfeit, womit er ihn durchfegte, fogar feine Strenge und fein Hoch» 
mutb, welche feine Ueberlegenheit zu verfünden fchienen: kurz, Alles 


ſtempelte ihn zum Parteiführer (all marked him out as the leader 


of a party). 


Thomas Phillips vorhanden ift, gibt eine genaue Darftellung der verfchiedenen Räthe 
unter Philipp tem Zweiten. 

*) „Sono XI; il consiglio dell’ Indie, Castiglia, d’Aragona, d’inquisi- 
tione, di camera, dell’ ordini, di guerra, di hazzienda, di giustizia, d’Italia, 
et di stato.“ — Sommario del’ ordine ehe si tiene alla corte di Spagna circa 
il governo delli stati del B& Catholico, Manuſir. 

») Ebend. Das Datum diefes Manuffrivts. ift 1570. 

»9 Das Englifche, welches wir nicht ganz wörtlich wiedergeben, heißt: „A 
sprinkling ofmen of the robe, indeed, was to be found in most oft the 
oouncils. * Ann. des Ueberſ. 


1248 Zwoͤlftes Kapitel. 


Der Kaifer icheint dad Uebergewicht, weldyed Alba eined Tages 
über Bhilipp erlangen konnte, gefürchtet zu haben. „Der Herzog“, 
fchrieb Karl in einem fchon angezogenen Briefe an feinen Sohn, „ift 
der fähigfte Staatsmann und befte Soldat, ben ich in meinem Reiche 
befite. Ziehe ihn vor Allem in militärischen Angelegenheiten zu Ratbe. 
Aber verlaß Dich nit auf ihn vollig in diefen und in andern Dingen. 
Verlaß Dich auf Niemand, als auf Dich felber.” Diefer Rath war 
gut, und Philipp machte ihn fich zu nuge. Wenn er immer die Mei» 
nung Anderer befragte, geichah es gleichwohl nur, um jeine eigne An» 
focht um fo befier bilden zu köͤnnen. Er war zu eiferfüchtig auf feine 
Macht, ald daß er fich unter die Aufficht, oder gar unter die Leitung 
eines Andern geftellt hätte. Obwohl der König vor Alba, auf defien 
Dienfte er den größten Werth legte, alle Achtung hegte, fcheint er ihm 
nichtsdeſtoweniger nur in geringem Grade die perfönliche Zuneigung, 
die er gegen Ruy Gomez, den Rival deffelben, bewies, geichenft zu 
haben. 

Rım Gomez ſtammte aus einem alten portugieflfchen Haufe, von 
welchem ein Zweig nad) Gaftilien verpflanzt worden war. Er war 
frühzeitig al8 Page in den kaiferlihen Haushalt aufgenommen wor, 
den, wo feine Liebensmwürbdigfeit (obwohl er einige Jahre älter, als 
Philipp, war,) und feine einnehmenven Sitten, vor Allem aber ber 
Takt, welcher im fpäteren Leben fein ®lüd begründete, ihn bald zum 
Lieblinge bed Prinzen machten. Aus diefer Zeit wird von ihm eine 
Anefdote erzählt, die zwar ſchwer zu glauben ift, aber doch aus einer 


achtenswerthen Autorität herrührt. Während beide mit einander fpiele 


ten, fchlug der Page unverſehens den Prinzen. Der hierüber jehr er⸗ 
zürnte Kaifer dachte, daß eine folche dem Kronprinzen angethane Un⸗ 
ehre allein mit dem Blute des Beleidigers abgewaſchen werden Fönnte, 
und verurtheilte den unglüdlihen Jüngling zum Tode. Philipp er- 
weichte durch Thränen und Bitten zuletzt das Herz feined Vaters in 
fo weit, daß diefer einmilligte, die Todesftrafe in Berbannung zu vers 
wandeln. Man kann fürwahr fchwerlich glauben, daß Karl jemale 
im Emfte fein graufames Urtheil zu vollftreden gevaht. Das Eril 
währte nicht lange. Die Gefellichaft bed Gomez war für den Prinzen 
unentbehrlich geworden, io daß berfelbe, da ihn die Trennung beftig 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 125 


ſchmerzte, zuletzt feinen Bater dazu vermochte, den jungen Mbeligen 
zurüdzurufen und ihn wieder in feine frühere Stellufg im Palafte ein- 
zuſetzen. *) 

Philipp liebte die Veränderung nicht: daher fehlen feine Zunei⸗ 
gung zu Gomez mit den Jahren zuzunehmen. Bir finden den Ruy 
Some; in dem glänzenden Befolge, weiches Philipp, als er, um die 
englifche Königin zu heirathen, nad) London ging, dorthin begleitete. 
Rad) der Abdanfung des Kaiſers fuhr Ruy Gomez fort, im Haushalte 
Philipps, als der erfte Kammerherr, einen heroorragenden Rang ein» 
zunehmen. In Bolge diefed Amtes mußte er bei feinem Herrn gegen- 
wärtig fein, ſowohl wenn biefer aufftand, als wenn er ſich zur Rıthe 
begab. Seine-Stellung verfchaffte ihm zu jeder Stunde augenblid- 
lichen Zutritt beim Könige. Bald fah man ein, daß es bei Hofe Nies 
manbden gab, der über den Monarchen einen bebeutenderen Einfluß 
ausübte; ed war daher natürlich, daß ihn Bittfucher ald den Vermitt⸗ 
ler, burch den fie ihre Petitionen vorbrachten, erwählten. **) 

Mittlerweile wurde er mit den einträglichften Ehren freigebig be⸗ 
dacht. Philipp madıte ihn zum Herzoge von Paftrafia mit einem 
Einfommen von fünf und zwanzig taufend Kronen, was, wenn man 
ven damaligen Geldwerth bebenft, ein großer Gehalt war.. In ber 
Folge ging der Titel Paſtrana im Titel Eboli auf, unter dem er von 
nun an fortwährend befannt war. Diefer Titel rührte von feiner Bers 
heirathung mit der Bürftin von Eboli, Anna de Diendoza, her, einer 
Dame, bie viel jünger, ald er, war und, wenngleich auf dem einen 
Auge blind, eben fo fehr wegen ihrer Schönheit, als wegen ihred Ver⸗ 
ftandes berühmt war. Noch mehr berühmt war fie wegen ihrer ver- 
liebten Abenteuer und wegen ber tragifchen Refultate, wozu biefelben 

führten: ein Gegenftand, auf den ich, weil er mit ber Privatgeſchichte 
Philipps eng verfnüpft iſt, ſpaͤter zurüdfommen werde. 


9 Relazione di Badoer, Manuffr. 

**) Badoer erzählt uns, daß man, um feinen Einfluß auf den König zu bezeich- 
nen, ihn anflatt Ruy Gomez fcherziweife Rey Gomez nannte. „Il titolo principal 
che gli vien dato & di Rey Gomez e non Ruy Gomez, percht pare che non sia 
stato mai alcun privato con principe del mondo di tanta autoritä e cosi sti- 
mato dal signor suo come elgi & da questa Maestä.“ — Belazion, Manuifr. 


126 Zwölftese Kapitel. 


Außer feinen andern Würden wurde Gomez zu einem Mitgliebe 
des Staatsraths gemacht, wo er, um bad. Wenigfte zu fagen, einen 
Einfluß, der demjenigen feines feiner Kollegen nachſtand, ausübte. 
Sein Olüf machte ihn nicht übermüthig. Er ließ nicht, wie mandher 
ihm vorhergegangene Günftling, fein zur hoͤchſten Blüthe entfaltete® 
Glück vor der Welt fehen, noch erregte er, obichon er einen feiner 
Stellung angemefienen Staat machte, durch die Pracht feiner Lebens⸗ 
weile die Eiferfucht feined Herrn, wie Wolfey, der den Glanz des 
Herricherhaufed verdunfelte. Anſtatt gegen Untergebene Anmaßung 
zu zeigen, war er gegen Alle herablaſſend, that alles in feinen Kräften 
Stehende, um ben Intereflen des Königs zu dienen und ſprach edel⸗ 
müthig von feinen Rivalen in Xobeserhebungen. Durch dieſe Ber- 
fahrungsmweife wurde ihm das für einen Günftling feltene gute Glüd 
zu Theil, daß er fowohl von feinem Könige fchmeichelhaft behandelt, 
als auch vom Volke geliebt wurde. *) 

Es liegt fein Beweis vor, daß Ruy Gomez den moralifchen Muth 
befaß, der unheilvollen Tendenz der Politik Philipps zu widerftehen, 
gefchweige denn, daß er gewagt hätte, dem Monarchen über feine Irr⸗ 
thümer die Augen zu öffnen. Er forgte viel zu fehr für fein eigenes 
Intereſſe, ald daß er fo etwas unternommen hätte. Vielleicht glaubte 
er auch, und zwar allem Anfcheine nach mit gutem Grunde, daß ein 
derartiger Verfuch wenig bei dem Könige ausrichten und ihn felber 
ruiniren würde. Er hatte fein Leben in der Atmofphäre eines Hofes 
zugebracht und den bort vorhandenen Eigennug eingejogen. Da er 
ben Charakter feined Herrn gründlich fludirt hatte, paßte er ſich allen 
Launen beffelben mit einer Geſchmeidigkeit an, die feinem Anvenfen 
wenig zur Ehre gereicht. Der Herzog von Alba, welcher ihn mit dem 
vollen Hafle eined Rivals haßte, machte über ihn nad) feinem Tode 
die Bemerkung: „Wenngleich Ruy Gomez nicht der größte Staates 


*) Cabrera, Filipe Segundo, &. 712 und 713. 

Cabrera hat uns in dem erſten Kapitel des zehnten Buches feiner Geſchichte 
ein vollendetes Bild des Ruy Gomez geliefert, das fich hinfichtlich der Feinhbeit des 
Unterfcheidene und der Trefflichkeit des Ausdrucks mit den beften Brzeugniflen der 
caſtiliſchen Geſchichtſchreiber mefien fann. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 127 


mann aller Zeiten war, war er boch in der Kenntniß ber Launen und 
Neigungen der Könige ein fo großer Meifter, daß wir im Vergleich mit 
ihm Alle Rarren waren.“ *) 

Indeß war der Einfluß des Günftlings im Ganzen genommen 
gut. Ruy Gomez war menfchlich und freigebig geſinnt und zum Frie⸗ 
den geneigt: beſaß alfo Tugenden, melde in diefem eifernen Zeitalter 
nicht häufig waren und im Rathe fehr ber geftrengen Politik Alba's 
entgegenwirfen halfen. Die Leute einer ebelmüthigen Denfungsart 
ftellten ſich gewöhnlich unter feine Bührerfchaft. Als Juan von Oefters 
reich nach Hofe fam, trieb ihn feine edle Gefinnung ſogleich zum An: 
Iehnen an Ruy Gomez als feinen Freund und Berather an. Der 
zwifchen Beiden gepflogene. Briefwedhfel, in dem der junge Soldat auf 
feinen Feldzügen den Günftling mit der Bezeichnung „Vater“ anrebete, 
ihm feine Irrthümer befannte und ihn um Rath erfuchte, if} für fie 
beide ehrenhaft. 

‚Der Gefchichtichreiber Cabrera, welcher ihn häufig gefehen hatte, 
faßt den Charakter ded Run Gomez in den Worten zufammen: „Er 
war ber erfte Steuermann, welcher auf diefen ftürmifchen Meeren fos 
wohl ficher lebte, als auch ficher flarb, indem er immer einen geborges 
nen Hafen zu finden wußte.”**) Sein Tod erfolgte im Juli 1573. 
„Im Leben”, fügt der genannte Schriftfieller in feiner Weife hinzu, 
„erhielt er fi) die Gunſt feines Fürften, — im Tode wurde er von 
bemjelben betrauert, — betrauert von der ganzen Nation, welche fi) 
feiner erinnerte ald des Worbildes getreuer Bafallen und kluger 
®ünftlinge. * ***) 

Außer den beiden Fuͤhrern des Rathes verdienen noch zwei andere 


*) „El senor Ruy Gomez no fué de los mayores consejeros que le habido, 
pero del humor y natural de los reyes le reconozco por tan gran maestro, que 
todos los que por aqui dentro andamos tenemos la cabeza donde pensamos 
que traemos los pies.“ — Bermudez de Castro, Antonio Perez, Madrid 1841, 
©. 28. 
**) „Fue Buy Gomez el primero piloto que en trabajos tan grandes vivi y 
murid seguro, tomando siempre el mejor puerto.“ — Cabrera, ©. 713. 

”*#) „Vivo conservd la gracia de su Rey, muerto le dolid su falta, i la 
llord au Reyno, que en su memoria le & conservado paro exemplo de fieles va- 
sallos i prudentes privados. de los mayores Principes.* — &bend. wie oben. 


128 Zwoͤlftes Kapitel. 


Mitglieder deffelben unferer Erwähnung. Einer von ihnen war Graf 
Figueroa, der fpäter von Philipp zum Herzoge von Feria — zum fpa- 
nischen Granden — gemacht wurde. Er war einer von denen, welche 
den König bei feinem erften Befuche nach England begleiteten. Er 
heirathete dafelbft eine Dame von Stande unb repräfentirte nachher, 
wie fich der Leſer erinnern wird, feinen Her am Hofe der Elifabeth. 
Er war ein Mann von ausgezeichneten Fähigkeiten, die noch bereichert 
wurden burch feine auf Reifen im Auslande und durch den Aufenthalt 
an Höfen erworbenen praftifchen Kenntnifie. Seine Lebensweile war 
fo prächtig, daß er etwas fehr feine großen Landgüter in Schulden 
ftedte. Er befaß einen Ichönen Körper und ſeine höflichen, verfeiner- 
ten Manieren machten ihn zu einer der glänzendften Zierden ber Eönig- 
lichen Umgebung. Er hegte ein wahrhaft ritterliched Ehrgefühl, und 
der König, welcher ihn als Kapitän feiner fpanifchen Garde in feine 
unmittelbare Nähe z0g, achtete ihn fehr hoch. Feria war ein warmer 
Unterftüger des Ruy Gomez; doch fcheint die zwifchen diefen beiden 
Areligen beftehende Breundfchaft durch den Neid und die Eiferfucht, 
welche zwifchen um die Gunft ihres Fuͤrſten buhlenden Rinalen fo oft 
entipringen, nicht getrübt werben zu fein. 

Das andere Staatsrathömitglied war ein noch wichtigerer Mann. 
Es war der Kardinal Edpinofa, der zwar ein Geiftlicher war, aber 
wit den Staatsaugelegenheiten befier, als die meiften Laien, befannt 
war. Das Auge Bhilipps entdeckte fchnell die ungewöhnlichen Bes 
fähigungen deflelben, weshalb er auf ihn in rafcher Aufeinanderfolge 
Stellen häufte, von benen eine jede für fich feine ganze Zeit hätte bes 
anfpruchen fünnen. Aber Espinofa liebte die Anftrengung eben io 
fehr, wie die meiften Menfchen die Gemächlichkeit lieben; daher er im 
einer jeden Stellung nicht allein die ihn zufommende Arbeit, fondern 
auch fehr häufig diejenige feiner Kollegen verrichtete. Er wurde zum 
Präftdenten des Rathed von Caſtilien, fomie zu dem des indiichen 
Rathes und endlich zu einem Mitglieve des Staatörathed gemadt. 
Er war Generalinquifttor, faß in der föniglichen Kanzlei von Sevilla 
und beſaß dad Bisthunm Siguensa, einen der reichften bifchöflichen 
Stühle des Königreiches. Um das Maß der Ehren voll zu machen, 
ertheilte ibm 1568 Pius der Fünfte auf das Erfuchen Philipps den 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 129 


Kardinalshut. Der König Icheint an dieſer reißend fchnellen Erhebung 
Espinoſa's ein um fo größeres Vergnügen gefunden zu haben, weil, 
da Espinoſa einen verbältnißmäßig niederen Urfprung hatte, bie 
Höhe, auf welche er ihn erhob, die Adeligen um fo empfindlicher Ar- 
gern mußte. | 
“ Aber den Kardinal machten die Ehrenftellen übermüthig, was ja 
oft bei denen, die ploͤtzlich geftiegen find, der Fall it. Seine Macht: 
gier war unerjättlich, weßhalb er, fobald in einem feiner Departements 
eine Stelle leer wurde, fehnell bei der Hand war, um fie einem An- 
hänger von fich zu fihern. In diefer Beziehung gibt es von ihm eine 
Anekdote hinfichtlich eines Plages in der Kanzlei von Oranada, wel: 
cher durch den Tod des ihn befleidenden Beamten vafant geworben 
war. Sobald die Nachricht hiervon nad) Madrid gelangt war, hielt 
der königliche Stallimeifter Hernandes de Cordova, beim König darum 
an. Bhilipp antwortete, daß es zu fpät fei, weil er den Platz ſchon 
vergeben habe. „Wie foll ich das von Ew. Meajeftät verftehen ?” 
sagte der Bittfteller; „die Nachricht wurde mir durch einen Kourier im 
nämlichen Augenblide, wo die Stelle vafant wurde, überbradht, fo daß 
Niemand, außer wenn er Flügel gehabt hätte, fie fchneller hätte übers 
Hringen können.” — „„Das ift Alle recht gut,*" fagte der Monarch; 
„naber ich habe die Stelle fo eben an einen Andern, welchen mir der 
Kardinal beim Herausgehen aus dem Rathe vorfchlug, vergeben. ”"*) 
Espinoſa, fagt ein Zeitgenofie, befaß ein edles Ausfehen. Er 
fah aus, wie Einer, der zum Herrichen geboren if. Sein hochmüthi⸗ 
ges Betragen gefiel indeß den niederern Bewerbern wenig und empörte 
die großen adeligen Herren, welche mit Verachtung auf feinen niederen 
Urfprung berabblidten. Sie beflagten ſich über feine unerträgliche 
Anmaßung bei dem Könige, und diefer zeigte ſich nicht abgeneigt, ihre 
Beichwerden gegen Espinoſa anzunehmen. Yürwahr, Philipp felber 
hatte angefangen, über die Bräfumption feines Minifters ungehalten 
zu fein. Er war bed Reſpektes müde, den er jetzt dem Espinoſa, feit: 
dem derſelbe Kardinal geworben, beweifen mußte; denn er hatte ihm 


*) „Puede ser, pero el Cardenal Espinoss me consultö en saliendo del 
consejv, i provei la placa. — Gbend., S. 700. 
Brescott, Geſch. Philipps I. V. 9 


130 Zwoͤlftes Kapitel. 


beim Eintritt ind Zimmer entgegenzufommen, mußte vor dem Manz | 
der Kirche feine Kopfbedeckung abnehmen und ihm einen Sig anbieten. 
der eben fo hoch, wie der jeinige, war; endlich mußte er ihm erfauben, | 
in alle Aemterbefegungen fich zu mifchen. Es fchien unglaublich, jagt 
der Gefchichtfchreiber, daß ein auf feine Vrärogative fo eiferfüchtiger 
Fürft, wie Philipp, fo lange Alles das ertragen fonnte.*) Philipp 
warjegt entichloflen, es nicht länger zu ertragen, fondern den von ibm 
ſelbſt erhöhten Bögen von feiner folgen Stellung herabzuftürgen. 

Er verrieth weder durch Worte, noch durch Handlungen den Höfs 
fingen fogleich feine Abficht, noch weniger aber dem unglüdlicdyen Mi: 
nifter, der noch immer diejelbe Sicherheit und das nämliche Vertrauen, | 
als wenn er nicht auf der Rinde eined Bulfand, jondern auf feften 
Grunde ftände, offenbarte. 

Endlich bot ſich eine Gelegenheit dar, indem Espinoſa bei ber 
Diskuſſion über die Angelegenheiten der Niederlande eine Aufftellung 
machte, welche der König nicht für vollig wahrheitägemäß hielt. Eos 
gleich unterbrady Philipp den Minifter mit anfcheinend großem Zome 
und befchuldigte ihn der Unwahrheit. Diefer Schlag war um fo em 
pfindlicher, weil ınan wußte, daß derjenige, welcher ihn führte, sehr 
felten heftig wurde. **) Der Kardinal fühlte fih tavon ganz betäubt. 
Er ſah auf der Stelle feinen Ruin vor fih, und ihm war auf immer 
die Vifton des Ruhmes verfchwunden. Mehr todt, als lebentig, ent: 
fernte er fich nacı Haufe. Hier mußte er bald das Bert hüten und 
ftarb furz darauf im September 1572. Cr hatte das gleiche Geſchich, 
wie mehrere andere Minifter, die ebenfalls durch die von ihnen erklom⸗ 
mene Höhe ſchwindlich geworden waren. ***) 


. „Que en principe tan zeloso de su immunidad i oficio parecid inereible 
su tolerancia hasta alli.“ — &bend. wie oben. 

*) Der ungenanute Berfafler der aus der tamaligen Zeit ſtammenden Rela- 
zione fagt, Daß der König fih nicht von irgend einer Leidenſchaftlichkeit hinreiſen 
ließ. Er gebraucht die trefienten Worte: „E questo Re poco soggetto alle pa- 
sioni, venga ciö, o per inclinazione naturale, 0 per costume; e quasi non ap- 
pariscono in lui i primi movimenti nt dell’ allegrezza, n® del dolore, ne dell’ 
ira ancora.* — Manuffr. 

”*") „El Rey le hablö tan asperamente sobre el afinar una verdad, que le 
matd brevemente,“ fagt nachdruckavoll Gabrera. — Filipe Segundo, €. 6%. 





— — — — 


Die innern Angelegenheiten Spanien®. 131 


Mit Sicherheit fonnte man voraudfegen, daß unter den beiden 
großen PBarteiführern Alba und Ruy Gomez der Staatsrath über jede 
wichtige Frage getheilter Meinung fein würde, Dieſer Umftand gab 
Anlaß zu vielen Berlegenheiten und verurfachte befonders für die Bitts 
fteller ein unendliches Indilängeziehen. Die Parteifeindichaft ging jo 
weit, daß, wenn der Einreicher eines Geſuchs fich die Gewogenheit des 
einen Führers verfichert hatte, er ficher darauf rechnen konnte, daß er 
dem Uebelwollen des andern begegnen würde. *) Wer in foldyen Kreuz⸗ 
gewäflern **) nicht aus der Richtung fam, der mußte fürwahr ein tüch» 
tiger Steuermann fein. 

Doch Scheint Philipp dem Vorhandenfein diefer Epaltungen nicht 
entgegengetreten zu jein, weil er fie bloß für die natürliche Folge eines 
MWettftreited um feine Gunft anfah. Herner brachten fie ihm den 
Nugen, daß er jede wichtige Frage gut erörtert ſehen, und, indem fie 
ihm die entgegengelepten Meinungen feiner Räthe lieferte, darnach um 
fo forgfältiger feine eigne Meinung bilden fonnte. Zu gleicher Zeit 
bewirkte der Werth, welchen er ben beiden großen Führern beilegte, daß 
er fih in Acht nahm, nicht durch die Bevorzugung des einen ben ans 
dern Rival vor den Kopf zu ftoßen. Er hielt zwifchen beiden geichidt 
die Balange ein, fo daß_er, wenn er bei einer Gelegenheit dem einen 
eine Öunftbezeigung erwiefen hatte, gewöhnlidy eine Gunftbezeigung 
von dem gleichen Werthe für den andern folgen ließ.) Man kann 
alfo jagen, daß fie die erften zwölf Jahre feiner Regierung hindurch 
einen ziemlich gleichen Einfluß ausübten. Alsdann fam die benfs 
würdige Diskuſſion -hinfichtlicy der Reife ded Königs in die Niederlande. 


— —— — — — 


*) „Perch® chi vuole il favore del duca d’Alva perde quello di Ruy Go- 
mez, e chi cerca il farore di Ruy Gomez, non ha quello del duca d’Alva.* — 
Relazione di Soriano, Manuftr. 

**) So haben wir Cross-seas überfept. Daflelbe bezeichnet Meereöftellen, wo 
die Wogen durch einanter gehen. „Waves running across others,“ fagt Boag. 

Anmerf. des Ueberf. 

“) Manfe hat hiervon einige fehr paflente Beilpiele angeführt in einer in- 
tereflanten Skizze, welche er von den bezüglichen Stellungen dieſer beisen Staats: 
männer in dem Kabinette Bhilipps entworfen hat. — Ottoman and Spanish Em- 
pires (englifche Ueberſezung aus dem Deutſchen), ©. 38. 

9* 


132 Zwölftes Kapitel. 


Alba war, wie fich der Lefer entfinnen wird, der Anficht, daß Philip 
eine Armee fchiden, die Widerfpenftigen ftrafen und im Lande dadurd 
die Ordnung berftellen follte, worauf der König dad Land ohne Ge— 
fahr für feine perfönliche Sicherheit befuchen fönnte. Dagegen em 
pfahl Run Gomez an, dag Philipp fogleic; ohne Armee abreifen unt 


die Unzufriedenen durdy verföhnliche Maßregeln zu ihrer früheren Treue 


zurüdführen follte. Jeder rieth zu dem feiner eignen Geſinnungsweiſe 
angemefienften Verfahren, deſſen Ausführung zugleich feine eignen 
Dienfte erfordert haben würde. Unglüdlicherweile jagten die Ratb: 
Ihläge Alba’d dem geftrengen Weien des Koͤnigs mehr zu, fo daß ber 
Herzog an der Spitze eined Heeres abgelandt wurde. 


Hatte aber auch Alba hierin den Sieg gewonnen, ärntere dod | 
Ruy Gomez die Früchte deflelben. Indem er im Rathe ohne Rival 


zurückblieb, wurde fein Einfluß über den jedes andern Mitgliedes vor: 
herrichend. Diefer Einfluß wurde noch mehr gefräftigt, als fich heraue 
ftellte, DaB die Sendung feines Rivald verfehlt war. Auch Dauert 


er nad) der Rüdfehr Alba’ bis zum Tode des Günſtlings ununter 


brochen fort. Selbſt dann noch zeigte fih, daß feine Partei fo tiel 
Wurzel gefagt hatte, daß fie mehrere Jahre hindurch im Kabinet bie 
Oberhand hatte, indeß der Herzog in Ungnade Ichmadhtete. 
Unaͤhnlich den meiften feiner Vorgänger nahm Philipp felten im 
" Staatsrathe feinen Sig ein. Seine Marime war, das feine Minifter 
in der Abweſenheit ihred Herrn ungenirter, als wenn derfelbe fie durch 
feine Gegenwart einfchüchterte, tiber Maßregeln bisfutiren wuͤrden. 
Er ſchlug vas Verfahren ein, daß eine Gonfulta oder ein Ausſchuf 
von zwei oder drei Mitgliedern ihn im Kabinette die Aufvartung mas 
chen und die Verhandlungen ded Rathed mittheilen mußte.*) Roc 
öfter aber, und beſonders in feinen Ipätern Regierungsjahren, ließ ar 
ſich lieber einen vollen Ichriftlichen Disfuffionsbericht mit einem breis 
ten Rande, worauf er feine eignen Bemerkungen fchreiben Eonnte, ein: 
liefern. Diefe waren fehr bezeichnend für feinen Charafter, denn fc 


— — 





») „Non si trova mai S. M. presente alle deliberationi ne i consigli, ma 
dcliberato chiama una delle tre consulte . . . alla qual sempre si ritrova, onde 
sono lette le risolutioni del consiglio.“ — Relazione di Tiepolo, Monuifr. 


Die innern AngelegenBeiten Spaniens. 133 


waren fo genau, daß fie gewöhnlich mehrere Bogen Papier bededten. 
Philipp beſaß ein zurüdhaltendes, ungelelliges Weſen. Er arbeitete 
Lieber in der Abgeichlofienheit feines Kabinets allein, als in der Ge⸗ 
genwart Anderer. Died mag zum Theil den Grund enthalten, warum 
er dad Schreiben dem Sprechen fo fehr vorzog. Selbft mit jeinen 
Privatſekretaͤren, die er doch immer bei der Hand hatte, pflegte er 
ſchriftlichen Verkehr zu unterhalten, daher viefelben eine fo große 
Maſſe eigenhändig von ihm geichriebener Briefe befaßen, ald wenn es 
eine mit verichiedenen Theilen des Koͤnigreichs unterhaltene Korreſpon⸗ 
denz geweſen wäre.*) Auch kamen bei ihm die Gedanfen — wenig 
ftend die Worte, der Auspdrud derjelben — langfam hervor, weßhalb 
er beim Schreiben Zeit hatte, fie fund zu geben. 

Philipp ift der Trägheit angeklagt worden. . Diefe Anklage if, 
infoweit der Körper in Anbetracht fommt, fehr gut gegründet. Eelbft 
als er noch jung war, fand er, wie wir fahen, feinen ®efchmad an - 
den fräftigen, ritterlichen Bergnügungen damaliger Zeit. Nie leitete er, 
wie fein Vater, die militärifchen Erpeditionen in eigner ‘Berfon. Er 
hielt es für weifer, dem Beifpiele ſeines Großvaters, Ferdinands des 
Katholifchen zu folgen, indem er zu Haufe blieb und feine Generäle 
die Heere befehligen ließ. Ebenſowenig reifte er gern: wodurdy er zu 
dem Kaifer einen großen Gegenfaß bildete. Ehe er eine Reife nad) 
der großen füblichen Hauptftand Eevilla machte, hatte er ſchon Jahre 
lang auf dem Throne gefeffen. Die Cortes beflagten fidy darüber, 
daß er fich auf diefe Weiſe den Augen feiner Unterthanen entzog. Die 
einzige Ergögung, welcher er — aber feinedwegs bis zum Ausſchwei⸗ 
fen — nachhing, beftand darin, daß er mit der Flinte oder dem Bogen 
dasjenige Wild erlegte, welches er in feinen eignen Öchägen im Walde 
von Segovia, oder Aranjuez, ober auf feinen angenehmen Lands 
fchlöflern, die alle nicht weit von Madrid entfernt lagen, finden 
fonnte. 

Wenn er dergleichen Orten einen Beſuch machte, pflegte er, ale 
vb er ein armer, ums liebe Brot arbeitender Schreiber geweien wäre, 
einen großen Papierftoß mit fich zu nehmen, damit er fich nach dem 


*) Ranke, Ottoman and Spanish Empires, &. 32. 


134 Zwölftes Kapitel. 


Abmühen der Jagd in fein Kabinet zurüdzichen unt an Tepeichen m: 
holen konnte. *) %reilich würde es weit gefehlt fein, wollte mar ike 
geiftiger Trägheit besichtigen. Denn er fand bei feinen einiamen Ar 
beiten Luft daran, ftundenlang ſich abzumũhen und bie tief in Die Nacht 
hinein thätig zu fein.**) Niemals hatte man ihn lagen hören, Taf 
er müde oder ungetufdig fei. In biefer Beziehung erzählt man von 
ihm eine charafteriftifche Anekdote. Als er nämlich jpät in der Nadı 
eine Depeſche, die am folgenden Morgen abgeichickt werden jollte, ge 
fchrieben hatte, überreichte er fie feinem Eefretär, bamit er Sand bar: 
über ftreute. Diefer Beamte, der zufällig etwas genidt hatte und 
ploͤhlich fi ermunterte, ergriff aus Verfehen das Tintenfaß und geß 
ed auf das Papier aus. Nachdem der König troden bemerft hatte, 
„es wäre beſſer geweſen, dad Eandfaß zu nehmen“, jegte er ſich, ohne 
irgend wie zu fchelten, nieder und jchrieb ten Brief nochmale. ***) 
Man wird leicht begreifen, daß ein dem Echreiben jo ftarf zugethaner 
Fürft eine große Maffe eigenhändig gefchriebenen Materiald hinter: 
laffen mußte. Wirklich haben wenige Monarchen hierdurch To viel 
gethan, um die Geſchichte ihrer Regierung aufzuflären. Freilich wäre 
es für den Geichichtichreiber, der hieraus Nugen ziehen follte, gut ge: 
weien, wenn die föniglichen Schriften etwas weniger weitläufig ge 
halten und die Handfchrift etwas leferlicher wäre. 

Philipp ging mit der Zeit ſparſam um und verfuhr in der Ein- 
theifung derfelben mit großer Genauigfeit. Des Morgens ertheilte er 
den fremden ©efandten Audienz. Sodann hörte er tie Meſſe. Auf 
die Mefle folgte nach ver Weiſe feines Vaters das Mittagdefien. Aber 


*) „El dia que iva à caca bolvia con ansies de bolver al trabajo, como un 
‚oficial pobre que huviera de ganar la comida con ello.“ — Los Dichos 5 
Hechos, del Rey Phelipe II. (Brusselas, 1666), ©. 214. — Eiehe audı Rela- 
zione di Pigavetta, Muanuffr. 

**) Relazione di Vandramino, Dan. — Relazione di Contarini, Wan. 

„Distribuia las horas del dia, se puede decir, todas en los negocios quando 
yo lo conocf; porque aunque las tenia de ogio ü ocupaciones forgosas de su 
persona, las gastava con tales criados elegidos tan à proposito que quanto 
hablava venia à ser informarse mucho, descanso en lo que & otro costara nota 
y fatiga.“ — Anonymes Manuffript in ver Bibliethek ter Herzöge von Burgund. 

***) Dichos y Hechos de Phbelipe IL, &. 33% unt 340. 


| 


[7 
= 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. . 135 


das Mittagsmahl war für Philipp feine Sache von fo hoher Wichtig» 
feit, wie für Karl. Da er ſowohl im Efien wie im Zrinfen ungemein 
mäßig war, hatte er nicht felten den Leibarzt am feiner Seite figen, 
damit er ihn vor Speifen warnte, welche die Gicht, die in feiner Fa⸗ 
milie erbliche Kranfheit, die ſich bei ihm ſchon fehr frühzeitig eingeftellt 
hatte, beförderten. Nach einer kurzen Raft ertheilte er tenjenigen Un— 
terthanen, welche Gejuche einzureichen wünjchten, Audienz. Er ems 
pfing Gefuchfteller gnädig und hörte Alles, was fie zu fagen hatten, 
geduldig an. Denn die Tugend der Geduld beſaß er. Allein, dabei 
fah er sehr emit aus. Ernſt war fünvahr fein gewoͤhnliches Auss 
fehen, fo daß in feinem Benehmen eine Zurüdbaltung lag, welche den 
Kühnften in feiner Gegenwart ein unheimliches Gefühl empfinden ließ. _ 
In folden Ballen pflegte er wohl zu fagen: „Sammeln Sie Sich“; 
doc hatte diefe Ermahnung nicht immer den gewünfchten beruhigenden 
Effect.“) Als einftmald der päpftliche Nuntius in der Benvirrung 
die Rede, welche er auswendig gelernt hatte, nicht heriagen fonnte, . 
machte ihın der König die trocdene Bemerfung: „Wenn Eie mir’d ges 
jchrieben bringen wollen, werde ich es leſen und Ihnen Ihr Geichäft 
erleichtern. "**) Es war narürlid, Daß in der Gegenwart eined Mos 
narchen, welcher die Geſchicke ſo vieler Millionen Menichen in Häns 
den hatte und fich mit einem dem jchlaueften Bolitifer undurchdring- 
lichen, geheimnißvollen Schleier umgab, ſelbſt Männer von höchften 
Range eingefchüchtert wurden. 

Die jchon in feiner Jugend ftarf hervortretende Zurüdhaltung 
nahm mit den Jahren zu. Er wurde unzugänglicher. Seine öffent 
lichen Audienzen wurden jeltener. Während ded Sommers pflegte er 
ſich denjelben völlig zu entziehen, intem er ſich auf eines feiner Lands 
Ichlöffer zurüdzog. Sein Lieblingszufluchtsort war fein Klofterpalaft, 
der Escorial, der ſich damals unter feiner Patronage langjam erhob 
und ihm eine feinen Geſchmacke angemefiene Beichäftigung bot. Indeß 


— — — — — 


*) „A estos estando turbados, y desalentados, los animava diziendoles, 
Sossegaos.“ — Ebend., ©. 40. 


*) Diziendole si lo traeis escrito, lo ver&, y os hare despachar.* — 
Ebend. S. 41. 


136 Zwölites Kapitel. 


Icheint er den Aufenthalt auf dem Lande weniger aus Borliebe für vie 
Schönheiten deflelben , ald wegen der ihm dort gewährten Zurüdgezo> 
genheit geſucht zu haben. Bei feinem Aufenthalte in der Stadt zeigte 
er ſich ſelten den Bliden des Publifums, fuhr meiftend in einem zu- 
gemachten Wagen aus und blieb fo lange draußen, daB ed, wenn er 
in die Stadt zurüdfam Ichon dunfel war. *) 

Weil er auf dieje Weiſe felbRt inmitten der Hauptſtadt zuriidge- 
zogen lebte, kannte er die Menichen weniger aus eigner Beobadxung, 
al® aus den ihm gemachten Mittbeilungen. Im Benugen dieſer Ins 
formationsquellen war er unermüdlich. Er ließ ſich zu feiner Privat⸗ 
benugung eine ftatiftifche Ueberſicht von Spanien machen. Das war 
‚eine ungeheuer mühlame Arbeit und enthielt eine große Menge merk: 
würbdiger Aufichlüfle, welche in damaliger Zeit felten aufammengebradyt 
wurden.**) An den vorzüglichften Höfen Europa’s hielt er ſich feine 
Spione, die ihn mit Nachrichten verfahen, fo daß er mit den Borgäns 
gen in England und Frankreich dermaßen befannt war, ald ob er an 
Ort und Etelle gegenwärtig geweien wäre. Wir bemerften bereit® 
früher, daß er die Fleinften Vorfälle in den Niederlanden ganz genau, 
und manchmal befler, als Margarethe felber, fannte. Durch ähnliche 
Mittel verfchaffte er ſich Nachrichten, die er beim Belegen geiftlicher 
und weltlicher Stellen gebrauchen fonnte. 

Seine Wißbegierde bewirfte, daß er den Anflagen gegen jeine 
Minifter ein günftiges Ohr lieh, und daß ihm -diefelben, weil er fte 
ganz gewiß für ſich behielt, häufig gemacht wurden. ***) Sie erfüllten 
feine Seele mit Verdacht. Indem er wartete, bis die Zeit die Wahr⸗ 
heit derfelben bewieſen hatte, behandelte er die Perſon, welche fie bes 
ttafen, mit ausgezeichneter Huld, bis die Stunde der Rache gefommen 


*) Quando esce di Palazzo, suole montare in un cocchio coperto di tela 
incerata, et serrata a modo che non si vede. . . . Suole quando va in villa ri- 
tornare la sera per le porte del Parco, senza esser veduto da alcuno.“ — Re- 
lazione di Pigafetta, Manuffr. 

**) Ranke, Ottoman and Spanish Empires, &. 32. 

Inglis fagt, daß er bei feinem Befuche des Escorial dieſes Werk geichen hat. — 
Spain in 1839, ®r. I, S. 348. 

***) Ranke, Ottoman and Spanish Empires, ©. 33. 


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Die innern Angelegenbeiten Spaniens. 137 


war. Der Lefer wird ſich noch an den Ausipruch von Philipps eignem 
Geichyichtfchreiber erinnern: „Den Lächeln folgte bei ihm der Doldy 
ganz in ber Nähe.” *) 

Selbſt denjenigen Miniftern, in welche er am meiften zu vertrauen 
Ichien, ichenfte er fein Zutrauen bloß halb. Anftatt ihnen offen den 
vollen Thatbeftand zu liefern, gab er ihnen bisweilen eine fo unvolls 
fommene Aufklärung, daß feine Räthe, wenn feine Maßregeln zu voll» 
ziehen waren, darüber erftaunten, wie fehr fie im Finſtern gehaften 
worden waren. Wenn er ihnen irgend melche ausländische Depeſchen 
mittheilte, pflegte er Fein Bedenken zu tragen, das Original zu ändern, 
indem er, je nachdem es für ihn paßte, die einen Stellen audftridy, 
während er andere einfügte. In diefer heraudgerifienen, entftellten 
Geſtalt erhielt der Rath eine Abſchrift davon. Auf dieſe Art verfuhr 
er mit einem Briefe Don Juan's von Defterreich in Betreff der genuefi- 
hen Unruhen. Das Original dieſes Briefes mit zahlreichen, vom 
Könige eigenhändig gefchriebenen Abänderungen liegt jegt noch in den 
Archiven von Simanca® vor. **) 

Obgleich aber dad zum Berdacht geneigte Weſen Philipps ihn 
daran verhinderte, feinen Miniftern völlig zu trauen, obgleich er feine 
nächfte Umgebung durch falte Zurüehaltung von fich in einiger Ents 
fernung hielt: war er deſſenungeachtet gegen feine Diener nicht bfoß 
gütig, ſondern fogar freigebig, war nicht launenhaft und überließ ſich 
nur höchft feften den Ausbrüchen des Zornes, welche man fonft bei 
mit unbefchränfter Gewalt befleiveten Fürften fo Häufig finde. Da 
er im höchften Grade Geduld befaß, wechlelte er feine Minifter felten, 
ohne dazu einen guten Grund zu haben. Ruy Gomez war nicht ber 
einzige Höfling, welcher ſich im föniglichen Dienfte bis and Ende feis 
ner Tage erhielt. 

Philipp war mit ſeinem Gelde vorfichtig, oder, um die Wahrheit 
herauszufagen, haushäaͤlteriſch, eine Eigenichaft, die er zwar vielleicht 


*) Eiche gegen das Ente tes dritten Bandes. 

**) Lafuente, Historia de Espans, ®bd. XIV, ©. 44. 

Dieſer Geſchichtſchreiber theilt ung mit, daß er den urſpruͤnglichen Brief mit 
den von Philivp gemachten Abänterungen geiehen hat. 


138 Zwölftes Kapitel. 


von feinem Vater geerbt hatte, die aber nicht, wie das im fpätern Le⸗ 
bensalter bei feinem Vater der Fall war, in Snauferei ausartete. Ju, 
der Anfang feiner Regierung zeichnete ſich durdy einige Handlungen 
ungewöhnlicher Yreigebigfeit aus. So machte der König 3. DB. am 
Schluſſe der italienifchen Feldzüge Alba's dieſem Beldherrn ein Ges 
ſchenk von hundert und funfzig taufend Dufaten, worüber der Kaijer 
fehr ungehalten war. Freilich harmonirte das nicht mit jeiner gewöhn⸗ 
lichen Politif. Sowie er älter wurde und die Regierungdausgaben 
ihn härter bedrängten, wurde er ökonomiſcher. Doch Hatten jeine 
Diener nicht, gleich denen des Kaifers, Urfache, ihren Herrn farg zu 
ſchelten. Indeſſen bemerkte man, baß er diejenigen, welche ihm Dien- 
ten, nicht gleich belohnte, ehe fie fi der Belohnung würdig gezeigt 
hatten. Aber, ſagt ein Zeitgenoffe, wer nicht am Ente für jeine Dienfte 
gut bezahlt wurde, hatte es ſich felber zugufchreiben. *) 

In einem Buntte, nämlich in feinem Hofftaate, war er mit feinen 
Ausgaben verfchwenteriih. Dieſer war nach burgunpifchem Mufter 
gebilvet und fomit ber ftattlichfte und präcdhtigfte in ganz Europa. 
Seine Eigenrhümlichfeit beftand in der Zuhl und dem Range feiner 
Mitglieder. Die Hauptftellenträger deſſelben waren die vornehmſten 
Adeligen, weldye häufig jehr wichtige Staatsitellen befegt hielten. So 
war der Herzog von Alba der oberite Majordomus, der Fürſt von 
Eboli der erfte Kammerherr, ver Herzoy von Feria Kapitän der ſpani⸗ 
Ichen Garde. Dann gab ed noch den Oberftallmeifter, den Oberjäger, 
den Obermaulthierſtallmeiſter und einen Haufen andere Angeitellte, 
von denen einige, obichon fie von Geburt Adelige und Kavaliere was 
ren, doch Bepiententitel führten. **) Es gab vierzig Pagen, Söhne 
aus den erlauchteften Häuiern Euftiliend. Der ganze Haushalt belief 
ſich auf nicht weniger, als funfzehnhundert Perfonen. ***) Die Garde 
des Königs beitand aus dreihundert Mann, wovon ein Drittel 


— — — —— — 


*) „Chi comincia a servirlo pud tener per certa la remunerazione, se il 
. difetto non vien da lui.“ — Relazione Anon., Manuifr. 
**) Relazione della Corte di Spagna, Man. — Belazionse di Badoer, 
Mau. — Etiquetas de Palacio, Man. 
"=*) Relazione di Badoer, Run. 


— — —f — DE) 


Die innern Angelegenbeiten Spaniens. | 139 


Spanier, ein andered Drittel Flamänder und das legte Drittel Deutfche 
waren. *) 

Auch der Haushalt der Königin war im nämlichen großartigen 
Maßſtabe. Sie hatte fechd und zwanzig Hofdamen und unter ihrem 
übrigen Gefinde nicht weniger, als vier Aerzte, die über ihre Geſund⸗ 
beit zu wachen hatten. **) 

Die jährlichen Koften der föniglichen Hofbaltung beliefen fich auf 
volle zweihundert taufend Gulden. ***) Die Corted machten gegen 
dieſe unnüge Verſchwendung ernftliche Vorftellungen, denn fie flehten 
den König an, feinen Hofhalt nad) der von den Monarchen Eaftiltend 
gewohnten Weife einzurichten. ***) Auch jcheint es fonderbar, daß 
ein jeder Ertravaganz und dein Pompe fo abgeneigter Mann fidy dies 
jen Senüflen doch hierin fo jehr überließ. Wir begegnen dergleichen 
Infonjequenzen ja oft im Privatleben, wo mander Menjch, der fid) 
jonft in feinen Ausgaben zu befchränfen pflegt, fih dennoch Ausgaben 
überläßt, welche fein Geſchmack, oder, wie es hier der Fall ift, früh» 
zeitige Angewohnheiten ihn ald unumgänglich betrachten lafien. Der 
Kaifer harte den Haushalt feines Sohnes, als diefer noch fehr jung - 
war, mit Sorgfalt nach burgundiichem Mufter eingerichtet, weßhatb 
der auf dieſe Weiſe erzogene Philipp denjelben wahrfcheinlich als zur 
Koͤnigswuͤrde weſentlich anfah. 

Die Kleidung des Koͤnigs entſprach nicht der Pracht ſeines Hof⸗ 
ſtaats. Sie ſchien eher dem nüchternen Gewande feiner Gefühle zu 
entiprecken und beitand beinahe immer aus fchwarzem Sanımet oder 
Satin, während die Schube gleichfalld aus ſchwarzem Sammet gefers 
tigt waren. Die Kopfbedeckung, welche er trug, war nad) fpanifcher 
Eitte mit Federn gegiert. Er gebrauchte faft gar feine Schmüdereien, 


—— nm... — 2 


*) „Ha tre guardie di 100 persone l'una; la piu honorata & di Borgognoni 
e Fiamminghi, che hanno ad esser ben nati e servono a cavallo, e si dicono 
Arcieri accompagnando bene ilRe per la citta a piede non in fila, ma alla rin- 
fusa intorno alla persona reale; l’altri sono d’Albardieri 100 di nazion tedesca, 
et altri e tanti Spagnuoli.“ — Relazione della Corte di Spagna, Manuifr. 
**) Raumer, das funfzehnte und fechözehnte Jahrhundert, Bo. I, &. 106. 
) Gtent., S. 108. 
e9 Cortes von 15858, Betition &. 


140 Zwoͤlftes Kapitel. 


ausgenommen das ihm am Halte hangenbe reiche Jumel des goldenen 
Vließes. Aber, er war, fagt der ung diefe Einzelnheiten berichtende 
venetianifche Diplomat, in feinem Anzuge fehr forgfältig, indem er 
alle Donate feine Kleidung gegen eine neue vertaufchte und die abges 
feste feinen Bedienten gab. *) 

Es war ein großer Fehler in Philipps Adminiftration, dag feine 
Herrihfucht und fein Mißtrauen ihn dazu vermochten, Alles ſelbſt zu 
thun, ſogar in Faͤllen, wo die Sachen von ſeinen Miniſtern beſſer ge⸗ 
than worden wären. Da feine Anſichten langſam zur Reife gediehen 
und faft immer erft in Handlungen übergingen, nachdem er die Ans 
fichten feiner Räthe kennen gelernt hatte, fönnen wir die nachtheiligen 
Holgen eines folchen Verzuges gut begreifen. Die Privatleute, welche 
Gejuche eingereicht hatten, beflagten fidy jehr darüber, daß ihnen ein 
Monat nad) dem andern verfloß, ohne daß fie aufihre Petitionen Ant- 
wort erhielten. Der Staat litt eben fo jehr darunter, weil die Räder 
der Regierung völlig ftille zu ftehen fchienen durch den Drud, weldyen 
die angehäuften öffentlichen Gelchäfte auf fie ausübten. Selbft wenn 
eine Enticheidung fan, war fie oft Nichts mehr nüße, weil ſich mitte 
ferweile die fie herbeiführenden Umftände vollftändig geändert hatten. 
Hiervon wird der Lefer mehrere Beifpiele in den Niederlanden finden. 
Der Lieblingsfpruc Philipps, „daß die Zeit und er es mit jeden zwei 
andern Gegnern aufnehmen könnten“, war ein trauriger Irrthum. 
Die von ihm geforderte Zeit war fein Ruin. Es war vergebend, daß 
Granvelle, der fpäter nad) Eaftilien fam, um die Leitung der Staatds 
angelegenheiten zu übernehmen, den König in der dem Granvelle eig⸗ 
nen böflihen Sprache von feinem Irrthume zu überzeugen fudhte, in 
dem er ihm fagte, daß fein Menich eine folche Regierungslaft, die früs 
her oder ſpaͤter Philippo Geſundheit oder gar fein Leben zerftören 
würde, aushalten könnte. **) 


*) „Questi habiti sempre sono nuovi et puliti, perche ogni mese se gli 
muta, et poi gli dona quando ad uno, © quando ad un altro.“ — Relazione di 
Pigafetta, Manuffr. 

*) Bachard citirt eine Stelle aus den unveröffentlichten Briefen Granvelle's, 
worin der leßtere fagt: „Suplico & V. M., con la humilidad qua dero, que con- 
siderando quanto su vida importo al principe nuestro senor, & todos sus reynos 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 141 


Ein von dein Großalmojenpfleger Don Luis Maurique an den 
König gerichteter Brief fagte ihm die Wahrheit viel deutlicher, und 
zwar fo deutlich, wie fie felten zu den föniglichen Ohren gelangt war. 
Er jagt: „Die Untertanen Ewr. Majeftät beichweren fich allenthals 
ben über Ihre Gefchäftsweife, indem Sie den ganzen Tag über, wie 
diefelben voraudfegen, — weil Sie fi) von der Welt abichließen oder 
Ihren Miniftern nicht trauen, — über Ihren Bapieren figen.*) Das 
ber die unendlichen Aufichiebungen, welche jeden Bittfteller zur Ver⸗ 
zweiflung bringen. Ihre Untertbanen find unzufrieden, daß Eie in 
dem Staatsrathe nicht Ihren Sig einnehmen. Der Allmächtige”, 
fügt er hinzu, „ſchickte feine Könige in die Welt, damit diefelben ihre 
Tage mit Leſen und Schreiben zubrädyten, nicht einmal, damit fie nach" 
dächten und beteten,” — das war eine Sache, welcher Philipp viel 
Zeit widmete, — „ſondern damit fie ald Staatsorafel dienten, an die 
fih Alle um Antwort wenden fönnten. Wenn irgend Jemand biefer 
Gnade theilhaftig geworden ift, ift ed Emr. Majeftät; um fo größer 
aber ift die Sünde, wenn Sie nicht Allen freien Zutritt geftatten. "**) 


— — — —— 


y Estados, y vasallos suyos, y aun & toda christandad, mirando en que mise- 
rando estado quedaria sin V.M., sea serrido miror adelante mäs por su salud, 
descargandose de tan grande y continuo trabajo, que tanto dano le haze.“ — 
Siehe tie der Korreſpondenz Philipps des Zweiten vorausgefchichte Nachricht, Bd. I, 
©. LI., worin ter gelehrte Belgier mit feiner gewohnten Bewiflenhaftigfeit und 
Sorgfalt fi auf eine Unterfuchung des Charafters und ber Gewohnheiten Bhifimps 
einläßt. 

*) Habiendo en otra ocasion avisado & vuestra magestad de la publica 
querella y desconsuelo que habia del estilo que vuestra magestad habia tomado 
de negociar, estando perpetuamente asido & los papeles, por tener mejor titulo 
para huir de la gente, ademas de no quererse fiar de nadie.“ — Carta que 
escrivio el Senor Rey Felipe Segundo Don Louis Manrique, su limosnero 
mayor, Manuffr. 

”") „No embio Dios & vuestra magestad y & todos los otros Reyes, que 
tienen sus veces en la tierra, para que se extravien leyendo ni escribiendo ni 
aun contemplando ni rezando, si no para que fuesen y sean publicos y paten- 
tes oraculos & donde todos suo subditos vengan por sus respuestas, . . .Ysiß 
algun Rey en el mundo dio Dios esta gracia, es & vuestra magestad y por eso 
es mayor la culpa de no manifestarse & todos.“ — Ebend. — Bine Abfchrift 
hiervon befintet fi unter den Egerton⸗Manuſtripten im britifchen Muſeum. 


112 Zeölitee Kapitel. 


Man kann fd) tarüber wundern, wenn eine derartige an eine 
Zürkten, wie Philipp, gerichtete Sprache ron demielben rubig hinge— 
nommen wurde. Allein, der König glich feinem Batır. Die Män- 
ner ber Kirche umd bie Hofnarren — wovon ber leptere gewöhnlich 
einen oter zwei hielt, — hatten an ieinem Hofe ein Privilegium. Im | 
Orunde genommen richteten die Homelien ter einen eben jo wenig, ald 
die Witze der antern, aus. 

Die über das Land zerfireuten, auf ihren großen Landgütern Ic: 
benden großen ateligen Herren ahmten bie Pracht des föniglichen Her 
halis in einem fleineren Maßſtabe nad). Ihre Einkünfte, wenngleich 
oft ſchwer belaftet, waren iehr groß. inter drei und zwanzig Her: 
zögen hatten im Jahre 1581 bloß drei das geringe jährliche Cinkom⸗ 
men von vierzigtauiend Dufaten.*) Die Einnahmen ter meiften an 
dern ichwanften zwiichen funfzig und hundert tauient; ja einer ven 
ihnen, ver Herzog von Medina Eidenia, wurte auf hundert fünf und 
dreißig taufend geſchätzt. Mit derartigen Einfünften fonnte ſich Des 
mals nicht leicht eine Ariftofratie in der ganzen Chriſtenheit meſſen ) 

Die ſpaniſchen Granden zogen das Leben auf ihren Landgütem 
vor. Doch famen fie während ded Winters nah Maprit und ließen 
dort am Hofe ihred Fürften ihre Pracht fehen. Hier blendeten fie bie 
Augen durch ten Glanz ihrer Equipagen, ihre reihen Livreen und ben 
Schwarm ihrer Diener. Aber trogtem fchien Fremden ter caftilitche 
Hof fein luftiger, wodurd er mit dem flamäntiichen Hofe Margas 
rethend von PBarma einen Begenfag bildete. Er ſchien viel von dem 
ernfien, ja finftern Eharafter des dort herrichenten Monarchen einges 
fogen zu haben. Alles war majeftätifch und ceremoniell mit veralte- 
ten Manieren und Gebräudhen. „Man fann dafelbfi nichts Neues 
fehen, * ſchreiben die venetianifchen Gefandten. „Es fehlt tie anges 
nehme, leichte Unterhaltung über die Tagesereigniſſe. Wenn ein 


— — — — — — 


2) Nota di tatti li titolati di Spagna con li loro casate et rendite, etc. ſatu 


nel 1581, Manuffr. 

) Gbend. 

Die ſpaniſche Ariſtekratie zählte 1581 drei und zwanzig Herzöge, zwei und 
vierzig Marquis und fechs und funfzig Grafen. Die fämmtlichen Herzöge und 
dreizehn niedrigere Adlige waren Granden. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 143 


Menſch irgend melde Neuigkeiten weiß, if er zu klug, um davon zu 
ſprechen.“) Die Höflinge ſchwaͤtzen wenig und find meiftens unwiſ⸗ 


: ſend, ja ohne den geringfien Anflug von Wiffen. Die Arroganz ber 


großen Herren überfteigt allen Glauben, fo daß fie, wenn fie einem 
fremden Gefandten oder felbft dem Nuntius Seiner Heiligfeit begeg- 
nen, felten ihn durch das Abziehen ihrer Müpen zu grüßen geruhen.**) 
Alle aber ftreben nach jener unerfchütterlichen Ruhe oder Apathie, 
welche fie Sosiego nennen. * ***) 

Sie gaben keine glänzenden Banfette, wie der flamänbifche Adel. 
Ihr Hauptzeitvertreib war das Spiel, dad Erblafter des Spanierd, 
Eie fpielten hoch, oft zum großen Nadhtheil ihred Vermoͤgens. “Der 
König war hierüber nicht mißvergnügt. Man kann fid) wundern, 
daß eine fo falte und fteife Befellfchaft dem Intriguiren fehr zugethan 
war. ****) Hierin folgten fie dem Beifpiele ihres Herrn. 

Da der fpanifche Adel feine Zeit mit werthlofen Ergoͤtzungen und 
träger Kleinigfeitöfrämerei zubrachte, war er trog den hohen Titeln 
und Anfprüchen von feinen Vorfahren ein entarteted Geſchlecht. Mit 
einigen wenigen glänzenden Ausnahmen bielt er im Staate oder in 
der Armee feinen wichtigen Poften beſetzt. Die vornehmften Stellen, 
wonach er ftrebte, waren bie mit dem föniglichen Haushalt verbunbes 
nen; fo daß feine größte Ehre darin beftand, daß er die inhaltsloſen 
Vorrechte der Granden befaß und in der Gegenwart des Königs mit 


bebestten Häuptern fiten fonnte. +) 


— — — — — 


*) „La corte & muta; in publico non si ragiona di nuove, et chi pure le 
sa, se le trace.“ — Relazione di Pigafetta, Manuffr. 

**) „Sono d’animo tanto elevato ... che & cosa molto difficile da cre- 
dere .. . e quando avviene che incontrino o nunzi del pontefice o ambasecia- 
dori di qualiche desta coronata o d’altro stato, pochissimi non quelli che si le- 
vin la berreta.“ — Relarione di Badoero, Manuſtr. 

***) „Non si attende & lettere, ma la Nobilita e a maraviglia ignorante e 
ritirata, mantenendo una certa sua alterigia, che loro chiamano sussiego, 
che vuol dire tranquillitä et sicurezza, et quasi serenita.“ — Reluzione di Pi- 
gafetta, Manufft. 

—5) „Non si convita, non si calvalca, si giuoca, et si fa all’ amore.* — 
Ebend. 

Siehe auch die Relazioni von Badoero und Contarini. 

D Dr. Ealazao hegt eine fehr übertriebene Anfiht hinſichtlich ter Wichtigfeit 


144 Zwölftes Kapitel. 


Aus dieſem Leben glängender Erniedrigung entflohen die Adelir 
gen nicht ungern aufs Land. Hier verbrachten fie die Tage in den 
Schloͤſſern ihrer Vorfahren, umgeben von füͤrſtlichen Domänen, welde 
Städte und Dörfer in ihrem Gehäge einſchloſſen und manchmal eine 
auf dreißigtaufend Familien fteigende Bevölkerung in ſich begriffen. 
Daſelbſt lebten die ftolgen Herren mit wahrhaft föniglichem Gepränge. 
Sie hatten ihre Majordomen, Kammerherren, Oberftallmeifter unt 
andere hohe Stellenträger. Ihre Hallen waren vol von Hidalgo's 
und Kavalieren und einem Schwarme geringerer Diener. Sie hatten 
zu ihrer Bedeckung eine Xeibgarde von zwei bis drei hundert Soldaten. 
Ihre Wohnungen waren Foftbar ausmöblirt und die Seitentifcye mit 
dem Geſchirr der Silbergruben der Neuen Welt beladen. Ihre Kar 
pellen waren prächtig. Ihre Frauen fuchten einen föniglihen Staat 
zu machen: diejelben hatten ihre Hofdamen, und der Page, welcher 
den Mundſchenk machte, lag, während feine Herrin tranf, vor ihr auf 
den Knien. GSelbft Ritter aus altem Blute weigerten fi nicht, 
während fie von ihr angeredet wurden, vor ihr das Knie zu beugen.*) 

Trog alled dieſes Glanzes befaßen die ſpaniſchen Granden feine 
demfelben entſprechende wirkliche Macht. Sie durften nicht mehr, wie 
ihre Väter gethan, ſich mit einander in Fehden einlaffen, auch bejaßen 
fie nicht mehr das fo hoch angefchlagene Vorrecht, daß fie ihrem Fuͤr⸗ 
fen die Treue auffündigen und Krieg erflären fonnten. Anftatt daß, 
wie ehemals, ihre zahlreichen Vaſallen in eine große militärifche 
Schlachtordnung zufammengefchaart worden wären, waren dieſelben 
in die niedrigere Stellung von Lohndienern herabgefunfen, die bloß 
noch dazu dienten, den trägen Pomp des Haushalts ihrer Herren zu 
vergrößern. Denn dielelben durften, außer im Dienfte der Krone, 
feine Waffen mehr tragen; num aber hatte nad) der Unterwerfung ber 


htes, den Hut in der Gegenwart des Königs tragen zu Dürfen: — „ein Vor⸗ 
bemerkt er, „welches an ſich felbft fo ausgezeichnet und in feinen Folgen fo 
bar ift, daß «6 ganz allein binreicht, um feinen eigenthümlichen Charafter 
irte des Granden aufzudrücken.“ — Dignidades de Castilla, ©. 34. 
Ranfe, die ottomanifhen und fpanifchen Reihe, engliſche Ucberfegung, 


-—- — wu“ i u u - a 


Die innern Angelegenheisen Spaniens. 145 


Moriscod die Krone fie nicht mehr nöthig, audgenommen in Kriegen 
mit dem Auslande.*) 

Die Mapregeln, wodurch Ferdinand und Iſabelle die Macht der 
Ariſtokratie gebrochen hatten, waren mit erhöhter Strenge von Karl 


. dem Fünften burdygeführt worden umb wurden jet fogar noch wirk⸗ 


famer von Philipp bem Zweiten durchgeiegt; denn Philipp befaß den 
Bortheil, daß er fortwährend in Spanien war, während Karl die meifte 
Zeit in andern Theilen feines Gebietes zubrachte. Weil alfo Philipp 
immer anwejend war, war er ichnell zur Hand, wenn es galt, dag 
Geſetz gegen den höchften Adeligen, wie gegen ten geringiten feiner 
Unterthanen durchzufuͤhren. 

Männer von Range fommanbdirten die Armeen im Auslande und 
wurden als PVicefönige nach Neapel, Sicilien, Mailand und den Bros 
vinzen der Neuen Welt geihidt. Allein in Spanien wurben fie fels 
ten auf Eivils und militärische Stellen erhoben. Da fie nicht mehr 
einen unentbehrlichen Theil der nationalen Legislatur bildeten, wurden 
fie nur jelten zu den Verſammlungen der Corte entboten; denn ber 
caftilifche Edelmann beanipruchte Steuerfreihelt, während fich die Cor⸗ 
ted felten zu einem andern Zwecke, ald um Steuern aufzulegen, 
veriammelten. Indem die Adeligen auf diefe. Weite feine potitifche 
Macht irgend welcher Art beſaßen, refitirten fie, als ob fie eben jo viele 
Brivatleute geweſen wären, auf ihren Kandgüten. Der König nahm 
an ihrer fürftlichen Lebensart feinen Anftoß, weil er es fehr gern fah, 
daß fie ihre großen Einkünfte auf eine Weife verfchwenveten, welche 
Fein größeres Uebel zur Folge hatte, als daß fie ihren Bafallen Ers 
preflungen, bie fie in den Augen berfelben gebäffig machten, auferlegen 
mußten.**) Daß dies die Bolitif Philipps war, verfichert und wenig» 
fiend der venetianifche Gefandte, der große Beobachtungsgabe beſaß 
und ſich an einem Orte befand, wo er am beften davon Gebrauch mas 
chen fonnte. „Auf diefe Weile”, ichließt er, „machte fidy ter König 


— — — — — nn 


*) Relazione di Tiepolo, Man. — Relazione Anon., Man. — Relazione 
di Gontarini, Man. 
**) Che per contrario uffligiono i loro pröprii sudditi onde in corrono nel 
loro odio.* — Relazione di Contarini, Manuſtr. 
VPrescott, Geſch. Philipps ll. V. 10 


146 Zwölfes Kapitel. 


von denjenigen gefürchtet, weldye, hätten fie ſich umſichtiger benommen, 
fich hätten von ihm gefürchtet machen fönnen. ” *) 

Während auf diefe Weife die Ariftofratie niedergehalten wurde, 
hatte der ftarfe Arm Karls des Yünften die caftiliichen Gemeinen ihrer 
koſtbarſten Rechte beraubt. Philipp konnte ſich darliber freuen, Daß er 
fie nicht erft in dieſe elende Lage zu verfegen und ſich nicht dadurch ges 
häffig zu machen brauchte. Doch Eonnte fein Vater nicht beiorgter, 
als er, darauf gefehen haben, daß fie fid) nicht Daraus wieder erhoben. 
Das wichtigfte Privilegium der Cortes, Lie gefeßgebende Macht, war 
beinahe vernichtet. Zwar wurden die caftilifchen Eorted von “Philipp 
häufig, und zwar im Ganzen genommen häufiger, als unter irgent 
einer früheren Regierung, aufammenberufen, weil fie noch das Steuer: 
bewilligungsrecht beſaßen; aber gerade deßhalb war ihre Berufung 
mehr ein Beweis ber Bedürfniſſe der Regierung, ald ein Zeichen ter 
Hochachtung ihrer Rechte. 

Allerdings genoflen die Cortes noch das Vorrecht, daß ſie dem 
Koͤnige ihre Beſchwerden vorlegen durften; allein, da fie, ehe fie ihre 
Beſchwerden einreichen fonnten, die Steuern bewilligen mußten, ent 
behrten fie des einzigen Hebeld, wodurch fie nachdruͤcklich hätten den 
föniglichen Willen beeinfluffen fönnen. Doc, wenn wir uns ihre 
Petitionen anfehen und die Sorgfalt bemerken, womit fie für die In- 
terefien der Nation wachten, und den Muth, womit fie diefelben ftüg- 
ten, fo fönnen wir ihnen nicht unfere Bewunderung verfagen. Wir 
müflen zugeftehen, daß trog aller Ungunſt der Umftände und aller Un. 
terdrüdung, der alte caftilifche Geift nichtödeftoweniger im Herzen des 
Volkes fortglomm. Um hierzu einen Beleg zu liefern wird es nicht 
übel angebradht fein, wenn wir einige von dieſen Petitionen citiren, 
ba fie, mochten fie nun durchgeſetzt werben ober nicht, wenigſtens zei- 
gen können, was bie öffentliche Meinung von den durch fie berührten 
Gegenſtaͤnden hielt. 

Eine öfterd wiederkehrende Petition beſchwert ſich über Die unge: 
heuern Ausgaben des Föniglihen Haushalts, Die, fagen die Cortes, 


*, „Temono Sua Maesta, dove, quando si governassero prudentemente, 
sarieno da essa per le loro forze temuti.“ — Übent. 


— —— — — — — 


—* 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 147 


„ſo groß find, daß man damit ein ganzes Koͤnigreich erobern konnte.“*) 
Die burgundifche Hofhaltung war, abgefehen von den Koften derſel⸗ 
ben, bei den ehrlichen Caſtilianern nicht fehr beliebt, daher die Cortes 
Seine Majeftät bitten, fie aufzugeben und zu bem einfacheren, natürs 
ficheren Brauche feiner Vorfahren zurüdzufehren. Sie machten aufs 
merffam auf „bie verderblichen Wirkungen, welche diefe Lebensweiſe 
nothwendig auf die großen adeligen Herren und andere Unterthanen, 
welche ſchnell das Beifpiel ihres Herrn nadyahmten, ausüben mußte. "**) 
Philipp antwortete auf eine folche Petition, „er wolle die Sache unters 
fuchen Laflen, worauf die für ihn geeignetften Maßregeln ergriffen wers 
den würden.“ Während feiner Regierung fand feine Abänderung ftatt, 
und die burgundifche Hofhaltung, welche im Jahre 1562 die jährliche 
Ausgabe von hundert ſechs und funfzig Millionen Maravedis in ſich 
ſchloß, wurde von feinem Nachfolger fortgefeßt. ***) 

Eine andere beftändig wiederkehrende und fomit unwirkſame Bes 
ſchwerde richtete fich gegen die Veräußerung der Kronländereien, den 
Stellenverfauf und den Handel mit geringeren Adelstiteln. Hierauf 
gab der König-eine eben fo zweideutige Antıvort, wie vorher. Noch 
eine Petition erfuchte ihn, nicht Länger feine Einkünfte dadurch zu ver 
mehren au fuchen, daß er Steuern auferlegte ohne die vorherige, durch 
die alten ®efege und Gebräuche des Königreiches verlangte Bervillis 
gung ter Cortes. In diefem Falle war die Antwort Philipps ver- 
ftändlich genug. Sie hätte in der That für einen morgenländiichen 
Despoten gepaßt. Er fagte: „Die dringenden Faͤlle, welche mich zu 
diefen Maßregeln gezwungen haben, haben keineswegs nachgelaflen, 
fondern find gewachſen und wachſen noch jegt, weßhalb id) feine ans 
dere Wahl habe, ald das von mir ergriffene Verfahren einzuhalten. “***®) 
Wirklich befand fih Philipp in großer Verlegenheit, fo daß ihn feine 
finanzielle Gefchidlichkeit feiner Minifter daraus befreien fonnte. Die 
verfchiedenen Auswege, wodurd er ſich aus den wirflich mit jedem 


*) „Que bastarän para conquistar y ganar un reyno.* — Die Eortes von 
Balladolid, Betition 4. 
**) Die Eortes von Toledo, Petition 3. 
***) Lafuente, Historia de Espana, ®d. XII, ©. 118. 
“*+*) Ebent., Bd. XIV, ©. 397. 
10 * 





148 Zwoͤlftes Kapitel. 


Tage zunehmenden Schwierigfeiten herauszuwinden fuchte, bilden in ber 
Finanzgeſchichte ein intereffanted Kapitel. Inde find wir noch nicht 
bei tem geeigneten Punkte angelangt, wo wir diefelben am beften dem 
Lefer vorlegen fönnen. 

Die Gemeinen gingen den König ernft darum an, daß er die von 
ihm frübzeitig unternommene Arbeit, dad Zuſammenſtellen des Munis 
cipalrechtes Caſtiliens in ein einziged Geſetzbuch betreffend, vollftändig 
machen möge.*) Sie gaben forgfältig auf die Adminiftration ber 
Juftiz Acht, gaben ihren Wunſch nad) Abftellung mehrerer Mißbraͤuche 
fund, juchten bejonders den Berlauf der Prozeſſe, deſſen Langſamkeit 
in Spanien fprüchwörtlich war, zu beichleunigen, und fuchten mit einem 
Worte, fo viel ald möglich Prozeilirende von den Pladereien, denen 
diefelben in den Gerichtshoͤfen täglidy ausgelegt waren, zu befreien. 
Sie empfahlen mit weifer Freigebigfeit an, daß man, um ſich der Dienfte 
ber Gerichtöbeamten zu verfichern, deren Gehalt, der oft viel zu geringe 
war, jehr erhöhen jollte. **) 

Die Corted machten mit wahrhaft väterlicher Sorge für die Ins 
terefien ded Staat, über feinen Handel, die Landwirthſchaft und bie 
Gewerbe und Handwerfe. Sie befchwerten fich laut und, wie es 
Scheint, nicht vergebens, über das tyrannifche Gebahren der Krone, die 
fich die edlen Metalle aneignete, welche die Kaufleute von Sevilla, wie 
anderwärts von mir berichtet wurde, für ſich ſelber aus der Reuen Welt 
importirt hatten. _ 

Einige Petitionen der Cortes würden in ihren Forderungen heuts 
zutage eine ftarfe Unfenntniß der wahren Geſetzgebungsprinzipien in 
Bezug auf den Handel zu befunden fcheinen. So dadıten fie, daß 
Gold und Silber, abgejehen von feinem Werthe als Taufchmittel, 
befonderd den Reichthum eines Landes bildete und hielten es deßhalb 
für die wahre Politik, die Eöftlichen Metalle im Lande zu behalten: 
daher fie petitionirten, daß bie Erportation des Goldes und Silbere 
verboten werden möchte. Doc) das war im fechözehnten Jahrhunderte 
ein Irrthum, in den außer den Spaniern noch andere Kationen vers 


— — — — — — —— 


*) Die Cortes von Valladolid 1888, Petition 12. 
**) Lafuente, Ilistoria de Espana, Bd. XII, ©. 1238. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 149 


fallen waren. Indeſſen kann es fonterbar fcheinen, daß die Erfahrungen, 
welche drei Viertel eined Jahrhunderts gelehrt hatten, die Caſtilier 
nicht von der Nichtigkeit dieſer Verfuche, den natürlichen Lauf der kom⸗ 
merziellen Girkulation zu heinmen, überzeugte. 

Im gleichen Einne baten fie den König, zu unterfagen, daß man 
Gold und Silber gebrauchte, um damit Kupfer oder andere Subftan- 
zen zu belegen, und gleichermaßen zu verbieten, daß man Gold und 
Silber zu Kleiderſchmuck trüge oder andern Lurus im Haushalte ver 
wendete. Diefe Betition der Gemeinen läßt fich freilich theilweife aus 
ihrer Vorliebe für Lurusgeſetze erlären, die in Eaftilien einen größeren 
Zweig ber Geſetzgebung, ald man in irgend einem andern Rande fin« 
den dürfte, bildeten.*) Die Sucht nad) theuren, prangenden Kleidern 
war ein Rafter, womit fie vielleicht von ihren Nachbarn, den ipanifchen 
Arabern, die ihren Reichthum gern auf diefe Weile zur Schau trugen, 
angeftedt worden waren. Sie lieferte Demzufolge der Geiftlichfeit ſchon 
in einer frühen Periode ein reiches Deflamationdthema, um gegen den 
Vomp und die Eitelleiten der Welt loszuziehen. 

Leider verlieh Bhilipp, welcher fonft den weiferen Vorfchlägen ber 
Cortes häufig das Ohr verfchloß, diefer Petition feine Sanction ; da⸗ 
her er in einem diefem Gegenftande gewidineten Pragmaticum bie 
Ideen ded geſetzgebenden Körpers dermaßen verwirklichte, daß er dem 
ftrengften Reforinator Richtö zu wünfchen übrig ließ. Als eine Staats⸗ 
urfunde fieht dafjelbe wirklich feltfam aus. Denn e8 geht weitläuftg 
auf eine jo genaue Sptzifizirung männlicher und weiblicher Kleidungs⸗ 


-ftüde ein, daß man vermuthen Fönnte, ed verdanfe feinen Urfprung 


mehr einem Comité von Echneidern, ald von ernften Xegislatoren. **) 


— — — — — --.. 


*) Die Geſchichte des eaſtiliſchen Luxrus und ter verſchiedenen ihn be ſchraͤnken⸗ 
den Geſetze iſt in einem Werte des Sempere y Guarinos behandelt worden. Dusr 
felbe enthält viel intereifante Aufichlüffe, beionders in Bezug auf Das Leben ter Ca⸗ 
Rilier in ten frühern geichichtlichen Berioten. Historia delLuxo, Madrid, 1788, 
3 Bde., Duodez. ® 

*+, „Anssi mismo mandamos que ninguna persons de ninguna condicion 
ni calidad que sea, no pueda traer ni traya en ropa ni en vestido, ni en calzas, 
ni jubon, ni en gualdrapa, ni guarnicion de mula ni de carvallo, ningun genero 
de bordado ni recamado, ni gandujado, ni entorchado, ni chaperia de oro mi 


150 Zwölftes Kapitel. 


Sa, die Schneider, die Anftifter dieſer verführerifchen Abfcheulichfeiten, 
entichlüpften den direften Angriffen der Eortes nicht. In einer andern 
Petition wurden fie denunzirt als unnüge Leute, die, anftatt wie Maͤn⸗ 
ner den Boden zu beftellen oder Seiner Majeftät im Kriege zu dienen, 
nach Art der Weiber mit Näherei befchäftigt wären. *) 

Die nämliche ungehörige geſetzgeberiſche Eimniſchung zeigten die 
Cortes, als fie Die Koften der Tafel, welche nach ihnen die legten Jahre 
hindurch ind Ausfchweifende gegangen wären, zu reguliren juchten. 
Sie empfahlen an, daß es Niemandem erlaubt fein folle, über vier Ges 
richte Fleiſch und über vier Gerichte Obſt bei jeder Mahlzeit zu haben. 
Ferner waren fie empört über den zunehmenden Gebrauch der Kutichen, 
eines Reiſeartikels, der erft vor ein paar Jahren in Spanien eingeführt 
worden war. Sie hielten dafür, daß dielelben die Männer zu weibi- 
fcher Trägheit verführten, was mit dem Vermögen der meiften nicht 
ſehr harmonirte. Berner betrachteten fie diefen Gebrauch als nach⸗ 
theilig für die Reitfunft, derentwegen ihre Vorfahren fo berühmt ger 
weien waren. ie baten daher, in Anbetracht, „daß fich die Nation 
fo viele Jahre hindurch ohne den Gebrauch der Kutichen wohlbefunden 
babe, derjelbe indfünftig unterfagt fein möge.“**) Philipp gab in 
fo weit ihrer Petition nach, als er dad Halten von Kutichen Jedem, 
der nicht ein Eigenthüner von vier Bferden war, verbot. Er dachte, 
dag er, während er die Pferdezucht beförberte, auf dieſe Weile mit Aus- 
nahme der reicheren Leute Alle von der Annahme diefes tbeuren Lurus 
wirffam abbringen werde. 

Eine andere Petition gab ed, die einigermaßen merkwürdig und ˖ 
ermähnendwerth ift, weil fie die Liebe der Gaftilier au einer von ten 


de plata, ni de oro de canutillo, ni de martillo, ni ningun genero de trenza ni 
cordon ni cordoncillo, ni franja, ni pasamano, ni pespunte, ni perfil de oro ni 
plata ni seda, ni otra coss, aunque el dicho oro y plata sean falsos,* etc. — 
Pracmatica expedida & peticion de la Cortes de Madrid de 1568. 

*) „Ocupados en ostegoficio y genero de vivienda de coser, que habia de 
ser para la mugeres, muchos hombres que podrian servia & S. M. en la guerra 
dejaban de ir & ella, y dejaban tambien de labrar los campos.* — Die Eortes 
von 1573, Petition 8, bei Lafuente, Hist. de Espana, Br. XIV, ©. 407. 

») Ebend., €. 408. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. - 481 


Ausländern oft getadelten, nationalen Inſtitution zeigt. Eine Peti⸗ 
tion der Cortes nämlich aus dem Jahre 1573 bat, daß man auf dis 
refte Weile die Stiergefechte, welche in der legtern Zeit Symptome bes 
Verfalls gezeigt, befördern folle. Sie riethen an, daß bie vorzüglich“ 
fien Städte gehalten fein follten, auf Municipalttätsunfoften neue 
Circuſſe zu errichten und die Kämpfer mit Ranzen und das Publifum 
mit Muftfunterhaltung zu verlorgen. Sie machten geltend, daß dies 
zur Berbeflerung der Pferdezucht beitragen und den Adeligen und Ka⸗ 
valieren eine ritterliche Uebung liefern würde. in Zuichauer ver 
Stiergefechte unferer Zeit fann ſich hierüber wundern, da er gemöhn- 
lich nur die elendeſten Gaͤuler zum Gefchlächter bringen und 2eute aus 
niederen Ständen in der Arena kämpfen ficht. Anders war es in den 
glorreichen Tagen des Ritterthums, wo tie gebrauchten Pferde aus 
einer edlen Zucht flammten und die Kämpfer Adelige waren, welche 
mit einem eben fo großen Stolze in die Schranfen traten, als ob es 
zu einem Tournier gegangen wäre. Selbſt im fechszehnten Jahrhun« 
dert noch rühmte fich Karl der Yünfte, daB er in feiner Jugend wie ein 
Matador gefochten und immer feinen Stier getödtet hätte. Philipp 
gab vieler Petition feine Zuftimmung mit einer Bereitwilligfeit, bie 
zeigte, wie jehr er fich auf den Charakter feiner Landsleute verftand. 
Man würde einen Irrthum begehen, wollte man die mehr aus» 
nahmsweiſen und Fleinlichen Petitionen ber Cortes, von denen ich 
oben einige aufzählte, als das eigentliche Gepräge des vorherrichenden 
Charakters der caftilifchen Geſetzgebung betrachten. Die Geſetze, oder 
vielmehr die Petitionen dieſes Körpers zeugen in hohen Grade von 
Weisheit und Patriotismus, beweifen eine fcharffichtige Auffaffung der 
Bedürfniffe des gemeinen Weſens und ein inniges Beftreben, denfelben 
genug zu tbun. So fehen wir die Cortes empfehlen, daß zum Beften 
derjenigen jungen, bürftigen Perſonen, welche feine Freundesunter- 
ftügung hätten und nicht die Dlittel, ſich einen Lebensunterhalt zu vers 
Schaffen, beiäßen, Pormünder beftellt werden follten, bie ihnen ein 
Unterfommen zu verfchaffen hätten.*) Sie fchlagen die Erwählung 
von Befuchern vor, deren Pflicht es fein. follte, alle Wochen die Ge: 


*) Ranke, Ottoman and Spanish Empires, S. 59. 


152 Zmwölftes Kapitel 


fangnifie zu inipieiren und darauf zu fehen, daß zur Sicherftellung ver 
Geſundheit und Reinlichfeit der Gefängnißbervohner geeignete Anord⸗ 
nungen getroffen würde. *) Cie wollen darauf geſehen wiflen, daß 
Reiſende in ben Wirthshäuſern ein paſſendes Unterfommen finden. **) 
Mit der gewohnten Vorliebe für Samilieninquifition erwähnen fie das 
Betragen der Dienftboten gegen ihre Herren und tadeln mit einer Eins 
falt, welche unjer Lächeln erregen Fönnte, dad Benehmen der Jungfern, 
welche „in der Abwejenheit ihrer Mütter ibre müßige Zeit Damit zus 
bringen, daß fie Romane voller Lügen und Einbildungen lefen, dieſel⸗ 
ben für Wahrheit nehmen und damadı ihr eigened Betragen im Ber: 
fchr mit der Welt regeln." ***) Die auf diefe Weile gebrandmarften 
Bücher waren wahrjcheinlich die Ritterromane, deren Popularität das 
mals in Caſtilien die hoͤchſte Höhe erreicht hatte. Damals hatte Eer- 
vantes noch nicht gegen diefe PVeftliteratur jene Ranzen der Rächerlichkeit 
geichleudert, die mehr, als jede Geſetzgebung, zum Vertreiben derſelben 
aus dem Lande beitrugen. 

Die Gemeinen wachten über das Erziehungsweſen eben fo eifrig, 
wie uͤber die materiellen Intereſſen des Staats. Sie pruͤften den Zu⸗ 
ſtand der höhern Seminarien und wollten auf den Univerſitäten neue 
Lehrftühle errichtet wifen. In Gemäßheit dieſer Anfichten, wenn aud) 
nicht in Uebereinftimmung mit irgend weldyen pofitiven Vorichlägen, 
veröffentlichte Philipp ein auf die Lehranftalten bezügliched Pragma⸗ 


*”) „Que cada semana 6 cada mes se nombren en los ayuntamientos de 
cada ciudad 6 villa destos Reynos, dos Regidores, los quales se hallen & la ri- 
sion y visitas de la carcel.“ — Die Gortes von Toleto 1559 und 1560, Peti⸗ 
tion 102. 

**) Provision real para que los mesones del reyno esten bien proveidos 
de los mantenimientos necesarios para los caminantes, Toledo, 20 de Octobre 
de 1560. | 

+) „Coma los mancebos y las donzellas por su ociosidad se principal- 
mente ocupan en aquello [leer libros de mentiras y vanidades] desvanecense y 
aficionanse en cierta manera ä los casos que leen en aquellos libros haver acon- 
tescido, ansi de amores como de armas y otras vanidades: y afficionados, 
quando se offrece algun caso semejante, danse & el mas ä rienda snelta que si 
no lo huviessen leydo.“ — Die Cortes von 1588, Petition 107, angeführt von 
Ranke in ten ottomanifhen un fpaniichen Herrſchaften, ©. 60. 





Die innern Angelegenheiten Spaniens. 153 


ticum. Er befchwerte fi über bie unter feinen Untertanen fchnell 
um ſich greifende Unart, daß man, um ſich auszubilden, ind Ausland 
ginge, während dafür im Inlande auf die befte Weiſe geforgt fei. Die 
Wirkung davon wäre im höchiten Grabe nachtheilig; denn, während 
fich die caftilifchen Univerfitäten eines nur geringen Beſuchs erfreuten, 
kaͤmen die Studenten faft immer aus dem Auslande mit Ideen zurüd, 
die nicht jehr für ihr Vaterland paßten. Daher verbot der König das 
Beziehen aller außer feinem Gebiete liegenden Univerfitäten und gebot 
allen Studenten im Auslande heimzufommen. Dieſes Edict befleibete 
er mit ſchwerer Strafe für Dawiderbandelnde: für Geiftliche mit dem 
Berfallen ihrer weltlichen Beligungen und für Yaien mit Verbannung 
und Eigenthumgfonfisfation. *) 


Obwohl ohne Zweifel ein derartiges Pragmaticum mit der Ans 
ficht des Volkes harmonirte, dehnte es doch die Willfür bis zu einem 
Grave aus, welcher nicht denjenigen Edicten zur Laft gelegt werben 
kann, die Direct aus den Rathſchlägen der Legislatur hervorgingen. 
In diefer Hinficht fand es aber noch weit hinter denjenigen Orbons 
nanzen zurüid, die unmittelbar, ohne einen Bezug auf Wünfche ver 
Gemeinen, aus dem föniglichen Willen floſſen. Während diefer Res 
gierung waren derartige Ordonnanzen wahrfcheinlich häufiger, als jede 
andere Klaſſe Geſetze. Sie gehören fiher zu den willfürlichften Hand⸗ 
fungen, deren ein Monarch fehuldig fein fan, denn fie fchließen nichts 
weniger in fich, als daß er bie geießgebende Gewalt felbft in die Hand 
zu nehmen fucht. Auch fließen dieſe Verfügungen im Jahre 1579 
auf einen ftarfen Widerftand, indem Philipp von den Gemeinen gebe 
ten wurde, nur foldye Geſetze, welche die vorgängige Billigung ber 
Cortes erhalten hätten, au machen. **) Doch konnte er fich mit dem 
Beilpiele feiner Vorgänger, und zwar dem Beifpiele fetbft folcher ents 
fhuldigen, welche, wie Berdinand und Ifabella, fich die Intereflen der 
Nation am meiften hatten angelegen fein laflen. ***) 


—— — — — — 


*) Pracmatica para que ningun natural de estos reynos vaya & ostudiar 
fuera de ellos, Aranjuez, 22 de Noviembre de 1559. 
**) Marina, Teoria de las Cortes, Bd. U, ©. 219. 
") Siehe den „Pragmatioas del Reyno“, zuerfi gedruckt in Alcals de Henares 


154 Zwölftes Kapitel. 


Ferner muß man zugeben, daß bie regelmäßigere Verfahrungs⸗ 
weife der Cooperation der Cortes Vieles enthielt, um bie Idee zu rechts 
fertigen, daß das eigentliche Geſezgebungsrecht im König lag. Eine, 
wie gewöhnlich in den unterthaͤnigſten Ausprüden abgefaßte ‘Petition 
bat Seine Majeſtaͤt, zu dem vorgefchlagenen Geſetze feine Zuftimmung 
zu geben. Er that es in wenigen Worten, oder, was gewöhnlicher war, 
er verweigerte feine Zuſtimmung, indem er erklärte, daß es im vorlies 
genden alle „nicht zweckdienlich fei, eine Veränderung eintreten zu 
laſſen.“ Man bemerkte, dab die Zahl der Faͤlle, worin Bhilipp die 
Petitionen der Cortes verwarf, größer, ald unter den früheren Könis 
gen, war. ' 

Eine andere, häufigere Unart Philipps paßte befier zu feinem 
zaudernden Weſen und der Gewohnheit bed Verſchiebens. Er verfegte 
nämlich in zmweideutigen Worten, daß er „die Sache in Erwägung 
ziehen wollte”, oder, „daß er fie dem Rathe vorlegen und diejenigen 
Mapregeln, welche feinem Bortheile am beften dienten, ergreifen würde. * 
Auf diefe Weife vertagten fi) die Gorted, ohne zu willen, was das 
Geſchick ihrer ‘Betition fein würde. Selbft, wenn er ihnen ſeine Eins 
willigung anfüntigte, fonnte er, weil ihm die Abfaffung ded Worts 
lauts des Gefepes überlaffen blieb, mehr oder minder von dem Worts 
laute der Petition abweichen. Nachdem die Cortes entlaflen waren, 
fonnten fie Nichts thun, wenn bad Beleg nicht ihren Anfichten ent> 
ſprach, noch konnte der gefeßgebende Körper cher eine Beſchwerde fühs 
ren, ald bis in der gewöhnlid) drei Jahre nachher fallenden nächiten 
Sigung. Der von Karl dem Fünften eingeführte Kunftgriff, daß das 
Beichwerdeführen bid nad) ter Steuerbewilligung verichoben und bie 
Legislarur gleich darauf auseinander geichidt wurde, verichaffte den 
Fürften des Haufes Oeſterreich eine abfolute Gewalt, bie in der alten 
Konftitution ded Königreichs Baftilien eine ſchreckliche Veränderung 
anrichtete, 

Doc, obſchon die Cortes ihrer alten Privilegien beraubt waren, 


1503, am Schlufle der Regierung Iſabellens. Diele berühmte Sammlung beſtand 
faft gänzlich aus den Ordonnanzen Ferdinands und Sfabellens. Nachdem fie mehrere 
Auflagen erfebt Hatte, wurde fie zuletzt in der „Nueva Recopilacion* Philipps des 
Zweiten abforbirt. 


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Die innern Angelegenheiten Spaniens. 155 


hatten beffenungeachtet Ihre Zufammenfünfte ſehr wichtige, gute Fol⸗ 
gen für die Ration. Niemand konnte beſſer, als die Deputirten, mit 
den wirklichen Bebürfniffen und Wünfchen ihrer Wähler bekannt fein. 
Diefen Aufihluß zu erhalten war für den König von einem offenbaren 
Bortheile. Er feste ihn in den Stand, das den Interefien des Volks 
angenmefienfte Verfahren einzufchlagen, wozu er natürlich immer ge: 
willt war, wofern er nicht zwifchen den Interefien des Volkes und des 
nen ber Krone einen Zwiefpalt gewahrte. Selbft, wenn das letztere 
der Fall war, vermochte ihn das fräftige Auftreten der Cortes öfters 
zu einer Ermäßigung feiner Maßregeln. Denn, obgleich er ein. ſehr 
abſoluter Monarch war, fcheute er ſich nichtöbeftoweniger vor der Bes 
folgung einer Politik, die dem Bolfe fo verbaßt war, daß fie, wenn 
beharrlich fortgefeßt, von verbedter Beichwerbeführung zu offenem Wis 
derftande führen fonnte. 

Die Disfuffionsfreiheit der Deputirten zeigt fidy an dem unab⸗ 
bängigen Tone, womit fie in ihren Petitionen die vielfachen Miß⸗ 
brauche im Staate aufdeden. Daß Philipp diefe Freiheit der Vers 
handlungen nicht zu befchneiden fuchte, gereicht ihm zur Ehre, obſchon 


dies vielleicht beffer feiner Politik zuzufchreiben ift, die ihm dazu vers 


mochte, den Leidenfchaften des Volkes dieſes Sicherheitöventil offen zu 
laſſen. Vielleicht fuchte er die Cortes auch gern mit dem Scheinbilde 
ber Macht zu ſchmeicheln, wohl wiflend, daß die eigentliche Macht ihm 
felber gehörte. Mag dem nun fein, wie ihm wolle, fo muß man bie 
guten Folgen der Ausübung biefer wenn auch unvollkommenen Rechte 
des dritten Etandes doch hoch anfchlagen. Schon das einfache Fak⸗ 
tum, daß dad Volk zufammen berufen wurde, um über öffentliche Ans 
gelegenheiten zu berathfchlagen, mußte ihn ein Selbftgefühl verleihen, 
wodurch es ſich weit über die Unterthanen des morgenländifchen Des» 
potismus erhob. Dieſes Faktum nährte in ihnen die Liebe zur Uns 
abhängigfeit, welche fie von ihren Vorfahren als Geburtsrecht ererbt 
hatten, und unterhielt auf diefe Weile in ihrer Bruft jene ftolge Ges 
finnung, welche die niederen Klaſſen des fpanifchen Volks mehr, als 
diejenigen irgend einer andern Ration der Chriftenheit, charafterifirte. 

Um das Bild abfoluter Herrfchaft zu vervollftändigen, fehlte noch 
ein Zug: das ftehende Heer, welches eine feither in Spanien unge 


156 Zwölftes Karitel. 


fannte Sadye war. Zwar war in der Jeit Karl des Fünften eime 
ungeheure Heeresmacht, wovon ein großer Theil der Truwpen Spanier 
waren, auf den Beinen gehalten worden. Doc waren fie im Aus⸗ 
lande ftationirt und nur für ausländiiche Unternehmungen beftimmt 
gewefen. Erſt in Philipps Zeit zeigen fich die erften Keime ftehenben 
Militärs, welches im eignen Lande auf Ordnung und Gehorſam zu 
sehen hat. 

Die zu diefem Zwede refrutirten Truppen beliefen ſich auf zwan⸗ 
zig Kompagnien Gensdarmen, welche zuſammen mit der Dienerfchaft 
von vier oder fünf Mann zu jeder Lanze eine beträchtliche Macht bildes 
ten. Ferner famen dazu fünf tauſend Ginetes ober leichte Reiterei.*) 
Diefe Truppenforps kamen der Krone theuer zu fichen. Sie biegen 
die „Barden Baftitiend”. Beſonders wurde auf die Baffenmänner 
(Gensdarmen) große Sorgfalt verwandt, unb ihre Discipfin war wuns 
derbar. Selbit Philipp, der doch an militärifchen Angelegenheiten ges 
ringen Geſchmack fand, pflegte ſie von Zeit zu Zeit in eigner Perſon 
zu muftern. Außer biefen Truppen gab es ein Korps von dreißig 
taufend Mann Miliz, dad der König nötbigenfalld ind Feld rufen 
fonnte. Ein Korps von ſechszehn hundert Reitern patrouillirte bie 
Süpdfküfte Andaluſiens, um das Land vor den Einfällen der afrifanis 
fchen Moslems zu fchügen. Auch gab ed Garnifonen in den Feſtun⸗ 
gen längs der nördlichen und füplichen Gränze Spaniens, die eine 
fiehende Macht zur Verteidigung des Königreiches ſowohl gegen bie 
Empörung im Innern, ald gegen Einfälle von Außen, bildeten. 


*) Relazione di Contarini, Ranufft. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 157 


Dreizehntes Kapitel. 
Die innern Angelegenheiten Spaniens. 


Die Beiftlichfeit. — Ihre Unterwüärfigkeit gegen die Krone, — Der Escorial. _ 
Die Königin Anna. 


Ein Ueberblid der innern Verfaffung Eaftiliend würde ohne eine 
Berüdfichtigung des geiltlichen Standes unvollftändig fein; denn man 
kann ſich wohl denfen, daß die Geiftlichfeit in einem folhen Lande und 
unter einem folten Monarchen, wie Philipp, einen hervorragenden 
Standpunft einnahm. Ja, dieſer Fürft fpielte vor der Welt nicht nur den 
großen Vertheidiger des Glaubens, fondern war im Privatleben immer 
bemüht, feinen Eifer für die Religion und ihre Diener fehen zu laſſen. 
In diefer Hinficht erzählt man uns von ihm viele Anekdoten. Als er 


zum Beifpiel einftmald ein junges Mädchen hinter die Vergitterung 


des Altars gehen fah, tadelte er fie mit den Worten: „Wohin der 
Priefter gebt, ift weder ein Ort für mid), noch für dich!“ ) Einen 
Kavalier, welcher einem Canonicus von Toledo einen Schlag gegeben 
hatte, verurtheilte er zum Tode. **) 

Unter feinem Schuge und feiner fürftlichen Bönnerichaft gedieh 
die Kirche zu ihrer höchften Blüthe. Die Kollegien und Klöfter, — 
furz, die religiöjen Inftitutionen einer jeden Art, — wurden über da 
ganze Land gefäet. Die guten Väter wählten ſich für ihre Wohnuns 
gen angenehme, malerische Gegenden heraus, daher der durch das Land 
fommende Reifende über die Zahl der ftattlichen Gebäude eritaunte, die 
auf den Berggipfeln ftanden oder an Abhängen lagen und von Terri- 
torien umgeben waren, welche fidy meilenweit über Wieſen, bebaute 
Felder und Weidepläge erftreckten. 

Die weltlichen Geiftlihen, wenigftens die höheren Würdenträger 
derfelben, hatten fo gute Einfünfte, daß fie durch den Glanz ihres 

*) „Vos ni yo no avemos de subir donde los Sacerdotes.“ — Dichos y 
Hechos de Phelipe II, S. 96. 
*) Cabrera, Filipe Segundo, ©. 894, 





158 Dreiykums Rupie. 


Gauskuns nritumter die Öranten verbunfelien. Zur Zei Ferkimande 
wur Jiabelens Hand dem Grzbiichei von Tolede tie Iuriötikriom ũber 
funfschn große Sıabte uns eine grade Menge Dörfer zu. Seine jähr⸗ 
lichen Einkimfte belichen fh auf volle adıtjig tawjent Tufasın.*) Zur 
Zeit Philipps belief ſich das Einfommen des Erzbijchefs von Sevilla 
auf die namliche Summe, währens batienige des Diichefötuhld von 
Teleto auf zweimal hundert tauiend Dulaten, auf fat zweimal to viel, 
ald das des reichiten Sranten des Königreichs, geitiegen war. **) An 
Reichthum und Macht fam in ter ganzen Ehrikenkeit der Brimat von 
Epanien dem PBapite am näcıtten. 

Tie große Quelle al’ dieſes Reichthums des geiklichen Standes 
beftane in Eaftilien, wie in ten meiſten andern Xäntern, in Beneſizen 
und Bermächtmifien ter Frommen, bejonderd terjenigen, die ihre Froöm⸗ 
migfeit bis and Lebensende verihoben hatten unt nun, da fie gern tie 
vergangenen Miſſethaten wieter gut machen wellten, mit ihren Bers 
maͤchtniſſen um jo weniger fargıen, ald Alles auf Rechnung ihrer Er» 
ben ging. Ta das auf dieſe Weile Bermadhte ein unveräußerlicher 
Beiig blieb, war, wenn wir den Berfiherungen ber Cortes glauben 
dürfen, die Eigenihumsanhäufung ver Kirche zur Zeit Philipps auf 
über die Hälfte ded Grunpbefiges im Königreiche geftiegen. ***) Auf 
dieſe Weile fiel die Beitreitung der Staatskoſten mit wachienter 
Schwere den Gemeinen zur Laft. Die Beräußerungen ter todten Hand 
gaben den Eortes ſehr frühzeitig nad) Philipps Thronbeſteigung zu 
Beichwerben Anlaß, aber vergebend. Denn obichon die nämliche Pes 
sition faft in jeder folgenden Eigung in fehr verftändlicher Sprache 
dringlich wiederholt wurde, antwortete doch immer der König, daß es 
nicht geeignet wäre, in ben beftehenden Gefegen eine Aenderung zu 
machen. Außer feiner Begünftigung des geiftlidhen Standes war 
Philipp mit dem theuern Bau des Escorial beichäftigt, daher er wahr⸗ 
ſcheinlich nicht gern die Ströme der öffentlihen Wohlthätigkeit, die 
bisher fo freigebig in die Aufbehälter der Kirche geflofien waren, auf 


*) L. Marineo Siculo, Cosas Memorabiles, Fol. 23. 
**) Nota di tutti li Titulati di Spagna, Manuflr. 
**®) Lafuente, Historia de Espana, ®b. XIV, ©. 416. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 159 


dieſe Weife ploͤtzlich verſtopft wiften wollte, da er ja felber biefelben für 
fein noch im Werden begriffenes Gebäude brauchte. 

MWährene Philipp alfo gern den fchon zu mächtigen geiftlichen 
Stand erhöhte, hütete er ſich wohl, daß derſelbe nie eine Höhe erreichte, 
welche ihn über die königliche Autorität hinaus erheben könne. Die 
Theologen wurden in der Kirche, wie im Rathe — denn biefelben wur» 
den häufig in die Näthe gebracht — ftets als bie treueften Diener ber 
Krone befunden. War ed doch die Krone, auf die fie alle ihre Hoff» 
nung auf Beförderung fegen mußten. 

Bhilipp ſah vollfommen ein, daß bie Kontrofle der Geiſtlichkeit 
in derjenigen Gewalt liegen muß, welche das Recht der Ernennung zu 
Dfründen befigst. In feiner gewöhnlichen übergreifenden Weife hatte 
- der römische Stuhl, wie in andern europätfchen Staaten, fo audy lange 
in Gaftilien die Ausübung dieſes Rechtes beanſprucht. Die große 
Schlacht mit der Kirche wurde in der Zeit Iſabellens der Katholifchen 
ausgefochten. Gluͤcklicherweiſe hielt das Scepter eine Fuͤrſtin, deren 
Blaubenstreue über alleın Verdacht erhaben ftand. Aus dieſem heißen 
Kampfe ging fie fiegreich hervor, fo daß indfünftig die Regierung Gas 
ftiliens im Befig der wichtigen Prärogative, die leergewordenen Pfrüns 
den bejegen zu fönnen, blieb. 

Philipp war bei al’ feiner Ergebenheit gegen Rom nicht der 
Mann, der irgend welche Prärogative der Krone fahren ließ. ine 
Schwierigkeit erhob fihy unter Pius dem Fuͤnften, weil biefer behaup⸗ 
tete, daß er noch das von frühern Päpften befefiene Recht habe, bie 
geiftlichen Stellen in Mailand, Neapel und Spanien, ben ttalienifchen 
Befigungen Spaniens, zu befegen. Er beſchwerte fich bitter über das 
Betragen der Räthe jener Staaten, welche ihm nicht ohne das fönigs 
liche Exequatur die Veröffentlichung feiner Bullen erlauben wollten. 
Philipp drüdte in milden Worten den Wunſch aus, daß er die freund» 
fhaftlichften Beziehungen mit dem römifchen Stuhle unterhalten wolle, 
wofern man von ihn nicht fordere, daß er die Intereflen der Krone ges 
fährde. Zu gleicher Zeit gab er fein Erftaunen fund, daß Eeine Heis 
ligfeit Ausnahmen für feine Ausuͤbung des Rechtes feiner Vorgänger 
nahm, von benen die Kirche vielen die ausgezeichnetften Dienfte vers 
dankte. Der Papft fah recht gut ein, wie wichtig es war, mit einem 


160 Dreisehntes Kapitel. 


jo ergebenen Sohne der Kirche ein guted Verſtändniß zu unterhalten; 
weshalb Philipp von nun an im ungeftörten Beflg dieſes unfchäsbaren 
Vorrechts bleiben durfte. *) 

Der König übte die ihm zuftehende Befugniß mit großer Umſicht 
aus. Mit feiner gewöhnlichen leichten Auffaflungsgabe machte er ſich 
mit den Eigenfchaften der einzelnen Geiftlichen in den verfchiedenen 
Theilen feines Gebietes befannt. Er war in diefer Sennmißnahme 
fo genau, daß er in ben erhaltenen Berichten leicht einen Fehler oder 
eine Auslaffung zu entdeden im Stande war. So machte er Jeman⸗ 
dem, der ihm einen gewiſſen Geiftlichen geichilvert hatte, die Bemer⸗ 
fung: „Aber, Sie haben mir noch nichts von feinen. Liebfchaften ges 
fagt.* Indem er alſo vollfommen mit den Eigenfchaften der einzelnen 
Kandidaten befannt war, vermochte er, wenn eine Vacanz eintrat, bie 
feer gewordene Stelle mit einem paffenden Geiftlichen zu beiegen. **) 

Ehe Philipp ein Individuum zu einer hohen Stellung bevorzugte, 
mußte er gewöhnlich ſchon die Käbigkeit deſſelben in einer untergeorb- 
neten Funktion erprobt haben. Bei feiner Auswahl gab er viel auf 
den Rang wegen bed Einflufles, weldyen derfelbe mit ſich führte. Doch 
wenn er ganz von den Berbienften eined Menfchen überzeugt war, bes 
förderte er häufig diejenigen, deren niederer Stand fie wenig auf eine 
ſolche Erhebung vorbereitet hatte. ***) Zur Erlangung feiner Gunft 
gab es fein ficherered Mittel, al8 wenn man ben Ufurpationen Rome 
einen beharrlichen Widerftand bewieien hatte. Dem Umſtande, daß 
fid) Duiroga, der Bifchof von Euenca, geweigert hatte, ohne die füs 
nigliche Einwilligung eine päpftliche Bulle zu veröffentlichen, verbanfte 
derſelbe, wenigſtens theilweiſe, feine Erhebung zu der höchften Würde 


*) Ebend., Br. XIUT, ©. 261. — Cabrera, Filipe Segundo, &. 492 
und 433. 

**) Cabrera, Filipe Segundo, Buch XI, Rap. 11; Buch XI, Kap. 21. — 
Relazione Anon. 1558, Manuffr. 

++) „Otras vezes presentaba para Obispos Canonigos tan particulares i 
presbiteros tan apartados no solo de tal esperanga, mas pensamiento en &i 
mismos, i en la comun.opinion, que la cedula de su presentacion no admitis 
su rezelo de ser enganados 6 burlados. Eligia 4 quien no pedia, i merecia.* 


- Cabrera, Filipe Segundo, ©. 891.. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 161 


x 


tm Königreiche, die Erhebung auf den erzbiſchoͤflichen Stuhl von 
Toledo. Bhilipp wollte von derjenigen Perſon, der er einen Vorzug 
erwiejen hatte, eine gebührende Anertennung haben. Als zum Bei: 
fpiel einſtmals ein Geiftlicher, den er zum Bifchof gemacht hatte, von 
feinem biſchoͤflichen Stuhle Beitg ergriff, ohme vorher jeine Dankbarkeit 
audgedrüdt zu haben, ließ ihn der König zurüdfommen und mahnte 
ihn an feine Pfliht.*) (Eine derartige Anerfennung war gewiſſer⸗ 
maßen eine Quldigung, weldye der Beförderte ſeinem Herm zu leiften 
hatte, 

Auf diefe Weife waren die Dankbarkeit für die Bergangenbeit 
und die Hoffnung auf die Zufunft die flarfen Bande, welche jeden 
Praͤlaten an feinen Fürften feffelten. Kam dann eine Streitigfeit mit 
dem roͤmiſchen Stuhle, fo war es ficher, daß ber caftilifche Geiſtliche 
eher auf der Seite feined Souveräns, als auf derjenigen des Papitee 


zuu finden war. Gerieth er jelber in Unannehmlichfeiten, fo hatıe er 


ſich gleichfalls um Häülfe nicht an den Bapft, fondern an den König zu 
wenden. Wenn dagegen ber König hart von den ihn oft umringenden 
Berlegenheiten bedrängt war, erwartete er Hülfe von der Geiftlichkeit, 
und dieſe unterftügte ihn auch meiſtens freudig und freigebig. RNir⸗ 
gende war die Geiftlichkeit jo Sehr, wie in Spanien, belaftet. **) Wan 
hatte berechnet, daß fie wenigftens zwei Drittel ihrer Ginfünfte an den 
König abgab. So vollfländig ftanven ſowohl der geiftliche, wie ber 
weltlihe Stand in der ganzen Monarchie unter der Kontrolle des 
Kürften. 

- Einige Seiten weiter vom berührte ich, als ich von den Ber: 
Außerungen ber todten Hand iprach, gelegentlich den Escorial, melchen 
die Spanier ftolz dad „achte Wunder der Welt” heißen. Einen ge: 
eigneteren Plag, von dieſem außerordentlichen Gebäude zu iprechen, 
ald den Theil der Daritellung, worin ich jo gut als möglidy den Cha⸗ 
rafter und die Gewohnheiten Philippe zu beleuchten geſucht habe, kann 
ed nicht geben. Der &scoriat füllte die Mußezeit von mehr als dreißig 


— — — 


v⸗ 


Ebend., Bud XI, Kap. 11. 
**) Relazione di Contarini, Manuſtr. — Ranke, Ottoman and Spanislı 
Empires, ©. 61. 
Brescott, Geſch. Bhilipp's II. V. 11 


162 Dreizehutes Kapitel. 


Fahren feined Lebens aus; er fpiegelt auf eigenthümliche Weiſe feine 
Lieblingebefchäftigungen und das geftrenge Weſen feines Geiſtes wie 
der: fo daß, was für ein Urtheil man auch über ihn als ein Kunftwerf 
fällen mag, man body nicht in Abrebe ftellen Tann, daß jenes wunder 
volle Gebäude allein — wären auch alle anbern Spuren von Philipps 
Regierung vertilgt — genügen würde, um bie Größe feiner Bläne unb 
bie Ausdehnung feiner Hülföquellen zu zeigen. 

Die gewöhnliche Ueberlieferung, daß Philipp den Escorial zu 
folge eines um den 10. Auguft 1557 — bie Zeit der großen Schlacht 
bei St. Quentin — gethanen Geluͤbdes aufführte, iſt von neuern Kri⸗ 
tifern aus dem Grunde verworfen worden, baß bie zeitgenöffifchen 
Schriftfteller und unter ihnen Die Befchichtichreiber des Kloſters dieſes 
Faktum nicht enwähnt Haben follen. Allein, eine unlängft entbedite 
Urfunde läßt wenig Zweifel übrig, daß ein foldyes Gelübbe wirflid 
getan wurbe.*) ebenfalls aber ift e6 gewiß, daß der König das 
Ereigniß durch diefen Bau zu verewwigen gedachte, wie daraus hervor⸗ 
geht, daß es dem heiligen Laurentius, dem Heiligen, an deſſen Ra 
mendtage der Sieg gewonnen wurbe, gewidmet if. “Der dem Orte 
gegebene Rame war El Sitio de San Lorenzo el Real. Allein, das 
Klofter war befannter unter dem Namen des in feiner Nähe liegenden 
Weiters: —- El Escurial, oder El Escorial, welche legtere Schreibart 
von den Eaftiliern bald allgemein adoptirt wurbe. **) 

Trotzdem hatten die Motine, welche wahrfcheinlich Philipp am 

*) Das berührte Dokument if ein Brief ohne Datum und Unterfchrift, aber in 
ber Schreibweife des fechszehnten Jahrhunderts, und angeblih von einem Manne 
geſchrieben, welcher mit dem Abfaflen ter nöthigen gefeplichen Urfunden für die 
Gründung tes Klofter6 beauftragt war. Er fragt an, ob er in ter Borrete tas 
Gelübde Seiner Majeſtaͤt erwähnen fol. „El voto quo 8. M. hijo, si S. M. 
no lo quiere poner ni declarar, bien puede, porque no hay para que; pero si 
8. M. quisiere que se declare en las escrituras, avisemelo v. m.“ — Doeu- 
mentos In&ditos, Bd. XXVIU, ©. 567. 

”) 686 lafien fi gleichalte Beifpiele von beiderlei Schreibweifen des Namens 
auffinten, wiewohl das jetzt im Caſtiliſchen allgemein gebräudliche Escorial gleich 
von vornherein das öfters gebrauchte gewelen zu fein fcheint. Das Wort fommt 
her von scoriae, die Schladen von Bifenminen, welche man in der Nähe des Ortes 
fintet — Ziehe Ford, Handbook for Spain, dritte Auflage, S. 731. 


= ww WE WS. BR’ uf. 


Die innen Angelegenheiten Spaniens. 163 


meiften zum Bau beftimmten, feinen Bezug auf bie Schlacht bei 
St. Dumtin. Der Kaifer, fein Vater, batte in feinem Teftamente 
verfügt, daß feine Gebeine zu Yufte ruhen ſollten, bis fein Sohn für 
fie einen paffenderen Platz hergeftellt Hätte. Das jebt zu errichtende Ge⸗ 
bäude war ausdrüdlich zu einem Maufoleum für die Aeltern Philipps, 
fowie für die Abfömmlinge der Föniglichen Linie Defterreich, beftimmt. 
Doch war die Errichtung eined großartigen religiöfen Haufes, welches - 
der Welt die Froͤmmigkeit Philipps verfünden follte, in feinem Geifte 
bie vorherrfchende Idee. Es lag ferner zum Theil in feinem Entwurfe, 
mit dem Plane einen für ihn beftimmten Palaft zu verbinden; denn 
eine vielleicht won feinem Vater geerbte Vorliebe trieb ihn dazu, in dem 
geweihten Schatten bes Klofterd zu wohnen. Diefe Ideen, welche 
freilich ewwas unzufammenhängend erfcheinen können, wurden vollftän- 
dig verwirklicht bei der Errichtung dieſes Gebäudes, welches die brei- 
fache Beftimmung hatte, zugleich als Palaft, ald Klofter und ald Grab 
zu dienen. ®) 

Bald, nachdem der König nach Spanien zurüdgefehrt war, ging 
er an die Ausführung feines Planes. Die von ihm nad) jorgfältiger 
Prüfung erwählte Stelle des Gebäudes befand ſich im Gebirge der 
Guadarrama an ber Graͤnze Neucaftiliens ,**) etwa acht Stunden 
norbmeftlich von Mabrid. Die Gefunbheit der Gegend und die nicht 
allzu weite Entfernung von der Hauptftabt trafen mit der feinem Ges 
fchmade fo angemefienen finftern und einfamen Beichaffenheit der Dert- 
lichfeit zufammen, um bie legtere vor andern Orten, bie vielleicht Leu⸗ 
tem eines verſchiedenen Weſens angenehmer gefchienen hätten, vorzu⸗ 
ziehen. Da der Platz von rauhen, felfigen Höhen, bie fich bisweilen 
zu der riefigen Größe von Bergen erhoben, rings umgeben war, ſchien 
er von ber Welt ganz abgefchloffen zu fein. Der dafige Pflanzenwuchs 
war dünn und verfrüppelt und gebieh felten zu dem üppigen Blätter 


*) Ein von Siguenga veröffentlichter Brief des königlichen Gruͤnders zählt die 
Zwecke auf, denen befonders das neue Gebäude gewidmet fein follte. — Historia de 
la Orden. de San Geronimo, Dd. III, &. 534. 

») „Der Escorial wird von einigen Geographen nach Altcaftilien verlegt, als 
lein die Provinztheilung gefchieht Dahinter auf dem Kamme der Sierra.” — Ford, 
Handbook for Spain, &. 780. 

11” 








164 Dreigehnies Kapitel. 


werfe ter Riederungen, während von der benachbarten Sierra Lie Winde 
mit der Gewalt eined Orkanes hernieberbrauften. Indeſſen war Lie 
Luft gefund und der Boden mit Quellen des reinften Waſſers getränft. 
Zu dieſen Vorzügen gefellte ſich noch ein ganz naher Steinbruch mit 
vortreffficheın Oeftein, welches feinem Ausfchen nach dem Granit glidy 
und reichliched Baumaterial abgab: — ein Umftand, der, wenn man 
bie Größe des Gebäudes in Betracht zieht, von nicht geringer Wichtig⸗ 
feit war. 

Der Architekt, welcher die Pläne machte und dem der König bie 
Ausführung berfelben übertrug, war Juan Bautifta de Toledo. Er 
war ein geborner Epanier, war aber, da er frühzeitig in feiner Kunſt 
großes Talent zeigte, nach Italien gefcyidt worden. Hier ſtudirte er 
die Prinzipien feiner Kunft unter den großen Meiftern, weldye bamald 
ihr Heimathland mit den Denfmälern des Genies erfüllten, die dem 
Künftler das befte Studium gewährten. Toledo fog ihren Geift em 
und erlangte unter ihrer Zeitung jenen einfachen, ja ftrengen Geſchmach, 
weldyer mit dem damals vorherrichenden Tone der fpanifchen Architeftur 
zwar einen Gegenſatz bildete, aber glüdlicherweife dem koͤniglichen 
Gönner angenehm war. 

Ehe zu dem neuen Gebäude ein Stein gelegt wurde, trug Philipp 
Sorge, ſich mit Befigern, die es bewohnen follten, zu verichen. In 
einem allgemeinen Kapitel der Hieronymitifchen Bruderſchaft wurbe 
für das Kloſter des Escorial ein Prior erwählt. Es follte funfzig 
Mönche enthalten, indeß wurbe die Zahl bald verdoppelt. Philipp 
hatte fi) den Hieronymitenorden vorzuziehen bewogen gefühlt, theils 
wegen des Rufes adfetifcher Froͤmmigkeit, in welchem fie allgemein 
ftanden, theil8 wegen der ihnen von jeinem Vater bewieſenen Adytung, 
denn der Kaifer hatte ja ein Kloſter dieſes Ordens zum Plage feiner 
legten Zurüdgezogenheit erwählt. Die Mönche waren ſchnell in dad 
Torf des Escorial übergefiedelt, wo fie zu wohnen fortfuhren, bis für 
fie Wohnungen in tem prächtigen Gebäude, welches fie von nun an 
bewohnen follten, eingerichtet waren. 

Ihre zeitweilige Wohnung war, wie die meiften Häufer ded Ger 
höftes, der niedrigften Art. Sie war ohne Senfter und Kamine und 
der Regen fonnte durch Das verfallene Dad) des Zimmer, welches fie 


— — — — vn nl iu 


Die innen Angelegenheiten Spaniens. 165 


als Kapelle benugten, durchdringen, fo daß fie fich mit über ihre Köpfe 
gehenden Bettdecken [chügen mußten. An dem einen Ende ber Kapelle 
hatte man einen rohen Altar errichtet, an deffen Geftein mit Holzfohle 
bie Geftalt des Kreuzes gefrigelt war. *) 

Wenn ber König den Ort befuchte, wohnte er im Pfarrhaufe, 
welches fid in feinem beffern baulichen Zuftande, als die übrigen Ges 
bäude des Weilers, befand. So oft er dafelbft war, zeigte er fi 
pünktlich in feinem Beſuch der Mefie, wo für ihn in der Nähe des 
Chores ein roher Sig eingerichtet wurde. Derfelbe beftand aus einem 
breibeinigen Etuhle und entzog ſich den Blicken des Publikums durd) 
einen Schirm von fo altem, abgenusten Tuche, daß ein neugieriger 
Zuſchauer ohne Schwierigkeit durch die darin befindlichen Xöcher fehen 
Eonnte.**) Philipp war dem Chore dergeftalt nahe, daß der ihm zus 
nächft ſtehende Moͤnch e8 faft nicht vermeiden Fonnte, an den König 
zu floßen. Der Hieronymite, welcher und die Geſchichte mittheilt, ver 
fichert und, daß Bruder Antonio zu weinen pflegte, wenn er ihnen zu 
wieberholten Malen erzählte, daß er einen verfiohlenen Blick auf den 
Monarchen geworfen und feine Augen mit Thränen gefüllt gefehen 
habe. „Solchergeftalt waren”, fagte der gute Vater, „die Andacht 
und Freudigfeit, womit der König, indem er auf bie rings um ihn 
berrichende Armuth blicte, bei feinen ſtolzen Plänen weilte, wodurch 
er diefe Armuth in eine großartige Scene, die der Berrichtung des Got⸗ 
teödienfted würbdiger wäre, verwandeln wollte. ****) 


— — — 


“) Siguenga, Hist. de la Orden de San Geronimo, ®b. III, ©. 549. — 
Memorias de Fray Juan de San Geronimo, Documentos Ineditos, Bd. VII, 
S. 22. 

”) „Tenia de ordinario una banquetilla de tres pies, batisima y grosera, 
por silla, y cuando iba 4 misa porque estuviese con algun decentia se le ponia 
un pano viejo frances de Almaguer el contador, que ya de gastado y deshilado 
hacia harto lugar por sus agujeros & los que querian veı & la Persona Real.“ 
— Memorias de Fray Juan de San Geronimo, Documentos Ineditos, Bd. VII, 
S. 22. 

*=*) „Jur&baine muchas veces llorando el dicho fray Antonio que muchus 
veces alzando cautamente los 0jos vi6 correr por los de S. M. lägrimas: tanta 
era su devocion mezclada con el alegrfa de verse en aquella pobreza y ver träs 
esto aquella alta idea que en su mente traia de la grandeza & que pensaba le- 
vantar aquella perqueüez del divino culto.* — &bend., wie oben. 


166 Dreygebmiet Rayitel. 


Bean Vbilipp in Lieier cienden Hürte ten Antachesübumgen bes 
wohnte, zeigte er eine jolche Demuth, daß tie Drüter gan; taDen er 
bant waren. Sie erzählten oft die Geſchichte daß, ale Philivv eimei 
Tages zu ipar zur Frübmeſſe fam, er ch fill am Gingange auf can 
rohen Banf nieteriegte, an deren obern Ente kereitd rin Amer traf. 
Hier blieb er einige Zeit, bis Lie Mönd teinc Amweienbeit bemerken 
und ihn nad) einem Eige führten. *) 

Der erfte Etein zum Klofter wurte ten trei une zwanzigſten April 
1563 gelegt. An tem Tarauf folgenden zwanzignen Auguſt weurt 
mit noch größerer Pracht und Feierlichkeit ver Edein der Kirche eben: 
fallo aglegt. Der König, der anweſend war, legte ten Stein eigen⸗ 
hantig. Die vornehmiten ateligen Herten von Hofe beianden füch in 
jeinem Gefolge, und eine Menge Zuſchauer, ſowohl Geiftliche wie 
Laien, waren zujammengefttömt. Der feierliche Gonesdienſt Idhles 
mit einer von der Bruderfchaft angeltimmten Hymne des Preiſes umt 
Dankes gegen den Allmädytigen, tem in dieſer Gebirgsrinste ein ic 
ruhmreiches Monument errichtet werben jollte. **) 

Die wilte Eierra war jegt voller Leben. Den Boten bededten 
Zelte und Hütten. Tas fleigige Geflapper ver Arbeit mifchte ich in 
die Sefänge der Arbeiter, die durdy ihre verfchiedenen Dialekte die ver 
ichiedenen, oft weit von einander entlegenen Provinzen, denen fie ent: 
flammten, verriethen. In dieſer bumten Schaar berrichte die großte 
Ordnung und Sittfamfeit, fo daß tie friedlichen Beichäftigungen dee 
Tagewerfd nicht durdy etwaige unanftändige Zwiſte unterbrochen 
wurten. 

Sowie das Werk vorwärts fchritt, wurten Pie Beſuche Phi⸗ 
lipps länger und häufiger. Er hatte immer Borliebe für Kloſter⸗ 
zurüdgezogenheit gezeigt und jährlidy einige Tage darin zugebradt. 
Ya, die Eharwoche verlebte er nicht fern von dem Echauplage feiner 
gegenwärtigen Arbeiten, im Klofler von Guiſando. Die Luft an jeiner 
jeßigen Mönddzurüdgezogenheit wurbe ihm noch erhöht durch dad 


— —— — — 


*), „Para levantar tanta fabrica menester eran actos de humilidad tan 
profunda!* — Gtend., &. 23 

*) Ebend., ©. 25 fi. — Siguenga, Hist. de la Orden de San Geronimo, 
Br. IH, ©. 316. 


a, ji 


Die innern Angelegenheiten Spaniene. . 167 , 


Betrachten des großen Werkes, welches feine Gedanken eben fo viel, 
wie irgend welche Regierungsangelegenheiten zu beichäftigen fchien. 
Philipp Hatte fi) mit dem Studium der fchönen Kiümfte bis zu 
einem Grabe, wie man das bei Perſonen feines Standes felten findet, 
beichäftigt. Er verftand fid) auf Gemälde und vor Allem auf bie Ar 
chitektur, fludirte forgfältig die Prinzipien derfelben und machte hin 
und wieder eigenhändige Zeichnungen oder Rifie.*) Kein damaliger 
Fürft hinterließ an Bauten fo viele Beweife feines Geſchmackes und 
feiner Pracht, wie er. Die königliche Münze zu Segovia, das Jagd⸗ 
ſchloß des Pardo, die angenehme Refidenz von Aranjuez, der Alcazar 
von Mabrid, die „Armeria Real‘ und andere herrliche Werke, welche 


feine emporwachlende Hauptfladt zierten, waren von ihm entweder _ 


felbft gebaut oder doch ſehr verfchönert worden. Das Land bebedie 
fich mit fowohl weltlichen, als religiöfen, unter der Eöniglichen Batros 
nage erftehbenden Gebäuden. Das Auge des Reifenden traf befländig 
auf Kirchen und Klöfter, namentlich auf letere, die in beffagenöwerther 
Menge vorhanden waren. Der allgemeine Styl der Ausführung war 
Auberft einfach. inige von ihnen, wie die große Kathedrale von 
Valladolid, die zwar mehr Anfprüche machen konnten, aber doch im⸗ 
ner noch den nämlichen frengen Charakter in ihren Entwürfen zeigten, 
bildeten ausgezeichnete Mufter der Baukunſt und wirkten ber metzen⸗ 
artigen Tendenz jener Zeit entgegen, Hiervon verichiebene Bauten 
führte Philipp längs der nörblichen Graͤnze und ber füblichen Küfe 
deo Koͤnigreichs auf,. fo daB ber Reilende des Mittellaͤndiſchen Meeres 
auf den Bergesgipfeln oben über den Meereögeftabe eine Feſtung um 
bie andere gegen die Einfälle der Seeräuber ber Berberei erblickte. Die 
Bauleidenfchaft des Königs blieb aber nicht auf Spanien beichränft, 
fonbern wohin immer feine Armeen in den halbeivilifirten Gegenden 
der Neuen Welt vorbrangen, war ficher ber Marſch der Eroberer mit 





*) „Tenia tanta destreca en disponer las tragas de Palacios, Castillos, 
Jardines, y otras cosas, que quando Francisco deMora mi Tio Tragador mayor 
suyo, 3 Juan de Herrora su Antecessor le traian la primera planta, assi man- 
dava quitar, d poner, d mudar, como si fuera un Vitrubio.“ — Dichos y 
Hechos de Phelipe II, ©. 181. 


— 1 





168 Dreizehnies Kapitel. 


geiftlichen und militärifchen im Rüden erftehenden Gebaͤuden ge 
zeichnet. 

Gluͤcklicherweiſe führte die Aehnlichfeit des Geſchmacks zwiihen 
dem Monarchen und feinem Architeften in den Konferenzen über ind 
große Werk, welches den Architeftenruhm der Regierung Philipps frör | 
nen follte, zu der vollfommenften Harmonie. Der König prüftene 
Details und bewachte beim Vorrüden ieden Schritt ded Gebäudes ganz 
eben ſo forgiam, wie Toledo felber. Um aus der Entfernung ben 
Effect zu beurtheilen, erſtieg Vhilivp gewöhnlich das Gebirge an einer 
ohngefähr eine halbe Stumde von dem Klofter entfernten Stelle, we 
vie Felsklippen eine Art natürlichen Stuhl gebildet hatten. Hier 
pflegte er mit dem Bergrößerungdglafe fundenlang zu fiten und auf 
dad unten emporwachſende Gebaͤude herabzufchauen. Der Ort beift 
jetzt noch der „Koͤnigsſitz“. *) 

Es war gewiß fein geringer Beweis von dem Interefie, welches 
Philipp an dem Bau nahm, Daß er feinen Ralaft zu Madrid mit 
einem Page, wie dem arımfeligen Dorfe bes Escorial, das ihm kein 
beffered Unterfommen zu gewähren vermochte, zu vertauichen belichtr. 
Doch traf er 1571 in der dortigen Einrichtung eine Beränderung, in 
Dem er eine Kapelle ‚errichtete, die ben Mönchen einen anftändigeren 
Drt ber Gottesverehrung, ala ihr alter dem Wetter ausgefegter Schup⸗ 
pen geweſen war, barbot. Hiermit verband er noch ein bequemes 
Zimmer für fich felber. In dieſem neuen Aufenthalte verbrachte er 
jet noch mehr Zeit in Flöfterlicher Abgefchloffenheit, als früher. Weit 
Davon entfernt, daß er feine Aufmerkfamfeit auf die Ueberwachung bes 
E6coriald beichränft hätte, brachte er vielmehr feine Sefretäre und Ras 
piere mit, las Bier die vom Auslande anlangenden Depefchen und uns 
terhielt eine fleißige K orrefpondeng mit allen Theilen feiner Befigungmn. 
Hier machte er, jagt ein Hierongmite, viermal fo viel fertig, als wäb⸗ 
rend ber gleichen Anzahl Tage in ber Hauptflaht.**) Er pflegte ſich 
zu rübmen, daß er, auf diefe Weife.von der Welt abgefchloflen, mit 


*) Lafaente, Historia de Espana, Br. XIN, ©. 253, 

**) „Sahese de cierto que se negociara aqui mas en un dia que en Madrid 
em quatro.“ — Siguenga, Historia de la Orden de San Geronimo, ®v. I, 
©. 875. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. " 169 


einem fleinen Papierſchnitzel die beiden Halbkugeln der Erde regierte. 
Daß er nicht immer weile regierte, beweifen von ihm mehrere Depes 
fchen Hinfichtlich der Angelegenheiten ver Niederlande, welche von die 
fen geweiheten Plage ausgingen. Hier erhielt er die Berichte von 
ben Vorgängen feiner fegerifchen Unterthanen ber Niederlande und ber 
maurifchen Empörten in Granada. Und wenn er ihre Zerftörung der 
Kirchen und Klöfter und ihre Entweihung der heiligiten Glaubens⸗ 
ſymbole der katholiſchen Religion erwog, empfand er wahrſcheinlich 
ftolge Zufriedenheit darüber, daß er der Welt feine Yrömmigfeit durch 
die Errichtung des Foftbarften Gebäudes, welches jemald dem Kreuze 
gewidmet worden war, bewies. 

Sm Jahre 1577 war der EScorial feiner Vollendung fo weit ente 
gegengeichritten, daß er nicht. mur für Philipp und feine naͤchſte Die- 
nerfchaft, fondern auch für viele Höflinge Räumlichfeiten barbot. Die 
letztern Perſonen pflegten während des Sommers einige Zeit bei dem 
Könige dort zu verbringen. Doch paffirte bei einer vieler Öelegenheiten 
ein Borfall, welcher beinahe für das Gebäude von den unheilvolifien 
Folgen geweſen wäre. 

Waͤhrend naͤmlich ein heftiges Gewitter im Gebirge wuͤthete, 
ſchlug in einen der großen Thuͤrme des Kloſters der Blitz ein. Bin⸗ 
nen Kurzem ſtand der obere Theil des Gebaäͤudes in Flammen. 
&lüdlicherweile beftand daſſelbe aus fo folidem Material, daß das 
Feuer nur langfam um fich griff. Aber ed war Außerft ſchwer, das 
Wafler hinaufzubringen. Da ed, ald das Feuer ausbradh, ſchon elf 
Uhr in der Nacht war, hatte fi) in dem ordentlichen Haushalte Phi⸗ 
lipps bereits Jedermann zu Bett. gelegt. Der Lärm machte die Schla> 
fenden ſchnell munter. Der König ftellte fih auf den gegenüberſtehen⸗ 
den Thurm und verfolgte mit tiefer Angft das Umfichgreifen der Flam⸗ 
men, Unter den Gäften befand ftch der Herzog von Alba. Obſchon 
biefer damals gerade an ber Gicht litt, hüflte er fich dennoch in feinen 
Schlafrock und erftieg einen Ort, wo er die Feuersbrunſt genauer fehen 
fonnte. Hier nahm der „gute Herzog” fogleid dad Kommando über 
ih und ertheilte feine Befehle mit fo viel Pünktlichkett und Entfchie- 
benheit, wie auf dem Schlachtfelde. *) 


*) „El buen Duque de Alba, aunque su vejez y gota no le daban lugar, 


1,9% luyerrıs ken 


Alle Arteuzleuse, ie wic tie Arco ud tar ⏑ 
ern bier veriammelı. Tie Arbeiter bewerten ten nämiuben Euberti; 
nar.enegrii, den fie währt des bieberi zen Baur brweriem basern. 
Ten Berichten te6 Herzogs wurte wnbrtings Felge eier, mt cd 
werden verfdhichene Hülle angeführt, we ter Arbeiter cine Tükme Sıribi- 
verläugnung jeigien und üd) anftrengten, aid cb ür grwupt Kätem, 
Laß ic üch unter ten Augen ihtes Füriien beianten. Der Iburm er 
zitterie unter ver Wath ter Flammen, umnt ber obere Thril Basen 
trobte jeden Augentlid einzubrehen. Bam beiürdheete iche, Daß a 
das in kichkm Theile des Kloſters gelegene Hoſpital yıtrimmmern 
würde. Gluͤdlichenweiſe fiel er nad) ver enigegengrieheen Ridhsung 
und riß mit ſich ein auf ihm beſindliches ſchõnes Blodenipirl, me ic 
doch bie Zuſchauer zu verlegen. Der Bertuk, welder ten Rimig m 
meiften ſchmerzte, betraf verſchiedene, unichägbere, in ten Flammen 
untergehende Reliquien. Doch linderte ſich der Kummer Philippo dvurd 
die Nachricht, daß ein Stüd von dem wahren Streu; und ber rechte 
Arm von ©t. Laurentius, dem zum Märtyrer gewordenen Patrone bei 
Escorial, au6 dem Feuer gerettet waren. Endlich wurde bad Bewer, 
welches bis ſechs Uhr des Morgens gedauert hatte, mit unglaublicher 
Anſtrengung gelöfcht. Philipp zog Rich darauf in fein Zimmer zuräd, 
wo dad Erfte, was er that, geweſen fein joll, daß er dem Allmäcdhtigen 
für die Erhaltung des zu feinem Dienſte befiimmten Gebäudes feinen 
Dank darbradyte. *) 

Der König wollte, daß fo viel ald möglich Materialien aus ſei⸗ 
nen eignen Befisungen zufammengebradht würben. “Diele Befigungen 
waren fo ausgedehnt und in ihren Erzeugniffen fo mannichfaltig, daß 
fie faft jeden zum Bau bed Gebäudes erforderlichen Artikel, ſowie bie 
Erfordernifie für die Auszierung des Innern enthielten. Das gras 
Geſtein, woraus die Mauern befanden, fam aus einem Steinbruche 
in ber Nähe. Es hieß Berroquena und iR eine Steinart, bie zwar 





— — 


se subi6 & lo alto de la torre & dar änimo y esfuerzo & los oficialesy gente;... 
y esto la hacia S. E. cumıe diessro capitan y como quien se habia visto en otros 
mayores peligros en la guerra.* — Memorias de Fray Juan de San Geronimo, 
Documentos Ineditos, Bd. VII, ©. 197. 

Ebend., ©. 201. 


— u — vu 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 171 


dem Granit ähnlicy ficht, aber nicht ganz fo hart ift. Die aus den 
Steinbrüden gebrochenen und dort zugehauenen Steinblöde waren 
mitunter von folcher Größe, daß ihr Kortfchaffen. vierzig bis funfzig 
Joch Ochſen nöthig machte. Der Jaspis fam aus der Umgegend von 
Burgo de Osma. Die zarteren Marmorarten, bie ſehr verſchieden⸗ 
farbig waren, lieferte die Gebirgskette im Suͤden ber Halbinfel. Die 
£öftlichen, eleganten Stoffe wurden großentheil® von einheimtichen 
Handwerkern geliefert. Hierher gehören die Damafte und Sanımete 
von Granada. Andere Städte, wie Mabrid, Toledo und Saragoffa, 
bewiejen den Bortfchritt einheimifcher Kunft durch fehenswerthe Er: 
zeugnifle aus Bronze, Eifen und bisweilen aus Föftlicheren Metallen. 

Doch verdankte Philipp feinen ausländifchen Befigungen, beions 
ders den italienifchen und niederländifchen, in hohen Grade bie Vers 
fchönerung ded Innern des Gebäudes, welche durch den koſtbaren Styl 
der Ausfchmüdung zu der firengen Einfachheit des Aeußern einen Ge⸗ 
genfaß bildete. Matland, welches damals wegen feiner jehönen Er» 
zeugnifie aus Stahl, Gold und koftbaren Steinen berühmt war, trug 
viele ausgefuchte Kunftgegenftände bei. Die Mauern waren mit ben 
reichen Tapeten der flamänbifchen Webftühle bekleidet. Die fpanifchen 
Klöfter wetteiferten mit einander in dem Beftreben, für bie Altäre 
Stidereien zu liefern. Sogar die rohen Kolonien der Reuen Welt 
nahmen an dem großen Werfe Antheil, indem bie amerifaniichen Waͤl⸗ 
ber ihre Eedern und ihr Ebenholz und ihre fchönfarbigen Holzarten, 
welche unter der Hand bes caftilifchen Arbeiterd ihren ganzen Barben- 
glanz entfalteten, lieferten. *) 

Obſchon Philipp fo viel als möglich bie Produkte feiner eignen 
Beſthungen verwenden und bie einheimifche Kunft anfpornen wollte, 
nahm er doch in einem befonderen Punkte faft ausichließlich feine Zu⸗ 
flucht zu Fremden. Die Delgemälde und Yredcos, welche in großer 
Menge die Mauern und Decken des Escorials verzierten, wurden aus» 
geführt von hauptſaͤchlich aus Italien bezogenen Künftlern, beren 


*) Siguenca, Historia de la Orden de San Geronimo, Bt. II, S. 596. — 
Dichos y Hechos de Phelipe II., €. 289. — Lafuente, Historia de Espana, 
Bd. XIV, ©. 437. 





172 Dreischntes Kapitel. 


Malerſchulen noch auf ber Höhe ihred Ruhmes fi) befanden. Bon 
allen lebenden Malern aber war Titian terienige, welchen Bbilipp, 
wie fein Bater, am meiſten zu ehren eine Freude fand. Der groß» 
müthigen Patronage ded Königs verbanft die Welt einige von ben 
edelften Schöpfungen dieſes großen Meiſters, bie an den Mauern dee 
Escorial einen paflenden Platz fanden. 

Die von Philipp gezahlten Preiſe fegten ihn in den Stand, bir 
ausgezeichnetſten Künſtler in feinen Dienk zu befommen. Ueber feine 
Freigebigfeit eriftiten viele Anekdoten. Indeſſen übte er eine firenge 
Kririf aus. Er verriet feine Meinung nicht vorzeitig. Aber, wenn 
die Stunde gefommen war, wiberfuhr dem Maler mandymal ber Aer⸗ 
ger, daß er das von ihm vielleicht mit größerer Zuverficht, ald mit Ge⸗ 
ſchicklichkeit, ausgeführte Werk ein für allemal verworfen oder im beiten 
Falle in einen dunfeln Winkel des Gebäudes geſteckt werben ſah. Die: 
ſes Schickſal widerfuhr einem italienischen Kuͤnſtler von viel größerer 
Prätenfion, als Kraft, der, nachdem er mehrere Verſuche gemacht, bie 
nach dem von fpätern Kritifern nicht umgeftoßenen Urtheile des Könige 
verunglüdten, nach feiner Heimath wieder entlafien wurbe. “Doch ſelbſt 
in biefem Falle verfuhr Philipp mit dem unglüdlichen Maler großmütbig. 
„Es ift nicht der Fehler Zuccaro's, fonbern derjenigen Perfonen, bie 
ihn hierher gebracht haben,“ fagte er; daher gab er ihm, als er ihn 
nad) Italien zurüdfchicdte, außer feinem großen Gehalte nody eine bes 
trächtliche Geldſumme obendrein. *) 

Beim Anblid diefes prächtigen Gebäudes, das gewiſſermaßen 
Philipps eigne Schöpfung war, fchien fi ihm das Herz aufzuthun 
und Annäherungen an jene ebelmüthigen Sympatbien für die Menſch⸗ 
heit, die ihm fonft zu fehlen fchienen, zu offenbaren. Wenn er den 
Arbeiten des Kuͤnſtlers zufah, konnte er ftundenlang ftehen, indem er 
bin und wieder Bemerfungen machte und bie Hand vertraulich auf bie 
Schulter deſſelben legte. **) Er fchien die Kälte und Zurüdhaltung, 
welche einen fo wefentlichen Theil feines Charakters bildeten, abge⸗ 
ftreift zu haben. Einftmals foll ein Fremder in ben Escorial gekommen 


*) Stirling, Annals of the Artists of Spain, ®d. I, ©. 211. 
*“) Stirliug, Annals of the Artists of Spain, Vd. I, ©. 208. 


EU U ⸗ 


Die Innern Angelegenheiten Spaniens. 173 


fein, den anweſenden König irrthuͤmlich für einen der Angefteiten ges 
halten und ihm einige Sragen in Betreff der Gemälde gemacht haben. 
Ohne ten Mann zu enttäufchen, ging Philipp auf den Irrthum des» 
felben ein und übernahm freundlich die Rolle des @icerone, indem er 
feine Fragen beantwortete und ihm bie fehenswürbigften Gegenſtaͤnde 
zeigte. *) Bon andern Königen eriftiren ähnliche Anefroten. Was 
an Philipp dabei befrembet, iſt nur, daß er die Rolle eines gut aufges 
legten Menichen fpielte. 

Im Jahre 1584 war bie Maurerarbeit des Escorial beendet. 
Seit dem Legen des erfien Klofterfteined waren ein und zwanzig Jahre 
verfloffen. Yür die Errichtung eines fo gewaltigen Gebäudes ift dies 
fiher als eine kurze Zeit anzufehen. Die St. Perersfirche, deren Vers 
gleich nahe Tiegt, weil file dem Gebäude an Größe und Pracht am 
nächften fommt, erforderte zu ihrer Errichtung, woran fich wenigftens 
achtzehn Päpfte bethätigten, über ein Jahrhundert. Der Escorial 
hingegen wurde, — mit Ausnahme der zu einer Begräbnißftätte für 
die fpanifchen Fürften von Philipp dem Vierten erbauten unterirdifchen 
Kapelle, — während der Regierung eines einzigen Monarchen errich⸗ 
tet. Diefer Monardy hielt die Einfünfte fowohl der alten, wie auch 
der neuen Welt in feiner Hand, und da er bis zu einem gewiffen Grade 
die Arbeit perfönlich überwachte, können wir wohl verfichert fein, daß 
Niemand auf feinem Poſten fchlafen durfte. 

Doch dem Architekten, welcher den Riß des Gebäudes entworfen 
* hatte, war es nicht geftattet, daflelbe zu vollenden. Schon lange vor 
der Vollendung war die Hand Toledo’& zu Staub geworben. Durch 
feinen Tod fchien Philipp einen unerfeglichen Verluſt erlitten zu haben. 
Er faßte ihn ſelbſt ſo auf, daher er nur mit großem Mißtrauen die 
wichtige Aufgabe ded Baues einem jungen Afturier, Juan de Herrera, 
übertrug. Allein, wenn Herrera auch jung war, hatte er ſich doch an 
den beiten Muftern gebildet ; benn er war der Lieblingsſchüler des Tos 
ledo, und es ftellte fich bald heraus, daß er nicht allein den ftrengen, 
erhabenen Styl ſeines Meifterd in fi) aufgenommen hatte, fondern 
das fein eigenes Genie ihn vollftändig befühigte, alle großen Entwürfe 


*) Dichos y Hechos de Phelipe II, &. 81 





174 Dreizehnies Kapitel. 


Toledo's zu begreifen und fie gerade fo vollfommen auszuführen, wie 
ed biefer Künftler felber nicht befler hätte thun fönnen. Philipp ſah 
zu feiner Genugthuung, baß er ſich nicht in der Wahl vergriffen hatte. 
Er verfehrte mit dem neuen Baumeifter bald eben fo häufig, wie früher 
mit dem Vorgänger befielben. Er erwies ihm fogar noch größere 
Gunft, indem er ihm einen Jahreögehalt von taufend Dufaten aus⸗ 
fegte, eine Stelle im Föniglichen Haushalte und das Kreuz beö heiligen 
Jakob gab. Herrera genoß das Glüd, den Escorial vollſtändig fertig 
zu machen. Ja, er lebte nach ber Vollendung noch fech8 Jahre. Er 
hinterließ mehrere weltliche und geiftliche Bauten, die feinen Rubm be 
gründen. Doch ift der Escorial dasjenige Monument, wodurch fein 
Name und derjenige feines Meiſters Toledo als diejenigen der beiden 
größten Baumeifter, bie Spanien aufzuweiſen hat, auf die Nachwelt 
herabgelangt find. 

Es ift hier nicht der geeignete Platz dazu, bie ardhiteftonifchen 
Vorzüge des Escorials zu Eritificen. ine folche Kritit wäre beſſer 
am Plage in einer Abhandlung über die Kunft. Es ift einfach meine 
Abficht geweien, dem Leſer einen folcyen Bericht von der Ausführung 
diefed großen Werkes vorzulegen, daß er fih von dem Gegenftande, 
welchen Philipp einen fo großen Theil feiner Zeit widmete und der in 
fo hohem Grade dad eigenthümliche Wefen feines Geiftes abfpiegelte, 
einige Borftellung machen kann. 

Dei der Beurtheilung des E&corial find die Kritiker weit von ein» 
ander abgewichen. Nur wenige Ausländer haben fi) vorgefunden, 
welche in die ungemefienen Xobederhebungen ber Gaftilier, die ihn für 
das achte Weltwunder erklären, eingeftimmt haben. *) Indeſſen fann 
man nicht Iäugnen, daß nur wenige Fremde geeignet find, über die 
Verdienſte eines Werkes zu entjcheiden, zu befien richtiger Beurtheilung 
ein vollfommenes Verftändnig bed Charakters bed Landes, worin cd 
erbaut wurde, und des Monarchen, der es erbaute, erforderlich if. 
Der Reiiende, welcher die langen Linien falten, grauen Gefteines, bie 


* Ein Gefchichtichreiber des Gscorial, ter Pater Francisco de los Santoe, 
nennt ihn auf tem Türelblatte feines Merfs: „Unica maravilla del mundo.“ — 
Descripcion del Real Monasterio de San Lorenzo de el Escorial, Madrid, 1698. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 175 


faum durch eine einzige Verzierung unterbrochen find, betrachtet, fühlt 
ein unheimliches Froͤſteln über ſich ichleichen, während er den Bau mit 
den leichteren, anmuthigeren Gebäuden, an bie fein Auge gemohnt ift, 
vergleicht. Aber er kann darin ben wahren Abdruck des Charakters 
bes Gründers eriehen. Philipp firebte nicht nach dem Schönen und 
noch weniger nach dem Heiteren und Sröhlichen. Die Gefühle, weldye 
er in dem Betrachter rege machen wollte, waren jener feierlichen, ia 
büfteren Art, welche am beften feiner religiöfen Ueberzeugung ent- 
fpradhen. 

Welche Mängel man aber auch dem Escorial zur Laſt legen mag, 
ift ed doch unmöglid, ihn aus einiger Entfernung zu betrachten und 
den gewaltigen Bau zu fehen, wie berfelbe aus den finftern Tiefen des 
Gebirges auffteigt, ohne zu empfinden, daß fein Ausſehen vollkommen 
ber wilden, fchwermüthigen Gegend der Sierra entſpricht. Auch ver 
mag Riemand in die geweihten Vorhöfe einzutreten, ohne ſich vor dem 
Genius des Plabes zu beugen und beim Durdyfchreiten der verödeten 
Hallen, welche die Phantafle mit den behren Bildern ber Vergangen⸗ 
heit bevölfert, eine geheimnißvolle Scheu zu empfinden. 

Den Architekten des Gebäudes brachten mehrere, ganz eigenthüms 
liche Schwierigfeiten in Verlegenheit. Er Hatte nicht einfach ein Klo⸗ 
fter zu bauen. Denn, wie wir ſahen, follte das nämliche Gebäude zu 
gleicher Zeit ein Klofter, ein Palaft und ein Grabmal fein. Es war 
fein leichtes Broblem, fo unzufammenftimmende Gegenftände zu vers 
föhnen und ihnen das gemeinfchaftliche Prinzip der Einheit einzuflößen, 
Es fann für den Baumeifter fein Vorwurf fein, wenn bies ihm nicht 
vollfommen gelang und wenn der Palaſt dem in ben übrigen Theilen 
des Gebäudes vorherrichenden Gefühlsausprude Abbruch that, indem 
er in der-That mehr einem Auswuchfe, als einem unzertrennlichen 
Theile des Ganzen glich. 

Eine andere, verzwidtere Schwierigfeit fand der Architekt barin, 
daß er den Plan des Gebäudes in die Geftalt eines Roſtes zwängen 
mußte, um basjenige Märtyrertbum zu verfinnbilblichen, welches der 
heilige Schugpatron des Escorial erlitten hatte. Auf diefe Weije 
mußten die langen Linien bes Kloſters nebft den dazwifchen tretenden 
Höfen als die Stäbe jenes Bratinftrumentes dienen. Die vier hohen 





178 Dreizehntes Kapitel. 


hunderts gleich einer Horde Vandalen über die Halbinfel Hereinbrar 
vergaßen fie den Edcorial nicht. Denn in ihm fahen fie das Denkn 
welches zum Zwecke hatte, ihre eigne jchmählidhe Riederlage zu ' 
ewigen. Ein Korps Dragoner brah im Winter 1808 u 
La Houffayn ins Klofter ein, fo daß die Benvüftungen weniger 3 
zerftörten, was in langen Jahren und mit der angeftrengteften Ku 
gefchaffen worden war. Die Befürchtung einer ähnlihen Gew 
famfeit feitend der Karliften bewirkte, daB. 1837 die [hönften Gemäl 
nach Madrid geihafft wurden. Der Escorial hörte auf, eine Föni 
liche NRefidenz zu fein. Bewohnerlos und ungelhügt blieb er d 
Wuth der von den Höhen der Guadarama herabbraufenden Stürn 
preiögegeben. 
Der den Ort jegt befuchende Reifende wird den Zuftand deſſelbe 
ganz anders finden, ald er im Anfange ded Jahrhunderts war. Di 
nadten, befledten Wände ſchimmern nicht mehr in den zauberifcher 
Barden Raphael und Titians und ber nüchternen Pracht der caftili- 
ſchen Schule. Die ausgeſuchten Kunftgegenftände, womit die Wänte 
vollgehangen waren, find von Frevlerhand zerftört ober noch häufiger 
wegen ber reichen Etoffe, woraus fie beftanden, geftohlen worden. 
Die Mönche, welche fo lange die Hüter des Platzes waren, haben feit 
der Unterdrüdung religiöfer Häufer das Geſchick ihrer Brüder anders 
waͤrts getheilt, und ihre ehrwurdigen Geſtalten find verſchwunden. 
Ueberall herrfchen in den Höfen Stillichweigen und Einfamfeit, unter 
brochen bloß von den Tönen der unaufhörlichen Winde, welche ihren 
büftern Trauergefang über die verſchwundenen Herrlichfeiten des Es⸗ 
corial beftändig zu fingen feheinen. Wenig erinnert und noch au den 
PValaft oder and Klofter, Bon den rei großen Zwecken, denen das 
Gebäude gewidmet war, ift bloß noch einer Übrig, indem ed ein Maus 
ſoleum für die caftilifche Königelinie bildet. Der Geift der Todten 
ſchwebt über dem Plage, der Geift der fceptertragenden Todten, die in 
der nämlichen dunkeln Kammer liegen, wo fie Jahrhunderte lang ges 
legen haben, ohne zu wiffen, welche Veränderungen rings um fie 
herum vorgegangen find. 
Während ver legten Hälfte feiner Regierung begab fid Philipp 

regelmäßig mit dem Hofe nach tem Escorial, um dafelbft einen Theil 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. «179 


Mi: des Sommers zuzubringen. Hierher führte er auch, als ber finftere 


fiez 
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4 * 
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—-Vi m BR 


Bau ein ungewöhnliches Leben zu zeigen begann, feine junge Königin, 
Anna von Oeſterreich. In einem früheren Kapitel hat der Lefer einige 
Nachricht von den Vorbereitungen erhalten, welche Philipp nicht ganz 
zwei Jahre, nachdem er die holde Ifabella zu Grabe beftattet, zu feiner 
Verheirathung mit diefer Pririzeffin traf. Anna war fehon dem un» 
glüdlihen Don Carlos verfprochen worden. Durd feine Verhei⸗ 
rathung mit ihr feierte Philipp den traurigen Triumph, daß er zum 
zweiten Male feinen Sohn ausſtach. Anna war feine Nichte, denn 


> ihre Mutter, die Kaiferin Maria, war bie Tochter Karls des Bünften. 


Berner herrſchte in dem Alter der Braut und ded Bräutigam ein gro- 
Ber Abſtand; denn, da die öfterreichiiche Prinzeffin während der Res 
gentfchaft ihrer Aeltern 1549 in Baftilien geboren war, war fie jebt 
erſt ein und zwanzig Jahre, alfo nicht halb fo alt, wie Philipp. Es 
feheint nicht, al& ob ihr Vater, der Kaifer Marimilian, eiwas gegen 
eine folche Verbindung einzuwenden gehabt hätte. War fie ihm auch 
nicht ganz recht, war er doch zu Klug, um eine Ehe zu verhindern, 
welche feine Tochter auf ben Thron der mächtigften Monarchie in 
Europa ſetzte. 

Es wurde fo veranftaltet, daß die Prinzeffin über die Niederlande 
nad Spanien reifte. Nachdem Anna im September 1570 dem Hofe 
ihre® Baterd das letzte Lebewohl geſagt hatte, trat fie mit einem ftatt- 
lichen ®efolge ihre lange Reife an. Als fie nach Slandern fam, wurde 
fie vom Herzog an der Spite des flamänbifchen Adels mit großer 
Pracht empfangen. Gleich nach ihrer Ankunft fchidte die Königin 
Eliſabeih ein Geſchwader von acht Schiffen, bot ihr an, fie nad) 
Spanien überzufahren, und lud ſie ein, unterwegs England zu beſu⸗ 
hen. Nachdem diefe Anerbieten höflich abgelehnt worden waren, ges 
feitete der GeneralsKapitän der flamändifchen Marine, Graf Boflu, 
die deutiche Prinzeffin mit einer herrlichen Flottille nach Spanien, fo 
daß fie nach einer Reife von nicht ganz einer Woche glüdlich ihren Bes 
flimmungsort erreichte. Sie, landete den dritten Oftober an ber noͤrd⸗ 
lichen Küfte Spaniens zu Santanter, wo auf fie, um fie zu empfangen, 
ber Erzbifchof von Sevilla und der Herzog von Bejar mit einer gläns 


zenden Dienerfchaft warteten. g 
12* 





170 Dreizehnteo Rapitel. 


‚Ale Arbeitöleute, fo wie die Bauern aus der Nachbarfchaft wa- 
ren bier verfammelt. Die Arbeiter bewielen den nämlicdyen Subordi⸗ 
nationdgeift, den fie während bes biöherigen Baues bewiefen hatten. 
Den Befehlen des Herzogd wurbe unbebingt Folge geleiftet, und es 
werden verfchiedene Fälle angeführt, wo bie Arbeiter eine Fühne Selbfts 
verläugnung zeigten und fid) anftrengten, ald ob fie gewußt. hätten, 
daß ſie fidy unter den Augen ihres Hürften befanden. ‘Der Thurn ers 
zitterte unter der Wuth der Flammen, und der obere Theil davon 
drohte jeden Augenblick einzubrechen. Man befürchtete ſehr, daß er 
das in biefem Theile des Klofterd gelegene Hofpital zertrümmern 
würde. Glüdlicherweife fiel er nach ber entgegengefehten Richtung 
und riß mit fich ein auf ihm befindliches fchönes Glodenfpiel, ohne je⸗ 
doch die Zufchauer zu verlegen. “Der Verluſt, weldyer den König am 
meiften fchmerzte, betraf verſchiedene, unfchäßbare, in den Flammen 
untergehende Reliquien. Doch linderte fi ber Kummer Philipps durch 
die Rachricht, daß ein Städ von dem wahren Kreuz und ber rechte 
Arm von St. Laurentius, dem zum Märtyrer gewordenen Patrone des 
Escorial, aus dem Feuer gerettet waren. Endlich wurde das Feuer, 
weldyes biß ſechs Uhr des Morgens gebauert hatte, nit unglaublicher 
Anftrengung geloͤſcht. Philipp zog fich darauf in fein Zimmer zurüd, 
wo dad Erfte, was er that, geweſen fein fol, daß er dem Allmächtigen 
für die Erhaltung des zu feinem Dienfte beftimmten Gebäudes ſeinen 
Dank darbradhte, *) 

Der König wollte, daß fo viel al& möglich Materialien aus fi 
nen eignen Beſitzungen zulammengebracht würben. “Diefe Befibungen 
waren fo ausgebehnt und in ihren Erzeugnifien fo mannichfaltig, daß 
fie faft jeden zum Bau des Gebäudes erforderlichen Artikel, ſowie bie 
Erfordernifie für die Auszierung bes Innern enthielten. Das graue 
Geftein, woraus die Mauern beftanden, fam aus einem Steinbruche 
in ber Nähe. Es hieß Berroquena und tft eine Steinart, bie zwar 


se subiö6 & lo alto de la torre & dar änimo y esfuorzo & los oficialesy gente;... 
y esto la hacia 8. E. come diestro capitan ycomo quien se habia visto en otros 
mayores peligros en la guerra.* — Memorias de Fray Juan de San Geronimo, 
Documentos Ineditos, Bd. VII, ©. 197. 

Ebend., S. 201.- 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 171 


dem Granit ähnlich fieht, aber nicht ganz fo hart if, Die aus den 
Steinbrüchen gebrochenen und dort zugehauenen Steinblöde waren 
mitunter von folcher Größe, daß ihr Kortfchaffen. vierzig bis funfzig 
Joch Dchfen nöthig machte. Der Jaspis fam aus der Umgegend von 
Burgo de Osma. Die zarteren Marmorarten, bie fehr verfchieden- 
farbig waren, lieferte die Gebirgäfette im. Süben ber Halbinfel. Die 
föftlichen, eleganten Stoffe wurden großentheild von einheimiichen 
Handwerkern geliefert. Hierher gehören die Damafte und Sammeie 
von Granada. Andere Stäbte, wie Mabrid, Toledo und Saragofla, 
bewiefen ben Fortſchritt einheimifcher Kunft durch ſehenswerthe Er⸗ 
zeugnifle aus Bronze, Eifen und bisweilen aus Föftlicheren Metallen. 

Doc verdantte Philipp feinen ausländifchen Beftgungen, beſon⸗ 
ders den italienifchen und niederländifchen, in hohen Grade die Vers 
fchönerung des Innern ded Gebäudes, welche durch den Koftbaren Styl 
ber Ausfchmüdung zu der firengen Einfachheit des Aeußern einen Ges 
genjaß bildete. Mailand, welches damals wegen feiner ſchoͤnen Er» 
zeugnifle aus Stahl, Gold und foftbaren Steinen berühmt war, trug 
viele ausgeluchte Kunftgegenftände bei.‘ Die Mauern waren mit den 
reichen Tapeten der flamändifchen Webftühle bekleidet. Die fpanifchen 
Kiöfter wetteiferten mit einander in dem Beflreben, für bie Altäre 
Stidereien zu liefern. Sogar die rohen Kolonien der Neuen Welt 
nahmen an dem großen Werfe Antheil, indem die amerikanischen Waͤl⸗ 
ber ihre Cedern und ihr Ebenholz und ihre Ichönfarbigen Holzarten, 
welche unter der Hand des caftilifchen Arbeiter ihren ganzen Farben⸗ 
glanz entfalteten, lieferten. *) 

Obſchon Bhilipp fo viel als möglich die Produkte feiner eignen 
Beſttzungen verwenden und bie einheimifche Kunft anſpornen wollte, 
nahın er doch in einem befonderen Punkte faft ausfchließlich feine Zus 
flucht zu Fremden. Die Oelgemaͤlde und Frescos, welche in großer 
Menge die Mauern und Decken bed Escorials verzierten, wurden aus» 
geführt von hauptfächlih aus Italien bezogenen Künftlern, beren 


*) Siguenca, Historia de la Orden de San Geronimo, Bt. III, 5. 596. — 
Dichos y Hechos de Phelipe U., &. 289. — Lafuente, Historia de Espana, 
Br. XIV, ©. 437, 


172 Dreischntes Kapitel. 


Mulerfchuten noch auf der Höhe ihres Ruhmes ſich befanden. Bon 
allen lebenden Malern aber war Titian derjenige, welchen Philipp, 
wie fein Bater, am meiften zu ehren feine $reude fand. “Der groß⸗ 
mütbhigen Patronage ded Königs verdanft die Welt einige von ben 
edelften Schöpfungen biefed großen Meifterd, die an ben Mauern des 
Escorial einen paflenden Pla fanden. 

Die von Bhilipp gezahlten Breife festen ihn in den Stand, bie 
ausgrzeichnetften Künftler in feinen Dienft zu befommen. Leber feine 
Freigebigkeit eriftiren viele Anefdoten. Indeſſen übte er eine ſtrenge 
Kritit aus. Er verrierh feine Meinung nicht vorzeitig. Aber, wenn 
die Stunde gefommen war, widerfuhr dem Maler manchmal der Aer⸗ 
ger, daß er das von ihm vielleicht mit größerer Zuverficht, ald mit Ge⸗ 
ſchicklichkeit, ausgeführte Werk ein für allemal verworfen oder im beften 
Halle in einen dunfeln Winkel des Gebäudes geftedtt werben ſah. Die« 
ſes Schidfal widerfuhr einem italienifchen Künftler von viel größerer 
Prätenfion, ald Kraft, der, nachdem er mehrere Verfuche gemacht, die 
nady dem von fpätern Kritifern nicht umgeftoßenen Urtheile des Königs 
verunglüdten, nad) feiner Heimath wieder entlafien wurde. Doch ſelbſt 
in dieſem Falle verfuhr Philipp mit dem unglüdlichen Maler großmütbig. 
„Es ift nicht der Fehler Zuccaro's, ſondern derjenigen Perfonen, bie 
ihn hierher gebracht Haben,” fagte er; baher gab er ihm, als er ihn 
nach Italien zurädfchidte, außer feinem großen Gehalte noch eine ber 
trächtlicye Geldſumme obendrein. *) 

Beim Anblick diefed prächtigen Gebäudes, das gewifiermaßen 
Philipps eigne Schöpfung war, ſchien fih ihm das Herz aufzuthun 
und Annäherungen an jene ebelmüthigen Sympatbien für die Menſch⸗ 
heit, die ihm ſonſt zu fehlen fchienen, zu offenbaren. Wenn er den 
Arbeiten des Kuͤnſtlers zufah, konnte er ftundenlang ſtehen, inbem er 
bin und wieder Bemerfungen machte und die Hand vertraulich auf bie 
Schulter deſſelben legte. **) Er ſchien bie Kälte und Zurückhaltung, 
welche einen fo wefentlichen Theil feines Charakters bildeten, abge- 
ftreift zu haben. Einſtmals fol ein Fremder in den E&corial gefommnen 


*) Stirling, Annals of the Artists of Spain, Bb. I, ©. 211. 
*%) Stirling, Annals of the Artists of Spain, ®b. I, ©. 208. 








Die innern Angelegenheiten Spaniens, 173 


fein, den anmefenden König irrthümlich für einen der Angeftellten ge⸗ 
halten und ihm einige Bragen in Betreff der Gemälde gemacht haben. 
Ohne den Mann zu enttäufchen, ging Philipp auf den Irrthum des» 
felben ein und übernahm freundlich die Rolle des Eicerone, indem er 
feine Sragen beantwortete und ihm die ſehenswuͤrdigſten Gegenftänvde 
zeigte.*) Don andern Königen eriftiren ähnliche Anefooten. Was 
an Philipp dabei befrembet, ift nur, daß er die Rolle eines gut aufges 
legten Menſchen ſpielte. 

Im Jahre 1584 war die Maurerarbeit ded Escorial beendet. 
Eeit dem Legen bed erſten Klofterfteined waren ein und zwanzig Jahre 
verfloffen. Bür die Errichtung eines fo gewaltigen Gebäudes ift dies 
ficher als eine kurze Zeit anzufehen. Die St. Peterskirche, deren Vers 
gleidy nahe liegt, weil fie dem Gebäude an Größe und Pracht am 
nächften kommt, erforderte zu ihrer Errichtung, woran fd) wenigftens 
achtzehn Paͤpſte bethätigten, über ein Jahrhundert. Der Escorial 
hingegen wurde, — mit Ausnahme der zu einer Begräbnißftätte für 
die fpanifchen Fürſten von Bhilipp dem Vierten erbauten unterirdifchen 
Kapelle, — während der Regierung eines einzigen Monarchen errich- 
tet. Diefer Monardy hielt die Einfünfte fowohl der alten, wie auch 
der neuen Welt in feiner Hand, und da er bis zu einem gewiſſen Grade 
bie Arbeit perfönlich überwachte, fünnen wir wohl verfichert fein, daß 
Niemand auf feinem Poſten fchlafen durfte. 

Doc dem Architekten, welcher den Riß des Gebäudes entworfen 
“ hatte, war e8 nicht geftattet, dafjelbe zu vollenden. Schon lunge vor 
der Vollendung war die Hand Zoledo’d zu Etaub geworden. Durd; 
feinen Tod ſchien Philipp einen unerfeglichen Verluft erlitten zu haben. 
Er faßte ihn ſelbſt ſo auf, daher er nur mit großem Mißtrauen bie 
wichtige Aufgabe des Baues einem jungen Afturier, Juan de Herrera, 
übertrug. Allein, wenn Herrera auch jung war, hatte er ſich doch an 
den beften Muftern gebildet; denn er war der Lieblingsſchüler des To⸗ 
ledo, und es ftellte fich bald heraus, daß er nicht allein ben firengen, 
erhabenen Styl feines Meifterd in ſich aufgenommen hatte, fondern 
das fein eigenes Genie ihn vollftändig befühigte, alle großen Entwürfe 


*) Dichos y Hechos de Phelipe I, €. 8 


174 Dreizehnies Kapitel. 


Toledo's zu begreifen und fie gerade fo vollfommen auszuführen, wie 
es biefer Künftler felber nicht befier Hätte thun können. Philipp ſah 
zu feiner Genugthuung, daß er fich nicht in der Wahl vergriffen hatte. 
Er verfehrte mit dem neuen Baumeifter bald eben fo häufig, wie früher 
mit dem Borgänger deſſelben. Er erwies ihm fogar noch größere 
Gunft, indem er ihm einen Jahresgehalt von taufend Dufaten aus⸗ 
feßte, eine Stelle im föniglichen Haushalte und das Kreuz bes heiligen 
Jakob gab. Herrera genoß dad Glück, den Escorial volftändig fertig 
zu machen. Ia, er lebte nach der Vollendung noch ſechs Jahre. Er 
hinterließ mehrere weltliche und geiftliche Bauten, die feinen Ruhm be- 
gründen. Doc) iſt der Edcorial dasjenige Monument, woburch fein 
Name und derjenige feines Meifterd Toledo als diejenigen der beiden 
größten Baumeifter, die Spanien aufzuweiſen hat, auf die Nachwelt 
herabgelangt find. 

Es ift bier nicht der geeignete Play dazu, bie ardjiteftonifchen 
Vorzüge des Escorials zu Eritificen. Eine ſolche Kritit wäre beſſer 
am Plage in einer Abhandlung über die Kunft. Es ift einfach meine 
Abficht geweſen, dem Leſer einen folchen Bericht von ber Ausführung 
diefed großen Werkes vorzulegen, daß er fih von dem Gegenftande, 
welchem Bhilipp einen fo großen Theil feiner Zeit widmete und der in 
fo hohem Grade das eigenthümliche Weſen feined Geiftes abfpiegelte, 
einige Vorftellung machen fann. 

Bei der Beurtheilung des Escorial find die Kritiker weit von ein» 
ander abgewichen. Nur wenige Ausländer haben fid) vorgefunden, 
welche in die ungemeffenen Xobeserhebungen der Gaftilier, die ihn für 
das achte Weltwunder erklären, eingeftimmt haben. *) Inbeflen fann 
man nicht lAugnen, daß nur wenige Fremde geeignet find, über bie 
Verdienſte eines Werkes zu entfcheiden, zu beflen richtiger Beurtheilung 
ein vollfonımenes Verftändnig des Charakters bed Landes, worin es 
erbaut wurde, und des Monarchen, der es erbaute, erforderlich iſt. 
Der Reiiende, welcher die langen Linien falten, grauen Geſteines, bie 


H Ein Geſchichtſchreiber des Escorial, ter Pater Brancisco de les Santos, 
nennt ihn auf tem Tirelblatte feines Werfs: „Unica maravilla del mundo.* — 
Descripcion del Real Monasterio de San Lorenzo de el Escorial, Madrid, 1698. 


Die Innern Angelegenheiten Spaniens, 175 


faum durch eine einzige Verzierung unterbrochen find, betrachtet, fühlt 
ein unheimliches Froͤſteln über fich ichleichen, während er ben Bau mit 
den leichteren, anmuthigeren Gebäuben, an bie fein Auge gewohnt ift, 
vergleiht. Aber er kann darin den wahren Abdrud deö Charaktere 
bed Grünbers erfehen. Philipp ftrebte nicht nach dem Schönen und 
noch weniger nad) dem Heiteren und Froͤhlichen. Die Gefühle, welche 
er in dem Betrachter rege machen wollte, waren jener feierlichen, ja 
büfteren Art, welche am beften feiner religiöfen Weberzeugung ent- 
fpracdhen. 

Welche Mängel man aber auch dem Escorial zur Laſt legen mag, 
ift es doch unmöglidy, ihn aus einiger Entfernung zu betrachten und 
den gewaltigen Bau zu ſehen, wie derfelbe aus den finftern Tiefen bes 
Gebirges auffteigt, ohne zu empfinden, daß fein Ausfehen vollkommen 
ber wilden, fchwernrüthigen Gegend ber Sierra entfpricht. Auch vers 
mag Riemand in die gemeihten VBorhöfe einzutreten, ohne ſich vor dem 
Genius des Platzeo zu beugen und beim Durchichreiten ber verödeten 
Hallen, welche die Phantafle mit den hehren Bildern der Bergangen- 
heit bevölkert, eine geheimnißvolle Scheu zu empfinden. 

Den Architekten ded Gebaͤudes brachten mehrere, ganz eigenthuͤm⸗ 
liche Schwierigkeiten in Berlegenheit. Er hatte nicht einfach ein Klo⸗ 
fter zu bauen. Denn, wie wir fahen, follte das nämliche Gebäude zu 
gleicher Zeit ein Klofter, ein Palaft und ein Srabınal fein. Es war 
fein leichtes Broblem, fo unzufammenftimmende Gegenftände zu ver 
jöhnen und ihnen das gemeinichaftliche ‘Prinzip der Einheit einzuflößen. 
Es fann für den Baumeifter fein Vorwurf fein, wenn bies ihm nicht 
vollfommen gelang und wenn der Balaft dem in den übrigen Theilen 
des Gebäudes vorherrichenden Gefühlsausdrude Abbruch that, indem 
er in der That mehr einem Auswuchfe, als einem unzertrennlichen 
Theile des Ganzen glich. 

Eine andere, verzwidtere Schwierigfeit fand der Architekt darin, 
daß er den Plan des Gebäudes in: die Geftalt eines Roftes zwängen 
mußte, um dasjenige Märtyrerthum zu verfinnbilplichen, welches der 
heilige Schugpatron bed Edcorial erlitten hatte. Auf dieſe Weile 
mußten bie langen Linien bes Kloſters nebft den dazwiſchen tretenden 
Höfen als die Stäbe jenes Bratinftrumentes dienen. Die vier hohen 


176 Drrischutes Kapitel. 


Olodenthürme an den Eden des Kloſters bildeten die nach oben ſtehen⸗ 
den Beine des Rofted, während der ſich jchlanf nach Often in die LAuge 
zichende Palaft den ungeſchickten Griff deſſelben vorftellte. 

Es ift der Sprache unmöglich, eine volfommene Idee von einem 
Kunftwerfe zu geben. Doch hat bie Architeftur vor der verwandten 
Kunft der Malerei das voraus, daß eine bloße Angabe der Dimenfüo- 
nen und von dem Kunjtwerfe der Architektur einen Begriff beibringen 
hilfe. Einige wenige von Dielen Timenfionen werden genügen, um 
und von der Großartigfeit ded Gebäudes einen Begriff zu geben. Sie 
And uns berichtet worden von Los Santos, einem Dieronymiten- 
mönche, welcher eine ter beften Scilderungen des Escorial hinter- 
laſſen bat. 

Die Länge des Hauptgebäudes oder Klofters ſchlagt er auf fieben 
hundert und vierzig caſtiliſche Fuß, die Breite auf fünf hundert und 
achtzig an. Seine größte Höhe, gemeſſen bis zu dem mittlern Kreuze 
über dem Dome der großen Kirche, ift dreihundert und funfzehn Fuß. 
Den ganzen Umfang des Escorial mit Einichluß des Palaſtes berech⸗ 
net er auf zwei taujend neun hundert und adıtzig Fuß oder beinahe 
Dreifünftelmeile (engliih). Der geduldige Forſcher erzählt uns, dag 

es in ganzen Gebäute nicht weniger, als zwölf taujend Thüren und 
Fenſter, gab; dap allein das Gewicht der Schlüffel fich auf funfzig 
Arrobas oder auf zwölf hundert und funfzig Pfund belief, und endlich, 
daß in den Hallen und Höfen dieſes ungeheuern Baues ſeche und 
achtzig Fontaͤnen ſprudelten.*) 

Von den Koſten des Baues und der innern Aueſchmůctung be⸗ 
richtet und der Pater Siguença, daß fie ſich ganz nahe auf ſechs Mil⸗ 
lionen Dufaten beliefen.**) Siguenga war der Prior des Kloſters 
und fonnte daher aus den beften Quellen ſich Nachricht verfchaffen. 
Daß er nicht übertrieb, läßt fi) aus dem Umſtande jchließen, dag er 
dad Gebäude von dem Vorwurfe, ald ob bei feiner Errichtung unnüge 
Ausgaben gemacht worden feien, zu reinigen fuchte: einem Vorwurfe, 
der fehr gewöhnlich geweſen zu fein fcheint und von zeitgenöfftichen 


*) Los Santos, Descripeion del Escorial, Fol. 116. 
**+) Siguenga, Historia de la Orden de San Geronimo, ®t. Ill, &. 862 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 177 


ki Schriftftellern in ſtarken Ausprüden der Unzufriedenheit hervorgehoben 
te wurde. MWahrfcheinlich hatte außer dem Escorial fein fonftiges eins 


zelnes Gebäude eine fo große Menge und Berfchiebenheit von unfchäß- 


am baren Scägen aufzuweiſen: fo viel Gemälde und Schnitzwerk von ben 
an größten Meiftern und fo viele Artifel ausgefuchter Arbeit, beftehend 


X . 


aus den Foftbarften Materialien. Mit Unrecht würde man voraus» 


Are ſetzen, dag mit der Beendigung des Eöcorial die Arbeiten Philipps zu 


28 
VF 


Ende waren. Im Gegentheil fingen ſie gleichſam jetzt erſt recht an. 
Das Juwelenkaͤſtchen war fertig; ſeine uͤbrige Lebenszeit verwandte er 
nun darauf, es mit den ſeltenſten, reichſten Edelſteinen anzufüllen. 
Dieſe Arbeit konnte nie vollſtaͤndig werden. Er hinterließ ſie ſeinen 
Nachfolgern, die wohl mit mehr oder weniger Geſchmack, aber mit den 
Einkuͤnften Indiens zu ihrer Verfügung, fortfuhren, dieſelben an bie 
Berfchönerung ded Escorial au verfehwenden.*) 

Philipp der Zweite ging mit einem guten Beifpiele voran. Er 
vernachläffigte Nichts, was feinem Muſeum einen wirklichen oder ein- 
gebildeten Werth geben konnte. Mit ungeheuren Koften fammelte er 
mehrere Hundert Kiften von Heiligen und Märtyrern und ftellte fie in 
reiche filberne, herrlicdy gearbeitete Schreine. Er brachte viertaufend 
Bände Bücher in unterſchiedlichen Spracdyen, beſonders in den orien- 
talifchen, als die Grundlage der fchönen Bibliothek des Escorial, zu- 
fammen. 

Die Sorgfalt folgender Fuͤrſten, welche dafelbft jährlich einen 
Theil ihrer Zeit zuzubringen fortfuhren, bewahrte den Klofterpafaft und 
ben Inhalt defjelben vor der rohen Betaftung ber Zeit. Was jedoch 
die Hand der Zeit verfchont hatte, zerftörte die Hand der Gewalt, 
thätigfeit. ALS die Branzofen im Anfange des gegenwärtigen Jahr⸗ 


*) Fray Alonfo de San Geronimo läßt fit) vem Enthuſiasmus zu der Erklaͤ⸗ 
rung hinreiſen, daß ter Allnächtige Thilipp tem Zweiten für das dem chriſtlichen 
Gottesdienſte gewidmete glerreiche Gebäude vielen Dank fchultig it! „Este’Templo, 
Senor, devo & Filipo Segundo vuestra Grandeza;-con quo gratitud le estar& 
mirando, en el Impirco, vucstra Divinidad !* Dieie ſo nahe an Gotttelaͤncrung 
arinzende Evrache — Denn fo würte man fie heutzutage beurtheilen — findet fich 
in einer im Escorial bei Gelegenheit des huntertjährigen Etiftungsfeites gehauenen 
Feſtrede. Die Feilesfeierlichfeiten find im Ginzelnen in einem von ray Luis de 
Santa Maria geichriebenen Buche enthalten, deſſen Titel lautet: „Octava sagra- 
damente culta, celebrada en la Octava Maravilla,* etc., Matrid, 1 1664. 


Bretcott, Bei. Philips ll. V. 12 


178 Dreize hnies Kapitel. 


hunderts gleich einer Horde Vandalen über die Halbinfel hereinbrachen, 
vergaßen fie den Edcorial nicht. Denn in ihm fahen fie das Denkmal, 
weiches zum Zwede hatte, ihre cigne fchmähliche Niederlage zu vers 
ewigen. Ein Korps Dragoner brah im Winter 1808 unter 
La Houflayn ins Klofter ein, fo daß die Berwüftungen weniger Tage 
zerftörten, was in langen Jahren und mit der angeftrengteften Kunft 
geichaffen worden war. Die Befürdhtung einer ähnlichen Gewalt» 
famfeit feiten® der Karliften bewirkte, daß 1837 die fchönften Gemälde 
nad Madrid gefchafft wurden. Der Escorial hörte auf, eine koönig⸗ 
liche Refidenz zu fein. Bewohnerlod und ungelchügt blieb er der 
Muth der von den Höhen der uadarama herabbraujenden Stürme 
preiögegeben. 

Der den Ort jest befuchende Reifende wird den Zuftand deſſelben 
ganz anders finden, al& er im Anfange des Jahrhunderts war. Die 
nadten, befledten Wände ſchimmern nicht mehr in den zauberifchen 
Farben Raphaeld und Titians und der nüchternen Pracht der caftilis 
(hen Schule. Die ausgeſuchten Kunftgegenftände, womit die Wände 
vollgehangen waren, find von Frevlerhand zerſtoͤrt oder noch häufiger 
wegen der reihen Etoffe, woraus fie beftanden, geftohlen worden. 
Die Mönche, welche jo lange die Hüter des Platzes waren, haben feit 
der Unterdrückung religiöfer Häufer das Geſchick ihrer Brüder ander» 
waͤrts getheilt, und ihre ehnvürdigen Geftalten find verfhwunden. 
Ueberall herrſchen in den Höfen Stillichweigen und Einfamfeit, unter 
brochen bloß von den Tönen der unaufhoͤrlichen Winde, welche ihren 
büftern Trauergefang über die verſchwundenen Herrlichkeiten des Es⸗ 
corial beftändig zu fingen fcheinen. Wenig erinnert und noch an den 
Palaft oder and Klofter. Bon den brei großen Zweden, denen das 
Gebäude gewidmet war, ift bloß nod) einer übrig, indem es ein Maus 
foleum für die caftilifche Königslinie bildet. Der Geift der Todten 
ſchwebt über dem Plage, der Geiſt der feeptertragenden Zodten, die in 
ber nämlichen dunfeln Kammer liegen, wo fie Jahrhunderte lang ges 
legen haben, ohne zu wiſſen, welche Beränderungen ringe um fie 
herum vorgegangen find. 

Während ber legten Hälfte feiner Regierung begab fih Philipp 
regelmäßig niit dem Hofe nach tem Eöcorial, um dajelbft einen Theil 


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Die innern Angelegenheiten Spaniens. «179 


des Sommers zuzubringen. Hierher führte er auch, als der finftere 
Bau ein ungewöhnliches Leben zu zeigen begann, feine junge Königin, 
Anna von Oefterreih. In einem früheren Kapitel hat der Leſer einige 
Nachricht von den Vorbereitungen erhalten, welche Philipp nicht ganz 
zwei Jahre, nachdem er die holde Iſabella zu Grabe beftattet, zu feiner 
Berheirathung mit dieſer Prinzeffin traf. Anna war ſchon dem un- 
glüdlichen Don Carlos verfprochen worden. Durch feine Verhei⸗ 
rathung mit ihr feierte Philipp den traurigen Triumph, daß er zum 
zweiten Male feinen Sohn ausſtach. Anna war feine Nichte, denn 
ihre Mutter, die Kaiferin Maria, war bie Tochter Karls des Fünften. 
Berner herrfchte in dem Alter der Braut und des Braͤutigams ein gro- 
Ber Abſtand; denn, da die öfterreichifche Prinzeſſin während ber Re- 
gentfchaft ihrer Aeltern 1549 in Eaftilien geboren war, war fie jeßt 
erft ein und zwanzig Jahre, alfo nicht halb fo alt, wie Philipp. Es 
fcheint nicht, als ob ihr Vater, der Kaifer Marimilian, etwas gegen 
eine folche Verbindung einzuwenden gehabt hätte. War fie ihm auch 
nicht ganz recht, war er doch zu Hug, um eine Ehe zu verhindern, 
welche feine Tochter auf den Thron ber mädhtigften Monarchie in 
Eurova febte. 

Es wurde fo veranftaltet, daß die Prinzeffin über die Niederlande 
nach Spanien reiſte. Nachdem Anna im September 1570 dem Hofe 
ihres Vaters das letzte Lebewohl geſagt hatte, trat ſie mit einem ſtatt⸗ 
lichen Gefolge ihre lange Reiſe an. Als ſie nach Flandern kam, wurde 
ſie vom Herzog an der Spitze des flamändiſchen Adels mit großer 
Pracht empfangen. Gleich nach ihrer Ankunft ſchickte die Koͤnigin 
Eliſabeth ein Geſchwader von acht Schiffen, bot ihr an, ſie nach 
Spanien überzufahren, und lud ſie ein, unterwegs England zu beſu⸗ 
chen. Nachdem dieſe Anerbieten hoͤflich abgelehnt worden waren, ge⸗ 
leitete der General⸗Kapitäͤn der flamaͤndiſchen Marine, Graf Boſſu, 
die deutſche Prinzeſſin mit einer herrlichen Flottille nach Spanien, ſo 
daß fie nach einer Reife von nicht ganz einer Woche gluͤcklich ihren Be⸗ 
ſtimmungsort erreichte. Sie landete den dritten Oftober an ber noͤrd⸗ 
lichen Küfte Spaniens zu Santanter, wo auf fie, um fie zu empfangen, 
ber Erzbifchof von Sevilla und der Herzog von Bejar mit einer gläns 
zenden Dienerfchaft warteten. - 

12* 


180 Dreizehntes Kapitel. 


Unter diefer Bededung gelangte Anna über Burgos und Balla- 
bolid in die alte Etadt Segovia. In den großen Städten, woburdh 
fie fam, empfing man fie auf eine ihred Ranges würbige Weile, und 
überall längs ihres Weges wurde fie von dem herzlichen Zujauchzen 
des Volks begrüßt; denn dieſe Heirath, welche zu befchleunigen die 
Cortes den König angetrieben hatten, war der Nation angenehm. *) 
Die Spanier wünjchten einen maͤnnlichen Thronerben zu haben; nad) 
dem Tote des Don Carlos aber hatte Philipp nur nody Töchter. 

In Segovia, wo bie Bermählungsfeierlichfeit begangen wers 
ben follte, waren großartige Vorbereitungen zum Empfange ber 
Prinzeſſin getroffen worden. Bei ihrer Ankunft vor der Etadt fam 
ihr ein ſtarker Trupp in fchimmernde Uniform gefleideter Lokalmiliz 
und Municipalbeamten, die ihre Amtstracht anhatten und beritten was 
ten, enigegen. Mit diejer tapfern Escorte zog fie durch die Thore ein. 
Ueber die mit fhönen Fontaͤnen gefmüdten Straßen waren Triumph⸗ 
bogen geipannt, unter denen hindurch ſich die Prinzeſſin unter dem 
Greudengeichrei des Volks in die große Domkirche begab. **) 

Anna, damals noch im Jugendprangen, beichreidt man mit einem 
vollen, zarten Geſicht. Cie hatte eine gute Geftalt, ein anmuthige® 
Benehmen und ritt mit ungegwungener 2eichtigfeit und Würde ihr mit 
reihen Echabraden verzierted Roß. Ihr nicht fehr unparteiifcher Hi⸗ 
ftorifer theilt und mit, daß die Zufchauer beſonders die Neuheit ihres 
böhmiichen Koſtümes, ihren mit bunten Federn geſchmuͤckten Reithut 
und den reicdy mit Goldfrangen verichenen, kurzen rothen Sammets 
mantel bewunderten. ***) 

Als da6 Te Deum vorüber war, bewegte ſich der glänzende Zug 
nad) dem weitberühmten Alcazar, nad) jenem Feſtungspalaſte, welcher 
urfprünglih von ten Mauren erbaut war, jest aber fowohl zur 
königlichen Reſidenz, als auch zum Gefaͤngniſſe für politifche Gefan⸗ 
gene diente. Hier war es, wo der unglüdlihe Wontigny manchen 
trüben Monat in der Gefangenſchaft lebte, und es war noch fein Viers 





*) Fiorez, Reynas Catholicas, Bd. II, S. 908. 
”) Ebend., S. 908. 
#0) „Realzada con gracia nor el mismo trage del eamino, sombrere alto 
matizado eon plumas, capotillo de terciopelo carmesi, bordado de oro & la 
moda Bohema.* — Ebend., ©. 907. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 181 


teljahr verfloffen, ſeitdem er von diefem Platze, welcher fo lange ber 
Ort königlicher Luftbarkeit geweſen, fortgefchafft und in die verberbliche 
Feſtung Simancas gelegt worden war, um dafelbft durch den Arm bes 
mitternädhtlichen Scharfrichterd umzufommen. Wie man fid) erinnern 
wird, follte Anna auf ihrer Reife durch die Niederlande der Familie 
Montigny’s verfprochen haben, ſich für ihn bei ihrem Gemahle zu vers 
wenden. Aber der König, ber fich vielleicht gern der Unſchicklichkeit, 
feiner jungen Braut die erſte Bitte abzufchlagen, entheben wollte, ver 
fügte über fein Opfer bald nach ihrer Landung, als fle ſich noch im 
Norden befand. 

Unna betrat den Alcazar unter dem Donner der Kanonen. Sie 
fand dafelbft die gute Prinzeffin Joanna, Philipps Schwefter. Diefe 
empfing fie mit all der weiblichen Zärtlichkeit, welche felbige, bei einer 
frühern Gelegenheit, vor zwölf Jahren der franzöftichen Eliſabeth, als 
diefe zuerft nach Gaftilien kam, bewiefen hatte. Die Hochzeit war 
auf ben folgenden Tag, den vierzehnten Rovember, angefeht. “Philipp 
fol feine Braut zum erften Male geiehen haben, indem er fich verklei⸗ 
det unter bie Höflingscavalende mifchte und Anna auf diefe Weiſe bei 
ihrem Einzuge in die Hauptftadt mit escortirte.“) Als er feine legte 
Gemahlin, die Königin Iſabella, zum Altare führte, hatten einige 
weiße Haare an feinen Schläfen ihre Aufmerffamfeit erregt. **) Wäh- 
rend der feitbem verflofienen zehn Jahre hatten die Regierungsforgen 
auf ihn denfelben Einfluß, wie auf feinen Bater gehabt und ihm vor 
ber natürlichen Zeit einen grauen Kopf gegeben. Die Verheirathung 
wurde mit großer Pradyt in der Domkirche von Segovia vollzogen. 
Den Gottesdienſt verrichtete der Erzdifchof von Sevilla. Das geräu- 
mige Gebäude war zum Weberfließen mit Zufchauern vollgebrängt, 
unter denen ſich die höchften Würbenträger der Kirche und bie erlauch- 
teften Perfonen des fpanifchen Adels befanden. ***) 

Waͤhrend der wenigen Tage, welche das koͤnigliche Paar in Ses 
govia blieb, überließ fich die Stadt dem Iubel. Man feierte das 
hoffnungsreiche Ereignis mit öffentlichen IUuminationen und herrlichen 


— — — 





®) Ebend., wie oben. 
+) Siehe oben in unferm zweiten Bande. 
) Florez, Raynas Cathol., Bd.II, &. 908.— Cabrera, Filipe Segundo, &.661. 


182 Dreisehntes Kapitel. 


Feften, auf denen der König mit der Königin in Gegenwart bes mit 
reſpektoollem Stillſchweigen um fie ftehenden ganzen Hofes tanzte. *) 
Den achtzehnten des nämlichen Monate begab ſich das neuvermählte 
Paar nad) Maprid, wo zu feinen Empfang foldye Vorbereitungen ges 
teoffen waren, daß man daraus bie Unterthanentreue ber Hauptſtadt 
eriehen Eonnte. 

Sobald der Bau des Escorial weit genug gediehen war, um ber 
jungen Königin paſſende Räumlichkeiten zu bieten, verbrachte Philipp 
alle Sommer einige Zeit in Föfterlicher Einfamteit, die ihn mehr, als 
jeder andere Aufenthaltsort, anzog. Die Anweienheit Annens und 
ihres Hofftaated goß über das erhabene, doch büftere Gebäude eine ger 
wife, ungewohnte Yröhlichkeit aus. Unter andern Zerfireuungen, bie 
zu ihrer Ergögung angewandt wurden, finden wir bie Autos sacra- 
mentales erwähnt, meldye ung an bie unfere englifchen Vorfahren er- 
gößenden alten Mysteries und Moralities erinnern. Diele Autos ftans 
den bei den Spaniern in fo großer Gunft, daß fie in Spanien ſich länger, 
als in den meiften andern Ländern, auf der Bühne erhielten; auch ges 
langten fie erft zu ihrer vollen Blüthe, als fie das Genie Ealderon’d 
gewedt hatten. 

Indeſſen floffen die erbaulichen Schaufpiele im Escorial aus 
einer Feder, welche derjenigen Calderon's nicht fehr glich. Wahr⸗ 
ſcheinlich kamen fie von irgend einem Hieronymitenmoͤnche, welcher 
mehr poetiſche Ader, als die uͤbrigen Klofterbrüber, befaß. Die Schau⸗ 
fpieler bezog man aus dem im Escorial errichteten Seminar. Anna 
muß einen einfachen Geſchmack befefien haben. Denn an dieſen Auf⸗ 
führungen und an Ausflügen in bie das Klofter umgebende wilde, ro⸗ 
mantifche Gegend ſoll fie viel Vergnügen gefunden haben. Die Ges 
Idyichtichreiber haben uns über ihr Leben und ihren Charakter nur 
wenige Nachrichten, und zwar viel weniger, als von ihrer lieblichen 
Vorgängerin, hinterlaſſen. Diejenigen Berichte aber, welche wir über 
fie befißen, befagen, daß fie ein liebenswürdiges Wefen befaß und fich 
frommen Werten überließ, Sie war felten müßig, denn fie verwandte 
einen großen Theil ihrer Zeit auf Näherei und Stiderei und hinterließ 


*) „En el sarao bailaron Rey y Reyna, estando de pie toda la Corte. “ 
— Flores, Reynas Catholicas, ®d. II, ©, 908. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 183 


in den Verzierungen ber Klöfter und Kirchen in biefer Beziehüng viele 
Proben ihrer Geſchicklichkeit. Eine reiche Stiderei, welche fie mit 
ihren Hofbamen verfertigt hatte, wurde lange in ber föniglicdhen Ka⸗ 
pelle unter dem Namen: „Der Teppich der Königin Anna“ aufbe- 
halten. 

Ihr eheliches Leben follte nicht lange dauern: — bloß zwei Jahre 
länger, al8 dasjenige Iſabellens. Jedoch war fie mehr, als irgend 
eine ihrer Borgängerinnen, mit Reibeöfrucht gefegnet. Sie hatte vier 
Söhne und eine Tochter. Aber alle farben fchon als Säuglinge 
ober in früher Kindheit. Nur ber dritte Sohn, Philipp der Dritte, 
blieb am Leben, um in ber königlichen Dynaftie Gaftiliens einen Platz 
einzunehmen. 

Die Königin ftarb am acht und zwanzigften Oktober 1580 im 
ein und dreißigſten Jahre ihres Alters und dem elften ihrer Regierung. 
In Bezug auf ihren Tod erzählt man fich eine eigene Anekdote. Dies 
ſelbe fpielt in Babaioz, wo damals ber Hof ald an dem geeignetften 
Drte zur Beobachtung des Krieged, in welchem damals Spanien mit 
Portugal begriffen war, reſidirte. Der König wurde bort franf. 
Die Kranfheitöiymptome waren fehr beforgnißerregend. Da bat in 
ihrem Schmerze die Königin den Allmäcdhtigen, das Leben Philippe, 
welches für die Wohlfahrt des Landes und ber Kirche fo wichtig fei, 
doch zu verfchonen und dafür das Opfer ihres eigenen anzunehmen. 
Wie die Folge zeigte, fagt ber Ehroniffchreiber, erhörte der Himmel 
ihr Gebet. *) Der König genaß; bie Königin aber erfranfte an 
einem Uebel, welchem in wenigen Tagen der Tod ein Ende machte. 
Nachdem ihre Ueberrefte einige Zeit im Staate ausgelegen hatten, 
wurden biefelben mit feierlichem Gepränge nach dem Escorial ger 
bracht, wo ihnen ber traurige Vorzug zu Theil wurde, daß fie in bie 
für die Könige und Königsmütter ausichließlich beftimmte Gruft ges 
legt wurden. Das war das Ente Annend von Defterreich, ber 
vierten und lebten Sattin Bhilipps des Zweiten. 


— — — 





*) „El efecto dijo, que oy6 Dios su oracion: pues mejorando el Rey, 
cay6 mala la Reyna.* — Ebend., ©. 913. 


176 . Dreizehntes Kapitel. 


Blodenthürme an den Eden des Kloſters bildeten bie nach oben ſtehen⸗ 
den Beine des Roſtes, während der ſich ſchlank nach Often in die Länge 
ziehende Palaſt den ungeſchickten Griff defielben vorftellte. 

Es ift der Sprache unmöglich, eine vollfommene Idee von einem 
Kunftwerke zu geben. Doc hat die Architektur vor der verwandten 
Kunft der Malerei das voraus, daß eine bloße Angabe der Dimenfio- 
nen und von dem Kunſtwerke der Architektur einen Begriff beibringen 
hilft, Einige wenige von diefen Dimenflonen werben genügen, um 
. und von ber Großartigfeit ded Gebäudes einen Begriff zu geben. Sie 
ind uns berichtet worden von 208 Santos, einem Hieronymiten⸗ 
möndhe, welcher eine ber beften Schilderungen des Escorial hinter- 
laflen hat. 

Die Lunge des Hauptgebäudes oder Kloſters ſchlagt er auf fieben 
hundert und vierzig caftilifche Fuß, die Breite auf fünf hundert und 
achtzig an. Seine größte Höhe, gemeſſen bis zu dem mittlern Kreuze 
über dem Dome der großen Kirche, iſt dreihundert und funfzehn Buß. 
Den ganzen Umfang ded Escorial mit Einſchluß des Palaſtes berech⸗ 
net er auf zwei taujend neun hundert und achtzig Yuß oder beinahe 
Dreifünftelmeile (engliſch). Der geduldige Forſcher erzählt und, daß 
es im ganzen Gebäute nicht weniger, ald zwölf taujend Thüren und 
Fenſter, gab; daB allein das Gewicht der Schlüffel ſich auf funfzig 
Arrobas oder auf zwölf hundert und funfzig Pfund belief, und endlich, 
daß in den Hallen und Höfen dieſes ungeheuern Baues fee und | 
achtzig Bontänen Iprubdelten. *) 

Bon den Koften des Baues und ber Innern Ausſchmuctung be⸗ 
richtet und der Pater Siguensa, daß fie ſich ganz nahe auf ſechs Mil⸗ 
fionen Dufaten beliefen. **) Siguensa war der Prior des Kloiterd 
und fonnte daher aus ben beften Quellen ſich Nachricht verfchaffen. 
Daß er nicht übertrieb, läßt fich aus dem Umſtande fchließen, daB er 
das Gebäude von dem Vorwurfe, als ob bei feiner Errichtung unnüge 
Ausgaben gemacht worden feien, zu reinigen juchte: einem Vorwurfe, 
der fehr gewöhnlich geweſen zu fein feheint und von zeitgenöffifchen 


*) Los Santos, Descripcion del Escorial, Fol. 116. 
*+) Signenca, Historia de la Orden de San Geronimo, ®t. UI, ©. 862 





Die innern Angelegenheiten Spaniens. 177 


Schriftſtellern in ftarfen Ausprüden der Unzufriedenheit hervorgehoben 
wurde. Wahrfcheinlich hatte außer dem Escorial fein fonftiges eins 
zelned Gebäude eine fo große Menge und Berfchiedenheit von unfchäß- 
baren Schäten aufzumweifen: fo viel Gemälde und Schnibiverf von den 
größten Meiftern und fo viele Artifel ausgefuchter Arbeit, beftehend 
aus den foftbarften Materialin. Mit Unrecht würde man voraus 
fegen, daß mit der Beendigung des Escorial die Arbeiten Philipps zu 
Ende waren. Im Gegentheil fingen fie gleichfam jegt erſt recht an. 
Das Juwelenfäftchen war fertig; feine übrige Lebenszeit verwandte er 
nun darauf, ed mit den feltenften, reichften Ebelfteinen anzufüllen. 
Diefe Arbeit konnte nie vollftändig werden. Er hinterließ fle feinen 
Nachfolgern, die wohl mit mehr oder weniger Geſchmack, aber mit den 
Einkünften Indiens zu ihrer Verfügung, fortfuhren, viefelben an die 
Berichönerung des Escorial zu verſchwenden.“) 

Philipp der Zweite ging mit einem guten Beifpiele voran. Er 
vernachläffigte Nichts, was feinem Mufeum einen wirklichen oder eins 
gebildeten Werth geben konnte. Mit ungeheuren Koften fammelte er 
mehrere Hundert Kiften von Heiligen und Märtyrern und ftellte fie in 
reiche filberne, herrlich gearbeitete Schreine. Er brachte viertaufend 
Bände Bücher in unterfchieblichen Sprachen, befonder® in den orien⸗ 
talifhen, als Die Grundlage ber fchönen Bibliothek des Escorial, zu- 
fammen. 

Die Sorgfalt folgender Fürſten, welche bafelbft jährlich einen 
Theil ihrer Zeit zuzubringen fortführen, bewahrte den Klofterpalaft und 
den Inhalt defielben vor der rohen Betaftung ber Zeit. Was jedoch 
die Hand der Zeit verfchont hatte, zerftörte die Hand der Gewalt, 
thätigfeit. Als die Branzofen im Anfange des gegenwärtigen Jahr. 


— — 


*) Fray Alonſo de San Geronimo läßt ſich vom Enthuſiasmus zu der Erklaͤ⸗ 
rung hinreißen, daß ter Allmächtige Khilipp tem Zweiten für das tem chriſtlichen 
Gottestienfte gewitimete glerreiche Betäude vielen Dank ſchuldig iſt! „Este Templo, 
Senor, deve & Filipo Segundo vuestra Grandeza;-con quo gratitud le estar& 
mirando, en el Impireo, vucstra Divinidad !* Diete ſo nahe an Gpitestätcrun, 
gränzende Svrache — tenn fo würde man fie heutzutage beurtheilen — findet fi 
in einer im Gscorial bei Gelegenheit des huntertjäbrigen Stiftungéfeſtes gehaltenen 
Feitrede. Die Gerlesfeierlichfeiten find im Ginzelnen in einem von ray Luis de 
Santa Maria geichriebenen Buche enthalten, deſſen Titel lautet: „Octava sagre- 
damente culta, celebrada en la Octava Maravilla,* etc., Matrid, 1664. 


Brebcott, Geſch. Philixps il. V. 12 





178 Dreizehntes Kapitel. 


hunderts gleich einer Horde Vandalen über die Halbinfel hereinbrachen, 
vergaßen fie den Escorial nicht. Denn in ihm fahen fie das Denkmal, 
welches zum Zwede hatte, ihre eigne fchmähliche Niederlage zu vers 
ewigen. Ein Korps Dragoner brad im Winter 1808 unter 
La Houflayn ins Klofter ein, jo daß die Verwuͤſtungen weniger Tage 
zeritörten, was in langen Jahren und mit der angeftrengteften Kunft 
geichaffen worden war. Die Befürchtung einer ähnlichen Gewalt⸗ 
famfeit feiten® der Karliften bewirkte, daß 1837 die fchönften Gemälde 
nad) Madrid geichafft wurden. Der Escorial hörte auf, eine koͤnig⸗ 
liche Refidenz zu fein. Bewohnerlod und ungelchügt blieb er der 
Wuth der von den Höhen der Guadarama herabbraufenden Stürme 
preißgegeben. 

Der den Drt jebt befuchende Reiſende wirb den Zuftand deffelben 
ganz anders finden, ald er im Anfange des Jahrhunderts war. Die 
nadten, befledten Wände fchinmnern nicht mehr in den zauberifchen 
Sarben Raphaeld und Titians und der nüchternen Pracht der caftili- 
ihen Schule. Die audgejuchten Kunftgegenftände, womit die Wände 
vollgehangen waren, find von Frevlerhand zeritört oder noch häufiger 
wegen ber reichen Etoffe, woraus fie beitanden, geftohlen worden. 
Die Mönche, weldye jo lange bie Hüter des Platzes waren, haben feit 
der Unterdrückung religiöfer Häufer das Geſchick ihrer Brüder anders 
waͤrts getheilt, und ihre ehrwuͤrdigen Seftalten find verfchwunden. 
Ueberall herrfchen in den Höfen Stillſchweigen und Einfamfeit, unters 
brochen bloß von den Tönen der unaufbhörlichen Winde, welche ihren 
büftern Trauergefang über die verſchwundenen Herrlichfeiten bed Es⸗ 
corial beftändig zu fingen jcheinen. Wenig erinnert und noch an den 
Palaft oder and Klofter. Bon den brei großen Zweden, denen das 
Gebäude gewidmet war, iſt bloß noch einer übrig, indem ed ein Mau⸗ 
foleum für die caftilifche Königslinie bildet. Der Geiſt der Todten 
ſchwebt über dem Plate, der Geift der fceptertragenden Todten, die in 
der nämlichen dunfeln Kammer liegen, wo fie Jahrhunderte lang ges 
legen haben, ohne zu wiflen, welche Beränderungen rings um fie 
herum vorgegangen find. 

Während der legten Hälfte feiner Regierung begab ſich Philipp 
regelmäßig mit dem Hofe nach Tem Escorial, um daſelbſt einen Theil 


| 


— — — — — 


Die Innern Angelegenheiten Spaniens. ‘179 


bed Sommers zuzubringen. Hierher führte er auch, als der finftere 
Bau ein ungewöhnliches Leben zu zeigen begann, feine junge Königin, 
Anna von Oefterreih. In einem früheren Kapitel hat der Lefer einige 
Nachricht von den Vorbereitungen erhalten, weiche Philipp nicht ganz 
zwei Jahre, nachdem er die holde Iſabella zu Grabe beftattet, zu feiner 
Verheiratbung mit diefer Prinzeffin traf. Anna war fchon dem uns 
glüdlihen Don Carlos verfprochen worden. Durch feine Berheis 
rathung mit ihr feierte Philipp den traurigen Triumph, daß er zum 
zweiten Male feinen Sohn ausftah. Anna war feine Nichte, denn 
ihre Mutter, die Kaiferin Maria, war die Tochter Karls des Fünften. 
Berner herrichte in dem Alter der Braut und bed Bräutigams ein gro- 
Ber Abftand; denn, da die öfterreichiiche Prinzeffin während der Re 
gentichaft ihrer Aeltern 1549 in Caftilien geboren war, war fie jet 
erft ein und zwanzig Jahre, alfo nicht halb fo alt, wie Philipp. Es 
fcheint nicht, ald 0b ihr Vater, der Kaifer Marimilian, etwas gegen 
eine folche Berbindung einzinvenden gehabt hätte War fie ihm auch 
nicht ganz recht, war er doch zu Flug, um eine Ehe zu verhinbern, 
weiche feine Tochter auf den Thron der mädhtigften Monarchie in 
Europa feßte. 

Es wurde fo veranftaltet, daß die Prinzeffin über die Nieberlande 
nad) Spanien reifte. Nachdem Anna im September 1570 dem Hofe 
ihres Vaters das legte Lebewohl geſagt hatte, trat fie mit einem ſtatt⸗ 
lichen Gefolge ihre lange Reife an. Als fie nad) Slandern fam, wurde 
fie vom Herzog an der Spike des flamänbifchen Adeld mit großer 
Pracht empfangen. Gleich nad ihrer Ankunft fchicte die Königin 
Eliſabeth ein Geſchwader von acht Schiffen, bot ihr an, ſie nad) 
Spanien überzufahren, und lud fie ein, unterwegs England zu befu- 
chen. Nachdem diefe Anerbieten höflich abgelehnt worden waren, ges 
feitete der General-Rapitän der flamändifchen Marine, Graf Boſſu, 
die deutfche Prinzeffin mit einer herrlichen Flottille nad) Spanien, fo 
daß fie nad) einer Reife von nicht ganz einer Woche glüdlich ihren Be⸗ 
flimmungsort erreichte. Sie landete den dritten Oftober an der noͤrd⸗ 
lichen Küfte Spaniens zu Santanter, wo auf fie, um fie zu empfangen, 
ber Erzbifchof von Sevilla und der Herzog von Bejar mit einer gläns 
zenden Dienerfchaft warteten. - 

12* 





180 Dreigehates Kapitel. 


Unter diefer Betedung gelangte Anna über Burger und Balla⸗ 
dolid in vie alte Stadt Segovia. In den großen Etäbten, woburd) 
fie famı, empfing man fie auf eine ihres Ranges würbige Weile, umb 
überall länge ihres Weges wurde fie von dem herzlichen Zujauchzen 
des Bolfd begrüßt; denn dieſe Heirath, weiche zu beichleunigen die 
Gorted den König angetrieben hatten, war ter Ration angenehm. *) 
Die Spanier wuͤnſchten einen männlidyen Thronerben zu haben; nach 
dem Tote des Don Carlos aber hatte Philipp nur noch Töchter. 

In Segovia, wo bie Bermählungsfeierlichfeit begangen wers 
den follte, waren großartige Vorbereitungen zum Gmpfange ber 
Prinzeifin getroffen worden. Bei ihrer Ankunft vor der Etadt fam 
ihr ein flarfer Trupp in fchimmernde Uniform gefleideter Lokalmiliz 
und Municipalbeamten, die ihre Amtotracht anbatten und berütten was 
sen, entgegen. Mit diejer tapfern Escorte 308 fie durch die Thore ein. 
Ueber die mit fchönen Fontaͤnen gefhmüdten Straßen waren Triumph- 
bogen geipannt, unter denen hindurch fich die Prinzeifin unter dem 
Sreudengeichrei des Volks in die große Domkirche begab. **) 

Anna, Damals noch im Jugendprangen, befchreibt man mit einem 
vollen, zarten Geficht. Sie hatte eine gute Geſtalt, ein anmuthige® 
Benehmen und ritt mit ungezwungener Leichtigkeit und Würde ihr mit 
reihen Echabraden verzierted Roß. Ihr nicht fehr unparteilicher Hi⸗ 
ftorifer theilt uns mit, daß bie Zufchauer beionders die Reubeit ihres 
böhmilchen Koftümes, ihren mit bunten Federn gejchmüdten Reithut 
und ben reich mit Goldfranzen veriehenen, kurzen rothen Sammet⸗ 
mantel bewunterten. ***) 

Als das Te Deum vorüber war, bewegte fid) der glänzende Zug 
nad) dem weitberühmten Alcazar, nad) jenem Feſtungépalaſte, weldyer 
urfprünglich von ten Mauren erbaut war, jegt aber fowohl zur 
koͤniglichen Refidenz, als auch zum Gefaͤngniſſe für potitifche Gefan⸗ 
gene diente. Hier war es, wo der ungluͤckliche Montigny manchen 
trüben Monat in der Gefangenſchaft lebte, und es war noch kein Vier⸗ 





°) Florez, Catholicas, Bd. II, 5. 908. 
”) Ebend., S. 008. 
0.) „Realzada con gracia nor el mismo trage del camino, sombrere alto 
matizedo con plumas, capotillo de terciopelo carmesi, bordado de oro & la 
moda Bohema.* — Ebend., ©. 907. 


Die innern Angelegenheiten Spaniens. 181 


teljahr verflofien, ſeitdem er von dieſem Platze, welcher fo lange ber 
Ort königlicher Luftbarkeit geweſen, fortgefchafft und in bie verberbliche 
Feſtung Simancas gefeht worden war, um daſelbſt durch den Arm bes 
mitternädhtlichen Scharfrichters umzufommen. Wie man fich erinnern 
wird, follte Anna auf ihrer Reife durch die Niederlande der Familie 
Montigny’s verfprochen haben, ſich für ihn bei ihrem Gemahle zu vers 
wenden. Über der König, der ſich vielleicht gern der Unjchidlichfeit, 
feiner jungen Braut bie erſte Bitte abzufchlagen, entheben wollte, ver» 
fügte über fein Opfer bald nach ihrer Landung, als fie fich noch im 
Norden befand. 

Unna betrat den Alcazar unter dem Donner ber Kanonen. Sie 
fand daſelbſt die gute Prinzeffin Joanna, Philippe Schweſter. Diefe 
empfing fle mit all der weiblichen Zärtlichkeit, welche felbige, bei einer 
frühern Gelegenheit, vor zwölf Jahren ber franzöftfchen Elifabeth, als 
biefe zuerft nach Caſtilien kam, bewiefen hatte. Die Hochzeit war 
auf den folgenden Tag, den vierzehnten November, angefeht. Philipp 
fol feine Braut zum erften Male gefehen haben, indem er fich verflei- 
det unter die Höflingscavaleade mifchte und Anna auf diefe Weiſe bei 
ihrem Einzuge in die Hauptftabt mit edcortirte.”) Als er feine legte 
Gemahlin, die Königin Iſabella, zum Altase führte, Hatten einige 
weiße Haare an feinen Schläfen ihre Aufmerfinmfeit erregt. *) Waͤh⸗ 
rend ber feitbem verflofienen zehn Jahre hatten die Regierungsforgen 
auf ihn denfelben Einfluß, wie auf feinen Bater gehabt und ihm vor 
ber natürlichen Zeit einen grauen Kopf gegeben. Die Verheirathung 
wurbe mit großer Pracht in der Domkirche von Segovia vollzogen. 
Den Gottesdienſt verrichtete der Erzdifchof von Sevilla. Daß geräu- 
mige Gebäube war zum Ueberfließen mit Zufchauern vollgebrängt, 
unter denen ſich die höchften Würbenträger der Kirche und bie erlauch⸗ 
teften Perſonen des fpanifchen Adels befanden. ***) 

WBaͤhrend ber wenigen Tage, welche das Königliche Paar in Ses 
govia blieb, überließ fih die Stadt dem Jubel. Man feierte das 
hoffnungsreiche Ereignis mit öffentlichen 3Uuminationen und herrlichen 


— — —— — — 


) Ebend., wie oben. 
*, Eiche oben in unferm zweiten Bande. 
) Florez, Raynas Cathol., Bd.II, &. 908.— Cabrera, Filipe Segundo, 6.661. 


182 _ Dreisehntes Kapitel. 


Feften, auf benen der König mit der Königin in Gegenwart ded mit 
reſpektoollein Stillſchweigen um fie ftehenden ganzen Hofes tanzte. *) 
Den achtzehnten des nämlichen Monats begab ſich dad neuvermählte 
Baar nad Maprid, wo zu feinen Empfang foldye Vorbereitungen ge 
troffen waren, daß man daraus bie Unterthanentreue der Hauptflabt 
erſehen Eonnte. 

Sobald der Bau ded Escorial weit genug gediehen war, um ber 
iungen Königin paflende Räumlichkeiten zu bieten, verbrachte Philipp 
alle Sommer einige Zeit in Flöfterlicher Einfamteit, die ihn mehr, als 
jeder andere Aufenthaltsort, anzog. Die Anwefenheit Annens und 
ihres Hofſtaates goß über das erhabene, doch büftere Gebäude eine ge⸗ 
wife, ungewohnte Sröhlichfeit aus. Unter andern Zerfireuungen, bie 
zu ihrer Ergögung angewandt wurben, finden wir die Autos sacra- 
mentales erwähnt, welche und an bie unfere engliſchen Vorfahren er- 
göbenden alten Mysteries und Moralities erinnern. Diele Autos flan« 
den bei. den Spaniern in fo großer Gunſt, daß fie in Spanien ſich länger, 
als in den meiften andern Rändern, auf der Bühne erhielten ; auch ges 
langten fie erft zu ihrer vollen Blüthe, als fie das Genie Ealderon’6 
gewedt hatten. 

Indeſſen flofien die erbaulichen Schaufpiele im Escorial aus 
einer Feder, welche berjenigen Calderon's nicht fehr gli. Wahr: 
ſcheinlich kamen fie von irgend einem Hieronymitenmoͤnche, welcher 
mehr poetifche Ader, als die übrigen Klofterbrüber, befaß. Die Schaus 
ſpieler bezog man aus dem im Escorial errichteten Seminar. Anna 
muß einen einfadyen Geſchmack befefien haben. Denn an diefen Aufs 
führungen und an Ausflügen in die dad Klofter umgebende wilbe, ro⸗ 
mantiiche Gegend ſoll fie viel Vergnügen gefunden haben. Die Ges 
Idyichiichreiber haben uns ber ihr Leben und ihren Eharafter nur 
wenige Nachrichten, und zwar viel weniger, al8 von ihrer lieblichen 
Vorgaͤngerin, -hinterlafien. “Diejenigen Berichte aber, weldye wir über 
fie befigen, beſagen, baß fie ein liebenswuͤrdiges Wefen befaß und ſich 
frommen Werfen überließ. Sie war felten müßig, denn fie verwandte 
einen großen Theil ihrer Zeit auf Näherei und Stiderei und hinterließ 


*) „En el sarao bailaron Rey y Bern, estando de pie toda la Corte. * 
— Florez, Reynas Catholicas, ®d. II, & 


Die innern Angelenenbeiten Spaniens. 183 


in den Verzierungen ber Klöfter und Kirchen in biefer Beziehting viele 
Proben ihrer Geſchicklichkeit. Eine reiche Stiderei, welche fie mit 
ihren Hofdamen verfertigt hatte, wurde lange in der königlichen Ka- 
pelle unter dein Namen: „Der Teppich der Königin Anna” aufbe⸗ 
halten. " 

Ihr eheliches Leben follte nicht lange dauern: — bloß zwei Jahre 
länger, ald dasjenige Iſabellens. Jedoch war fie mehr, als irgend 
eine ihrer Borgängerinnen, mit Leibeöfrucht gefegnet. Sie hatte vier 
Söhne und eine Tochter. Aber alle ftarben fchon als Säuglinge 
oder in früher Kindheit. Nur ber dritte Sohn, Philipp der Dritte, 
blieb am Leben, um in der Föniglichen Dynaftie Caſtiliens einen Platz 
einzunehmen. 

Die Königin ftarb am acht und zwanzigften Dftober 1580 im 
ein und breißigften Jahre ihres Alters und dem elften ihrer Regierung. 
In Bezug auf ihren Tod erzählt man ſich eine eigene Anekdote. Die- 
felbe fpielt in Babajozg, wo damals ber Hof als an dem geeignetften 
Drte zur Beobachtung des Krieges, in welchem damals Spanien mit 
Portugal begriffen war, reſidirte. Der König wurbe dort franf. 
Die Krankheitöfymptome waren fehr beforgnißerregend. Da bat in 
ihren Schmerze die Königin den Allmächtigen, das Leben Philippe, 
welches für die Wohlfahrt des Landes und der Kirche fo wichtig fei, 
body zu verfchonen und dafür das Opfer ihres eigenen anzunehmen. 
Wie die Folge zeigte, fagt der Ehroniffchreiber, erhörte der Himmel 
ihr Gebet.*) Der König genaß; die Königin aber erfranfte an 
einem Uebel, welchem in wenigen Tagen der Tod ein Ende machte. 
Nachdem ihre Ueberrefte einige Zeit im Staate audgelegen hatten, 
wurden diefelben mit feierlichem Gepränge nach dem Escorial ger 
bracht, wo ihnen der traurige Vorzug zu Theil wurde, daß fie in die 
für die Könige und Königsmütter ausfchließlich beftimmte Gruft ge- 
legt wurden. Das war bad Ente Annens von Oefterreich, ber 
vierten und legten Gattin Philipps des Zweiten. 


*2) „El efecto dijo, que oy6 Dios su oracion: pues mejorando el Rey, 
cay6 mala la Reyna.“ — Gbend., ©. 913. 





Jachritht über das Jeben des Berfassers. 


William Hidling Brescott, der den A. Mai 1796 zu Salem in 
Maſſachuſſets geboren wurde, flanımte aus einer alten Yamilie ber. 
Sein Urgroßvater war Rath im Staate Maſſachuſſets, und bereit ber 
Großvater mütterlicherfeit8 von feinem Großvater begleitete baffelbe 
Amt. Sein Großvater, Biliam Prescott, machte ſich einen Namen 
im amerifanifdyen Unabhängigfeitöfriege; denn nachdem er ſich bei der 
Eroberung von Neufchottland ausgezeichnet hatte, übertrug man ihm 
1775 ven Oberbefehl über die Armee, weldye am 16. Juni des ge 
nannten Jahres die Feſtung Bunferhill einnahm und den folgenden 
Tag dem Feinde eine fiegreiche Schlacht lieferte. Der Bruder von 
Brescott’S Großvater, welcher urfprünglidd Medizin ſtudirte, nahm 
gleichfalls am Unabhängigfeitäfriege thätigen Antheil und war von 
1779 bis zu feinem Tode am 17. Rovember 18904 Berificationdridhter 
für Teſtamente. Prescott's Bater war Advofat und Ridyter zu Boften, 
wo er feinen Aufenthalt aufgeichlagen hatte. In diefer Stabt wurde 
der junge Prescott dem Dr. Garbiner, der ein Schüler von Dr. Samuel 
Barr war und gute Spradyfenntniffe befaß, zur Erziehung übergeben. 
Nachdem er hier feine Vorbildung genoffen, bezog er 1811 die Unis 
verſitaͤt Harvard, wo er feine Studien mit Eifer fortfegte, bis ihn 
Krankheit und zeitweilige Erblindung nöthigten, dieſelben eine Zeit 
lang anszuſetzen. 

Er war urfprünglidy für den Stand feined Vaters beſtimmt ge 
weien; doch fein Geſundheitszuſtand war fo bedenklich, daß Prescott 
weder Jura, noch überhaupt ein anderes Studium emfl betreiben 
fonnte. Die Aerzte riethen ihm zu reifen. Er verweilte deßhalb einige 
Jahre in England, Kranfreidy und Italien, wo er zwar feine Geſund⸗ 
heit, aber nicht fein Geſicht wiederherſtellte. Glücklichenweiſe war 
Prescott's Bater ein fehr reicher Mann; daher der Sohn leben konnte, 
auch wenn er feinem beflimmten Zache fi) widmete. Er verwandte 


Nachricht über das Leben des Verfaſſers. 185 


feine Zeit auf das Studium der Literatur des modernen Europa’d; 
doch dauerte es lange, ehe er ernitlich daran ging, felbft als Schrift» 
fteller aufzutreten. Seine erſten fchriftftellerifchen Erzeugniſſe erfchies 
nen in der North American Review ald Abhandlungen über ita⸗ 
lieniſche, fpanifche, engliche und amerifanifche Literatur. In Sparfe’ 
American Biography lieferte er den Artikel über den Romanfchreiber 
Brodden Brown; andere Artikel von ihm erfchienen in andern Zeit: 
ſchriften. Alle tiefe Fleinern Arbeiten wurden gefammelt unter dem 
Titel: Biographical and critical Miscellanies, 1843, 8°. Diefes 
Buch erlebte mehrfache Auflagen: zu London faın ed 1845 und 1850 
wieder heraus. 

Aber Prescott hatte immer, feitbem er feine juriftiichen Studien 
hatte aufgeben müflen, fich mit beim Gebanfen, ein Gefchichtöwerf zu 
fchreiben, getragen. Ad er nun tiefer in die Literatur und Gefcyichte 
Spaniens eindrang, nahm diefer Gedanke eine beftimmte Form an. 
Sein Wunſch war, die Regierung Ferdinands des Katholifchen zu be 
ſchreiben. Er wandte fid) deßhalb an Herrn Everett, den damaligen 
Geſandten der Vereinigten Staaten in Spanien, und dieſer befaß die 
Freundlichkeit, ihm reiche Materialien, die in feltenen Büchern, Mas 
nulfripten und Abjchriften von offiziellen Dofumenten beftanden, zu 
liefern. Als fie jedoch in Amerika anlangten, war dad Befinden 
VPrescott's für feinen Plan nicht fehr ermuthigend. Er gibt une fel- 
ber in der Vorrede zu feiner History of Peru, | datirt April 1847, die 
folgende Nachricht : 

„Während ich noch auf ber Univerfität war, litt ich an dem einen 
Auge Schaden, fo daß ich beinahe gar nicht darauf fehen konnte. Auch 
das andere entzündete ſich bald nachher und erblindete gleichfalls eine 
Zeit lang. Obſchon bafielbe in der Folge wieder hergeftellt wurde, 
war body dad Organ fo fehr angegriffen worden, daß es fortwährend 
geihwächt blieb, während ich zweimal in meinem Leben, zufammen- 
genommen mebrere Jahre hindurch, gar nicht damit lefen oder fchreiben 
fonnte. Während einer diefer Perioden war es, daß ich von Madrid 
die Materialien zu meiner „Geſchichte Ferdinands und Iſabellens“ 
empfing. Sch war in meiner unfähigen Lage, wo bie trandatlanti« 
jhen Schäße um mich her lagen, gleich tem Wanne, den inmitten bes 


186 Rıt-ıdr aber tas Ecken rd Beier. 


Ueberñuñes ter Hunger plagt. In tie'em Zußante dachte ich daran. 
womöglih tad Ihr tie Arbeit des Anges verrien u nm. Ic 
hielt mir alio einen Schretär, ter. mir tie veritietenen Auteritäten 
vorſas Mit der Zeit wurte ich aud wir tem Klange ber verichiede⸗ 
nen fremden Sprachen, (vom tenen ich ja icken irüber, als ich mich im 
Auslande aufbielt, einige hatte fennen lemen,) bergeitalt vertraut, ta 
ich fein Leſen ohme große Schwierigkeit verfichen fonnte. Beim Ber- 
lejen dictirte id lange Bemerfungen unt wenn ven dieſen eine große 
Menge vorbanben war, ließ ich fie mir wicterbelt vorleien, bis ih ten 
Inhalt terielben kinlänglicdh bemeiftert hatte, um and Schreiben geben 
zu konnen. * 

Alle Schwierigkeiten waren hierdurch jetoch noch nicht übenwun- 
den. Predcott vertuchte zu dictiren, mußte aber davon abfichen, weil 
er fand, taß dieſe Berfahrungsweiie ſeine Rebe ter nötbigen Freiheit 
und Kraft beraubte. Alsdamn verfchrieb er fi von London ein Schreib- 
zeug für Blinde (writing-case for the blind), welches ibm treff- 
liche Tienfte leiſtete. Den Griffel des Schreiber leiteten Träbte, tie 
über einen Bogen carbonifirtes Papier geipannt waren; unter dem 
carbonifirten Sag gewöhnliche Papier: das Schreiben geſchah alfe 
ohne Tinte durch bloßen Abtrud. „Mit diefem Inftrumente,* fagt 
Preocott in einem vom Juli 1852 datirten Briefe an ten Redacteur 
der Homes of American Authors, „babe idy meine Geſchichtsſachen 
Wort für Wort gefchrieben. Diefe Schreibweiſe iſt mit einigen Un⸗ 
annehmlichfeiten verbumden ; denn da man nicht fehen fonn, was man 
auf ter andern Seite ded Papieres thut, fo wenig wie der an bie Trets 
mühle Öeftellte weiß, was er auf der andern Seite ter Mauer mahlt, 
fo wirt das Corrigiren fehr fhwer. Dephalb muß man den Brgen- 
fand vollftändig im Kopfe geftaltet und alles Ausftreichen und Radi⸗ 
ten fchon fertig gemacht haben, ehe man noch den Griffel in die Hand 
nimmt. Ich muß alfo bei meiner Schriftftellerei ein ganzes Kapitel, 
mag daſſelbe auch noch fo lang fein, mehrmals im Kopfe durchgehen, 
ehe ich mich ans Pult ſetze. Alsdann ift meine Arbeit mehr Gedächt⸗ 
nißiache, als Reufchaifen, und das Schreiben vermag nun flott vor- 
wärts zu gehen.” 

| Sein erfted unter diefen Schwierigfeiten gefchaffenes Werl: The 


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